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Der Weg aus dem Kampf

Wenn Träume Berge versetzen
von

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Kürbissuppe

Kapitel 6

Kürbissuppe
 

Die Nacht diesmal liegend und nicht im Sitzen zu verbringen, hatte etwas ungemein Erholsames. Seine Muskeln wurden nicht durch falsche Haltung strapaziert und er hatte den Magier nicht schon wieder schleppen müssen. Somit ausgeruhter als gestern erhob sich der Geflügelte von seinem Nachtlager und trat in die frische Morgenluft vor dem Zelt. Ausgiebig streckte er sich und sah sich nach einer Stärkung am Bachwasser nach dem Magier um.
 

Dieser kam aus einem Gebüsch hervor geschossen, auf der Jagd nach einem Rebhuhn, das bei Mimouns Anblick erschreckt gackernd eine andere Richtung einschlug.

„Guten Morgen!“, brachte Dhaôma gerade noch heraus, bevor er den Richtungswechsel vermasselte und im Bach landete. Sich schüttelnd kam er wieder herausgewankt. „Mist. Schon wieder nass! Himmel, es ist ja nicht so, als müsse sie ihr Nest noch versorgen!“, fluchte er.
 

Einerseits erschreckt, andererseits verwirrt, beobachtete Mimoun den Magier bei seiner Jagd nach dem kleinen Vogel. Beobachtete, wie dieser nach dem Gruß die Kurve nicht bekam und seinen Sturz im Wasser beendete.

„Dir ebenfalls einen guten Morgen.“, erwiderte der Geflügelte, verzweifelt darum bemüht, nicht zu lachen, doch es war vergebens. So wie der Junge patschnass im Wasser hockte, sah er einfach zu komisch aus.
 

Recht unglücklich wrang Dhaôma seine Haare aus. „Das ist nicht komisch. Unser Frühstück ist weggelaufen! Allein von Eiern wird man doch nicht satt.“ Aber dann grinste er doch. „Irgendwelche Alternativpläne? Immerhin müssen wir gut gestärkt sein. Wir laufen heute weit!“
 

Mimoun wischte sich die Lachtränen weg und sah ernst zu seinem Begleiter hinüber. Doch es vergingen nur Sekunden, bevor er wieder losprustete. Himmel, wann hatte er das letzte Mal so lachen können? Sein Bauch tat schon richtig weh!

„Du wurdest von einem kleinen Vogel fertig gemacht.“, stieß er glucksend hervor. „Beeindruckend.“

Immer noch von gelegentlichen Kicherattacken heimgesucht, begann der Geflügelte sich dennoch Gedanken zu machen. „So ein Netz, wie wir es zum Fischen benutzt haben, zwischen die Büsche spannen und dann dieses Viech hineintreiben. Oder was anderes in der Größenordnung.“
 

„Ich kann aber kein Netz machen. Erstens gibt es hier kein Wassergras und zweitens ist das mit der Kraft immer noch im Argen. Ich will nicht wieder durchschlafen.“

Seufzend zog er das Hemd über den Kopf und wrang es ebenfalls aus. „Ich werde wieder Muscheln suchen. Die sind einigermaßen nahrhaft.“ Und nach einem kurzen Überlegen. „Man isst sie auch schneller. Dann kommen wir früher los!“ Warum auch immer er sich jetzt zufrieden fühlte, er hängte das Hemd über einen Ast, dann watete er wieder in den Bach. Zuerst mit den Zehen, dann mit den Händen suchte er im weichen Sand nach den harten, ovalen Schalen.
 

Nachdenklich betrachtete der Geflügelte sein Gegenüber. War Magie etwa so Kräfte zehrend? Vielleicht sollte er unauffällig darauf achten, dass dieser nicht mehr gezwungen war, seinetwegen so häufig Magie zu verwenden. Doch er ließ sich davon sicher nicht abhalten. Der Kerl tat sowieso nur das, was ihm gefiel.

Seine Gedanken vollführten einen Sprung. So wie der Magier durch den Uferschlamm watete, in dieser vornüber gebeugten Haltung, ab und zu Muscheln aufklaubend. Vielleicht sollte er helfen?

Ohne Hast entledigte er sich überzähliger Klamotten und tapste neben seinen Begleiter, begann ebenfalls nach Muscheln zu suchen.
 

Nur kurz hatte sich Dhaôma unterbrochen, als sich Mimoun der Suche angeschlossen hatte, dann arbeitete er weiter. Wenig später konnten sie essen. Muscheln, Nüsse, ein paar Eier, alles roh. Aber genug, um satt zu werden.

Danach legten sie die Rüstung an, packten alle Sachen zusammen und machten sich auf den Weg. Wie immer passte sich der Braunhaarige an das Tempo an, welches sein Schützling vorlegte, aber etwas hatte sich geändert. Es war weicher, das Gefühl zwischen ihnen. Zumindest kam ihm das so vor. Und das hob seine Laune um ein Vielfaches. Immer wieder kicherte er grundlos, häufig verlor er sich in Gedanken und sah nur noch die Blätter und Blumen der Bäume, die im Sonnenlicht leuchteten. Alle Stunde machten sie eine kurze Pause, um zu trinken. Es war kurz vor dem Ende ihrer heutigen Etappe, als Dhaôma unvermittelt stehen blieb. Ihm war ein Gedanke gekommen.

„Wenn du mal fliegen konntest, kannst du mir dann sagen, in welche Richtung das große Wasser liegt? Und wo die Wolfsberge sind? Und die Schlucht des Todes?“
 

Mimoun war die Veränderung seines Begleiters nicht verborgen geblieben. Wie ein fröhliches Kind streifte er durch die Wälder, mal neugierig, mal gedankenverloren. Es war eine friedliche Atmosphäre, fernab von Krieg und Gewalt. Er musste sich eingestehen, dass er die Situation, so wie sie nun war, als angenehm empfand. Wenn nur dieses verdammte Gestrüpp nicht wäre, fluchte er innerlich, als ein tief hängender Ast unvermittelt seine Wange streifte.

Als der Magier plötzlich anhielt, wäre der Geflügelte beinahe wieder in ihn hineingerannt, da er seine Gedanken schweifen ließ.

„Könntest du schnelle Stopps nicht vorher ansagen?“, erwiderte er, ohne auf die Frage einzugehen.
 

Dhaôma sah ihn an, dann kicherte er wieder. „Wenn ich gewusst hätte, dass ich stehen bleiben will, hätte ich es dir gesagt, aber ich glaube, das hab ich gar nicht bemerkt.“
 

Da konnte man doch einfach nur den Kopf schütteln, bei so viel Unbedarftheit.

Dann dachte er über die ihm gestellte Frage nach. „Das große Wasser und die Wolfsberge sind von oben gut zu sehen, da könnte ich dir weiterhelfen, aber das letzte sagt mir gar nichts. Ließe sich aber sicher in Erfahrung bringen, denke ich.“
 

„Und wo lang muss ich gehen, um dort hinzukommen?“, hakte der Braunhaarige nach. „Wenn ich in der großen Schlucht bin, wo ihr jagt, wo muss ich hin, um die Wolfsberge zu erreichen, und wo liegt dann das große Wasser?“ Es war zu schade, dass der Hanebito nichts über die Schlucht des Todes wusste, aber es in Erfahrung zu bringen, lag wohl nicht im Ermesslichen. Immerhin würde er nicht warten, dass der Hanebito zurückkam.
 

„Tja, Erdenbewohner.“, begann der Geflügelte hochnäsig, aber in einer Art und Weise, die die wahre Absicht preisgab. „Von hier unten sieht alles anders aus. Ich sehe zwischen dem ganzen Unkraut hier keine Sterne.“ Er ließ sich leicht nach vorne fallen. „Wo sind wir denn exakt? In welche Richtung wenden wir uns gerade? Selbst den Lauf der Sonne, kann man hier unten nur erahnen. Auf freier Ebene kann ich dir die Richtung genau zeigen.“
 

„Die Bäume zeigen dir den Weg.“, zuckte Dhaôma mit den Schultern. „Wie gehen nach Sonnenaufgang. Ein bisschen weiter nach Mittag hin, aber eigentlich ist es Sonnenaufgang.“ Er schloss die Augen. „Die generelle Richtung der Schlucht ist gen Blauer Mond. Dort fließt auch das Wasser hin, wenn welches da ist.“
 

Die Bäume? Dicht trat er an einen heran, schlich um ihn herum, aber Baum blieb für ihn Baum. Auch der daneben war nicht sonderlich aufschlussreich. Na ja, was sollte es. Er war halt in der Luft aufgewachsen.

Also mal überlegen...

„Wenn du von der Schlucht aus starten willst, liegen die Wolfsberge zwar am nächsten, doch in fast entgegengesetzter Richtung zum großen Wasser. Zum Wasser musst du dem Blauen Mond folgen. Für die Wolfsberge solltest du den jetzigen Kurs etwas mehr Richtung Mittag ändern.“ Noch einmal ging er in Gedanken diese Anweisungen durch. Doch. Die grobe Richtung stimmte. Mimoun nickte noch einmal zur Bekräftigung.
 

Also mehr gen Mittag. Gut, das zu wissen.

Mit einem entschiedenen Nicken setzte Dhaôma seinen Weg fort. Jetzt wusste er, wo die Berge lagen, da brauchte er sich keine Gedanken mehr darum zu machen, wie er sie finden sollte. Prompt wanderten seine Gedanken auch schon weiter zu dem schwierigen Problem, was sie zu Abend essen sollten.

„Was hältst du von Kürbis?“, wollte er wissen.
 

„Hab ich noch nie probiert.“, gestand der Gefragte offen. Da sie bei ihnen noch schlechter wuchsen als Obstbäume, waren diese Dinge sowieso Mangelware. „Warum?“
 

„Das essen wir zum Abendbrot. Allerdings brauchen wir dazu Feuer. Roher Kürbis ist ziemlich hart und unverdaulich.“ Und schon bückte er sich, um einen Stock aufzuheben.

Der Weg war nicht mehr weit und Dhaôma suchte Feuerholz, um danach nicht noch mal losgehen zu müssen. Schon sah man das Ende des Waldes durch die Bäume schimmern und sie hielten sich ein wenig mehr rechts. Die Wurzelhöhle lag gut versteckt, so dass man sie erst sehen konnte, wenn man schon mitten drin stand, aber Dhaôma war oft genug da gewesen, um sie auf Anhieb zu finden.

Ein paar Schritte entfernt ließ er das Feuerholz fallen und ging dann in die Höhle, um zu sehen, ob sich etwas verändert hatte, seit er das letzte Mal da gewesen war, aber alles zeigte sich unversehrt. Er lächelte. Sich aufrichtend blickte er über die weite Steppe, die sich vor der Höhle erstreckte. Hinter ihm der Wald, vor ihm baumloses Grasland.

„Siehst du, Hanebito. Wir haben es geschafft. Nur noch ein paar Stunden in diese Richtung da und du solltest deine Leute wieder finden können.“
 

Nur wenige Stunden entfernt waren seine Familie und sein Volk. Irgendwie erfüllten diese Worte ihn nicht ganz so mit Vorfreude und Erleichterung, wie sie sollten. Er freute sich schon, so war es ja nicht, doch gleichzeitig wusste er, dass er Dhaôma danach nie wieder zu Gesicht bekommen würde. Und diese Tatsache erfüllte ihn mit Traurigkeit. Gedankenverloren trat er einige Schritte auf die Ebene hinaus.

Mimoun wurde in dem Moment auch bewusst, dass, auch wenn die Sache mit seinem Flügel nicht gewesen wäre, er wohl nie wieder in den Krieg gegen die Magier zurückgekehrt wäre. Der Geflügelte konnte ihnen zwar nicht vergeben für dass, was sie getan hatten. Doch den Krieg weiterführen, führte zu nichts, dass hatte der Magier dem Geflügelten mehr als deutlich klar gemacht. Und er hatte ja auch Recht damit. Auch musste jemand den Anfang machen, da es sonst nie zu einem Ende kommen könnte. Doch Mimoun war nur ein kleines Licht. Ob er sich nun beteiligte oder nicht würde an der Gesamtsituation nichts ändern. Vielleicht war das mit dem Flügel gut so. So hatte er zumindest einen guten Grund, sich ab jetzt heraus halten zu können.
 

Inzwischen hatte es sich Dhaôma in den letzten Sonnenstrahlen bequem gemacht und aus seinem Beutel einen Samen gesucht. Endlich würde er wieder normale Magie einsetzen können, etwas, das er kontrollieren konnte! So eine Wohltat. Und es bestand ja auch nicht die Gefahr, dass er danach ein Klotz am Bein war, denn für diese Nacht konnte er sich ausruhen.

Zuerst waren es nur die Kreise auf seinen Handrücken, die leuchteten, dann kamen die verschlungenen Linien auf den Armen dazu, als er dem Samen Kraft gab. Eine Wurzel und ein Keim erschienen, erstere bohrte sich in die Erde, letzterer reckte sich seinen Händen entgegen. Mehr Blätter schälten sich aus kleinen Hüllen, wurden größer, Ranken wanden sich um seinen Fuß und mehr aus Spaß denn aus Nutzen gab Dhaôma ihnen eine ansprechende Form. Endlich öffneten sich die ersten Blüten und er trickste sie aus, indem er ihnen die Bestäubung verwehrte. Dennoch bildete sich bei zwei von ihnen eine große orangefarbene Frucht.

Spielerisch ließ der Junge sie wachsen, formte sie unten rund, oben ein wenig eingedellt, bis sie groß genug waren. Fast schon traurig ließ er die Magie schließlich versiegen. Vor ihm lag auf einer Fläche von vier Metern eine Kürbisranke mit zwei großen Früchten. Breit lächelnd ließ er sich zurückfallen, direkt auf die leicht stacheligen Blätter. Es störte ihn nicht, dass es ihn erschöpft hatte, das Gefühl zählte. Und er fühlte sich großartig.
 

Als das Sonnenlicht immer mehr schwand, wandte sich Mimoun wieder um und stand völlig unerwartet vor einem Rankenteppich.

„Himmel. Wenn ich bedenke, dass du die ganze Welt umgestalten könntest mit deinen Kräften.“ Er umging das Feld und setzte sich zu Dhaôma, betrachtete die Früchte. „Hier ’ne Blumenwiese, dort einen Wald sprießen lassen.“
 

Der Junge öffnete die Augen wieder und kicherte. „Lustig wäre das schon, aber es klappt wahrscheinlich nicht besonders gut. Diese Pflanze hier wird auch wieder welken, denn hier hat sie nicht genügend Wasser, um zu überleben.“ Er stemmte sich hoch und kramte in seinem Rucksack nach dem Messer. „Du hast ja selbst schon festgestellt, dass manche Pflanzen an bestimmten Orten wachsen, andere woanders. Ich übergehe diese Regel, wenn ich so was mache.“ Endlich fand er das Messer und begann damit an den Stielen herumzusäbeln, was eher weniger fruchtete. Vielleicht hatte er es übertrieben und der Stiel war schon verholzt. „Wenn man es genau bedenkt, ist das eigentlich nicht sehr freundlich. Ich benutze sie nur, danach lasse ich sie sterben.“ Die Worte kamen völlig ohne Wertung, ohne Gefühl. Es war nur so ein Gedanke.
 

„Ach so einer bist du. Nutzt andere also nur aus.“, grinste Mimoun. Wirklich böse meinte er es nicht. Als er sah, dass sich der Magier anscheinend vergeblich um die Früchte kümmerte, fing er mit seinen Fingernägeln bereits beim zweiten an. Auch wenn es etwas dauerte.
 

Dhaôma unterbrach sich irgendwann und beobachtete das fasziniert. Wenn er daran dachte, dass es bei ihm nur dafür gesorgt hätte, dass er sich die Fingernägel abgebrochen hätte, dann tat ihm das schon weh, aber den Hanebito schien das nicht zu kümmern.

Letztlich seufzte er. „Warte.“, murmelte er, legte seine Finger über die des Hanebito und aktivierte seine zweite Gabe. Die Zacken auf den Unterarmen leuchteten und schon verrottete der Stängel unter seiner Hand. Auch den zweiten Kürbis löste er so von seiner Mutterpflanze. „Hätte ich auch gleich machen können…“
 

Erschrocken zog Mimoun seine Finger zurück. Nicht die Berührung störte ihn, der Magier hatte ihn schon häufiger angefasst. Es war eher die Tatsache, wie der Stängel plötzlich verdorrte. Bisher kannte er nur die Fähigkeit wie der Magier Leben erschuf, und seien es nur Pflanzen. Er hatte zwar nun erfahren, dass die Pflanzen schnell starben, aber dass dieser die Pflanzen bewusst vernichten konnte, war ihm neu. Welche Fähigkeiten hatte der Magier noch, die der Geflügelte nicht kannte?
 

Letztlich stand Dhaôma auf. Ihm war das Zurückzucken entgangen. „Und jetzt? Wie tragen wir die Dinger zum Unterschlupf? Ich wette, die sind schwer.“ Kritisch klopfte er mit dem Fuß dagegen. Der Kürbis bewegte sich nicht einen Millimeter. „Vielleicht sollten wir das Feuer hier machen? Und ausnehmen müssen wir sie auch noch.“ Himmel, da hatte er sich aber ein aufwändiges Essen ausgesucht.
 

„Wäre der Stummel hier länger, beziehungsweise noch an der Ranke, könnte man die Dinger hinter sich herziehen.“, meinte er an den Stängel stupsend. Aber die Idee kam nun wohl etwas zu spät. „Dann werden wir halt hier essen müssen. Also. Was müssen wir jetzt machen?“
 

„Feuer.“, war die einfache Antwort und schon lief Dhaôma zu dem Ort, wo er all das Holz hatte fallen lassen. Es würde nicht reichen, aber für den Anfang war das okay. Als er zurückkam, leuchteten seine Augen vor Tatendrang. „Kannst du die Kürbisse aushöhlen? Kannst das Messer dafür nehmen.“

Klappernd fielen die Äste zu Boden und sein Finger fuhr einer imaginären Linie auf dem Kürbis nach. „Hier aufschneiden, alle Kerne rausholen, dann das Fleisch lösen, aber nicht rausholen.“ Und schon wuselte er weiter und suchte sich ein paar Steine, die er im Rund aufstellte, drei davon etwas höher platzierte er in der Mitte. Drumherum stapelte er das Holz und entfachte das Feuer.

„Ich bin noch mal weg.“, rief er, ohne innezuhalten.
 

Schon wieder war dieser Junge so voller Tatendrang und schien nicht wirklich still sitzen zu können. Aufseufzend begann sich der Geflügelte um die ihm aufgetragene Aufgabe zu kümmern. Aufschlitzen, Kerne entfernen, aushöhlen. Anfangs benutzte er das Messer, doch als es beim Aushöhlen matschig wurde, nutzte er die Fingernägel. Wenn dann richtig.

Auf Dhaômas Bemerkung hin nickte er nur, um sein Einverständnis anzuzeigen.
 

Wenig später war Dhaôma mit mehr Holz zurück. „Bist du fertig?“, wollte er schon von weitem wissen. Das Feuer war inzwischen das einzige Licht, aber es war eine für ihn ungewöhnlich schöne Atmosphäre. Er hatte auf dieser Ebene erst selten Feuer gemacht und sich dabei immer etwas verloren gefühlt, weil um ihn herum alles so weit und leer war. Aber jetzt, mit seinem Hanebito, war das Gefühl der Einsamkeit nicht da. Es kratzte ihn noch ein bisschen mehr auf.

„Du bist matschig!“, erklärte er ihm lachend, doch die Worte gingen in dem Geklapper des Holzes unter.
 

Die bis zu den Ellenbogen mit Matsch beschmierten Arme wurden in Dhaômas Richtung ausgestreckt.

„Stimmt doch gar nicht. So seh ich immer aus.“ Der Geflügelte erhob sich. „Gesichtsmaske gefällig? Ich weiß nicht, ob sie was bringt, aber einer muss das ja austesten.“
 

Der Junge sah ihn völlig entgeistert an. „Meinst du das ernst? Warum sollte man sich das ins Gesicht machen?“ Unwillkürlich wich er einen Schritt zurück.
 

„Keine Ahnung.“ Mimoun zuckte mit den Schultern. „Ich sagte ja: Wir müssen es austesten.“ Als er sah, wie der Magier zurückwich, trat er einen Schritt vor. Sein Gesicht hellte sich auf. „Tarnung. Du bist ja hier eigentlich gefährdet, wenn man uns von oben so gut sehen kann. Wir tarnen dich einfach als Kürbis.“ Ein weiterer Schritt.
 

„Nein!“ Kurz flackerte die Panik auf, dann trat er auf einen Zweig, der unter seinem Fuß zerbrach und ihn zum Stolpern brachte. Seine Augen weiteten sich, doch er konnte nicht viel machen. Er ließ sich fallen, hob einfach die Hände vor das Gesicht und wartete ab. Man konnte den Matsch ja abwaschen, nicht wahr?
 

Nach diesem fast entsetzten Schrei und dem Sturz blieb Mimoun ruckartig stehen. Schuldbewusst ließ er die Hände an seinen Seiten baumeln.

„Schon okay.“, murmelte er und wich wieder bis zum Kürbis zurück, setzte sich und schabte weiter. Wegen dem bisschen Matsche so ausflippen. Gut. Er würde halt einfach seine Arbeit beenden.
 

Dhaôma setzte sich nur langsam wieder auf. Seine Augen suchten den anderen. Hatte er sich das eingebildet oder hatte er tatsächlich enttäuscht geklungen? Aber jetzt saß er einfach da und arbeitete. Ganz ruhig. Was war das gewesen?

Ganz egal was, es hatte seine Hochstimmung zerstört. Niedergeschlagen hockte er sich vor das Feuer und stocherte darin herum. Das Gefühl, den Hanebito vor den Kopf gestoßen zu haben, nagte an ihm. Aber was hatte der damit bezweckt?

„Wozu muss man herausfinden, was Kürbis im Gesicht macht?“, fragte er schließlich, nachdem ihn die Frage nicht in Ruhe ließ.
 

„Du solltest dich häufiger unter deinesgleichen aufhalten und dich mit ihnen beschäftigen. Dann verstehst du vielleicht auch, warum man sich entschuldigt, wenn man geliebten Personen Kummer bereitet hat, und vielleicht auch, was Spaß bedeutet.“
 

Der Braunhaarige verharrte einige Zeit reglos, förmlich wie erstarrt, während er die Worte in seinem Kopf wieder und wieder durchging. Es dauerte nicht lange, bis er zu einem Schluss kam.

„Nein.“, erklärte er. „Wenn ich dafür nach Hause gehen soll, will ich es nicht lernen.“
 

„Sind deine Familienmitglieder die einzigen Magier? Ziemlich große Familie.“ Mimoun befand, dass das nun genug war und streifte sich überschüssigen Kürbismus von seinen Armen. „Habt ihr da eigentlich noch den Überblick, wer mit wem wie direkt verwandt ist?“
 

„Dafür gibt es Bücher.“, antwortete Dhaôma gelangweilt. „Und es interessiert mich nicht.“

Wieder begann seine Hand den Stecken zu führen, der die Glut verteilte und Funken fliegen ließ. Seine Augen sahen in die Flammen, doch er sah sie kaum. Innerlich wehrte er sich gegen die Erinnerungen an früher. Es waren keine schönen Erinnerungen. Es schnürte ihm das Herz zu, wenn er daran dachte, wie er immerzu alleine gewesen war, wie alle immer nur von Krieg, Kampf und Tod gesprochen hatten.
 

Der Junge schien nicht wirklich begriffen zu haben, worauf der Geflügelte eigentlich hinaus wollte. „War es dir tatsächlich komplett unmöglich außerhalb deiner Familie, aber innerhalb deines Volkes Freunde zu finden? Dass dich deine Familie abgelehnt hat, ist mir ja langsam klar geworden, aber dass du von deinem ganzen Volk so verraten wurdest, kann und will ich mir eigentlich nicht vorstellen.“, versuchte er es näher zu erklären.
 

Langsam schüttelte Dhaôma den Kopf. „Es schickt sich nicht für jemanden wie mich mit normalen Menschen zu sprechen.“, sagte er leise, als wäre damit alles erklärt.
 

„Okay…“, meinte Mimoun gedehnt. „Und das bedeutet was? Gibt es etwa auch Menschen ohne magische Fähigkeiten?“ Der Geflügelte hatte nie davon auch nur ein Gerücht gehört.
 

„Nein.“ Noch immer klang die Stimme dumpf und leblos. „Jeder kann Magie wirken.“ Kurz verstummte er. „Es gibt Klassen. Die führenden Familien, die Wohlständigen und die Arbeiter. Ich gehöre zu den arrogantesten von ihnen. Sie haben alle bestraft, die mit mir befreundet waren, dass sie mit mir gespielt haben. Irgendwann ist keiner mehr zurückgekommen.“
 

„Oh.“ Der Geflügelte senkte betreten den Kopf. „Es tut mir Leid. Das wusste ich nicht. Ich habe immer gedacht, dass du ein freies Leben führen und alles selbst entscheiden konntest.“ Mehr als penibel kratzte er den Matsch unter seinen Fingernägeln hervor. „Aber ich verstehe nicht... Ich meine, wenn sie dich für unfähig halten und du ihnen egal bist, warum haben sie dann deine Freunde vertrieben? Hätte ihnen das nicht auch egal sein müssen? Oder sind sie so arrogant?“ Abwehrend hob er die Hände. „Entschuldige. Ich frage zu viel. Du musst nicht antworten.“
 

Dhaôma dachte an das Gesicht seiner Mutter, als sie begreifen musste, dass es ihm nichts ausmachte, wenn sie ihn bestrafte, dass er dennoch mit den Kindern der Diener spielte. Diese Kälte hatte er niemals vergessen. Danach hatten sie alle bestraft, die sich ihm auch nur genähert hatten, bis er es aufgegeben hatte. Erstens wollten sie nichts mehr mit ihm zu tun haben, zweitens wollte er nicht, dass ihnen etwas passierte. So hatte er sich zurückgezogen, war tagelang im Garten gewesen, wo er sich wohl gefühlt hatte. Seine Mutter hatte gewusst, wo er war, aber dort war er aus dem Weg. Sie hatte es geduldet.

„Für sie ist es besser, wenn keiner weiß, dass jemand hoch Angesehenes wie sie einen so nutzlosen Sohn hat. Es schadet ihrem Ruf.“ Sein Rücken spannte sich, dann erhob er sich. Es fühlte sich hölzern an, als wäre er die Puppe von damals. Unwillkürlich schüttelte er sich, schüttelte all die Gedanken ab. „Hier im Wald kann ich keinen Schaden anrichten. Bist du fertig? Das Feuer ist soweit.“
 

„Natürlich.“ Auch der Geflügelte erhob sich. Dann lächelte er. „Du könntest im Wald schon großen Schaden anrichten.“, grinste er. Mimoun griff sich einen der Kürbisse und schleppte ihn näher zum Feuer. Auch wenn die Kerne nicht mehr im Gewicht enthalten waren, war es doch ein Kraftakt, nachdem er sich den rechten Arm hielt und das Gesicht verzog. Nicht nur, dass er versucht war, den Dienst zu quittieren, er schmerzte nun auch wieder heftig.
 

„Mach das nicht.“, tadelte Dhaôma unglücklich. „Du bist noch nicht gesund.“ Und weil er einsah, dass er es nicht alleine schaffen konnte, lächelte er ihn an. „Komm, wir machen das zusammen. Das Ding muss auf die Steine in die Glut.“
 

Das hatte Mimoun nun auch festgestellt. Und er hätte es sich auch denken können. Nach nur drei Wochen war ein Bruch noch lange nicht entsprechend ausgeheilt. Für diese Dummheit verdiente er die Schmerzen und er verkniff sich darum auch dumme Kommentare.

Gemeinsam wuchteten sie das Teil in die Mitte der Glut. Seufzend lehnte sich der Geflügelte zurück und ließ die rechte Schulter kreisen. „Warum kann Essen nie bereits fertig sein? Warum muss das immer so aufwändig sein?“ Vor seinem inneren Auge spielten sich noch einmal die Szenen mit den gefüllten und gegrillten Fischen ab. Unbewusst schüttelte es ihn.
 

Dhaôma lachte leise, sparte sich aber eine Antwort darauf, dass eben nicht alles zubereitet werden musste. War der Hanebito es nicht gewesen, der ihm gesagt hatte, dass sie nicht kochten? Stattdessen sammelte er aus dem zweiten Kürbis das Fruchtfleisch und tat es in den auf dem Feuer. Anschließend tat er noch Wasser drauf und dann hieß es warten und umrühren und warten.
 

Suchend glitt sein Blick über den Himmel. Von hier unten verdeckten sowohl Wolken als auch die schwebenden Inseln die Sicht auf die Sterne. Mimoun ließ sich zurücksinken und hielt den Blick nach oben gerichtet. Er hatte keine Erfahrung mit Kochen. Sollte Dhaôma ruhig mal machen.

Wieder glitten seine Gedanken zu den Erzählungen des Magiers. Heute schien es die Mutter nicht mehr zu interessieren, wo ihr Sohn sich herumtrieb. Warum hatte er sich nicht zu dem Zeitpunkt einen Freund unter seinesgleichen gesucht? Fernab ihres Einflussbereiches? Heimlich? Warum hatte er sich freiwillig der Einsamkeit preisgegeben?

Kurz schaute er zu dem Magier. Irgendwie konnte man die Rettungsaktion als Trotz ansehen. Wenn ich unter meinesgleichen nicht erwünscht bin, wende ich mich halt dem Feind zu. Mimoun grinste. An einer ganz tief in sich verborgenen Stelle war er Dhaômas Mutter für ihre Handlungen dankbar. Nur ein kleines bisschen. Doch das würde er dem Magier nie sagen.
 

Es dauerte ewig und weil der äußere Kürbis verbrannte, roch es nicht besonders gut. Irgendwann hatte Dhaôma angefangen, neu zu heizen und Kräuter in die Suppe zu tun. Als ihm kalt wurde, holte er die Decken, die er extra zu diesem Ort getragen hatte. Wenn er durch die Steppe wanderte, fror er nachts oft, da war eine Decke Gold wert. Jetzt bot er dem Hanebito eine an.

„Es dauert sicher nicht mehr lange.“, teilte er ihm mit.
 

Dieser lehnte die Decke dankend ab. Ihm war nicht im Mindesten kalt. Die Information bezüglich des Essens nahm er mit einem Nicken zur Kenntnis. Doch das lange Warten hatte erst seine Langeweile, dann seine Müdigkeit wachsen lassen. Um nicht wegzudämmern, erhob er sich und lief einige Schritte durch die Dunkelheit. „Ich muss mich nur bewegen.“, erklärte er kurz.
 

Achselzuckend setzte sich der Braunhaarige wieder vor das Feuer und rührte um. Inzwischen roch zumindest der Inhalt ziemlich lecker.

Aus den Deckeln – soweit sie noch vorhanden waren – machte er Einwegschalen, dann beschloss er, dass die Suppe fertig war. Mit einem grob geschnitzten Löffel füllte er beide Schalen, bevor er den Geflügelten heran rief. Auffordernd hielt er diesem eine der Schalen hin.
 

Mimoun kam auch sofort und nahm die Schüssel entgegen. Nachdenklich starrte er die dampfende Flüssigkeit an, schwenkte sie kurz. Sie roch schon so seltsam.

Zögerlich probierte er einen Schluck und verbrannte sich auch prompt die Zunge. Die Zunge in die milde Nachtluft gestreckt, das Gesicht verkniffen, beäugte er das Zeug noch einmal. Gut. Es kam direkt vom Feuer. Er hätte es sich ja auch denken können. Nun vorsichtiger nahm er dem nächsten Schluck. Es traf nicht so ganz seinen Geschmack. Aber besser als mit leerem Magen schlafen zu müssen.
 

Dhaôma unterdrückte ein Schmunzeln und eine Belehrung, bevor er selbst zu essen begann. Wenn er so darüber nachdachte, hätte er vielleicht Salz von Zuhause mitnehmen sollen. Gerade weil er jetzt sehr lange keines mehr schmecken würde. Aber was geschehen war, war geschehen, da half kein Jammern.

Danach zog er sich auf einen Baum in der Nähe zurück und schlief. Sie hatten verabredet, dass sie am Morgen sehr früh losgehen wollten. Das Frühstück würde kalte Kürbissuppe sein.
 

Auch Mimoun zog sich nach dem Essen zum Schlafen zurück. Doch er wählte die freie Fläche. Es tat gut, mal nicht von Bäumen, Höhlen oder anderem eingeengt zu werden. Noch lange lauschte er dem letzten Knacken in der Glut, die noch immer vor sich hinschwelte.



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