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Der Weg aus dem Kampf

Wenn Träume Berge versetzen
von

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Familienzuwachs

Kapitel 36

Familienzuwachs
 

Missmutig versuchte der Magier seine Haare wieder zu ordnen. Warum machte er das? Er wusste doch, dass sie dann verknoteten.

An seinen Knien spürte er eine Berührung. Die Kleine war zurück. Seufzend stupste er sie an. „Und wie sollen wir dich jetzt nennen? Du hattest sicher mal einen Namen. Und so wie du gekleidet warst, irgendetwas Kriegerisches.“

„Uh?“ Leoni runzelte die Stirn. „Wieso gekleidet? Kann man etwa an den Kleidern die Namen feststellen?“

„Ach was. Man kann aber an den Kleidern häufig sehen, welcher Profession die Familie nachgeht. Und sie kommt aus einer Familie, die Feuer beherrscht, damit waren sie wahrscheinlich Krieger und die haben eine Vorliebe für hart klingende, harsche Namen.“

„Das haben wir auch in einigen Familien.“, gab sie zu. „Und, willst du ihr auch einen solchen Namen geben?“

Dhaôma wirkte irritiert. „Ich darf ihr keinen Namen geben.“, sagte er. „Das ist Sache des Vaters oder der Mutter. Und wenn sie keine Eltern hat, dann muss das der Vorsteher des Dorfes machen, der das Kind dann an Adoptiveltern weitergibt.“

„Ihr Magier habt schon seltsame Sitten.“, murmelte sie. „Aber bist du nicht ihr Vater? Immerhin hast du sie gefunden.“ Sie konnte ihm ansehen, dass ihm der Gedanke nicht gefiel. Oder vielleicht stimmte er ihn auch einfach nur traurig. Dabei schien er die Kleine wirklich gern zu haben. Das war doch seltsam. „Was ist es, das dich stört?“, wollte sie wissen.

„Mich stört nichts.“, meinte er, als er die Kleine wieder hochnahm, weil sie an seinen Haaren zu ziehen begann.

„Ich will mal anders fragen: Du hältst nicht viel von der Vaterrolle, oder?“

„Ai. Das…“ Dhaôma lächelte. „Doch, ich halte viel davon. Jedes Kind braucht einen Vater, der es in den Arm nimmt und ihm sagt, was gut und was schlecht ist.“

„Aber?“ Und weil sie sah, dass er wieder nicht verstand, präzisierte sie es. „Du hattest keinen Vater, aber was macht dich glauben, dass du kein guter Vater wärst?“

„Ich hatte schon einen Vater, zumindest in den ersten Jahren. Er hatte nur keine Zeit für mich. Ich hätte alles dafür gegeben, wäre er so gewesen wie Asam.“ Seine Wangen färbten sich rot, als er das beichtete. „Aber er hatte zuviel damit zu tun, Menschen zu töten oder meine Geschwister auszubilden, damit sie in seine Fußstapfen treten konnten.“

Sie nickte und legte die inzwischen tief schlafende Seren in das Körbchen zurück. „Erzähl mir von eurem Leben. Von deinem Leben, bevor du Mimoun getroffen hast.“

Seine Augen weiteten sich ein wenig und dann verschloss sich etwas in seinem Gesicht – sie konnte es genau beobachten. Als wäre da ein Schmerz, den er lieber nicht zulassen wollte. Dennoch begann er zu berichten. Von einer Welt, die ihr so unbekannt war, dass es unheimlich war. Er begann damit, dass die Häuser anders aussahen, dass sie größer waren und Fenster hatten, dass sie aus Stein und Holz gemauert und von großen Gärten umgeben waren. Selbst die Zimmer waren nicht nur durch Lederplanen getrennt, sondern durch feste Wände und waren so eingerichtet und so groß wie eine ihrer Hütten. Die Bewohner trugen Seide oder Wolle oder andere Stoffe, die gewebt waren. Auf ihre vorsichtige Nachfrage erklärte er, was Weben war und welche Materialien man dafür verwendete. Die Städte waren riesig und selbst die Dörfer umfassten mehr Menschen, als eine Insel fassen konnte. Straßen wurden von Kutschen befahren oder beritten – auch das musste er genauer erklären, denn weder das Prinzip, auf Tieren zu reiten oder sie anderweitig für Arbeit zu nutzen, noch Kutschen waren ihr ein Begriff. Und die Städte waren unterteilt. Es gab eine Innenstadt für die höher gestellten Magier, dann einen mittleren Ring für die weniger wichtigen und einen äußeren Ring, in dem die soziale Unterschicht wohnte, die wenig Geld hatte. Selbst nach seiner Erklärung begriff sie nicht, wozu Geld da war oder was es war. Es bestand aus Metall, zumindest soviel war klar, und darauf ließen sie es schließlich beruhen. Auch innerhalb der Unterteilung in drei Klassen gab es noch weitere Einteilungen, etwa Gebiete, in denen sich bestimmte Arbeiter sammelten, zum Beispiel Schmiede oder Färber oder Schreiner oder Weber. Sie alle unterstanden einem Haus, einer Gilde, so nannte er das, die sie überwachte, aber der Grund dafür blieb ihr unbegreiflich.

Die Erzählung wandte sich der Erziehung zu, einem strengen Regime, das dem ihres Militärs nahe kam. Gerade sitzen beim Essen, niemals sprechen, wenn man nicht gefragt wurde, Lesen und Schreiben lernen während stundenlangem Stillsitzen, Manieren, bei denen man nicht lachen durfte, nicht schreien oder toben oder weinen. Es gab Standards, die ein Kind zu einem bestimmten Alter erreichen musste, sonst galt das Kind als wertlos. Man durfte nicht mit anderen Kindern spielen, wenn sie nicht zur gleichen sozialen Schicht gehörten. Es gab eine Rangfolge innerhalb der Familie, die es den Jüngeren nicht gestattete zu essen, wenn die Älteren nicht begannen oder da waren. Und es gab Unterricht für viele Kinder auf einmal, wie man am besten gegen Hanebito vorging und sie tötete.

Leoni lauschte mit mulmigem Gefühl im Bauch der tonlosen, lieblos erzählenden Stimme Dhaômas, wie er Bilder malte, die trist und grau waren, wie sie es niemals gedacht hätte. Irgendwie hatte sie gedacht, Magier wären ihnen ähnlicher, wo sie sich mit ihnen offenbar um die Jagdgründe stritten, aber wozu brauchten sie denn noch mehr Land, wo sie doch ihre Beute selbst aufzogen und sich am liebsten so eng wie möglich an einem Ort aufhielten? Warum zwangen sie ihre Umgebung in eine so unschöne, plane Struktur, wie sie Dhaôma auf den Boden gemalt hatte? Und warum zwangen sie ihre Kinder in solche Fesseln aus Regeln? Mochten sie es etwa, sich selbst die Freiheit zu nehmen? Aber warum mussten sie dann auch versuchen, ihnen die Freiheit zu nehmen? War das vielleicht der Grund, warum sie sie nicht mochten? Weil sie freier waren, als die Magier sich je vorstellen konnten?

Dhaômas Erzählung wandte sich den Erleichterungen des Lebens zu; dass man Fische in einem Teich züchtete oder Schafe auf der Weide, dass man Schweine durch die Wälder trieb, damit sie Eicheln und Nüsse fraßen und dick wurden, dass man Gewächshäuser aus Glas baute, damit Pflanzen besser gediehen, dass man Ziegen ihrer Milch wegen hielt und Pferde für die Arbeit, Hunde passten auf die Häuser auf, damit kein Dieb kam.

„Es ist genug.“, sagte sie schließlich sanft und er sah sie an. Seine Augen waren stumpf und ein wenig hoffnungsvoll. Sie nahm ihm das Mädchen ab und legte sie zu Seren. Die Erzählungen hatten sie eingeschläfert. „Ich hätte nie gedacht, dass ihr so anders lebt.“

Der Braunhaarige zuckte mit den Schultern. „Es wäre nicht so schlecht, wenn nicht alles so feste Regeln hätte. Es erleichtert das Leben schon um einiges.“
 

Draußen suchte Mimouns Blick einen bestimmten Geflügelten. Er wollte endlich eine Ungewissheit geklärt haben, die bereits seit gestern an ihm nagte. Und so ging er zielstrebig auf ihn zu. Mimoun fühlte sich auf seinem Weg zu Addar beobachtet und entdeckte zwei junge Frauen, die kicherten, als er sie anblickte. Es irritierte ihn zwar ein wenig, aber dennoch grüßte er sie freundlich.

Addar befand sich gerade im Gespräch mit zwei weiteren, nicht mehr ganz so jungen Geflügelten. Dennoch wandte er sich sofort um, als er Mimouns Anwesenheit bemerkte.

„Ich würde Euch gern unter vier Augen sprechen.“, erklärte dieser rasch.

Der Älteste nickte zum Zeichen seines Einverständnisses, beendete aber vorher noch das Gespräch mit den beiden anderen. Es ging um Vorbereitungen bezüglich der Ratsversammlung. Als sie endlich allein waren, machte Addar eine einladende Geste, bevor er sich in Bewegung setzte. Er wollte ein wenig laufen, sich wieder bewegen. Mimoun blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

„Habt Ihr es gewusst?“, fragte er leise. Erst im nächsten Moment wurde ihm klar, dass die Frage alles bedeuten konnte.

Doch der Alte schien zu spüren, worum es dem Jungen dabei ging. „Ich wusste, dass es euch nicht gefallen würde.“ Mimoun begann auf seiner Unterlippe zu kauen. „Es ist noch immer Krieg.“, fuhr Addar erklärend fort. „Und sie waren schwach.“

„Ich weiß, aber…“ Er sah den Kindern nach, die johlend über die Insel rannten. Sie übten wohl wieder für ein Wettrennen. „Warum auch Kinder? Warum Hilflose? Einige der Kinder waren nicht viel älter als Amar.“

Der Älteste seufzte und sah auf die Ebene unter ihnen, denn sie hatten mittlerweile den Rand der Insel erreicht. „Sie sollten dezimiert werden. Dieses Dorf komplett auszulöschen, war nie Sinn der Aktion gewesen.“

Mimoun wusste nichts darauf zu erwidern und so herrschte einen Augenblick Stille, bevor Addar sich ihm völlig zuwandte, den Jüngeren mit prüfendem Blick fixierte.

„War sie wirklich die Einzige?“

Mimoun fühlte sich unter dem bohrenden Blick unbehaglich und er wusste, sollte er jetzt erneut lügen, würde Addar es wissen. Also schwieg er. Als er auch nach mehreren langen Augenblicken kein Wort von sich gegeben hatte, runzelte der Älteste missbilligend die Stirn. Gleichzeitig nickte er verstehend. „Befürchtest du, dass ich sie erneut dort vorbeischicke?“

Mimoun seufzte. Er gab auf. Addar würde ja doch nicht nachgeben. „Die… Begegnung… verlief nicht gut. Ich möchte ihm nicht noch mehr zumuten.“

„Warum habt ihr die Kleine nicht bei ihm gelassen?“

„Weil sie dann tot wäre. Entweder verhungert oder von dem Kerl getötet. Es gab keine andere Möglichkeit sie zu retten.“

„Verstehe.“ Addar wandte sich wieder dem Dorfplatz zu, zwang Mimoun sich anzuschließen, wollte er das Gespräch fortführen. Doch dieser wusste nicht, was weiter sagen. Die einzige Frage, die ihm momentan noch auf der Zunge brannte, konnte nur vom Rat beantwortet werden. Dennoch hielt er mit dem Ältesten Schritt.

Erst auf dem Dorfplatz verabschiedete er sich von ihm. Sein Weg führte ihn jedoch nicht sofort in die Hütte zurück. Dafür war er momentan zu angespannt und er wollte seinem Freund keinen Kummer machen. Auch wollte er dadurch unangenehmen Fragen vorbeugen.

Als Mimoun schlussendlich die Hütte wieder betrat, machte er sich um sein eigenes Befinden keine Gedanken mehr. Etwas hier behagte ihm nicht. Etwas an der Stimmung alarmierte ihn. Die Babys schliefen friedlich, wie ihm ein schneller absichernder Blick verriet, auch Leoni zeigte keinerlei Anzeichen, dass bei ihr etwas nicht in Ordnung wäre. Blieb nur… Mit schnellen Schritten war er an Dhaômas Seite und betrachtete ihn sich genauer.
 

„Hallo, Mimoun.“, begrüßte ihn dieser. „Hast du erledigen können, weswegen du gegangen bist?“
 

Anstatt zu antworten, presste dieser die Lippen zusammen. Sein Freund hatte einen Ausdruck in den Augen, den er schon ewig nicht mehr bei ihm gesehen hatte und den er eigentlich nicht mehr sehen wollte.

Ruckartig schoss sein Kopf herum, so dass Leoni erschrocken zusammenzuckte. Verständnislos sah sie seine wütenden Augen. Er sagte nichts. Nicht zu ihr. „Was ist hier geschehen, während ich weg war?“, wollte er vorsichtig von Dhaôma wissen.
 

„Nichts, weswegen du so besorgt sein müsstest. Ich habe ihr erzählt, wie es ist, bei den Magiern zu leben, und in diesem Zusammenhang mal wieder festgestellt, dass ich wirklich Glück hatte, dich zu treffen.“ Und weil er nicht wollte, dass das Thema breitgetreten wurde, piekte er ihm in die Wange. „Da es aussieht, als würden wir hier noch längere Zeit bleiben, könntest du vielleicht Feuerholz suchen? Ich will kein rohes Fleisch essen müssen und ihnen auch nicht ihre ganzen Vorräte an Trockenobst wegessen.“
 

Mimoun runzelte missbilligend die Stirn. Das konnte nicht alles gewesen sein. Nur über Magier und ihr Leben zu reden, hätte ihn nicht so mitnehmen können. Es musste persönlicher geworden sein. Etwas, womit Dhaôma noch nicht klar kam, und was er sich hütete, anzusprechen. Leoni musste es unwissentlich getan haben.

Frustriert stieß er einen lautlosen Seufzer aus und ließ den Kopf hängen. Nun war es zu spät für Warnungen und Bitten um Unterlassung. Nach einigen Sekunden lehnte er seinen Kopf an die Brust des jungen Magiers. „Ich geh gleich.“, versprach er und schloss die Augen.
 

Weich legte er die Hand auf das leicht struppige Haar und strich hindurch, bis er den warmen Nacken erreicht hatte. „Mach dir keine Umstände. Du kannst auch gerne erstmal ausruhen.“, bot er an und streckte die Beine aus. Es war eine Einladung, dass er auf seinem Schoß liegen könnte, wenn er das wollte.

Leoni amüsierte sich über das Bild. Irgendwie war es faszinierend, wie diese beiden Jungen alles andere um sich herum vergaßen und vor anderen so ungeniert herumturtelten. Fast war es wie mit Asam, aber hier lagen die Umstände schon ein wenig anders, denn eigentlich müssten sie Feinde sein. Und auch wenn niemals jemand etwas dagegen sagen würde, wenn zwei Männer einander anziehend fanden, es war nicht üblich, denn auf Kinder verzichteten die Geflügelten nicht gerne. Aber diese beiden… Irgendwie war sie sich sicher, dass es keinem der beiden überhaupt auffiel. Ob sie wussten, was für ein Bild sie nach außen trugen?
 

„Komm schon.“, begann Mimoun zu lachen. Er hob den Kopf, um Dhaôma anzusehen. „Warum sollte ich mich ausruhen müssen? So lange ist es noch nicht her, dass wir aus den Fellen gekrochen sind. Und die Winzlinge sind nicht anstrengend, solange sie noch nicht wegrennen können.“ Er klopfte seinem Freund auf den Oberschenkel und erhob sich in einer fließenden Bewegung. „Aber vielleicht sollten wir hier eine weitere Hütte bauen lassen, wo wir Holz einlagern können. Wasserfest natürlich. Schließlich sind wir ja nun häufig genug hier, für Addars Süppchen brauchen sie auch Holz und je nachdem, ob sich unser Winzling an rohes Fleisch gewöhnen lässt oder nicht, wird man für sie auch regelmäßig Feuerholz brauchen.“ Er winkte zum Abschied über die Schulter. „Aber darum können wir uns später kümmern.“
 

Dhaôma winkte zurück. Darum könnte er sich ganz alleine kümmern. Und wenn die Holzhöhle groß genug war, dann wäre es auch noch ein netter Spielplatz für die Kleinen. Aber noch war es zu kalt dazu. Das kleine Bäumchen, das die Wände bilden würde, würde dann ganz gewiss sterben.

Den Rest des Tages lernte Dhaôma, wie man auf Kleinigkeiten von Babys achtete. Die kleinste Regung konnte etwas bedeuten. Und Leoni erklärte ihm, dass wenn man lernte, darauf zu achten, die Kleinen auch nicht schrieen. Richtig gut wurde er darin nicht, aber auch das war Übungssache, meinte sie.
 

Am nächsten Tag flogen Addar, Asam und Janna los zur Ratsinsel. Die Frau kam zur Unterstützung mit, um nötigenfalls ihren Großvater vor einem Absturz zu bewahren. Und Mimoun und Dhaôma integrierten sich in den natürlichen Ablauf des Dorfes. Mimoun half bei der Jagd und setzte seine Idee einer Hütte in die Tat um, wobei ihm die älteren Kinder halfen, während der Magier die Aufgabe hatte, sich um die jüngeren zu kümmern, hauptsächlich mit Leonis Hilfe um die beiden Babys. Und nachdem er hörte, dass selbige Probleme hatte, beide auf Dauer mit Milch zu versorgen, half er mit seinen Heilkräften nach, damit die beiden Babys nicht hungern mussten. Leoni war beeindruckt und dankbar.

Und es stellte sich heraus, dass sie die beiden Winzlinge ohne Unterschied behandelte. Zwar bekam Seren immer noch zuerst zu trinken, aber Dhaôma hatte nicht das Gefühl, dass sie dafür die Magierin mit weniger Liebe bedachte. Sie gab ein Gefühl von sich, dass sie die Kleine längst adoptiert hatte. Und der Beweis dafür war, dass sie begann, Dhaôma Vorschläge zu machen, wie sie die Kleine nennen könnten. Thalia, Reya, Jaffie, Selly, Mira und Nora waren einige der schönsten Namen, doch beide tendierten sie schon bald zu Fiamma, was in der alten Sprache so viel wie Frieden und manchmal auch Flamme bedeutete. Zu ihrer magischen Gabe passte der Name auch hervorragend, also trugen sie die Vorschläge Mimoun und den anderen beim Abendessen vor. Abwartende Blicke von allen hafteten auf dem jungen Hanebito. Irgendwie hatte jeder im Stillen längst akzeptiert, dass Mimoun der Vater war, auch wenn sie hier bleiben sollte, also lag die letzte Entscheidung bei ihm.
 

Dieser verzog amüsiert-verzweifelt das Gesicht, als er alle Blicke auf sich spürte. Hilflos zuckte er mit den Schultern. „Frieden und Hoffnung passen doch gut zusammen, oder?“ Also war es beschlossene Sache. Die kleine Magierin würde ab nun den Namen Fiamma tragen.

Die Tage zogen sich dahin und jeder war gut beschäftigt, selbst Amar und seine beiden Cousinen beteiligten sich an der Babypflege, nur Mimoun wurde immer ungeduldiger. Je länger sie fort waren, umso länger dauerte die Ratssitzung an, desto verzwickter schien die Diskussion dort zu verlaufen. Zumindest schien es kein klares Nein zu sein, versuchte er sich Hoffnung zu machen. Die geschätzte Woche, die sie weg bleiben würden, verstrich, ohne dass einer von ihnen wieder auftauchte. Jeden Abend begann er nun mit einigen anderen unruhig am Rande der Insel auf und ab zu laufen. Und jeden Abend ging er enttäuscht zu Bett, dicht an seine beiden Magier gekuschelt.

Welch Erleichterung war es, als die Gesuchten schließlich am Horizont auftauchten. Schnell sprach es sich in dem Dorf herum und alles versammelte sich, um die Heimkehrer zu begrüßen.

„Da stimmt etwas nicht.“, murmelte jemand in der Menge. Mimoun versuchte den Sprecher ausfindig zu machen und entdeckte bei Einigen eine unsicher gerunzelte Stirn. Noch bevor er in irgendeiner Art reagieren konnte, erhoben sich diese in die Luft und flogen den Ankömmlingen entgegen. Dann sah auch er es. Addar flog nicht selber, sondern wurde gestützt.

Hastig sah er sich nach seinem Freund um. „Dhaôma?“
 

Dieser war längst selbst gekommen bei dem Aufruhr, hatte sich aber im Hintergrund gehalten. Besorgt trat er nun auf Mimoun zu. „Lass sie landen.“, sagte er bemüht ruhig, doch seine Stimme zitterte trotzdem vor Sorge. Dass Addar nicht selbst fliegen konnte, war genauso besorgniserregend wie die Nachricht, die er vielleicht überbrachte. „Ich kann bei so vielen Menschen und der Unruhe beim Fliegen kaum etwas tun.“ Dann drehte er sich um und lief los und rief schon bevor er durch den Eingang platzte: „Leoni! Leoni! Bereite bitte Addars Lager. Ihm geht es offenbar nicht so gut!“

Selbige und Karo sahen auf und setzten die beiden Babys sofort zurück in den Korb, Sorge auf den Gesichtern. „Weißt du genaues?“, wollte Asams Schwester wissen und begann auf sein Kopfschütteln hastig mit den Vorbereitungen. Sie entfernten auch die Trennwand, um zusätzlich zu Addars Pflegern auch Dhaôma genügend Platz zu bieten, denn sie wusste schon jetzt, dass es wohl ein ziemliches Gedränge werden würde.

„Ich bereite ein Feuer draußen vor!“, gab Dhaôma Bescheid, bevor er nach draußen verschwand. Inzwischen waren die Heimkehrer schon beinahe da.
 

Ein Großteil der Gruppe trat einige Schritte zurück, um ihnen Platz zum Landen zu lassen. Einige wenige traten näher hinzu, um hilfreich zuzugreifen.

„Ich brauche keine Hilfe.“ Unwirsch versuchte Addar die Hände beiseite zu schieben. Unnachgiebig stützten ihn seine Enkel weiterhin. Auf einen bezeichnenden Wink Mimouns hin, geleiteten sie ihn zu ihrer Hütte, das besorgte Getuschel der Dorfgemeinschaft im Rücken. „Es geht mir gut.“, betonte der Älteste erneut, dem es unangenehm zu sein schien, dass man sich wieder Sorgen um ihn machte.
 

Dhaôma war mit dem Arm voller Holz stehen geblieben und hatte zugesehen, wie Addar sich zu wehren versuchte. Augenblicklich war er beruhigt. Addar ging es gut. Er war erschöpft, aber nicht verletzt oder krank. Und nachdem er den ganzen Winter über kein Training gehabt hatte, war es kein Wunder, dass er die Strecke nicht geschafft hatte.

Lächelnd und beruhigt setzte er seinen Weg fort, während die Reisegesellschaft in der Hütte verschwand. Die Dorfbewohner blieben unschlüssig draußen stehen und redeten durcheinander. Nur Amar schlüpfte ebenfalls in die Hütte, begierig auf Neuigkeiten und Geschichten. Und obwohl Dhaôma ebenfalls neugierig war, traute er sich nicht hinein. Er wollte keine negative Antwort hören. Stattdessen stapelte er seinen Arm voll Holz vor der Hütte.
 

Wenn jemand den Gesundheitszustand einer Person richtig einschätzen konnte, dann Dhaôma. Als Mimoun sah, dass sich sein Freund entspannte, wurde auch er ruhiger. Mit diesem Hinweis ließ sich auch die Menge wieder beruhigen. Zumindest was Addars Verfassung anging. Und da das nun geklärt schien, begannen die Spekulationen um das andere Thema.

Mimoun trat neben seinen Freund und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Kommst du mit? Ich möchte nicht allein sein da drinnen.“
 

Gequält verzog Dhaôma sein Gesicht zu einem Grinsen. „Ich will gar nicht da drin sein, aber weglaufen bringt nichts, oder? Wir erfahren es ohnehin, nicht wahr?“ Dann seufzte er. „Andererseits sollten wir etwas Warmes für Addar machen. Er sah aus, als hätte er die Kälte wieder in den Gliedern und es ist anstrengend, das nur mit Magie zu lindern.“
 

„Okay.“, erwiderte Mimoun nach einigem Zögern. „Wenn du möchtest, kannst du dich hier draußen darum kümmern und ich schau drinnen nach dem Rechten.“ Nach einem aufmunternden Lächeln und einem flüchtigen Streicheln des Kopfes drehte er sich um und verschwand in der Hütte.
 

Der braunhaarige junge Mann seufzte. „Als käme ich drum herum.“, murmelte er, bevor er einen der Hanebito darum bat, Feuer zu machen und Wasser aufzusetzen, wie er es ihnen beigebracht hatte. Froh darum, etwas für ihren Anführer tun zu können, ohne einfach abgeschoben worden zu sein, versprachen sie, sich zu beeilen. Danach folgte Dhaôma seinem Freund in die Hütte, denn immerhin handelte es sich hier um seinen Gastgeber und denjenigen, der Fiammas Zukunft in den Händen hielt, und zusätzlich um seinen Patienten. Da sollte er schon den Mut haben, der Wahrheit zu begegnen.
 

In der Hütte ging es geschäftig zu. Addar war bereits zu seinem Lager gebracht worden, wo er sich unter Protest niedergelassen hatte, und in Felle gehüllt worden war. Karo reichte ihm und den anderen beiden Ankömmlingen Wasser. Asam und Janna hatten sich ein wenig abseits niedergelassen und atmeten einmal durch. Amar wuselte zwischen allen herum und fing sich Schelte von seiner Mutter ein. Seren fing aufgrund der Hektik zu wimmern an. Um dies zu unterbinden, trat Mimoun an den Korb und stellte ihn neben den Eingang. So konnte er einerseits das weitere Geschehen beobachten und Neuigkeiten erfahren, andererseits konnte er die Babys beruhigen.

Die Plane schob sich zurück und Mimoun sah auf. Dhaôma war ebenfalls in die Hütte gekommen. Erleichtert seufzte der junge Geflügelte auf. Er hatte wirklich nicht allein hier rein kommen wollen, aber seinen Freund zwingen ging ja auch nicht.

Da Seren sich nicht beruhigen wollte, hob er sie auf den Arm und bot ihr seinen kleinen Finger zum Nuckeln an. Es half, wenn auch nur bedingt.
 

Das brachte Dhaôma zum Lachen. Und noch mal, als er sah, wie Fiamma versuchte aus dem Korb zu klettern, um ebenfalls zu Mimoun zu kommen. Er lehnte sich vor und flüsterte dem Schwarzhaarigen ins Ohr: „Es ist schön zu wissen, dass sie in guten Händen sein wird, falls sie sie fallen lassen.“ Und damit hob er sie hoch und drückte sie dem Hanebito ebenfalls in die Hände, bevor er sich zu Addar aufmachte.

Leoni sah ihm freundlich entgegen und Yaji machte schnell Platz. Sie hatte ihren Urgroßvater stürmisch wie immer begrüßt und erst jetzt wieder von ihm abgelassen. „Guten Tag, Addar.“, begrüßte Dhaôma den alten Mann. „Ihr habt Euch wirklich gar nicht geschont, oder?“ Leichter Vorwurf war in seiner Stimme zu hören, aber auch leichtes Amüsement.

Addars Blick war mindestens ebenso gemischt und zeigte, dass er die Kritik nicht ernst nahm. „Was soll ich machen, wenn sie reden und reden und reden? Oh ja.“ Er seufzte tief. „Sie hatten wirklich eine Menge zu sagen.“

„Ihr bekommt danach etwas Warmes zu essen. Gargal ist dabei, Feuer zu machen. Aber vorher wäre es schön, wenn Ihr mich Hand anlegen lassen würdet.“

Die alten Augen musterten den braunhaarigen Magier. Irgendwie hatte er erwartet, dass man ihm die Nachricht gleich aus den Lippen reißen würde, aber dieser Junge kümmerte sich stattdessen lieber um sein Wohlergehen. Als würde es ihn nicht kümmern, was aus dem Mädchen wurde. Aber wenn er ihn genau ansah, konnte er die gespannten Schultern sehen und die verkrampften Hände. Warum war das so, dass er sich schon wieder zurücknahm? Er wurde aus diesem Exemplar Magier einfach nicht schlau. Auch jetzt wartete er geduldig, bis er ihm die Erlaubnis erteilte.

„Ich bitte darum.“, sagte er schließlich.

Und wurde im nächsten Moment mit eiskalten Fingern konfrontiert. Selten hatte Dhaôma wirklich kalte Hände, selbst wenn er durchgefroren war, beim Heilen wurden seine Hände automatisch warm. Heute nicht. Er lächelte mitleidig. „Junge, mach dir keine Sorgen mehr.“, sagte er leise, legte seine knorrigen Hände auf die weichen des Magiers. „Sie darf bleiben.“ Und dabei hatte er vorgehabt, es spannend zu machen und selbst Asam verboten, seine überschwängliche Freude gleich kundzutun.

Er wurde belohnt von rotbraunen Augen, die sich in Unglauben weiteten und dann zu strahlen begannen. Fast konnte er fühlen, wie die Hände unter seinen wärmer wurden, wie die Farbe in das Gesicht zurückkehrte und das Licht der Linien heller leuchtete. Er spürte, wie ihn Kraft gleich einer Flutwelle durchströmte, und war sich dennoch sicher, dass Dhaôma das momentan gar nicht wirklich initiierte. Der Beweis kam, als der Braunhaarige sich umwandte und Mimoun anstrahlte.

„Hast du das gehört?“, rief er und die Linien auf seinen Wangen verblassten, ließen die Hütte ein wenig dunkler zurück. „Mimoun!“
 

Nein, hatte er nicht. Mimoun hatte alle Hände voll zu tun mit den Kleinen. Fiamma hatte begonnen, begeistert quietschend an seinem Ohr zu ziehen und Seren war ungehalten, da sie nicht mehr die ungeteilte Aufmerksamkeit besaß. Frustriert holte sie mit ihren winzigen Fäustchen aus und erwischte Mimoun im Gesicht. Erst als er seinen Namen hörte, sah er auf, konzentrierte sich wieder auf die Geschehnisse um ihn herum.

Da war Addar mit seinem gütigen Großväterchenlächeln, Asam mit breitem Grinsen, Leoni, die ihrem Gefährten gerade freudig um den Hals sprang, und dazwischen ein glücklich strahlender Dhaôma. Hieß das etwa?

„Darf sie etwa…?“, fragte er dennoch zögerlich vorsichtig nach.
 

„Sie darf bleiben.“, bestätigte Addar. „Unter der Voraussetzung, dass Dhaôma regelmäßig vorbeikommt, um uns Unterricht darin zu geben, wie man jemanden mit Magie am besten erzieht.“

Diesem fielen förmlich die Augen aus dem Kopf. „So wie ihr das mit euren Kindern macht, ist das doch gut.“

Leoni begann zu lachen. Nachdem sie die letzten paar Tage fast täglich mit dem Magier zu tun gehabt hatte, wusste sie schon, dass er dazu tendierte, alles sehr genau zu nehmen und Fragen nicht bis in den Hintergrund zu verfolgen. Und jetzt gerade dachte er wahrscheinlich, dass er sie den Magiergebräuchen entsprechend aufwachsen lassen sollte. „Dhaôma, er will, dass du ihr beibringst, ihre Magie richtig zu beherrschen.“

„Oh. Na klar.“, antwortete der Braunhaarige und wurde rot. „Vielen, vielen Dank, Addar!“ Er griff nach den Händen und drückte sie. „Ich verspreche auch, alles zu geben!“

„Zumindest davon sind wir ausgegangen.“ Immerhin tat der Magier selten etwas ohne voll dahinter zu stehen. „Und jetzt möchte ich etwas essen. Wie war das? Es gibt etwas Warmes?“

„Aber ich wollte vorher...“

„Hast du doch schon.“

„Hab ich nicht. Ich...“ Nach einer kurzen Prüfung musste Dhaôma einsehen, dass Addars Kraftreserven vollständig wieder aufgefüllt waren. „Aber wann?“

Addar lächelte ihn an. Da hatte er es wirklich nicht bemerkt. „Vorhin.“

Seine Irritation ließ Dhaôma sich nicht anmerken, als er sich überlegte, wann das gewesen sein sollte, aber er kam nicht drauf. „Na dann, ich kann mal sehen, wie weit sie sind.“ Damit stand Dhaôma auf und wollte hinauslaufen, doch er wurde von Asam eingefangen, der ihn fest drückte, dass er das Gefühl hatte, seine Knochen würden knirschen.

„Jetzt habe ich zwei Töchter!“, grinste der Mann. „Dank euch beiden. Vielen Dank!“

„Uh.“

„Schatz, er braucht Luft.“ Leoni wollte nur schlichten, dann hing auch noch Amar freudestrahlend an Dhaôma und kurz darauf die beiden Mädchen. Sie zuckte die Achseln und stellte sich neben Mimoun. „Da sie die Kleine nicht so stürmisch in der Familie begrüßen können, seid ihr die Sündenböcke. Ich nehme dann mal die beiden Kleinen.“ Und gerade rechtzeitig balancierte sie die Mädchen auf ihren Arm, bevor Mimoun sich ebenfalls Asams Schraubstockgriff entgegensah. Leoni stand nur lächelnd daneben, während Karo hinausging, um die Suppe zuzubereiten.
 

Sie konnte bleiben. Sein Winzling war in Sicherheit. Mimoun drückte ihr einen Kuss auf die Wange, als ihm die Babys bereits aus dem Arm genommen wurden. Somit war sein Schutz verschwunden und Asam ließ ihm nicht die Chance zu entkommen. Schnell entwickelte sich das gewohnte Kräftemessen daraus, das zugunsten Mimouns ausschlug. Durch die zahlreichen Tage, in denen er mit Dhaôma geflogen war, stand er gut im Training.

Doch plötzlich dachte er nicht einmal mehr daran sich zu wehren. Von einem Moment auf den nächsten hörte er einfach auf. Ihm ging gerade auf, was diese Aussage wirklich bedeutete. Zwar hatte Winzling nun das, was er sich für sie wünschte, eine richtige Familie, aber er würde sich nun von ihr trennen müssen. Je nachdem wie lange ihre Suche noch dauern würde, würde er sie Wochen, wenn nicht sogar Monate nicht mehr zu Gesicht kriegen! Dieser Gedanke versetzte ihm einen Stich.

Und noch etwas ging ihm dadurch auf: Nämlich, wie schwer es seiner Mutter gefallen sein musste, ihn gehen zu lassen. Mit einem kurzen, harten Ruck befreite er sich aus Asams Griff und ließ diesen verständnislos zurück. Da ihre Habseligkeiten in dem Dorf Tage entfernt legen, durchsuchte er die Kammer nach etwas zu schreiben und hielt sein Fundstück fragend in die Höhe. „Darf ich?“

„Natürlich.“, nickte Addar. Auch er war ein wenig erstaunt über die hektische Reaktion des Jungen.
 

Dhaôma hatte nur gelacht, als Mimoun ihm wenigstens Asam abgenommen hatte. Jetzt erklärte ihm Amar gerade, dass er seine neue Cousine ganz sicher beschützen würde. Er würde ihr alles Wichtige beibringen und Leoni ganz gewaltig unterstützen. Juri und Yaji lachten ihn dafür aus, weil er sich ja nicht einmal um Seren richtig kümmern wollte, aber da hatte er eine einleuchtende Erklärung: „Sie ist ja auch nicht so empfindlich wie Magier!“ Und da sie das einsahen, versprachen auch sie, alles in ihrer Macht stehende zu tun, damit es der Kleinen gut ging.

„Aber ihr müsst auch wiederkommen, ja?“

Große Kinderaugen flehten ihn an. Und der Braunhaarige stellte fest, dass Amar wirklich glaubte, er würde sie vergessen und nie wieder kommen. Plötzlich ernst legte er seine Hände auf Amars Schultern und sagte: „Hör mal, ich würde auch wiederkommen, wenn es sie nicht gäbe. Glaubst du im Ernst, ich würde meine Freunde vergessen?“

„Ja, aber beim letzten Mal warst du mehr als ein halbes Jahr weg!“

„Ich kann die Kälte nicht ertragen, die hier im Winter herrscht. Das weißt du doch.“

„Und was ist dann mit ihr? Kann sie es?“

„Sie kann noch im Haus bleiben. Sie ist nicht darauf angewiesen, hinauszugehen, um sich zu erleichtern oder dergleichen.“

Amar sah zweifelnd aus.

„Glaubst du mir nicht?“

„Doch.“, druckste er.

Und Juri half. „Was ist dann, wenn sie älter wird? Wenn sie hinaus will?“

Dhaôma seufzte tief. „Das weiß ich noch nicht. Ich hoffe einfach darauf, dass ich ihr beibringen kann, Wärme ohne Flammen zu erzeugen. Das hätte auch gleichzeitig noch den Vorteil, dass Addar es im Winter warm hätte.“ Dann kicherte er. „Aber jetzt ist erstmal Sommer und ich hoffe, ich komme noch vor dem Winter zurück. Und dann bringe ich ein viel größeres Lebewesen mit.“

„Einen echten Drachen!“, strahlte Juri und lehnte sich über seinen Rücken, schlang ihre Arme um seinen Hals.

Wieder lachte Dhaôma. Die beiden Mädchen, die zuvor so unglaublich zurückhaltend gewesen waren, hatten ihre Scheu in den letzten anderthalb Wochen verloren. Und jetzt waren sie genauso klebrig wie Amar. „Ja, so sollte es sein.“

„Und wie wirst du ihn nennen?“

„Das weiß ich doch jetzt noch nicht.“, lachte er. Bei einem leisen Gurren sah er auf und konnte beobachten, wie Asam sich Fiamma aushändigen ließ. Sein Gesicht war weich und liebevoll, als er sie betrachtete und sanft streichelte. Als sie die Hände nach seinem Gesicht ausstreckte, drückt er seine Nase vertrauensvoll gegen ihren Bauch, so dass sie an seinen blonden Haaren ziehen konnte. Es beruhigte ihn vollends. Die kleine Magierin war nirgends besser aufgehoben als hier.

Janna zog ihre Tochter von dem Magier herunter. „Du hast unsere Familie ganz schön aufgerüttelt.“, sagte sie verschmitzt. „Wie ein Wirbelwind hast du alles einfach umgeworfen und neu geordnet, hast unsere Familie sogar gleich zweimal erweitert.“ Schuldbewusst wollte Dhaôma etwas dazu sagen, sie ließ ihn jedoch nicht. „Ich finde das gut. Es ist, als würde ein neuer Wind wehen.“

„Aber das ist nicht mein Verdienst.“

„Doch.“, wandte sie ein. „Wenn du Mimoun nicht geholfen hättest, wärst du niemals hergekommen und ich würde immer noch denken, Magier wären gefährliche Kreaturen ohne Herz, immer nur darauf aus zu töten. Stattdessen kann ich ohne Angst akzeptieren, dass ein Magierbaby unter unserem Dach lebt.“

Wenn Dhaôma daran dachte, wie sie am Anfang gegen ihn gewesen war, dann war das ein unglaublicher Schritt. „Ich bin froh, dass es so ist.“

Sie lächelte und drückte ihre Tochter an sich, strubbelte ihr durch die langen Haare. „Und ich will daran glauben, dass dieser Krieg nicht von unseren Kindern weitergeführt werden muss. Sie sollen so leben können wie du und Mimoun, frei von den Vorurteilen gegen die andere Rasse.“ Ihre grünen Augen fixierten ihn, als sie lächelte. „Ich warte darauf, dass ihr es schafft, auch deine Leute dafür bereit zu machen, mit uns zu reden, damit wir alle Streitigkeiten endgültig ausräumen können.“

Uh, ja, das war sicher noch ein Problem, das er angehen musste. Aber er würde es versuchen. Ganz sicher. Und er würde es schaffen. Wie auch immer. „Das wird noch einige Zeit dauern.“, wich er dem Versprechen aus. „Ich kann dir nicht sagen, wie lange.“

„Das weiß ich. Und so wissen es auch alle anderen.“ Sie lehnte sich zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr: „Die meisten aus dem Hohen Rat habt ihr auf eurer Seite. Sie haben alle genug vom Kämpfen und vom Krieg.“ Verschmitzt lächelnd fügte sie lauter an: „Aber sie glauben nicht so recht, dass ihr es schafft, also strengt euch an, ihnen das Gegenteil zu beweisen!“

„Warum müssen die beiden das alleine machen?“, wollte Amar wissen. „Ich könnte ihnen doch helfen!“

„Du bist zu klein.“, schmetterte Dhaôma diesen Vorschlag rigoros ab. „Vergiss nicht, dass es kein Spaziergang ist oder ein Spiel.“

„Aber…“

„Wenn du so alt bist wie Mimoun oder ich, dann habe ich nichts mehr einzuwenden, bis dahin musst du dich gedulden.“

Er verzog das Gesicht. „Und wie alt bist du?“

Dhaôma stockte ob der Frage. Äh, ja, wie alt war er noch mal? Als er seine Reise begonnen hatte, war er… sechzehn gewesen? Dann war er jetzt… „Achtzehn.“, antwortete er, doch sicher klang er nicht. „Ist es wirklich erst zwei Jahre her? Hey, Mimoun?“, rief er etwas lauter, damit sein schreibender Freund ihn auch hören konnte. „Wie lange kennen wir uns jetzt? Sind es wirklich erst zwei Jahre?“ Ihm kam es eher vor wie ein ganzes Leben.
 

Nachdenklich wurde das Schreibzeug sinken gelassen. „Zwei Winter.“ begann Mimoun laut zu überlegen. „Aber wir haben uns erst kurz vor dem Ersten kennen gelernt. Und der Zweite ist noch nicht ganz rum. Nicht ganz zwei Jahre.“, korrigierte er. Aber die Zeit, wie lange er den Magier nun kannte, war unwichtig. Ihm war die Zeit wichtiger, die er mit ihm verbrachte. „Warum?“, wollte er wissen. Er hatte den Anfang des Gesprächs ja irgendwie verpasst. „Ist es wichtig?“
 

„Nicht wirklich. Amar wollte wissen, wann er uns begleiten darf.“, kicherte er bei der gerunzelten Stirn. „Also, Amar, ich bin achtzehn Jahre alt. Du musst noch warten, bis du alt genug bist.“

„Aber dann warst du siebzehn, als du deine Reise begonnen hast.“, monierte er. „Ich darf also schon ein Jahr früher mit.“

„Ja. In Ordnung.“, sagte Dhaôma und verschwieg ihm, dass er mit sechzehn gestartet war. „Nichts desto trotz wirst du warten müssen. Und auf deine Familie aufpassen. Immerhin bist du neben Asam der einzige junge Mann.“

Es war wirklich erstaunlich, wie diese winzige Information die Brust des Kindes schwellen ließ. „Ja, ich beschütze sie!“, rief er. „Und wenn ich älter bin, werde ich mit euch die Magier… wie war das? Umkrempeln?“

Janna und Dhaôma begannen zu lachen. War das das Wort, das hier kursierte? Klasse. „Gut.“, nickte Janna schließlich und als ihre beiden Töchter ebenfalls ein solches Versprechen abgaben, strahlte sie. „Ich glaube, du steckst sie irgendwann alle an mit deinem Wunsch nach Frieden.“

„Ich gebe mir Mühe.“
 

Da er sich nun auf die Unterhaltung konzentrierte, konnte sich auch Mimoun eines Lachens nicht erwehren. Laut begann er aufzuzählen: „Haru, Elin, Ramon, Dhara, Yaji, Juri, Amar…“ Nun hatte er den Überblick verloren, starrte auf seine zur Hilfe genommenen Finger und schüttelte lachend den Kopf. „Und wenn die Winzlinge auch noch mitmachen, wird das eine ziemlich große Reisegesellschaft.“ Er grinste verschmitzt. „Und fast ausnahmslos Geflügelte. Das muss dringend ausgewogener werden. Sammeln wir noch ein paar Magierkinder.“ Der junge Geflügelte erhob sich und ließ einmal seinen Rücken einknacken. „Aber bis die groß genug sind, können wir uns längst zur Ruhe setzen. Wir zählen dann auch schon zu den Alten.“

„Werd nicht frech.“, kam lachender Protest von mehreren Seiten.

„Du kannst dich alt schimpfen, wenn du Jungspund es auf mein Alter gebracht hast.“, fügte Addar hinzu.
 

Dhaôma kicherte ebenfalls. „Ich finde auch, dass 29 kein Alter ist.“, meinte er. Dann zeigte er auf den Brief, den Mimoun schrieb. „Ist der an deine Mama? Sagst du ihr, dass du jetzt ein Patenkind hast?“
 

„Ich versuche, ihr irgendwie schonend beizubringen, dass sie jetzt Großmutter geworden ist… mehr oder weniger jedenfalls.“ Er griff nach dem Papier, das er fallen gelassen hatte und hielt es seinem Freund hin. „Möchtest du ihr auch noch was sagen?“
 

„Gerne.“ Und im nächsten Moment klebte diesmal Yaji auf seinem Rücken und umarmte ihn, als er Feder und Papier entgegen nahm.

„Was wirst du schreiben? Ist es wahr, dass ihr ein Paar seid? Habt ihr Fiamma deshalb mitgenommen? Weiß sie es schon?“

Dhaôma verschluckte sich fast, aber es war klar, von wem diese Informationen kamen, denn Amar hatte einen hochroten Kopf. Und alle lachten. Wann würden sie begreifen, dass er kein Mädchen war? „Ich denke nicht, dass es dich etwas angeht, was ich Cerel schreiben will.“, antwortete er. Seine Stimme war freundlich und hintergründig etwas verzweifelt, als er anfügte: „Und wir sind kein Paar. Wir sind Freunde. Und Fiamma haben wir mitgenommen, weil sie sonst niemanden mehr hatte. Das weißt du bereits.“ Er seufzte und strich ihr über den Kopf. „Yaji, du musst noch lernen, dass du nicht alles glaubst, was dir andere erzählen. Anstatt immer nachzuplappern, was andere sagen, denke nach und mach dir dein eigenes Bild, basierend auf deinen eigenen Beobachtungen.“

Sie sah aus, als hätte er sie geschlagen. Das war bei weitem die härteste Schelte, die Dhaôma jemals einem der Kinder hatte zukommen lassen. Dass er dabei nicht lächelte, machte es nur schlimmer. Tränen traten in ihre Augen und rannen über ihre Wangen und Dhaôma sah sie erschrocken an.

„Yaji?“

Sie rutschte von ihm herunter und Janna lächelte. „Du musst zugeben, dass er Recht hat.“, sagte sie und es kamen noch mehr Tränen.

Seufzend zog Dhaôma sie zu sich herunter. „Sei nicht traurig. Ich bin nicht böse. Es war nur ein Rat für die Zukunft.“

Yaji nickte, aber trotzdem schluchzte sie noch. Und durch das Geräusch angesteckt, begann nun auch Seren zu quengeln. Und Dhaôma zog sie in die Arme. Er lächelte und streichelte beruhigend ihren Kopf. Janna tat es ihm nach.
 

„Irks.“ Mimoun kratzte sich am Kopf, als er das sah. Na toll. Diese Kinder würden es doch nie lernen. Sie bauten sich ihre Welt so zurecht, wie sie es wollten. Da halfen keine Erklärungsversuche.

Er lächelte liebevoll, als er ebenfalls seine Hand auf ihrem Haarschopf legte. Aber das war der Vorteil an Kindern, ihre Unvoreingenommenheit. „Ich würde den Brief gerne meiner Mama schicken.“ Er hockte sich hin. „Aber er kann nicht schreiben, solange du traurig bist. Dhaôma kann so was doch nicht ertragen. Was meinst du? Ob du für ihn lachen könntest?“
 

Ihre Augen schauten zu ihm hoch, wässrig und gerötet. Dann nickte sie und schluckte alles hinunter. Noch zweimal erlitt sie einen Rückfall, dann drückte sie sich an Dhaôma und war still.

Dieser grinste Mimoun an und zeigte ihm den erhobenen Daumen. Das hatte er sehr gut gemacht. Er griff nach der Feder und begann zu schreiben. Nur ein paar Zeilen, dass sie ihre Reise unterbrochen hatten, jedoch bald wieder loszögen und dass sie beim nächsten Mal sicher bei ihnen vorbeisehen würden, um ihr die kleine Fiamma vorzustellen, die sie adoptiert hatten. Noch bevor er den Brief an Mimoun zurückreichte, kam Karo mit Suppe herein und reichte eine Schale voll an Addar und die zweite an Leoni, die sie für die Babys brauchte. Sie ging noch einmal hinaus, um auch für Dhaôma eine zu holen, während die Kinder nun den Tisch für alle deckten.
 

Solange Dhaôma noch mit schreiben beschäftigt war, half dessen Freund bei den Vorbereitungen. Als der Magier dann neben ihm auftauchte und ihm den Brief entgegen streckte, lächelte er ihm kurz zu.

„Ich bin sofort zurück.“, merkte Mimoun an, griff sich den Brief und verließ die Hütte. Draußen streckte er sich einmal ganz aus. Heute war ein guter Tag, befand er für sich. So zufrieden und entspannt hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Auch wenn ein kleines nagendes Gefühl des Verlustes in einer winzigen Ecke seines Bewusstseins wühlte. Suchend sah er sich um. Am Rande der Insel befand sich eine größere Ansammlung Geflügelter. Waren sie etwa noch immer am Diskutieren? Ihm konnte es egal sein. So musste er nicht das gesamte Dorf nach jemandem absuchen, der ihm weiterhelfen konnte.

„Verzeihung?“, rief er in die nach innen gerichtete Menge, in deren Rücken er nun stand. „Ich würde gerne diesen Brief an meine Mutter schicken. Könnte ihn jemand überbringen?“ Er hielt das bezeichnete Objekt hoch und wedelte damit ein wenig in der Luft herum. Vor ihm drehten sich einige um, grinsten seltsam und nahmen ihm das Ding aus der Hand. Bevor er so etwas wie ein ‚Danke’ von sich geben konnte, wanderte der Brief von einer Hand zur nächsten. In derselben Geschwindigkeit teilte sich die Menge vor ihm auch, so dass er den Weg verfolgen und beobachten konnte, wie er einer Frau in die Hand gedrückt wurde.

„Auftrag ausgeführt.“, erklang es von der Mitte der Menge.

Mimoun war zu perplex, um in irgendeiner Art zu reagieren, als er auch schon zu Boden gerissen wurde und lautes Lachen um ihn herum erklang.
 


 

********************
 

Ich liebe Asam und Leoni. Die beiden sind so toll, dass ich fast weinen will, wenn ich das lese (was ich selbst geschrieben habe...) Voll die Überwesen ^^



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  KuroMikan
2014-11-04T13:52:02+00:00 04.11.2014 14:52
awww so toll *.*

hehe hallöchen, ich mal wieder... sorry das ich die letzten kapitel nicht einzeln mit einem kommi versehen habe aber ich hab sie alle in einem wusch durchgelesen :)

das is so knuffig wie mimoun und dahouma miteinander umgehn... XD von wegen kein paar .. pah! XD
und wie sie die kleine aufgenommen haben war total süß!!!

ich hoff es geht bald weiter ^^
nächstes mal schreib ich hoffentlich mal wieder nen längeren kommentar :)

lg Mikan
Antwort von:  Zebran20121
08.11.2014 14:03
das mit dem paar war auch mein Gedanke jeder merkt das außer die beiden naja irgendwann werden die es schon merken und Dhaoma würde eh ne gute mutter abgeben meinst du nicht auch?
Antwort von:  KuroMikan
10.11.2014 17:20
ist er das nicht jetzt schon XD


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