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Es führt mich in die Dunkelheit

Die blutige Entscheidung
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Teilweise haben auch andere Leute aus dem Larp hier Fanfictions veröffentlicht, die meine Geschichte ergänzen könnten, schaut dazu doch mal bei den Geschichten von Lyonesse, Lucius_A_Malfoy, Himmelslied oder Alyon vorbei! Komplett anzeigen

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Der sprechende Hut

"Black, Regulus!", wurde ich aufgerufen. Mit vor Aufregung pochendem Herzen entfernte ich mich von den anderen wartenden Erstklässlern und ging auf den Stuhl mit dem sprechenden Hut zu. Ich wusste, in welchem Haus meine Eltern mich gerne sehen würden und auf der Zugfahrt nach Hogwarts hatte mein großer Bruder mit seinen neuen Freunden versucht, mich von Gryffindor zu überzeugen.

"Ah, wieder ein Black!", säuselte die Stimme des Hutes auf meinem Kopf. Oder vielmehr in meinem Kopf?

"Normalerweise gehören Miglieder deiner altehrwürdigen Familie ohne Zweifel nach Slytherin...", rekapitulierte er weiter. "Ja!", antwortete ich hastig. "Aber möchtest du denn nicht mit deinem Bruder in einem Haus sein?", fragte er stichelnd. "Schon, aber..." Ich wand mich unruhig unter dem großen, schweren Hut, der mein ängstliches Gesicht vor den gaffenden Blicken der anderen Schüler abschirmte.

"Huh, bei deinen Eltern war es eindeutiger und auch bei Sirius hätte ich keinen Augenblick gezögert, wenn er nicht so trotzig gewesen wäre! Bei dir aber, Regulus... Deine Eltern haben sich sicher Gedanken bei der Namensgebung gemacht! Ich sehe das Herz eines kleinen Löwen in dir!", murmelte die Stimme des alten Hutes weiter.

"Aber ich will meine Eltern nicht enttäuschen!", entgegnete ich. "Oh, traditionsbewusst und du würdest alles für deine Familie tun! Da bleibt nur eins... SLYTHERIN!"

Verfluchter Quaffel

Es hätte ein legendäres Quidditch-Spiel für die Slytherins werden können. Wie immer hatte sich die Stimmung zwischen Gryffindor und Slytherin schon Tage vor dem Spiel angeheizt, man konnte als Mitglied der einen Mannschaft kaum allein in den Gängen von Hogwarts herumlaufen ohne ein wenig Angst haben zu müssen. Die Spottlieder der Gryffindors hallten durch die Gänge, bis selbst diejenigen, die sich nicht für Quidditch interessierten, ziemlich genervt waren. Zumindest wirkte Severus Snape auf mich so, denn er war gerade in der Nähe, als Evan Rosier mit mir die endgültigen Strategien durchging. Er sollte unsere Mannschaftskapitänin, Emma Vanity, vertreten, die nach dem letzten Training verschwunden war.

Dass Gryffindor und Slytherin erbitterte Konkurrenten waren, war tief in der Geschichte von Hogwarts verankert und jede Generation von Schülern schien es sich vorzunehmen, diese Tradition zu wahren, egal, wie dumm sie war und wie sehr einige Lehrer sich dafür einsetzten, die Wogen zu glätten und lediglich eine gesunde und Leistungen anspornende Rivalität zwischen den Häusern zu pflegen. Vergebliche Liebesmüh. Meine ganze Familie war bis auf wenige Ausnahmen immer in Slytherin gewesen und dass mein großer Bruder Sirius in Gryffindor gelandet war und dort Freunde gefunden hatte, die ihn in seiner Rebellion gegen unsere Eltern bestärkten, unterstrich für mich die Unversöhnlichkeit der beiden Häuser. Selbst, wenn einige Antipathien eindeutig aus Vorurteilen entsprangen. Vorurteile, die mein Bruder allzu gerne nährte, indem er unsere Eltern als schlimme Schwarzmagier darstellte.

Gut, dass Sirius nicht in die Quidditch-Mannschaft gekommen war! So musste ich ihm im Spiel nie direkt gegenübertreten und unsere Familienangelegenheiten konnten mich weniger ablenken. Je näher das Spiel rückte, desto nervöser wurde ich selbst. Die Gryffindor-Mannschaft war ohne Zweifel gut. Wenn wir besser sein wollten, mussten wir uns echt anstrengend! Ich wusste, dass Devon Avery und Evan Rosier darunter verstanden, möglichst viel zu foulen ohne erwischt zu werden. Fouls kamen immer auch in der professionellen Liga vor und bei erbitterten Rivalen erwartete das Publikum geradezu, dass einige Spieler sich untereinander auf spektakuläre Art verletzten. Ich hatte nur einmal gewagt, anzumerken, dass ich es unsportlich fand, wenn so etwas zu weit ging. Hier ging es um keine Weltmeisterschaft, sondern „nur“ um eine schulinterne Meisterschaft! Natürlich konnte man das Glück haben, bereits in Hogwarts als Talent entdeckt zu werden und Angebote von einer Mannschaft zu bekommen. Meistens gab es bereits vor einem Spiel Gerüchte, wenn ein Talentsucher kommen würde und das war diesmal nicht der Fall.

Stattdessen erreichten uns Gerüchte, Potter würde nicht nur um Hauspunkte, sondern auch für ein Date mit diesem Schlammblut Evans spielen. Als ob mich seine Liebesgeschichten interessieren würden! Bis ich auf das Spielfeld hinaustrat, hielt ich die Warnungen meiner Mitspieler vor Potter für übertrieben.

Das Stadion bebte regelrecht und es war nahezu unmöglich, die Ansprache und den Anpfiff der Schiedsrichterin zu hören. Ich versuchte, die Unruhe so weit wie möglich auszublenden und mich auf den Schnatz zu konzentrieren. Je schneller ich ihn fing, desto weniger würden die beiden Mannschaften sich die Köpfe einschlagen können!

Tatsächlich erblickte ich bereits nach kaum einer Minute einen goldenen Schimmer schräg unter mir, der im Zickzack auf die Gryffindor-Torkörbe zuflog. Ohne nachzudenken, jagte ich ihm nach. Es dauerte nicht lange, bis der Spielkommentator auf meine Aktion aufmerksam wurde. Ich wich einem Klatscher aus, indem ich den Kopf einzog ohne jedoch auch nur einen Millimeter von meinem Kurs abzuweichen. Ich hatte mich nicht geirrt, vor mir war der Schnatz! Ich musste nur noch den Arm ausstrecken, dann…

Traf mich ein Quaffel ins Gesicht. Ich registrierte erst nicht einmal, was genau passiert war, ich hielt mich nur krampfhaft an meinem Besen fest, um nicht abzustürzen. Ich streifte einen Gryffindor-Spieler, der noch jubelnd lachte. Potter. Dieser Mistkerl!

Mit schmerzhaft pochendem Kopf floh ich aus der Reichweite der Gryffindor-Spieler. Der Schnatz war fort. Mein linkes Auge schwoll halb zu und ich spürte warmes Blut aus meiner Nase laufen und von meinem Kinn tropfen. Immerhin war ich nicht vom Besen gefallen und aus dem Spiel ausgeschieden! Ich gab Rosier ein Zeichen, dass ich mich kurz weiter nach oben und an den Rand des Spielfeldes zurückziehen würde, bis ich wieder richtig einsatzbereit war. Er nickte. Als ich Avery passierte, hörte ich, wie er seine Fingerknöchel knacken ließ.

Wenig später hatte ein Klatscher den Sucher von Gryffindor ausgeschaltet und Avery war dafür verwarnt worden. Die Gryffindors rächten sich, indem sie unsere Hüterin Lucinda Talkalot vom Besen fegten. Jetzt hatten die beiden Jäger von Gryffindor leichteres Spiel, voran Potter, der ein Tor nach dem anderen erzielte. Unsere Jäger hatten es hingegen offensichtlich schwer, Bälle an Aubrey vorbei zu bekommen.

Mir war etwas schlecht, ich musste eine Gehirnerschütterung haben, die ich erst nach dem Spiel heilen lassen konnte. Ich würde das Team sicher nicht im Stich lassen! Allmählich wurde es vom Punktestand echt eng für uns. Potter würde es uns ewig unter die Nase reiben, wenn wir jetzt verlören, wo ich beinahe den Schnatz direkt gefangen hätte! Fieberhaft suchte ich von oben das Spielfeld ab, traute mich sogar wieder näher an das Spielgeschehen heran. Wenn die Gryffindors mehr als 150 Punkte Vorsprung hätten, würde meinem Team der Schnatz auch nicht mehr zum Sieg verhelfen!

Doch die Hoffnung auf einen Sieg schmolz mit jedem weiteren Tor dahin und die Spottparolen klangen immer lauter in meinen Ohren. War das Sirius Stimme plötzlich am Megaphon? Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Avery einen Klatscher zum Zuschauerraum schleuderte. Mein Bruder duckte sich, aber es traf seinen unauffälligen Freund. Pettigrew oder so.

Super, nun hatten wir noch einen Spieler weniger! Jetzt blieb mir nur, den Schnatz zu fangen, bevor Gryffindor den Vorsprung so ausbaute, dass auch die anderen Häuser keine Chance mehr hätten. Das wäre eine echt langweilige Saison! Ich strengte meine Augen an, bis ich schon fast halluzinierte, immer wieder irgendwo was Glänzendes zu sehen, was der Schnatz sein könnte. Ich traute meinen Augen kaum, als er mir bei einer Runde, die ich über die anderen Spieler hinweg schwebte, regelrecht in die Arme flog. Reflexartig griff ich nach dem kleinen geflügelten Ball und blickte ihn ungläubig an. Dann riss ich den Arm in die Luft, bis sowohl die Schiedsrichterin als auch der Kommentator auf mich aufmerksam wurden. Das Spiel war vorbei.

Am liebsten hätte ich mich einfach vom Besen fallen gelassen, so kaputt fühlte ich mich. Ich blinzelte zu der Anzeigetafel. 170:190? „Black hat den Schnatz gefangen! 150 zu 190 für Gryffindor, Gryffindor gewinnt!“, wurde ich von der Durchsage verbessert. Mist. Ich hatte mich noch nie so wenig gefreut, den Schnatz gefangen zu haben.

Kaum hatte ich wieder festen Boden unter den Füßen, wurde ich von Madame Pomfrey betreut. Da ich mich am liebsten irgendwo verkrochen hätte, war es mir gar nicht recht, wie einfach es mit Magie war, eine einfache Gehirnerschütterung zum Verschwinden zu bringen. Die Slytherins fluchten, aber ich hörte kaum zu. Potter hätte nach dem Foul an mir aus dem Spiel ausgeschlossen werden sollen. Das eine Tor, dass Rosier wohl knapp nach einem Abpfiff geschossen hatte, hätte anerkannt werden können. Und vor allem: Warum zur Hölle sollten wir mit den siegestrunkenen Gryffindors zusammen Abendessen und feiern?! Das konnte doch nur zu weiterem Streit führen!

Tat es auch. Ich weiß nicht mehr genau, was ich gesagt hatte oder was Potter gesagt hatte, dass ich so wütend wurde, aber plötzlich flogen die Fäuste zwischen uns und wir rollten über den Boden. Mein Arm war schmerzhaft auf den Stein aufgeschlagen, jemand packte mich am Umhang und zog mich von Potter weg. Auf der anderen Seite, etwas am Rand stehend, fiel mir Sirius Gesicht auf. Natürlich stand er eher hinter seinem besten Freund als zu mir. Dabei hatte die ganze Schule das Foul gesehen!

Zu meinem Groll wegen dem verlorenen Quidditch-Spiel mischte sich bodenloser Hass gegen James Potter, den ich mit dafür verantwortlich machte, dass das Verhältnis von meinem großen Bruder zu seiner Familie immer schlechter wurde. Ehe die Situation weiter eskalieren konnte, gellte McGonagalls Stimme gebieterisch durch die Halle und wir Streithähne verstummten. Schnell erklärte Florence Sinclair ihr die Situation – Potter hatte betrunken rumgepöbelt und war dann auf den armen kleinen Sucher losgegangen. Ich jammerte mitleiderregend und ließ mich stützen. Ich musste mich zusammenreißen, meine Genugtuung nicht sofort zu offen zu zeigen, als die Hauslehrerin von Gryffindor streng wie sie war drohte, Potter für sein aggressives Verhalten mindestens für das nächste Spiel zu sperren. Gegen Hufflepuff. Immerhin. Ein Dämpfer für dieses elende Großmaul!

Geheime Briefe

Potter mochte seine gerechte Strafe nach der Schlägerei bekommen haben, aber ich hatte mir von Professor Slughorn auch eine kleine wohlwollende Predigt anhören müssen, bevor ich zu Bett gehen durfte. Ich wich den unangenehmen Fragen zu meiner Familie so gut es ging aus. Wie konnte ein Lehrer nur immer so neugierig sein? Und warum löcherte er mich, wann mein Bruder mal der Einladung zum Slug Club folgen würde? Es fiel mir schwer, höflich zu bleiben und nicht völlig genervt die Flucht zu ergreifen.

Nach unruhigem Schlaf blätterte ich lustlos im Tagespropheten, während ich aß und auf meine Post wartete. Meine Eltern schafften es irgendwie immer, sich über das meiste schnell informieren zu lassen, was mir in Hogwarts geschah und ich war nicht erpicht darauf, Kommentare zu meiner Niederlage zu bekommen. Vaters Brief verfolgte jedoch andere Interessen: Er machte mir deutlich, dass er nicht mehr lange seiner Frau Einhalt gebieten würde, um Sirius weitere Chancen einzuräumen. Wenn ich meinen älteren Bruder in der Familie behalten wollte, solle ich mich ein letztes Mal darum bemühen, ihn zu Vernunft zu bringen, auf dass er sich vor allem mit Mutter aussöhne. Ich nahm mir für diese Woche fest vor, meinem Bruder zu beweisen, dass die Familie Black längst nicht so schlimm war, wie Sirius es gerne unter den Gryffindors verbreitete. Ja, Mutter konnte sehr aufbrausend werden, das musste ich eingestehen. Sirius forderte es jedoch immer absichtlich heraus, da war ich mir sicher. Mutter war nicht der Typ, der Verständnis für jugendliche Rebellion und jugendlichen Leichtsinn aufbrachte, erst recht nicht, wenn es sich direkt gegen sie richtete. Ach, wie sollte ich diese beiden Streithähne dazu bringen, einander wenigstens mal zuzuhören?

Zufälligerweise hatte ich Sirius für heute eh einen Brief geschrieben. Hauptsächlich warf ich ihm vor, dass er seinen Frust meistens an unserem armen Hauselfen Kracher ausließ und ich bat ihn, das in Zukunft zu unterlassen. Da ich der Meinung war, dass unsere Familienangelegenheiten kaum jemanden außerhalb der Familie etwas angingen, hatte ich meinen Brief durch unsichtbare Runen verflucht, auf das jeder, der unbefugt mitlas, eine rot anschwellende Nase bekam. Ich schielte verstohlen zum Tisch der Gryffindors. Ich hatte ja damit gerechnet, dass Potter den Fluch abbekommen würde, es bereitete mir jedoch diebisches Vergnügen, als auch der Vertrauensschüler Lupin sich plötzlich den Ärmel vor die Nase hielt und gemeinsam mit Potter die große Halle verließ. Selbst schuld, wenn man das Briefgeheimnis nicht achtete!

Ich wollte gerade meinen zweiten Brief öffnen, als ich die Unruhe unter den anderen Slytherins bemerkte. Einer hatte einen Brief bekommen, der auf den ersten Blick ein echt schlechter und sicher nicht ernst gemeinter Liebesbrief war. Man riet ihm, ihn wegzuwerfen. Doch dann fiel ein anderer ungewöhnlicher Brief auf, der lediglich aus einem löchrigen Papier bestand. „Meine Cousine Bella und ich haben uns mal so geheime Botschaften geschrieben, erst kam ein normaler Brief und im nächsten Umschlag war der Schlüssel und wenn man das Papier passend angelegt hat, konnte man nur noch die eigentlich wichtigen Wörter lesen, die eine ganz andere Botschaft ergeben konnten…“ Ja, das war ein lustiges Spielchen gewesen. Tatsächlich schien Bellatrix der Jungsclique im Jahrgang über mir auf diesem Weg eine geheime Botschaft zugeschickt zu haben! Da die Briefe in diesem Schuljahr alle auf verdächtige Inhalte geprüft wurden… Was wollte sie von Hogwarts-Schülern?

Leider hörte ich nur Bruchstücke, was Rosier mit den anderen leise besprach. Ich ahnte, dass die Todesser etwas vorhatten und dazu passte, dass die Schüler, die sich nach der Schule den Todessern anschließen wollten, sich beweisen sollten. Ich fragte mich, wie Bellatrix so etwas hier an der Schule unauffällig überprüfen wollte. Es ging wohl darum, einen Kelch zu beschaffen. Ein schwarzmagischer Gegenstand? Ein Bestandteil eines mächtigen Rituals? Vielleicht war es das Beste, wenn ich mich da raushielt, zumal der Brief sich nicht an mich richtete.

Mir hatte Narcissa noch geschrieben, dass sie sich nun mit Lucius Malfoy verlobt hatte. Eine ehrenvolle Verbindung, ich freute mich aufrichtig für sie und verkündete diese frohe Botschaft den anderen Reinblütern am Tisch. Mit Cissy hatte ich mich immer am besten verstanden. Sie war weniger aufbrausend als meine Mutter oder ihre Schwester Bella und ähnlich wie ich war sie bereit, viele Kompromisse einzugehen, um den Frieden innerhalb der Familie zu wahren, egal wie viel sie dafür selbst zurückstecken musste. Sie hatte den typischen Stolz der Familie Black und hatte sich zugleich etwas Warmherziges bewahrt, das mich immer beruhigte und freute. Gewissermaßen war sie neben meinem Vater das größte Vorbild für mich. Und sie war eine der wenigen, die Bellatrix tatsächlich dämpfen konnte, wenn sie einen ihrer berüchtigten Wutausbrüche hatte.

Immer, wenn gerade kein Unterricht war, zogen sich Evan Rosier, Florence Sinclair und Severus Snape zurück, offenbar um mehr über den Kelch, den sie Bella beschaffen sollten, in Erfahrung zu bringen. Es mag sein, dass hin und wieder ein weiterer Slytherin bei der Recherche half. Als ich jedoch hörte, dass der Kelch etwas mit Blutmagie und Opferritualen zu tun haben musste, wurde ich ein wenig unruhig. Ich kannte meine Cousine gut genug, um zu wissen, dass Sirius bei ihr nicht maßlos übertrieb, wenn er sie als verrückt mit einem Hang zur Blutrünstigkeit gegen Muggel und Schlammblüter beschimpfte. Wir waren doch hier in Hogwarts, ich hatte mich hier immer sicher gefühlt, natürlich spielten einige Schüler den anderen Streiche, manche dieser Streiche mochten sogar bösartig sein, beim Quidditch konnte es zu gefährlichen Fouls kommen, aber normalerweise schwebte man als Schüler nicht dauerhaft in der Gefahr, als Blutopfer missbraucht zu werden! Was, wenn wirklich von ihnen verlangt wurde, ein Schlammblut zu…? Ich mochte den Satz nicht zu Ende denken. Ich fühlte mich als Mitglied der alten und ehrwürdigen Familie Black als was Besseres, aber das hieß nicht, dass ich Muggelgeborene auf den Tod nicht ausstehen würde und ihnen gleich das Schlimmste wünschte!

Ich behielt meine Bedenken für mich und beobachtete meine Mitschüler genauer. Severus Snape war ein Halbblut, das wusste ich. Sehr talentiert, viele hielten seine eigenbrötlerische Art für etwas gruselig, er hielt sich sehr bedeckt und Potter hegte eine persönliche Fehde gegen ihn. Das erste Mal achtete ich darauf, dass Severus im Unterricht kaum eine Gelegenheit ungenutzt ließ, mit dem Gryffindor-Mädchen Lily Evans was zusammen zu machen. Sie schienen sich schon länger zu kennen und konkurrierten als Streber ohne dass es zu fiesen Wortgefechten kam, wenn der eine dem anderen Hauspunkte vor der Nase wegschnappte. Er konnte nicht allzu sehr etwas gegen Schlammblüter haben, oder?

In der Familie Black wurde außerhalb der Schule Legelimentik und Okklumentik früh gelernt. Es war gut, die Gedanken von Gegnern lesen zu können, ohne seine eigenen Gedanken dabei leichtfertig preiszugeben. Als kein Lehrer in der Nähe war, konzentrierte ich mich darauf, in Severus Gedankenwelt einzudringen. Ohne Erfolg. Das überraschte mich sehr. Woher konnte er das gelernt haben? Oder war es ein weiteres Talent? Er drehte sich mit zu Schlitzen verengten Augen zu mir um. Er hatte es bemerkt, er musste was über Okklumentik wissen! Unruhig trat ich von einem Fuß auf den anderen und räusperte mich.

„Tschuldigung.“ Ich sah mich im Gang um und trat einen Schritt auf Severus zu, um ihm dann zuzuflüstern: „Ich weiß nicht, was genau Bella euch geschrieben hat oder was sie von euch will. Nimm dich vor ihr in Acht, besonders, wenn es um deine Einstellung zu… Schlammblütern geht. Lass sie nie in deine Gedanken schauen. Sie wird deine Schwächen schamlos ausnutzen.“ Langsam nickte der ältere Schüler, ich nahm es einfach als Dank. Hoffentlich blieb Severus auch darüber verschwiegen, dass ich diese kleine Warnung ausgesprochen hatte! Sonst würde Bella mir noch an die Gurgel springen, bei ihrem Temperament und so schnell, wie sie beleidigt sein konnte. Nun, wenn Severus mir aus diesen Worten allerdings einen Strick drehen würde, würden sich Bellas Worte bestätigen, dass man niemals jemandem einfach so vertrauen sollte.

Wenn Severus mich als Verbündeten nicht wollte, würde ich dem Halbblut auch keine Träne nachweinen. Im Gegensatz zu Mitgliedern meiner eigenen Familie gab ich anderen, die mich enttäuschten, sehr selten eine zweite Chance, sich wieder mit mir gut zu stellen. Ein Black hatte es nicht nötig, anderen hinterher zu rennen und um Aufmerksamkeit zu buhlen. Wir waren eine anerkannte Familie, wir hatten die Geschicke der Zaubererwelt in England seit Jahrhunderten immer mit beeinflussen können, wir hatten unsere Kontakte und in der Regel waren wir es gewohnt, dass man sich um unsere Gunst bemühte. Selbst diejenigen, die wir als Blutsverräter aus dem Stammbaum strichen, wurden meist vom Rest der Gesellschaft noch aufgrund ihrer Talente und ihres Wissens geschätzt, weshalb ich mir um meinen Bruder keine allzu großen Sorgen machen bräuchte, sollte es mit ihm so weit kommen.

Da ich viele Hausaufgaben machen musste und mich nebenbei privaten Studien widmete, gelang es mir gut, die Angelegenheit mit Bella und dem Kelch zu verdrängen. Daher überraschte es mich ziemlich, dass mein Bruder Sirius mich nach dem Slug Club abfing, um mit mir zu reden. Er sah aus, als wäre er in eine ernste Prügelei verwickelt worden. Ich fragte nach, wer ihn so zugerichtet habe, doch er winkte ab und zog mich in einen leereren Gang. „Weißt du was von einem Kelch?“ Ich blinzelte und spürte, wie mein Herz kurz aussetzte, nur um dann wie ein Vogel im Käfig zu flattern. Ich wusste, dass mein Mund dumm offen stand und ich sah in den grauen Augen meines Bruders, dass meine Sprachlosigkeit mich schon verriet. Leugnen konnte ich nicht mehr. „N-nicht viel, also, nur… Bella hatte einen verschlüsselten Brief…“ Ich sah auf den Schnitt an Sirius Wange und fragte mich, ob Bellatrix etwas mit seinen Verletzungen zu tun hatte. Hatte Sirius sich vom sicheren Schulgelände entfernt? Sie konnte ja wohl kaum einen Weg hinein gefunden haben! Nervös knetete ich meine Hände.

Sirius packte mich fest am Arm und ich erwartete, dass er mich kräftig durchschütteln wollte. Doch er schien es sich anders zu überlegen. „Schüler sind in Gefahr, Regulus! Besonders Muggelgeborene! Du kennst Bella… Möchtest du wirklich, dass jemand stirbt, weil du weggesehen hast?“ Nein, nein, natürlich nicht, hätte ich am liebsten geschrien, doch kein Laut kam über meine Lippen. Ich starrte Sirius an und grübelte fieberhaft. Wenn ich petzte und jemand das herausfand, was wäre dann mit mir? Bella würde mich nicht davonkommen lassen. Vater hatte bereits ein etwas schwieriges Verhältnis zu den Todessern, da er selbst kein dunkles Mal wollte. Wenn sich auch noch sein zweiter Sohn allzu offen gegen sie stellte…

Der Griff meines Bruders verstärkte sich um meinen Oberarm. Ganz leicht schüttelte ich den Kopf. Ich fühlte mich unglaublich schwach. „Wenn ich mehr herausfinden sollte… gebe ich dir vielleicht ein unauffälliges Zeichen. Pass bitte auf dich auf. Misch dich nicht ein, wenn es zu gefährlich wird! Und… könntest du dir im Gegenzug… vielleicht überlegen… ein bisschen weniger schlecht über deine Familie zu denken? Über mich?“ Ich wusste nicht, ob Sirius alles verstanden hatte, was ich stammelte. Immerhin ließ er mich los und gab mir noch einen geradezu freundschaftlichen Klaps auf den Rücken, bevor er verschwand. Nachdenklich rieb ich mir den Oberarm und fragte mich, warum mein Bruder nur unter solchen Umständen mit mir sprach.

„Was wollte dein Bruder von dir?“ Ich zuckte zusammen und sah zu Rosier auf. „Ach… nichts. Ist mal wieder in ne Prügelei oder so verwickelt worden und schien zu denken, ich hätte jemanden gegen ihn aufgehetzt.“ Ich war ein wenig über mich selbst überrascht, wie schnell und einfach mir diese Lüge über die Lippen kam. „Was könnte er sonst von mir wollen?“ Ich war mir nicht sicher, ob die Neugier in meiner Stimme überzeugend genug war. „Mach dir nicht zu viele Gedanken, Kleiner.“ Ich nickte einfach mal.

Bald wurde mir klar, dass Rosier mich wohl im Auge behalten wollte, denn er rief mich mehr als sonst zu seiner Clique dazu. Also beteiligte ich mich ein wenig daran, die Inschrift auf dem Obelisken inmitten eines alten keltischen Steinkreises zu entziffern, den sie am Rande des Geländes gefunden hatten und wo sie den Kelch vermuteten. Die Schrift war mir unbekannt und wir fanden in der Bibliothek kein Buch, das diese Schriftart komplett behandelte. Mit den Hinweisen sollte es jedoch möglich sein, den Text zu entschlüsseln. Wir beschäftigten uns natürlich nicht nur mit dem Auftrag. In Hogwarts gab es genug zu tun und Professor Slughorn hatte zusätzliche Hauspunkte versprochen, wenn wir ihm sämtliche Zaubertrankzutaten beschafften, die er auf einer Liste notiert hatte. Die Pflanzen und Käfer sollten auf dem Gelände und am Rande des verbotenen Waldes zu finden sein. Auf diesem Spaziergang fühlte ich mich deutlich wohler, bis wir am Waldrand verdächtiges Knacken hörten und Severus, der als letzter ging, plötzlich verschwunden war.

Der verbotene Wald war nicht umsonst verboten, doch am helllichten Tag sollte sich am Waldrand kein gefährliches Wesen aufhalten! Gefährliche fleischfressende Schlingpflanzen befanden sich hier auch nicht. „Severus?“, riefen wir, erhielten jedoch keine Antwort. „Hey, das ist nicht witzig!“ Eigentlich war Severus nicht für dumme Streiche und alberne Scherze bekannt. „Wir bleiben zusammen und holen einen Lehrer.“, bestimmte unser Vertrauensschüler, als wir Schleifspuren entdeckten, die weiter in den Wald hinein führten. „Merkt euch die Stelle!“ Jede Minute, die verstrich, während wir auf das Schulgebäude zueilten, um einen Lehrer zu finden, machte ich mir größere Sorgen. Vielleicht hatte Sirius Recht und es ging mehr Dunkles in Hogwarts vor sich, als ich ahnen konnte. Womöglich waren wir tatsächlich alle in Gefahr und Sirius übertrieb ausnahmsweise nicht, nur weil Bella aufgetaucht war! Ich malte mir aus, was ich für Todesängste an Severus Stelle ertragen müsste, wäre ich derjenige gewesen, der von etwas Unbekanntem in den Wald verschleppt worden wäre. Hoffentlich konnten wir ihn retten!

Egal, wie dringlich eine Angelegenheit war, Professor Slughorn konnte sich nur behäbig fortbewegen. Normalerweise mochte ich unseren Hauslehrer trotz seiner exzentrischen Art, jetzt hätte ich ihn allerdings am liebsten geschoben und ihm vom übermäßigen Verzehr kandierter Früchte für den Rest seines Lebens abgeraten. Mit Mühe verkniff ich mir unangebrachte Sprüche. Florence und Evan Rosier drängelten genug, bis wir die Stelle mit den Schleifspuren wieder erreichten und ihnen nun gemeinsam mit dem Professor folgten. Mit gezückten Zauberstäben schlichen wir zwischen den Bäumen entlang, bis die Spur einfach endete. Wir suchten den Waldboden in einem Umkreis weniger Meter ab, ob die Spur sich woanders fortsetzte. Wir sahen hoch in die Baumkronen, ob dort etwas mit dem Schüler hochgeklettert sein könnte. Ich lief zu der Stelle, wo die Spur aufhörte, um nachzusehen, ob dort noch irgendein Hinweis zu sehen war. Und stolperte über etwas. „Hier… ich glaube, hier liegt jemand?“, sagte ich und tastete das unsichtbare Hindernis hab und zog schließlich einen Umhang von dem dort stocksteif liegenden Severus. „Finite“, beendete Professor Slughorn den Klammerfluch, der Severus gefangen hielt. „Diesen Unsichtbarkeitsumhang nehme ich an mich.“ Severus erzählte, dass die sogenannten Rumtreiber, also voran Potter und Sirius, ihn im Wald überfallen hatten, als er von der Gruppe zurückgefallen war. Er sagte es zwar nicht in Gegenwart des Lehrers, aber die Blicke unter uns Schülern waren vielsagend. Sicher hatten sie versucht, Severus auszufragen. Und dann hatten sie ihren Erzfeind bewegungsunfähig im Wald unter dem Tarnumhang versteckt und waren einfach weggegangen, ohne darüber nachzudenken, was passieren könnte, wenn er nicht so schnell entdeckt worden wäre!

Innerlich schüttelte ich den Kopf über so viel Unverantwortlichkeit. Da warfen die Gryffindors uns Slytherins fiese Streiche vor, waren selbst aber keinen Deut besser! Ich konnte mir vorstellen, dass es Severus nicht reichen würde, zu wissen, dass die beiden Unruhestifter für diese Aktion reichlich Ärger bekommen würden. Über die steigende Wahrscheinlichkeit, dass Potter tatsächlich für das nächste Quidditch-Spiel gesperrt blieb, konnte ich mich in Anbetracht der Ereignisse nicht besonders freuen. Kaum war Slughorn außer Hörweite, ging die Diskussion los, wie lange die Rumtreiber wohl schon den Tarnumhang hatten und wie viel sie durch Lauschen bereits herausgefunden hatten. „Tarnumhänge halten oft nur wenige Stunden, maximal ein paar Tage, hat Slughorn gesagt. Wo auch immer sie ihn herbekommen haben, so schnell werden sie keinen neuen bekommen. Und da wir jetzt davon wissen, dass sie schonmal einen hatten, können wir das nächste Mal, wenn wir uns außerhalb unseres Gemeinschaftsraumes belauscht fühlen, einen Aufspürzauber verwenden!“, versuchte ich, meine Mitschüler zu beruhigen. Ich war mir sicher, dass Potter und Sirius nicht so dumm sein konnten, einen Tarnumhang, der mehr als wenige Stunden halten könnte und der dementsprechend teuer gewesen sein müsste, bei einem so banalen Streich aufzugeben. Das schienen die anderen auch einzusehen und sie wandten sich wieder fieberhafter der Inschrift zu.

Die Inschrift entpuppte sich als Rätsel und es wurde vermutet, dass das Lösungswort einen verborgenen Hohlraum im Stein öffnen würde und dass dort der Kelch sein müsste. Oder ein weiterer Hinweis, wo sich der Kelch wirklich befand. „Wir haben gleich Runenkunde.“, stellte ich mit einem Blick auf die Uhr fest. Da ich von zuhause aus schon früh einige alte Runen gelernt hatte, durfte ich hin und wieder im fortgeschrittenen alte Runen Kurs mitmachen, um besser gefördert zu werden. Die Blicke von Evan und Severus wandten sich mir zu und Florence lächelte leicht. „Die Gryffindors verdächtigen uns bereits, irgendwas zu planen… wie wäre es, wenn du ausnahmsweise zu spät zu Runen kommen würdest?“ Ich zog skeptisch eine Augenbraue hoch, obwohl ich sehr gut verstand, was sie damit andeuten wollten. Ich sollte zu dem Steinkreis gehen und mein Glück mit dem Lösungswort versuchen. Dabei wollte ich mit der Kelch-Sache doch eigentlich nichts zu tun haben! Widerwillig stimmte ich dem Plan zu.

Ich könnte behaupten, das Lösungswort wäre falsch. Ich könnte gucken, ob ich einen anderen Kelch finde, aber ich wusste nicht, ob die anderen wussten, wie der echte Kelch aussehen müsste. Ich könnte direkt einen Lehrer aufsuchen und hinterher behaupten, ich wäre erwischt worden. Nein, egal, was mir einfiel, es endete damit, dass ich riesigen Ärger mit allen bekam. Ich konnte keinen Rückzieher mehr machen. Der goldene Kelch lag kalt und schwer in meinen Händen. Die eingravierten Bilder ließen mich erschauern. Dieser Kelch forderte ein Blutopfer! Ich spürte mächtige Magie in meinen Fingerspitzen kribbeln, vielleicht bildete ich mir das aber auch nur ein. Ich nahm extra einen Umweg zum Gemeinschaftsraum der Slytherins zurück, um unentdeckt zu bleiben. Dort versteckte ich den Kelch mit zitternden Fingern unter Averys Umhang, wie vereinbart.

Mit gesenktem Kopf betrat ich den Klassenraum. „Entschuldigung, Professor. Peeves hat mich aufgehalten.“ Die Ausrede wurde angenommen, zumal ich nicht zu denen gehörte, die öfter zu spät kamen. Kurz bevor ich mich auf meinen Platz setzte, sah ich mich zu Sirius und seinen Freunden um. Unsere Blicke trafen sich. Er hatte sicher durchschaut, dass das mit Peeves nur eine Ausrede war. Ich konnte mich aber nicht zu offen mit ihm austauschen. Ich kaute leicht auf meiner Unterlippe und sah zur Tafel. Dann tat ich so, als würde ich mitschreiben, in Wahrheit verfasste ich allerdings in Runenschrift eine knappe Nachricht an Sirius. „Bruder, sie haben den Kelch. Ich glaube nun auch, dass Bella nichts Gutes damit vorhat. Bring dich nicht in Gefahr. Warne einen Lehrer. Regulus.“ Unter dem Tisch tippte ich die Notiz mit dem Zauberstab an, sodass die Runen verblassten. Erst, wenn Sirius das Papier berührte, würden die Buchstaben wieder sichtbar werden. Wie konnte ich meinem Bruder diese Nachricht am unauffälligsten zustecken? Ich kramte in meiner Tasche und mir fiel Vaters Brief wieder in die Hände. Ach, das musste ich Sirius auch noch ausrichten… Oh, DAS musste ich Sirius auch noch ausrichten! Unauffällig steckte ich meine Notiz mit in den Umschlag, auf dem das Familienwappen eindeutig prangte.

Ungeduldig wartete ich auf das Ende der Stunde, um dann eilig meine Sachen zusammenzupacken und Sirius an der Tür aufzuhalten. „Hey! Nachricht von Vater. Ich dachte, bevor ich mir den Mund fusselig rede, kannst du den Brief genauso gut selber lesen. Du kannst doch lesen, oder?“ Ich hob arrogant das Kinn und streckte ihm den Brief hin. Einen Augenblick fürchtete ich, einen zu schneidenden und beleidigenden Tonfall gewählt zu haben. Meine Erleichterung, dass Sirius den Brief dennoch perplex annahm, überspielte ich, indem ich mich ruckartig umwandte und davonstolzierte. Ein gehässiges Lachen war Zeichen genug, dass meinen Mitschülern dieser Brief nicht verdächtig vorkam. Noch erleichterter war ich, als Sirius mir vorm Abendessen den Brief zurück gab, ohne dass jemand mich zu neugierig beäugte. Ich hoffte, dass man mir abnehmen würde, dass ich nur überprüfte, dass Sirius Vaters Brief nicht verunglimpft hatte. Niemand fragte. Ich fand eine kleine Notiz in der Handschrift meines Bruders: „Heute nach Anbruch der Dunkelheit Treffen an der Kreuzung im Wald. Komm allein und bring den Tarnumhang und den Kelch mit!“ Ich ächzte. Wie stellte der Hohlkopf sich das vor? Wahrscheinlich machte er sich gar keine Gedanken mehr über die Risiken und den Ärger, den man bekommen konnte, wenn man des Nachts allein umher schlich! Auch nicht jetzt, wo Dumbledore persönlich die Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz seiner Schüler erhöht hatte.

Ich hätte am liebsten heftig mit dem Kopf geschüttelt und Sirius den Stinkefinger gezeigt, aber als ich seinen hoffnungsvollen, bittenden Blick auf mich gerichtet sah, schmolz mein Ärger dahin. Ich wollte nicht als Feigling dastehen. Ich wollte meinen Bruder nicht im Stich lassen. Ich wollte ihm zeigen, wie sehr ich noch bereit war, um ihn zu kämpfen. Ich wollte ihn beeindrucken. Und ich wollte die Chance nutzen, mit ihm zu reden. Wenn ich auf ihn zukam, ihm einen so großen Gefallen tat, würde er mir sicher zuhören. Mehr verlangte ich doch nicht. Ich faltete den Brief kleiner und steckte ihn in eine Brusttasche. Die Hand über dem Herzen, das war ein Zeichen des Versprechens. Fast ein Schwur. Sirius würde heute Nacht auf mich warten.

Ich entdeckte kurze Zeit später, dass ich mein Versprechen vorschnell gegeben hatte. Der Kelch war bereits fort und ich konnte nicht nachfragen, ohne selbst ausgefragt zu werden, warum es mich plötzlich interessierte. Unter dem Vorwand, mit jemandem über meine belastende familiäre Situation sprechen zu müssen, suchte ich Professor Slughorn auf, der mich freundlich in sein Büro ließ. Während er nach einem geeigneten beruhigenden Tee für den jungen Black in seinem persönlichen kleinen Vorratsraum suchte („Alkohol darf ich dir noch nicht anbieten…“), brach ich die Schublade auf, in der er konfiszierte Gegenstände aufbewahrte. Ich fand den Tarnumhang sofort und stopfte ihn eilig in meine Schultasche. „Danke, Professor. Ich dachte nur, es wäre hilfreich für mich, die Meinung eines Außenstehenden einzuholen. Was denken sie über meinen Bruder? Glauben sie, das ist bloß alles jugendlicher Leichtsinn und kindlicher Trotz, der sich noch auswachsen kann oder… passt er nicht zu unserer Familie?“ Ich schlürfte an dem Tee und bedachte meinen Hauslehrer mit einem gespielt interessierten Blick. „Nun, Regulus, eigentlich passt dein Bruder perfekt zu dem, wie sich eure Familie immer darstellt und wie ihr Ruf ist! Talentierter Zauberer, sehr beliebt unter den Mitschülern, hat viele Bewunderer, kann mitunter arrogant wirken…“ Ich wollte nicht hören, wie perfekt mein Bruder sich als Familienerbe eignen würde. Das wusste ich doch schon. „Es ist echt schade, dass ihr Bruder sich nie bei mir blicken lässt, obwohl ich schon länger versuche, ihn für meinen kleinen hausübergreifenden Club zu gewinnen.“ Ja, super, wollte Slughorn mir damit sagen, dass ich neben meinem Bruder nur zweite Wahl war? Ich verzog das Gesicht. „Vielleicht rühren die Spannungen in eurer Familie daher, dass sowohl deine Eltern als auch dein Bruder ziemliche Dickköpfe sein können…“, war der Teil des Monologs, in dem ich wieder aufhorchte und meine Chance gekommen sah, das Gespräch wieder selbst in die Hand zu nehmen. „Das mag sein, darüber habe ich auch schon nachgedacht! Im Moment scheint er sowas nicht hören zu wollen, aber vielleicht sieht er es eines Tages selbst ein. Ich meine, wenn er reifer ist. Das… beruhigt mich, danke. Ich fühle mich schon viel besser! Ich wollte sie auch nicht mit sowas albernem belästigen…“ Freundlich winkte der Professor ab. Ich sah in seinem Blick kurz aufblitzen, wie froh er war, dass ich ihm ein derartiges Vertrauen entgegenbrachte. Ich wusste, dass ich ein fester Bestandteil seiner Sammlung war. „Das nächste Mal wird die Mannschaft ihren Sucher sicher besser vor fiesen Fouls schützen!“ Ich hätte beinahe die Augen verdreht.

Severus kam mir entgegen, aber ich schenkte ihm keine Beachtung. Der Tränke-Musterschüler lungerte öfter vor Slughorns Büro herum, bekam Extraaufgaben oder ließ sich Zutaten aushändigen, die Schüler außerhalb des Unterrichts nicht haben sollten. Ich zog mich in den Schlafsaal zurück und wartete lesend auf die Dunkelheit. Als es ruhig geworden war, kroch ich aus meinem Bett, schnappte mir meinen Zauberstab und klemmte mir den Tarnumhang unter den linken Arm. Auf Zehenspitzen verließ ich den Kerker und wagte erst wieder, normal zu atmen, als ich durch ein Fenster das Gebäude verlassen hatte. „Lumos!“, flüsterte ich und eilte dann über die Wiese auf den kleinen Waldweg zu. Nachts konnte es am Waldrand echt gruselig sein. Ich zuckte bei dem Schrei einer Eule zusammen. Ich hörte über mir die Blätter rascheln. Meine größte Sorge blieb allerdings, wie Sirius reagieren würde, sobald ich ihm sagte, dass ich den Kelch leider nicht bei mir hatte.

Im Dunkeln fiel es mir schwerer, Entfernungen einzuschätzen. Allzu weit konnte es nicht mehr bis zum Treffpunkt sein, aber mein Lumos beleuchtete immer nur ein kleines Stück des Weges. „Sirius?“ Obwohl ich leise sprach, durchbrach dieses Wort unnatürlich die Stille. Ich lauschte auf eine Reaktion. Nichts. „Sirius?“, rief ich ein wenig lauter. Wie einsam meine Stimme klang. Was, wenn Sirius verhindert war? Oder wenn er mich hereingelegt hatte? Zuzutrauen wäre es ihm! Ich beschleunigte meinen Schritt etwas, wie um so unangenehmen Gedanken zu entkommen. Allmählich meinte ich, die Kreuzung vor mir auszumachen. Das Sternenlicht wurde von weniger Geäst zurückgehalten. „Sirius!“ Ich sah eine andere Zauberstabspitze aufleuchten und eine dunkle Gestalt trat auf die Kreuzung. Als ich meinen Bruder zweifelsfrei erkennen konnte, lächelte ich. Er war gekommen und er war allein. „Ich habe den Tarnumhang…“, sagte ich schnell und streckte ihm den nicht mehr besonders ordentlich gefalteten Stoff entgegen. „Der Kelch, Regulus?“, hakte Sirius sofort nach, als er den Umhang entgegen nahm. „Es tut mir leid… er war nicht mehr da! Sie haben ihn sicher schon übergeben… habt ihr keinem Lehrer Bescheid gesagt?“, plapperte ich, bevor Sirius mir irgendeinen Vorwurf machen konnte. Ich sah mich nochmal um. „Ich hätte nie gedacht, dass du ohne Potter kommst!“ Denn das war auch eine große Befürchtung von mir gewesen. Der hätte jetzt sicher schon geschimpft und geflucht, dass ich den Kelch nicht hatte. Sirius grinste schief und zuckte mit den Achseln. „Bin immer wieder für Überraschungen gut. Wie konnte er nur immer so cool bleiben?

„Weißt du, wo Mary ist?“ Ich blinzelte verwirrt. „Welche Mary?“ Irgendwie schien Sirius erleichtert zu sein, dass ich so wenig wusste, obwohl ich erwartet hatte, es würde ihn verärgern, je weniger ich ihm sagen konnte. „Geh zurück zum Schloss.“, wies Sirius mich an. Ich dachte, wir könnten uns mal unterhalten, wollte ich sagen. Stattdessen brachte ich nur „Und was ist mit dir?“ heraus. Ich wollte auf ihn zugehen. So leicht wollte ich mich diesmal nicht abwimmeln lassen! „Ich muss noch nach was suchen“, erklärte er mir ausweichend. Wir könnten zusammen suchen, hätte ich gerne vorgeschlagen. Aber seine Stimme klang so abweisend. Ich wollte ihn nicht nerven. Ich wusste, dass es keinen Zweck hatte, wenn er genervt war. Sicher würde er selbst weiter nach dem Kelch suchen. Oder nach dieser Mary. Mir fiel kein Argument ein, auf das er gehört hätte, sich nicht leichtfertig in Gefahr zu begeben. Ich war eben nicht so cool wie er. Mir fielen nicht immer passende Sprüche ein. Mir fiel es weniger leicht, andere Leute mit einem schiefen Grinsen für mich einzunehmen. Und mir war es auch nicht egal, wenn ich Ärger von Lehrern bekam. Also gab ich mit einem Nicken auf und kehrte Sirius den Rücken.

„Du kleiner Verräter.“ Evan Rosier! Er musste mir gefolgt sein! Bedrohlich leuchteten weitere Zauberstäbe hinter dem Vertrauensschüler der Slytherins auf. Ich konnte nicht ausmachen, wie viele es waren. Wenn es zu einem Kampf kam, würden sie mich und meinen Bruder locker überwältigen! „I-ich habe mich doch nur mit meinem Bruder getroffen! Familienangelegenheit! Ich dachte, naja, wenn ich ihm seinen Scherzartikel zurückgebe, würde er…“ Ich wurde unterbrochen. „Dir zuhören? Pah! Wie naiv kann man sein?“ Ich ging rückwärts. In meinem Kopf spielte sich der alberne Wunschtraum ab, mein Bruder würde hinter mir stehen und mir helfen, die Situation zu erklären. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass auch Sirius nicht mehr alleine war. Er wurde von Potter und Lupin flankiert und dem Geraschel nach zu urteilen, waren dort noch mehr. Ich hörte nicht, was die beiden Parteien sich zubrüllten, obwohl ich allein zwischen ihnen stand. Voller Enttäuschung sah ich in das Gesicht meines Bruders und sah dieselbe Enttäuschung darin gespiegelt. Dabei war es doch eindeutig, dass ich die Slytherins nicht mit Absicht hergeführt hatte! Hörten er und seine Freunde nicht, wie ich gerade beschimpft wurde?

Ich ließ meinen Zauberstab kraftlos an meiner Seite baumeln, obwohl ich sah, wie auf den gegnerischen Seiten die Zauberstäbe erhoben wurden. „Stupor!“, gellte es durch den Wald und ich wurde mindestens von einem Slytherin und einem Gryffindor getroffen, ehe ich zu Boden ging.

Dunkle Träume

Ich stand vor einem Gerichtssaal und wurde von verhüllten Gestalten in die Mitte des Raumes geführt, der nur dort kalt erleuchtet war. Ich sah dort einen Tisch stehen und auf diesem Tisch lag ein alter Hut. Der sprechende Hut. Obwohl niemand etwas sagte, wusste ich, was von mir erwartet wurde. Ich wollte den Hut nicht noch einmal aufsetzen. Ich hatte es doch geschafft, nach Slytherin zu kommen, wie meine Eltern von mir gewollt hatten! Bis jetzt hatte mich nie jemand direkt darauf angesprochen, warum der Hut damals gezögert hatte. Es gab auch andere Schüler, bei denen die Zuteilung zu einem Haus länger dauerte. Ich war davon ausgegangen, dass niemand darauf geachtet hatte oder es nur mir so lange vorgekommen war. Möchtest du nicht zu deinem Bruder nach Gryffindor? Ihn hätte ich ja ohne zu zögern nach Slytherin geschickt, wenn er nicht widersprochen hätte. Eigentlich ist es bei der Familie Black immer sehr einfach gewesen. Nur ihr zwei, ihr macht es kompliziert. Ich sah auf und erblickte am Richtertisch meine Eltern. Sie sahen streng herab und ich wusste, sie hätten lieber ihren älteren Sohn in Slytherin gesehen, der Zweitgeborene war nur Ersatz. Dabei gab ich mein Bestes, sie stolz zu machen. Und Sirius gab sein Bestes, rausgeworfen zu werden. Der Hut hatte Recht. Wir machten es kompliziert.

Es war ein paar Tage her, dass einige Gryffindor-Schüler um Potter und Sirius Black herum verhindert hatten, dass Bellatrix mit ein paar Todessern durch ein Blutopfer-Ritual die mächtigen Bannkreise um die Schule schwächen konnte. Die Schülerin Mary war nicht getötet worden und der dunkle Lord hatte nicht die Möglichkeit, nach Belieben in Hogwarts einzudringen. Inzwischen hatten die Gerüchte über den Todesser-Angriff am Rande von Hogwarts auch den Tagespropheten erreicht. Ich konnte mir vorstellen, dass Dumbledore und das Lehrerkollegium von den Briefen besorgter Eltern regelrecht bombardiert wurden. Ich konnte nicht verstehen, wie der Schulleiter Übermut und Torheit mit so vielen Hauspunkten belohnen konnte. Das stachelte die Gryffindors doch nur weiter an, Blödsinn zu machen und auf ihr unverschämtes Glück zu vertrauen! Das würde sie noch Kopf und Kragen kosten! Potter würde Sirius nur weiter in jeden Schlamassel mit reinziehen. Und Sirius würde sich weiterhin keine Gedanken darum machen, was sein Verhalten für die Familie bedeutete! Bellatrix hatte ihn unter den Schülern erkannt und meinen Vater unter Druck gesetzt. Das konnte ich zwischen den Zeilen des ungewöhnlich strengen Briefes lesen, der mich an diesem Morgen erreichte. Immerhin schienen die Todesser ihm nichts angetan zu haben dafür, dass er seinen älteren Sohn nicht unter Kontrolle hatte!

Gegen diese düsteren Befürchtungen waren die Schikanen meiner Mitschüler auszuhalten. Dafür, dass Severus weiterhin so viel mit dem Schlammblut Lily Evans zu tun hatte, riss er die Klappe ziemlich weit auf, was meine Blindheit und Weichheit meinem großen Bruder gegenüber anging. Dass Devon Avery sehr gehässig werden konnte, wusste ich. Ich wusste auch, dass er neidisch war, weil meine Familie nicht wie sein Vater das Familienerbe leichtfertig aufs Spiel gesetzt hatte. Ich versuchte, mich nicht zu sehr einschüchtern zu lassen und mir eine etwas dickere Haut zuzulegen. Ich durfte mir einfach keinen weiteren Fehler erlauben und musste unter Beweis stellen, dass ich trotz dieser einen Aktion mit dem Tarnumhang nicht so ein elender Blutsverräter war wie mein Bruder. Und dass ich im richtigen Haus untergekommen war.

Diese Woche hatte ich kaum Lust auf irgendein Fach. Am liebsten hätte ich mich die ganze Zeit alleine zurückgezogen und meine Nase in Bücher gesteckt. Zur Ablenkung. Als Dumbledore bei einem Abendessen verkündete, dass wir nun alle, ob wir wollten oder nicht, an Muggelkunde teilnehmen sollten, stöhnte ich gemeinsam mit den meisten Slytherins genervt auf. Muggelkunde, dachte ich angewidert. Wieso gab es an dieser Schule Wahlfächer, wenn Dumbledore einem dann sowas aufzwang? Ätzend! „Als ob er uns dazu bringen könnte, Muggel plötzlich zu mögen, indem er uns ein zusätzliches Fach aufdrängt, das uns einen feuchten Kehricht interessiert!“, wurde geflucht. „Der Fluch wird nach hinten losgehen. Auch Dumbledore kann sich mal irren!“, zeterte eine weitere Stimme. „Ich werde für jedes Mal, wo ich unter dieser dummen Regel leiden muss, einen Muggel später foltern!“, grollte jemand. Ich mochte mich nicht umgucken, wer genau das nun gesagt hatte. Den Zorn konnte ich jedenfalls verstehen. Ich hatte auch besseres zu tun. Der Mitschüler konnte froh sein, dass kein Lehrer in der Nähe war und keiner, der petzen würde. „Meine Eltern werden sich sicher beschweren und Druck ausüben. Allzu lange wird Dumbledore diese Regelung sicher nicht durchsetzen können.“, meinte ich, als die Wut nicht mehr so sehr mein Hirn vernebelte. „Gute Idee, wir stiften alle unsere Eltern an, mit uns zu protestieren!“

Es fiel mir schwer, einzuschlafen. Ich wollte keine weiteren unangenehmen Träume. Sicher würde dieser Aushilfslehrer in Wahrsagen mir wieder eine düstere Zukunft prophezeien, bloß weil mein Nachname „Black“ lautete. Ich bekam jetzt schon Kopfschmerzen, wenn ich an die ganzen Räucherstäbchen im Klassenzimmer dachte! Ach, was soll´s, ich kenne doch selbst Möglichkeiten, über meine Zukunft zu spekulieren! Ich hatte sogar ein Set von meiner Mutter zum Runen werfen bekommen, weil sie stolz genug auf mich gewesen war, dass ich in Runenkunde so gute Noten hatte. Der Wurf der Nornen war am einfachsten. Ich schlich in den Gemeinschaftsraum, nahm mir ein schlichtes weißes Tuch und zog den Beutel mit den Holzstückchen, auf denen die Runen eingeritzt waren. Ich zog drei der Holzstückchen und warf sie mit einem geflüsterten „Rúnar, rádh rétt rádh!“ auf das Tuch. Sie bildeten die Eckpunkte eines Dreiecks. „Urdhr, Verdhandi, Skuld“, ordnete ich die Holzstücke Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu. Ich sah bereits, dass es kein guter Wurf war, zwei der drei Runen waren dunkle Stäbe, lagen also mit der Runenseite nach unten. Vergangenes konnte man kaum ändern, aber es mochte sich für immer auf die Gegenwart auswirken. Ich schlug die Rune nach, die etwas Negatives für meine Zukunft offenbaren könnte. Ich würde etwas wegen schlechtem Timing nicht schaffen. Da ich an den ewigen Streit mit meinem Bruder gedacht hatte, nahm ich an, dass eine Versöhnung durch schlechtes Timing gefährdet sein würde. Dass die Rune in meiner Gegenwart ein heller Stab war, tröstete mich nicht sonderlich.

Frustriert schlug ich im nächsten Wahrsagen-Unterricht Professor Lovegoods Angebot aus, mir und meinem Bruder die Karten zu legen. Stattdessen lauschte ich den gehäuften Alptraum-Schilderungen der anderen Mitschüler. Auch meine Träume waren in letzter Zeit drückend, ich hatte es aber auf meine momentanen Probleme mit den Slytherins geschoben, die mir immer noch übel nahmen, meinem Bruder diesen blöden Tarnumhang zurückgegeben zu haben. Ich teilte meine Träume und Gedanken mit niemandem, denn ich traute im Moment niemandem hier. Das Gefühl von allgemeinem Misstrauen war sogar drückender, als die Ereignisse an sich erklären würden.

Natürlich gab es kleine Lichtblicke. Vor Runenkunde begegnete ich der Ravenclaw Meaghan McCormack. Zwischen Ravenclaws und Slytherins herrschte nicht so eine erbitterte Rivalität wie zwischen Slytherin und Gryffindor. Außerdem war Meaghans Mutter eine berühmte Quidditch-Spielerin und spielte derzeit bei Pride of Portree. Meine Lieblingsmannschaft waren zwar die Montrose Magpies, aber ich war nicht so ein fanatischer Fan, dass ich alle anderen Mannschaften und Fans deshalb gleich anfeinden würde. „Ich habe im Tagespropheten gelesen, wie deine Mutter dich nach ihrem super Spiel grüßen lässt! Sie ist sicher viel unterwegs, als Profisportlerin, aber sie vergisst dich nicht.“ Meaghan strahlte. Sie hatte ein ansteckendes Lächeln. Als Hüterin der Ravenclaws war sie mir auch schon aufgefallen. Sie war auf jeden Fall nicht nur in die Mannschaft gekommen, weil ihre Mutter berühmt war. „Was hast du für Runen vorbereitet?“, wechselte sie das Thema, als ein anderer Ravenclaw sich zu uns setzte. „Ich glaube, wir fangen heute ein neues Thema an. Schutzrunen oder so, ganz sicher bin ich mir auch nicht.“, musste ich gestehen. „Ich kann immer noch nicht flüssig genug Futhark schreiben, fürchte ich.“ Typisch Ravenclaw. Fleißig am Lernen und dann doch Panik, nicht gut genug zu sein. Mir kam der Gedanke, dass die Gerüchteküche von Hogwarts brodeln könnte, wenn ich öfter mal zufällig mit Meaghan reden würde. Was für ein alberner Gedanke!

Er ließ mich die drückenden Träume vergessen, bis ich Florence, Evan und Devon im Gemeinschaftsraum über einem alten, zerfledderten Tagebuch brüten sah. „Der Zauberer beschreibt ähnliche Alpträume, wie wir heute in Wahrsagen besprochen haben! Sie scheinen nicht auf natürlichem Weg zu kommen…“, hörte ich Florence sagen. „Aber es fehlen noch zu viele Seiten, Peeves muss sie überall auf dem Schulgelände verstreut haben!“, fügte Evan hinzu. „Ich glaube, Potter hat heute in Wahrsagen mit Papierfetzen rumgeworfen. McCormack hat eine davon gelesen, die saß neben mir. Zeig mal… die Schrift könnte die gleiche sein! Vielleicht hat sie die Seite ja noch?“, mischte ich mich ein und lugte neugierig in das Buch. „Wenn wir alle zusammen suchen, müssten wir genug lose Seiten finden können!“ Ich strahlte, denn die gespannte Stimmung zwischen mir und ihnen schien sich zu lockern. „Wenn Potter und seine Freunde noch Seiten haben, werden wir auf dich zurückgreifen, kleiner Black.“ Mir war nicht aufgefallen, wie sie mich umzingelten, bis ich keinen Ausweg mehr sah. „Du möchtest doch beweisen, dass du kein kleiner Verräter bist und wirklich zu uns gehörst?“ Ich schluckte und nickte dann. Mist. Sie würden es nicht auf sich beruhen lassen. „Was wollt ihr denn?“, fragte ich möglichst gelassen und ein wenig patzig nach. „Du hast doch auch noch ein Hühnchen mit deinem Bruder zu rupfen. Hilf uns nur, ihn einmal von Potter wegzulocken.“ Ich runzelte die Stirn. Wollten sie wirklich nur meine Hilfe für eine kindische Racheaktion? „Severus hat bereits Vielsafttrank gebraut. Wir bräuchten nur ein Haar… Du kennst deinen Bruder von uns noch am besten. Schleich dich bei seinen Freunden ein, besorge die Seiten und guck, was sie sonst noch vorhaben und wenn deine Informationen was wert sind, vergessen wir, dass du deinem Bruder eine Chance zu viel gegeben hast!“ Devon lächelte zuckersüß, aber seine Körperhaltung war so bedrohlich, dass ich den Kopf einzog. „Okay…“, brummte ich. „Versprich, dass du ihnen diesmal keine geheimen Zettel schreibst!“, drängte Severus. „Jaa, man!“ Langsam konnte ich echt verstehen, warum mein Bruder Schniefelus so hasste.

Im Laufe des Tages entdeckten wir weitere zerknüllte Seiten und Schnipsel. Meaghan und ihre beste Freundin händigten uns die Seiten aus, die sie hatten – im Gegenzug wollten sie auch einen Blick in das Tagebuch werfen dürfen. Ich fragte mich, ob ihre Geistererscheinung ebenfalls etwas mit den Alpträumen zu tun hatte, von denen Florence erzählt hatte. „Ich glaube ja, die sehen nur Geister und Mumien, weil Lovegood sie mit seinem komischen Räucherstäbchen zudröhnt!“, bemerkte Devon gehässig. „Jetzt scheinen uns nur noch die Seiten zu fehlen, die Peeves vielleicht noch hat und die von den Rumtreibern. Wir haben zwar diesen einen Ravenclaw drauf angesetzt, Reginald, aber wir sollten den Plan mit Regulus auch umsetzen. Sicher ist sicher. Die scheinen wieder was auszuhecken.“ Ich sah mich suchend auf dem Schulgelände um und entdeckte weit in der Ferne, halb hinter einem Gebüsch, eine kleine Bande Gryffindors, die die Rumtreiber sein könnten. „Wir brauchen einen besseren Plan. Sirius wird sich nicht bloß allein mit mir treffen, weil ich ihn drum bitte. Potter wird garantiert hinterherschleichen und das war´s dann mit eurem tollen Plan.“, gab ich zu Bedenken. Wir schlenderten ein paar Schritte weiter, hinter mir steckten Devon und Evan die Köpfe zusammen und berieten sich. „Wir warten einen passenden Zeitpunkt ab und dann inszenieren wir einen Streit! Du musst uns richtig anbrüllen und dann schubsen wir dich den Hang da runter, sodass die Rumtreiber das auf jeden Fall mitbekommen! Wenn sie dir helfen wollen, sag, dass sie sich nicht einmischen sollen. Wie du es so gern zu uns sagst.“ Ich verzog das Gesicht. „Und wenn ein Lehrer das mitbekommt?“, hielt ich gegen diesen Vorschlag. „Wir müssen einfach den richtigen Zeitpunkt abwarten!“

Ich werde mich meinem Bruder wegen schlechtem Timing nicht wieder annähern können, fuhr mir durch den Kopf, während wir unauffällig darauf warteten, dass Potter und Co wieder aus ihrem Gebüsch raus kämen. „Sie gehen zu den Ravenclaws! Am besten machen wir noch eine Runde hinter die Baumgruppe dort und wenn wir an der anderen Seite für sie wieder zu sehen sind, müssen wir schon mitten im Streit sein!“, bestimmte Evan Rosier. Ich fügte mich meinem Schicksal und legte mir zurecht, was ich den anderen an den Kopf werfen konnte, damit es glaubhaft wirkte. Es fiel mir gar nicht so schwer, Worte zu finden, mit denen ich die anderen tatsächlich wütend machen könnte. „Avery, du bist doch bloß neidisch, weil meine Familie sowohl reinblütig als auch im vollen Besitz ihrer Familienerbstücke ist!“, schleuderte ich Devon entgegen, als er wieder anfing, mich als Verräter zu beschimpfen. „Mein Vater mag ein Trottel sein, aber in meiner Familie sind wenigstens keine Blutsverräter!“, konterte er. „So, wie du dich benimmst, könnte man meinen, in deinen Familienstammbaum habe sich mindestens ein HÖHLENTROLL geschlichen!“, schrie ich erbost. „Jemand, der so unwürdig ist, hat nicht das Recht…“, hörte ich Rosier noch sagen, als Avery bereits auf mich zukam und grob schubste. Ich blieb stehen und spuckte ihm vor die Füße. Im nächsten Moment traf mich ein Faustschlag am Brustbein und ich taumelte zurück, rutschte auf feuchtem Moos aus und rollte wie geplant den Abhang etwas hinunter.

Ich musste mich gar nicht umsehen, um zu wissen, dass unser Schauspiel ernst genommen wurde. Ich hörte Rufe und Schritte den Hang rauf kommen. „Was ist hier los? Regulus, bist du verletzt?“, kamen die bohrenden Fragen. Ich blieb kurz liegen, schniefte und sah dann kurz auf. Sirius war gekommen, Potter scheuchte die anderen Slytherins fort und ich erblickte sogar Meaghan und ihre Freundin. Gott, war das peinlich! „Schon ok, geht euch nichts an! Lasst mich doch einfach alle in Ruhe!“ Ich stand auf, wischte mir mit einer Handbewegung grob den Dreck von der Hose und floh Richtung Waldrand. „Regulus, warte! Lass mich dir doch helfen! Sag doch, wenn du Probleme hast!“ Ich drehte mich wütend um. „Seit wann hörst du zu, wenn es deiner Familie schlecht geht? Bleib doch lieber bei deinen Freunden!“ Das schien ihn zu treffen. Es tat mir fast leid. Ich ging schnurstracks weiter. „Lass mich mit meinem Bruder reden. Allein. Ich komm später zurück…“ Sirius folgte mir. Tatsächlich. Allein. Und es fühlte sich so falsch an. Ich konnte nicht stehen bleiben, ich wollte mich nicht zu ihm umdrehen, ich wollte ihm nicht ins Gesicht sehen müssen.

Wir entfernten uns von den anderen Mitschülern und selbst, als wir außer Sichtweite waren, schien Sirius noch darauf zu warten, dass ich von mir aus stehen blieb oder die unangenehme Stille unterbrach. Mein Mund fühlte sich trocken an. „Regulus…“ Sirius klang irgendwie müde und hilflos. So kannte ich ihn kaum. Ich spürte seine Hand sanft auf meiner Schulter. Nun blieb ich stehen und ließ zu, dass er sich vor mir stellte. „Rede doch mit mir. Ich könnte dir helfen! Wir könnten zusammen…“ Warum war er nicht immer so verständnisvoll? Nein, das war jetzt nur eine Maske, ein Spiel, Sirius wollte vor seinen Freunden nicht herzlos rüberkommen! Es wäre ziemlich herzlos, seinem kleinen Bruder nicht zu helfen, wenn er so offensichtlich von anderen Jungs geärgert und halb verprügelt wurde. Trotz dieses Gedankenganges fiel es mir nicht leicht, innerlich kalt gegen meinen Bruder zu sein. „Wie willst du mir denn helfen? Das ist doch nur wieder so ein falsches Versprechen, damit du dich als der Gute fühlen kannst…“, entgegnete ich bitter. Sirius verzog das Gesicht, schien sich aber zu bemühen, ruhig zu bleiben. „Bitte, Regulus. Worum ging es? Warum lässt du dir das gefallen? Setzen sie dich irgendwie unter Druck? Zwingen sie dich zu was, was du nicht möchtest?“

Wie treffend. Ich zuckte zusammen und sah Sirius dann schuldbewusst an. Ich hoffte ein wenig, dass er verstehen würde. Unauffällig zog ich meinen Zauberstab. „Petrificus totalus!“ Sirius machte ein überraschtes Gesicht, als er zu Boden ging. „Es tut mir leid“, sagte ich traurig, als ich auf ihn herab blickte. Dann sah ich mich um, die Mitverschwörer müssten bald mit dem Vielsafttrank nachkommen! Ich beugte mich zu Sirius herab, strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht und tastete sanft nach einem Haar, das eh schon lose war. Auch, wenn er als Blutsverräter aus der Sicht eines konservativen Reinblüters Schmerzen verdient hätte. Ich nahm seinen Zauberstab an mich und verbarg meinen eigenen. Die Farbe meiner Schuluniform war leicht zu wechseln.

Ich trat auf Severus zu, der mir einen Becher hinhielt. Ich ließ das Haar von meinem Bruder in die eklig brodelnde Flüssigkeit fallen. Es zischte, der Vielsafttrank war fertig. „Trink“, befahl man mir. Ich rümpfte die Nase und nahm einen kräftigen Zug. Ich spürte, wie mein Körper sich leicht veränderte. Mein Bruder und ich sahen uns ohnehin ähnlich, er war nur etwas größer und älter und fiel den Mädchen mehr auf. Ich würde sehr auf mein Verhalten achten müssen, damit ich keinen Verdacht erregte. Andererseits überlegte ich, ob es nicht besser wäre, den Rumtreibern irgendein Zeichen zu geben, damit sie weniger Grund haben würden, mir in Zukunft Ärger zu bereiten. Da fiel mir ein, dass ich noch den Ring trug, den Mutter mir als Zeichen geschickt hatte, dass ich im Moment der Anwärter auf den Rang als Erbe der Familie Black war, obwohl ich nicht der Erstgeborene war. Dieses dezente Zeichen hatte Sirius zeigen sollen, wie ernst es unseren Eltern war. Es hatte ihm Druck machen sollen. Ich hatte es ihm immer wieder gezeigt und ich war mir sicher, dass seine Freunde es mitbekommen haben mussten. Wahrscheinlich hatte Sirius sogar erwähnt, was diese albernen Gesten und das Schmuckstück zu bedeuten hatten. Wenn die Gryffindors also nur ein wenig auf Details achteten, müssten sie stutzig werden! Ich steckte meine linke Hand in die Tasche, um den Ring zu verbergen, damit die Slytherins mir dieses verräterische Zeichen nicht abnehmen würden. Sie achteten nicht darauf. Ich wurde prüfend gemustert, Rosier lockerte meine Krawatte und ich zog mir unordentlich das Hemd aus der Hose, wie Sirius es immer tat, um rebellischer zu wirken. Nun nickten die anderen und ich kehrte an Sirius Stelle zu den Rumtreibern zurück, die noch immer mit den Ravenclaws zusammensaßen.

Potter sah auf, runzelte die Stirn, wandte sich aber wieder dem Tagespropheten zu, den er in den Händen hielt. Lupin und Evans schienen den Ravenclaws, darunter Meaghan, bei einem Rätsel zu helfen. Es lagen in einem Kreis Papierschnipsel mit Buchstaben verteilt und sie schienen daraus einen Satz entziffern zu wollen. Ich mochte Rätsel, aber ich war nicht hier, um ihnen dabei zu helfen. Es hätte nicht zu meiner jetzigen Rolle gepasst. Es wunderte mich etwas, dass die Rumtreiber mich nicht ansprachen. War Sirius nicht sowas wie ihr bester Freund? Waren sie nicht neugierig, was er mit Regulus besprochen hatte? Oder hatten sie doch genug Anstand, die Familienangelegenheiten von Sirius nicht öffentlich zu diskutieren? Oder war Potter beleidigt, dass Sirius seine Hilfe vorhin abgelehnt hatte? Ich musste einsehen, dass ich Sirius Freunde nicht genug kannte, um die Situation richtig einschätzen zu können. Mir fiel kein lockerer Spruch ein, der typisch Sirius gewesen wäre. Ich setzte mich und beobachtete erst einmal. Ich musste mir einen Überblick verschaffen und einen passenden Moment abwarten, mich in das Gespräch einzuklinken. Nervös spielte ich mit dem Ring.

Ich hatte nicht ewig Zeit, die Wirkung des Trankes würde in spätestens einer Stunde nachlassen. Hier gab es nicht die Möglichkeit, den Rumtreibern persönliche Informationen zu entlocken. Es sah nicht so aus, als würden sie sich bald zurückziehen wollen, um unter sich zu sein. Mist. Immerhin würden die Slytherins mir daraus kaum einen Strick drehen können, wenn ihr Plan Lücken hatte und deshalb nicht aufging. Ich räusperte mich. „Po…“ Moment, Sirius würde seinen besten Kumpel niemals beim Nachnamen rufen! Gut, dass ich leise angefangen hatte, zu sprechen. „James, darf ich mal diese Zettel sehen?“ Potter sah auf. War das Misstrauen in seinem Blick? Er reichte mir die Zettel, ließ mich aber nicht aus den Augen. Ich konnte sie nicht einfach einstecken. Also las ich, um mir die wichtigen Informationen merken zu können, dann gab ich ihn zurück. Potter steckte ihn wieder in seine Hosentasche. In diesem Moment tauchte eine kleine Gruppe Slytherins auf, die laut nach Regulus riefen. Clever. „Black, was hast du mit deinem Bruder gemacht? Wo ist er?“ Ich stand auf und versuchte, so gelassen und cool wie Sirius zu wirken. „Ihr habt ihn doch beschimpft und den Hang runter geschubst! Mit mir reden wollte er nicht, er wollte allein sein. Versteckt sich bestimmt, taucht schon wieder auf…“ Ich zuckte mit den Schultern. Ich spürte etwas ungläubige Blicke auf mir. Ja, so gleichgültig konnte Sirius seiner Familie gegenüber sein. War jedenfalls mein Eindruck.

Ich gab auf, mit den Rumtreibern ins Gespräch kommen zu wollen. War auch besser so, ich hatte dem Plan, sie auszuspionieren, ohnehin nur widerwillig zugestimmt. Devon Avery versuchte noch, mit „Sirius“, dem Ravenclaw Reginald und Aubrey um die Seiten zu verhandeln, gegen den Quaffel, den sie von Potter hatten. Der Deal wurde abgelehnt. Sicherlich, weil Aubrey noch sauer auf die Aktion war, wo einige Slytherins seinen Kopf ins Klo gesteckt hatten, um die Gryffindor-rote Haarfarbe auszuwaschen. In dem folgenden Gerangel hatten sie Aubreys Zauberstab konfisziert und er hatte dafür den von Evan Rosier in die Hände bekommen. Ich war zwar nicht dabei gewesen, aber ich hatte hinterher den Boten spielen müssen, auf dass die Zauberstäbe zurück getauscht werden konnten. Da mussten wir uns nun etwas anderes überlegen, an die fehlenden Seiten ranzukommen! Wir hatten noch Hoffnung, dass die Ravenclaws einen Weg für uns finden würden. Schließlich lief meine Zeit als Sirius langsam ab und ich verkündete, ich würde nun doch nach meinem Bruder suchen gehen. Man hielt mich nicht auf. Ich fragte mich, ob es Streit zwischen Potter und meinem Bruder gegeben hatte, dass Potter jetzt so distanziert wirkte. Oder er hatte einen Verdacht. War ihm mein Ring doch aufgefallen? Im Wald verwandelte ich mich zurück und änderte die Farbe meiner Robe wieder. Ich suchte die Stelle auf, wo ich Sirius zurückgelassen hatte. Er war fort und ich fand Bluttropfen im Laub. Ich spürte ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend. Ich hatte ihn allein zurück gelassen, bewegungsunfähig und ohne Zauberstab, ohne Schutz! Wie dumm von mir! Mit wachsender Angst rannte ich los. Wo war Sirius? Ich musste ihn finden, mich entschuldigen, ihm helfen…

Ich fand ihn, als er bereits den Waldrand erreicht hatte und von seinen Freunden bemerkt wurde. Ich versteckte mich hinter einem Baum. Die blutigen Striemen im Gesicht wirkten nicht, als habe ein wildes Tier sie ihm zugefügt. Ein Tier hätte meinen Klammerfluch auch nicht lösen können. Ich schloss die Augen. Es gab nur eine Lösung: Die Slytherins hatten ihm zugesetzt, während ich in seiner Gestalt unten bei seinen Freunden gesessen hatte! War das von Anfang an ihr eigentlicher Plan gewesen? Es würde zu ihnen passen. Sirius hatte Recht, manche Slytherins hatten eine grausame und hinterhältige Ader. Da war nichts Ehrenvolles dabei, einen wehrlosen zu verletzen und Brüder auf so eine Weise gegeneinander auszuspielen. Ich sah, wie Sirius Freunde sich besorgt zu ihm beugten und leise auf ihn einredeten. „Wer war das? Was ist passiert?“ Sie würden denken, ich hätte etwas damit zu tun! Zu Recht. Sie würden mir niemals glauben, dass ich es nicht gewusst hatte. Dass ich es nicht hatte ahnen können…

Ich wünschte, ich hätte so tolle, loyale Freunde wie mein Bruder. Ich beneidete ihn. Aber bei allem, was Sirius unter seiner eigenen Familie erleiden musste, nur weil er andere Ansichten vertrat, konnte ich nicht drum herum, es ihm zu gönnen. Ich schob diese Gefühle beiseite, als Tränen in meine Augen stiegen. Ich sah, wie mein Bruder sich immer weiter von mir entfernte und diesmal hatte ich ohne jeden Zweifel selbst dazu beigetragen. Ich schlich mich weg und sobald ich mich sicher genug wähnte, rannte ich. Ich war allein und konnte mich meinen Gefühlen hingeben. Panik. Schuld. Wut. Trauer. Einsamkeit. Mein Sichtfeld verschwamm und ich spürte, wie dünne Äste in mein Gesicht peitschten. Ich wurde langsamer und schnappte nach Luft. Mein Herz pochte. Warum rannte ich davon? Ich konnte nicht vor dem davon rennen, was ich getan hatte. Ich konnte nicht vor meinen „Freunden“ davon rennen. Ich würde ihnen früher oder später wieder gegenübertreten und gestehen müssen, dass ich versagt hatte. Ich hatte die Seiten nicht von Potter bekommen und auch sonst keine für sie wertvollen Informationen. Und sie dürften nicht merken, dass es mir nicht einmal Leid tat. Ich kauerte mich hinter einen großen Baum und grübelte. Ich hatte noch Sirius Zauberstab und ich wollte ihn nicht meinen falschen Freunden als Druckmittel gegen meinen Bruder in die Hand geben. Sie hatten ihm für heute genug angetan. Ich hatte mich genug von ihnen ausnutzen lassen. Auch, wenn Sirius es nicht sehen würde, war ich im Zweifelsfall lieber meiner Familie gegenüber loyal als Mitschülern, nur, weil sie im selben Haus gelandet waren wie ich. Und noch hatte Vater ihn nicht aus der Familie verbannt. Noch gehörte er offiziell zur Familie. Niemand sonst hatte das Recht, sich da einzumischen! Ich verbarg Sirius Zauberstab unter meinem Umhang und holte meinen eigenen wieder hervor. Mir war unnatürlich kalt und ich spürte einen Druck auf meinem Brustkorb, der es mir schwerer machte, normal zu atmen.

Erst, als ich in der Ferne Stimmen hörte, die meinen Namen riefen, ließ das unangenehme Gefühl nach. Ich musste mich konzentrieren, gleich glaubhaft rüberzukommen. Einige Minuten später zeigte ich mich Florence und Emma, so geknickt und zerknirscht, wie ich mich zum Teil wirklich fühlte. Ich schniefte und wischte mir mit dem Ärmel meiner Robe über die Augen. „Es… es tut mir leid…“, stammelte ich. „Ich hab nichts rausbekommen. Potter hat mir auch nicht die Seiten gegeben… Ihr seid bestimmt sauer! Dabei… dabei hab ich wirklich mein Bestes gegeben, wie Sirius zu wirken!“, fuhr ich fort. „Aber die Rumtreiber waren nicht allein, bei den ganzen anderen Schülern konnte ich ja wohl kaum… intime Fragen stellen oder so, ohne dass es… blöd gewirkt hätte…“ Florence legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Ist schon ok, du hast dich bemüht. Wir kommen anders an die Seiten.“ Ich hob den Kopf, hoffentlich sahen die Jungs das auch so! „Jemand wie du, aus so einer stolzen Familie, sollte nicht weinen!“, sagte Emma. Ich nickte hastig und wischte mir nochmal über die Augen, bevor ich wieder eine elegantere Körperhaltung annahm und meine Schultern straffte. „Komm, die anderen machen sich schon Sorgen!“ Sorgen? Ja, ganz bestimmt, dachte ich sarkastisch. Stumm folgte ich ihnen. Vor Evan und Devon wiederholte ich meine Entschuldigung. „Kein Ding, du hast die Mutprobe ja bestanden!“, meinte Devon gönnerhaft. Ich presste meine Lippen zusammen, um mir einen bissigen Kommentar zu verkneifen. Wie konnte er es wagen, so zu tun, als stünde er derart über mir? „Wo hast du Sirius Zauberstab?“, fragte Evan nach. Ich machte erschrocken große Augen. „Den Zauberstab? Den… den hab ich weggeworfen, irgendwo am Waldrand! Ich hab gesehen, wie Sirius blutüberströmt… da hab ich Panik bekommen, man würde mir das sicher anhängen, deshalb bin ich ja abgehauen und hab mich nicht sofort bei euch gemeldet…“ Ich sah ihnen an, dass sie mir zwar glaubten, aber durchaus kurz sauer über so eine überstürzte und dumme Reaktion waren.

Ich musste eine Gelegenheit finden, den Zauberstab unauffällig loszuwerden, sodass Sirius ihn wiederbekam. Die Gryffindors fragte bereits nach dem Zauberstab! Ich konnte mich kaum einem von ihnen nähern, ohne Rache fürchten zu müssen für das, was Sirius passiert war. Ich sollte ihn jemandem von einem anderen Haus geben, jemandem, der neutraler war. Ich dachte an Meaghan. Womöglich hatte sie gesehen, wie Sirius verletzt zwischen den Bäumen hervorgestolpert war und hatte Gerüchte gehört, ich hätte ihm das angetan. Ich wollte nicht, dass sie dachte, ich sei ein schlechter Mensch. Ich wollte generell nicht, dass man mich für einen schlechten Menschen hielt! Ich fand es ja schon schlimm, wenn andere Zaubererfamilien ihre Hauselfen zu schlecht behandelten! Doch es ergab sich keine Möglichkeit, Meaghan abzufangen. Stattdessen lief mir ihre beste Freundin, Ana, wenn ich das richtig mitbekommen hatte, über den Weg. „Entschuldige…“, hielt ich sie auf. Ich sah mich kurz um, nicht, dass wir beobachtet wurden! Dann holte ich Sirius Zauberstab hervor. „Kannst du den Sirius geben?“ Sie sah mich überrascht an. „Ich… es tu mir leid. Ich wollte nicht, dass wieder so dumme Tauschgeschäfte gemacht werden und… ich hatte nichts damit zu tun, ehrlich, also dass er verletzt wurde! Sag niemandem was! Sag, du hättest… den Zauberstab am Waldrand gefunden! Ich, nun ja, ich habe behauptet, ich hätte ihn weggeworfen…“ Ich senkte beschämt den Blick. Sie nahm den Zauberstab an und ich fühlte mich wie von einer großen Last befreit. „Wenn du irgendwie Probleme hast…“, begann sie mit freundlicher, warmer Stimme. Schade, dass nicht alle Menschen so hilfsbereit und nett waren! Ich schüttelte den Kopf, ich durfte jetzt nicht schwach werden! „Danke… schon gut.“ Sie hakte nicht nach und verschwand mit dem Zauberstab im Gebäude.

Der Rest des Tages zog träge an mir vorbei. Ich versuchte, nicht auf die Vorwürfe zu achten, die Sirius Freunde mir eher mit Blicken als mit Worten zuwarfen. Es fiel mir schwer, mich auf den Inhalt des Tagebuches zu konzentrieren, als Devon es uns vorlas. Es klang sehr düster. Und es fehlten nach wie vor Seiten. Außerdem war noch nicht sicher, ob wir dem gleichen Phänomen gegenüberstanden wie dieser Alfred J. Fry, der es geschrieben hatte. Eigentlich war Hogwarts ein magisch außerordentlich gut geschützter Ort. Wenn ich so darüber nachdachte, auszuschließen war nicht, dass der Versuch des dunklen Lords, hier einzudringen, nicht doch irgendeinen der Schutzringe soweit geschwächt hatte, dass doch eine dunkle Macht hindurch käme. Mir schauderte. Nachtmahr. Ein Wesen, das von Angst und Alpträumen angelockt wurde oder sie verstärkte und sich davon ernährte, hätte im Moment echt leichtes Spiel mit mir! Severus gab uns einen Trank, der jegliche Träume unterdrücken sollte. Wenn wirklich ein so gefährliches Wesen einen Weg in unsere Träume gefunden hatte, würde es nun zumindest weniger leicht Nahrung finden.

Beim Abendessen geschah etwas, was meine Laune minimal hob. Das grüne Pesto schmeckte eigenartig süßlich zu den Nudeln, was schließlich auch einer meiner Mitschüler verwundert ansprach. Bei den Gryffindors hörte ich ein unterdrücktes Kichern. Sie mussten uns etwas ins Essen gemischt haben! Noch während ich darüber nachdachte, was es sein könnte, öffnete sich mein Mund und das Brüllen eines Löwen erfüllte die große Halle. Dreimal brüllte ich wie ein ausgewachsener Löwe, bei meinen Kameraden schien die Wirkung schwächer auszufallen. Bloß ein alberner Scherzartikel, eine Süßigkeit im Pesto. Obwohl ich als Slytherin Löwen nicht mögen sollte, schmunzelte ich über diesen kindischen Scherz und ich konnte die Sprüche der anderen ignorieren, wie eindeutig ein Löwe in mir stecken musste statt einer Schlange. In dem Gelächter hatte Remus Lupin sich herangeschlichen, ich bemerkte ihn, als er mir ein Haar ausriss. „Hey!“, beschwerte ich mich und sah ihm böse nach. Was sollte denn das? Ob sie auch Vielsafttrank brauten und Gleiches mit Gleichem vergelten wollten? Das wäre doch echt dumm und auffällig! Nach dem Abendessen hatten wir noch eine Stunde Astronomie. Obwohl eine sternenklare Nacht war und ich den Text gründlich gelesen hatte, fiel es mir schwer, die Sternenbilder zu erkennen. Ich sah nur schön leuchtende Lichter am dunklen Himmel. Anderen Schülern schien es ähnlich zu gehen. Von den Gryffindors ging Unruhe aus, die ich auszublenden versuchte. „Was ist der Hauptstern des Sternenbildes Leo?“ – „Regulus!“ Ja, das hätte ich auch gewusst… Es war, als wolle die ganze Welt mir ausgerechnet heute unter die Nase reiben, dass ich nicht nach Slytherin gehörte und deshalb ebenso wenig wie Sirius ein guter Erbe des Hauses Black werden könnte! Meine Laune sank wieder.

Ich stand in der kalten Düsternis und hielt eine Kerze in beiden Händen, die vergeblich flackernd versuchte, den Weg vor mir zu erhellen. Ich wusste nicht, wie ich hergekommen war und konnte mich keinen Schritt bewegen. Ich konnte nicht einmal den Kopf drehen, dabei bekam ich das unangenehme Gefühl, nicht allein zu sein. Etwas lauerte nur wenige Zentimeter außerhalb der Reichweite des Kerzenlichtes. Ich dachte daran, meinen Zauberstab zu zücken, aber ich wagte es nicht, aus Angst, eine falsche Bewegung könnte das Kerzenlicht löschen. Ich hielt sogar die Luft an. Ich wollte nicht blinzeln, aus Angst, genau in dem Moment könne etwas aus der Dunkelheit auftauchen. Eine menschliche Gestalt kam langsam auf mich zu. „Du bist zu weit gegangen.“ Es war Sirius! „Du bist nicht mehr mein Bruder. Du warst mir eh schon länger lästig, jetzt kannst du mir gestohlen bleiben! Hörst du? Du bist mir egal. Mach doch, was du willst. Ich habe Freunde. Und du? Verblendung und falsche Ideale. Anforderungen, die du nie erfüllen kannst. Erbärmlich. Ich bin der Erstgeborene, der talentiertere und beliebtere von uns beiden. Du bist nur der unliebsame Ersatz für unsere Eltern. Wenn du stirbst, wird keiner trauern.“ Sein Gesichtsausdruck war arrogant und kalt, wie ich es von Vater kannte. Seine Stimme war schneidend und herablassend, wie Mutter gerne sprach. Er hatte so viel von den beiden, er wäre wirklich der passendere Erbe. Ich war nur ein Würmchen, das immer im Schatten von Sirius Großartigkeit stehen würde. Und egal, wie gemein er zu mir wurde, ich wusste, ich hatte es nicht anders verdient, nach der feigen Aktion, zu der ich mich hatte anstiften lassen. Ich wollte mich nicht einmal mehr verteidigen. Ich sah ihn nur an, wie er mir den Rücken kehrte und wieder verschwand.

Als nächstes tauchten zwei Gestalten auf, die ich bald als Evan Rosier und Severus Snape erkannte. Sie lachten mich aus. „Du willst ein Slytherin sein? Egal, wie hart du dich anstrengst, du wirst nie wirklich zu uns gehören! Wir kennen dein kleines Geheimnis. Tief im Herzen bist du ebenso ein Blutsverräter wie dein Bruder! Dafür werden wir dir das Leben zur Hölle machen. Freunde? Wir? Pah! Du kannst für uns die Drecksarbeit erledigen. Für uns den Kopf hinhalten. Du kannst dich für uns verbiegen, bis du zerbrichst! Schwächling. Der dunkle Lord hat in deiner Cousine eine treue Dienerin gefunden, wenn dein Vater nicht will und du dich nicht als würdig erweist…“ Die Worte hingen bedrohlich in der Luft. Nein, ich wollte nicht, dass meine Familie wegen mir Ärger mit dem dunklen Lord und seinen Todessern bekam! Angst schnürte mir die Kehle zu. Langsam ahnte ich, was hier abging! Ein Alptraum, aber er zeigte mir die Wahrheit. Severus hatte mir nicht den Trank des traumlosen Schlafes verabreicht. Es war ihnen egal, wenn der Nachtmahr mich leiden ließ und früher oder später gar tötete! Als die Gestalten der beiden Slytherins verschwanden, wartete ich ungeduldig darauf, dass ich mich wieder bewegen konnte oder der Traum sich wechselte. Dieser Alptraum war ja vorbei. „Du bist allein.“, raunte mir eine Frauenstimme von hinten ins Ohr. Meine Nackenhaare standen zu Berge und ein eisiger Schauer lief meinen Rücken hinab. Vor mir tauchte der Geist einer weißen, blutbefleckten Frau auf. „Niemand hält zu dir. Niemand wird dir helfen.“, fuhr sie fort und kicherte irre. „Aber es ist egal. Ich werde euch alle töten und du kannst nichts dagegen ausrichten.“ Ihr freundliches Lächeln war unerträglich. Ich bekam keine Luft mehr. „Hab keine Angst. Ich werde dein Leid fressen.“ Ihre eisigen Hände griffen nach meiner Wange und die Kerze erlosch.

Mit einem Ruck setzte ich mich in meinem Bett auf. Gedämpft hörte ich das Prasseln von Regen und das Donnern eines Gewitters. Ich griff nach meinem Zauberstab und zog die Bettdecke enger um mich. Ich konnte wieder atmen. Erleichtert war ich nicht. Und schlafen konnte ich auch nicht mehr. Immer wieder spielten sich die Worte meines Alptraumes in meinem Kopf ab, sodass ich keinen anderen klaren Gedanken fassen konnte. Ich war einer der ersten, die am Frühstückstisch saßen und ich fühlte mich hundeelend. Ich hatte mich ordentlich angezogen und meine Haare gekämmt und hoffte inständig, dass das reichte, zu kaschieren, wie fertig ich aussah. Naja, vielleicht hatte ich es mir nur eingeredet, als ich vorm Spiegel stand und mich selbstkritisch gemustert hatte. Misstrauisch beäugte ich meine Mitschüler. Sie schienen nicht auf mich zu achten. Vielleicht erwarteten sie doch nicht, dass ich diese Nacht doch von Alpträumen heimgesucht heimgesucht worden war? Sie schienen gut geschlafen zu haben. Ich sollte dem Wesen keine zu große Macht über mich einräumen! Es war möglich, dass es versuchte, mich zu manipulieren. Als die Eulen mit den Briefen kamen, bekam ich wieder Zweifel. An mich war ein einfacher Zettel adressiert, der keinen Absender hatte und es stand eine kryptische Warnung darin, die mit „ein Freund“ unterschrieben war. Das konnte doch bloß ein schlechter Scherz sein! Wer schrieb sowas an mich? Düster sah ich mich um. Keiner achtete auf mich. Wenn jemand intrigierte, würde er doch meine Reaktion sehen wollen, oder nicht?

In Zaubertränke nahmen wir nun Schlaftränke durch. Aufmerksam lauschte ich Profesor Slughorns Erklärungen, besonders, als er vom Trank des traumlosen Schlafes sprach. Ich hob die Hand. „Regulus Black, haben sie eine Frage?“ Ich nickte. „Professor Slughorn, gibt es Umstände, unter denen dieser Trank das Träumen doch nicht verhindern kann? Gibt es Zauber oder Wesen, die seine Wirkung umgehen können?“ Der Professor schien nicht mit einer solchen Frage gerechnet zu haben. Er sah mich ernst an und überlegte kurz. „Nun, wenn der Trank nicht richtig gebraut worden ist oder die Dosierung nicht stimmt, kann die Wirkung schwächer ausfallen. Es mag auch Zauberer geben, die die Träume anderer Zauberer beeinflussen können, aber derartige Magie wird in Hogwarts nicht gelehrt. Wesen wie der Alp könnten einem trotz Schlaftrank üble Träume bescheren, aber das ist wenig erforscht, da kann ich ihnen leider nicht mehr zu sagen. Ich glaube aber nicht, dass sie jemals in eine solche Situation kommen würden, wo das für sie relevant wäre…“ Slughorn achtete nicht mehr auf mich, als ich mein Gesicht verzog. Florence, die neben mir saß, bemerkte es und beugte sich zu mir. Ich musste mich jemandem anvertrauen! „Ich hatte heute wieder einen Alptraum. Und ich bin mir sicher… dass dieses Tagebuch relevant ist.“ In dem Tagebuch stand sehr deutlich, dass ein Nachtmahr noch ungemütlicher werden konnte, wenn man ihn zu offen benannte. „Er hat zu mir gesprochen. Er hat gedroht. Wir schweben alle in großer Gefahr! Wir sollten Dumbledore benachrichtigen… wenn es IHN nicht aufmerksam macht…“ Ernst nickte sie und gab an ihren Verlobten Evan weiter: „Wir müssen den Bannspruch finden, von dem im Tagebuch die Rede war! Regulus hatte einen Alptraum…“ Es wurde leise weiter getuschelt. Dann wandte sie sich wieder an mich. „Gab es in deinem Traum noch irgendwelche Hinweise?“ Ich überlegte, was ich preisgeben wollte. „Es kam eine weiße, blutüberströmte Frau drin vor. Ich glaube, das war er. Ich meine… haben die Ravenclaws nicht letztens in Wahrsagen von einer Geistererscheinung gesprochen? Wollten sie nicht mit anderen zusammen einer Geisterfrau helfen? Haben sie nicht… irgendwas recherchiert, wie jemand gestorben ist? Ich fürchte…“ Ihre Augen weiteten sich, als sie verstand, was ich andeutete. „Sollten wir sie nicht genauer fragen? Sie warnen?“, flüsterte ich. Sie schüttelte den Kopf. „Zu gefährlich. Wir reden ohnehin schon zu viel über ihn!“ Professor Slughorn unterbrach unser Getuschel mit einem strengen Blick. Wir sollten uns wieder auf den Unterricht konzentrieren, denn wir mussten jetzt einen Trank brauen. Dazu sollten wir in Gruppen draußen noch frische Zutaten sammeln und dann den Anweisungen im Buch folgen. In meiner Gruppe führte ich das Protokoll.

Zwischen den Unterrichtseinheiten beschäftigten wir uns immer in kleinen Gruppen mit den Rätseln, denn die letzten Seiten des Tagebuchs waren magisch versiegelt, sodass nicht jeder das Ende lesen konnte. Sicherlich würde auch dort noch eine verschlüsselte Botschaft lauern. Niemand sollte anhand eines solchen Tagebuches denken, dass ein dunkles Wesen wie ein Nachtmahr leicht zu bannen sei, das führte nur dazu, dass Zauberer leichtsinnig wurden oder gar dachten, sie könnten ein derartiges Wesen zähmen oder für eigene Zwecke missbrauchen! Aber wir hatten gerade akut das Problem, höchstwahrscheinlich von einem Nachtmahr bedroht zu werden und wenn er einen Weg fand, den Schutz von Hogwartd endgültig zu durchbrechen…

Vor Pflege magischer Geschöpfe machte ich einen kleinen Spaziergang durch die Sonne, um meine düsteren Gedanken loszuwerden. Ich bemerkte nicht, wie weit ich mich von meinen, nun ja, Freunden entfernte und dass mir Aubrey entgegen kam. „Du miese kleine Schlange!“ Ich blieb stehen und sah, wie der Hüter der Gryffindor-Mannschaft mit gezücktem Zauberstab auf mich zukam. Ich zückte meinen ebenfalls „Protego!“, rief ich vorsorglich. „Was willst du?“ Ich hatte gerade echt keinen Bock auf Streit! War er noch sauer wegen der Klo-Geschichte? Mit der hatte ich doch nichts zu tun gehabt! Oder war er gut genug mit Sirius befreundet, dass er die Gelegenheit nutzen wollte, mich dafür zu bestrafen, dass ich ihn in einen Hinterhalt gelockt hatte? Er schlug mir den Zauberstab aus der Hand. „Ich hab dir nichts getan!“, brüllte ich, so laut ich konnte. „Lass mich…“ Ich duckte mich unter einem Faustschlag weg und trat dann nach ihm. Selbstverteidigung war ja wohl erlaubt! Es machte Aubrey aber noch wütender. „Ihr habt meinen Kopf ins Klo gesteckt, ihr verdammten Bastarde!“ Hatte ich mir doch gedacht. „Damit hatte ich nichts zu tun!“ Trotzdem rollten wir schon über die Wiese und ich schlug mir das Knie an einem Stein auf. Dafür boxte ich ihm in den Bauch, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Sein Schlag traf mich am Kinn und ich biss mir selbst auf die Unterlippe. „Hilfe!“, schrie ich, bevor unsere Prügelei noch mehr eskalierte. „Fühlst dich wohl nur stark, wenn du nen Pulk von Slytherins um dich hast!“, warf Aubrey mir vor. „Fühlst dich wohl nur stark, wenn du kleineren auflauerst!“, konterte ich. „Regulus, ich rette dich!“ War das Devons Stimme? Ich drehte den Kopf und sah noch, wie er stolperte und halb auf uns beide drauf stürzte. Tolle Rettung.

Aubrey und ich hatten beide unsere kleinen Blessuren und wurden beide zum nächstbesten Lehrer geschleift. Er bekam Punkte abgezogen, weil er die Schlägerei angefangen hatte, dann durften wir zu Madame Pomfrey und überlegen, ob wir zum jetzigen Unterrichtsfach nachkommen wollten. Ich wollte nicht und Aubrey wohl auch nicht. Ich wollte die Gelegenheit nutzen, mich hinzulegen und ein halbes Stündchen Schlaf nachzuholen. „Hab ich dich echt so verletzt?“ Ich öffnete die Augen wieder und sah zu Aubrey, der nun wirklich ein schlechtes Gewissen zu haben schien. Ich schüttelte den Kopf. „Mir ging´s schon vorher nicht gut.“ Er hob eine Augenbraue. „Schlechtes Gewissen wegen dem, was du deinem Bruder angetan hast?“ Ich seufzte und senkte den Kopf. „Ich wusste es nicht, also, was sie vorhatten… aber ich hätte es mir denken können.“ Aubrey schwieg eine Weile. „Ich war echt sauer wegen der Sache, dass ein paar von euch sich über meine Haare lustig gemacht haben und…“ Ich nickte. „Kann ich verstehen. Hätte ich an deiner Stelle auch nicht sonderlich witzig gefunden.“ Irgendwie musste ich schmunzeln. „Aber ich würde mir die Haare auch nicht grün färben!“ Dieser kleine Scherz lockerte die Atmosphäre zwischen uns endgültig, zumindest für die Zeit jetzt im Krankenflügel. Ich wollte nicht über persönliche Probleme reden, also lenkte ich das Thema auf Quidditch. „Dass du Fan von der gleichen Mannschaft bist wie Potter…“, bemerkte Aubrey kopfschüttelnd. „Ich hab gehört, er wurde zu einem Probetraining eingeladen! Ein bisschen neidisch bin ich ja schon. Aber er ist nunmal gut, das kann man kaum bestreiten. Wenn er weniger Egotrips fahren würde…“ Da waren wir einer Meinung. Es tat gut, mal mit jemandem zu reden, ohne dass Reinblütigkeit oder das Haus eine zu große Rolle spielten. Wir waren doch beide nur Jungs, die auf eine Schule gingen und Quidditch mochten. Wir würden keine Freunde werden, aber bis aufs Blut verfeindet mussten wir auch nicht sein. Jedenfalls nicht außerhalb des Quidditchfeldes, dachte ich amüsiert.

Man besuchte uns nicht im Krankenflügel und ich ließ mir Zeit, bis ich von mir aus zu meinen Mitschülern zurückkehrte. Sie waren vertieft in die Hinweise und Rätsel des Tagebuches und ich gab mein Bestes, zur Entschlüsselung der Informationen beizutragen. Es war nervenaufreibend. Einige Schriftzeichen waren uns komplett unbekannt und wir fanden in der Bibliothek kaum Hinweise. Uns lief die Zeit davon. Dass wir im Unterricht nicht fehlen konnten, machte die Zeit noch knapper! Von Peeves hatten die anderen noch die restlichen Tagebuchseiten bekommen und da war die Anleitung dabei, wie wir die Schrift auf den letzten Tagebuchseiten sichtbar machen könnten. Es war ein Rätsel, wo man den richtigen Zaubertrank aus mehreren Flaschen herausfinden musste, die aus dem Nichts auftauchten. Wenn man die falsche Flasche wählte, bestand die Gefahr, dass dort Gift drin war. Natürlich durfte ich als erster probieren, sobald wir uns einigermaßen sicher waren, das Rätsel richtig gelöst zu haben. Severus meinte, er habe für den Notfall einen Bezoar dabei oder könne einen besorgen. „Feiglinge…“, brummte ich und setzte die Flasche an den Mund. „Süß!“, verkündete ich dann erleichtert. Hätte er salzig geschmeckt, so wäre es laut dem Rätsel das Gift gewesen. Jeder, der einen Schluck des Trankes nahm, konnte nun die zuvor verborgene Schrift sehen. Sie führte uns zu einem Buch über altrömische Rituale und Schutzbanne. Dank meinem Vater kannte ich mich mit Schutzrunen und Bannzaubern schon einigermaßen aus und ich war mir ziemlich sicher, dass wir nicht von dem Nachtmahr selbst auf eine falsche Fährte gelockt worden waren. Aber das Ritual benötigte komplizierte und äußerst präzise Vorbereitungen. Wenn wir noch in dieser Nacht die Gefahr bannen wollten, bevor ein Schüler durch Alpträume in den Wahnsinn oder den Tod getrieben wurde, mussten wir jede freie Minute gut und gezielt nutzen. Zum Beispiel musste ein besonderes Salzgemisch hergestellt werden, um den Nachtmahren so lange festhalten zu können, bis wir das Ritual vollzogen hatten…

Der Schulleiter machte sich in Hogwarts mal wieder rar, wahrscheinlich, weil das Ministerium ihn mal wieder um Hilfe gebeten hatte. Selbst so ein mächtiger Zauberer wie Dumbledore konnte nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. Allzu lange ließ er Hogwarts und seine Schüler nie allein und ich betete, dass er auch diesmal noch rechtzeitig wieder auftauchen würde, sollte etwas schiefgehen. Dass tatsächlich etwas massiv schiefgehen könnte, wurde uns bewusst, als wir von Reginald Hinweise bekamen, dass der weibliche Geist eine gemischte Gruppe aus Ravenclaws und Gryffindors zu einem Ritual geführt hatte, das sie erlösen sollte. Es war NIE gut, ein Tor in die Welt der Geister zu öffnen, erst recht nicht, wenn man als Zauberer jung und unerfahren war. Man konnte nie wissen, was auf der anderen Seite darauf wartete, hereingelassen zu werden. Wieder merkte ich an, ob es nicht besser sei, die anderen unauffällig zu warnen. Ob sie uns glauben würden? Wo es so viele Vorurteile gegen uns Slytherins gab? Fraglich. Und wenn das zu einer Diskussion führen würde, war der Geist bzw. der Nachtmahr gewarnt. Wir wussten nicht zuletzt aus Pflege magischer Geschöpfe, wie gefährlich in die Ecke gedrängte wilde Tiere werden konnten! Bei diesem musste man damit rechnen, dass es intelligent war und all unsere Ängste kannte. Wenn die Angaben in dem Tagebuch stimmten, waren Nachtmahre außerdem Rudeltiere. Bei Merlins Bart, ich mochte nicht daran denken! Ich musste mich konzentrieren, ich durfte bei meinem Teil hinterher nichts falsch machen. Mir hatte der Nachtmahr sich gezeigt, wenn er wirklich die Geisterfrau war, mussten wir warten, bis sie sich wieder denjenigen zeigte, auf deren Hilfe sie hoffte. Nach meinem Alptraum wollte ich ihm nicht wieder begegnen, aber ich musste tapfer sein.

Die Dämmerung setzte viel zu früh ein. Wir hatten nicht einmal Zeit, großartig zu proben, was wir beim Ritual machen mussten. Wir mussten uns also auf das Abgesprochene und unsere Aufgabenverteilung einigermaßen verlassen können. Ich hatte mir einen Spickzettel gemacht, auf den ich immer wieder draufschaute, obwohl ich mir sicher war, den Zauber zu können, mit dem ich den Nachtmahren aufspüren oder demaskieren könnte. Zur Not würde Evan den auch können. Wir hörten gedämpft, wie einige Schüler in einem Nebenraum nach dem Abendessen einen Gesang übten. „Open this portal and let the spirits pass“, verstand ich bei genauerem Lauschen. Ich bekam eine Gänsehaut. Wie um die Atmosphäre zu unterstreichen, hörte ich in der Ferne im Wald einen Wolf heulen. Gabriel Rookwood hatte Angst vor Wölfen, das merkte man ihm sofort an. „Das ist bestimmt ein Werwolf! Haben wir nicht sogar Vollmond?“ Wir wurden noch unruhiger. Die Schüler, die den Gesang geprobt hatten, schlichen sich aus dem Gebäude Richtung Waldrand, wir hinterher. „Das Geheul ist noch weit weg und kommt aus einer anderen Richtung!“, sagte Lucinda und ergriff beruhigend seine Hand. Ohne das Licht unserer Zauberstäbe zu entzünden versuchten wir, ohne zu stolpern den Weg zu finden. In der Ferne sahen wir zwischen den Bäumen, wie sich die Lichter der anderen entfernten. Wir durften den Anschluss nicht verlieren! Das Wolfsgeheul klang, als käme es nun doch näher. Wir beschleunigten unsere Schritte, bis wir beinahe alle über eine größere Wurzel stolperten. „Vorsicht!“, warnte einer zu spät und so gedämpft, dass ich die Stimme nicht erkannte. „Ist wer verletzt?“ Da sich keiner meldete, gingen wir nun wieder vorsichtiger weiter.

Schließlich erreichten wir eine Lichtung, auf der das Beschwörungsritual aufgebaut wurde. Der Geist der Frau erschien bereits. „Das… das ist sie!“, hauchte ich alarmiert. „Warte noch…“, hörte ich Evan Rosiers Stimme. „Nein, besser zu früh als zu spät!“, hielt jemand leise dagegen. Mein Herz raste plötzlich, obwohl wir nicht gerannt waren. „Habt ihr das Salz bereit?“, vergewisserte ich mich. Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich auf die Lichtung trat, auf den Geist zu. „Wartet! Wisst ihr eigentlich, was ihr da tut?“ Die anderen Schüler sahen mich verständnislos an. Ich sah Lily Evans, auf die Potter so stand. Aber die Rumtreiber waren nicht dort. „Was machst du hier?“, fragte jemand abwehrend. Ich sah zu der Geisterfrau, deren schwarze Augen sich tief in mich bohrten. „Du wagst es?“ Ich war mir nicht sicher, ob alle diese Stimme hörten. „Ostende te mihi te ipsum!“ sagte ich und schwenkte den Zauberstab. Es passierte nichts, meine Hand zitterte wohl zu stark. Ich hörte ihre Stimme kalt lachen. Wieder bekam ich dieses unangenehme Gefühl, dass kalte Finger sich um meinen Hals legten und mir die Luft abschnürten. Ich wich zurück. Da brachen meine Mitstreiter aus dem Gebüsch hervor. „Ostende te mihi te ipsum!“, schallte Evan Rosiers Stimme gebierterisch über die Lichtung, als er hinter mir stand. Die weiße Frau schrie auf und grauer Neben stieg von ihr auf. „Es darf nicht entkommen!“, rief ich panisch. Flüche wurden auf die Gestalt geschleudert. Ich wusste nicht, dass sie auch Mitschüler trafen. Chaos brach aus. Irgendwie schafften die drei Leute mit dem Salz es, in der Hektik um das Wesen einen fast perfekten Kreis zu ziehen. Nun konnten wir alle die wahre Gestalt des Nachtmahrs sehen und sie war schrecklich. Ich stand sicher außerhalb des Schutzkreises, die Slytherins halfen den anderen Schülern, ebenfalls einen sicheren Abstand zu dem Wesen zu gewinnen. „Es ist ein Nachtmahr! Er ist in eure Träume eingedrungen und hat versucht, euch zu manipulieren! Ihr ward gerade dabei, ihn und womöglich mehr von seiner Sorte zu beschwören!“, versuchte ich, eilig eine Erklärung abzugeben. „Wir müssen ihn bannen und den Schutzzauber um Hogwarts erneuern!“

Wir stellten uns mit den Kerzen und Laternen um den Salzkreis herum auf. Jeder schaute nochmal auf seinen Zettel, welchen Satz er wie oft aufsagen musste. Wir stellten Augenkontakt her und Florence gab mit einem Nicken das Zeichen. Der Nachtmahr brüllte erbost und ich fragte mich, ob sich die anderen ebenso bedroht und an ihre Alpträume erinnert fühlten, wie ich. Meine Stimme zitterte, aber ich bemühte mich, mich nicht zu sehr zu verhaspeln. Da wir keine Zeit mehr gehabt hatten, zu proben, klang es längst nicht so gut wie der Gesang, den die anderen vorbereitet hatten und wir mussten darauf vertrauen, dass es reichte, den Nachtmahr lange genug in Schach zu halten, bis Dumbledore persönlich die Schutzzauber überprüfen und ausbessern konnte. Der Nachtmahr warf sich gegen die Barriere und einen Moment sah es so aus, als habe er eine winzige Lücke im Salzkreis gefunden. Unser Ritual war jedoch fast fertig, jetzt mussten wir nur abwarten, ob wir unser Ziel damit erreicht hatten. Zuerst geschah nichts. Dann stieg wieder mehr grauer, bedrohlicher Rauch von der finsteren Gestalt auf. Ich meinte, darin wieder meine Familie zu sehen, die sich von mir abwandte. Das Wesen gab einen markerschütternden Schrei von sich. Und zerfiel.

Ich ließ vor Erleichterung beinahe die Kerze fallen, die ich in der Hand hielt und musste mich zusammen reißen, nicht zu sehr an den Alptraum zu denken, in dem ich auch eine Kerze gehalten hatte. Sonst hätte ich angefangen, zu weinen. „Was war das? Was habt ihr gemacht? Wo ist der Geist der Frau hin?“, wurden wir nun mit misstrauischen Fragen gelöchert. Ich sah zu meinen Mitstreitern und trat dann vor, obwohl ich nicht sicher sein konnte, dass sie mir eher zuhören würden als einem der anderen Slytherins. Florence und Emma standen hinter mir. Das war ein gutes Gefühl. Ich gehörte irgendwie doch zum Team! Das gab mir das Selbstbewusstsein, das mir noch fehlte. „Wie ich bereits versucht habe, zu sagen… ein Nachtmahr hat versucht, nach Hogwarts einzudringen und sich in unseren Alpträumen einzunisten. Diese Wesen sind gefährlich und weitgehend unerforscht, sie scheinen von Angst zu leben.“ Das räumte die Skepsis in ihren Blicken nicht aus. „Uns erschienen die gehäuften Alpträume verdächtig. Dann fiel uns dieses Tagebuch in die Hände, in dem ein Zauberer ähnliche Phänomene beschrieb und zu recherchieren begann.“, ergänzte Florence meinen Erklärungsversuch. „Severus machte uns einen Trank des traumlosen Schlafes, um uns gegen Alpträume zu schützen. Wir konnten ja nicht sicher sein, ob unsere Alpträume den gleichen Ursprung hatten wie bei diesem Alfred Frey. Ich bekam dennoch einen schlimmen Alptraum, mir erschien die blutige weiße Frau auch! Doch anders als bei euch bat sie mich nicht um Hilfe. Sie drohte mir. Da hatten wir noch mehr den Verdacht, dass ein Nachtmahr hier eingedrungen sein könnte und dass er bereits bemerkt hatte, dass wir was gegen ihn versuchen könnten. Wir mussten also vorsichtiger vorgehen. Es tut uns leid, dass wir euch deshalb nicht einweihen konnten. Außerdem hat die weiße Frau euch sicherlich eine gute Geschichte aufgetischt, bis wir euch überzeugt hätten, hätte der Nachtmahr reagieren können! Und für unser Ritual war es wichtig, ihn erst einfangen zu können! Ihr habt also dazu beigetragen, dass wir diese Bedrohung abwenden konnten!“

Ich konnte nachvollziehen, dass die anderen sich jetzt echt blöd fühlten. Ausgenutzt, vorgeführt, aber sie konnten nichts dafür, dass sie von so einem Wesen nichts gewusst hatten und dafür würde niemand sie verspotten. Ich sah sie offen an und mein Blick traf den von Meaghan. „Du hast das Tagebuch doch auch gesehen und mal reingeguckt, als wir die fehlenden Seiten gesucht haben!“, erinnerte ich sie. Sie nickte. „Da wussten wir doch auch noch längst nicht alles… Ihr habt euer Beschwörungsritual bereits geprobt, als wir die letzten Vorkehrungen für den Bannspruch machen mussten. Ich weiß ja, dass ihr uns Slytherins immer vorwerft, zu viel mit den dunklen Künsten zu tun zu haben. Aber vielleicht ist es manchmal nicht schlecht, ein wenig darüber zu wissen…“ Meaghan, Ana und Lily tauschten Blicke aus, die darauf schließen ließen, dass sie zwischendurch misstrauisch gewesen sein mussten.

„Heißt das, ihr seid jetzt die Retter?“, fragte ein Junge ungläubig. „Naja… keine Ahnung, vorerst vielleicht?“, entgegnete ich unsicher. „Wir sollten Dumbledore von dem Vorfall berichten, damit er sicher gehen kann…“, meinte Evan Rosier, unser Vertrauensschüler. „Am besten ein Vertrauensschüler aus jedem Haus? Oder aus jedem Haus einer, der dabei gewesen ist…“ Das war ein Vorschlag, den alle annehmen konnten. In der Ferne war wieder Wolfgeheul zu hören. „Wir sollten schleunigst zurück ins Schloss!“ Auf dem Rückweg blieben wir alle eng zusammen und gingen sehr gemischt. Slytherins, Ravenclaws und Gryffindors unterhielten sich leise weiter, Fragen wurden gestellt und Antworten wurden gegeben, auf dass wir alle ein möglichst vollständiges Bild bekommen konnten. So erfuhr ich auch mehr, wie der Geist die anderen mit seiner Geschichte überzeugt hatte. Hätte sich der Geist mir auf dieselbe Art gezeigt wie ihnen, hätte ich wohl auch Mitleid gehabt und versucht, ihn zu erlösen und dabei gesunde Vorsicht über Bord geworfen. Sobald wir sicher im Schulgebäude waren, suchten wir den erstbesten Lehrer auf. Wir mussten Dumbledore die ganze Geschichte erzählen, am besten sofort! Die Lehrer schickten uns alle zusammen in die große Halle, wo wir darauf warteten, dass Dumbledore zurückkehrte und die Vertrauensschüler zu sich rief. Zuerst saß ich zwischen Reginald und Meaghan und versuchte, ein lockeres Gespräch in Gang zu bringen, aber die Stimmung war allgemein drückend. Wahrscheinlich konnten wir alle erst richtig erleichtert sein, wenn Dumbledore persönlich verkündete, dass der Nachtmahr uns nie wieder schaden könnte. Ich stand auf und tigerte durch den großen Saal, dann fragte ich Rosier, was er Dumbledore genau erzählen würde. Ich machte noch eine Runde, weder Sirius noch seine Freunde schienen an dem Vorfall beteiligt gewesen zu sein. Dabei waren sie doch sonst so schrecklich neugierig! Ich setzte mich wieder zu Meaghan und bemerkte, dass Bertram Aubrey nun auch in der Nähe saß. Der war mir vorher gar nicht aufgefallen! Da wir uns bei Madame Pomfrey vertragen hatten, fühlte ich mich jetzt nicht unwohl in der Nähe des Gryffindors.

Endlich wurden die Vertrauensschüler gerufen. Das würde sicher dauern. Ich überlegte gerade, ob sich die Zeit nicht mit einem weiteren Gespräch verkürzen ließ, da wurde die große Tür aufgestoßen und Sirius stolzierte mit hoch erhobenem Kopf und arrogantem Gesichtsausdruck herein. Was war denn in den Gefahren? Hinter ihm betraten Potter und Pettigrew ebenfalls die Halle. Potters düsterer Blick bohrte sich in Sirius Rücken und sie setzten sich an entgegengesetzte Ecken der Halle. Sirius schien Potter zu ignorieren, Potter starrte immer wieder böse zu meinem Bruder. Hatten die beiden besten Kumpels sich etwa zerstritten? Warum? Sirius hatte sich beinahe direkt neben mich gesetzt, aber er schien mich nicht bemerkt zu haben. Ich war kurz davor, die Chance zu nutzen, ihm den Floh ins Ohr zu setzen, dass er doch wieder zur Familie zurückkehren sollte. Wenn ich die Situation gut genug nutzte, könnte es sogar klappen! Meine Eltern würden sich freuen. Sie wären stolz auf mich. Warum zögerte ich dann? Ich sah zwischen Potter und Sirius hin und her. Es fühlte sich falsch an, dass die beiden nicht nebeneinander saßen. Sirius wirkte immer so glücklich, wenn er mit Potter rumalbern konnte. So wirkte er zuhause nie. Eigentlich wollte ich meinen Bruder glücklich sehen. Nein, er würde sich nie mit unseren Eltern vertragen, ohne dafür einen Großteil seines Charakters und seiner Ideale unterdrücken zu müssen. Er müsste sich verbiegen, bis er zerbrechen würde, so wie die Slytherins es zu mir in meinem Traum gesagt hatten. Es fühlte sich scheiße an, sich für andere verbiegen zu müssen. Ich gönnte es meinem Bruder, Freunde gefunden zu haben, für die er sich nicht so verstellen musste. Oder täuschte ich mich? Ich haderte mit mir, ob ich neugierig nachfragen sollte. Nein, es ging mich nichts an! Je weniger mein Bruder mir über seine Freunde erzählte, desto weniger konnte ich später verraten, wenn jemand nachfragte. Sirius schien echt gekränkt zu sein. Und wie ich ihn kannte, würde sein Stolz ihm im Weg stehen, wenn es darum ging, den ersten Schritt zu tun, um sich zu vertragen. Worte konnten so viel kaputt machen. Ebenso wie böse Blicke. Ehe ich mich versah, hatte ich eine Hand ausgestreckt, tätschelte meinen Bruder am Arm und beugte mich zu ihm. Es war mir egal, wie misstrauisch Potter zu uns rüber sah. „Freunde sind die Familie, die man sich aussuchen kann. Du weißt, dass ich zu unseren Eltern halte…“, flüsterte ich ihm traurig zu. Es klang wie ein Abschied. Es war ein Abschied. Ich musste lernen, meinen großen Bruder loszulassen. Es war besser für ihn, wenn ich ihn nicht weiter unnötig zurück hielt. Ich wollte nicht wissen, wie er reagierte und wandte ihm schnell den Rücken zu und ging.

Dumbledore kehrte mit den Vertrauensschülern zurück und hielt eine Rede, deren Inhalt grob war, dass die Verteidigungsmechanismen von Hogwarts durch den Todesserangriff mehr gelitten hatten, als er geahnt hatte und dass wir dazu beigetragen hatten, die Sicherheitslücke zu entdecken und zu versiegeln. Jeder von uns bekam 5 Hauspunkte. Dann rief der Schulleiter mit ernster Stimme Potter und Sirius Black auf. Erneut fragte ich mich, was die angestellt haben mochten und ich schien nicht der einzige zu sein. Pettigrew dackelte hinter Potter her.

Die schwarze Rose

Dieses Kapitel ist besonders Alyon gewidmet, die im Larp die Rolle der Meaghan McCormack spielt.
 

Es ist nur wenige Tage nach dem Desaster an Weihnachten und ich war unüblich früh wieder in die Schule zurückgekehrt. Jetzt klebte meine linke Wange an einer Klobrille und ich schrie meinem Bruder wütend hinterher, doch er sah sich nicht einmal mehr um. Ich hatte schon länger geahnt, dass er der Familie bald endgültig den Rücken kehren und seinen eigenen Weg gehen würde. Es hatte sogar Situationen gegeben, in denen ich ihm von Herzen gewünscht hatte jenseits der Familie Black glücklich zu werden, doch dass alles so eskalieren würde, hätte ich nicht einmal in meinen schlimmsten Alpträumen kommen sehen. Und von denen hatte ich seit der Begegnung mit dem Nachtmahr viele. Wir hatten ihn besiegt und es war zum Glück nicht mehr viel vorgefallen, an dem ich selbst direkt beteiligt gewesen wäre.

Ich hatte mir gewünscht, Sirius hätte mich zu seinem Geburtstag eingeladen, doch er hatte vor Halloween wohl nur mit seinen engsten Freunden irgendwo gefeiert. Da ich wusste, dass Vater ihm das Taschengeld endgültig gestrichen hatte, hatte ich ihm jede Galeone und jeden Sickel, den ich entbehren konnte, zugeschickt mit einer Geburtstagskarte. Ein wenig traurig hatte ich geschrieben, dass wir uns als Brüder weit genug voneinander entfernt hatten, dass ich mir nicht mehr sicher war, was ihm gefiele und von daher solle er sich mit dem Geld selbst etwas kaufen. Natürlich hoffte ich, dass er es sinnvoll ausgeben würde und nicht nur für alberne Streiche oder irgendeinen merkwürdigen Muggelkram, womit er unsere Eltern in den Wahnsinn treiben konnte.

An Halloween wollte ich sämtlichen Gruselgeschichten und hässlichen Fratzenmasken ausweichen und zog mich früh in mein Bett zurück. Der Schlafsaal war leer, ich war allein und obwohl ich noch ein angenehmes Märchen las, kehrte das Gefühl einer dunklen Vorahnung zurück und nistete sich hartnäckig in mein Herz. Am nächsten Morgen hörte ich Gerüchte, ein paar Schüler hätten irgendwo ein echtes Menschenherz gefunden, in der Nähe von Hogsmeade. Ich bemühte mich, diesen beunruhigenden Geschichten nicht zu viel Beachtung zu schenken und bei der Fülle an Hausaufgaben, die wir bis vor den Weihnachtsferien erledigen mussten, war das nicht schwer. Ich wusste nicht einmal, welche Schüler an diesem angeblichen grausamen Fund beteiligt gewesen sein sollten und ich fragte nicht nach. Manchmal konnte zu große Neugier einen in noch größere Schwierigkeiten bringen und ich war froh, dass in dem Moment der größte Stress, den ich hatte, der wegen der vielen Aufsätze war.

Ich wusste noch nicht warum, aber ich hatte angefangen, Artikel aus dem Tagespropheten zu sammeln und zu ordnen. Immer, wenn von merkwürdigen Unfällen, ungeklärten Morden oder gar schon von Todessern gemunkelt wurde. Natürlich würde jeder typische Gryffindor denken, ich sei ein dummer kleiner Reinblutfanatiker, der ein Fan des Dunklen Lords und seinen Anhängern war. Ich wusste noch nicht genug, um beurteilen zu können, ob ich den Zielen und Methoden jenes Dunklen Lords zustimmen konnte und ich konnte nicht ahnen, welche Gerüchte des Tagespropheten stimmten und was aus der Luft gegriffen war. Ich verabscheute jedenfalls unnötige Gewalt, nicht nur gegenüber Hauselfen. Ach, wenn mein Bruder nur einmal nett zu unserem armen Kreacher wäre!

Viel zu schnell hatte ich neben Sirius gestanden, mit dem Koffer in der Hand. Ich hatte seine Anspannung gespürt, aber ignoriert. Die Ferien fingen schließlich an! So, wie Sirius sich manchmal in der Schule benahm, könnte man meinen, er sei einer von jenen Schülern, die gern mal ein paar Tage frei hatten. Und es waren Weihnachtsferien! Wenn er sich nur ein wenig zurück hielt, könnte er sich vielleicht sogar mit unseren Eltern vertragen! Oh, wie dumm von mir, mir das einreden zu wollen. Ich wurde sehr bald eines Besseren belehrt. Weihnachten, das Fest der Familie, auf das ich mich eigentlich gefreut hatte, war zu einer Katastrophe geworden. Sirius Schmerzensschreie, als Vaters Strafe ihn traf, übertönte ich innerlich mit Wut. Sirius war selbst schuld gewesen, wenn er sich absichtlich so schlecht benahm und alle Anwesenden beleidigte! Wir hatten vorher noch versucht, ihm Vernunft einzureden - vergeblich.

Normalerweise war Mutter die temperamentvolle, die in plötzlicher Wut mit Flüchen um sich warf. Doch diesmal war es Vater gewesen, der eiskalt…

Mir schauderte. Meine Wange klebte an der Toilette wie die Muggelposter mit den halbnackt abgebildeten Frauen an der Wand in Sirius Zimmer. Ich hatte halb mitbekommen, dass Sirius auch andere Schüler angegriffen und in anderen Kabinen festgeklebt hatte. Ich hörte Florence leise fluchen und dann ein Geräusch wie das Reißen von Stoff. „Na toll, der Rock war neu!“ Mir wurde schlecht, als ich mir vorstellte, wie man wohl meine arme Wange von dem Klositz losschneiden müsste. Zu meinem Glück oder Unglück gesellte sich die maulende Myrte zu uns und übertönte mit ihrem übertrieben klagenden Jammern mein unterdrücktes Schluchzen. Jemand beugte sich zu mir und Emma Vanity sagte, sie und Florence würden die Lehrer holen, damit man mich und Evan Rosier befreien könnte. Ihn hatte Sirius mit einer Hand an eine Toilette hinter mir geklebt. Da ich meinen Kopf keinen Millimeter bewegen konnte, konnte ich nicht zu ihm sehen.

Bis Professor McGonagall mit Madame Pomfrey kam, hatte ich genug Zeit, Panik aufzubauen. Sie würden Fragen stellen! Wenn Sirius erzählte, warum er so sauer auf mich und seine Familie und alle Familien, die er als Reinblutfanatiker abstempelte, war… Wenn bekannt würde, dass unser Vater einen unverzeihlichen Fluch zur Strafe angewandt hatte, gegen den eigenen Sohn! Nein, ich wollte nicht, dass meine Eltern in Askaban landeten! Ich hatte Mitleid mit Sirius gehabt, es hatte mich schockiert, zu welch drastischen Maßnahmen Vater gegriffen hatte, aber… Sirius war sicher bei einem seiner Freunde untergekommen. Ich tippte auf Potter, sicher war ich mir allerdings nicht und ich wollte nicht nachfragen. Doch wo sollte ich hin, wenn Sirius dafür sorgte, dass die Familie endgültig zerbrach?

Ich bestätigte, dass Sirius es gewesen war, der mich und die anderen mit dem starken Klebefluch hier in der Toilette festgeklebt hatte, aber ich schwieg eisern zu den Einzelheiten. Zuerst wurde Evans betäubt und dann seine Hand vorsichtig losgeschnitten, danach war ich an der Reihe. Obwohl ich nicht direkt den Schmerz spürte, war es ein unbeschreiblich ekliges Gefühl. Ich schmeckte Blut auf der Zunge und ich wusste, dass es von meiner Wange auf mein weißes Hemd tropfte. Mir wurde schlecht und nachdem ich mich übergeben hatte, sank ich in eine erlösende Ohnmacht, aus der ich erst im Krankenflügel erwachte. Ich spürte einen frischen Verband an meiner linken Gesichtshälfte und als ich vorsichtig meine Augen schweifen ließ, sah ich Florence und Emma mit neuen Röcken und Evan mit einem Verband am Arm um mein Bett stehen. McGonagall hielt Sirius am Arm und war offenbar mitten in der Befragung oder Standpauke. Ich riss meine Augen panisch auf und versuchte, mich aufzusetzen und etwas zu sagen, aber sofort meldete sich ein stechender Schmerz und ich brachte nur ein Stöhnen hervor.

„Meine Güte, Sirius Black, siehst du, was du deinem kleinen Bruder angetan hast? Der arme Junge hat ja panische Angst vor dir!“, interpretierte Madame Pomfrey meine Reaktion. McGonagalls Augen blitzten gefährlich, doch Sirius Gesichtsausdruck blieb arrogant und trotzig. Er sagte nichts. Keine Erklärung, keine Entschuldigung, nichts. Ich war merkwürdig erleichtert. Sirius würde sich keinem anderen Schüler nähern dürfen, er würde bis einschließlich zum Silvesterball Strafarbeiten allein erledigen müssen, ich würde ihm eine Zeitlang nicht einmal versehentlich begegnen. Das hatte er davon, dass er sich nicht zügeln konnte! Die beiden Mädchen und Evan Rosier sahen Sirius mit größter Genugtuung hinterher, obwohl gemurmelt wurde, man hätte den Unruhestifter endlich ganz von der Schule schmeißen können – war ja schließlich nicht das erste Mal, dass er Mitschüler angriff und solange er hier wäre, würde er es mit Sicherheit auch wieder tun, egal wie oft er nachsitzen musste.

Vater hatte mich eher in die Schule zurück geschickt, nachdem Dumbledores Brief angekommen war, mit der Begründung, dass er als Familienoberhaupt einiges regeln müsse, jetzt wo Mutter Sirius Namen aus dem Stammbaum gebrannt hatte. Ich spürte den Druck, der nun auf meinen Schultern lastete als neuer offizieller Stammhalter und Erbe der altehrwürdigen Familie Black. Ich musste beweisen, dass ich als Zweitgeborener würdiger war als der Erstgeborene. Ich würde die Fehler meines Bruders ausbügeln müssen. Man würde mir weniger Fehltritte verzeihen, denn man würde schnell vermuten, ich würde meinem abtrünnigen Bruder doch zu ähnlich sein und seinem schlechten Beispiel folgen. Mutter hatte mir eingetrichtert, ich solle mir für den Ball ein würdiges Mädchen aussuchen, aber ich war froh, dass sie keine Zeit gehabt hatte, mir in meine Wahl rein zu pfuschen und mir jemanden vorzusetzen. Im Gegensatz zu Sirius hatte ich nie auch nur im Scherz damit gedroht, mich mit einer Muggel oder einem Schlammblut einzulassen. Ich hatte für diesen Schulball eine Wunschvorstellung, ich musste sie nur noch fragen. Ob sie schon gefragt worden und vergeben war? Ob sie ja sagen würde, obwohl die Verletzung in meinem Gesicht morgen sicher noch zu sehen sein würde? Zu lange sollte ich nicht warten, denn sie war hübsch und beliebt…

Da die Entscheidung, eher aus den Ferien in die Schule zurück zu kehren sehr spontan gefallen war, hatte ich als Wichtelgeschenke nur noch Kleinigkeiten einpacken können und an Meaghan hatte ich keinen Brief mehr geschrieben, dafür hatte ich jedoch eine schwarze Rose besorgen können. Hoffentlich war ihr das nicht gleich zu übertrieben, ich hatte aber gelernt, dass es sich für einen Gentleman gehörte, wenn er eine Dame zu einem Ball oder dergleichen führen wollte. Einen edleren Anzug hatte ich auch in meinen Koffer gepackt, dafür hatte ich in der Hektik ein paar Schulsachen vergessen, die mir nachgeliefert werden würden. Sirius würde hingegen einige seiner Sachen niemals wiedersehen. Mutter hatte alles, was nicht niet- und nagelfest war, zerstört und hinausgeworfen in ihrer Wut, als sie entdeckt hatte, dass er sich nicht an sein Arrest gehalten hatte, sondern abgehauen war. Meine Gedanken schwankten stark zwischen „ist das Beste so“ und „wie kann er nur immer so egoistisch sein und seine Familie im Stich lassen“, obwohl ich am liebsten gar nicht mehr drüber nachdenken wollte.

Wie immer verbreiteten sich Gerüchte in Hogwarts wie ein Lauffeuer. Zumindest von der Prügelei schienen alle zu wissen und sobald ich den Krankenflügel am nächsten Tag verließ, wurde ich mit neugierigen Fragen bombardiert. „Warum hat Sirius das gemacht? Wie lange geht denn seine Strafe? Wird er vielleicht doch zum Ball kommen können? Kannst du nicht ein gutes Wort für ihn einlegen? Ihr habt ihn sicher irgendwie provoziert, gebt es zu!“ Und so weiter. „Es reicht!“, keifte ich dem Hufflepuff-Mädchen entgegen, das mir gerade einfühlsam erklären wollte, dass es gehofft hatte, mit meinem Bruder zum Ball gehen zu können. „Ich weiß es nicht, fragt die Lehrer! Ist doch nicht meine Schuld, dass er ständig Streiche spielt oder sich prügeln muss und dafür Ärger riskiert!“ Das Mädchen sah mich etwas erschrocken und entschuldigend an. „Tut mir leid – sag allen, sie sollen sich nicht in unsere Familienangelegenheiten mischen. Ist schwierig genug…“, seufzte ich, als ich mich abwandte und zu meinen Kameraden flüchtete. Kurz sprach ich mit Evan Rosier, immerhin war er der Vertrauensschüler der Slytherins und hatte ohnehin alles mitbekommen. Er sorgte dafür, dass mich zumindest an dem Tag immer ein paar Slytherins vor anderen Schülern und ihren viel zu neugierigen Blicken abschirmten. Das gab mir die Zeit, die ich brauchte, um mich wieder zu sammeln.

Als ich die große Halle betrat, wurde ich von meinen Mitschülern auf die Mistelzweige hingewiesen, die über jedem Eingang hingen. Ich verdrehte die Augen und meinte: „Evan, du kannst ja die Gelegenheit nutzen und Florence küssen! Immerhin seid ihr inzwischen verlobt!“ Ich betrat die Halle, die übertrieben weihnachtlich geschmückt war. Ein riesiger Tannenbaum ächzte unter der Last der Kugeln und des sonstigen Schmuckes, dass man kaum noch die grünen Tannennadeln dazwischen ausmachen konnte. Der Geruch von frisch gebackenen Keksen und heißem Punsch lag in der Luft. In einer Ecke wurden Weihnachtslieder gesunden und frei umgedichtet. Ich entspannte mich ein wenig und legte das Wichtelgeschenk für Severus Snape auf den großen Geschenkehaufen. Manchmal brachte Vater mir in den Ferien Zauber bei, die wir in der Schule vielleicht nicht lernten und die er dennoch für nützlich hielt. Einige dieser Zauber und Bannsprüche waren womöglich kaum mehr Leuten als Mitgliedern unserer Familie bekannt. Severus bekam von mir einen kleinen, glatt polierten schwarzen Stein, den ich in einem recht aufwändigen Ritual so verzaubert hatte, dass er mit wenigen zusätzlichen Worten einen Schutzstein hätte, der ihn eine begrenzte Zeit vor einem bestimmten Angriffszauber immunisierte, solange er den Stein bei sich trug. Da Potters Lieblingszauber vor den Ferien „Stupor“ gewesen war, hatte ich auf den kleinen Zettel die Empfehlung geschrieben, diesen Zauber nach den Anweisungen auf den Stein anzuwenden.

Einen ähnlichen Stein hatte ich für Emma Vanity noch bereit, aber er war lediglich ein Heilstein, der ihre mentalen Abwehrkräfte unterstützen würde und sie somit weniger anfällig für Stresssituationen oder dergleichen machen würde. Ich rechnete jedenfalls nicht damit, dass ein Schüler dieser Schule mit echten geistigen Angriffen rechnen musste. Okklumentik wurde hier immerhin auch nicht gelehrt. Ich wusste noch nicht genau wann wir die Zeit für die kleine Slytherin-interne Weihnachtsfeier hätten, die Planungen diesbezüglich hatte ich kaum mitbekommen.

Ich setzte mich mit den anderen Slytherins an einen Tisch und kaum waren alle Schüler da, erschien Essen magisch auf den Tischen und kleine, als Wichtel verkleidete Hauselfen verteilten die Wichtelgeschenke. Ich war gespannt, was ich bekommen würde und ob ich je herausfinden würde, wer mir das Geschenk gemacht hatte. Es gab große und winzige Geschenke, wunderschön und provisorisch verpackte und welche, wo man bereits erahnen konnte, was darin war und andere, wo man es nicht schon von außen erraten konnte. Als alle mindestens ein Geschenk vor sich liegen hatten, wünschte Dumbledore uns ein frohes Auspacken. Ich musste schmunzeln, solche Worte waren so typisch für diesen Schulleiter! Ich hatte einen winzigen Umschlag und konnte erkennen, dass es sich um einen Ring hielt, als ich ihn gegen das Licht der Kerze vor mir hielt. Ich öffnete den Umschlag und holte den ebenmäßig silbern glänzenden Ring hervor. Es waren schlichte Runen in ihn eingraviert und es sah so aus, als sei es lediglich das Futhark-Alphabet. Dennoch zeigte ich den Ring Florence, um sicher zu gehen, dass da nicht noch mehr hinter steckte. Da sie nichts Verdächtiges entdeckte, steckte ich den Ring an meinen Finger. Kurz hielt ich die Luft an, aber ich spürte nichts Ungewöhnliches. Gut, jetzt hatte ich einen unauffälligen Spicker, sollte mir je in einer Klausur eine Rune nicht mehr einfallen! Wer mir diesen Ring geschenkt haben mochte, wusste ich nicht. Es musste jemand sein, der mich oder einen meiner Freunde gut genug kannte, um meine Fingergröße erahnen zu können, denn der Ring saß perfekt. Ich mochte ihn und würde ihn gerne tragen.

Kurz sah ich zu Severus hinüber und als spüre er meinen Blick, sah er von dem kleinen Zettel mit der Anweisung auf und direkt zu mir herüber. Ein grimmiges Verständnis lag in seinem Blick, der dann mit unverhohlener Gehässigkeit zum Tisch der Gryffindors zuckte. Ich verspürte Genugtuung. Ich würde mir nicht einmal selbst die Hände schmutzig machen müssen, es reichte vielleicht, dass ich Potters ärgstem Feind einen Vorteil zugespielt hatte. Avery hatte neben seinem Wichtelgeschenk noch einen Umschlag mit Schlamm bekommen und der Verdacht fiel natürlich sofort auf die Gryffindors. „Echt witzig…“, wurde sarkastisch gebrummt. „Das kriegen die zurück.“

Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr und sah überrascht, dass Meaghan sich an unseren Tisch herangewagt hatte, um mir eine Weihnachtskarte zuzuschieben und schnell wieder zu ihren Freundinnen zu verschwinden. Ich nahm die Karte und bemerkte ein Foto. Jemand hatte es wohl geschafft, einen Schnappschuss von uns beiden zu machen, wie wir schüchtern nebeneinander saßen. Schmunzelnd drehte ich die Karte um und las ihren knappen Weihnachtsgruß. Mein Herz machte einen glücklichen Sprung und alle albernen Rachegedanken waren wie weggewischt. Sie hatte an mich gedacht und das gab mir den Mut, die schwarze Rose herbeizuzaubern und an den Tisch der Ravenclaws heranzuschleichen, wo Meaghan sich wieder gesetzt hatte. Ich räusperte mich verlegen und hielt ihr die Rose hin. „Ich… ich wollte dich fragen, ob du schon einen Ballpartner hast, also, oder… Möchtest du mit mir zum Ball?“ Ich stockte kurz. „Also, wenn jemand anders schneller war, wäre das nicht schlimm, die Rose möchte ich dir trotzdem schenken, wenn sie dir gefällt!“ Mein Herz pochte aufgeregt, als sie lächelnd die Hand ausstreckte. Ihre Fingerspitzen berührten leicht zitternd meinen Handrücken. War sie auch so aufgeregt? Dann nickte sie und sagte: „Mich hat noch keiner gefragt und… ich würde sehr gern mit dir gehen.“ Ich war so erleichtert, dass ich kein weiteres Wort hervorbringen konnte und eilig wieder an meinen Sitzplatz zurückkehrte. Evan und ein paar andere Slytherins sahen mich neugierig an. Ich strahlte. „Ich habe Meaghan gefragt! Sie geht mit mir zum Ball!“, verkündete ich mit Stolz.

Das gestohlene Schwert

Bevor ich meiner Einladung zum Slug-Club nachging, suchte ich meinen Hauslehrer alleine auf, um ihn zu bitten, mir nicht vor allzu vielen anderen Leuten Fragen über meine Familie und den Streit mit Sirius zu stellen. Dafür war ich sogar bereit, jetzt unter vier Augen ein wenig offener zu sein. Professor Slughorn war ein Freund meiner Eltern, denn er hatte sie bereits unterrichtet, als sie gerade zur Schule gingen und er den Posten als Lehrer in Zaubertränke noch nicht lange innehatte. „Du kannst doch nichts dafür, wenn dein Bruder sich dazu entschieden hat, der Familie den Rücken zu kehren. Und es ist auch nicht deine Schuld, dass er Mitschüler und dich angegriffen hat! Nein, für sein Verhalten muss er lernen, selbst Verantwortung zu übernehmen. Ich hoffe jedoch für euch, dass es für euch eines Tages die Möglichkeit gibt, euch wieder zu versöhnen. Du scheinst ja irgendwie noch an deinem Bruder zu hängen, wenn du extra deinem Hauslehrer dein Herz ausschüttest?“, lächelte er überaus wohlwollend.

Seine Worte, die aufmunternd sein sollten und mir Hoffnungen für die Zukunft eröffnen sollten, versetzten mir einen Stich ins Herz und ließen mich wieder in zähe Grübeleien versinken. Versöhnung? Zwischen uns? Mutter hatte Sirius Namen bereits aus dem Wandteppich gebrannt! Ich wusste nicht, ob Vater bereits das Testament geändert hatte. Nun musste ich all die Erwartungen erfüllen! Obwohl meine Eltern mich immer mit Stolz betrachteten, hatte ich Zweifel, ob ich ihnen weiterhin genügen würde. Oder ob ich mich nicht doch als zu schwach erweisen würde. Ich wollte meine armen Eltern nicht so enttäuschen und verletzen, wie Sirius es bereits getan hatte. Besonders bei Mutter hatte ich den Eindruck, sie würde es nicht verkraften bei ihrer zuweilen hysterischen Gemütsverfassung.

Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter und schreckte beinahe zusammen. „Immer noch so finster, junger Herr Black?“, fragte Slughorn betont unbekümmert. „Halten sie Sirius für einen besseren Erben?“, rutschte es mir heraus. Mit dieser Frage hatte ich meinen Hauslehrer offenbar überrumpelt. „Je nun… er ist ein talentierter junger Zauberer, hat sich ebenso talentierte Freunde gesucht, natürlich eher in Gryffindor – ich fand es auch schade, ein so aufgewecktes Köpfchen nicht in meinem Haus oder wenigstens in meinem kleinen Clübchen begrüßen zu können. Er ist eben eigensinnig, rebellisch, aber das macht auch seinen Charme aus, nicht wahr?“ Meinem Gesicht war wohl anzusehen, dass das nicht die Antwort war, die ich erhofft hatte, denn Slughorn brach seine Abschweifung ab und versuchte, die Kurve zu bekommen. „Dagegen wirken sie schon etwas, wie soll ich sagen, seriöser, ernster, da kann man sich leichter einen würdevollen Erben für eine alte Zaubererfamilie vorstellen. Sirius mag das Temperament der Blacks, besonders ihrer beider Mutter geerbt haben, aber wenn er sich nicht in die Tradition stellen möchte, du hingegen schon, ist das Thema doch erledigt!“ Ich runzelte die Stirn und zuckte mit den Achseln. Da hatte ich von Florence und Rosier eindeutigeren Zuspruch bekommen, dass ich die bessere Wahl als Erbe sein würde.

„Doch nun zu einem erfreulicheren Thema: ich habe Gerüchte gehört, sie hätten die Kapitänin der Ravenclaw-Quidditch-Mannschaft zum Ball gebeten?“, fragte Professor Slughorn neugierig nach. „Sie werden unserer Mannschaft doch nicht abtrünnig? Die Ravenclaws sollen ja nicht ganz so glücklich mit ihrem Sucher sein…“, zwinkerte er. Ich wollte gerade antworten, da fügte er noch hinzu: „Aber hübsch ist die junge McCormack und eine fleißige Schülerin. Sie haben Geschmack.“ Slughorns Hang zum Tratschen empfand ich nicht als besonders seriös und ich wusste auch nie, wie viel ich diesem Lehrer tatsächlich von mir preisgeben wollte. Er war ein Trophäen-Sammler, prahlte mit seinen Freundschaften und Verbindungen zu jedem, der reich und berühmt war oder sonst Einfluss in der Zaubererwelt haben könnte. Mit jeder Information, die ich ihm über mich gab, würde er mich enger in sein Netz einspannen können. Zumindest hatte Vater es mal so umschrieben und ich wusste inzwischen, was er damit gemeint hatte. „Wir gehen doch nur zusammen zum Ball…“, versuchte ich, das Thema runterzuspielen.

Slughorn grinste vergnügt in sich hinein. „Wir sehen uns dann gleich bei meiner kleinen Weihnachtsfeier?“ Ich nickte. Jetzt, wo ich mich sicherer vor unangenehmen Fragen im Slug-Club vor den anderen Mitgliedern dort fühlte, würde ich gerne kommen und mich von meinen Gedanken ablenken lassen, indem ich die anderen Schüler beobachtete, wie sie von Slughorn ausgefragt wurden.

Es war fast wie immer. Herrlich. Jeder bekam ein kunstvolles aber mächtiges Dessert aufgetischt und Slughorn thronte wie ein König, der eine Audienz gab, am Kopfende des Tisches, leicht erhöht, um seine Schüler gut überblicken zu können. Kaum hatten wir angefangen, das Dessert zögernd zu probieren, befragte er die erste. Meaghan. An ihren Lippen hing heute auch ich, denn ich hatte noch keine Zeit, sie nach ihren Weihnachtsferien zu fragen. Ihre Mutter hatte trotz ihres strengen Trainingsplanes Zeit für ihre Familie gefunden und es klang nach einem schönen Weihnachtsfest. Außerdem hatte Meaghan Quidditch-Karten für alle Spiele der Mannschaft ihrer Mutter bekommen, auch wenn sie wegen der Schule nur ein paar wenige davon würde tatsächlich besuchen können. Was die anderen Schüler zu erzählen hatten, interessierte mich weniger und ich kämpfte aus Höflichkeit mit dem Dessert, das schon nach wenigen Bissen schwer im Magen lag und die Zähne süß verklebte. Ich war fast erleichtert, als Slughorn seine Schale mit kandierten Ananasstückchen rumgehen ließ. Etwas Fruchtiges wäre jetzt sicher angenehm! Doch auch diese Nascherei erwies sich als viel zu süß. Ich versuchte, mit klarem Wasser nachzuspülen, nur um festzustellen, dass auch das Getränk, das ich für Wasser gehalten hatte, eine süße Limonade war. Ich gab auf.

Das Gesprächsthema hatte sich merkwürdigen Muggel-Brauchtümern um Weihnachten herum zugewandt. Lily Evans und Severus Snape versuchten, zu erklären, wie sich Muggel den sogenannten Weihnachtsmann vorstellten, auf einem Schlitten der von fliegenden Rentieren gezogen wurde. Dafür, dass Muggel sonst so magiefeindlich waren, erschien uns das sehr magisch. „Und der ist dick und steigt nachts durch den Kamin ein? Sicher, dass er nicht das Flohnetzwerk benutzt?“, fragte ein Ravenclaw, der die These hatte, der Weihnachtsmann könne ein Zauberer sein, der sich einen Spaß erlaubte. „Nein, eigentlich beschenken die Eltern ihre Kinder oder Freunde sich gegenseitig, wie wir Zauberer es auch tun. Es ist nur eine Geschichte, die sie erst ihren jüngeren Kindern erzählen!“ – „Also lügen Muggel ihre eigenen Kinder an, einfach so aus Spaß?“ Florence schüttelte verständnislos den Kopf. Ich fühlte mich ebenfalls in meinem Verdacht bestätigt, dass Muggel einfach sehr seltsam waren, ein bisschen verrückt.

Jäh wurde die gemütliche Runde von einem Tumult draußen unterbrochen. Wir drehten uns bereits zur Tür, als sie aufflog und ein Schüler hereingestürzt kam. „Draußen, auf dem Gelände, da ist etwas Merkwürdiges aufgetaucht! Professor Slughorn, können sie mal mitkommen? Ich habe so schnell keinen anderen Lehrer gefunden!“ Behäbig erhob Slughorn sich von seinem gemütlichen Stuhl. „Beruhigen sie sich erst mal, mein Lieber! Was ist denn genau passiert?“ Es war offensichtlich, dass er eher einen Streich vermutete als wirkliche Gefahr. „Naja, wir haben ein rotes Leuchten gesehen draußen und ein paar Schüler wollten nachsehen! Aber die haben sich nicht so gut gefühlt, als sie sich der Lichtquelle genähert haben… sie sagten, sie hätten Steine gesehen auf einem Tuch und die würden so leuchten… Was könnte das sein?“ Wenn es sich um etwas Magisches handelte, dass einem bereits, wenn man sich näherte, ein ungutes Gefühl bescherte, sollte man doch vorsichtig sein, dachte ich. Slughorn schien etwas Ähnliches durch den Kopf zu gehen, denn schickte er sich an, dem aufgeregten Schüler zu folgen, den ich erst jetzt als Remus Lupin erkannte, weil ich weiter hinten im Raum saß und andere Köpfe mir die Sicht versperrt hatten. „Feiert ruhig weiter, ich bin gleich wieder da!“, verabschiedete sich Slughorn.

„Professor Slughorn könnte den Gryffindors wirklich mal Punkte abziehen, wenn die um so eine Uhrzeit noch über die Ländereien draußen streifen und mysteriösen Lichterscheinungen nachgehen!“, brummte Evan Rosier. „Und wenn es wirklich was Gefährliches ist?“ Ich kannte Lily Evans nicht besonders gut, aber ich konnte mir denken, dass sie sich um ihren Kumpel sorgte. Immerhin waren sie und Lupin zusammen die aktuellen Vertrauensschüler von Gryffindor. Und Lupin gehörte zu der engen Clique von Potter und Sirius. Meine Laune sank wieder, bis ich bemerkte, dass Meaghan zu mir rüber sah. Sofort lächelte ich und bemerkte, dass neben ihr eigentlich noch ein Platz frei war. Warum hatte ich mich nicht von Anfang an dorthin gesetzt? Mein Herz flatterte aufgeregt. Sollte ich mich jetzt umsetzen? Warum eigentlich nicht? Evan saß neben seiner Florence, so gesehen würde ich keinen Kumpel allein lassen. Vielleicht fiel es in der Aufregung und den Spekulationen um das rote Licht nicht zu sehr auf. Ich erhob mich und schlich um den Tisch herum. „Darf ich…?“ fragte ich, als ich neben Meaghan stand und deutete auf den freien Platz. Ich kam mir dumm vor, keinen vollständigen Satz herauszubekommen. Severus und das Schlammblut Evans saßen mir nun gegenüber und sahen mich beide an, was mich noch nervöser machte.

„Klar“, sagte Meaghan jedoch, bevor ich es mir wieder anders überlegen konnte. Ich setzte mich. „Ist das nicht ein schönes Bild?“, bemerkte Evans mit einem warmen Lächeln. „Jetzt sitzen ein Slytherin, eine Ravenclaw, ein Gryffindor und ein Hufflepuff zusammen auf einer Bank! Direkt nebeneinander!“ Ich sah an Meaghan vorbei. Das war mir nicht aufgefallen. War jetzt auch egal. Ich saß neben Meaghan und dachte, dass es angemessen wäre, nicht stumm zu bleiben. „Ähm… wenn es geht… wollen wir vor dem Ball noch ein paar Tanzschritte zusammen üben?“, fragte ich leise und spielte mit dem Ring an meinem Finger. „Eigentlich wollten ja die Hauslehrer hausintern einen Tanzkurs geben, damit jeder Schüler sein Haus auf der Tanzfläche gut vertreten kann, aber vielleicht geht es ja trotzdem, dass wir zusammen proben?“, antwortete Meaghan. Ich nickte, obwohl mir die Geste überflüssig vorkam.

Als Slughorn zurückkehrte, wirkte er nachdenklich. „Ich kann auch nicht sagen, was diese leuchtenden Steine sind oder woher sie kommen, mit den Papierfröschen sieht es eher nach einem dummen Streich aus, aber ich habe einen Bannkreis darum gelegt. Vielleicht kann morgen meine werte Kollegin Frau Bagnold einen Blick darauf werfen.“ Das Treffen des Slug Clubs löste sich allmählich auf. Der Professor entschuldigte sich, er sei müde und ein paar Schüler wollten neugierig diejenigen ausquetschen, die das Licht entdeckt und von Nahem gesehen hatten. „Die Gryffindors werden uns nichts sagen, egal ob sie etwas damit zu tun haben oder selbst tatsächlich Opfer sind. Lasst uns selbst gehen!“, schlug Severus vor. „Wenn unsere beiden Vertrauensschüler mitkommen, können uns die anderen nichts.“ Das hieß, dass die Vertrauensschüler der anderen Häuser uns so nicht so schnell Punkte abziehen würden dafür, dass wir jetzt noch rausgingen, um merkwürdigen Ereignissen nachzuschnüffeln. Ein Gryffindor folgte uns. „Hallo, ich bin Fynn McMillan! Ich komme aus Schottland und bin neu hier!“ Er streckte mir eine Hand hin. Ich war mir ziemlich sicher, diesen Jungen schon früher hier gesehen zu haben. Ein neuer Schüler oder ein Austauschschüler wäre mit Sicherheit größer angekündigt worden! „Regulus Black“, antwortete ich distanziert und schüttelte ihm aus reiner Verwirrung tatsächlich die Hand.

„Ihr wollt auch nach den Steinen sehen? Seid besser vorsichtig! Auch der Lehrer wusste nicht so recht, was er davon halten soll!“, plapperte der Junge munter drauflos. „Einige haben sich nicht so gut gefühlt, eine ist sogar fast zusammengebrochen!“ Ich brummte ein neutrales „hm“ und folgte den anderen Slytherins weiter, die sich schon mit etwas bösen Blicken zu dem redefreudigen Gryffindor umwandten. „Geh zurück!“, rief Emma ihm zu. „Meine Güte, warum seid ihr denn so unfreundlich?“, fragte Fynn ehrlich verwirrt. Hatte er wirklich keine Ahnung? „Es ist… kennst du nicht mehr die Geschichte von Hogwarts? Und dem Streit unter den Gründern? Und dass die Häuser Gryffindor und Slytherin seither, naja, sehr arge Konkurrenten sind um den Hauspokal und so?“, versuchte ich, knapp zu erklären. „Ist es nicht albern, einen Streit nur um der Tradition willen fortzuführen?“ Ich zuckte mit den Achseln. Egal, was in Fynns Kopf gerade nicht stimmte, dass er sich nicht recht erinnerte, doch mit dieser Bemerkung mochte er einen klugen Gedanken ausgesprochen haben. Ich würde dem nur niemals offen zustimmen. Ich verhielt mich ihm gegenüber allerdings weniger deutlich abweisend als meine Mitschüler in diesem Moment. Er hatte mir schließlich nichts getan.

„Da vorne ist es!“, rief jemand warnend. Wir gingen langsamer. Mich beschlich ein ungutes Gefühl dabei, doch Severus sah richtig bleich aus. „Der Bannkreis von Professor Slughorn löst sich bereits auf!“, bemerkte Florence beunruhigt. „Was auch immer das zu bedeuten hat, es ist zu mächtige Magie am Werk, als dass ein einfacher Bannkreis dem standhalten könnte!“ Mir lief ein kalter Schauer den Rücken runter. Bewegten sich die Papierfrösche? In jeder anderen Situation hätte ich sie albern gefunden, aber jetzt erinnerten sie mich an die Geschichten von den zehn Plagen in Ägypten. Frösche waren die zweite, die erste war Blut. Danach kamen irgendwelche Mücken und Insekten, Pest, Hagel, Heuschrecken waren die achte, Finsternis die neunte und die zehnte der Tod aller Erstgeborenen. Eine Art Blutritual war vor geraumer Zeit hier angegangen worden und es hatte die Schutzkreise um Hogwarts geschädigt. Dadurch hatte ein Nachtmahr die Möglichkeit gehabt, einige Schüler heimzusuchen. Was an Halloween geschehen war, wusste ich nicht genau, doch jetzt würde es mich nicht mehr wundern, wenn dort tatsächlich etwas Gefährliches sich geregt hätte. „Also berühren oder bewegen kann man diese Dinger nicht!“, stellte Wilkes fest. „Bist du verrückt?“, keuchte jemand vor mir im Dunkeln. „Du verhältst dich ja bald so übermütig wie ein Gryffindor!“

Ich war dankbar, dass dieser alberne Streit meine wilde Assoziationskette durchbrach. Plagen, pah! Davon war das hier doch noch weit entfernt, so schlimm war es gar nicht, ein paar leuchtende Steine und Papierfrösche, also wirklich! Und mein ungutes Gefühl – es war eben echt kalt draußen! Es hatte den ganzen Tag geregnet, ich spürte wie meine Hosenbeine unten durch die Wiese feucht wurden und ein leichter Wind fand den Weg durch meine Kleidung. Ich schlang die Arme um mich, wie um meine Körperwärme festzuhalten. In dem Moment taumelte Severus neben mir und ich musste ihn stützen. „Wir müssen zurück zum Schloss! Severus, helft mir ihn zurückzubringen!“, rief ich. „Mir geht’s auch echt mies…“, fügte Fynn hinzu. „Spürt ihr es nicht?“ Florence, Evan, Wilkes und ich schüttelten den Kopf. „Vielleicht trifft es nur Halbblüter?“, mutmaßte ich. „Wer war denn noch hier und betroffen?“ Diese Theorie musste überprüft werden und dafür mussten wir zurück und mit den anderen reden, die hier draußen gewesen waren. Auch mit den Gryffindors.

Zurück in der großen Halle wurde bereits diskutiert, als wir dazu stießen. „Also Remus ist weder Muggelgeboren noch ein Halbblut und trotzdem ist er auch betroffen!“, sagte Potter gerade. „Häuserspezifisch ist es auch nicht, sonst wäre kein Hufflepuff betroffen.“ – „Und kein Slytherin!“, fügte Evan hinzu. Potter würde gegen ihn weniger sagen, als wenn Severus sich selbst zu Wort gemeldet hätte. „Ah, habt ihr euch also auch getraut, nachts noch auf dem Gelände herumzuschnüffeln?“, spottete Potter. „Ich hab sogar versucht, diese Steine anzufassen!“, grinste Alastair Wilkes selbstsicher. „Aber da passiert nichts.“

Super, das konnte ja nur Streit geben. Ich setzte mich und hörte halbwegs zu. Jemand äußerte die Vermutung, ob es sich nicht um Dracheneier handeln könnte. „Dracheneier?!“ Florence lachte abfällig. „Und die werden von Papierfröschen neuerdings ausgebrütet? Ja, das war sicher ein japanischer Origamidrache!“ Ich grinste in mich hinein und schüttelte den Kopf. Zum Glück schafften die anwesenden Ravenclaws und Hufflepuffs, die Sticheleien zwischen Slytherins und Gryffindors immer wieder so zu mäßigen, dass konstruktiv weiter diskutiert werden konnte. „Was, wenn noch irgendein dunkles Wesen oder eine Macht eine Lücke in Hogwarts Verteidigung gefunden hat? Man kann ja unterschiedlich auf Verschiebungen in der Magie reagieren, vielleicht sind da bestimmte Personen empfindlicher?“ Ja, das konnte sein, half uns aber noch wenig. „Was, wenn die Quelle dafür, dass einige hier umkippen, nicht in diesem Leuchten direkt lag?“, überlegte ich laut. „Es könnte ein Nebeneffekt oder eine bewusste Ablenkung sein. Berühren oder verändern konnten wir da nichts, das spricht fast dafür, dass es eine Illusion ist. Oder eine Gruppenhalluzination. Ein Bild.“ Die Aufmerksamkeit wandte sich mir zu. „Du meinst, es muss nicht echt sein?“, fragte eine Stimme aus der Menge. „Es ist echt, aber nicht die Quelle. Es könnte aber noch auf den wahren Ursprung verweisen von dem, was auch immer hier vorgeht!“

Es gab noch weitere Mutmaßungen, die alle mehr oder weniger plausibel klangen, doch zu einem sicheren Ergebnis kamen wir nicht. „Wir sollten nochmal hin, bevor es wieder verschwindet!“, entschlossen wir dann. In so einer großen Schülergruppe konnte man sich auf den Ländereien von Hogwarts sicher fühlen. Es war aus meiner Sicher eher Neugier und Abenteuerlust, die die Schüler (nach den Weihnachtsferien und bevor der Schulalltag wieder hereinbrach) gepackt hatte. Zuerst liefen wir noch recht unbekümmert auf die Stelle zu, bis jemand rief: „Seht ihr das? Da stehen drei Gestalten!“ Wir blieben stehen und tuschelten, schwärmten ein wenig aus und gingen langsamer mit gezückten Zauberstäben weiter, bis wir drei Geister erkennen konnten. Ihre Kleidung wirkte sehr altmodisch und war blutig; sie mussten schon vor langer Zeit gestorben sein. Und da sie hier aufgetaucht waren, müssten sie irgendwo auf dem Gelände von Hogwarts umgekommen sein! Doch warum hatten sich diese Geister noch nie zuvor gezeigt? Waren es Schüler gewesen? Waren sie Teil der Bedrohung oder hatten sie die Aufgabe, Hogwarts vor ihr zu warnen?

„Seht eusch diese ängstlischen Gesichter an! Ich sehe no Champion!“, sagte der weibliche Geist mit starkem französischem Akzent.

„Hogwarts war noch nie hart genug! Formt seine Schüler nicht, stählt sie nicht!“, stimmte der rau wirkende Gesell in der Mitte zu. Er trug eine Fellmütze, die mich an russische Trachten erinnerte.

„Sie werden sich beweisen müssen – gemeinsam.“, sagte der dritte.

„Wer seid ihr und wovon sprecht ihr?“, verlangte Potter kühn zu wissen. „Ah, ein Mutiger!“, sprach das Mädchen in nervtötendem Singsang. „Ich bin Madeleine, der Champion aus Beauxbatons!“, stellte sie sich vor. „Und ich bin Olec, der Champion aus Durmstrang! Bereits in der ersten Aufgabe des Trimagischen Turniers bewies ich meine Stärke!“ – „Aber bei der zweiten Aufgabe besiegte ich dich, im Namen von Hogwarts!“, unterbrach der Dritte. „Mein Name ist Robin. Ich war in Gryffindor.“ Offensichtlich freuten ein paar Gryffindors sich, einem alten Champion aus ihrem Haus zu begegnen, der an einem Trimagischen Turnier teilgenommen und Hogwarts vertreten hatte. „Aber bei dritten Aufgabe ihr habt versagt!“, kicherte Madeleine. „Du bist auch von den Ogern gefressen worden!“ So zankten die Geister eine Weile, bis wir ungeduldig wurden und uns mit unseren Fragen bemerkbar machten. „Wir sind ier, Schüler zu warnen! Erster Schutzstein von Ogwarts gebrochen! Wächter muss zurückgerufen werden, Wächter des Steins von Gryffindor!“, setzte die Französin zu einer Erklärung an. Murmeln brach aus, das zwischen Verwirrung und Sorge schwankte. „Wir wurden von dem Ritter gerufen, der seinen Posten verlassen musste.“, fügte der Geist des Hogwartsschülers nicht weniger kryptisch hinzu. „Etwas wurde feige gestohlen. Beweist euren Mut, indem ihr es für ihn zurückholt!“, wurde Olec etwas konkreter. „Ier abt ihr einen Hinweis.“ Ein Blatt Pergament mit einer Zeichnung schwebte auf uns zu und es wurde einmal herum gegeben. Es waren drei Kreise eingezeichnet mit verschiedenen Unterteilungen, in denen unterschiedliche Zahlen standen.

„Wir sollten zurück zum Schloss, da können wir das abzeichnen und in verschiedenen Gruppen versuchen, das Rätsel zu lösen!“ Das war ein vernünftiger Vorschlag, dem niemand widersprach. Dennoch versuchten ein paar Schüler, Professor Slughorn aufzusuchen, der allerdings auf kein Klopfen antwortete. Aus seinem Zimmer ertönte Musik. Vielleicht schlief er und hörte uns nicht. Wir mussten also ohne einen Lehrer einzuweihen herausfinden, an welchem Ort das Schwert versteckt war. Wir vermuteten zumindest, dass das Rätsel uns den gestohlenen Gegenstand und den Ort, wo es versteckt wurde offenbaren würde. Zwischendurch wurde vermutet, die Zahlen könnten uns Koordinaten oder ein Datum offenbaren. Es war kurz nach Mitternacht, ich war beinahe eingeschlafen, als eine Gruppe aufgeregt verkündete, sie habe das Rätsel gelöst. „Ich habe das Schwert des Ritters genommen und es im alten Steinbruch verborgen.“, las Magnus vor. Obwohl wir einigen die Augen bereits zugefallen waren, machten wir uns nun voller Tatendrang auf. Dass wir morgen Unterricht hatten, war nebensächlich. Solange der Ritter sein Schwert nicht hatte, konnte er Hogwarts nicht bewachen! Eine unbekannte Macht griff bereits den magischen Schutz an! Wir wollten keinen zweiten Nachtmahr und auch keine ähnliche Gefahr hereinlassen.

„Der alte Steinbruch ist im verbotenen Wald.“, informierten Lupin und Potter uns. „Ich kann euch hinführen!“, sagte Lupin. War ja klar, dass diese Gryffindors, die so viel Unfug anstifteten, sich sogar etwas in dem Wald auskannten! Ob nun durch eine Strafarbeit mit dem Wildhüter oder weil sie eigenmächtig herumgeschlichen waren, war nebensächlich. Niemand hinterfragte ihr Wissen in diesem Moment. Wir mussten los, bevor es noch später wurde. Dass Potter nicht mitkam, bemerkte ich erst, als wir beinahe den Waldrand erreicht hatten. Wir waren genug und in meinem Kopf spielten sich Fantasien ab, wie er einen Weg suchte, Sirius bei seiner Strafarbeit doch Gesellschaft zu leisten und mehr darüber zu erfahren, was zwischen uns vorgefallen war. Ich verzog das Gesicht und spürte dann eine Hand an meinem Arm. Meaghan ging direkt neben mir und schaute mich an. Sofort versuchte ich, zu lächeln, damit sie sich keine Sorgen machen musste. Sanft nahm ich ihre Hand und wir verschränkten unsere Finger miteinander. Es war angenehm, dass sie mich nie mit Fragen löcherte, wenn ich nicht selbst reden wollte. Ich hoffte, dass das so bleiben würde. Gleichzeitig fragte ich mich, wie viel ich ihr von mir preisgeben wollte, wenn wir noch mehr miteinander unternehmen würden. Ich mochte sie bereits sehr.

Es war tiefe Nacht und sobald wir weit genug vom Schloss entfernt waren, hatten wir unsere Zauberstäbe mit gemeinsam geflüstertem „Lumos!“ entzündet. Die Sterne und der Mond wurden noch von dunklen Wolken verhüllt, immerhin regnete es nicht. Wir folgten einem gewundenen Trampelpfad, der in den Wald abbog. Der Steinbruch sollte nicht mehr weit sein und wir waren genug Schüler mit Lichte, dass die meisten Wesen des verbotenen Waldes sich ungesehen tiefer ins Unterholz zurückzogen. Wir hörten hauptsächlich die Schritte unserer Gruppe und ein paar flüsterten miteinander. Eine Person hatte das Schwert hier versteckt, wir erwarteten nicht, dass es zusätzlich allzu stark bewacht sei. „Da… da ist eine Feuerstelle, seht ihr das? Das müsste im Steinbruch sein!“ Zufall oder war der Dieb noch bei seinem Diebesgut? Es waren noch andere Wesen denkbar, die im Wald leben und ein Feuer entzünden konnten. Wir versuchten, uns nun leiser fortzubewegen. Die Blätter unter unseren Füßen raschelten trotzdem hin und wieder oder ein Ast knackte unter einem Stiefel. Außerdem müsste, wer auch immer bei dem Feuer war, unser Licht durch die Bäume auch gesehen haben.

Am Fuße des Steinbruchs blieben wir stehen und schauten hinauf. Ich zählte zuerst nur drei Gestalten, die mit dem Rücken zu ihrem Feuer standen und zu uns herunter sahen. „Habt ihr das Schwert?“, fragte jemand. Wir erhielten keine Antwort. Die Gestalten wirkten menschlich, aber ihre Bewegungen waren langsam und ein wenig schwankend. Betrunkene Bettler, die sich im Wald verbargen? Nein, das war unwahrscheinlich. Wir folgten weiter dem Weg, der zum Steinbruch hinauf führte. Die Gestalten kamen uns entgegen und jetzt merkte ich, dass es noch mindestens zwei mehr waren. Ich verlangsamte meinen Schritt und hielt Meaghan fest. Ich hatte ein ungutes Gefühl. Plötzlich stürzten sich die ersten drei Gestalten auf die neugierigen Schüler, die voraus gelaufen waren. Panisch liefen wir durcheinander, jemand stürzte und schrie, ich zog Meaghan mit mir nach rechts, einen recht steilen und mit Büschen und Bäumen bewachsenen Abhang hinauf. Hier konnten wir uns verstecken und von hier aus konnten wir die Situation besser überblicken. „Vorsicht, die Wesen beißen!“, hörte ich von unten. Es wurden Zauber gebrüllt, aber ich sah, dass die Wesen sich kaum beirren ließen. „Sie reagieren auf Licht! Macht euer Lumos aus!“, meinte ein Junge und es wurde nach und nach dunkler. Meine Augen brauchten etwas, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten und ich wieder Bewegungen in den Schatten erkennen konnte. Das Lagerfeuer aus dem Steinbruch tauchte die Szene in unwirkliches, rötlich flackerndes Licht.

„Alastair!“, rief ich, als ich einen Mitschüler entdeckte, auf den sich eines der Wesen geworfen hatte und der mit beiden Händen versuchte, es abzuwehren, damit es ihn nicht biss. Vorsichtig kletterte ich ein Stück nach unten. „Stupor!“ Das Wesen grunzte und sah auf. Jetzt konnte ich eine blutverschmierte menschliche Fratze erkennen. Ein lebender Toter? Oder belebter Toter? Ich hatte Abbildungen von Inferi gesehen, war mir allerdings nicht sicher. Was half noch gleich gegen Inferi? Feuer? Aber warum bewachten sie dann dort im Steinbruch ein Lagerfeuer? Denn so wirkte es auf mich. „Inflamare!“, versuchte ich dennoch, das Wesen mit Feuer zu verscheuchen. Es wurde zumindest dadurch genug abgelenkt, dass Wilkes sich befreien und zu uns beiden hochklettern konnte. „Bist du verletzt?“, fragte Meaghan. „Es geht.“, antwortete Alastair Wilkes. „Was sind das für Wesen?“, fragte Meaghan weiter. „Ich weiß es nicht!“, meinte ich, obwohl ich diesen schrecklichen Verdacht hatte.

„Wir müssen uns zurückziehen! Holt die Verletzten!“, kommandierte einer der Ravenclaws, wenn ich mich nicht täuschte. Die Wesen wurden nur soweit zurück gedrängt, wie nötig war, um die Verletzten zu holen und auch wir rannten von unserer sicheren Position aus zu den anderen und gemeinsam zogen wir uns so weit zurück, bis die Wesen uns nicht mehr folgten. Jetzt mussten einige Fragen geklärt werden. „Was war das? Ob die das Schwert bewachen? Habt ihr einen Zauber ausprobiert, der gegen sie wirkungsvoll war? Können wir die Wunden heilen von denen, die gebissen wurden? Oder sind die jetzt irgendwie vergiftet oder infiziert?“ Florence, eine Hufflepuff und Severus sahen sich die Wunden an und taten ihr bestes, sie vorläufig mit „Episkey!“ zu heilen und wo es nicht klappte, sie zu verbinden. Keiner von uns war sich sicher, ob ein bestimmter Zauber große Wirkung gezeigt hatte, aber wir waren uns einig, dass sie auf Licht reagierten. So entstand folgender Plan: Der größere Teil unserer Gruppe, der nicht zu verletzt war, sollte die Wesen mit Licht blenden und auf sich locken, während ein paar andere, eher kleine und schnelle, sich rechts und links vorbei in den Steinbruch schleichen und nach dem Schwert sehen sollten. Ich meldete mich mit Aidan Lynch, dem Sucher von Hufflepuff, Meaghan, Fynn und Reginald freiwillig für letztere Aufgabe. Auch Severus wollte sich lieber anschleichen, sollten unser kleines Team Verstärkung brauchen.

Zuerst versuchte ich, eher dem Weg folgend, von rechts in den Steinbruch einzudringen und ich kam auch knapp bis zu der Feuerstelle, aber dort waren noch zwei Wesen, die ich dank des Feuers deutlicher als tote Menschen erkennen konnte. Ich rannte knapp zwischen ihnen hindurch, machte eine Kurve ums Feuer und machte einen Satz über die niedrige Mauer, die die linke Seite des Steinbruchs weniger leicht zugänglich machte. Ich rutschte den Abhang hinunter und eilte zu meinen Kameraden. „Ist das Schwert da?“, wurde ich gefragt. „Ich weiß nicht, da waren noch Wesen, ich hatte nicht die Zeit, mich genauer umzusehen! Ist jemand anderes noch bis zum Steinbruch oder gar rein gekommen?“ So genau wusste das niemand, es sah aber so aus, als nähmen sich Aidan und Reginald mehr Zeit, sich am Rand anzuschleichen. Fynn sah ich nicht. Meaghan war auch wieder zurückgekommen. „Ok, wir versuchen es so lange, bis wir das Schwert haben oder sicher sind, dass es doch nicht hier ist!“ Diesmal tat die Gruppe mit den Lichtern so, als wolle sie gemeinsam dem Weg folgend zum Steinbruch vordringen.

Als genug sich scheinbar alle der Wesen gegen diese Gruppe wendete, kletterte ich den Abhang wieder hinauf, den ich eben hinunter gerutscht war und sprang mit einem Satz über die niedrige Mauer und duckte mich. Ich war drinnen! Und jetzt konnte ich mir mehr Zeit nehmen, nach dem Schwert zu gucken! Sobald ich es sah, müsste ich losrennen! Mein Herz flatterte wie ein gefangener Vogel. Links war nichts zu sehen, also ließ ich meinen Blick langsam und aufmerksam nach rechts schweifen – wo plötzlich grausiges Gesicht direkt vor mir war, die Haut hing in blutigen Fetzen vom Knochen und das eine Auge, das noch intakt wirkte, starrte milchig ins Leere und doch wusste ich, dass es auch mich anstarrte. Mein Herz setzte einen Schlag aus und ich hatte das Gefühl, meinem Ende entgegen zu starren. Dann löste sich ein Schrei aus meiner Kehle, der mir die Kontrolle über meinen Körper zurück verschaffte. Ich drehte mich um, die Hand des Wesens glitt knapp an meinem Kopf vorbei. Ich sprang über die Mauer, rutschte auf einem lockeren Stein aus und überschlug mich mehrmals, bis ich unten zum Liegen kam. Ich sah das Wesen oben an der Mauer schwankend stehen. Es machte stöhnende Geräusche, als sei es enttäuscht, dass ich entwischt war oder als lache es mich aus. Meine Mitschüler, die meinen Sturz gesehen hatten, eilten auf mich zu und halfen mir auf die Beine. Ich hatte mir einen Arm aufgeschürft, aber sonst fehlte mir nichts. Ich hatte Glück gehabt.

Allmählich zweifelte ich daran, dass das Schwert im Steinbruch war oder dass wir an den Wesen vorbei zu ihm gelangen konnten. Ich wollte gerade den anderen mitteilen, dass wir noch einen Versuch starten könnten und dann aufgeben sollten, als ich einen anderen Schüler den Weg hinunterrutschen sah, den ich soeben auch unelegant genommen hatte. „Ich hab das Schwert!“ Ungläubig sah ich Fynn an. „Ich war schon beim ersten Angriff mit dem Fuß umgeknickt und dann unentdeckt liegen geblieben und bin weiter heran gerobbt. Ich habe das Schwert dann auch entdeckt, aber ihr habt nicht alle Wesen rausgelockt – erst eben, als Regulus da war und wieder weggerannt ist, hatte ich Gelegenheit, es mir zu schnappen!“ Obwohl es ein Gryffindor war und ich ihn für seltsam hielt, stützte ich ihn nun gerne. Er hatte es geschafft!

„Rückzug!!!“, riefen Magnus und Reginald so laut sie konnten. „Fehlt jemand?“ Ich sah mich nur nach Meaghan und dann nach Evan und Florence um. Ich war zu müde, um mir um alle Sorgen machen zu können. Ich vertraute darauf, dass jeder auf seine engsten Freunde achtete und dass so auffallen würde, wenn jemand zurückgeblieben war. Fynn humpelte zwischen mir und Meaghan so schnell es ging, obwohl er jedes Mal, wenn er mit dem verletzten Fuß auftrat, mit zusammengebissenen Zähnen schmerzerfüllt stöhnte. Einer der größeren und stärkeren Jungs hatte das Schwert an sich genommen und bildete die Nachhut, damit die Wesen uns nicht folgen und von hinten überraschen konnten. Als wir den schmalen Waldpfad hinter uns gelassen hatten und den breiteren Weg über die weite Wiese erreicht hatten, sammelten wir uns. „Kann jemand vielleicht Fynn tragen?“, fragte ich, der Gryffindor wollte jedoch nicht. „Geht schon, wirklich, solange mich jemand stützt. Madame Pomfrey wird es in Windeseile heilen! Es gibt ja noch mehr Verletzte!“ Ein wenig langsamer humpelten wir weiter.

Plötzlich ertönte Geschrei von links. Zwei der Inferi waren wie aus dem Nichts aufgetaucht und versuchten, uns den Weg zum Schloss zu versperren. Die Leute hinter uns wurden so unruhig, dass ich kurz befürchtete, man habe uns umzingelt. „Schnell, wir müssen den Weg verlassen und querfeldein zum Schloss! So erreichen wir schneller den engeren Schutzkreis um Hogwarts, der müsste noch wirken!“, flüsterte ich Fynn und Meaghan zu. Wir duckten uns hinter ein Gebüsch und konnten so ungesehen an den beiden Inferi vorbeischleichen. Ich hörte, dass das Schwert gegen die Wesen zum Einsatz kam und erfolgreicher war als unsere Zauberstäbe. Diejenigen, die fit genug waren, kämpften, während die Verletzten unserem Beispiel folgten und sich davon machten.

Inferi, so nah an der Schule! Das war übel, das war richtig böse! Wahrscheinlich wussten nicht einmal alle Schüler, was Inferi waren und das war gut so. Sonst wäre sicher größere Panik ausgebrochen. Je mehr ich mich von dieser Gefahr entfernte und auf die Sicherheit des Schlosses zulief, desto bewusster wurde mir, was für ein verdammt großes Glück wir gehabt hatten, dass wir alle noch lebten! Dass keiner Gliedmaßen verloren hatte! Zumindest war das mein Stand der Dinge und ich betete, es möge so bleiben. Inferi waren Leichen, die von Zauberern wie Marionetten gelenkt werden konnten, wenn sie sich den tiefsten schwarzen Künsten verschrieben hatten. Selbst unter den bekannten und gefürchteten schwarzen Magiern der Geschichte hatte es nicht viele gegeben, die sich Inferi für ihre Zwecke erschaffen hatten. Normalerweise wurden Inferi als deutlich stärker beschrieben, selbst erfahrene Auroren konnten von diesen Wesen in Stücke gerissen werden. Entweder hatte der Zauberer, der Hogwarts angriff, nicht so viel Macht oder die Schutzmagie der Schule war noch stark genug, seine Schüler auf dem Gelände, selbst im verbotenen Wald, genug zu schützen. Ich vermutete letzteres. Und ich mochte mir nicht ausmalen, was für Schrecken uns noch bevorstanden, wenn das so weiter ging!

Ich war nun der Erbe der Familie Black, ich durfte nicht sterben so kurz nachdem mein großer Bruder der Familie die kalte Schulter gezeigt hatte. Ebenso wenig wollte ich, dass meine Mitschüler in zu großer Gefahr schwebten oder dass Meaghan auch nur ein Haar gekrümmt wurde!

Wir brachten die Verletzten in den Krankenflügel. Meine Schürfwunde konnte ich selber reinigen und eine wohltuende Tinktur draufträufeln, sodass die Haut sich schnell nachbildete. „Regulus, du bist ja ganz blass!“, bemerkte Meaghan mitfühlend. „Du auch.“, entgegnete ich, nachdem ich ihr in die Augen gesehen hatte. Wir umarmten uns vor Erleichterung kurz und das vertrieb die Blässe aus unseren Gesichtern. Verlegen wand ich mich um. „Lass uns in die große Halle gehen, zu den anderen!“

Potter war wieder da und hatte sich von Lily Evans und seinen Freunden Lupin und Pettigrew erzählen lassen, was passiert war. „Ich habe gehört, ein heldenhafter Gryffindor hat das Schwert zurückerobert? Wo ist der Held der Stunde, Fynn McMillan?“, rief er. Ich unterdrückte einen genervten Kommentar. Sollte Potter doch rumtönen und ignorieren, dass Schüler aus allen vier Häusern mitgeholfen hatten. Emmeline Vance machte eine entsprechende Bemerkung und Potter versprach ihr, dass er Sirius von ihrem Mut berichten würde. Eigentlich wollte ich gar nicht zuhören. Ein anderes Mädchen schloss sich eifrig an, sie sei auch dabei gewesen und ob es nicht möglich sei, Sirius auch ihre Grüße auszurichten. Ich begann, meinen Umhang abzuklopfen und vom Dreck zu befreien. Meine schwarzen Locken schüttelte ich ebenfalls aus. Als ich bei mir nichts mehr fand, was meine Aufmerksamkeit genug fesseln konnte, sah ich wieder zu Meaghan. Meine Eitelkeit nach dem Kampf schien sie zu amüsieren.

„Butterbier für alle! Und ein Hoch auf die Mutigen!“, gröhlten die Gryffindors und ich stellte erstaunt fest, dass mir auch ein Krug gereicht worden war. Ich nahm ihn und prostete Meaghan zu. Ich nahm einen tiefen Zug, das tat gut! Meaghan lachte und ich leckte mir das Schaumbärtchen von der Oberlippe. „Was machen wir denn jetzt mit dem Schwert?“, fragte Emmeline. „Wir können es ja nicht so rumliegen lassen! Es wurde schon mal gestohlen und der Wächter sollte es zurückbekommen, wo auch immer der jetzt ist!“ Ich war viel zu müde, um mich in die Diskussion einmischen zu wollen oder zu können. Es wurde jedenfalls am Ende beschlossen, dass die Hufflepuffs das Schwert bei sich im Gemeinschaftsraum hinter irgendwelchen Flaschen verbergen sollten und morgen wollten wir in den Gängen von Hogwarts gucken, ob das Schwert zu einer der Ritterrüstungen gehörte oder ob wir einen anderen Hinweis auf den Wächter bekommen würden.

Meaghan und ich verließen in den frühen Morgenstunden gemeinsam die große Halle und unter dem Mistelzweig hielt ich sie kurz auf, um ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange zu geben. „Gute Nacht, Meaghan!“ Sie strahlte mich an, hielt mich am Umhang fest und gab mir ebenfalls einen Kuss auf die Wange. „Gute Nacht…“ Ihre Stimme war sanft und warm, was eine beruhigende Wirkung auf mich hatte. Ich schlief erstaunlich gut ein, was sicher auch an meiner Müdigkeit lag. Alpträume lauerten jedoch ebenfalls auf mich, weshalb ich mich einigermaßen pünktlich am nächsten Morgen aus dem Bett quälte.

Der einsame Wächter

Wenn ich früh genug beim Frühstück gewesen wäre, hätte ich vielleicht schon die ersten Gerüchte gehört, die aus meinem züchtigen Kuss auf die Wange mit Meaghan einen heißen Zungenkuss und womöglich noch mehr machen wollten. Aber ich mümmelte lustlos an meinem mit Käse belegten Brot und überlegte, ob ich meine Morgenpost direkt oder später lesen wollte. Ein Brief mit einem verschnörkelten großen „M“ als Stempeldruck fiel mir auf. Es schienen auch ein paar andere Slytherins am Tisch einen solchen Brief bekommen zu haben. Von Malfoy. Was wollte der Ehemann meiner geliebten Cousine Narcissa von uns? Er konnte doch nichts von den aktuellen Vorgängen hier wissen? Etwas widerwillig öffnete ich den Brief, aber Lucius sprach mir nur sein Beileid darüber aus, dass mein nichtsnutziger Bruder das familiäre Weihnachtsfest so gestört hatte. Es streute Salz in meine frische Wunde. Zum Glück hatte sich noch kein anderer Slytherin zum Frühstück begeben und dass der Jones von den Ravanclaws einen Heuler von seiner Mutter bekam, lenkte die restlichen Schüler genug von meiner Wenigkeit ab, dass ich mit meiner Laune in Ruhe gelassen wurde.

In Zaubertränke fiel auf, dass Severus und Lily Evans, die gestern beide unter der Aura der Steine gelitten hatten, nun Schwierigkeiten hatten, Zauber richtig auszuführen. Obwohl es mich nicht direkt betraf, beunruhigte es mich. Dann stellte ich auch noch fest, dass ich ausgerechnet meine Unterlagen für Runenkunde vergessen hatte und so schwänzte ich ausnahmsweise. Kurz vor dem Mittagessen hatten wir Verteidigung gegen die Dunklen Künste, es wurden diesmal exemplarisch Duelle vor der ganzen Klasse abgehalten, wobei wir besonders auf unseren Stand und eine richtige Körperhaltung achten sollten. Das war eine wichtige Grundlage, um in einem echten Kampf nicht über die eigenen Füße zu stolpern und schnell ausweichen zu können. Ich schlug mich recht gut gegen Moran und auch die anderen Duelle waren spannend. Überraschenderweise verlor Potter gegen seinen Freund Lupin. Auch in dieser Stunde gab es jemanden, dessen Zauberstab nicht auf die gerufenen Worte richtig reagieren wollte.

In den Mittagsstunden fanden ein paar Hufflepuffs und Ravenclaws die Zeit, weiter im Schloss nach den Ritterrüstungen und einem möglichen Wächter zu suchen und zu recherchieren. Ich bekam kaum etwas davon mit und erfuhr erst später, dass sie die Rüstung eines gewissen Sir Gareths von Thalberg entdeckt hatten, bei der offensichtlich ein Schwert fehlte. In die leere Schwertscheide schien das von uns zurückgewonnene Schwert perfekt zu passen, doch die Rüstung regte sich nicht. Jedenfalls nicht sofort.

Statt normalem Unterricht fanden nach dem Mittagessen Tanzstunden statt und ich konnte tatsächlich mit Meaghan Standarttanzschritte proben. Ich war nervös und unsicher und merkte so erst, als ein älterer Schüler mich darauf aufmerksam machte, dass Meaghan eher führte, obwohl das meine Aufgabe als Mann wäre. „Entschuldige…“, murmelte ich und lief rot an. „Ist doch nicht schlimm!“, lächelte sie. „Also, von dir lasse ich mich wohl auch gerne führen?“, versuchte ich, der Situation mit einem lockeren Spruch wieder Herr zu werden. Sirius wäre sowas sicher nicht passiert oder ihm wäre ein viel coolerer oder witzigerer Spruch eingefallen! Mit der Zeit kamen mir meine Bewegungen flüssiger und meine Schritte sicherer vor und ich musste weniger zu meinen Füßen schielen, sondern versuchte, Meaghan freundlich anzusehen beim Tanzen. Außerdem gelang es mir besser, meine Schritte tatsächlich im Einklang mit dem Takt der Musik zu halten. Eine zu schlechte Figur würde ich auf dem Ball also nicht machen, jedenfalls konnte ich aus dem Augenwinkel beobachten, dass andere sich tollpatschiger anstellten. Natürlich gab es auch Paare, die offensichtlich schon mindestens einen guten Tanzkurs hinter sich hatten. Florence und Evan machten eine gute Figur, die Jones-Geschwister übertrafen alle.

Die Tanzstunde wurde jäh unterbrochen, als Potter in den Saal gestürmt kam und ohne jeglichen sichtbaren Grund Evan Rosier einen saftigen Kinnhaken verpasste. Die Schlägerei artete beinahe aus, als die anwesenden Vertrauensschüler die beiden auseinanderziehen wollten. Es wurde gezetert, geschimpft und gebrüllt und es stellte sich erst später heraus, dass Potter einfach einen Schuldigen gesucht hatte, weil jemand den Inhalt von Lilys Schultasche über den Boden der Großen Halle verteilt hatte. Es war auch ein Slytherin gewesen, aber eben nicht Evan, sondern Devon Avery. „Tja, er verbaut sich immer mehr die Chancen, bei dem Schlammblut zu landen mit solchen Patzern!“, grinste Evan gehässig, während er sich ein Taschentuch unter die blutende Nase hielt.

Auf dem Weg in den Slytherin-Gemeinschaftsraum fragte ich beiläufig, was Lucius Malfoy den anderen geschrieben hatte. Es war ja doch auffällig, dass er ausgerechnet jetzt mehreren gleichzeitig geschrieben hatte! Bei den einzelnen Briefen war nichts Ungewöhnliches aufgefallen, aber vielleicht steckte da doch mehr hinter, als wir auf den ersten Blick sahen. Wir entschlossen uns, später alle Briefe von Malfoy zusammen zu tragen und nach versteckten Botschaften oder Andeutungen zu suchen.

Ich wollte heute nicht zu viel Zeit im Gemeinschaftsraum verbringen, denn so hatte ich keine Chance, Meaghan nochmal außerhalb der Unterrichtsstunden zu treffen. Außerdem war es heute weniger regnerisch draußen, wenn uns nicht zu kalt war, könnten wir einen kleinen Spaziergang machen, überlegte ich. Natürlich nur, wenn sie ebenfalls Lust dazu hätte und nicht noch in der Bibliothek mit einer ihrer Freundinnen lernen wollte. Als ich sie endlich in einem der langen Gänge erspähte, winkte sie mich aufgeregt zu sich. „Die Ritterrüstung! Sie ist zum Leben erwacht! Wir versuchten gerade, allen bescheid zu sagen…“ Immer mehr Schüler sammelten sich und strömten nach draußen, wohin die Rüstung gegangen sein sollte. Und dort stand sie, mitten auf dem Gelände von Hogwarts. Die Sonnenstrahlen, die sich einen Weg durch die grauen Wolken gebahnt hatten, glitzerten auf dem polierten silbernen Metall. Erhaben stand der Ritter da und hatte seine Hände vor sich auf den Schwertgriff gestützt. In seinen Händen wirkte es mächtiger als es mir gestern in der Dunkelheit, als wir es von den Inferi zurückgewonnen hatten, vorgekommen war. Ja, wir hatten das Schwert dem rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben! Dann müsste er nun Hogwarts wieder beschützen! Die drei Geister erschienen hinter dem Ritter, der uns Schülern entgegenzublicken schien, sich allerdings nicht rührte, bis das Getuschel unter uns Schülern verebbte.

„Ich bin Sir Gareth von Thalberg!“, rollte schließlich eine tiefe Stimme aus dem heruntergeklappten Visier. „Ich bin der Wächter des Schutzsteins von Gryffindor, doch ach, man nahm mir feige mein Schwert und der Schutzstein wurde gebrochen. Ihr habt bereits Mut bewiesen, indem ihr mir das Schwert zurück brachtet, doch wenn ihr den Schutz eurer Schule gänzlich wiederherstellen wollt, so müsst ihr eure Kraft, euren Mut und euren edlen Charakter unter Beweis stellen.“ Eine eindrucksvolle Kunstpause entstand und die Geister traten vor, erhoben ein weiteres Schwert und einen schweren Schild. „Nur Schüler können Hogwarts zu einer Schule machen. Wollt ihr eure Schule retten?“, rief Robin, der Geist des Gryffindorschülers, der in einem Trimagischen Tunier vor sehr langer Zeit gefallen war. „JA!“, riefen wir einstimmig und voller Inbrunst zurück. „Dann soll ein Schüler seine Stärke im Duell beweisen. Wer wagt es, den ehrenwerten Ritter Sir Gareth von Thalberg zum Duell herauszufordern?“ James Potter trat ohne zu zögern und mit stolz erhobenem Haupt vor. Andere Schüler traten unauffällig lieber einen Schritt zurück. Gebannt sah ich zu, wie Potter sich von dem Geist den Schild um den linken Arm schnallen ließ und das Schwert in die rechte Hand nahm. Ob Potter mit Schild und Schwert genauso gut umgehen konnte wie mit seinem Zauberstab im Duell?

Ich hörte nicht auf die herablassenden Bemerkungen von Snape und seinen Freunden, die offenen Zweifel daran hegten, dass dieser Hitzkopf eine Chance hatte, wenn er sich so unvorbereitet in den Kampf stürzte. „Kann hier überhaupt jemand mit dem Schwert umgehen?“ Ein paar Schüler aus erhabenen Familien mochten mal Fechten gelernt haben, aber ein Degen war anders zu handhaben als ein Schwert! Meaghan ergriff fest meine Hand. „Oh, ich kann kaum hinsehen!“ Ich merkte, dass ich die Luft anhielt, als die Schwertklingen mit metallischem Knirschen gegeneinander schlugen. Potter hob den Schild, um den nächsten Schlag des Ritters abzuwehren. Einige Schüler versuchten, ihm Tipps zuzurufen, was jedoch kaum bei Potter anzukommen schien. Dreimal ging Potter unter den mächtigen Schwerthieben des Ritters, die er nur mit Mühe abfangen konnte, in die Knie, und dreimal erhob er sich stur wieder, kämpfte weiter und versuchte, den Ritter mit schnellen, kräftigen Hieben zu erwischen. Dabei vernachlässigte Potter aber zunehmend seine eigene Deckung und es sah so aus, als habe er Probleme, seinen Schild weiter festzuhalten, ein Riemen musste sich gelöst haben. Ich hatte nicht gesehen, wie es passiert war, aber Potter humpelte nun sichtlich. Bang fragte ich mich, ob das ein Duell auf Leben und Tod werden würde? Hatte jemand festgelegt, wann das Duell gewonnen war? Meaghan und ich gaben beide zutiefst erschrockene Laute von uns, andere Schüler schrien noch entsetzter, als Sir Gareths Schwert eine tiefe Wunde in Potters rechte Schulter riss und er blutend zu Boden ging. Lupin und Lily Evans konnten sich nun nicht mehr zurückhalten und rannten zu ihm. „Bleibt zurück! Ich muss weiterkämpfen!“, presste Potter zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Der Ritter war zwei Schritte zurückgegangen und der silberne Helm deutete ein Kopfschütteln an. „Der Kampf ist für euch verloren.“, verkündeten die Geister und nahmen Schwert und Schild wieder an sich. „Doch ihr könnt einen weiteren Champion es versuchen lassen!“

Dieses Mal wurde länger gezögert. „Die Rüstung des Ritters ist schwer, er ist deshalb etwas langsamer. Es sollte jemand zum Kampf antreten, der stark und schnell genug ist!“, hörte ich Wilkes sagen. Nach ein paar weiteren taktischen Überlegungen trat Evan Rosier, unser Vertrauensschüler vor und ließ sich Schwert und Schild übergeben. „Oho, ein Slytherin! Wir hoffen doch sehr, dass ihr nicht versucht, das Duell mit feigen Tricks zu gewinnen?“ Evan verzog beleidigt das Gesicht, sparte sich aber den Atem darauf eine bissige Antwort zu geben. „Lass dich bloß nicht ablenken!“, rief Florence und ich hörte deutlich, wie besorgt sie um ihren Verlobten war. „Er wird es schaffen. Er konnte genau beobachten, wie der Ritter kämpft, er wird irgendeine Schwachstelle, eine Lücke in der Verteidigung, zu seinem Vorteil nutzen und gewinnen können!“ Ich klang nicht halb so zuversichtlich, wie ich gehofft hatte. Rosier kämpfte gänzlich anders als Potter. Er stürzte nicht drauflos, was dazu führte, dass die Kontrahenten sich zunächst umkreisten. „Versuchst du Schlange etwa, mir in den Rücken zu fallen?“ Der Ritter klang erbost. Jetzt griff Rosier an, ließ sich allerdings schnell wieder zurückfallen. Er hatte anscheinend antesten wollen, wie stark die Schläge des Ritters waren und wie gut er mit seinen Kräften dagegen halten konnte. Es war kein so actionreiches Duell wie das von Potter, die Spannung war trotzdem unerträglich. Evan Rosier mochte einen Plan gehabt haben, doch letztendlich war es eine gehörige Portion Glück, die dazu beitrug, dass er nicht so schwer verletzt wurde wie Potter und dafür den Ritter so traf, dass die Geister nach einigem Zögern meinten, wir hätten die erste Aufgabe gemeistert. Potter hatte den größeren Mut im Kampf bewiesen und Evan hatte dann nach seiner Vorarbeit das Duell knapp gewinnen können.

„Als nächstes möchte ich eine epische und heldenhafte, wahre Geschichte hören!“, verlangte der Ritter. Fynn versuchte, die Geschichte zu erzählen, wie wir uns letzte Nacht gegen die Inferi geschlagen hatten, was sicher inhaltlich alles richtig war, dem Ritter allerdings noch nicht heldenhaft genug klang. Dann versuchte Florence, ihm die Geschichte mit dem Nachtmahren zu erzählen, dem Ritter war aber die Tatsache zu hinterhältig, dass wir Slytherins die anderen Schüler erst so spät die Wahrheit mitgeteilt hatten. Ratlos schauten wir uns an, was könnte man denn noch heldenhaftes erzählen? Aidan Lynch, der Sucher von Hufflepuff, trat mit einem verschmitzten Grinsen vor. „Also ich hätte noch eine Geschichte, es gibt schließlich nichts Epischeres, als eine echte Schlacht!“ Sowohl der Ritter als auch wir wurden hellhörig. „Es war an einem stürmischen Tag, dunkle Wolkentürme schoben sich über den grauen Himmel und Blitze erhellten das Schlachtfeld, auf dem sich zwei Heerscharen - die eine in rote Umhänge gehüllt und die andere, zu der ich mich glücklich zählen darf, gelbe – sich gegenüberstanden. Ach was, standen! Wir flogen auf Ungeheuern und meine Aufgabe war es, den fliegenden goldenen Schatz aus der Luft zu fangen, bevor die gegnerische Mannschaft ihn eroberte!“ Allmählich dämmerte es uns, dass Aidan das letzte Quidditch-Spiel meinte, wo Hufflepuff gegen Gryffindor gewonnen hatte. „Zu meiner Zeit spielte man Quidditch noch auf Besen…“, murmelte der Ritter. Ich musste grinsen. „Wir flogen auf mühsam gezähmten Ungeheuern!“, beharrte Aidan. Es war genial, wie wortgewandt Aidan aus dem Quidditch-Match eine sagenhafte Schlacht machte, gewürzt mit witzigen kleinen Anekdoten. Wir hingen an seinen Lippen, die so fantasievoll das vergangene Spiel vor unseren geistigen Augen heraufbeschworen. Als die Geschichte mit der Siegesfeier der gelben Mannschaft endete, applaudierten auch die Gryffindors begeistert, so mitreißend konnte Aidan erzählen. Die zweite Aufgabe war bestanden. Das gab uns allen Mut.

Mit jeder erfolgreich bewältigten Aufgabe sollten wir ein Bruchstück des Schutzsteins erhalten und womöglich zusätzliche Informationen, wie er sich wieder zusammenfügen und der Zauber sich erneuern ließe. Die drei Geister und Sir Gareth schienen die hier versammelten Schüler nacheinander eindringlich zu mustern. „Los, Kinder, hier gibt´s nichts mehr zu sehen!“, verscheuchte Olec uns grimmig. „Sir Gareth wird im Laufe des Abends einzelne von euch holen lassen, denen er bestimmte Proben zu bestehen zutraut.“ Oh, jetzt durften also nicht mehr alle hören, was die nächste Prüfung war? Jetzt durfte man sich nicht mehr freiwillig melden? Jetzt konnte man jederzeit für was auch immer erwählt werden? Ich verzog das Gesicht. „Warum kümmert sich Professor Dumbledore nicht um den Schutz der Schule?“, murrte jemand. „Habt ihr nicht zugehört? Wir Schüler müssen für die Schule einstehen, nicht die Lehrer…“ An sich machte das schon Sinn, immerhin war es bei mächtigen Zaubern oft wichtig, wer oder welche Personengruppen die Magie wirken wollten. Neben Faktoren wie dem richtigen Zeitpunkt, dem passenden Ort…

„Da wir Slytherins ja nun schon geholfen haben, den Ritter von Gryffindors Stein zufrieden zu stellen, werden sie uns so schnell nicht weiter behelligen! Lasst uns lieber gucken, ob Malfoy uns wirklich eine versteckte Botschaft senden wollte…“, raunte Avery Rosier zu, der dann Wilkes, Snape und mich wieder mit ins Schloss zitierte. Unwillig kramte ich aus meiner Schultasche den Brief von heute Morgen hervor, damit die anderen sich davon überzeugen konnten, dass dort kein geheimer Code oder dergleichen war. In einem der Briefe kamen auffällig viele Zahlen vor. In meinen häuften sich keine Worte auffällig und so probierte ich es mit einem „Aparecium!“ und feine silberne Linien wurden zwischen den Zeilen aus schwarzer Tinte sichtbar. Lucius sprach von einem Todesser, der vor einigen Monaten im Verbotenen Wald umgekommen sein sollte. Wir sollten ein Artefakt finden, das er dort noch hatte verstecken können. „Folgt den Hinweisen. Dies soll eure erste Bewährungsprobe sein.“, lautete die letzte Zeile. Es dauerte lange, bis wir den Code geknackt hatten, der in den anderen Briefen verborgen lag und uns weitere Informationen offenbarte. Es war jedoch kein genaues Datum genannt, bis wann wir das Artefakt finden und Lucius treffen sollten. Wir wollten, wenn wir nichts Besseres zu tun hatten, am nächsten Tag über das Gelände spazieren und unauffällig am Waldrand nach Hinweisen suchen. Es wäre besser, wenn niemand Verdacht schöpfte, waren wir uns einig. Außerdem hatten wir obendrein andere Sorgen.

Zurück in der Großen Halle hörten wir Gerüchte, dass einzelne Schüler von den Geistern weggeführt worden waren und mit weiteren Bruchstücken von Gryffindors Schutzstein zurückgekehrt waren. Nach dem Abendessen gab es eine laute Diskussion, weil das Schlammblut Evans zu einer Aufgabe alleine gerufen wurde und Potter sie nicht gehen lassen wollte, erst recht nicht allein. Severus beteiligte sich ebenfalls, immerhin war er aus unerfindlichen Gründen noch mit ihr befreundet, was seinen Stand und seine Beliebtheit im Hause Slytherin nicht gerade verbesserte. „Meine Güte, die anderen haben ihre Prüfungen auch bestanden und sind heile zurückgekommen, macht mal hier nicht so einen Aufstand!“, mischte sich ein Ravenclaw-Mädchen genervt ein. „Es wird schon dunkel draußen, wir werden nicht ewig Zeit haben, diesen Schutzstein wieder zusammenzusetzen!“

Lily Evans kehrte nicht zurück. Ich bekam noch mit, dass Severus Snape von den drei Geistern aufgesucht und fortgeführt wurde. Diesmal hielt Potter niemanden auf. Je später es wurde, desto mehr Unruhe breitete sich unter den Schülern aus. Dauerte die Aufgabe einfach so lange? Oder war sie zu schwer? Die Geister erschienen wieder und schritten mit unlesbaren Gesichtsausdrücken zwischen uns Schülern umher. „Regulus Black!“ Ich zuckte zusammen. „Du darfst dein Glück als nächstes versuchen.“ Ich hatte keine Wahl, ich musste ihnen folgen. Plötzlich spürte ich eine Hand, die mich am Oberarm packte und zurückhielt. „Geh nicht!“ Ich erkannte Meaghans Stimme, noch bevor ich mich umgedreht hatte, um sie anzusehen. „Ich…“ Ich wollte eigentlich sagen, dass ich gar nicht gehen wollte. Dass ich Angst hatte. Ich wurde von dem weiblichen Geist unterbrochen: „Der Junge muss, sonst ihr nicht rettet eure Schule!“ Ich nickte hastig. „Meaghan, ich pass auf mich auf, ich geb mein Bestes, versprochen! Mir wird schon nichts passieren…“ Sie sah ganz danach aus, als wolle sie widersprechen, doch dann umarmte sie mich. „Versprich mir, dass du zurückkommst!“ Ich nickte und löste mich schweren Herzens von ihr.

Kurz bevor ich das große Tor nach draußen durchschritt, entzündete ich meinen Zauberstab, um in der Dunkelheit zumindest etwas sehen zu können. Es stellte sich heraus, dass das ein kluger Gedanke von mir gewesen war, denn nun wurden mir die Bedingungen von den Geistern vorgetragen. „Du darfst ab jetzt keinen Ton mehr von dir geben. Du darfst dich nicht umsehen. Folge dem Pfad, den wir dir weisen – das letzte Stück gehst du allein. Finde die Kerze und blase sie aus. Dann löse das Rätsel.“ Ich nickte und presste die Lippen aufeinander. Eigentlich sollte das nicht zu schwer sein, oder? Die Geister neckten mich ein wenig, aber ich ging stur auf ihre Fragen nicht ein. Sie führten mich zum Waldrand, wo sich zwischen dichten Büschen ein kleiner Trampelpfad offenbarte, den ich noch nie zuvor bemerkt hatte. Er schien kaum benutzt zu werden, war teilweise überwuchert und ohne das Licht meines Zauberstabs hätte ich ihm kaum folgen können, hätte mich sicher zwischen den dunklen Bäumen im Gestrüpp verirrt. Ob das den anderen vor mir passiert war? Etwas raschelte hinter mir und ich unterdrückte den Impuls, mich umzusehen. Ich beschleunigte meine Schritte, bis ich zu einem Bach kam. Ich hörte wieder etwas hinter mir, es klang groß und schwer. Ich war nicht allein. Jemand oder etwas beobachtete mich, trieb mich vor sich her und ich wusste nicht, was es war. Was womöglich noch schlimmer war, als das Wesen zu sehen. Was auch immer es war, es kam näher. Ich fand eine Stelle, wo der Bach weniger tief war und einige Steine und Baumstämme so lagen, dass ich drüber klettern konnte. An einer Stelle rutschte ich beinahe aus, da der Stein nass und glitschig war, doch ich fing mich schnell wieder. Hier kam mein Training als Quidditch-Spieler zur Geltung, man brauchte auf dem Besen einen guten Gleichgewichtssinn. Was auch immer mich verfolgte, war weniger bedacht, nicht nass zu werden. Behäbige Schritte platschten durch das seichte Wasser. Ich zwang mich regelrecht, den Blick nach vorne zu wenden. Mit meinem kleinen Licht gab ich ein viel zu gutes Ziel ab, kam mir in den Sinn. Da ich mich nicht umsehen durfte, strengte ich meine Ohren noch mehr an. War das ein Atmen? Ich umklammerte meinen Zauberstab und lief weiter. Oh, da vorn! Kerzenschein? Die Bäume wichen einer Lichtung, wo ein kleiner Schrein aus grob aufgehäuften Steinen stand und dort stand die Kerze. „Wer bissst du?“, zischte es plötzlich direkt in mein linkes Ohr. „Du wagssst ess?“ Mein Herz setzte einen Schlag aus. Das war keine menschliche Stimme! „Ich bin Vidu! Geh nicht weiter…“ Ich war vor Schreck tatsächlich stehen geblieben. Vidu? Oder hieß es `wie du´? War das schon Teil des Rätsels?, zerbrach ich mir den Kopf. „Du gehörssst bald auch mirr!“, raunte es mir zu. Mir schauderte. Neben dem primitiven Altar lagen Gestalten auf dem Boden und ich vernahm ein leises Stöhnen. Zwei oder drei andere Schüler? Konnte ich sie retten, wenn ich das Rätsel löste? Hatte mich da gerade etwas an den Haaren berührt? Ich unterdrückte ein ängstliches Wimmern und eilte auf die Kerze zu. Mein Atem ging schnell und stoßweise, ich war nervös und wusste, dass es besser wäre, einen kühlen Kopf zu bewahren. „Waage ess nicht!“, heulte das Wesen hinter mir los. Ich blies die Kerze aus. Es lachte.

„Der es macht, der will es nicht

der es trägt, behält es nicht

der es kauft, der braucht es nicht

der es hat, der weiß es nicht.“

Blätter raschelten, die anderen ächzten und stöhnten, mein Herz schlug mir bis zum Hals - ich war mir nicht sicher, ob ich jedes Wort des Rätsels richtig verstanden hatte. Ich durfte sicher nicht darum bitten, dass das Rätsel wiederholt wurde! So ein Trolldreck! Was konnte das sein? Wie viel Zeit hatte ich? War das Atem in meinem Nacken oder spielte der Wind mir einen Streich? Was konnte man haben, ohne es zu wissen? Was kauft man, was man nicht braucht? Konnte ich dreimal raten oder musste ich es direkt richtig lösen? „Wass ist deine Antwort, Kind?“ Bei Merlins Bart, wie sollte ich mich so konzentrieren und auf die Lösung kommen? „Zartess Fleisssch… heute Nacht werde ich satt!“ Der siegessichere Unterton ließ Panik in mir aufsteigen. Hatte es mich an der Schulter berührt? Ich wimmerte auf und rief einfach irgendwas, was mir gerade in den Sinn kam und was garantiert falsch war. Ein dumpfer Schlag auf den Hinterkopf ließ meine Sinne schwinden, das unmenschliche Lachen verfolgte mich jedoch in die Bewusstlosigkeit.

Als ich langsam wieder zu mir kam, stellte das Wesen bereits sein nächstes Rätsel. „Ich laufe stetig in meinem Bett…“ Ich ächzte und rieb mir den Hinterkopf. Viel mehr konnte ich mich nicht bewegen, es war, als hielte eine unsichtbare Macht mich fest. Worte formen war mir ebenfalls nicht möglich. Ich gab schnell auf und lauschte in die Dunkelheit. Wer auch immer dort jetzt in der Dunkelheit stand, ich wünschte ihm oder ihr von Herzen einen klaren Kopf. Das Wesen machte wieder zischelnde Andeutungen, dass es sich auf einen Vorrat an zartem Mädchenfleisch freuen könnte. Also stand da eine Schülerin, kroch ein klarer Gedanke in meinen pochenden Schädel. Bitte, Mädchen, lass dich nicht einschüchtern, lass dich nicht ablenken! „Ein… Fluss?“ Oh nein, das war Meaghans Stimme! Das Wesen heulte auf. Gleichzeitig löste sich der Bann, der meinen Körper festgehalten hatte. Ich hob den Kopf und sah, dass sich Meaghans Gestalt zu uns herunter beugte. Die Kerze flackerte wie von selbst wieder auf. „Lily! Regulus! Seid ihr verletzt? Wer ist noch bei euch?“ „Peter…“, meldete sich der Junge, der nicht weit von mir und Lily gelegen hatte. Meaghans Zauberstab leuchtete auf und Severus erhob sich. „Wir sollten lieber schnell verschwinden.“, brummte er. „Oh, Meaghan, du hast uns gerettet!“, freute ich mich, meiner Erleichterung freien Lauf lassend. „Können wir überhaupt alle gehen, wenn wir nicht alle die Rätsel richtig gelöst haben?“, flüsterte Lily. „Kriegen wir das fehlende Bruchstück…?“ Ich für meinen Teil wollte nich länger als nötig in der Nähe dieses Monsters bleiben. Am Rand des schwachen Lichtkegels bewegte sich etwas und es war gebaut wie ein großer, breiter Mann oder ein Troll. Ich versuchte, etwas Genaueres zu erkennen. Entweder war es sehr behaart oder es hatte zottelige, zerrissene Kleidung. Moment, es konnte auch dicht mit Laub und Moos behangen sein? Vielleicht spielten meine Augen mir nur einen Streich. „Verschwindet nur sschnell, Kinder, und lassst eure Freunde zzurück!“ Es klang wütend.

Ich hatte Meaghan mit mir mitgezogen, ich wollte diesen Wald und seine gruseligen Geschöpfe so schnell es ging hinter mir lassen und mich wieder sicher fühlen. „Wartet! Was für Freunde meist du… Vidu?“, fragte Lily aufgewühlt. Ein raschelndes Lachen war die Antwort. „Ssie haben die Regeln verletzt, ssie gehören mir!“ Da Meaghan innehielt, musste ich auch stehen bleiben. „Es will uns sicher nur verwirren, also kommt, hört nicht auf seine Worte!“, drängte ich. „Nein, wir lassen niemanden zurück!“, beharrte Lily. „Wenn jemand zu dumm ist, Regeln zu befolgen…“, brummte ich vor mich hin und spürte einen stranfenden Blick von Meaghan. Ich seufzte. „Na schön… wie viele von uns hast du noch?“, rief ich in die Dunkelheit, wo ich das Geschöpf vermutete. „Zzwei…“ „Können wir dir irgendwas im Tausch anbieten?“, fragte Severus weiter. Doch ehe das Monster eine Forderung stellen konnte, rief ich: „Wie können wir sicher sein, dass du uns nicht an der Nase herumführst? Wo sind diese angeblichen zwei Schüler? Zeig sie uns!“ Es raschelte und knackte im Unterholz, als das Wesen sich entfernte. Ich wich trotzdem noch ein wenig zurück, in die Richtung, wo der Bach leise plätscherte. Lily wollte dem Wesen folgen, Severus wollte sie nicht allein gehen lassen und Meaghan wollte die beiden wiederum nicht allein lassen, weil ihr wieder eingefallen war, dass die beiden heute mit dem Zaubern Schwierigkeiten gehabt hatten. „Ihr wollt doch nicht riskieren, dass es euch wirklich frisst?“ Ich schüttelte ungläubig und frustriert den Kopf. Genau so ein kopfloses Verhalten brachte die Gryffindors immer in Schwierigkeiten! Ich wollte vor Meaghan natürlich nicht wie ein Feigling wirken, aber…

Das Wesen kehrte zurück und zog etwas über den Waldboden laut raschelnd hinter sich her. „Sagtest du nicht, du hättest noch zwei von unseren Freunden?“ Lily klang herausfordernd. Wenn das Wesen sie jetzt wegen ihrer Dreistigkeit niederschlug, würde ich mich nicht weiter in Gefahr begeben! „Ich weißß doch noch gar nicht, ob ihr überhaupt tausschen könnt oder wollt…“, zischelte das Waldgeschöpf. „Wir könnten dir aus dem Schloss so viel Fleisch holen, wie du willst!“, schlug Meaghan vor. „Ich möchte frisschesss… zartesss…“ „Jaja, hol den anderen, wir haben vielleicht noch ein Mädchen zum eintauschen…“, unterbrach Snape. Lily zischte ihm etwas zu, was ich nicht verstand. Das Ding lachte und verschwand wieder im Wald. „Potter?!“, rief Lily aus, als sie sich zu der Gestalt am Boden beugte. „Hey, Süße, haben wir dich schon gerettet?“, nuschelte er. „Wir retten gerade eher dich!“, knurrte Severus. „Du Idiot, du hast die Regeln dieser Aufgabe verletzt und jetzt haben wir womöglich nicht bestanden! Wer weiß, was das Wesen tut, es wird uns garantiert nicht alle laufen lassen! Wir versuchen zu verhandeln, aber es scheint… unbedingt Menschenfleisch zu wollen! Wen hast du da noch mit reingezogen? Bestimmt Remus, oder?“ Ich konnte gut nachvollziehen, dass Lily so aufgebracht war. „Wir konnten dich und Peter doch nicht im Stich lassen!“, verteidigte sich Potter. „Und was ist mit den anderen?“ Potter erhob sich langsam, rieb sich den steifen Nacken und sah sich um. „Also der da“ er deutete auf Severus „kann mir ja egal sein, aber sonst lassen wir natürlich niemanden hier verrecken!“ Ich war ein wenig überrascht, dass er nicht allgemeiner formuliert hatte, dass ihm Slytherins egal wären. Wahrscheinlich wollte er nur Severus besonders ärgern. „James!“, empörte sich Lily. „Ähm… das Ding kommt gleich zurück, wollen wir nicht lieber nen Plan absprechen…?“, unterbrach ich die Streitigkeiten. „Ja, das wäre vernünftig“, stimmte das Schlammblut mir zu. „Wir werden keinen zurücklassen, aber wenn es auch Fleisch aus dem Schloss annehmen würde… wir könnten unsere Zauberstäbe als Pfand zurücklassen…“, überlegte sie laut. „Ich werde garantiert nicht meinen Zauberstab weggeben!“, widersprach ich heftig. „Es würde vielleicht reichen, wenn ich und Severus unsere abgeben – wir können gerade eh nicht richtig zaubern!“

Wir verstummten abrupt, als das Wesen zurückkam. „Ey, Kleiner… du läufst doch so gern vor Problemen weg. Wenn irgendwas schiefgeht, hol Hilfe!“, raunte Potter mir noch zu. An sich war das sicher eine von Potters besseren Ideen, er hätte es allerdings weniger beleidigend formulieren können. Ich sollte nicht die Gelegenheit haben, mich darüber zu beschweren. „Wo issst die Jungfrau, die ihr mir versprochen habt?“ Das Wesen klang gierig. „Welcher Hornochse hat dem Vieh eine Jungfrau versprochen?“ – „Gar nichts haben wir versprochen, wir haben nur gesagt, dass wir vielleicht noch ein Mädchen irgendwo hätten!“ Na super, die Verhandlung ging definitiv den Bach runter! „Dann lass ich keinen von euch gehen!“, brüllte das Wesen. „Regelbrecher! Wortbrecher!“ Potter schleuderte dem Waldwesen einige Flüche entgegen, die jedoch relativ wirkungslos blieben. „Remus, komm zu dir!“ Er half seinem Freund auf die Beine. „Nocturnus Maximus!“, heulte es und plötzlich wurde es im Wald stockfinster. Unsere Zauberstäbe wollten auf kein Lumos mehr hören und die kleine Kerze war ebenfalls erloschen. Es klang, als würde ein Kampf ausbrechen. Ich wandte mich um und fiel beinahe in den Bach. Beinahe auf allen vieren tastete ich mich vorwärts, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten und das fahle Sternenlicht mir half, zu erraten, wo der Pfad aus dem Wald hinaus führte. Hier funktionierte mein Lumos wieder und ich konnte den besser ausgebauten Weg über die Ländereien zurück zum Schloss rennen. Völlig außer Atem versuchte ich, den anderen möglichst schnell zu erklären, was passiert war. Ich brachte kaum mehr als Stichpunkte hervor. „Meaghan hat… Rätsel gelöst, aber Potter hat… sich eingemischt. Waldmonster, ich weiß nicht… will nicht alle gehen lassen. Braucht Opfer. Kommt schnell, zusammen… haben wir ne Chance!“ Ein paar schnelle und starke Schüler und Schülerinnen schlossen sich mir an. Auf halbem Weg kamen uns Lily und Meaghan entgegen, gefolgt von Peter Pettigrew, Remus Lupin, Severus und Potter.

„Regulus! Ich hatte nicht mitbekommen, dass du dich wegschleichen konntest… ich dachte schon, Potter wollte dich zurücklassen!“, rief Meaghan aus, als sie mir um den Hals fiel. „Oh… sorry“, murmelte ich. „Wie seid ihr…?“ Potter unterbrach mit lauter, zorniger Stimme die Frage. „Weil Schniefelus dem Waltschrat eine holde Jungfrau versprochen hat, mussten wir uns alle mit unseren Zauberstäben vorläufig loskaufen!“ Lily drängte darauf, in die Sicherheit der Mauern von Hogwarts zurückzukehren, bevor sich alle gegenseitig beschuldigten, für das Desaster verantwortlich zu sein. Natürlich wollten nun alle Schüler wissen, was genau vorgefallen war und was das für ein mysteriöses Waldwesen war, von dem wir sprachen. Dass Potter und Snape sich gegenseitig zunehmend angifteten, trug nicht gerade zum allgemeinen Verständnis bei. Ich setzte mich in eine Ecke und versuchte, dem Streit möglichst wenig Beachtung zu schenken.

Ich hasste Streit. Ich hasste es, wenn Leute sich gegenseitig anschreien mussten. Es weckte in meinem Kopf das Echo all der Streitereien, die Zuhause immer wieder stattgefunden hatten in den letzten Jahren. Allermeistens wegen Sirius. Ich wollte es nicht hören. Denn wenn ich zuhörte, fragte ich mich, ob ich nicht doch irgendetwas tun müsste. Helfen, vermitteln oder mich auf eine Seite stellen. Mich klar entscheiden. Es war viel einfacher, passiv zu bleiben. Sich nicht einzumischen. Es geschah viel zu schnell, dass man selbst was abbekam. Es war zwar schon ewig her, aber Mutter hatte mal eine Tasse nach Sirius geworfen und sie wäre einfach nur an der Wand zerschellt, hätte meinen Bruder weit verfehlt, doch ich hatte genau zum falschen Zeitpunkt entschieden, mich in die Küche zu den Streithähnen zu gesellen. Ich hatte gehofft, sie würden mir zuliebe dann aufhören. Die Tasse hatte mich an der Stirn getroffen, ich hatte eine dicke Beule gehabt und Sirius und unsere Mutter hatten darin einen zusätzlichen Grund gefunden, sich gegenseitig anzukeifen und einander die Schuld zuzuweisen. Warum musste ich gerade jetzt daran denken? Es war so lange her, es erschien wie eine Erinnerung aus einem ganz anderen Leben. Sirius würde nie wieder heimkehren, es würde viel ruhiger im Grimmauld Platz zugehen.

Der Wind heulte unnatürlich laut um das Schloss und dreimal pochte es schwer gegen das Tor. Plötzlich herrschte Totenstille in der Großen Halle. „Es ist hier…“, flüsterte jemand. „Es kann doch nicht ins Schloss hinein?“, fragte ein anderer. „Es hat Zauberstäbe und scheint einzelne Zauber zu beherrschen“, gab eine dritte Person zu bedenken. Erneut heulte die Stimme des Geschöpfes auf. „Das klingt… Es ist irgendwo in den Kerkern!“ Stühle scharrten über den Boden, als die Schüler aufsprangen. „Wer hat noch Zauberstäbe? Kommt, wir können es aufhalten!“ Florence und Evan hielten Potter auf, der auch ohne Zauberstab so wirkte, als wolle er Hals über Kopf den Geräuschen folgen. „Ich werde mir meinen Zauberstab wiederholen!“, entgegnete er patzig. „Gibt es hier noch jemanden, der nicht so gut zaubern und James seinen Zauberstab wenigstens leihen kann?“, bat Lily die anderen Schüler. „Hey, ihr Slytherins kennt euch doch in den Kerkern aus…“ Es war deutlich, dass James Potter sich nicht aufhalten lassen würde. „Meaghan, ich gucke, ob ich deinen Zauberstab zurück…“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich gehe als Nachhut mit?“ Das schien sie eher zulassen zu können. Ich musste mich beeilen, um hinter den Schülern herzukommen, die Potter bereits folgten. Die lange Treppe hinunter in einen Teil der untersten Etage, die selten genutzt wurde und stockfinster war, ein echtes uraltes Kerkergemäuer. „Seid leise, kein Lumos, sonst seid ihr ein gefundenes Fressen!“, wies jemand von vorne die Nachzögler an. Wenig später hallten Kampfschreie zu mir, die schnell zu Schmerzensschreien wurden. Woher konnte das Wesen mächtige verbotene Zauber? „Kommt zurück!“, rief ein Mädchen neben mir in den Gang. Schnelle Schritte kamen auf mich zu, ich hatte meinen Zauberstab zur Verteidigung erhoben. „Ich hab zwei Zauberstäbe!“, rief Remus Lupin. Ich erkannte den von Meaghan. „Bring sie den Besitzern, wir brauchen mehr Unterstützung!“ Ich sah den Gryffindor-Vertrauensschüler entgeistert an. „Wir wissen nicht einmal, was das für ein Wesen ist, geschweige denn, was dagegen hilft! Was bringt es, wenn wir uns alle kopfüber in die Gefahr stürzen?“ Ich sah etwas in Lupins Augen, eine Enttäuschung, aus der ich deutlich las, dass er mich gerade mit meinem mutigen Bruder verglich. Ich schnaubte, sowas wollte ich jetzt nicht hören! An sowas wollte ich nicht erinnert werden! Ich floh die Treppe hoch und konnte Meaghan und Pettigrew ihre Zauberstäbe zurückgeben.

Wenig später zogen Evan Rosier und Lupin einen zappelnden Potter die Treppe hoch. „Du hast gehört, was es gesagt hat! Es gibt uns noch eine Chance, ein Rätselduell mit einem Mädchen! Wenn sie besser ist, verschwindet es aus dem Schloss und wenn nicht…“ Nun, die Rätsel des Waldgeistes waren zwar schwer, aber sicher nicht unlösbar. „Wer ist denn gut darin, Rätsel zu lösen? Und wer weiß selbst ein paar, die er dem Wesen stellen könnte?“ Ich sah mich um. Ich wusste zwar, dass Meaghan das eine Rätsel gut gelöst hatte, aber ich wollte nicht, dass sie sich direkt nochmal in Gefahr begab! Unsere Wahl fiel schließlich, unter Rosiers energischem Protest, auf seine Verlobte Florence. Sie war intelligent und konnte einen kühlen Kopf bewahren. „Okay, Vidu! Ich stelle mich dem Duell, ich komme jetzt runter – allein!“, rief sie und klang selbstsicher, beinahe arrogant wie immer. Ich bewunderte ihre elegante Art. Natürlich schlichen einige die Treppe mit hinunter, um vielleicht was mit anhören zu können. Sie schlug sich gut und hatte ihrerseits knifflige Rätsel parat. Als das Wesen zu einem Rätsel lange schwieg, freuten wir uns schon. „Gut, Mädchen, du bist eine würdige Gegnerin. Wenn du mein nächstes Rätsel beantwortest, sollst du frei sein und ich werde nie wieder einen Fuß in diese Gemäuer setzen oder einen Schüler der Schule bedrohen!“ Wir hielten kollektiv den Atem an. „Ich falle stetig und bleibe doch am selben Fleck.“ Obwohl wir nicht helfen durften, zerbrach sich jeder, der es so gerade noch mitangehört hatte, den Kopf. Als könnten wir Florence einen Teil der Denkarbeit abnehmen, indem wir mit dachten. Die Stille wurde unerträglich. Selbst wenn jemand die Lösung kannte, wagte es niemand, es den anderen zuzuflüstern, damit das Wesen uns nicht vorwerfen konnte, wieder zu mogeln. „Ein Wasserfall“, erklang die erlösende Antwort. Nun war es Evan, der in die Dunkelheit vorrannte. „Meine liebste, klügste Florence! Du hast es geschafft!“

Das hatte sie. Mit dem Lächeln einer Siegerin überreichte sie die verlorenen Zauberstäbe ihren Besitzern. Außerdem war wieder ein rotglühender Stein aufgetaucht. Als wir jedoch versuchten, die Bruchstücke zusammenzufügen, die wir im Laufe des Tages erhalten hatten, stellten wir fest, dass noch Teile fehlten. Es stand also zu befürchten, dass am nächsten Tag noch mehr auf uns zukäme.



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Kommentare zu dieser Fanfic (20)
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Von:  Sas-_-
2017-01-04T14:53:46+00:00 04.01.2017 15:53

Der Anfang war prima, eine schöne Einführung der Geschichte und Rivalität zwischen Slytherin und Gryffindor. Die hast du immer gut zur Geltung gebracht, auch das Beschreiben des Spiels war richtig spannend! :D Ich war mir nämlich gar nicht sicher, wen du gewinnen lässt :] Die Handlung während dem Spiel war toll, auch die vielen Charaktere die du eingebaut und auch agieren hast lassen, fand ich super^^
Das einzige, was ich nicht verstehe, ist ein betrunkener James ... Ja, ich bezweifle nicht, dass Potter & Co sich Alk beschafften, ich bezweifle aber schon, dass er's in der Großen Halle unbehelligt in sich reinschütten konnte :DDD
Abgesehen davon, fand ich das Kapitel echt cool! :]

LG
Sas-_-
Antwort von:  RoyalFool
05.01.2017 11:09
Oh, vielen Dank!
Vielleicht sollte ich auch mal weiter schreiben... XD
Antwort von:  Sas-_-
05.01.2017 12:08

So nach ... drei Jahren ... :DDD Aber hey, ich hab dasselbe Problem mit ner alten FF ^^" I feel you :]
Von:  Sas-_-
2017-01-04T14:41:32+00:00 04.01.2017 15:41
Hi :D

Schöner Einblick in Regulus' Kopf :D Kurz aber prägnant, ich mochte das^^

LG
Sas-_-
Von:  SweeneyLestrange
2014-08-06T11:17:58+00:00 06.08.2014 13:17
Awwww du und Meaghan <333
Ich find's echt toll, in deiner FF die Geschehnisse vom Silvester LARP nachlesen zu können *__* Da kriege ich endlich eine ungefähre Vorstellung und kann die kleinen Details, die ich mitbekommen habe, irgendwie einordnen.
Jetzt weiß ich zum Beispiel, wann und wie der Inferi-Angriff passiert ist :DD Und der Slugclub einfach asjfbsdkbhkxjgd. Voll cool!
Bisher ist das ne echt tolle FF, die das LARP ziemlich gut einfängt, und ich bin gerade froh, noch ein weiteres Kapitel vor mir zu haben, bis ich hiermit durch bin und warten muss :DD Danke, dass du das alles so schön festhälst <33
Antwort von:  RoyalFool
06.08.2014 13:32
Ich... sollte wirklich weiter schreiben XD
Von:  Alyon
2014-04-14T18:58:22+00:00 14.04.2014 20:58
Du erinnerst dich tatsächlich an den Satz, den ich dir zugeflüstert habe, kurz bevor du gegangen bist... Es ist einfach wundervoll, das Geschehene bei dir nachzulesen. Ich liebe es!
Von:  Kraeuterbutter
2014-04-14T11:01:56+00:00 14.04.2014 13:01
Es ist der HAMMER!
Du meine Güte, ich hab grad wieder solche Feels und erinnerungen kommen hoch wie genial es doch war >-<!
Danke dir, danke danke danke !!
Von:  Alyon
2014-01-12T22:24:49+00:00 12.01.2014 23:24
Oh mein Gott!
Ich... mir fehlen die Worte!
Ich finde es so unglaublich schön und rührend, was du schreibst. An gewisse Dinge kann ich mich natürlich erinnern und deine Worte erwecken sie wieder zum Leben! Es ist einfach wunderbar!
OMG der Mistelzweig! So rührend. Ich muss es mir nochmal durchlesen :D
Vielen lieben Dank, für dieses tolle Kapitel!
Antwort von:  RoyalFool
13.01.2014 09:37
Ach, bei manchen Sachen bin ich mir nicht mehr ganz sicher, in welcher Reihenfolge das passiert ist oder wer alles wie beteiligt war, aber ich bemühe mich, es für die FF passend zusammen zu kriegen und wenn es für mich besser klingt, was leicht umzustellen oder was nur am Rande zu erwähnen, mach ich das halt so...
Freut mich, dass es dir gefällt und deine Erinnerungen zu wecken vermag! ;)
Von:  Alyon
2014-01-11T20:53:22+00:00 11.01.2014 21:53
:3


Antwort von:  RoyalFool
11.01.2014 22:23
Das nächste richtige Kapitel ist auch fertig, aber die Freischaltung braucht immer bus zu 2 Tage, du kannst also übermorgen damit rechnen... ;)
Das ist dann auch etwas actionreicher XD
Antwort von:  Alyon
12.01.2014 17:18
Yes! Ich freue mich schon. Das wird bestimmt cool und aufregend!
Von:  Lyonesse
2014-01-10T22:32:54+00:00 10.01.2014 23:32
Es ist so kurz und doch so....
hach ich bin einfach dein Fan.
Danke dass du mir für die letzte Stunde auf Arbeit noch ein paar kleine Regulus-Feels geschenkt hast!
Antwort von:  RoyalFool
11.01.2014 01:29
Für die anderen Kapitel brauche ich noch etwas...
Und bin froh, dass es passend zu deinem Erdbeer Shitstorm noch freigeschaltet wurde XD
Von:  Alyon
2014-01-07T17:29:13+00:00 07.01.2014 18:29
Ich bin eine Pfütze...
Abgesehen davon, dass Regulus zum einschlafen Märchen liest ( :D ), finde ich es wundervoll.
Es ist s wunderbar geschrieben und ich habe es direkt verschlungen. Ganz viel Liebe und Zucker. Es ist so toll, das alles aus deiner Sicht zu lesen! :3
<3
Antwort von:  RoyalFool
07.01.2014 22:31
Ey das war einmal in der Hoffnung aufaandere Gedanken zu kommen... Also psst, das weiß jetzt quasi keiner! XD
Vielen Dank für deinen Kommentar! Das Beste kommt ja noch in den nächsten Kapiteln, sobald ich die Zeit finde, es auszuformulieren. Ich habe ja auch Spaß daran!
Von:  Lyonesse
2014-01-07T17:26:40+00:00 07.01.2014 18:26
Das ist so unglaublich schön geschrieben… ich liebe deinen Stil einfach - und die Geschichte natürlich auch.

Ein Herz für Meaghan und Regulus.
Antwort von:  RoyalFool
07.01.2014 22:28
Findest du es auch ok wie ich den Titel geändert habe? Das fand ich nach reiflicher Überlegung etwas passender...
Vielen Dank für deinen Kommentar! Das nächste Kapitel ist in Planung, ich habe halt im Moment auch Uni und weniger Zeit dafür das schön auszuformulieren, aber damit ich nichts Wichtiges vergesse habe ich mir brav Stichpunkte gemacht, ist ja auch verdammt viel geile Scheisse passiert ;)
Antwort von:  Lyonesse
07.01.2014 22:35
der Titel ist klasse!
Bin gespannt was noch alles aus deiner Feder entsteht….


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