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Es führt mich in die Dunkelheit

Die blutige Entscheidung
von

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Der einsame Wächter

Wenn ich früh genug beim Frühstück gewesen wäre, hätte ich vielleicht schon die ersten Gerüchte gehört, die aus meinem züchtigen Kuss auf die Wange mit Meaghan einen heißen Zungenkuss und womöglich noch mehr machen wollten. Aber ich mümmelte lustlos an meinem mit Käse belegten Brot und überlegte, ob ich meine Morgenpost direkt oder später lesen wollte. Ein Brief mit einem verschnörkelten großen „M“ als Stempeldruck fiel mir auf. Es schienen auch ein paar andere Slytherins am Tisch einen solchen Brief bekommen zu haben. Von Malfoy. Was wollte der Ehemann meiner geliebten Cousine Narcissa von uns? Er konnte doch nichts von den aktuellen Vorgängen hier wissen? Etwas widerwillig öffnete ich den Brief, aber Lucius sprach mir nur sein Beileid darüber aus, dass mein nichtsnutziger Bruder das familiäre Weihnachtsfest so gestört hatte. Es streute Salz in meine frische Wunde. Zum Glück hatte sich noch kein anderer Slytherin zum Frühstück begeben und dass der Jones von den Ravanclaws einen Heuler von seiner Mutter bekam, lenkte die restlichen Schüler genug von meiner Wenigkeit ab, dass ich mit meiner Laune in Ruhe gelassen wurde.

In Zaubertränke fiel auf, dass Severus und Lily Evans, die gestern beide unter der Aura der Steine gelitten hatten, nun Schwierigkeiten hatten, Zauber richtig auszuführen. Obwohl es mich nicht direkt betraf, beunruhigte es mich. Dann stellte ich auch noch fest, dass ich ausgerechnet meine Unterlagen für Runenkunde vergessen hatte und so schwänzte ich ausnahmsweise. Kurz vor dem Mittagessen hatten wir Verteidigung gegen die Dunklen Künste, es wurden diesmal exemplarisch Duelle vor der ganzen Klasse abgehalten, wobei wir besonders auf unseren Stand und eine richtige Körperhaltung achten sollten. Das war eine wichtige Grundlage, um in einem echten Kampf nicht über die eigenen Füße zu stolpern und schnell ausweichen zu können. Ich schlug mich recht gut gegen Moran und auch die anderen Duelle waren spannend. Überraschenderweise verlor Potter gegen seinen Freund Lupin. Auch in dieser Stunde gab es jemanden, dessen Zauberstab nicht auf die gerufenen Worte richtig reagieren wollte.

In den Mittagsstunden fanden ein paar Hufflepuffs und Ravenclaws die Zeit, weiter im Schloss nach den Ritterrüstungen und einem möglichen Wächter zu suchen und zu recherchieren. Ich bekam kaum etwas davon mit und erfuhr erst später, dass sie die Rüstung eines gewissen Sir Gareths von Thalberg entdeckt hatten, bei der offensichtlich ein Schwert fehlte. In die leere Schwertscheide schien das von uns zurückgewonnene Schwert perfekt zu passen, doch die Rüstung regte sich nicht. Jedenfalls nicht sofort.

Statt normalem Unterricht fanden nach dem Mittagessen Tanzstunden statt und ich konnte tatsächlich mit Meaghan Standarttanzschritte proben. Ich war nervös und unsicher und merkte so erst, als ein älterer Schüler mich darauf aufmerksam machte, dass Meaghan eher führte, obwohl das meine Aufgabe als Mann wäre. „Entschuldige…“, murmelte ich und lief rot an. „Ist doch nicht schlimm!“, lächelte sie. „Also, von dir lasse ich mich wohl auch gerne führen?“, versuchte ich, der Situation mit einem lockeren Spruch wieder Herr zu werden. Sirius wäre sowas sicher nicht passiert oder ihm wäre ein viel coolerer oder witzigerer Spruch eingefallen! Mit der Zeit kamen mir meine Bewegungen flüssiger und meine Schritte sicherer vor und ich musste weniger zu meinen Füßen schielen, sondern versuchte, Meaghan freundlich anzusehen beim Tanzen. Außerdem gelang es mir besser, meine Schritte tatsächlich im Einklang mit dem Takt der Musik zu halten. Eine zu schlechte Figur würde ich auf dem Ball also nicht machen, jedenfalls konnte ich aus dem Augenwinkel beobachten, dass andere sich tollpatschiger anstellten. Natürlich gab es auch Paare, die offensichtlich schon mindestens einen guten Tanzkurs hinter sich hatten. Florence und Evan machten eine gute Figur, die Jones-Geschwister übertrafen alle.

Die Tanzstunde wurde jäh unterbrochen, als Potter in den Saal gestürmt kam und ohne jeglichen sichtbaren Grund Evan Rosier einen saftigen Kinnhaken verpasste. Die Schlägerei artete beinahe aus, als die anwesenden Vertrauensschüler die beiden auseinanderziehen wollten. Es wurde gezetert, geschimpft und gebrüllt und es stellte sich erst später heraus, dass Potter einfach einen Schuldigen gesucht hatte, weil jemand den Inhalt von Lilys Schultasche über den Boden der Großen Halle verteilt hatte. Es war auch ein Slytherin gewesen, aber eben nicht Evan, sondern Devon Avery. „Tja, er verbaut sich immer mehr die Chancen, bei dem Schlammblut zu landen mit solchen Patzern!“, grinste Evan gehässig, während er sich ein Taschentuch unter die blutende Nase hielt.

Auf dem Weg in den Slytherin-Gemeinschaftsraum fragte ich beiläufig, was Lucius Malfoy den anderen geschrieben hatte. Es war ja doch auffällig, dass er ausgerechnet jetzt mehreren gleichzeitig geschrieben hatte! Bei den einzelnen Briefen war nichts Ungewöhnliches aufgefallen, aber vielleicht steckte da doch mehr hinter, als wir auf den ersten Blick sahen. Wir entschlossen uns, später alle Briefe von Malfoy zusammen zu tragen und nach versteckten Botschaften oder Andeutungen zu suchen.

Ich wollte heute nicht zu viel Zeit im Gemeinschaftsraum verbringen, denn so hatte ich keine Chance, Meaghan nochmal außerhalb der Unterrichtsstunden zu treffen. Außerdem war es heute weniger regnerisch draußen, wenn uns nicht zu kalt war, könnten wir einen kleinen Spaziergang machen, überlegte ich. Natürlich nur, wenn sie ebenfalls Lust dazu hätte und nicht noch in der Bibliothek mit einer ihrer Freundinnen lernen wollte. Als ich sie endlich in einem der langen Gänge erspähte, winkte sie mich aufgeregt zu sich. „Die Ritterrüstung! Sie ist zum Leben erwacht! Wir versuchten gerade, allen bescheid zu sagen…“ Immer mehr Schüler sammelten sich und strömten nach draußen, wohin die Rüstung gegangen sein sollte. Und dort stand sie, mitten auf dem Gelände von Hogwarts. Die Sonnenstrahlen, die sich einen Weg durch die grauen Wolken gebahnt hatten, glitzerten auf dem polierten silbernen Metall. Erhaben stand der Ritter da und hatte seine Hände vor sich auf den Schwertgriff gestützt. In seinen Händen wirkte es mächtiger als es mir gestern in der Dunkelheit, als wir es von den Inferi zurückgewonnen hatten, vorgekommen war. Ja, wir hatten das Schwert dem rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben! Dann müsste er nun Hogwarts wieder beschützen! Die drei Geister erschienen hinter dem Ritter, der uns Schülern entgegenzublicken schien, sich allerdings nicht rührte, bis das Getuschel unter uns Schülern verebbte.

„Ich bin Sir Gareth von Thalberg!“, rollte schließlich eine tiefe Stimme aus dem heruntergeklappten Visier. „Ich bin der Wächter des Schutzsteins von Gryffindor, doch ach, man nahm mir feige mein Schwert und der Schutzstein wurde gebrochen. Ihr habt bereits Mut bewiesen, indem ihr mir das Schwert zurück brachtet, doch wenn ihr den Schutz eurer Schule gänzlich wiederherstellen wollt, so müsst ihr eure Kraft, euren Mut und euren edlen Charakter unter Beweis stellen.“ Eine eindrucksvolle Kunstpause entstand und die Geister traten vor, erhoben ein weiteres Schwert und einen schweren Schild. „Nur Schüler können Hogwarts zu einer Schule machen. Wollt ihr eure Schule retten?“, rief Robin, der Geist des Gryffindorschülers, der in einem Trimagischen Tunier vor sehr langer Zeit gefallen war. „JA!“, riefen wir einstimmig und voller Inbrunst zurück. „Dann soll ein Schüler seine Stärke im Duell beweisen. Wer wagt es, den ehrenwerten Ritter Sir Gareth von Thalberg zum Duell herauszufordern?“ James Potter trat ohne zu zögern und mit stolz erhobenem Haupt vor. Andere Schüler traten unauffällig lieber einen Schritt zurück. Gebannt sah ich zu, wie Potter sich von dem Geist den Schild um den linken Arm schnallen ließ und das Schwert in die rechte Hand nahm. Ob Potter mit Schild und Schwert genauso gut umgehen konnte wie mit seinem Zauberstab im Duell?

Ich hörte nicht auf die herablassenden Bemerkungen von Snape und seinen Freunden, die offenen Zweifel daran hegten, dass dieser Hitzkopf eine Chance hatte, wenn er sich so unvorbereitet in den Kampf stürzte. „Kann hier überhaupt jemand mit dem Schwert umgehen?“ Ein paar Schüler aus erhabenen Familien mochten mal Fechten gelernt haben, aber ein Degen war anders zu handhaben als ein Schwert! Meaghan ergriff fest meine Hand. „Oh, ich kann kaum hinsehen!“ Ich merkte, dass ich die Luft anhielt, als die Schwertklingen mit metallischem Knirschen gegeneinander schlugen. Potter hob den Schild, um den nächsten Schlag des Ritters abzuwehren. Einige Schüler versuchten, ihm Tipps zuzurufen, was jedoch kaum bei Potter anzukommen schien. Dreimal ging Potter unter den mächtigen Schwerthieben des Ritters, die er nur mit Mühe abfangen konnte, in die Knie, und dreimal erhob er sich stur wieder, kämpfte weiter und versuchte, den Ritter mit schnellen, kräftigen Hieben zu erwischen. Dabei vernachlässigte Potter aber zunehmend seine eigene Deckung und es sah so aus, als habe er Probleme, seinen Schild weiter festzuhalten, ein Riemen musste sich gelöst haben. Ich hatte nicht gesehen, wie es passiert war, aber Potter humpelte nun sichtlich. Bang fragte ich mich, ob das ein Duell auf Leben und Tod werden würde? Hatte jemand festgelegt, wann das Duell gewonnen war? Meaghan und ich gaben beide zutiefst erschrockene Laute von uns, andere Schüler schrien noch entsetzter, als Sir Gareths Schwert eine tiefe Wunde in Potters rechte Schulter riss und er blutend zu Boden ging. Lupin und Lily Evans konnten sich nun nicht mehr zurückhalten und rannten zu ihm. „Bleibt zurück! Ich muss weiterkämpfen!“, presste Potter zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Der Ritter war zwei Schritte zurückgegangen und der silberne Helm deutete ein Kopfschütteln an. „Der Kampf ist für euch verloren.“, verkündeten die Geister und nahmen Schwert und Schild wieder an sich. „Doch ihr könnt einen weiteren Champion es versuchen lassen!“

Dieses Mal wurde länger gezögert. „Die Rüstung des Ritters ist schwer, er ist deshalb etwas langsamer. Es sollte jemand zum Kampf antreten, der stark und schnell genug ist!“, hörte ich Wilkes sagen. Nach ein paar weiteren taktischen Überlegungen trat Evan Rosier, unser Vertrauensschüler vor und ließ sich Schwert und Schild übergeben. „Oho, ein Slytherin! Wir hoffen doch sehr, dass ihr nicht versucht, das Duell mit feigen Tricks zu gewinnen?“ Evan verzog beleidigt das Gesicht, sparte sich aber den Atem darauf eine bissige Antwort zu geben. „Lass dich bloß nicht ablenken!“, rief Florence und ich hörte deutlich, wie besorgt sie um ihren Verlobten war. „Er wird es schaffen. Er konnte genau beobachten, wie der Ritter kämpft, er wird irgendeine Schwachstelle, eine Lücke in der Verteidigung, zu seinem Vorteil nutzen und gewinnen können!“ Ich klang nicht halb so zuversichtlich, wie ich gehofft hatte. Rosier kämpfte gänzlich anders als Potter. Er stürzte nicht drauflos, was dazu führte, dass die Kontrahenten sich zunächst umkreisten. „Versuchst du Schlange etwa, mir in den Rücken zu fallen?“ Der Ritter klang erbost. Jetzt griff Rosier an, ließ sich allerdings schnell wieder zurückfallen. Er hatte anscheinend antesten wollen, wie stark die Schläge des Ritters waren und wie gut er mit seinen Kräften dagegen halten konnte. Es war kein so actionreiches Duell wie das von Potter, die Spannung war trotzdem unerträglich. Evan Rosier mochte einen Plan gehabt haben, doch letztendlich war es eine gehörige Portion Glück, die dazu beitrug, dass er nicht so schwer verletzt wurde wie Potter und dafür den Ritter so traf, dass die Geister nach einigem Zögern meinten, wir hätten die erste Aufgabe gemeistert. Potter hatte den größeren Mut im Kampf bewiesen und Evan hatte dann nach seiner Vorarbeit das Duell knapp gewinnen können.

„Als nächstes möchte ich eine epische und heldenhafte, wahre Geschichte hören!“, verlangte der Ritter. Fynn versuchte, die Geschichte zu erzählen, wie wir uns letzte Nacht gegen die Inferi geschlagen hatten, was sicher inhaltlich alles richtig war, dem Ritter allerdings noch nicht heldenhaft genug klang. Dann versuchte Florence, ihm die Geschichte mit dem Nachtmahren zu erzählen, dem Ritter war aber die Tatsache zu hinterhältig, dass wir Slytherins die anderen Schüler erst so spät die Wahrheit mitgeteilt hatten. Ratlos schauten wir uns an, was könnte man denn noch heldenhaftes erzählen? Aidan Lynch, der Sucher von Hufflepuff, trat mit einem verschmitzten Grinsen vor. „Also ich hätte noch eine Geschichte, es gibt schließlich nichts Epischeres, als eine echte Schlacht!“ Sowohl der Ritter als auch wir wurden hellhörig. „Es war an einem stürmischen Tag, dunkle Wolkentürme schoben sich über den grauen Himmel und Blitze erhellten das Schlachtfeld, auf dem sich zwei Heerscharen - die eine in rote Umhänge gehüllt und die andere, zu der ich mich glücklich zählen darf, gelbe – sich gegenüberstanden. Ach was, standen! Wir flogen auf Ungeheuern und meine Aufgabe war es, den fliegenden goldenen Schatz aus der Luft zu fangen, bevor die gegnerische Mannschaft ihn eroberte!“ Allmählich dämmerte es uns, dass Aidan das letzte Quidditch-Spiel meinte, wo Hufflepuff gegen Gryffindor gewonnen hatte. „Zu meiner Zeit spielte man Quidditch noch auf Besen…“, murmelte der Ritter. Ich musste grinsen. „Wir flogen auf mühsam gezähmten Ungeheuern!“, beharrte Aidan. Es war genial, wie wortgewandt Aidan aus dem Quidditch-Match eine sagenhafte Schlacht machte, gewürzt mit witzigen kleinen Anekdoten. Wir hingen an seinen Lippen, die so fantasievoll das vergangene Spiel vor unseren geistigen Augen heraufbeschworen. Als die Geschichte mit der Siegesfeier der gelben Mannschaft endete, applaudierten auch die Gryffindors begeistert, so mitreißend konnte Aidan erzählen. Die zweite Aufgabe war bestanden. Das gab uns allen Mut.

Mit jeder erfolgreich bewältigten Aufgabe sollten wir ein Bruchstück des Schutzsteins erhalten und womöglich zusätzliche Informationen, wie er sich wieder zusammenfügen und der Zauber sich erneuern ließe. Die drei Geister und Sir Gareth schienen die hier versammelten Schüler nacheinander eindringlich zu mustern. „Los, Kinder, hier gibt´s nichts mehr zu sehen!“, verscheuchte Olec uns grimmig. „Sir Gareth wird im Laufe des Abends einzelne von euch holen lassen, denen er bestimmte Proben zu bestehen zutraut.“ Oh, jetzt durften also nicht mehr alle hören, was die nächste Prüfung war? Jetzt durfte man sich nicht mehr freiwillig melden? Jetzt konnte man jederzeit für was auch immer erwählt werden? Ich verzog das Gesicht. „Warum kümmert sich Professor Dumbledore nicht um den Schutz der Schule?“, murrte jemand. „Habt ihr nicht zugehört? Wir Schüler müssen für die Schule einstehen, nicht die Lehrer…“ An sich machte das schon Sinn, immerhin war es bei mächtigen Zaubern oft wichtig, wer oder welche Personengruppen die Magie wirken wollten. Neben Faktoren wie dem richtigen Zeitpunkt, dem passenden Ort…

„Da wir Slytherins ja nun schon geholfen haben, den Ritter von Gryffindors Stein zufrieden zu stellen, werden sie uns so schnell nicht weiter behelligen! Lasst uns lieber gucken, ob Malfoy uns wirklich eine versteckte Botschaft senden wollte…“, raunte Avery Rosier zu, der dann Wilkes, Snape und mich wieder mit ins Schloss zitierte. Unwillig kramte ich aus meiner Schultasche den Brief von heute Morgen hervor, damit die anderen sich davon überzeugen konnten, dass dort kein geheimer Code oder dergleichen war. In einem der Briefe kamen auffällig viele Zahlen vor. In meinen häuften sich keine Worte auffällig und so probierte ich es mit einem „Aparecium!“ und feine silberne Linien wurden zwischen den Zeilen aus schwarzer Tinte sichtbar. Lucius sprach von einem Todesser, der vor einigen Monaten im Verbotenen Wald umgekommen sein sollte. Wir sollten ein Artefakt finden, das er dort noch hatte verstecken können. „Folgt den Hinweisen. Dies soll eure erste Bewährungsprobe sein.“, lautete die letzte Zeile. Es dauerte lange, bis wir den Code geknackt hatten, der in den anderen Briefen verborgen lag und uns weitere Informationen offenbarte. Es war jedoch kein genaues Datum genannt, bis wann wir das Artefakt finden und Lucius treffen sollten. Wir wollten, wenn wir nichts Besseres zu tun hatten, am nächsten Tag über das Gelände spazieren und unauffällig am Waldrand nach Hinweisen suchen. Es wäre besser, wenn niemand Verdacht schöpfte, waren wir uns einig. Außerdem hatten wir obendrein andere Sorgen.

Zurück in der Großen Halle hörten wir Gerüchte, dass einzelne Schüler von den Geistern weggeführt worden waren und mit weiteren Bruchstücken von Gryffindors Schutzstein zurückgekehrt waren. Nach dem Abendessen gab es eine laute Diskussion, weil das Schlammblut Evans zu einer Aufgabe alleine gerufen wurde und Potter sie nicht gehen lassen wollte, erst recht nicht allein. Severus beteiligte sich ebenfalls, immerhin war er aus unerfindlichen Gründen noch mit ihr befreundet, was seinen Stand und seine Beliebtheit im Hause Slytherin nicht gerade verbesserte. „Meine Güte, die anderen haben ihre Prüfungen auch bestanden und sind heile zurückgekommen, macht mal hier nicht so einen Aufstand!“, mischte sich ein Ravenclaw-Mädchen genervt ein. „Es wird schon dunkel draußen, wir werden nicht ewig Zeit haben, diesen Schutzstein wieder zusammenzusetzen!“

Lily Evans kehrte nicht zurück. Ich bekam noch mit, dass Severus Snape von den drei Geistern aufgesucht und fortgeführt wurde. Diesmal hielt Potter niemanden auf. Je später es wurde, desto mehr Unruhe breitete sich unter den Schülern aus. Dauerte die Aufgabe einfach so lange? Oder war sie zu schwer? Die Geister erschienen wieder und schritten mit unlesbaren Gesichtsausdrücken zwischen uns Schülern umher. „Regulus Black!“ Ich zuckte zusammen. „Du darfst dein Glück als nächstes versuchen.“ Ich hatte keine Wahl, ich musste ihnen folgen. Plötzlich spürte ich eine Hand, die mich am Oberarm packte und zurückhielt. „Geh nicht!“ Ich erkannte Meaghans Stimme, noch bevor ich mich umgedreht hatte, um sie anzusehen. „Ich…“ Ich wollte eigentlich sagen, dass ich gar nicht gehen wollte. Dass ich Angst hatte. Ich wurde von dem weiblichen Geist unterbrochen: „Der Junge muss, sonst ihr nicht rettet eure Schule!“ Ich nickte hastig. „Meaghan, ich pass auf mich auf, ich geb mein Bestes, versprochen! Mir wird schon nichts passieren…“ Sie sah ganz danach aus, als wolle sie widersprechen, doch dann umarmte sie mich. „Versprich mir, dass du zurückkommst!“ Ich nickte und löste mich schweren Herzens von ihr.

Kurz bevor ich das große Tor nach draußen durchschritt, entzündete ich meinen Zauberstab, um in der Dunkelheit zumindest etwas sehen zu können. Es stellte sich heraus, dass das ein kluger Gedanke von mir gewesen war, denn nun wurden mir die Bedingungen von den Geistern vorgetragen. „Du darfst ab jetzt keinen Ton mehr von dir geben. Du darfst dich nicht umsehen. Folge dem Pfad, den wir dir weisen – das letzte Stück gehst du allein. Finde die Kerze und blase sie aus. Dann löse das Rätsel.“ Ich nickte und presste die Lippen aufeinander. Eigentlich sollte das nicht zu schwer sein, oder? Die Geister neckten mich ein wenig, aber ich ging stur auf ihre Fragen nicht ein. Sie führten mich zum Waldrand, wo sich zwischen dichten Büschen ein kleiner Trampelpfad offenbarte, den ich noch nie zuvor bemerkt hatte. Er schien kaum benutzt zu werden, war teilweise überwuchert und ohne das Licht meines Zauberstabs hätte ich ihm kaum folgen können, hätte mich sicher zwischen den dunklen Bäumen im Gestrüpp verirrt. Ob das den anderen vor mir passiert war? Etwas raschelte hinter mir und ich unterdrückte den Impuls, mich umzusehen. Ich beschleunigte meine Schritte, bis ich zu einem Bach kam. Ich hörte wieder etwas hinter mir, es klang groß und schwer. Ich war nicht allein. Jemand oder etwas beobachtete mich, trieb mich vor sich her und ich wusste nicht, was es war. Was womöglich noch schlimmer war, als das Wesen zu sehen. Was auch immer es war, es kam näher. Ich fand eine Stelle, wo der Bach weniger tief war und einige Steine und Baumstämme so lagen, dass ich drüber klettern konnte. An einer Stelle rutschte ich beinahe aus, da der Stein nass und glitschig war, doch ich fing mich schnell wieder. Hier kam mein Training als Quidditch-Spieler zur Geltung, man brauchte auf dem Besen einen guten Gleichgewichtssinn. Was auch immer mich verfolgte, war weniger bedacht, nicht nass zu werden. Behäbige Schritte platschten durch das seichte Wasser. Ich zwang mich regelrecht, den Blick nach vorne zu wenden. Mit meinem kleinen Licht gab ich ein viel zu gutes Ziel ab, kam mir in den Sinn. Da ich mich nicht umsehen durfte, strengte ich meine Ohren noch mehr an. War das ein Atmen? Ich umklammerte meinen Zauberstab und lief weiter. Oh, da vorn! Kerzenschein? Die Bäume wichen einer Lichtung, wo ein kleiner Schrein aus grob aufgehäuften Steinen stand und dort stand die Kerze. „Wer bissst du?“, zischte es plötzlich direkt in mein linkes Ohr. „Du wagssst ess?“ Mein Herz setzte einen Schlag aus. Das war keine menschliche Stimme! „Ich bin Vidu! Geh nicht weiter…“ Ich war vor Schreck tatsächlich stehen geblieben. Vidu? Oder hieß es `wie du´? War das schon Teil des Rätsels?, zerbrach ich mir den Kopf. „Du gehörssst bald auch mirr!“, raunte es mir zu. Mir schauderte. Neben dem primitiven Altar lagen Gestalten auf dem Boden und ich vernahm ein leises Stöhnen. Zwei oder drei andere Schüler? Konnte ich sie retten, wenn ich das Rätsel löste? Hatte mich da gerade etwas an den Haaren berührt? Ich unterdrückte ein ängstliches Wimmern und eilte auf die Kerze zu. Mein Atem ging schnell und stoßweise, ich war nervös und wusste, dass es besser wäre, einen kühlen Kopf zu bewahren. „Waage ess nicht!“, heulte das Wesen hinter mir los. Ich blies die Kerze aus. Es lachte.

„Der es macht, der will es nicht

der es trägt, behält es nicht

der es kauft, der braucht es nicht

der es hat, der weiß es nicht.“

Blätter raschelten, die anderen ächzten und stöhnten, mein Herz schlug mir bis zum Hals - ich war mir nicht sicher, ob ich jedes Wort des Rätsels richtig verstanden hatte. Ich durfte sicher nicht darum bitten, dass das Rätsel wiederholt wurde! So ein Trolldreck! Was konnte das sein? Wie viel Zeit hatte ich? War das Atem in meinem Nacken oder spielte der Wind mir einen Streich? Was konnte man haben, ohne es zu wissen? Was kauft man, was man nicht braucht? Konnte ich dreimal raten oder musste ich es direkt richtig lösen? „Wass ist deine Antwort, Kind?“ Bei Merlins Bart, wie sollte ich mich so konzentrieren und auf die Lösung kommen? „Zartess Fleisssch… heute Nacht werde ich satt!“ Der siegessichere Unterton ließ Panik in mir aufsteigen. Hatte es mich an der Schulter berührt? Ich wimmerte auf und rief einfach irgendwas, was mir gerade in den Sinn kam und was garantiert falsch war. Ein dumpfer Schlag auf den Hinterkopf ließ meine Sinne schwinden, das unmenschliche Lachen verfolgte mich jedoch in die Bewusstlosigkeit.

Als ich langsam wieder zu mir kam, stellte das Wesen bereits sein nächstes Rätsel. „Ich laufe stetig in meinem Bett…“ Ich ächzte und rieb mir den Hinterkopf. Viel mehr konnte ich mich nicht bewegen, es war, als hielte eine unsichtbare Macht mich fest. Worte formen war mir ebenfalls nicht möglich. Ich gab schnell auf und lauschte in die Dunkelheit. Wer auch immer dort jetzt in der Dunkelheit stand, ich wünschte ihm oder ihr von Herzen einen klaren Kopf. Das Wesen machte wieder zischelnde Andeutungen, dass es sich auf einen Vorrat an zartem Mädchenfleisch freuen könnte. Also stand da eine Schülerin, kroch ein klarer Gedanke in meinen pochenden Schädel. Bitte, Mädchen, lass dich nicht einschüchtern, lass dich nicht ablenken! „Ein… Fluss?“ Oh nein, das war Meaghans Stimme! Das Wesen heulte auf. Gleichzeitig löste sich der Bann, der meinen Körper festgehalten hatte. Ich hob den Kopf und sah, dass sich Meaghans Gestalt zu uns herunter beugte. Die Kerze flackerte wie von selbst wieder auf. „Lily! Regulus! Seid ihr verletzt? Wer ist noch bei euch?“ „Peter…“, meldete sich der Junge, der nicht weit von mir und Lily gelegen hatte. Meaghans Zauberstab leuchtete auf und Severus erhob sich. „Wir sollten lieber schnell verschwinden.“, brummte er. „Oh, Meaghan, du hast uns gerettet!“, freute ich mich, meiner Erleichterung freien Lauf lassend. „Können wir überhaupt alle gehen, wenn wir nicht alle die Rätsel richtig gelöst haben?“, flüsterte Lily. „Kriegen wir das fehlende Bruchstück…?“ Ich für meinen Teil wollte nich länger als nötig in der Nähe dieses Monsters bleiben. Am Rand des schwachen Lichtkegels bewegte sich etwas und es war gebaut wie ein großer, breiter Mann oder ein Troll. Ich versuchte, etwas Genaueres zu erkennen. Entweder war es sehr behaart oder es hatte zottelige, zerrissene Kleidung. Moment, es konnte auch dicht mit Laub und Moos behangen sein? Vielleicht spielten meine Augen mir nur einen Streich. „Verschwindet nur sschnell, Kinder, und lassst eure Freunde zzurück!“ Es klang wütend.

Ich hatte Meaghan mit mir mitgezogen, ich wollte diesen Wald und seine gruseligen Geschöpfe so schnell es ging hinter mir lassen und mich wieder sicher fühlen. „Wartet! Was für Freunde meist du… Vidu?“, fragte Lily aufgewühlt. Ein raschelndes Lachen war die Antwort. „Ssie haben die Regeln verletzt, ssie gehören mir!“ Da Meaghan innehielt, musste ich auch stehen bleiben. „Es will uns sicher nur verwirren, also kommt, hört nicht auf seine Worte!“, drängte ich. „Nein, wir lassen niemanden zurück!“, beharrte Lily. „Wenn jemand zu dumm ist, Regeln zu befolgen…“, brummte ich vor mich hin und spürte einen stranfenden Blick von Meaghan. Ich seufzte. „Na schön… wie viele von uns hast du noch?“, rief ich in die Dunkelheit, wo ich das Geschöpf vermutete. „Zzwei…“ „Können wir dir irgendwas im Tausch anbieten?“, fragte Severus weiter. Doch ehe das Monster eine Forderung stellen konnte, rief ich: „Wie können wir sicher sein, dass du uns nicht an der Nase herumführst? Wo sind diese angeblichen zwei Schüler? Zeig sie uns!“ Es raschelte und knackte im Unterholz, als das Wesen sich entfernte. Ich wich trotzdem noch ein wenig zurück, in die Richtung, wo der Bach leise plätscherte. Lily wollte dem Wesen folgen, Severus wollte sie nicht allein gehen lassen und Meaghan wollte die beiden wiederum nicht allein lassen, weil ihr wieder eingefallen war, dass die beiden heute mit dem Zaubern Schwierigkeiten gehabt hatten. „Ihr wollt doch nicht riskieren, dass es euch wirklich frisst?“ Ich schüttelte ungläubig und frustriert den Kopf. Genau so ein kopfloses Verhalten brachte die Gryffindors immer in Schwierigkeiten! Ich wollte vor Meaghan natürlich nicht wie ein Feigling wirken, aber…

Das Wesen kehrte zurück und zog etwas über den Waldboden laut raschelnd hinter sich her. „Sagtest du nicht, du hättest noch zwei von unseren Freunden?“ Lily klang herausfordernd. Wenn das Wesen sie jetzt wegen ihrer Dreistigkeit niederschlug, würde ich mich nicht weiter in Gefahr begeben! „Ich weißß doch noch gar nicht, ob ihr überhaupt tausschen könnt oder wollt…“, zischelte das Waldgeschöpf. „Wir könnten dir aus dem Schloss so viel Fleisch holen, wie du willst!“, schlug Meaghan vor. „Ich möchte frisschesss… zartesss…“ „Jaja, hol den anderen, wir haben vielleicht noch ein Mädchen zum eintauschen…“, unterbrach Snape. Lily zischte ihm etwas zu, was ich nicht verstand. Das Ding lachte und verschwand wieder im Wald. „Potter?!“, rief Lily aus, als sie sich zu der Gestalt am Boden beugte. „Hey, Süße, haben wir dich schon gerettet?“, nuschelte er. „Wir retten gerade eher dich!“, knurrte Severus. „Du Idiot, du hast die Regeln dieser Aufgabe verletzt und jetzt haben wir womöglich nicht bestanden! Wer weiß, was das Wesen tut, es wird uns garantiert nicht alle laufen lassen! Wir versuchen zu verhandeln, aber es scheint… unbedingt Menschenfleisch zu wollen! Wen hast du da noch mit reingezogen? Bestimmt Remus, oder?“ Ich konnte gut nachvollziehen, dass Lily so aufgebracht war. „Wir konnten dich und Peter doch nicht im Stich lassen!“, verteidigte sich Potter. „Und was ist mit den anderen?“ Potter erhob sich langsam, rieb sich den steifen Nacken und sah sich um. „Also der da“ er deutete auf Severus „kann mir ja egal sein, aber sonst lassen wir natürlich niemanden hier verrecken!“ Ich war ein wenig überrascht, dass er nicht allgemeiner formuliert hatte, dass ihm Slytherins egal wären. Wahrscheinlich wollte er nur Severus besonders ärgern. „James!“, empörte sich Lily. „Ähm… das Ding kommt gleich zurück, wollen wir nicht lieber nen Plan absprechen…?“, unterbrach ich die Streitigkeiten. „Ja, das wäre vernünftig“, stimmte das Schlammblut mir zu. „Wir werden keinen zurücklassen, aber wenn es auch Fleisch aus dem Schloss annehmen würde… wir könnten unsere Zauberstäbe als Pfand zurücklassen…“, überlegte sie laut. „Ich werde garantiert nicht meinen Zauberstab weggeben!“, widersprach ich heftig. „Es würde vielleicht reichen, wenn ich und Severus unsere abgeben – wir können gerade eh nicht richtig zaubern!“

Wir verstummten abrupt, als das Wesen zurückkam. „Ey, Kleiner… du läufst doch so gern vor Problemen weg. Wenn irgendwas schiefgeht, hol Hilfe!“, raunte Potter mir noch zu. An sich war das sicher eine von Potters besseren Ideen, er hätte es allerdings weniger beleidigend formulieren können. Ich sollte nicht die Gelegenheit haben, mich darüber zu beschweren. „Wo issst die Jungfrau, die ihr mir versprochen habt?“ Das Wesen klang gierig. „Welcher Hornochse hat dem Vieh eine Jungfrau versprochen?“ – „Gar nichts haben wir versprochen, wir haben nur gesagt, dass wir vielleicht noch ein Mädchen irgendwo hätten!“ Na super, die Verhandlung ging definitiv den Bach runter! „Dann lass ich keinen von euch gehen!“, brüllte das Wesen. „Regelbrecher! Wortbrecher!“ Potter schleuderte dem Waldwesen einige Flüche entgegen, die jedoch relativ wirkungslos blieben. „Remus, komm zu dir!“ Er half seinem Freund auf die Beine. „Nocturnus Maximus!“, heulte es und plötzlich wurde es im Wald stockfinster. Unsere Zauberstäbe wollten auf kein Lumos mehr hören und die kleine Kerze war ebenfalls erloschen. Es klang, als würde ein Kampf ausbrechen. Ich wandte mich um und fiel beinahe in den Bach. Beinahe auf allen vieren tastete ich mich vorwärts, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten und das fahle Sternenlicht mir half, zu erraten, wo der Pfad aus dem Wald hinaus führte. Hier funktionierte mein Lumos wieder und ich konnte den besser ausgebauten Weg über die Ländereien zurück zum Schloss rennen. Völlig außer Atem versuchte ich, den anderen möglichst schnell zu erklären, was passiert war. Ich brachte kaum mehr als Stichpunkte hervor. „Meaghan hat… Rätsel gelöst, aber Potter hat… sich eingemischt. Waldmonster, ich weiß nicht… will nicht alle gehen lassen. Braucht Opfer. Kommt schnell, zusammen… haben wir ne Chance!“ Ein paar schnelle und starke Schüler und Schülerinnen schlossen sich mir an. Auf halbem Weg kamen uns Lily und Meaghan entgegen, gefolgt von Peter Pettigrew, Remus Lupin, Severus und Potter.

„Regulus! Ich hatte nicht mitbekommen, dass du dich wegschleichen konntest… ich dachte schon, Potter wollte dich zurücklassen!“, rief Meaghan aus, als sie mir um den Hals fiel. „Oh… sorry“, murmelte ich. „Wie seid ihr…?“ Potter unterbrach mit lauter, zorniger Stimme die Frage. „Weil Schniefelus dem Waltschrat eine holde Jungfrau versprochen hat, mussten wir uns alle mit unseren Zauberstäben vorläufig loskaufen!“ Lily drängte darauf, in die Sicherheit der Mauern von Hogwarts zurückzukehren, bevor sich alle gegenseitig beschuldigten, für das Desaster verantwortlich zu sein. Natürlich wollten nun alle Schüler wissen, was genau vorgefallen war und was das für ein mysteriöses Waldwesen war, von dem wir sprachen. Dass Potter und Snape sich gegenseitig zunehmend angifteten, trug nicht gerade zum allgemeinen Verständnis bei. Ich setzte mich in eine Ecke und versuchte, dem Streit möglichst wenig Beachtung zu schenken.

Ich hasste Streit. Ich hasste es, wenn Leute sich gegenseitig anschreien mussten. Es weckte in meinem Kopf das Echo all der Streitereien, die Zuhause immer wieder stattgefunden hatten in den letzten Jahren. Allermeistens wegen Sirius. Ich wollte es nicht hören. Denn wenn ich zuhörte, fragte ich mich, ob ich nicht doch irgendetwas tun müsste. Helfen, vermitteln oder mich auf eine Seite stellen. Mich klar entscheiden. Es war viel einfacher, passiv zu bleiben. Sich nicht einzumischen. Es geschah viel zu schnell, dass man selbst was abbekam. Es war zwar schon ewig her, aber Mutter hatte mal eine Tasse nach Sirius geworfen und sie wäre einfach nur an der Wand zerschellt, hätte meinen Bruder weit verfehlt, doch ich hatte genau zum falschen Zeitpunkt entschieden, mich in die Küche zu den Streithähnen zu gesellen. Ich hatte gehofft, sie würden mir zuliebe dann aufhören. Die Tasse hatte mich an der Stirn getroffen, ich hatte eine dicke Beule gehabt und Sirius und unsere Mutter hatten darin einen zusätzlichen Grund gefunden, sich gegenseitig anzukeifen und einander die Schuld zuzuweisen. Warum musste ich gerade jetzt daran denken? Es war so lange her, es erschien wie eine Erinnerung aus einem ganz anderen Leben. Sirius würde nie wieder heimkehren, es würde viel ruhiger im Grimmauld Platz zugehen.

Der Wind heulte unnatürlich laut um das Schloss und dreimal pochte es schwer gegen das Tor. Plötzlich herrschte Totenstille in der Großen Halle. „Es ist hier…“, flüsterte jemand. „Es kann doch nicht ins Schloss hinein?“, fragte ein anderer. „Es hat Zauberstäbe und scheint einzelne Zauber zu beherrschen“, gab eine dritte Person zu bedenken. Erneut heulte die Stimme des Geschöpfes auf. „Das klingt… Es ist irgendwo in den Kerkern!“ Stühle scharrten über den Boden, als die Schüler aufsprangen. „Wer hat noch Zauberstäbe? Kommt, wir können es aufhalten!“ Florence und Evan hielten Potter auf, der auch ohne Zauberstab so wirkte, als wolle er Hals über Kopf den Geräuschen folgen. „Ich werde mir meinen Zauberstab wiederholen!“, entgegnete er patzig. „Gibt es hier noch jemanden, der nicht so gut zaubern und James seinen Zauberstab wenigstens leihen kann?“, bat Lily die anderen Schüler. „Hey, ihr Slytherins kennt euch doch in den Kerkern aus…“ Es war deutlich, dass James Potter sich nicht aufhalten lassen würde. „Meaghan, ich gucke, ob ich deinen Zauberstab zurück…“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich gehe als Nachhut mit?“ Das schien sie eher zulassen zu können. Ich musste mich beeilen, um hinter den Schülern herzukommen, die Potter bereits folgten. Die lange Treppe hinunter in einen Teil der untersten Etage, die selten genutzt wurde und stockfinster war, ein echtes uraltes Kerkergemäuer. „Seid leise, kein Lumos, sonst seid ihr ein gefundenes Fressen!“, wies jemand von vorne die Nachzögler an. Wenig später hallten Kampfschreie zu mir, die schnell zu Schmerzensschreien wurden. Woher konnte das Wesen mächtige verbotene Zauber? „Kommt zurück!“, rief ein Mädchen neben mir in den Gang. Schnelle Schritte kamen auf mich zu, ich hatte meinen Zauberstab zur Verteidigung erhoben. „Ich hab zwei Zauberstäbe!“, rief Remus Lupin. Ich erkannte den von Meaghan. „Bring sie den Besitzern, wir brauchen mehr Unterstützung!“ Ich sah den Gryffindor-Vertrauensschüler entgeistert an. „Wir wissen nicht einmal, was das für ein Wesen ist, geschweige denn, was dagegen hilft! Was bringt es, wenn wir uns alle kopfüber in die Gefahr stürzen?“ Ich sah etwas in Lupins Augen, eine Enttäuschung, aus der ich deutlich las, dass er mich gerade mit meinem mutigen Bruder verglich. Ich schnaubte, sowas wollte ich jetzt nicht hören! An sowas wollte ich nicht erinnert werden! Ich floh die Treppe hoch und konnte Meaghan und Pettigrew ihre Zauberstäbe zurückgeben.

Wenig später zogen Evan Rosier und Lupin einen zappelnden Potter die Treppe hoch. „Du hast gehört, was es gesagt hat! Es gibt uns noch eine Chance, ein Rätselduell mit einem Mädchen! Wenn sie besser ist, verschwindet es aus dem Schloss und wenn nicht…“ Nun, die Rätsel des Waldgeistes waren zwar schwer, aber sicher nicht unlösbar. „Wer ist denn gut darin, Rätsel zu lösen? Und wer weiß selbst ein paar, die er dem Wesen stellen könnte?“ Ich sah mich um. Ich wusste zwar, dass Meaghan das eine Rätsel gut gelöst hatte, aber ich wollte nicht, dass sie sich direkt nochmal in Gefahr begab! Unsere Wahl fiel schließlich, unter Rosiers energischem Protest, auf seine Verlobte Florence. Sie war intelligent und konnte einen kühlen Kopf bewahren. „Okay, Vidu! Ich stelle mich dem Duell, ich komme jetzt runter – allein!“, rief sie und klang selbstsicher, beinahe arrogant wie immer. Ich bewunderte ihre elegante Art. Natürlich schlichen einige die Treppe mit hinunter, um vielleicht was mit anhören zu können. Sie schlug sich gut und hatte ihrerseits knifflige Rätsel parat. Als das Wesen zu einem Rätsel lange schwieg, freuten wir uns schon. „Gut, Mädchen, du bist eine würdige Gegnerin. Wenn du mein nächstes Rätsel beantwortest, sollst du frei sein und ich werde nie wieder einen Fuß in diese Gemäuer setzen oder einen Schüler der Schule bedrohen!“ Wir hielten kollektiv den Atem an. „Ich falle stetig und bleibe doch am selben Fleck.“ Obwohl wir nicht helfen durften, zerbrach sich jeder, der es so gerade noch mitangehört hatte, den Kopf. Als könnten wir Florence einen Teil der Denkarbeit abnehmen, indem wir mit dachten. Die Stille wurde unerträglich. Selbst wenn jemand die Lösung kannte, wagte es niemand, es den anderen zuzuflüstern, damit das Wesen uns nicht vorwerfen konnte, wieder zu mogeln. „Ein Wasserfall“, erklang die erlösende Antwort. Nun war es Evan, der in die Dunkelheit vorrannte. „Meine liebste, klügste Florence! Du hast es geschafft!“

Das hatte sie. Mit dem Lächeln einer Siegerin überreichte sie die verlorenen Zauberstäbe ihren Besitzern. Außerdem war wieder ein rotglühender Stein aufgetaucht. Als wir jedoch versuchten, die Bruchstücke zusammenzufügen, die wir im Laufe des Tages erhalten hatten, stellten wir fest, dass noch Teile fehlten. Es stand also zu befürchten, dass am nächsten Tag noch mehr auf uns zukäme.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Alyon
2014-04-14T18:58:22+00:00 14.04.2014 20:58
Du erinnerst dich tatsächlich an den Satz, den ich dir zugeflüstert habe, kurz bevor du gegangen bist... Es ist einfach wundervoll, das Geschehene bei dir nachzulesen. Ich liebe es!
Von:  Kraeuterbutter
2014-04-14T11:01:56+00:00 14.04.2014 13:01
Es ist der HAMMER!
Du meine Güte, ich hab grad wieder solche Feels und erinnerungen kommen hoch wie genial es doch war >-<!
Danke dir, danke danke danke !!


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