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Schattenwanderer

von

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Feuer

Niemand hatte den Sturm vorausgesehen. Niemand hätte es gekonnt. Keiner war für die Zerstörung die die schwarzen Windböen in dem kleinen Dorf hinterlassen hatten, verantwortlich. Niemand hätte es wissen können. Nicht der alte Mann, der in seinem Haus in der Mitte des Dorfes saß und seiner eigenen Aussage nach ein unfehlbares Gespür für anstehende Gefahren hatte. Nicht die Bettler und Heimatlosen, die in den Gassen und Winkeln des Dorfes saßen und mit ihren klappernden Bechern um eine Spende für sich und ihre Familie baten. Und schon gar nicht Mary. Sie hätte es am wenigsten wissen können. Als Leiterin des Waisenhauses war sie genug damit beschäftigt, sich um die Menge an ungewollter und abgelegter Kinder zu kümmern. Woher hätte sie es auch wissen sollen. An dem Morgen, als der Wachposten sein Horn blies und mit rudernden Armen auf den Hügel, der an das Dorf grenzte, deutete, gab es schon keine Chance mehr dem Sturm zu entfliehen. Sie alle rannten. Mary rannte. Nicht davon. Zielstrebig rannte sie durch die Gänge des Hauses um alle Kinder in einen einzigem Raum zu verschanzen. Sie wäre nicht davongelaufen, nicht wenn die Kinder nicht in Sicherheit sind. Sie legte Säugling für Säugling sachte auf dem Boden des Speisesaals ab und sprach den älteren Kindern Mut zu. Von weitem war der Sturm zu hören, wie er mit rasselnden Schwertern und auf klappernden Hufen durch das Dorf stürmte. Es gab kein Entrinnen, das wusste Mary, aber sie konnte sich nicht retten, die Kinder, sie brauchten jemanden der bei ihnen war. Und wenn es ihren Tod bedeutete, Mary blieb. Der schwarze Wind blies unerbittlich durch jede einzelne Gasse des Dorfes, betrat jedes Haus und ließ die Gemäuer brennend zurück. Mary hörte die Stimmen, die von draußen drangen und nach Hilfe riefen. Sie schrien. Kinderstimmen schrien. Mary nahm ihre Hände und legte sie an die Ohren eines der Jungen die neben ihr standen. Im nächsten Moment ein Flackern und Mary wusste es. Das Waisenhaus stand in unbändigen Flammen. Die tapfere Frau nahm einen Schlüssel der mit einem Lederband um ihren Hals befestigt war ab und legte sich zu Boden, fand eine Öffnung und benutzte den Schlüssel um eine Falltüre zu öffnen. Sie befahl allen Älteren die Jüngeren dort hinein zu bringen und sich selbst dort zu verstecken. Die Hufschläge wurden wilder, als die Pferde vor dem Waisenhaus im Lichte der Flammen tänzelten und die Männer auf ihnen ihre Schwerter mit lautem Rufen zum Himmel streckten. Mary ging als Letztes hinunter, vielmehr sie wollte, als ihre Augen einen Säugling erblickten, den sie vergessen hatten mit hinunter zu nehmen. Sie stieg die zwei Stufen des unterirdischen Ganges wieder nach oben, nahm den Schlüssel und verschloss die Falltüre. Einmal. Zweimal. Mary lief, stolperte und rannte weiter, der Rauch in ihrer Lunge brannte bei jedem Atemzug den sie tat. Sie packte das weiße Bündel am Boden und der Junge in ihren Armen schaute sie ruhig an. Er weinte nicht. Er lag einfach nur da. Lebendig. Und doch im Angesicht des Todes so teilnahmslos. Mary befand es für besser in einem späteren Moment darüber nachzudenken. Sie schritt zu der Falltüre, wollte den Schlüssel benutzen um sie zu öffnen. Dann, der Schlag, das Feuer hatte das Kupferschloss zusammenschmelzen lassen. Mary hatte sich selbst ausgesperrt. Sie warf den Schlüssel beiseite, nahm ein Stück ihrer langen, kleiderähnlichen, schwarzen Kleidung vor das Gesicht des Kindes und rannte. Rannte durch die peitschenden Flammen, den Ausgang suchend, den schwarzen Gestank des Todes im Nacken. Sie würde es nicht schaffen, dachte sie sich. Sie würde es einfach nicht schaffen, dachte sie noch ein letztes Mal, bevor sie gedrückt durch den schweren, schwarzen Schmutz in ihrer Lunge zu Boden fiel und die grauen Wolken über sie hinweg zogen wie auf einem Trauermarsch. Ihre trüben Augen richteten ihren letzten Blick auf den Junge, der aus seinem weißen Wickeltuch gefallen war und auf dem glühenden Boden lag. Die kristallklaren, blauen Augen funkelten im Takte der um ihn schlagenden Flammen und die einzige Stimme die durch das Dorf drang, war die eines Kindes, das stimmlich mit dem Feuer um die Wette eiferte und in seinem Geschrei ankündigte, was er später einmal fordern würde: Rache.



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