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Der Weg aus dem Kampf

Wenn Träume Berge versetzen
von

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Das Biberversteck

Kapitel 3

Das Biberversteck
 

In den frühen Morgenstunden hörte es auf zu regnen. Dhaôma kletterte auf einen der Bäume und wartete auf die Sonne, um deren Aufgang mitzuerleben. Leider war es immer noch viel zu bewölkt, um viel zu sehen. Danach weckte er den Hanebito.

„Fühlst du dich stark genug, um weiterzugehen?“, wollte er wissen.
 

Dieser lauschte mit geschlossenen Augen in seinen Körper hinein. Es sah nicht wirklich gut aus. So zerschlagen hatte er sich seit Ewigkeiten nicht gefühlt.

„Was ist, wenn ich nein sage?“
 

„Dann treffe ich Vorbereitungen, hier zu bleiben. Sprich, ich errichte einen effektiven Schutz gegen den eigentlichen Bewohner dieser Höhle.“, erklärte Dhaôma ernst. „Es ist nicht lustig, gegen einen Vielfraß oder Waldlöwen zu kämpfen.“
 

„Vor allem, wenn ich keine Hilfe sein kann.“, gestand Mimoun zerknirscht ein, ohne auch nur einen Finger zu bewegen. Was war nur los mit ihm? Er fühlte sich noch immer so müde. Und er hatte brennenden Durst. Doch ihre Sicherheit ging erst einmal vor.

„Kümmerst du dich bitte darum?“
 

„Selbstverständlich.“ Dass es ihm so schlecht gehen würde, hätte er nicht gedacht. Andererseits hatte er eine offene Bauchwunde gehabt.

Vorsichtig legte er ihm die Hand auf die Stirn. Fieber. Nur leicht, aber wahrscheinlich genug, um es ihn richtig fühlen zu lassen. „Hier, trink das.“, hielt er ihm den Wasserschlauch hin. „Kannst du dich genug bewegen, um die Wunden selbst neu zu salben oder soll ich das machen?“
 

Gierig trank der Geflügelte. Selbst diese kurze Bewegung hatte ihn erschöpft. Sich selbst die Wunden zu verbinden war ein Ding der Unmöglichkeit. „Später. Ich mag keine ungebetenen Gäste.“
 

„Jetzt, denn ich will nicht, dass das Fieber schlimmer wird. Es ist Tag, da geistern Raubtiere selten durch die Gegend. Wenn, dann wäre es schon in der Dämmerung zurückgekommen.“

Er begann schon, die ersten Schnallen der Rüstung zu lösen, um an alle Wunden heranzukommen. Wie hatte der Ast es nur geschafft, an diesem Lederpanzer vorbeizukommen? Vielleicht hätte er darauf bestehen sollen, dieses Ding wegzulassen. Es war für ihn sowieso nutzlos, da er sowieso nicht mehr kämpfen konnte.
 

Mimoun half mit, so gut es ging. Seine Gedanken krochen träge durch seinen Kopf. In solch einer Lage konnte er keine vernünftige Diskussion führen. Sich in aufrecht sitzender Position zu halten, ging sogar, wenn es nur nicht so einen verdammten Brummschädel verursachen würde. Müde griff er sich an die Stirn, während er Dhaôma widerspruchslos machen ließ.
 

Dhaôma hatte ehrlich Mühe, seine Arbeit zu verrichten, doch am Ende lag der Hanebito wieder auf dem Boden und schlief. Alle Wunden waren versorgt, jetzt konnte er sich darum kümmern, dass sie hier möglichst sicher waren. Die Dornenranken wachsen lassen war nicht das Problem, die kleine Blume in dem Samenbeutel zu suchen, die jeden Geruchsinn verwirrte und damit Tiere fernhielt, gestaltete sich schon schwieriger. Gegen Mittag hatte er seine Kräfte erschöpft und ruhte sich selbst aus, damit er am Abend noch ein wenig mehr schaffen konnte. Er brauchte noch ein paar Kräuter, Feuerholz und wenn möglich einen Behälter, den er zum Kochen nutzen konnte. Und Wasser musste er auch finden.

Die Zeit ging schnell vorbei und schließlich wurde es Nacht. Der Geflügelte hatte sich kaum bewegt, hatte nur manchmal was getrunken, um gleich weiterzuschlafen. Es war gut so. Vielleicht kam er wieder zu Kräften.

Am Vormittag des nächsten Tages hatte Dhaôma seinen Tee endlich fertig. Er weckte den jungen Mann, damit er ihn trank und vielleicht etwas aß. „Das hier wird das Fieber senken und die Schmerzen lindern.“, drückte er ihm die Schale in die Hand.
 

Mimoun trank einen Schluck und konnte nur knapp unterdrücken ihn wieder auszuspucken. „Das... ist... widerlich.“, würgte er, trank aber brav alles aus. „Jetzt auf meine letzten Atemzüge, hast du wohl vor, mich zu vergiften.“ Dieses bittere Zeug hinterließ irgendwie einen richtig fiesen Nachgeschmack. Vielleicht konnten die Beeren ihn ein wenig überdecken, hoffte Mimoun und griff zu.
 

„Sei kein Weichei. Medizin muss bitter sein, hat dir das noch niemand gesagt?“ Dhaôma lachte. Dieser Geflügelte war lustig und im gleichen Zuge, wie die Bitterkeit des Getränkes seine Geschmacksknospen gereizt hatte, hatten sich die kurzen schwarzen Haare gesträubt. Faszinierend. Amüsant.

Er griff nach seinem Buch. „Du kannst dich im Übrigen in Sicherheit wiegen. Ich hab den Dornenwall fertig.“
 

Mimoun versuchte ihn mit bösen Blicken zu durchbohren. Er drehte die Schüssel um, um zu zeigen, dass sie leer war. „Ich hab’s doch ausgetrunken. Willst du mir jetzt etwa verbieten, meine Meinung kund zu tun? Wenn das Zeug eklig ist, dann kann ich das doch erwähnen.“
 

Wie süß, eine Rechtfertigung. Und noch dazu eine so sinnlose. „Warum glaubst du, dass das ein Angriff auf dich war?“, wollte er wissen.
 

„Ich weiß nicht, wie es bei euch ist, aber 'sei kein Weichei' ist unter meinesgleichen nicht unbedingt ein Kompliment.“ Der Geflügelte suchte sich eine Wand, an die er sich anlehnen konnte. „Lass gut sein. Ist nicht so wild.“, seufzte er.
 

Wenn das so war, dann brauchte er auch nicht zu erklären, dass es als Spaß gemeint war. Musste er in Zukunft einfach vorsichtiger sein mit seinen Späßen. Vielleicht kannten die Hanebito so was nicht.

„Du solltest lieber schlafen.“, sagte er stattdessen und blätterte in seinem Buch vor. „Du bist immer noch nicht wieder richtig wach.“
 

„Ehrlich? Ist mir gar nicht aufgefallen.“, schmunzelte der Geflügelte. Sein Blick fiel auf das Buch. „Was ist das?“, versuchte er Zeit zu schinden, denn sich hinzulegen, würde wieder Anstrengung bedeuten.
 

„Das ist der Weg zu meinem Traum.“ Mit einem verträumten Lächeln klappte er das Buch zu und strich über den ledernen Einband. „Ich habe es letztens gefunden, als ich Urgroßvaters Bibliothek durchsucht habe. Es bleibt nur zu hoffen, dass es auch die Wahrheit sagt.“
 

Mimoun legte den Kopf schief und sah sein Gegenüber auffordernd an. War doch klar, dass er nach so einer Info mehr wissen wollen würde. Schließlich versuchte er sich mit einem Feind zu verbrüdern. Da konnte dieser Traum keine Kleinigkeit sein.
 

„Du kannst nicht lesen, oder?“, fragte Dhaôma und hielt ihm den Buchrücken mehr ins Licht. „Es geht hier um die Legende der Drachenreiter. Kennst du die Sage?“
 

„Ich habe mich nie mit Geschichte beschäftigt oder gar mit Legenden.“ Er zog die Beine an den Körper. „Ja, ja. Ich weiß schon, was du sagen willst. Hättest du dich mehr mit der Geschichte deines Volkes und des Krieges auseinander gesetzt, würdest du nicht mittendrin stecken und andere für dich denken lassen.“, äffte er Stimme und Tonlage des Magiers nach. Mit einem auffordernden Blick stützte er Arm und Kopf auf den Knien ab. „Also los. Erzähl.“
 

Irgendwie schien es, als habe er den Hanebito verärgert, aber was sollte es. „Nach dieser Legende gibt es Menschen, die auf Drachen reiten. Sie knüpfen ein tiefes Band mit den Drachen und würden niemals Jagd auf sie machen. Früher gab es davon hunderte, aber kein lebender Magier erinnert sich daran, je einen gesehen zu haben.“

Dhaôma schloss die Augen. „Sie haben für Frieden gekämpft, haben andere beschützt und neues Land erschlossen. Aber darum geht es mir nicht. Viele dieser Drachen konnten fliegen. So wie du.“ Seine Augen strahlten, als er ihn wieder ansah. „Stell dir vor, ich könnte auf einem Drachen genauso durch die Lüfte fliegen wie einer von euch! Ich könnte die Welt von oben sehen und herausfinden, wie hoch der Himmel über den Wolken ist. Ich könnte sogar herausfinden, ob es auf dieser Welt einen Ort gibt, an dem nicht gekämpft wird, wo jedes Volk in Frieden mit dem anderen lebt. Ich könnte das Ende der Welt suchen! Und ich hätte einen Freund, vor dem ich nicht verheimlichen müsste, wer ich bin und was ich denke.“

Er klappte das Buch wieder auf. „Und aus diesem Grund muss ich das hier lesen. Immerhin muss ich herausfinden, wo ich mit der Suche nach den Drachen anfangen muss, bevor ich mir Gedanken darüber machen kann, wie ich einen fange oder aufziehe, nicht wahr?“
 

Das war tatsächlich ein großer Traum. Man wünschte sich immer das, was man nicht haben konnte. Mimoun glaubte nicht, dass es dem Magier hauptsächlich um die Drachen ging, vielmehr schien dieser fliegen und dem Leid des Krieges entkommen zu wollen. Der junge Geflügelte warf seinem Gegenüber einen traurig-mitfühlenden Blick zu, schwieg aber dazu. Das war ein Traum, der sich wohl nie erfüllen würde.

Wortlos begab er sich zu der Stelle, wo er auch die letzte Zeit immer geschlafen hatte und rollte sich wieder zusammen.
 

Dhaôma lächelte amüsiert. Hatte er da wirklich Mitleid gesehen? Seltsam, wirklich. Wahrscheinlich hielt er ihn für verrückt. Nein, ganz bestimmt hielt er ihn für verrückt. Hatte er ja selbst gesagt. Aber das war okay.

Liebevoll strich er über das Buch, dann begann er endlich zu lesen. Die Schrift war vergilbt und teilweise schwer zu entziffern, aber es war die Grundvoraussetzung, also biss er sich durch.
 

Die Tage verstrichen. Auch wenn das Fieber schnell wieder verschwunden war und Bewegungsdrang ihn malträtierte, zwang Mimoun sich die ganze Zeit in der Höhle zu bleiben und sich auszukurieren. Als er nicht mehr an seinen Wunden sondern an Langeweile zu sterben drohte, ließ er sich von Dhaôma Kiesel bringen. Möglichst gleich groß und bis auf einen gleichfarbig. Diesen legte er in einiger Entfernung hin und versuchte ihn mit den anderen Kieseln zu treffen. Doch auch dieses Spiel konnte seine Langeweile nicht auf Dauer vertreiben.

Schlussendlich griff er sogar nach dem Buch, wenn Dhaôma nicht anwesend war, und blätterte darin. Bis auf eine Karte keine Bilder und die Schriftzeichen schwer zu entschlüsseln. Mimoun hatte lange kein Buch mehr in der Hand gehabt. Wenn er ehrlich sein sollte, hatte er das letzte Buch nicht einmal gelesen, sondern nur woanders hinsortiert. Aber er hatte ja Zeit. Und die Informationen waren nur nebensächlich. Schließlich suchte nicht er nach diesen Drachen.

So vergingen etwas mehr als zwei Wochen, bevor er sich in der Lage sah, weiterzugehen. Die letzten Tage war er immer mit einigen Rüstungsteilen in der Hand durch die Höhle marschiert, um ein wenig zu üben. Doch heute würden sie weiterreisen. Wieder ließ er sich von Dhaôma helfen die Rüstung anzulegen.
 

Der Braunhaarige war in der Zeit zweimal nach Hause gegangen, um seine Familie zu beruhigen. Beim zweiten Mal hatte er angemerkt, dass er lange wegbleiben würde. Es hatte niemanden gekümmert, wie nicht anders zu erwarten gewesen war. So war er gegangen.

In der Zeit, in der der Hanebito nichts mit seiner Zeit anzufangen wusste, hatte er ihm einmal Nadel und Faden in die Hand gedrückt, damit er seine Kleider reparieren konnte. Mit den Fingernägeln hatte er auch keine Schwierigkeiten, diese durch das weiche Leder zur drücken.

An dem Tag, als sie endlich weitergehen konnten, schien sogar schon am frühen Morgen die Sonne durch die Baumkronen. Dhaôma hatte gute Laune. In der letzten Zeit hatte er den anderen schätzen gelernt, erinnerte er ihn irgendwie an ein Kind oder auch ein unterbeschäftigtes Haustier. Immer für eine Überraschung gut. Außerdem hatte sich die Bauchwunde geschlossen, ohne sich zu entzünden. Damit waren die Überlebenschancen des spitzohrigen Mannes definitiv gestiegen.

„Ob wir dieses Mal das Biberversteck erreichen?“
 

„Also an mir soll’s nicht scheitern.“, gab Mimoun zuversichtlich zurück und trat nach draußen. Wie befreit atmete er einmal tief ein und aus. „Nach dir.“
 

Was sich wieder einmal von selbst verstand. Dhaôma grinste in sich hinein und schüttelte den Kopf, aber er ging voraus. Diesmal ging es besser. Nicht jeder kleine Ast störte den Geflügelten beim Weiterkommen, auch wenn dichtes Gestrüpp wegen der Flügel einfach das Durchkommen erschwerte.

Schon mittags erreichten sie einen Fluss. „Du könntest baden.“, schlug Dhaôma vor, während er stehen blieb. „Das Wasser ist auch nur fast kalt.“
 

„Das würde aber bedeuten: Rüstung aus, Rüstung an.“, gab Mimoun zu bedenken. Doch noch im gleichen Atemzug begann er die Schnallen zu lösen. Ob kalt oder nicht war ihm egal. Es war definitiv an der Zeit für ein Bad.
 

„Warte noch, bis wir das Biberversteck erreicht haben. Das dauert noch zwei Stunden etwa. Dann können wir da bleiben.“

Dhaôma zeigte den Fluss hinunter. „Es ist eh besser, wenn du dich nicht wieder überanstrengst.“
 

„Verdammt. Warum machst du auch erst so einen Vorschlag?“ Kopfschüttelnd zog er die gelösten Gurte wieder fest und lief in die angegebene Richtung. Na gut. Würde er halt noch zwei Stunden warten.
 

„Damit du Zeit hast, dich an den Gedanken zu gewöhnen. Ich war mir nicht sicher, ob du es gut finden würdest.“, lachte der Magier. „Immerhin findest du selten Dinge gut, die ich vorschlage.“

Der Weg war leichter zu begehen, nachdem der Wald ein wenig zurückwich. Immer wieder waren Tiere zu sehen, die vor ihnen flüchteten. „Es ist wirklich zu schade, Hanebito, dass du keinen Bogen hast. Du könntest uns ein Mittagessen jagen.“
 

Bezeichnend schnupperte Mimoun kurz an sich und zog dann die Nase kraus. „Tja. Manchmal hast du auch gute Ideen.“, gestand er ihm ein. Auch er sah den Tieren nach. „Vielleicht später, nach dem Bad, wenn man mich nicht dutzende Kilometer gegen den Wind riecht. Dann zeigst du mir, wie ich mich richtig verstecke und ich zeig dir, wie man so einem Viech das Genick bricht. Oder ihm die Kehle zerfetzt.“ Kurz spielte er mit seinen Krallen, ließ sie ein paar Mal gegeneinander schlagen.
 

„Saubere Methoden fallen dir nicht ein? Oder einfachere?“, wollte der Magier naserümpfend wissen und blickte über die Schulter zurück. „Wie soll ich so ein Vieh in die Finger kriegen? Hinterherlaufen ist nicht. Und Fallen helfen erst nach ein paar Tagen etwas, wenn sie deinen Geruch eben nicht mehr in der Nase haben.“
 

„Also Genick brechen geht schnell und sauber.“, rechtfertigte sich Mimoun. „Und da gäbe es noch etwas, was mich außer einem fehlenden Bogen noch an der Jagd hindert. Man braucht zwei funktionierende Arme, um ihn vernünftig spannen zu können. Speerwerfen mit links kann man ja noch lernen, aber Bogen mit einer Hand führen?“ Er schüttelte den Kopf.
 

„Punkt für dich.“, seufzte Dhaôma und rieb sich über den Nacken. „Also keine Beute. Vielleicht krieg ich ein paar Fische.“

Es dauerte wirklich nicht mehr lange, bis sie den Biberdamm erreichten. Dhaôma hatte den Eingang so modifiziert, dass man nicht erst tauchen musste, um hineinzukommen, aber man stand förmlich auf dem Wasser, wenn man die Ast-Lehmschicht wegließ. Er mochte diesen Ort gerne. Das Geräusch des Flusses war beruhigend und die Hitze des Sommers hier leichter zu ertragen.

„Los, gehen wir schwimmen. Ich helfe dir.“
 

Sein Blick glitt über den Damm, über das Wasser. Schön war es hier. Irgendwie friedlich.

Mit einem Seufzen entledigte er sich mit der Hilfe des Magiers aller Rüstungsteile und Klamotten. Es tat gut, die ganze Last nicht mehr am Körper zu spüren. Aber noch besser würde es ihm gehen, wenn er endlich im Wasser wäre.

Vorsichtig tastete er sich in das kühle Nass vor. Es hatte eine angenehme Temperatur und auch der Boden war leicht begehbar. So gut wie keine Stöcke, an denen seine Füße hängen blieben. Keine spitzen Steine, die sich in seine nackten Fußsohlen bohrten. Als er hüfttief im Wasser stand, hockte sich Mimoun leicht hin, beugte sich vor und tauchte ein paar Mal seine Flügel unter Wasser. Er wirkte ein wenig wie eine Ente bei der Gefiederpflege.
 

Dhaôma beobachtete diese Prozedur zuerst interessiert, dann amüsiert. Wie er mit diesen Flügeln schwimmen sollte, war ihm gar nicht gekommen. Und jetzt das! Eine Ente. Offensichtlich eine Bleiente.

Um sich das Lachen zu verbeißen, hechtete er selbst ins Wasser und tauchte gleich bis zur Mitte des Flussbettes. Die Strömung war angenehm stark dort, man konnte sich meilenweit tragen lassen. Durfte er zwar heute nicht, aber ein Stückchen musste okay sein. Als er endlich wieder auftauchte, lachte er doch. Nicht über den Hanebito, sondern aus Freude. Er liebte Wasser. Er liebte Schwimmen! Und er liebte Toben.

Und weil er übermütig war und sie vorhin übers Fischen gesprochen hatten, versuchte er sein Glück – natürlich ohne Erfolg. Aber immerhin machte es Spaß.
 

Der Geflügelte konzentrierte sich eher darauf, den Dreck von seiner Haut zu waschen, als dass er beobachtete, was der Magier trieb. So kam das Lachen etwas unerwartet und er schaute auf. Es war faszinierend zu beobachten, wie dieser nun frei von allen Sorgen durch das Wasser tobte und völlig erfolglos nach Fischen tauchte.

Mimoun schüttelte den Kopf. So wie dieser Kerl das anstellte, würde nie etwas daraus werden. Sein Blick wanderte den Uferstreifen rauf und runter, bis er einen geeigneten Stock entdeckte. Lang, gerade und nicht zu dick oder dünn. Er watete zu der Stelle und wog sein Fundstück prüfend in der Hand. Missmutig wiegte er den Kopf. Es war nicht ganz das, was er brauchte, aber etwas Besseres würde er jetzt nicht ohne größeren Aufwand finden.

Umständlich klemmte er sich den Stock unter den Arm und versuchte mit seinen Fingernägeln eine Spitze zu schnitzen. Es sah reichlich missglückt aus, würde aber für seine Zwecke reichen. Wieder begab er sich hüfttief ins Wasser und verharrte, den Spieß wurfbereit erhoben, regungslos. Nur seine Augen bewegten sich, folgten den einzelnen Fischen, um einen geeigneten auszumachen.
 

Dhaôma ließ sich unterdessen doch treiben. Ausgepowert von seinem Spiel, versuchte er lediglich auf dem Wasser zu liegen und die Sonne ihn wärmen zu lassen, während der Fluss den Rest tat. Irgendwann stieß er mit dem Kopf gegen einen Felsen im Wasser, was ihn aus seinem Tagtraum weckte. Er hatte seinen Schützling alleine gelassen. Wie blöd war das denn?

Andererseits war der wieder gesund genug, um für einige Zeit alleine zu bleiben. Er sollte sich nicht so viele Gedanken darüber machen.

Sich schüttelnd trat er aus dem Wasser und orientierte sich. Er war ein gutes Stück weg vom Biberbau. Er sollte sich beeilen, zurückzukommen. Vielleicht hatte er ja immerhin Glück und sein Haar wäre bis dahin wieder trocken.

Leicht, federnd, eine Gangart einschlagend, die er schon seit geraumer Zeit nur selten hatte nutzen können, machte er sich auf den Rückweg, spürte dem Gefühl der Freiheit nach, das in ihm wuchs. In ihm begann eine Idee zu reifen: Er wollte noch nicht sterben. Also würde er den Hanebito zu den Felsen bringen, wie er es versprochen hatte, und danach direkt von dort verschwinden. Vielleicht würde er sich direkt auf die Suche nach einem Drachen machen. In der Schlucht kam man ganz gut vorwärts und war an vielen Stellen vor dem Regen geschützt. Den Hanebito müsste er noch ausweichen, aber dazu konnten seine Kräfte nützlich sein. Ein paar Pflanzen wachsen lassen, einen Sichtschutz errichten. Musste er sich einfach darauf verlassen, dass sein Hanebito nicht sang.

Mit richtig erleichtertem Herzen traf er wieder im Bibernest ein. Sein neuer ‚Freund’ stand im Wasser und zielte mit einem Stock hinein. Mit schräg gelegtem Kopf betrachtete er sich die Pose, dann schüttelte er den Kopf. Ob das was werden konnte? War sein Waffenarm nicht verletzt?

Das Kinn auf die Hände gestützt hockte er sich in die Sonne und beobachtete ihn. Offenbar verstand er was davon, die Bewegungen schienen sicher.
 

Doch es half nichts. Mit links war er einfach nicht trainiert. Der Wurf war nicht fest genug und zu wackelig, um sowohl den Widerstand des Wassers als auch den des Fischkörpers zu durchbrechen. Und so trieb der Stock jedes Mal ohne Beute auf dem Wasser.

Mit einem frustrierten Aufschrei rammte Mimoun den improvisierten Speer in den schlammigen Flussgrund. Und dabei hatte er sich auf eine kleine Abwechslung des Speiseplans gefreut.

Entmutigt schleppte er sich ans Ufer und ließ sich bäuchlings am Strand nieder, ließ die Sonne seinen Körper wärmen. „Dämliche Fische.“, nuschelte er halb in den Sand.
 

„Was ist mit dir?“, wollte Dhaôma mitfühlend wissen, während er sich lautlos neben ihn setzte. „Warum so enttäuscht? Es ist doch normal, dass man mit der falschen Hand erst üben muss, um etwas zu erreichen.“
 

„Die könnten doch so nett sein und mir direkt in die Hand springen.“ Mimoun hob leicht den Oberkörper, stützte ihn auf dem Ellenbogen ab und blinzelte zu dem anderen auf. „Ich dachte immer, auf Schwerstverwundete soll man Rücksicht nehmen.“
 

„Wärst du ein Sensibelchen, würde ich es tun.“, antwortete der braunhaarige Magier und grinste. „Du willst also Fisch essen. Ist dir der Gedanke gekommen, dass ein Netz helfen könnte, welchen zu fangen?“

Schon erhob er sich und watete wieder ins Wasser. Er suchte mit den Augen die Oberfläche ab, fahndete nach einer Stelle mit starker Strömung und wenig Verwirbelungen.
 

„Und wo auf die Schnelle ein Netz hernehmen?“, gab der Geflügelte zurück. „Und wie stellst du dir das vor? Ich meine, ich hab nur eine Hand zur Verfügung. Und dann nur links.“

Die Sache mit dem Sensibelchen überging er gekonnt. Vielleicht war er kein Sensibelchen, aber er würde die Situation sicher schamlos ausnutzen und den Magier nur noch durch die Gegend scheuchen.
 

„Geduld, daran arbeite ich. Wenn du nichts dagegen hast, mit mir zusammenzuarbeiten, benötigst du auch nur die linke Hand. Dann hätten wir insgesamt drei. Das sollte genügen, um ein Netz zu halten, nicht wahr?“

Er hatte eine Stelle erspäht und tauchte hinunter, um ein paar der Wasserpflanzen an die Oberfläche zu ziehen. Sich schüttelnd setzte er sich auf einen Stein, bevor die Zeichen auf seinen Armen zu leuchten begannen. Zunächst die Zentralen, die dafür sorgen, dass das Gras fröhlich zu wuchern begann, später diejenigen, die seitlich lagen. Er grinste, als die fadenförmigen Gebilde sich zu einem Netz zusammenfügten, das groß genug war, um einen Stör zu fangen.

„Tadaaa!“, hielt er sein Konstrukt in die Höhe.
 

„Vollidiot.“, murmelte Mimoun. Obwohl er selbst daran zu glauben schien, er sei nutzlos, bewies dieser Magier doch regelmäßig das Gegenteil.

Geschmeidig ließ er sich rückwärts wieder ins Wasser gleiten und stakste zu seinem Begleiter hinüber. Nebenbei fragte er sich, wann dieser Magier für ihn von einem Feind über potenzielle Bedrohung zu einem gern gesehenen Begleiter geworden war. Dass er ihn vielleicht irgendwann einmal als Freund bezeichnen würde, verbot er sich dennoch.

„Was soll ich tun?“ Erwartungsvoll streckte er seine funktionsfähige Hand in dessen Richtung.
 

Dhaôma überhörte die Beleidigung problemlos. Er hatte sooft von seiner Familie seine Arbeit als nutzlos beschimpft bekommen, dass ihm solche Worte nichts mehr ausmachten.

„Festhalten!“, kommandierte er deshalb und warf dem Hanebito die eine Seite des Netzes zu. Danach schwamm er auf die andere Seite des Flusses. „Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, es macht Sinn, jetzt flussaufwärts zu laufen, oder?“ Etwas verunsichert grinste er und kratzte sich am Hinterkopf. „Ich hab noch nie mit einem Netz gefischt. Sonst hab ich dazu eine Angel und warte darauf, dass was anbeißt.“, gab er leicht beschämt zu.
 

Der Blick des Geflügelten glitt über die Wasseroberfläche. Er suchte nach seichteren Stellen, an denen die Fische standen. Bezeichnend nickte er mit dem Kopf in die entsprechende Richtung. Es waren nicht viele, aber dafür einige größere darunter. „Einer positioniert sich etwas flussabwärts dieses kleinen Schwarms. Der andere schleicht langsam im Bogen darum herum und auf ein Zeichen hin ziehen wir sie mit einem Ruck an Land.“, schlug er vor. Gleichzeitig fädelte er seinen Arm durch mehrere Löcher des Netzes, um es auf größerer Strecke stabil halten zu können.
 

„Ai, das klingt schlau.“, nickte Dhaôma. „Dann halt mal schön still.“ Und mit einem Augenrollen fügte er hinzu. „Hoffentlich bin ich gut im Schleichen unter Wasser. Wo man bei der Strömung sogar Probleme hat, sich von der Stelle zu bewegen.“
 

Mimoun lachte herzhaft. Spielerisch faltete er seine Flügel auf, die vom Druck der Strömung sofort nach hinten gedrückt wurden. „Beschwer dich nicht. Ich hätte es noch schwerer.“ Er schüttelte den Kopf. „Komm ihnen einfach nicht zu nahe. Fische haben doch keine Ohren.“
 

„Sei dir da mal nicht zu sicher.“, murmelte Dhaôma lautlos, aber er tat, was er sollte.

Und es war anstrengend. Genauso anstrengend, wie es spaßig war. Er konnte sich testen, seine Kraft und seine Fähigkeiten testen, der Strömung auszuweichen. Einmal wurde er fast weggespült und verdankte seinen sicheren Stand nur einem Felsen, der im Weg stand, aber irgendwie schaffte er es, zur anderen Seite des seichten Beckens zu kommen.

„Sind die Viecher noch da?“, wollte er mit erhobener Stimme wissen.
 

Mimoun behielt die Fische in der ganzen Zeit im Blick. Halb achtete er auch auf seinen Helfer, wie der sich schlug, aber solange dieser nicht Gesicht voraus ins Wasser stürzte, würde er nicht eingreifen müssen.

Die an ihn gestellte Frage beantwortete er nur mit einem knappen Nicken. Er packte seine Seite fester und schritt langsam Richtung Ufer. Gleichzeitig wies er Dhaôma an, es ihm gleich zu tun. Als die Fische begannen die Gefahr zu spüren und sich hektischer bewegten, rief er laut: „Los!“ und sprintete selbst ans Ufer.
 

Auch Dhaôma rannte ans Ufer, was nicht so einfach war, da er überrascht wurde. Die kleinen Kiesel unter seinen Füßen rutschten weg, das Wasser hielt ihn zurück, aber irgendwie schaffte er es, aus dem Wasser auf einen Felsen zu hüpfen. Dann zog er mit aller Macht am Netz, um das schwere Ding aus dem Wasser zu hieven. Schon jetzt konnte er anhand der Bewegung sagen, dass irgendetwas darin hing.

Noch während sie sich abmühten, grinste er breit. „Es gibt wohl Fisch zum Essen. Ist das Gerücht wahr, dass ihr alles Fleisch roh verspeist?“
 

„Natürlich.“, erwiderte er, als wäre diese Tatsache das selbstverständlichste auf der Welt. Mimoun wandte sich zum Netz, sammelte sich einen der größeren Fische aus dem Netz und biss herzhaft hinein. Mit einem zufriedenen, wie von himmlischem Glück erfüllten Gesichtsausdruck ließ er sich rücklings in den Sand fallen und die Sonne auf den Bauch scheinen.
 

„Du könntest das arme Tier wenigstens vorher töten.“ Angeekelt wandte sich Dhaôma ab, während ihm ein Schauder Gänsehaut verursachte. Mit einem Stein tat er selbiges dann auch mit den übrigen Fischen, bevor er sich wieder erhob. „Ich gehe Holz suchen.“, verabschiedete er sich dann in den nahen Wald. Bloß weg von diesem unappetitlichen Anblick. Er schüttelte sich erneut, bevor er zu laufen begann.

Ja, es war beinahe Flucht, aber andererseits hatte er trotz allem selbst Hunger. Und je schneller das Feuer brannte, desto eher konnte er Essen.

Am Ende brauchte er dann doch länger. Er hatte beim Holz suchen eine Lichtung gefunden und dort schmackhafte Kräuter gesucht, die man in den Fisch tun konnte. Viele waren es nicht geworden, aber genug, um zumindest zwei davon zu stopfen. Er würde es mit trockenem Ufergras auffüllen, das würde die Tiere räuchern und haltbar machen.

Als er zurückkam, war an der Stelle, an der der Hanebito lag, alles voller Blut. „Das wird den Raubtieren gefallen.“, murmelte er angefressen. „Wenn man bedenkt, was ich alles versucht habe, um genau das zu verhindern.“
 

Der Geflügelte, glücklich mit einem anderen Geschmack als dem von Früchten, Kräutern und Beeren auf der Zunge, war in der Sonne eingedöst, blinzelte hoch und dann verständnislos in die Runde. Was sollte diese in seinen Augen kleine Menge bei Raubtieren ausmachen, die in dieser Gegend sowieso ein reichhaltiges Angebot fanden?

Deshalb drehte er sich nicht gerade mit Elan auf die Seite und warf die besudelte Erde klümpchenweise ins Wasser.
 

Dhaôma quittierte das mit einem Schnauben, bevor er in die Nähe des Biberbaus ging und dort sein Holz aufschichtete. Er würde es so machen, wie er es gelesen hatte: Fische ausnehmen, Innereien verbuddeln, wenn man keinen Hund zur Hand hatte – kurz ging sein Blick abschätzig zu dem Geflügelten, bevor er doch ein Loch grub – anschließend Fische stopfen, auf Stöckchen spießen und grillen. Das alles dauerte schließlich nicht lang. Und es schmeckte besser als frisches Blut. Wenn es Fleisch wäre, das lange ausgeblutet wurde, aber Fisch…

Seufzend lehnte er sich gegen einen Felsen und betrachtete die Sonnenflecken, die vom Wasser widergespiegelt wurden. Das war einfach so. Hanebito kannte vielleicht keine Wölfe, weil es auf den Inseln keine gab. Und vielleicht gab es da oben auch zu wenig Vegetation, um Feuer zum Kochen zu machen. Ob sie oft froren? Wie war es wohl, wenn man einer von ihnen war? Eigentlich wusste er so gut wie nichts über die Hanebito. Sie waren gute Jäger, konnten fliegen und sprachen die gleiche Sprache. Mehr war da nicht. Wahrscheinlich kam er dem Hanebito auch seltsam vor.
 

Bei dem geschäftigen Treiben um ihn herum, wurde Mimoun neugierig und richtete sich wieder auf. Er beobachtete aufmerksam, wie der Magier ein Loch aushob und die Innereien der Fische darin verscharrte. Ein wenig enttäuscht sah er den zum Teil ziemlich leckeren Sachen nach, die dort in der Erde verschwanden. Was für eine Verschwendung.

Langsam ging er zu seinem Weggefährten hinüber, verfolgte fassungslos wie das Feuer entfacht wurde. Seine Finger glitten ein wenig näher an dieses heiße Element. Feuer trat bei ihnen auf den Inseln nur auf, wenn irgendwo ein Blitz einschlug. Sie brauchten es ja auch nicht. Wozu? Je höher ein Geflügelter flog, desto kälter wurde es. Ihre Körper hatten sich darauf eingestellt und regelten ihre Temperatur selbständig. Es kam nur in wirklich strengen Wintern vor, dass sie froren. Doch dann wurde einfach ein wenig näher zusammengerückt. Und Fleisch und Fisch schmeckten roh einfach besser. Er hatte mal von einem Vogel probiert, der einen Baumbrand nicht überlebt hatte. Das war eklig gewesen.
 

Der braunhaarige Junge wurde irgendwann von dem faszinierten Blick in seiner Ruhe gestört. Was war denn da im Feuer? Hatte der Hanebito etwa noch Hunger? Er hatte ihm doch extra einen Fisch aufgespart.

Aber irgendwie war er nicht dazu in der Lage, die Stille des Feuerprasselns zu unterbrechen. Es war wie Magie. Da hatte er auch immer Probleme, etwas zu sagen, so eine unbestimmte Spannung in der Luft wirkte wie versteinernd auf ihn. Seine Glieder wurden schwer und sein Herz euphorisch, bis er ganz erfüllt war. Und genau diese Faszination drückte der Hanebito aus. Auch wenn etwas nicht Greifbares diesen Eindruck störte.
 

Mimoun fühlte sich beobachtet und schaute auf, blickte genau in die tiefbraunen Augen des Magiers. Irgendwie fühlte er sich unwohl, wenn er so angestarrt wurde. Vor allem, da es keinen Grund dafür gab.

„Was ist?“, wollte er daher wissen.
 

Dhaôma bewegte sich leicht, schob die Hände unter die Oberschenkel. In ihm war ein seltsames Gefühl erwacht. Er konnte damit wenig anfangen. Oder war es tatsächlich bedauern?

„Ich frage mich gerade, wie du wohl lebst.“, gab er schließlich zu, bevor er nach oben blickte, doch in seinem momentanen Blickfeld schwebte keine dieser mystischen Inseln. „Ich dachte immer, es wäre so wie bei uns. Obwohl mein Kopf wusste, dass es nicht so ist, konnte ich mir nie etwas anderes vorstellen.“
 

Mimoun lenkte seinen Blick wieder auf das Feuer. Wie er lebte? Mit einem Seufzen schloss er die Augen und lauschte dem Prasseln des Feuers, ließ sich davon in der Zeit zurücktreiben. In eine Zeit, als er sich noch um nichts Sorgen machen musste. Vor seinem inneren Auge spielten sich noch einmal die Szenen seiner ersten Flugversuche ab, die sein Vater mit Lachen und aufmunternden Worten begleitete. Im Hintergrund die Mutter, ebenso vergnügt, die kleine Schwester auf dem Arm. Er sah sich wieder, wie er seinen Eltern beim Abernten der Obstbäume half. Auch wenn sie nicht so hoch wuchsen, wie hier unten, waren sie doch für ihn noch zu hoch und er flatterte aufgeregt von einer Seite zur anderen, während seine Eltern lachend daneben standen und Silia im Gras darunter spielte. Nicht wenige, der Früchte landeten in seinem Mund und nicht in dem Korb. Sein Geist glitt weiter auf seiner Reise. Diesmal half er seiner Schwester bei ihren ersten Flugversuchen, schließlich war er der große Bruder und musste ihr ja zeigen, wie es richtig ging.

Mimoun sah wieder ins Feuer. Das Gesicht seinen Vaters verblasste immer mehr. Er konnte sich kaum noch daran erinnern. Schon damals war er nur selten zu Hause gewesen, hatte häufig an der Front gestanden. Aber es waren so glückliche Momente gewesen, dass die Zeit ohne ihn völlig aus seinem Gedächtnis verbannt worden war.

Bis zu dem Zeitpunkt als sein Vater seine letzte Heimreise antrat. Es war erst vor fünf Sonnenläufen gewesen. Wie im Zeitraffer sah der die ohne ausreichende Pflege immer mehr vertrocknenden Obstbäume, den Verfall seiner Mutter, die nach außen hin weiterhin versuchte, fröhlich zu wirken, und liebevoll für ihre Kinder sorgte, doch immer häufiger nur traurig am Ausgang der Wohnhöhle saß und ins Leere blickte. Sah noch einmal, wie sie getobt und um ihn gekämpft hatte, damit nicht auch ihr Sohn im Krieg fiel. Mimoun fragte sich schuldbewusst, warum er das damals ignoriert und voller Begeisterung mitgegangen war. Er wusste, dass es seinen Vater nicht zurückbrachte und sein Tod das Leid seiner Mutter nur vergrößerte.

Sein Kopf ruckte in die Höhe. Sein Blick wurde panisch. Sie glaubten doch gerade, dass er gefallen sei. Woher sollten sie denn wissen, dass es nicht der Wahrheit entsprach, wenn er hier einfach so seine Zeit vertrödelte? In der Zwischenzeit konnte wer weiß was geschehen sein!

Mimouns Blick fiel wieder auf den Magier und er wurde ruhiger. Diesem Jungen hatte er es zu verdanken, dass er noch lebte. Und er konnte sich noch entsinnen, was das letzte Mal geschehen war, als er es übertrieben und nicht auf seinen Körper gehört hatte. Auch kam ihm wieder in den Sinn, was der Magier gerade gesagt hatte.

„Es ist wohl ganz und gar nicht wie bei euch. Wir müssen zwischen den Inseln wechseln, denn nicht alle sind als Wohnstätte geeignet und auf diesen Inseln kann man selten etwas Sinnvolles anbauen oder aufgrund des geringen Baumbestandes auf die Jagd nach Vögeln oder anderen Tieren machen. Oder in den Grottenseen fischen.“ Sein Blick fiel auf den letzten verbliebenen Fisch. „Die hier sind größer als unsere.“
 

War das so? Eigentlich waren diese Fische ziemlich klein. Nichts gegen die Lachse, die im Sommersterben die Flüsse hochzogen. „Deshalb geht ihr hier unten auf die Jagd, nicht wahr?“, stellte er mehr fest, als dass er fragte.

Der schwarzhaarige Geflügelte hatte so lange geschwiegen, dass er schon fast nicht mehr mit einer Antwort gerechnet hatte. Jetzt spürte er, wie sein Herz schneller schlug. War das ein Vertrauensbeweis, dass er es ihm erzählte? Durfte er es dazu rechnen?
 

„Würdest du es anders machen?“, gab er die Frage zurück. „Dort oben haben wir kein so reichhaltiges Angebot wie hier unten. Und die Samen, die wir oben anzupflanzen versuchen, wachsen nicht mal ansatzweise so hoch, wie hier und sind sicher auch nicht so ertragreich, wie sie hier sein würden. Aber zumindest ist das Ernten so einfacher.“, umschrieb er das, was er eigentlich sagen wollte.
 

Dhaôma lächelte. „Nein, würde ich nicht. Da oben sicher sein, unten jagen, klingt für mich wie eine gute Strategie. Aber dass ihr wirklich Bauern seid, hätte ich nicht erwartet.“

Er lehnte sich vor und drehte die Stöckchen, auf denen die Fische brieten, herum, um sie auch von der anderen Seite gar werden zu lassen. Sie rochen jetzt schon köstlich.

„Vielleicht sollte ich mal mitkommen und euren Pflanzen beim Wachsen helfen. Oder ihr braucht mehr Wärme. Einen Glasgarten, zum Beispiel. Der schützt die Pflanzen vor Wind und hält die Wärme der Sonne selbst bei zugigen Temperaturen.“ Auch er wusste, dass Glas teuer war, aber dort oben wären die Scheiben mit Sicherheit eine gute, lohnende Investition.
 

Mimoun blinzelte irritiert. „Glas...garten?“ Es störte ihn nicht einmal ansatzweise, dass Dhaôma sich anbot, ihnen zu helfen. Oder zu ihnen hoch zu kommen. Aber er benutzte so seltsame Begriffe.
 

Nachdenklich blickte Dhaôma den Jungen an, als dieser nachfragte. Er hatte sich schon gedacht, dass das nichts war, was man oben kannte, aber diese Verwirrung war selbst für ihn überraschend. „Das ist ein Haus aus Glas.“, versuchte er zu erklären. „Man säht Pflanzen darin aus und sie wachsen.“
 

„Und Glas ist was?“, hakte der junge Geflügelte noch einmal genauer nach. „Und das hilft beim Wachsen? Ist das auch Teil eurer Magie?“
 

Jetzt völlig überfahren starrte Dhaôma den Hanebito an. Er kannte kein Glas? War das sein Ernst? Und was hatte das mit Magie…

„Ja.“, schüttelte er schließlich den Kopf, um die Vorurteile abzuschütteln. „Ja, man benutzt Magie, um Glas herzustellen. Da das nur wenige können, ist es sehr wertvoll. Man nutzt ungeheure Hitze aus, um Sand durchsichtig zu machen. Wenn man es richtig anstellt, entstehen daraus große Flächen, die man als… Ziegel verwenden kann.“ Er schickte dem jungen Mann einen fragenden Blick. Kannte er Ziegel?
 

„Warum sollten wir irgendwas nutzen, was man nicht sehen kann? Da knallt man doch ständig gegen, wenn man nicht weiß, dass sie da sind.“, gab er zu bedenken. Magier waren schon seltsam.
 

Dhaôma lachte. „Ich sagte durchsichtig, nicht unsichtbar!“

Mit einem langen Stock stocherte in der Glut, um sie dazuzubewegen, heißer zu brennen. Funken flogen auf. „Erzähl weiter. Ihr habt wenig zu essen und kein Glas. Habt ihr Städte, Dörfer? Haltet ihr Tiere?“
 

Mimouns Augenbraue wanderte nach oben. Ziemlich neugierig dieser Kerl.

Wieder versank er überlegend in Schweigen bevor er begann. „Je nach Größe und Nutzbarkeit der Insel oder in der Nähe befindlicher kann es vorkommen, dass mehrere Familien dicht beieinander wohnen. Und sicher haben wir Tiere. Ich weiß nicht, ob ihr die kennt. Etwa so groß...“ Er deutete mit den Händen etwa die Größe einer Katze an. „...seidigweiches Fell, langer weicher Schweif, Flügel. Meine Schwester wollte schon immer eins haben, aber ich mag diese Viecher nicht. Ich finde sie nervig. Liegt vielleicht auch daran, dass mich mal eins mit seinem Horn gestochen hat.“
 

Dhaôma hatte davon gehört. Allerdings lebten diese Tiere ausschließlich auf den Inseln, gesehen hatte er noch keines. Früher hatte es sie mal bei ihnen gegeben, aber das war lange her. Irgendwann vor dem Krieg. Vielleicht waren sie Handelsware gewesen.

„Wie nennst du die?“
 

„Also ich nenne sie elende Mistviecher.“, gab er prompt zurück. Er hob beschwichtigend die Hand. „Mein Volk nennt sie Fanras. Kennst du sie doch?“
 

„Nein.“ Er schüttelte den Kopf und nahm eines der Stöckchen in die Hand, um zu testen, ob der Fisch gar war. Es roch himmlisch. Vorsichtig biss er hinein. Es schmeckte fantastisch. Frischer Fisch, Rauch, süßes Gras, Waldwurz und Thymian. Glücklich seufzend ließ er sich zurückfallen. „Jetzt wird alles gut.“, erklärte er dem Stöckchen voller Überzeugung.
 

Ein kurzer Schauder lief seinen Rücken hinunter. Wie konnte man nach solch einer Barbarei noch behaupten, dass alles gut werden würde? Na gut. Andere Menschen, andere Sitten. Auch er ließ sich wieder zurückfallen, genoss die Sonne auf seiner Haut und das Rauschen des Flusses in seinem Ohr.

Daran könnte man sich glatt gewöhnen, dachte er, bevor er zu einem kleinen Nickerchen wegdöste.
 

Dhaôma aß auf, bevor er die Fische vom Feuer nahm und sie säuberlich in eine Lederplane einschlug. Die Stöckchen verbrannte er und brachte dann alles Wichtige in den Biberbau.

Kurz vor Sonnenuntergang änderte sich plötzlich die Stimmung des Waldes. Zuerst fiel es ihm nicht auf, auch wenn sich ein unangenehmes Prickeln in seinem Nacken bemerkbar machte. Unsicher sah er sich um.

„Hanebito. Wach auf!“, zischte er unterdrückt. „Irgendwas ist da!“
 

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ein bisschen Kennenlernen, ein bisschen Gefahr.

Ach, ist das lange her *lach*



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