Die Hoffnung liegt im Morgen
»Wir hoffen immer auf den nächsten Tag, wahrscheinlich erhofft sich der nächste Tag einiges von uns.«
Was will uns dieses Zitat sagen? Woran denken wir, wenn wir es lesen oder hören? Denken wir über unsere eigenen Erwartungen nach? An das, was jeden Tag auf uns zu kommt? Oder denken wir über den Sinn des Lebens nach? Was kommt uns bei diesem Zitat in den Sinn?
Bei jedem sind es wohl andere Gedanken, Meinungen oder Fragen ... Aber bei jedem werden Gedanken, Meinungen oder Fragen auftauchen. Denn mit den Erwartungen, die jeder neue Tag an uns stellt, müssen wir uns alle auseinandersetzen.
Im Gegenzug hofft auch jeder von uns an jedem neuen Tag auf etwas Bestimmtes ...
Und wer sagt, er hoffe oder wünsche sich nichts, der kennt nur das Innerste seines Herzens nicht.
Ich bin Sakura Haruno. Eine Iroynin im Dienste der Shinobi-Allianz. Und bin wohl nur aus dem Grund noch am Leben ... weil der Vierte Ninja-Weltkrieg gestern in die nächste Runde übergegangen war.
Was ich damit meinte?
Vollkommen überraschend hatten wir Unterstützung im Kampf gegen Obito und Madara Uchiha, sowie das Juubi, das unter ihrer Kontrolle stand, bekommen – von Sasuke.
Der Verräter, Mörder und Nukenin hatte gemeinsam mit Naruto, mir und all unseren Verbündeten gekämpft und gesiegt.
Er hatte uns nicht erklärt, was dieser plötzliche Sinneswandels zu bedeuten hatte ... Na ja, zumindest vor dem Kampf hatte er nicht darüber gesprochen. Nach unserem Sieg allerdings – noch während wir uns in freudiger Stimmung in den Armen lagen und gleichzeitig um unsere gefallenen Kameraden trauerten – richtete Sasuke die Spitze seines Schwertes genau auf Narutos Kehle. Der einzige Grund, warum er sich in den Krieg eingemischt hatte, war der, dass er derjenige sein wollte, der Naruto tötete. Diese ... »Pflicht«, wie er es genannt hatte, überließ er nicht einmal seinem Vorfahren und dessen Untergebenen. Nur er durfte die Ehre seines Clan wiederherstellen.
Ich stand neben ihnen und konnte mich nicht rühren. Naruto Uzumaki gegen Sasuke Uchiha. Auf der einen Seite mein bester Freund, auf der anderen meine große Liebe. Warum mussten gerade diese beiden gegeneinander kämpfen?
Ein Kloß saß in meinem Hals fest, den ich vergeblich versuchte hinunterzuschlucken.
Zwei Menschen, die zu den wichtigsten meines Lebens gehörten. Auf was für ein Ende konnte ich bei diesem Kampf hoffen? Wenn Sasuke ihn für sich entschied, würde mit Naruto der letzte Rest Hoffnung für Konoha sterben. Wenn Naruto siegreich wäre, würde ich Sasuke in den Tod folgen – sei es durch mein gebrochenes Herz oder durch eigene Hand.
Ja ... ich konnte es nicht verhindern. Der bloße Gedanken Sasuke könne sterben, raubte mir den Atem. Bislang hatte die Gewissheit, dass er irgendwo da draußen am Leben war und es ihm – für seine Verhältnisse – gewissermaßen gut ging, mich am Leben erhalten ... trotz der Schmerzen, die mir seine Taten und seine Abwesenheit täglich aufs Neue zufügten. Ich konnte damit leben ...
Wenn ich daran dachte, dass ich vor noch nicht allzu langer Zeit eben diese Gefühle für Sasuke zu leugnen versucht hatte, kochte die Wut auf mich selbst in mir hoch. Ich hatte versucht mir einzureden, Sasuke sei mir egal ... Unter dem Vorwand Naruto beschützen zu wollen, hatte ich ihm meine angebliche Liebe gestanden. Dabei war es mir dabei nur darum gegangen, selbst nicht länger leiden zu müssen.
Jetzt musste ich mit dem Scherbenhaufen zurecht kommen, den ich angerichtet hatte. Ich hatte keine Hoffnung mehr auf ein besseres Morgen ... Das berüchtigte >Happy End« würde nicht kommen. Nicht für mich ... Ich konnte nur noch Schadensbegrenzung betreiben, damit wenigstens meine Freunde eine Chance auf ein bisschen Glück hatten ...
Deshalb konnte ich nicht mehr warten, nicht mehr untätig sein. Es tat mir leid, Narutos Wunsch nicht respektieren zu können ... Er wollte den Kampf gegen Sasuke allein führen. Nur auf ihn sollte Sasuke seine Wut und Verzweiflung richten. Aber das hatte Naruto nicht verdient. Naruto nicht ... und Sasuke auch nicht. Er würde daran zerbrechen. Naruto war nie sein Feind, sondern schon immer sein bester Freund gewesen ... Der einzige, der ihn je richtig verstanden hatte.
Wahrscheinlich wären die beiden ohne mich wirklich viel glücklicher geworden und hätten sich nicht ständig in Gefahr begeben.
Ich musste diese Konfrontation verhindern. Sasuke durfte Naruto nicht auslöschen. Und Naruto durfte Sasuke nichts zuleide tun ... Der Held von Konoha sollte nicht seine eigenen Ideale verraten – nicht so kurz vor seinem Ziel. Warum nur hatte ich es Naruto nicht erzählt? Ich, die von Tsunade persönlich wusste, dass sie ihn als ihren Nachfolger vorschlagen würde ... Sobald der Krieg beendet war. Naruto Uzumaki als Rokudaime Hokage von Konohagakure ... Unser Dorf hatte sicher nie ein besseres Oberhaupt gehabt. Ich vertraute seinen Fähigkeiten ... Er würde die Dorfbewohner beschützen. Frieden schaffen ...
Ja, ich wusste, ich hatte schon einmal gegen Sasuke versagt. Doch diesmal trieb mich eine andere Motivation an, als beim letzten Mal. Es ging mir nicht mehr darum Sasuke zu töten. Ich konnte ihm nichts anhaben ... Dazu war ich einfach nicht fähig. Stattdessen wollte ich ...
Es war kein Geheimnis, wo sich Sasuke in dieser Nacht aufhielt. Und dass er allein war. Ich musste mich also nicht verstecken oder anschleichen. Er kannte mein Chakra und hatte mich sicher längst bemerkt.
„Was willst du hier?“, erklang seine Stimme eiskalt neben meinem Ohr.
Es erstaunte mich schon sehr, dass ich nicht zusammenzuckte. War ich diese Kaltblütigkeit seinerseits etwa schon gewohnt?
„Mit dir reden.“, erwiderte ich.
Ein humorloses Lachen folgte: „Worüber sollten wir reden? Willst du darum betteln, dass ich Naruto verschone? Oder gar zu euch zurückkomme?“
„Und wenn es so wäre?“, fragte ich herausfordernd.
Ich hörte, wie Sasuke Kusanagi ein Stück aus der Scheide zog.
„Dann würdest du den morgigen Tag nicht mehr erleben.“, hauchte er.
Nun war es an mir zu lachen: „Weißt du ... es gibt schlimmere Schicksale als den Tod.“
„Wie erkennen zu müssen, dass der Junge, für den man ja ach so starke Gefühle hegt, ein Verräter ... und Mörder ist?“, hakte Sasuke spöttisch nach.
Dieser Ton von ihm war mir neu. Ich kam nicht umhin mir auf die Unterlippe zu beißen. Im Grunde hatte er damit genau ins Schwarze getroffen. Die große Liebe – von aller Welt gesucht und hochgradig gefährlich. Ganz toll ... Dann doch wirklich lieber einfach die Augen schließen und nie wieder öffnen. Aber zuvor hatte ich noch etwas zu erledigen.
„Soll ich dir deinen Wunsch erfüllen?“, flüsterte er wieder dicht neben meinem Hals.
Ich bewegte mich nicht. Genau deshalb war ich hier. Es gab nur eine Sache, die Sasuke noch die Augen öffnen konnte. Kein Mordversuch diesmal ... sondern das freiwillige Opfer von einem seiner früheren Freunde um sein Herz von der Finsternis zu befreien!
Schneller als er es wohl für möglich gehalten hatte, drehte ich mich zu ihm um und legte meine Hände auf seine Schultern. Noch bevor er reagieren konnte, lagen meine Lippen auf seinen. Ich hatte meine Augen geschlossen, um das Gefühl so intensiv wie nur irgend möglich zu erleben.
Ich spürte nicht, wie Sasuke mich mit seinem Schwert tötete.
Fühlte sich so der Tod an? So schmerzhaft? Ich hatte das Gefühl, als würde mein Kopf platzen, ein dröhnendes Hämmern an den Schläfen gab einen seltsam unsteten Rhythmus vor.
Nach und nach wurde ich mir auch dem Rest meines Körpers gewusst. Irgendwie steif ... Und ich lag auf etwas. Es war zwar weich, aber mit Sicherheit keine Wolke. Ha ha, schlechter Witz. Aber was war das? Ich hörte etwas ... Wenn ich mich nur konzentrieren könnte ...
„Sa ... kura ... chan ... kannst ... du ... mich ... hören?“, kam es bruchstückhaft bei mir an.
Sakura? Ja ... Ja, das war mein Name. Sakura Haruno.
„Ich glaube, sie kommt zu sich.“, sagte eine zweite Stimme.
Das war Tsunade! Und der erste, der gesprochen hatte, war Naruto gewesen ...
Ein stechender Schmerz fuhr mir durch die Glieder und ich riss ruckartig die Augen auf. Ich musste keuchend nach Atem ringen, als die Erinnerung zurückkehrte.
„Sakura-chan, was ist passiert?“, fragte mich Naruto.
Gute Frage, würde ich selbst gern wissen. Was war passiert? Was war passiert nachdem ich Sasuke geküsst hatte? Er hatte sein Schwert vollständig aus der Scheide gezogen ... Wie von selbst wanderte meine Hand zu meinem Hinterkopf. Als ich die Beule berührte, verstärkten sich die Schmerzen. Hatte er mich etwa mit der flachen Schwertseite bewusstlos geschlagen? Mir fiel keine andere logische Erklärung ein ... Aber warum hatte er das getan?
Plötzlich kam mir ein neuer Gedanke in den Sinn und ich wollte beinahe panisch von Naruto wissen: „Euer Kampf! Was ist aus eurem Kampf geworden?“
„Ich dachte, dass könntest du mir erklären.“, meinte Naruto verwirrt, „Sasuke hat dich letzte Nacht vor meinem Zelt abgelegt. Ich habe sein Chakra gespürt und ihn im letzten Moment noch gesehen, bevor er zwischen den Schatten verschwunden ist ... Er sagte so etwas wie, er würde nicht gegen mich kämpfen. Den Rest habe ich leider nicht mehr verstanden.“
Naruto redete noch weiter, Tsunade schwieg die ganze Zeit über. Ich hörte ihn nicht mehr ... Sasuke wollte nicht mehr gegen Naruto kämpfen. Das bedeutete, er hatte auch seinen Plan Konoha zu zerstören aufgegeben. Nur warum? Was hatte unsere Begegnung in ihm ausgelöst?
Ich ballte die Hände zu Fäusten. Nicht noch einmal. Ich wollte nicht wieder versagen ... Genug gehofft, jetzt würde ich handeln! Bislang hatte ich es unbewusst größtenteils Naruto überlassen zu versuchen Sasuke zur Vernunft zu bringen. Vielleicht war das falsch gewesen. Und vielleicht hätte ich Sasuke damals wirklich begleiten sollen, als er das Dorf verlassen hatte ... Nein, es brachte nichts mehr darüber zu spekulieren. Ich hatte meine Entscheidung getroffen.
Irgendwo in der Ferne spürte ich es ... den verbliebenen Rest seines Chakras. Bisher war er immer spurlos verschwunden ... Rechnete er damit, dass ich ihm folgen wollte?
Tja, wieder ein Vielleicht ... und möglicherweise bedeutete diese Tatsache, dass doch noch nicht alles verloren war. Ich fühlte die Entschlossenheit in meinem Innern ... Diesmal würde ich Sasuke aus der Dunkelheit, die ihn gefangen hielt befreien! Egal, was es mich auch kosten würde! Ich musste meine Aufgabe zu Ende führen!
„Es in Ordnung, Sakura ...“, sagte Tsunade, als hätte sie meine Gedanken gelesen, „Ich erteile dir hiermit die Erlaubnis diese S-Klasse Mission anzutreten.“
Ich habe immer darauf gehofft, dass unser Team irgendwann wieder zusammenfinden würde ... dass Sasuke zu uns zurückkommen würde.
Ich habe gedacht, ich hätte gekämpft. Alles versucht, was in meiner Macht stand. Dabei hatte ich nicht einmal einen Bruchteil von Narutos Kampfeswillen an den Tag gelegt. Ich war weiterhin schwach gewesen ... Zu schwach, um an Sasuke oder Naruto auch nur annähernd heranzureichen.
Erst jetzt, da ich bereit bin wirklich ALLES für Sasuke zu geben, habe ich die Erwartungen ... die Voraussetzungen erfüllt.
Wir dürfen nicht nur hoffen, dass es eines Tages besser wird ... Wir müssen etwas dafür tun, dass sich etwas verändert. Wir müssen kämpfen! Mit jeder Faser unseres Körpers, unseres Herzens, unserer Seele ... Und wir dürfen niemals aufgeben – egal, wie hoffnungslos eine Situation auch erscheinen mag.
Nur dann kann man die Erwartungen, die jeder neue Tag an uns stellt, meistern ... und an das Morgen glauben.