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Der Weg aus dem Kampf

Wenn Träume Berge versetzen
von

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Aussprache

Kapitel 50

Aussprache
 

Sie folgten der Ebene ein ganzes Stück gen Süden, bevor sie gegen Nachmittag an einem großen See landeten. Hier unten war es zwar nicht warm, aber es fror noch nicht. Kaum berührten seine Füße den Boden, kam Dhaôma zu Mimoun kuscheln. Er war müde und ausgelaugt wegen dem Gefühlschaos in seiner Brust und den kreisenden Gedanken in seinem Kopf.
 

Kurz versteifte sich der Geflügelte. Seine Hände hoben sich, um die Umarmung zu erwidern, senkten sich ein Stückchen, bevor sie sich zusammenballten und auf Dhaômas Rücken zur Ruhe kamen. Mit geschlossenen Augen spürte er der Wärme seines Freundes nach und nahm den Geruch bewusst in sich auf.

Vielleicht würde ihm der Winter helfen, vielleicht schaffte er es in der Zeit der Trennung, mit seinen Gefühlen ins Reine zu kommen.

Nach einigen Augenblicken löste sich der Geflügelte wieder und zog seinen Freund ans Ufer des Sees. Er ließ sich auf der kalten Erde nieder und zog Dhaôma zu sich herunter, dirigierte ihn auf seinen Schoß und drückte sein Gesicht gegen die Brust des Freundes.
 

Es war das erste Mal, dass sie wirklich Zeit für sich hatten, dass niemand kommen konnte, um zu stören. Vielleicht war jetzt ein guter Zeitpunkt, es noch einmal anzusprechen. Er würde es einfach versuchen.

„Es will mir nicht gefallen, dass du so niedergeschlagen bist.“, begann Dhaôma leise. „Weißt du, du musst nicht stark sein. Erzähl mir einfach, was dich beschäftigt. Was sind deine Gedanken? Geht es um deine Mutter?“ Er lächelte weich. „Du hattest nicht wirklich Zeit, um Trauer zuzulassen, oder?“
 

Zögerlich sah er zu Dhaôma auf. Die Sonne an diesem klaren Nachmittag stand in einem günstigen Winkel und ließ die haselnussbraunen Haare seines Magiers leuchten. Dieses Bild und das sanfte Lächeln versetzten ihm einen scharfen Stich.

Seine Hand wanderte hoch und ließ seine Finger durch die Haare gleiten. Sanft zog er den Kopf zu sich herunter und berührte mit seinen Lippen Dhaômas Stirn. Seine Gedanken offenbaren? Erzählen, was ihn beschäftigte?

„Ich will nicht von dir getrennt sein.“, hauchte er beinahe zu leise, als dass man es verstehen konnte. Es war zu viel. Wenigstens das musste er ihm noch sagen, bevor der Winter sie trennte. „Aber es ist dein Wunsch, dass ich bei ihr bleibe.“
 

„Es ist mein Wunsch, dass du glücklich bist.“, widersprach er Mimoun. „Und ich weiß, wie viel dir deine Familie bedeutet. Du würdest es immer bereuen, wenn sie ebenfalls sterben würde, nicht wahr?“
 

Darauf erwiderte er nichts mehr. Er lehnte nur wieder seinen Kopf an Dhaômas Brust. Wieso entschieden andere, wann er wie glücklich zu sein hatte? Ja, er liebte seine Schwester. Und er war froh darüber, wenn er bei ihr sein konnte. Genauso war er glücklich, wenn er mit Dhaôma durch die Gegend reiste.

Seine Schwester war erwachsen geworden. Sie stand nun auf eigenen Beinen, auch wenn sie eine schwere Zeit durchmachte. Und Dhaôma fand nun spielend Freunde. Er war nicht mehr auf die Gesellschaft des Geflügelten angewiesen. Das war wohl der Grund dafür, dass der Magier ihn mit einem Lächeln fortschicken konnte. Und hatte Mimoun es ihm nicht vor langer Zeit einmal gesagt? Ich bleibe bei dir, solange du mich brauchst. Er wurde nicht mehr gebraucht. Von keinem von beiden. Nun musste er nur noch die Zeit nutzen, die der Magier ihm an seiner Seite gewährte. Und wenn er diesen Winter nicht haben durfte, dann war es nun einmal so. Er konnte und durfte es nicht ändern.

Klatschend fuhr seine Hand auf Dhaômas Oberschenkel. „Los komm. Hör auf mit Trübsal blasen. Es ist ein schöner Tag.“
 

Er nickte. Seine Oberschenkel kribbelten und sein Bauch auch.

„Du hast mal gesagt, dass ich fragen soll, wenn ich wegen einer Entscheidung nicht weiter weiß.“ Nervös rieb er seine Hände zwischen ihren Bäuchen. „Dass ich dir Vorschläge machen kann und du sagst, ob es dir gefällt oder nicht.“ Langsam aber sicher stieg ihm die Röte ins Gesicht.
 

Aufmerksam sah Mimoun ihn an und wartete darauf, dass Dhaôma fortfuhr.
 

„Du hast mich doch geküsst.“, murmelte er leise und wurde noch ein wenig röter. „Darf… darf ich das auch machen?“
 

Sämtliche Muskeln seines Gesichtes taten nicht das, was sie sollten. Unglaube, Verwirrung, Entsetzen spiegelten sich darin. Warum? Warum fragte er es? Warum gerade jetzt? Jetzt, wo er versuchte, diese Gefühle zu versiegeln.

Mit einem leisen Schnauben wurde sein Gesicht weicher. „Wenn ich das getan habe, wieso sollte ich dir dieses Recht verweigern?“, erwiderte er statt einer Antwort.
 

„Also darf ich.“ Auf die vorher so unsicheren Züge stahl sich ein Lächeln. Zuerst hatte er sich ja erschrocken, weil Mimoun so entsetzt gewesen war, aber nun hob er die Hände und legte sie auf Mimouns Schultern. Unendlich vorsichtig näherte er sich ihm, beobachtete ihn genau, um notfalls abbrechen zu können, bevor er seine Lippen sanft auf Mimouns presste. So richtig viel Erfahrung hatte er damit nicht, deswegen wagte er sich nicht weiter vor.
 

Der Geflügelte schloss die Augen und ließ seinen Magier gewähren. Er musste sich beherrschen, nicht zurückzuzucken, als er die weichen Lippen spürte. Diese Schwerelosigkeit, die die Berührung auslöste, traf auf Widerstand, löschte diesen beinahe aus. Mit verzweifelter Kraft hielt er an dem Klumpen in seinen Eingeweiden fest. Doch je länger es dauerte, desto unsicherer wurde der Geflügelte. War es nicht das, was er wollte? Hatte er nicht vorgehabt, das, was ihm der Magier bereit war zu geben, vorbehaltlos zu nehmen und zu genießen?

Mimoun spürte nicht, wie ihm wieder die Tränen die Wangen hinab liefen. Warum spielte das Schicksal solch grausames Spiel mit ihm?
 

Als Dhaôma die Tränen bemerkte, zog er sich zurück. Er war regelrecht erschrocken, dass seine lieb gemeinte Geste so eine Reaktion auslöste. Geknickt ließ er den Kopf hängen. „Es tut mir Leid.“, flüsterte er. Jetzt hatte er ihn verletzt. Dabei hatte der Kuss ihn aufmuntern sollen.
 

Verständnislos sahen grüne Augen zu Dhaôma auf. Erst jetzt bemerkte er die Nässe auf seinen Wangen. Unsicher glitten seine Fingerspitzen zu seinem Gesicht und wischten die Spuren weg.

„Warum tut es dir Leid?“, fragte Mimoun mit einem sanften Lächeln. Sein Blick war leicht resigniert. „Du hast gesagt, dass ich nicht stark sein muss. Und doch kann ich in deiner Nähe nicht schwach sein, weil du es falsch verstehen könntest.“ Energisch wischte er sich über das Gesicht.
 

Was? „Nein! Natürlich kannst du Schwäche zeigen, aber ich hatte den Eindruck, dich damit zu verletzen.“, versuchte er aufgeregt sich zu erklären. „Obwohl ich dir helfen will, scheine ich momentan alles nur schlimmer zu machen. Und jetzt weinst du meinetwegen…“
 

„Dann tu nichts.“, verlangte Mimoun und zog seinen Magier in einen weiteren kurzen Kuss. „Bleib einfach nur hier. Deine Nähe hilft mir am meisten. Einfach nur das Wissen, dass du da bist.“ Ja. Das war das Beste. So konnte am wenigsten schief gehen. So würden seine Gefühle nicht mehr verrückt spielen können. „Sei einfach nur du selbst, hörst du? Verbiege dich nicht mit Sachen, von denen du nur glaubst, sie könnten mich glücklich machen. Probiere es lieber mit Dingen, von denen du es weißt.“ Mit einem Zwinkern zog er einen Kern hervor.
 

Erdbeeren. Er hätte es wissen müssen.

Liebevoll wuschelte er durch die schwarzen Zotteln, nahm den Kern aus Mimouns Hand und ließ ihn auf den Boden fallen. Die Zeichen auf seinen Armen erleuchteten sie beide, während unter seinen Händen die Pflanze Gestalt annahm, Blüten trieb, Früchte trug. Noch immer saß er auf Mimouns Schoß und hielt sich an seiner Schulter fest. Momentan leitete er die Magie nur durch seine linke Hand.
 

Die Arme fest um Dhaôma geschlungen, drückte Mimoun seine Nase in die Seite seines Freundes.

„So. Und nun musst du mich füttern. Schließlich kann ich dich ja nicht loslassen, da du sonst runter fällst.“ Was offensichtlich nicht der Fall wäre, aber das stand auf einem anderen Blatt. „Und wir wollen ja nicht, dass du dich bei dem tiefen Sturz verletzt.“
 

Lächelnd ging Dhaôma darauf ein, griff mit der Hand in die Beere und rupfte ein Stück heraus. Klebriger Saft lief über seine Hand und seinen Ellbogen herab, als er den Beerenmus unter Mimouns Nase hielt.

Aber innerlich war er verzweifelt. Was hatte dieser Stimmungswechsel zu bedeuten? Glaubte er, ihn trösten zu müssen, und machte deshalb diese Späße? Oder half es ihm selbst, der Situation und der Tränen Herr zu werden?
 

Unangerührt blieb der Matsch auf Dhaômas Hand. Mit gerunzelter Stirn sah er seinen Freund an. Er löste eine Hand und strich mit dem Daumen über die fremden und doch mittlerweile vertrauten Lippen.

„Dieses falsche Lächeln steht dir nicht.“, stellte der Geflügelte ernüchtert fest. Wann hatte es angefangen, dass alles aus den Fugen lief? Er nahm sich ein wenig von dem dargebotenen Erdbeerenüberbleibsel und schob es sich in den Mund. Erstaunt stellte er fest, dass sie ihm nicht schmeckte. Sie war perfekt. Genau so, wie er sie liebte. Und doch war etwas anders. War ihm die ganze Situation auf den Magen geschlagen? Lustlos kaute er darauf herum.
 

Dhaôma sah ihn an. Sein Lächeln zerfiel, übrig blieb nichts als ein bestürztes Gesicht und das Bedürfnis, heulen zu wollen.

„Du bist voller Widersprüche. Ich soll fröhlich sein, aber wenn ich es versuche, sagst du, es ist falsch. Ich soll bei dir bleiben, aber das geht nicht, weil ich nicht mit Silia zusammen sein kann. Du sagst, ich darf dich küssen, bist aber entsetzt und weinst, wenn ich es tue. Ich soll mich nicht verbiegen, aber ich muss es tun, weil ich dich sonst unglücklich mache. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll, Mimoun! Ich habe das schreckliche Gefühl, dass du mir entgleitest, dass du dich von mir entfernst, dass… dass…“ Zitternd holte er Luft. Er war in Panik geraten und hatte alles auf einmal gesagt und vergessen, zu atmen. „Ich will dich nicht verlieren. Ich wollte dich doch niemals wieder verlieren…“
 

„Es tut mir Leid.“ Leise und mit einem resignierten Unterton hingen diese Worte in der Luft. „Es geht momentan zu viel schief. Zu viel von dem was ich kannte, ist innerhalb dieses Jahres verloren gegangen.“ Er lehnte seinen Kopf gegen Dhaôma, um ihn nicht mehr ansehen zu müssen. „Du schickst mich fort. Du fragst nicht einmal, ob ich damit einverstanden bin. Ich weiß, dass du nicht willst, dass ich mich wegen euch beiden zerreißen muss, aber warum kann ich nicht entscheiden, was ich will? Und dann noch dieses Chaos. Trauer, Glück, zu viele Gefühle, die keinen Platz und keine Klarheit besitzen. Deine Bitte, die mich völlig überrumpelt hat, gerade als ich versuchte, diese Gefühle wieder zu ordnen. Und wenn ich mich recht entsinne, hattest du auch geweint, als ich wiedergekommen bin. Tränen bedeuten nicht immer Trauer.“ Er hob die Hände und rieb sich mit den Handballen über die Schläfen. Mimoun wollte nicht reden und doch ließ er die Worte ungehindert weiter fließen. „Es ist alles durcheinander. Nichts ist mehr klar. Ich weiß weder, was ich denken, noch was ich fühlen soll. Sag mir, was ich tun soll? Sag mir, was ich jetzt machen soll? Ich kann nicht mehr. Ich will irgendwohin, wo niemand sonst ist. Nur du und ich, so wie früher. Verflucht.“ Wütend drückte er seine Hände gegen die Augen, um zu verhindern, dass er nun erneut losheulte.
 

„Was meinst du damit, ich schicke dich fort?“ Vorsichtig hob er die Hand, ließ seine Fingerspitzen gegen Mimouns Handgelenk tippen und zog sie doch wieder fort. Er war zittrig. „Du hast doch gesagt, du willst bei Silia sein. Du hast gesagt, du willst für uns – für Lulanivilay, Tyiasur und mich einen Ort für den Winter finden, wo wir sicher sind. Du hast dich ausgeschlossen, als wolltest du nicht bei uns bleiben. Weißt du, wie schwer es mir fällt, dich überhaupt gehen zu lassen? Ich wollte, dass du bei mir bleibst, dass wir zusammen irgendetwas machen, das nichts mit Training zu tun hat. Vielleicht reisen, vielleicht hinter der Kargen Zone nach etwas Neuem suchen. Ich hatte es mir so schön vorgestellt, wenn du wieder da bist, aber du warst so verzweifelt, als du gesagt hast, du wolltest bei Silia bleiben. Ich kann es nicht ertragen, wenn ich deine Familie zerstöre. Ich habe bereits eine zerstört, auch wenn es damals nicht viel bedeutet hat, aber wenn du dein Zuhause verlierst, dann… Du bist schon einmal daran zerbrochen! Ich könnte das nicht noch einmal ertragen!“
 

„Du Dummkopf.“ Mimoun schüttelte den Kopf und kicherte. „Du verdammter Dummkopf. Natürlich hab ich nur euch drei aufgezählt. Ich bin an ein Leben oben auf den Inseln im Winter gewöhnt. Natürlich brauch ich mir um mich diesbezüglich keine Sorgen machen. Was zählt war allein die Tatsache, dass ihr es angenehm habt. Wo auch immer ihr euch entschließt zu überwintern, kann auch ich bleiben. Von meiner Seite gibt es doch absolut keine Einschränkung. Wann hab ich erwähnt, dass ich nicht mit euch kommen würde?“
 

„Aber ich… Du…“ Braune Augen weiteten sich, als er verstand, worauf Mimoun hinauswollte. „Hab ich es missverstanden?“, fragte er, auch wenn seine Worte nur ein Krächzen waren, weil er sich so stark bemühte, seine aufwallenden Tränen zu unterdrücken.
 

Hilflos zuckte er mit den Achseln. „Scheint so. Und dann führte wohl eines zum anderen. Du hast verlangt – nein, schlimmer - du hast den Wunsch geäußert, dass ich bei Silia bleiben soll, ohne zu sagen, was du denkst und fühlst. Und ich kann dir nun einmal keinen Wunsch abschlagen.“
 

„Also bleibst du bei mir? Bei uns?“ Wieder senkte er den Kopf. „Ich entbinde dich auch aller Versprechen, die du mir gegeben hast.“ Dann wurden seine Worte immer leiser. „Ich dachte nur, dass wenn ich dich schon entbehren muss, dass es ihr dann auch was bringen muss. Dass sie nicht das Gefühl haben muss, dass du sie wegen mir verlässt, wenn sie dich braucht.“
 

„Hey. Es ist ja nicht so als würde ich heute noch so lange wie früher für die Strecke brauchen.“, schmunzelte er. „Ich kann sie ja häufig besuchen fliegen und trotzdem viel bei dir sein. Schadet der Ausdauer nicht. Und Lesley dürfte sich freuen, dass ich fleißig weiter trainiere.“

Eine tiefe Ruhe ergriff Mimoun. Er durfte bleiben. Er war nicht an die Wünsche anderer gekettet und konnte selbst entscheiden. Und er wusste genau, was er wollte. Sanft nahm er Dhaômas Gesicht in seine Hände.

„Ich liebe dich dafür, dass du dich für Silia zurücknehmen würdest, obwohl sie dir so viel Kummer bereitet hat.“
 

Wo sie schon mal dabei waren, Missverständnisse aufzuklären, konnte er dieses auch gleich klarstellen. „Es ist nicht so, dass ich sie nicht mag, weil sie mir Kummer bereitet. Sie verhält sich nur dir gegenüber genau wie meine Mutter gegenüber meinem Bruder und mir. Das gefällt mir nicht.“ Dhaôma zuckte mit den Achseln. „Weißt du, ich will immer noch, dass sie mich anerkennt. Ich will doch so gerne noch einmal in dein Dorf.“
 

„Ich sagte doch, sie bereitet dir Kummer.“ Mimoun seufzte. „Und du musst wirklich dringend vorbeisehen. Die kleinen Plagen sind furchtbar am Quengeln. Vor allen diejenigen, die nicht das Glück hatten, dich in Addars Dorf zu treffen. Schließlich ist es schon Jahre her, dass du es ihnen versprochen hast. Wenn ich mich nicht verzählt habe, wird das jetzt der dritte Winter.“
 

„Ich weiß.“ Das war noch so eine Sache. Er hatte es versprochen, er würde es halten.

„Mimoun, was meintest du damit, dass du ein Chaos mit Gefühlen hast? Dass ich dich… überrumpelt habe mit einer Bitte. Habe ich da auch etwas missverstanden? Du hast gesagt, dass du nicht mehr weißt, was du denken sollst. Ist das auch meine Schuld? Weil ich dich mit meinen falschen Rückschlüssen in die Ecke getrieben habe?“
 

Der ohnehin dunkle Hautton verdunkelte sich noch um einige Nuancen. Mist.

„Ich kann mich nicht erinnern.“ Kurz stockte er und wandte den Kopf ab. Aber er zwang sich weiter zu reden. „Ich weiß nicht mehr, wann ich meiner Mutter das letzte Mal gesagt habe, dass ich sie lieb habe. Nicht in einem Brief geschrieben, sondern gesagt. Und das letzte Treffen war bei Fiammas Adoption. Ich habe sie gehen lassen. Ich habe nichts gesagt, sie nicht umarmt, überhaupt nicht reagiert. Und ich bereue es zutiefst. Ich kann es nicht mehr rückgängig machen. Ich kann ihr nicht mehr sagen wie viel sie mir bedeutet. Ich bin zu spät gekommen. Nur wenige Tage. Es haben nur wenige Tage gefehlt. Wenn Lesley uns früher hätte gehen lassen, wenn ich sofort in mein Dorf geeilt wäre, vielleicht hätte ich sie noch einmal sehen können. Und dann dieses Missverständnis wegen der Überwinterung. Ich wollte bei dir bleiben. Du bist mir so unglaublich wichtig und weder will ich dich allein lassen, noch will ich jemals von dir getrennt sein. Und doch hast du mich weggeschickt. Als würdest du mich nicht mehr brauchen. Du hast dabei sogar gelächelt. Die Wunden waren noch nicht verheilt und schon hast du neue geschlagen. Ich weiß, dass du das nicht wolltest. Du wolltest das Beste für mich. Aber es war das genaue Gegenteil. Ich brauche dich, mehr als du vielleicht ahnen magst.“
 

Mitleidig legte Dhaôma die Arme wieder um Mimoun und streichelte seinen Kopf. Er konnte sich gut vorstellen, wie diese Last auf ihm ruhte, wie er sich dafür schämte, seine Mutter nicht mit lieben Worten bedacht zu haben, bevor sie gestorben war.

Aber der Rest. „Ich freue mich, dass du das gleiche denkst wie ich.“, flüsterte er.
 

Verzweifelt presste der Geflügelte die Lippen zusammen. Nein. Das taten sie nicht. Er hatte Dhaôma ja nicht alles erzählt. Ihm nichts von der tiefen Zuneigung zu ihm verraten. Wie sehr er sich diesen Kuss ersehnt und Angst vor der darauf folgenden Einsamkeit gehabt hatte.

Vielleicht brauchte Dhaôma ihn ja noch. Aber wie Leoni befürchtet hatte, würde Mimoun diese Tatsache vielleicht bald nicht mehr genügen. Er spürte es. Wie die Liebe zu seinem Magier aufblühte mit jedem Lächeln, dass ihm dieser schenkte, wie er jede noch so flüchtige Berührung suchte und genoss.

Damit er Dhaôma nicht ganz alleine ließ mit dessen Satz, brachte er ein abgehaktes Nicken zustande.
 

Dieser schob das Nicken und die schmale Lippenlinie auf die Trauer um seine Mutter und umarmte ihn erneut. Er war irgendwie glücklich. Jetzt hatte er nicht mehr das Gefühl, von Mimoun verdrängt zu werden, nur zweite Wahl zu sein. Wie früher fühlte er sich von ihm anerkannt und das freute ihn wie toll.

„Jetzt müssen wir nur noch einen Ort finden, an dem wir bleiben können. Oder wir leisten tatsächlich Überzeugungsarbeit bei den Magiern in Richtung Mittag, wo es wärmer ist. Falls es dort welche gibt.“
 

„Huh?“ Völlig aus dem Konzept gerissen, sah er wieder auf. „Du willst also tatsächlich mitten im Winter bei denen antanzen?“ Erschöpft rieb er sich über die Stirn. „Wenn es sein muss. Aber nur solange ich in der Nähe bin, verstanden? Ich dulde keine Alleingänge. Ich werde mich nicht zeigen, aber ich will ein Auge darauf haben.“
 

„Aber es wäre doch hilfreich, wenn du dich zeigen würdest. Mit Lulanivilays Hilfe können sie dir auch nichts tun, also kann ich auf dich aufpassen, aber du bist der beste Beweis dafür, dass Hanebito nett sein können und nicht alle kriegerisch sein wollen.“ Er streckte beide Arme seitlich in die Höhe. „Und wenn wir das machen, was du vorgeschlagen hast, dann sind es auch nicht genug, um uns was anzutun, sondern einzelne, die die Kunde weiter tragen können. Wenn wir es machen wie bei den Hanebito, die nach und nach begreifen konnten, dass ich nicht böse bin, dann haben wir vielleicht eine Chance, alle zu überzeugen, ohne dass wir uns in Gefahr begeben.“
 

„Und wenn sie Lulanivilay angreifen? Du hast gesagt, dass Magier Drachen gejagt haben. Wenn er oder ich gleich von Anfang an dabei sind, endet das nur in einer ähnlichen Situation wie in Fiammas Dorf.“, wandte er ein. „Die Ehrlichkeit ihrer Absichten brauchen wir nicht in Frage zu stellen. Es gäbe dafür niemand Besseren als Tyiasur, um uns vor Schaden zu bewahren.“ Er hörte ein sanftes Grollen in seinen Gedanken und lächelte. Sein Blick glitt über die Umgebung auf der Suche nach seinem kleinen Freund. Er konnte ihn nicht sehen, aber er wusste einfach, dass er sich in dem See befand.
 

„Was hat Tyiasur damit zu tun?“, fragte Dhaôma aus der Bahn geworfen. Ihm wollte sich nicht recht erschließen, wie der kleine Blaue sie vor Schaden bewahren sollte, wo er doch nur sprechen konnte. „Aber das mit den Magiern ist einfach. Drachenjäger waren die Spezies, die am schnellsten gestorben ist. Sie waren hoch spezialisierte Kräfte, die nichts anderes getan haben. Solche gibt es jetzt nicht mehr. Das ist schon mehr als zweihundert Jahre her. Und wenn es nur wenige Magier sind, die wir besuchen, dann haben sie einfach keine Chance.“ Seine Stimme wurde ein wenig unsicher. „Oder meinst du nicht?“
 

„Öhm.“, war seine Reaktion auf diesen Redeschwall. Und schließlich behalf er sich mit einem ungelenken Fingerzeig Richtung See und einer Rückkehr zu dem Anfangsthema. „Tyiasur kann Gedanken lesen. Hab ich das nie erwähnt? Wenn er in den Gedanken der Magier irgendwelche Anzeichen für Hinterhalte entdeckt, kann er es uns mitteilen.“
 

„Ai.“ Deswegen also hatte er manchmal das Gefühl, Tyiasur könne ihn komplett durchleuchten. „Nein, hast du nicht erwähnt. Ich freue mich aber, dass Lesleys Vorwürfe damit nichtig sind. Das ist eine wundervolle Fähigkeit. Und uns sehr nützlich, wenn er bereit ist, uns damit zu helfen.“ Er seufzte. Damit wurde es um so vieles einfacher, Mimoun sicher durch diese Begegnungen zu führen. „Ich habe doch erzählt, dass ich schon damit angefangen habe, den Jagmarr die Tatsache näher zu bringen, dass es wieder Drachen gibt.“ Er lachte. „Sie haben uns angegriffen, aber ihre Angriffe waren kaum der Rede wert im Vergleich zu denen der anderen Drachen. Und wenn wir behutsam sind, dann sollte es uns möglich sein.“

Schwach legte er seine Stirn gegen Mimouns Schulter. Er fühlte sich so richtig ausgepowert.
 

Dunkel erinnerte er sich an den Nebensatz, in dem dieses Thema erwähnt wurde. Und irgendwie fühlte er sich verraten. Dhaôma war bei den Magiern gewesen, war, wie er nun erfuhr, von ihnen angegriffen worden. Und Mimoun war nicht da gewesen, um ihm beizustehen.

Energisch schlang er seine Arme um seinen Freund und ließ sich rücklings ins verdorrte Gras fallen, zog ihn mit sich. Anschließend rollte sich der Geflügelte auf die Seite, einen Flügel als Schutz für Dhaôma gegen den kalten Boden unter ihm, den anderen zur Abschirmung gegen äußere Einwirkungen über ihnen ausgebreitet.

Er wollte nicht schon wieder Wut in sich zulassen. Es war für den Magier sicher nicht einfach, von seinen eigenen Leuten angegriffen worden zu sein. So etwas war nie leicht. Das wusste er aus eigener Erfahrung.

Müde schloss er die Augen. Zu viel war heute geschehen. Zu viele Emotionen, die ihm seine Kraft raubten. Seine Nase gegen Dhaômas Brust gedrückt, stieß er die Luft mit einem tiefen Seufzen aus.
 

Erschrocken hatte Dhaôma aufgekeucht, jetzt aber lachte er leise. Manchmal war Mimoun wie ein Kind so stürmisch. Liebevoll streichelte er ihm durch die Haare. „Schlaf ruhig.“, flüsterte er. „Ich bin da und pass auf dich auf.“
 

„Mhm.“, nuschelte der Geflügelte und döste weg. Er schlief nicht. Er befand sich in einer Art schwebendem Zustand, umgeben von Wärme und Wohlsein. Entspannt und im Halbschlaf strich er seinem Magier an der Seite entlang.

Und dann war er schlagartig wach.

„Ka…kalt.“, wimmerte eine zittrige Stimme in ihren Köpfen. Tyiasur hatte sich wieder aus dem See getraut, nachdem sich der Sturm der Gefühle bei seinen Freunden endlich wieder gelegt hatte. Zwar war es auch im Wasser nicht sonderlich warm gewesen, doch die kühle Umgebungsluft entzog dem kleinen Körper auch noch den letzten Rest Wärme. So schnell er konnte, hatte er sich zwischen die Warmblüter gedrängt.

Erschrocken hatte sich Mimoun weggewälzt. Seine instinktive Flucht nach oben war durch das Gewicht auf seinem Flügel vereitelt worden. Nun drehte er sich wieder zurück und presste den Wasserdrachen fest an sich.

„Meine Frostbeulen.“, lachte er sanft, nachdem sich der Schreck gelegt hatte.
 

Auch Dhaôma hatte sich erschreckt, aber er hatte wesentlich schneller reagieren können als der schläfrige Mimoun. Jetzt lachte auch er, selbst wenn die Gänsehaut über seinen Rücken kroch. „Na, na, Tyiasur. Ist doch kein Wunder, wenn du so lange im Wasser bleibst, das demnächst frieren wird.“ Das war etwas, was er selbst schmerzhaft lernen musste, als er den ersten Winter draußen geblieben war. „Vilay, kommst du auch kuscheln?“

Die Erde unter ihnen bebte leicht, als der große Drache sich erhob, herübertapste, sich zusammenrollte und weiterschlief. Er befand diese Frage einer verbalen Antwort wie so oft für unwürdig. Immerhin nahm er dem Wind die Kraft und sorgte so auf seine Weise für Wärme.
 

Am nächsten Tag flogen sie weiter. In der Ferne zogen die letzten Inseln vorbei, unter sich sahen sie die großen Städte der Magier. Wie zum Schutz vor Gefahren aus der Luft waren sie immer in dichten Wäldern erbaut oder in Tälern. Warum, wenn der Krieg zuvor nicht bestanden hatte? Jedes Mal, wenn sie über eine der Städte flogen, ging Lulanivilay tiefer, weil Dhaôma der Meinung war, dass die Magier sich an den Gedanken besser früher als später gewöhnen sollten. Und offenbar hatte sich im letzten Monat die Kunde über die Rückkehr der Drachen schon verbreitet, denn nicht ein einziger Flammenstrahl oder Eisschauer wurde auf ihn geworfen. Die Leute jubelten sogar und kamen aus den Häusern, wenn der große, rotgrüne Leib darüber glitt. Es war, als wäre die Stimmung gekippt. Niemals hatte Dhaôma erlebt, dass Magier nicht angriffen, wenn etwas aus der Luft kam. Dennoch landete er nicht und machte auch keine Anstalten, ihnen zu winken oder sie zu begrüßen. Er würde sich an die Absprache mit Mimoun halten und erst einzelne Gruppen ansprechen.
 

Weiter oben beobachteten grüne Augen immer die Situation. Er blieb in höheren Luftschichten, um nicht entdeckt oder nur für einen Vogel gehalten zu werden. Auch wenn Mimoun wusste, dass er aus der Höhe nichts ausrichten konnte, sollten sie es tatsächlich wagen anzugreifen, war seine volle Aufmerksamkeit auf die Menschen in den Städten gerichtet. Und immer stupste ihm ein völlig träger Wasserdrache an die Wange. Der Kleine musste ihn mit der Zeit immer weniger beruhigen. Es geschah ihnen nichts und das ließ ihn immer entspannter mit der Situation umgehen.

Je weiter sie nach Süden kamen, desto mehr veränderte sich die Landschaft. Die Wälder wurden lichter und weniger zahlreich. Desto wärmer wurde es aber auch und die Drachen begannen sich wieder wohler zu fühlen.

Die Nacht verbrachten sie auf freier Fläche im Schatten eines Waldes unter sternenklarem Himmel. Nun, da die Tage so kurz geworden waren, konnten sie auch nicht mehr so weit reisen, bevor die Nacht sie wieder einholte, was ihnen im Gegenzug aber mehr Zeit für einander schenkte.
 

Aber sie wollten noch ein wenig weiter nach Süden. Keiner wusste, wie weit der Winter vordringen würde, und sie wollten sicher sein, dass sie nicht gezwungen waren, ihre Basis zu verlegen.

Und dann hörten sie das leise Sirren von Flügeln. Selbst Lulanivilay hob seinen Kopf, um zu sehen, wer sich da zu nähern wagte. Es waren Hanebito. Fünfzehn und allesamt in Rüstung.

Dhaôma stand auf, ließ Mimouns Hand los und stellte sich zu seinem Drachen, um mögliche Angriffe abzuwehren. Wurden sie angegriffen?
 

Auch der Geflügelte erhob sich. Er fühlte sich nicht bedroht. Warum auch? Die meisten wirkten noch recht jung. Und so übermütig die Jungen auch waren, selbst sie würden nicht so verrückt sein, einen Drachen anzugreifen.

Ein Blick zu Tyiasur bestätigte seinen Verdacht. Niemand von ihnen hatte negative Gedanken. Vielleicht Verwirrung und Misstrauen, aber nichts, was eine Bedrohung für sie darstellte.

Also widmete er sich wieder der Betrachtung der Neuankömmlinge. In Begleitung der ganzen Jungspunde befanden sich zwei ältere. Einer kam ihm wage bekannt vor. Woher nur? Es fiel ihm wieder ein, kurz bevor sie landeten. Diese Narben, der ernste Blick. Er hatte sich nicht verändert.

„Himmel. Na, das kann ja was werden.“, seufzte er. Mit Kekaras war nicht gut Kirschen essen. Der hatte so viel Humor wie eine Zitrone.

Dafür hatte er aber auch die besten Schüler abbekommen. Für irgendetwas musste er wohl ernsthaft bestraft worden sein, dachte er feixend.

„Aylen.“, begrüßte er fröhlich das Mädchen, das inmitten der Jungentruppe landete.
 

Die Hanebito hielten gebührenden Abstand zu Lulanivilay und Dhaôma, der sie mit einem Winken und einem beruhigenden Lächeln begrüßte. Aylen kannte er. Und Rai und Thatos kannte er ebenfalls. Sie schienen auch keine wirkliche Angst zu verspüren. Aylen fiel Mimoun sogar um den Hals und ignorierte den kleinen schlangenhaften Drachen einfach, der sich im letzten Moment in die Luft über seinen Schultern rettete.

Dann hob einer der älteren Männer zu sprechen an. „Ich sehe, ihr seid ziemlich weit gekommen. Mimoun, wolltest du nicht zur Insel Addar Marals, um deinen Freund abzuholen? Wie kommt es, dass er schon hier ist? Gab es Änderungen der Pläne?“ Das Misstrauen stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben.

Der andere rollte mit den Augen. Es war ein stämmiger, kleiner Mann mit schmalen Gesichtszügen und gut ausgebildeten Muskeln. „Du hast die Gerüchte doch gehört, Kekaras. Er fliegt wie der Wind und wir haben jetzt drei Stunden gebraucht, bis wir den Drachen und seinen Reiter eingeholt haben.“

Der Mann namens Kekaras schnaubte unwillig, da näherte sich Dhaôma Thatos, Rai und Aylen. „Es tut gut, euch wieder zu sehen. Ich habe mir Sorgen gemacht.“

„Kaum zu glauben, nachdem du jetzt fast zweieinhalb Jahre nicht bei uns warst, aber ich sehe, das hatte seine Gründe.“ Rai nickte anerkennend in Richtung Lulanivilay, was Dhaôma strahlen ließ.

„Darf ich vorstellen? Lulanivilay. Er ist seit einem Jahr mein Freund. Hey, Vilay, komm her und begrüße sie.“

Schwerfällig erhob sich der Drache, was einige der Krieger zurückweichen ließ. Dicht hinter Dhaôma blieb er stehen, senkte den Kopf und betrachtete sie auf Augenhöhe. „Sie sehen verängstigt aus.“, stellte er fest.

„Das ist nicht das, was eine Begrüßung ist.“

„Richtig.“ Der Drache betrachtete sie ein weiteres Mal, dann legte er sich nieder. „Willkommen an unserem Lagerplatz. Setzt euch, esst, es gibt Hirsch.“

Bei den entgeisterten Gesichtern, angesichts der neutral klingenden, nicht gerade freundlich hervorgebrachten Worte, hätte Dhaôma beinahe gelacht. „Er hat Recht.“, lud er mit einer Geste ein, sich dazuzugesellen.
 

Er hatte sich wirklich kein Stück verändert, seufzte Mimoun innerlich. Auch er machte eine einladende Geste und hob dann den Arm leicht, damit Tyiasur wieder auf seiner Schulter Platz nehmen konnte. Mimoun wandte sich um und kehrte zu ihrem Lagerplatz zurück.

„Nein, es ist nicht leichtsinnig. Ich brauche die Rüstung nicht, wenn ich unter Freunden bin.“, antwortete er auf die von Tyiasur übermittelten Gedanken Kekaras. Der junge Geflügelte wandte sich halb um und funkelte Kekaras an. Dunkel erinnerte er sich an die Anweisungen von damals, aber er war auch nicht mehr der Grünschnabel von einst. Mit einem spöttischen Lächeln kraulte er Tyiasur am Kinn.

„Hat er auch einen Namen?“, fragte Aylen, die an seine Seite geeilt war, und machte ihn wieder auf sich und damit auch auf seinen Fehltritt aufmerksam.

„Ah. Entschuldigt. Das ist Tyiasur. Tyiasur, du kennst ja ihre Namen bereits.“ Diese Bemerkung gab so wunderbare verwirrte Blicke. Aber er erklärte es nicht. Das Spiel konnte sicher noch lustig werden.

„Er ist hübsch.“, befand das Mädchen und streichelte den blauen Drachen ohne Scheu – oder vorher zu fragen.
 

Die Freunde von damals gesellten sich tatsächlich ohne Probleme ans Lagerfeuer, aber die anderen hatten durchaus Bedenken. Seltsamerweise der kleinere der älteren nicht. Er trat einfach neben Dhaôma und bedachte ihn mit nachdenklichen Blicken.

„Du bist also der Junge – junge Mann, der versucht, unseren Kampf zu beenden.“, stellte er schließlich fest. „Ich frage mich ernsthaft, wie du auf diesen seltsamen Gedanken gekommen bist.“

„Ist es so seltsam, Frieden zu wünschen?“, fragte Dhaôma, während er sich zurück vor das Feuer setzte.

„Nicht unbedingt. Ich finde es eher seltsam, dass du dich unter so vielen von uns so frei und ungezwungen bewegen kannst und auch noch erfreut bist, einige davon zu sehen. Nimm das nicht persönlich, aber ich bin das nicht so richtig gewöhnt.“

„Das ist schon in Ordnung.“ Der Magier wandte sich an seinen Hanebito und fragte ihn, ob er vielleicht das Fleisch zerteilen wolle, da er das nicht mehr konnte, seit sein Messer verschollen war. Dann erfragte er die Namen derjenigen, die er nicht kannte. Lulanivilay hatte wieder die Augen zugemacht. Er hatte Schlaf nachzuholen.

„Mein Name ist Nihan.“, sagte der Krieger und stellte dann nach und nach alle vierzehn Hanebito vor, die sich langsam aber sicher vorwagten. Aylens Mut überzeugte sie, dass sie nicht solche Hasenfüße sein sollten. „Und eigentlich sind wir gekommen, um euch auf unsere Trainingsinsel einzuladen. Kaley ist der Meinung, Mimouns Training wäre überfällig und ein echter Drache könnte unsere Truppe auch ein wenig fordern.“

In sich spürte Dhaôma einen Stich. Dass Kaley sich an das Versprechen erinnerte, Mimoun zu trainieren, aber seines vergessen hatte, dass er sich nicht auf eine Seite der Kämpfe stellen würde, kränkte ihn. „Was meinst du, Mimoun? Gehen wir? Ich will aber von vornherein klarstellen, dass ich Lulanivilay nicht dazu zwingen werde, etwas zu tun, was ihm widerstrebt, also müsst ihr ihn selbst fragen, ob er gegen euch fliegen möchte.“
 

Dessen grüne leuchtende Augen waren Antwort genug. Sich gegenüber den anderen zu beweisen, ihnen zu zeigen, wozu er nun fähig war? Was war denn das bitte für eine Frage? Das verstand sich doch von selbst.

Was ihn aber zu einer Frage brachte? Oder zu mehreren. „Warum kommt ihr mit einer kompletten Armee, um eine einfache Einladung zu überbringen?“, wollte der junge Geflügelte wissen.

„Es gab ein paar Freiwillige und es ist ein gutes Ausdauertraining.“, kam die knurrige Antwort des Vernarbten. „Und bei Bestien weiß man nie.“

Mimouns Blick wanderte bezeichnend zwischen dem schlafenden großen Drachen und dem mit Aylen schäkernden kleinen Drachen hin und her. „Oh ja. Gefährliche Bestien. Es ist Tag für Tag ein neuer Kampf, sich gegen sie durchzusetzen.“ Seine Stimme troff vor Sarkasmus.

Tyiasurs Kopf zuckte herum und er fauchte, während er sich optisch größer machte. Er blähte sich nicht auf, sondern stellte alle Stacheln senkrecht und spannte die Häute dazwischen. Sein Reiter blieb völlig gelassen. „Und Vorsicht. Tyiasur hat ein feines Gespür für die Leute. Wie du bereits festgestellt hast. Eine gefährliche Bestie.“, zog er das vorletzte Wort übertrieben in die Länge und fing sich einen schmerzhaften Ellenbogenstoß des Mädchens ein.
 

Dhaôma lachte. Mimoun war in seinem Element, verstand er es doch fabelhaft, mit seinen ironischen Sprüchen alle gegen sich aufzubringen. Inzwischen aßen einige schon von Lulanivilays Beute und nicht wenige wunderten sich über die zerschmetterten Knochen. Als Dhaôma ihnen die Jagdmethode erklärte, starrten sie den Drachen mit anderen Augen an. Wie unlogisch, wenn man solche Klauen hatte.

Irgendwie war die Stimmung angespannt bis schläfrig. Die Rekruten waren erschöpft von dem langen Flug, die einzigen, die redeten, waren Aylen und Nihan. Während die eine sich mit Tyiasur beschäftigte und Mimoun über seine Schwester ausfragte, interessierte sich Nihan mehr für diesen seltsamen Magier, über den er schon so viel gehört hatte. Er fand die Gerüchte bestätigt, als Dhaôma als Beilage die Erdbeeren für Mimoun wachsen ließ, vor allem, da er genug hochzog, um alle damit zu versorgen. Sein Umgang mit dem jungen Geflügelten, der einer der vielversprechendsten Rekruten gewesen war in seinem Jahrgang, war gelinde gesagt überfreundschaftlich. Und er ging auf die Späße Aylens und Thatos’ ein, die ihn neckten, weil er sich so lange um die Insel herumgedrückt hatte. Und am Ende des Tages, als die meisten von ihnen schon schliefen, legte er sich wie selbstverständlich zu Mimoun und schlief an diesen und den Drachen gekuschelt, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres auf der Welt. Seufzend schüttelte er den Kopf.

Und wurde am nächsten Morgen von eben jenem Magier geweckt. Die Sonne war gerade erst aufgegangen, aber er war der einzige, der schon auf den Beinen war. Und fragte, wann sie zu der Insel fliegen sollten und ob etwas zu essen gebraucht wurde. Was für ein Schreck am Morgen, einen Menschen ohne Flügel gleich als erstes zu sehen.

Stöhnend wegen der unbequemen Nacht richtete er sich auf und kratzte sich am Kopf. „Sag mal, findest du es nicht seltsam, direkt in die Höhle des Löwen zu fliegen? Direkt zu den Kriegern der Geflügelten. Das ist in deiner Position doch sicher nicht so einfach.“

„Wieso? Ich glaube nicht, dass mir jemand etwas tut. Der Hohe Rat hätte mir sonst sicher verboten, dorthin zu gehen.“

„Ich verstehe es nur nicht. Ich würde nie ins Kriegslager der Magier gehen.“

„Da haben wir was gemeinsam. Ich auch nicht mehr.“ Der junge Mann ging zu Rai und Aylen, um auch sie zu wecken. „Also, was darf es zum Frühstück sein?“

Also durfte er diese unheimliche Macht ein weiteres Mal bewundern. „Trauben? Pflaumen?“

„Gerne.“ Und schon wühlte er in einem kleinen Lederbeutel, während um ihn herum nun nach und nach alle wach wurden. Warum waren die Wachen bloß so unvorsichtig in seiner Nähe? Spürten sie etwa auch keine Gefahr von ihm ausgehen?
 

„Wurde der See bei der Insel auch besiedelt?“, fragte Mimoun in das morgendliche geschäftige Treiben hinein. Missmutig verzog er das Gesicht. In Gedanken ging er ihre Position, ihren Weg und den ungefähren Standpunkt der Insel durch und kratzte sich dann am Hinterkopf.

„Bevorzugt sonst noch jemand Fisch zum Frühstück?“, fragte er in die Runde. „Ich geh kurz welchen organisieren.“ Als sich ihm zwei anschließen wollten, winkte er ab. „Das würde zu lange dauern. Aber ich bring was mit. Bis gleich.“

Er verabschiedete sich von Lulanivilay mit einem leichten Klopfen gegen den Hals und einem letzten versichernden Blick zu Dhaôma. Er glaubte nicht, dass irgendjemand ihm schaden würde. Dennoch. Ein Rest Unsicherheit blieb.

Schon nach wenigen Augenblicken war er hinter den Baumwipfeln verschwunden, aber schon jetzt hatten die Geflügelten die Geschwindigkeit bewundern dürfen, zu der er fähig war.

Eine halbe Stunde später war er dann auch schon zurück mit seinem Teil des Frühstücks.
 

Sie kriegten sich nicht mehr ein. Das Gerede ging solange, bis Mimoun wieder da war, dann bestürmten sie ihn, wie er das mache und warum er das könne. Sie waren begeistert und wollten wissen, ob sie das auch lernen könnten, doch da musste Mimoun sie enttäuschen. Das lerne man nicht einfach so, dazu bräuchte es das Talent, seinem Traum nach Frieden zu folgen. Womit er nicht ganz Unrecht hatte, denn einen Drachen und damit Magie bekam ein Hanebito nur, wenn er ehrlich an Frieden interessiert war.

Auch während des Frühstücks redeten sie alle noch durcheinander und fragten Mimoun, was er noch alles könne. „Lasst euch überraschen.“, beruhigte sie Dhaôma eher schlecht als recht und warf seinem Begleiter einen verschmitzten Blick zu. Ja, er würde das gleiche Spiel mit ihnen treiben wie mit Asam. Und ja, er würde wieder gewinnen, wenn es nur ein einzelner war, der ihn herausforderte.

Nach dem Essen flogen sie los und Lulanivilay hatte Schwierigkeiten, die Geschwindigkeit der Geflügelten beizubehalten. Es war einfach zu langsam, deswegen stieg er höher, um auf den Winden zu gleiten. Damit sparte er nicht nur Kraft, er würde auch nicht schneller werden als sie.
 

I want to love you but I better not touch (don't touch)

I want to hold you but my senses tell me to stop

I want to kiss you but I want it too much (too much)

I want to taste you but your lips are venomous
 

[tarja turunen – poison]
 

_____________--
 

"Hey, Vilay, komm her und begrüße sie.“

„Sie sehen verängstigt aus.“, stellte er fest.

„Das ist nicht das, was eine Begrüßung ist.“

„Richtig.“ Der Drache betrachtete sie ein weiteres Mal, dann legte er sich nieder. „Willkommen an unserem Lagerplatz. Setzt euch, esst, es gibt Hirsch.“
 

ich liebe vilay... *ihn durchknuddelt*

er ist so herrlich unbedarft



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  KuroMikan
2014-12-14T22:42:32+00:00 14.12.2014 23:42
hallö :) (frag nicht ich hab mir ehrlich angewöhnt das bei jedem kommi zu schreiben xD... jeder braucht irgendwie sowas wie seine eigene handschrift xDDD)

soooo..... jetz sind wohl zum glück die ersten dämme gebrochen :) ich hoffe nur ernsthaft das sie das mit ihrem verborgenen liebesgetütel auch noch auf die reihe bringen <3 *daumen drück*
... vilay ist echt knuddelig *.* die vorstellung ist wirklich bombe XD
es wird bestimmt lustig auf der insel :) allerdings befürchte ich ernsthaft das es langsam zu kalt wird!

und ich hab da ne doofe frage... als er wiederkommt vom fischen, bestürmen ihn doch alle... ich nehm mal an das sie es so toll fanden als er so schnell verschwand. wundert sich denn keiner das er trocken ist? das wird irgendwie nicht erwähnt... immerhin nehm ich mal an das er nicht erpicht ist darauf wegen so ein paar fischen nass zu werden (rückblick... XD)

whatever XD ein wundertolles kapitel wieder mal ... wie immer :)
bis hoffentlich bald ^^

lg Mikan

Antwort von:  Shirokko
15.12.2014 08:52
ich weiß nicht. er ist sehr schnell geflogen, eine ziemliche strecke sogar. ... und Hanebito als Wesen der Lüfte haben doch erfahrung mit trockenföhnen, oder?
Aber du hast Recht. der Windschutz um seinen Körper verhindert, dass er nass wird.
Antwort von:  KuroMikan
16.12.2014 13:48
hmm verstehe... ergibt sinn XD


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