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Fremde Welten: Unmöglich ist nichts (#3)

Prinz Soach und das Prinzip des Chaos
von

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Spiel mit dem Feuer

Blacky sah sich nach seiner Großmutter um und stellte fest, dass sie sich mit Vanis unterhielt, denn beide holten gerade etwas zu trinken. Jedenfalls blieb ihm dadurch ein Moment für seine eigenen Gedanken.

Eigentlich störte sie ihn nicht, im Gegenteil, er mochte ihre Gesellschaft. Aber dieses Mal war sie mit einem ernsten Anliegen an ihn herangetreten. Sie hatten sich lange unterhalten, und er musste das Gespräch erst einmal verdauen.

Er spazierte allein am Strand entlang, unbeachtet von all den Leuten. Auch Dark ließ ihn in Ruhe, spürte, dass er die Zeit brauchte. Er wollte mit ihm sprechen, denn das Thema ging auch ihn an. Aber noch nicht.

Die Wellen endeten gerade knapp neben seinen Füßen. Blacky dachte an die Zeit vor ein paar Jahren, als seine ganze Sorge sich darum gedreht hatte, noch einen Platz für ein weiteres Buch in seinem unaufgeräumten Zimmer zu finden. Die Dinge änderten sich, und er wusste oft nicht, ob er es gut finden sollte. Auf der anderen Seite lebte Chaos von der Veränderung. Was also hielt ihn auf?

Der Strandabschnitt zwischen den Klippen und den Ausläufern des Schlosses war nicht allzu lang, maximal fünfhundert Meter, wenn überhaupt. Von hier aus konnte er also nicht allzu weit spazieren gehen, ohne sich die Füße nass zu machen. Somit kehrte er bei den Felsen wieder um und schlenderte zurück.

Das Lagerfeuer war bereit, entzündet zu werden. Im Näherkommen sah Blacky, wie Fire Thaumator anhielt, der gerade vorbei ging. Neugierig beobachtete er die Szene, als er nahe genug war, um die Stimmen zu hören.

„Warum übernehmt Ihr das nicht, Zirkelmagier,“ sagte Fire in bester Sprachqualität. Das ließ Blacky erst recht aufhorchen.

„Wenn du möchtest...“ Thaumator machte eine Geste zum Holzstapel. Ein Flämmchen züngelte daran hoch.

Fire grinste breit und zog das Flämmchen von dort weg, um es dann in seiner Hand zu halten. „Das war wohl nichts.

„Kann mal passieren.“ Thaumator versuchte es noch einmal – mit dem gleichen Ergebnis. Er verengte die Augen und warf einen Blick in Fires Richtung. Ein Feuerball flog diesmal direkt zu dem jungen Magier.

Fire fing auch diesen auf, dann ließ er die ersten beiden erlöschen. „Mehr habt Ihr nicht drauf?“

„Hm... ich stelle fest, dass du schlauerweise die ersten beiden Zauber aufgegeben hast, weil sie dein Meras verbrauchen statt meines, seit du sie übernommen hast,“ erörterte Thaumator in bestem Schulmeistertonfall. „Gut gemacht. Manche wundern sich, wenn die Zauber des anderen plötzlich verschwinden, weil die Energiezufuhr gestoppt wurde. Das ruiniert natürlich den Effekt des ganzen total, nicht wahr.“

Lady Charoselle erschien mit einem Weinglas in der Hand wieder an Blackys Seite und reichte auch ihm eins. „Ich frage mich, ob es schlau von meinem Enkel ist, sich mit einem viel erfahreneren Feuermagier vom Zirkel anzulegen.“

Blacky nahm einen kleinen Schluck, ohne darüber nachzudenken, und beobachtete einfach schweigend weiter.

„Klugscheißer,“grummelte Fire gerade. Er verstärkte die Flammen und warf sie auf den älteren Kollegen zurück. Dieser wich einfach nur mit einer geschmeidigen Drehung aus, sorgte aber noch dafür, dass der Angriff verpuffte und keine Unbeteiligten traf, die sich inzwischen neugierig versammelten und Wetten abschlossen.

Thaumator grinste. „Du willst was Anspruchsvolleres? Nimm das!“ Er erschuf eine Feuerkugel von der Größe eines Kinderkopfes in seiner Linken und warf sie ihm zu, direkt danach zwei weitere mit rechts und wieder links.

Fire übernahm die Zauber, vereinte sie zu einem großen und schickte ihn zurück.

Thaumator wehrte ihn dieses Mal ab und schleuderte gleichzeitig einen ebenso großen mit der anderen Hand.

Der Strand wurde vom Feuer in flackerndes Licht getaucht. Blacky sah aus dem Augenwinkel, dass Mava einen Schutzschild vor den Zuschauern aufbaute und bei den kleinsten Kindern stehen blieb. Der Chaosmagier entspannte sich und genoss die Vorstellung.

Thaumator versuchte es mit einem noch größeren Feuerball, der Fire nur ein müdes Lächeln entlockte. „Den Legendären Lord der Flammen beeindruckt das nicht!“ prahlte er.

„Du kannst nicht ewig alles von mir übernehmen,“ prophezeite Thaumator und fuhr fort, den Jüngeren mit Flammenbällen zu bewerfen. Er erhöhte das Tempo und variierte die Größe.

Fire fing alles auf und warf es zurück oder ließ es erlöschen. Das war sein Spezialgebiet und er kam so richtig in Fahrt. Blacky konnte erkennen, wie sehr er sich amüsierte.

Thaumators nächster Angriff war besonders groß und leuchtete auffällig hell. „Diesen solltest du lieber nicht abfangen.“

„Pah!“ Fire ließ alle anderen erlöschen und streckte die Hände aus. „Na komm!“

Blacky trat einen Schritt vor und öffnete den Mund, überlegte es sich dann aber anders.

Thaumator untermalte sein neuestes Geschoss mit einem Aufschrei der Anstrengung, als er es auf den Gegner schleuderte. Das Ding flog wie ein Komet, weiß leuchtend zog es einen Schweif hinter sich her.

„Das beeindruckt mich nicht!“ lachte Fire. „Gleich kriegst du ihn zurück!“ Er stoppte den Zauber mit den Händen.

Plötzlich züngelten die hellen Flammen an seinen Fingern bis zu den Ellenbogen hoch. Fire schrie erschrocken auf. Die Zuschauer hielten den Atem an. Das Licht erlosch. Es hatte gefährlich ausgesehen, aber er war nicht verletzt.

Doch er merkte wohl, dass etwas nicht stimmte, und Thaumator wusste es auch. „Willst du noch?“ erkundigte sich der Feuermagier und erschuf eine von den kleinen Feuerkugeln.

„Was... was ist passiert?“ stammelte Fire und starrte auf seine Hände. „Hey, das ist... unfair!“

„Ich bin nicht für meine Fairness bekannt,“ erwiderte Thaumator. Er entflammte mit einer lässigen Handbewegung das Lagerfeuer.

„Aber... wie hätte ich denn... Hmpf!“ Fire verstummte. Er biss schnaubend die Zähe aufeinander, ballte die Hände zu Fäusten und marschierte zum Schloss.

Für ein paar Sekunden gab es das Geräusch von Münzen, die den Besitzer wechselten.

„Du wolltest ihn vor dem Zauber warnen,“ stellte Lady Charoselle leise fest.

„Das ist dir aufgefallen?“ Blacky schwenkte sein Weinglas. „Und jetzt fragst du dich wohl, warum ich es dann doch nicht getan habe.“

„Ja. Und ob du wusstest, was es ist.“

„Ich wusste es. Du kannst nicht zu den größten Magiern des Schattenreiches zählen und sowas nicht wissen. Die beste Art, es zu lernen, ist durch die Erfahrung. Und die macht Fire besser jetzt und hier als später im Ernstfall.“

„Du weißt jedenfalls, wie mächtig du bist, und machst daraus keinen Hehl,“ stellte die Herrscherin fest. „Diese Eigenschaften gefallen mir.“

„Trotzdem überlasse ich die Führungsposition der Magier gerne Dark. Ich bin kein Anführer.“

Charoselle zuckte mit den Schultern. „Das dachte ich von mir früher auch, aber letztendlich wächst jeder mit seinen Aufgaben und in seine Rolle hinein.“ Sie tätschelte seine Schulter und ließ ihn für den Moment allein.

Blacky leerte sein Weinglas. Er trank normalerweise nicht viel Alkohol, doch heute holte er sich ausnahmsweise mehr, um seine Konversationen mit der Herrscherin der Eisigen Insel aus dem Blickwinkel eines beschwipsten Chaoten betrachten zu können.
 

***
 

Als Crimson und Soach das Außengelände betraten, fielen ihnen flackernde Lichteffekte und Magieentladungen am Strand auf. Eine Menschenmenge hatte sich beim Lagerfeuer versammelt.

Da Soach sich immer noch im Dienst fühlte an diesem Tag, fasste er der erstbesten Person an die Schulter und fragte: „Was ist hier los?“

Es war Finsterlord Asmodeus, der sich zu ihm umdrehte. „Oh, Soach... dein Sohn zofft sich ein bisschen mit Thaumator...“

„Was?“ Erschrocken wollte Soach sich nach vorne drängeln, besann sich aber eines Besseren und nutzte einfach die Möglichkeit, die Szene aus Cathys Sicht von weiter oben zu betrachten. Der Schlossgeist konnte alles sehen, was in seinem Einflussbereich geschah, als würde er darüber schweben, ob nun sichtbar oder nicht. Er musste sich nur auf die Stelle konzentrieren.

Wie er feststellte, gab es einen Schutzzauber für die Zeugen, und Kayos stand in der Nähe, zusammen mit Lady Charoselle. Beide sahen zu, griffen aber nicht ein. Thaumator und Fire warfen Feuerbälle hin und her, wobei es eher der Ältere war, der sie erschuf. Die Zuschauer schlossen Wetten ab.

Soach verließ diese Sicht und kehrte mit seinem Bewusstsein ganz in seinen Körper zurück. „Ich glaube, es ist alles soweit unter Kontrolle,“ erstattete er Crimson Bericht. „Ich befürchte nur, Fire versucht gerade, dem Mann eins auszuwischen, der mich... der an der Ausbrennung beteiligt war. Wenn er sich da mal nicht verrechnet hat...“

„Ich denke mal, er wird sich zumindest recht gut schlagen, meinst du nicht?“ schätzte Crimson.

Plötzlich änderte sich die Qualität der Luft. Das Licht bekam eine andere Farbe. Soach stürzte sich in die hintere Reihe. „Nein! Fire!“ Doch sein Schrei ging im allgemeinen Gegröle unter, und er kam einfach nicht schnell genug durch. Als er endlich in die vorderste Reihe gelangte, prallte er von innen gegen Mavas Schutzschild, während die Lichter des Duells verblassten. Lediglich das Lagerfeuer brannte nun.

„Soach!“ Crimson quetschte sich neben ihn. „Fire ist nichts passiert, schau doch...“ Er deutete auf den jungen Feuermagier, der gerade wütend davonschritt.

Soachs Herz saß in seinem Hals. „Ich dachte... für einen Moment fühlte es sich an wie...“

„Es muss etwas Ähnliches sein, das aber einen Magier nur kampfunfähig macht,“ meinte Crimson. „Wir können meine Großmutter fragen.“

Niemand achtete weiter auf ihr Gespräch – ringsherum wechselten Münzen und kleine Gegenstände den Besitzer. Die Versammlung löste sich langsam auf.

Soach hielt krampfhaft die Augen offen, denn wenn er sie schloss, sah er vor sich den Keller im Gebäude des Zirkels. Dieses Gefühl eben... so hatte es sich auch angefühlt, direkt bevor sie mit dem Ausbrennen begonnen hatten, in dem kurzen Moment, als der vernichtende Zauber entstand und in seine Richtung schoss, aber noch nicht angekommen war.

„Wie kann er es wagen, das auf diesem Gelände zu tun!“ zischte er.

Es half, wenn er auf jemanden schimpfte. Er wollte Thaumator stellen und ihm die Meinung zu dem Thema sagen, befürchtete jedoch, nicht angemessen auftreten zu können. Er hatte Angst vor diesem Mann, ebenso vor Cosmea. Das passte absolut nicht in sein Bild von sich selbst. Er war ein Prinz der Eisigen Inseln, jemand, den man stets ernst nehmen sollte. Natürlich hatte er sich immer vor allem als Magier gesehen. Die Magie hatte ihn sein Leben lang befähigt, sich jeder Situation zu stellen, sogar dem Moment, in dem er sie verlor. Er wusste nicht, was danach von ihm blieb. Ein Leben als Nicht-Magier konnte er sich einfach nicht vorstellen. Eins stand allerdings fest: Er hatte sich noch nie in von seiner Angst aufhalten lassen. Entschlossen drängte er sich durch die langsam auseinandergehenden Leute.

Sobald er Thaumator nahe genug kam, packte er ihn am Arm... gerade so, dass es nicht unhöflich ausfiel. „Entschuldigt...“

Der Feuermagier blieb abrupt stehen und fuhr zu ihm herum. „Oh... Soach. Kann ich Euch behilflich sein?“ Er entwand seinen Arm dem Griff des anderen, indem er sich einfach etwas anders hinstellte. So wirkte es kaum feindselig.

„Ja, könnt Ihr,“ begann Soach und ließ zu, dass seine Zunge schneller handelte, als sein Gehirn nachkam. „Vermeidet solche Zauber auf diesem Gelände. Ihr wisst schon, welche Sorte ich meine.“

Sie starrten einander für zwei, drei Sekunden schweigend in die Augen. Vielleicht auch fünf.

Letztendlich sah Thaumator zuerst weg, indem er höflich den Kopf neigte und dabei den Blick senkte. „Selbstverständlich. Verzeiht meine Gedankenlosigkeit. Es kommt nicht wieder vor.“

Als Soach dies abnickte, wandte der Feuermagier sich einem anderen Gesprächspartner zu und schien den Wortwechsel schon vergessen zu haben. Vermutlich besaß er aber einfach nur das Talent, seine Gefühle nicht auf seinem Gesicht zu tragen, etwas, das eigentlich Soach selbst auch zu beherrschen glaubte... bis vor einer Woche jedenfalls. Er sah sich nach Fire um, aber sein Sohn war schon fort.

„Alles in Ordnung?“ fragte Crimson ihn. Er zog Soach an die Seite, weg vom Hauptgetümmel.

„Geht schon,“ antwortete sein Stellvertreter. „Er hat mich nur daran erinnert... kurz bevor es anfing. In der Luft war... eine unangenehme Spannung, so als...“ Er runzelte die Stirn. „Ja, es fühlte sich an, als würde die Magie zu etwas gezwungen, das sie nicht tun wollte...“

Soach fragte sich, wie sehr die Magie selbst darunter litt, wenn jemand ausgebrannt wurde, und zwar nicht nur, weil ihr ein Medium verloren ging, sondern weil sie sogar das Mittel war, das dieses Medium zerstörte.

Wie wenn man einem Krieger mit seinem eigenen Schwert den Arm abschlägt, mit dem er es führte...

Er schloss erbebend die Hände zu Fäusten. Alles passte auf eine konfuse Art zusammen wie Wege, die aufeinander treffen, um gemeinsam zu einem vorbestimmten Ziel zu führen. Sein persönlicher Weg erwies sich allerdings als ziemlich steinig und steil.

„Ganz sicher wollte sie das nicht tun,“ holte Crimson ihn zurück aus seinen Grübeleien. „Aber falls sie ein Bewusstsein hat, kann sie dich sicherlich verstehen. Vielleicht ist sie anfangs ein bisschen sauer, weil du es nicht verhindert hast, aber sie wird dich vor allem vermissen.“

Der Kommentar war nicht unbedingt hilfreich. Der Schmerz des Verlustes, der für eine Weile leichter geworden war, sank wieder wie ein Granitblock in seine Eingeweide. „Ich sollte lieber etwas vom Schloss weggehen,“ murmelte Soach. „Meinen Einfluss auf die Stimmung so gering wie möglich halten...“

„Aber nein... nicht jetzt, mein Freund,“ hielt Crimson ihn zurück. „Merkst du es nicht? Alle sind ganz aufgeregt und freuen sich auf den Abend. Lass dich lieber von ihnen anstecken. Du musst unbedingt positiv denken, Soach.“

Der Prinz der Eisigen Inseln zwang sich zu einem Lächeln. „Wahrscheinlich hast du Recht. Wenn ich will, dass die Magie zu mir zurück findet, darf sie keinen in Selbstmitleid versunkenen Schwächling vorfinden.“

„Das ist die richtige Einstellung,“ stimmte Crimson zu. „Komm, wir suchen uns was zu trinken, und vielleicht kannst du ja mal mit Lily reden, hm?“

„Ja... mit Lily reden sollte ich unbedingt. Aber vielleicht nicht mehr heute. Wenn wir wieder in Streit geraten, verderbe ich ihr den Abend.“

„Soach...“

„Schon gut. Ich suche nach ihr und rede mit ihr.“ Er würde ohnehin keine Ruhe finden, solange der Streit mit ihr ungeklärt in seinen Gedanken kreiste.
 

***
 

Ujat stellte die selbstgemachten Becher ins Regal, wo die Heiler auch ihre anderen Trinkbecher aufbewahrten, aber zwei behielt er zurück. Indessen kochte Vindictus Wasser und brühte eine Kanne fruchtigen Tees auf. Sein Sohn gab ihm einen Becher, auf dem einige necromantische Formeln eingeritzt waren, die aber das kleine Kind damals nicht korrekt abgebildet hatte. Trotzdem fand der alte Heiler den Versuch rührend.

„Ist das nicht zu viel für dich, jetzt auch noch den Nachtdienst zu machen?“ fragte Ujat.

„Pah, das dürfte ne ruhige Sache werden... abgesehen von ein paar Alkoholleichen später in der Nacht, aber so viele Leute sind hier ja nicht, die unvernünftig genug sind. Oder hast du mir diesbezüglich was zu sagen?“

„Ich bleib‘ vielleicht besser hier,“ schlug Ujat vor.

Vindictus konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sein Sohn war auch nicht mehr der jüngste, also befanden sich in einer Nacht, in der die Schlossbewohner am Strand feierten, zwei alte Männer in der Krankenstation in Bereitschaft. Hervorragend. Allerdings hielt er ihn sicherlich nicht davon ab, bei ihm zu bleiben.

Sie schlürften eine Zeitlang den heißen Tee, jeder in seine Gedanken vertieft.

Eine langfristige Beziehung hatte es in Vindictus‘ Leben nie gegeben. Wenn er Leute wie Thaumator traf, die ein glückliches Familienleben führten, wurde er ein wenig neidisch. Aber das gehörte zum Schicksal eines Necromanten... diese spezielle Kunst machte unbeliebt und früher oder später möglicherweise auch unfruchtbar. Seiner Meinung nach konnte man da immer nachhelfen, aber das konnte übel nach hinten losgehen. Somit war Ujat alles, was er an Kindern hervorgebracht hatte. Darüber konnte er sich nicht beklagen. Jeder ging seinen Weg, und seiner hatte nun einmal ein paar Nachteile. Aber dafür konnte er Tote zum Leben erwecken. Je nachdem, wie lange sie schon tot waren, fiel das Ergebnis natürlich unterschiedlich aus.

„Du hast mir letztes Jahr erzählt, dass du damals nicht sehen konntest, ob ich schuldig bin,“ begann er ein Thema, das ihn immer wieder einmal beschäftigte. „Du überlegtest, zur Akademie zu reisen und um etwas zu bitten, das mir gehört hat, um damit hellsehen zu können, aber dir kam immer wieder etwas dazwischen, und als du endlich hin kamst, war es zu spät...“

Ujat sah ruhig von seinem Tee auf, scheinbar nicht überrascht.

„Dieser Chaosmagier sagt immer, es gäbe keine Zufälle,“ fuhr Vindictus fort, ohne zu spezifizieren, welchen von beiden er meinte. „Ob es wohl kein Zufall ist, dass ich jetzt hier bin, und du zur rechten Zeit herkamst, um Soach vor dem Gift zu retten... musste das wohl alles so sein?“

„Falls ja, müssen wir uns wohl fragen, wofür das alles gut ist,“ lächelte Ujat. „Es muss etwas sein, das mehr als zehn Jahre lang vorbereitet wurde und noch nicht beendet ist... vielleicht fingen die Vorbereitungen auch schon viel früher an. Fällt dir eigentlich auf, dass du nicht aufgehört hast, Soach zu den Chaosmagiern zu zählen?“

„Vielleicht meinte ich Blacky!“ erwiderte Vindictus.

„Nein.“ Auf Ujats Becher war ein Auge abgebildet mit Lichtstrahlen daran.

„Kannst du jetzt schon Gedanken lesen?“ empörte Vindictus sich mit gespielter Strenge.

„Ich konnte schon immer ganz gut raten,“ grinste sein Sohn. „Und wenn ich raten soll, würde ich sagen, dass wir Teil eines großen Zusammenhangs sind, den wir jetzt noch nicht verstehen.“ Er setzte passend ein ernstes Gesicht auf und machte eine langsame Handbewegung, die wie ein Griff nach unbekannten Mysterien aussah.

Vindictus seufzte. „Mir würde es völlig genügen, ein unbedeutendes, bequemes Leben zu führen.“ Er dachte einen Moment über seine Worte nach. „Nun... vielleicht wäre es nett, berühmt zu sein, wenn schon nicht für überragende Macht, dann vielleicht für außerordentliches Heiltalent.“

Ujat lachte. „Hör auf, ich merke doch, wie glücklich du hier bist. Zumal du ja eine neue Herausforderung gefunden hast, nicht wahr?“

„Du meinst Thaumator? Naja. Das muss sich erst noch zeigen. Er wird vielleicht nicht hierbleiben können. Soach ist die Seele des Schlosses, folglich will das Schloss nicht den Mann beherbergen, der ihn ausgebrannt hat.“

„Hab Vertrauen, Vater. Ich geh mal kurz für kleine Hellseher.“ Ujat verschwand durch die hintere Tür.

Der Zufall – oder auch das Schicksal – spielte Vindictus in die Hände. Der junge Fire kam durch die Tür gerauscht und direkt in seine Ecke.

„Vindictus! Der olle Zirkelknilch hat mich ausgebrannt, ich kann nich mehr zaubern! Bitte sach mir, dasses nich anhält!“ jammerte der Bursche.

„Es hält nicht an,“ entgegnete Vindictus. „Also, was genau ist vorgefallen?“

Fire erzählte es ihm. Allerdings wirkte die Geschichte aus dem Mund des Verlierers eines magischen Gezänks natürlich etwas aufgehübscht, so dass jener als ungerecht behandeltes Opfer dastand.

Der Heiler fühlte seinen Puls, kontrollierte seine Augen und gab sich generell sehr besorgt. Seine magischen Sinne stellten fest, dass es tatsächlich kein nennenswertes Meras mehr im Körper des Jungen gab, aber es regenerierte sich schon wieder. Wie interessant, anscheinend beherrschte Thaumator weitere Ausbrennzauber außer dem, der nur einmal auf jemanden angewendet werden konnte. Die harmloseren wurden nur nicht so genannt, um Missverständnisse zu vermeiden.

„Der so genannte Kontaktbrenner. Das ist ein Trick, der besonders gut wirkt, wenn er von einem Feuermagier kommt,“ erklärte er. „Der Zauber ist keinem bestimmten Element zugeordnet, sieht aber aus wie Feuer. Deshalb hast du den Unterschied kaum bemerkt, während ihr euch ohnehin mit Feuerbällen beworfen habt.“

„Aber dassis voll unfair, feige und übahaupt!“ regte Fire sich auf. „Macht ein‘n auf toller Zirkelmagier mit feinen Klamotten und so, aber kein bissel Ehre inn‘ Knochen!“

„Oh, du würdest dich wundern,“ murmelte Vindictus, der Thaumator ja inzwischen etwas besser kannte. Er räusperte sich und sprach lauter weiter: „Der Zirkel des Bösen definiert Ehre anders. Sie kämpfen nicht immer so, dass der Gegner es fair findet, aber sie treten nicht noch einmal drauf, wenn er brav am Boden liegen bleibt und seine Niederlage hinnimmt. Was fair ist oder nicht, ist ohnehin Ansichtssache. Von jemandem wie Dark hättest du diese Aktion vielleicht beeindruckend gefunden, natürlich nur mit einem anderen als dir als seinem Gegner.“

Fire schnaubte und verschränkte die Arme. „Vielleicht.“

„Dein Vater hätte das gleiche getan,“ fuhr Vindictus fort. „Chaosmagier kämpfen mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. Manche Leute besiegst du nicht durch Fairness. Und du bist jetzt nur sauer, weil es dich erwischt hat.“

„Hmpf,“ machte Fire. Er stapfte vor den Krankenbetten auf und ab und schien fieberhaft nachzudenken. Schließlich fragte er: „Kennste wenn, der mir das auch beibringn kann?“

Vindictus öffnete schon den Mund, um sich selbst vorzuschlagen, aber seine Fähigkeit, Magie auszubrennen, war nicht jedem bekannt. Mit sowas prahlte man auch nicht herum, wenn man ein paar Freunde behalten wollte. Was Thaumator betraf... von dem wussten es eh alle. Vindictus frohlockte innerlich und musste sich bemühen, das nicht auf seinem Gesicht erkennen zu lassen.

„Warum wendest du dich nicht an den Meister des fiesen Zaubers persönlich?“ riet er dem jungen Feuermagier.

Fire blieb stehen und starrte ihn mit offenem Mund an. „Nich im Ernst! Das machter doch nie! Schließlich willich ihm damit eins überbraten!“

Vindictus zuckte mit den Schultern. „Und er wird wissen, wie er es verhindern kann. Du könntest generell noch was von ihm lernen, immerhin ist er viel älter und erfahrener als du. Wusstest du, dass seine Mutter die üble Itrikaria war?“ Das festzustellen, hatte Vindictus nur einen kurzen Blick in ein Buch über Dunkle Magier gekostet. Dunkel im Sinne von böse.

Der Name schien Fire ein Begriff zu sein, immerhin handelte es sich um eine bekannte Feuermagierin. „Die? Diiiieee?! Ich dachte, all ihre Blagn wärn tot! Sie hat ihr‘n eignen Macker abgemurkst, lauter Verwandte und so auch! Die war echt irre!“

„Ähm, ja. Das hörte ich.“ Oha, anscheinend war da mehr als nur eine Erwähnung im Unterricht. Aber Fire entstammte einem Hexenzirkel des Feuers, das vergaß Vindictus manchmal. Klar, dass er alles über böse Feuermagierinnen wusste.

Der Junge bekam einen ganz abwesenden Gesichtsausdruck, während er sich an etwas zu erinnern schien, das er mal gelernt hatte. „Die Tussi is dann von‘nem Mitglied der eignen Familie erledigt wordn un den hat dann wer geschnappt, glaube der größte Magierfutzi von damals, war das nich Sage mit seina Frau?“

„Du bist gut informiert, wenn nur alle Schüler so fleißig wären...“ nickte Vindictus. „Weißt du noch, was mit demjenigen passierte, der Itrikaria ausgebr... ausgeschaltet hat?“

Fire wurde etwas ruhiger. Stirnrunzelnd überlegte er. „Ich dacht‘ jetz, der wär verbrannt wordn. Is ja nich so als ging das mit Feuermagiern nich. Aber bin nich sicha... Weißte, das ham mir die Hexn von Mudders Truppe erzählt, die irrn sich vielleicht.“

„Solche Gerüchte verbreiten sich ja schnell,“ meinte Vindictus schulterzuckend. „Muss nur einer gesagt haben, dass sie ihn vielleicht hinrichten, der nächste hört nicht richtig zu und erzählt weiter, dass es eine Hinrichtung gab.“

„Also das is der Typ...“ schloss Fire und deutete mit dem Daumen über seine Schulter, in die ungefähre Richtung, wo sich grob geschätzt der Strand befand. „Itrikarias Sohn.“

Vindictus konnte quasi zusehen, wie die Information in Fires Verstand verarbeitet wurde.

Plötzlich bekam der Junge ganz große Augen. „Den hamse Vadder ausbrenn‘ lassn? Sin‘die übageschnappt? Wieso isser überhaupt im Zirkel, weiß das da keina?“

„Beruhige dich,“ beschwor Vindictus ihn, da er befürchtete, Fire würde gleich nach draußen rennen und Thaumator erwürgen, oder das zumindest versuchen. „Es ist nicht meine Aufgabe, ihn in Schutz zu nehmen, aber zumindest rate ich dir, ihm eine Chance zu geben. Auch dein Vater hat eine bekommen, nicht wahr?“

„Das... is ganz andas!“ fauchte Fire. „Vadder hat versucht... ich meine... er war nich so grausam, hat keine Leute abgeschlachtet... nich absichtlich... Außadem hat seine Schrecknsherrschaft nur kurz gedauat! Nichmal richtich angefangn!“

Fires Sprachmacke schien schlimmer zu werden, stellte Vindictus fest. Lag vielleicht daran, dass der Junge sich aufregte. Er seufzte. „Ich habe Thaumator nicht gefragt, habe aber Grund zu der Annahme, dass er damals in irgendeiner Form bestraft wurde. Auf jeden Fall hat er auf seine ganz eigene Art Buße getan... und jetzt ist er in einer Vereinigung, deren Mitglieder vermutlich keine Probleme damit haben, ihren Schülern krasses Zeug beizubringen, um es mal in deiner Sprache auszudrücken. Versuch es einfach, du musst ihn ja nicht mögen, nur respektieren, wenn er dein Lehrmeister sein soll.“

„Ich denk drüber nach,“ lenkte der Feuermagier ein.

„Gut, kann ich sonst noch etwas für dich tun?“ fragte Vindictus.

„Nein... ich wollt nur sichergehn, dassich kein‘n Dauerschadn hab.“

„Um so ausgebrannt zu werden, wie sie es mit deinem Vater gemacht haben, müsstest du gefesselt und mit Bannkreisen gesichert sein, das geht nicht einfach so im Kampf. Zum Glück, möchte ich meinen. Was Thaumator gemacht hat, verbrauchte nur ganz heimlich dein Meras. Das kann fies werden, wenn du in einem ernsten Duell bist und es nicht gleich merkst. Lass dir das eine Lehre sein.“

Falls Fire auffiel, dass Vindictus sich ziemlich gut mit der Materie auskannte, sagte er nichts dazu. Er wirkte nun sehr nachdenklich.

„Vielleicht frag ich‘n echt,“ murmelte der Junge. „Bald habich Familie... Vadder soll sich nich verantwortlich fühln. Ich will‘em nich zur Last falln.“ Er biss sich auf die Lippe.

Machte er sich immer noch Vorwürfe, weil die Rettung seines Lebens durch Rahzihf indirekt zu Soachs Ausbrennung geführt hatte? Darüber musste er aber selber hinwegkommen.

Fire drehte sich um und wollte offenbar gehen, blieb dann aber noch kurz stehen und fragte über die Schulter: „Sag mal... wassis eigentlich dran an deina schwuln Beziehung zu Thaumator? Is das der Grund, dassde‘n mir empfielst?“

„Häh? Wer erzählt das denn rum!“

„Darüba redn alle...“

Vindictus schlug sich die Hand vor die Stirn. „Ich bin wohl mal wieder der Letzte, der davon erfährt, dass ich eine männliche Liebschaft habe. Hervorragend. Nun ja... denk an das, was wir vorhin über Gerüchte sagten...“

Doch Fire ließ sich jetzt nicht mehr so leicht abschütteln. „Aba wie kommt irgendeina auf die Idee? Habter euch zu gut unterhaltn?“

Vindictus rieb sich das Kinn und überlegte. „Hm... es müssen diese beiden Feen gewesen sein... Lilys Eltern. Das passt. Na warte...“ Diese spießigen Leute hatten eine kleine Rache verdient, befand er. In einem sehr theatralischen und ganz klar gespielt dramatischen Tonfall rief er: „Oh, ich frage mich, ob Petunia und Lavender vielleicht Blutfeen sind, so wie die gegen Blutfeen wettern... wer weiß, vielleicht wollen sie so von sich ablenken!“

Fire lachte. „Keine Ahnung, was ne Blutfee is, aber das kriegich schon raus. Ich frag einfach jeden, denich treffe.“

„Mach das,“ nickte Vindictus zufrieden.

Als Fire fort war, kehrte Ujat zurück und setzte sich wieder an den Arbeitstisch, wo die Teebecher standen. Er fügte einen weiteren hinzu. „So, Thaumator soll den jungen Fire unterrichten, damit er bleiben darf. Geht nicht normalerweise der Schüler dorthin, wo der Meister wohnt?“

„In dem Fall wäre das etwas schlecht, denn er ist ja werdender Familienvater und seine Partnerin ist die Schülerin des Schlossherrn hier.“

„Wie hinterhältig von dir, Vater.“

Der Alte musterte seinen Sprössling skeptisch. „Weißt du irgendwas darüber?“

„Dauernd unterstellst du mir, dass ich irgendwas wüsste.“

„Hätte ja sein können. Warum soll ich das nicht ausnutzen?“

„Das Schlossherz kann dich hören, aber ich glaube, derzeit achtet es nicht auf dich.“

Ach herrje, das war Vindictus einen Moment lang entfallen. Nun gut. Falls sonst nichts klappte, würde er einfach Cathy darum bitten und all seinen Charme spielen lassen. Zumindest einen Versuch war es wert.

Der Becher, den Ujat bei seiner Rückkehr mitgebracht hatte und in den er nun Tee goss, trug Fische als Muster. Zumindest nahm Vindictus an, dass es Fische sein sollten. Er fragte nicht, für wen dieser Becher gedacht war, sondern wartete einfach ein bisschen ab.

„Wirst du eigentlich auch von den Amazonen verfolgt, oder bist du ihnen zu alt?“ erkundigte er sich, um das Gespräch in Gang zu halten.

„Ich glaube, sie würden mich eher als reif bezeichnen,“ überlegte Ujat. „Aber nein, es gelang mir, ihnen aus dem Weg zu gehen.“

„Woran das wohl liegt...“ Es gefiel Vindictus, dass sein Sohn seine Kräfte ausnutzte. „Warum hattest du früher solche Bedenken, deine Gabe einzusetzen?“

„Sie war zu unzuverlässig,“ antwortete Ujat ohne zu zögern. „Die typische Hellsehergabe kommt nicht auf Wunsch, dafür aber in unpassenden Momenten, und dann drückt sie sich unverständlich aus... oder, besser gesagt, wir Menschen sind zu beschränkt, um ihre Botschaften zu verstehen. Vielleicht erinnerst du dich, dass ich in meiner Jugend ein paarmal falsch gelegen habe mit meiner Interpretation der Visionen, und da hörte ich auf, sie immer gleich mit allen zu teilen.“

„Ja, das weiß ich noch,“ nickte Vindictus. „Ich dachte daraufhin, dass du als Kind zu viel Fantasie hattest und dann irgendwann aus deinen Geschichten herausgewachsen warst... bis du anfingst, dich in der Schule auf die wahrsagenden Künste zu spezialisieren. Da ergab alles wieder Sinn. Schließlich wusste ich ja, dass deine Mutter hellsehen kann.“

„Ich habe dir nie von dieser einen Sache erzählt...“ begann Ujat. „Damals bei dem Klassenausflug in die Berge. Ich sagte den anderen, dass wir nicht gehen dürften, weil sonst einer meiner Mitschüler, Emryd, abstürzen würde. Natürlich glaubte mir niemand. Es sollte nur ein harmloser Spaziergang werden. Also fing ich eine Schlägerei mit dem Jungen an, und wir mussten beide in der Schule bleiben und uns im Krankenzimmer erholen. Sie unterstellten mir, dass ich Emryd den Ausflug missgönnte und durch meine Geschichten verhindern wollte, dass er mitgeht. Ich fühlte mich missverstanden und ungerecht behandelt, dabei hatte ich sein Leben gerettet.“

„Das weiß ich doch,“ entgegnete Vindictus. „Schließlich wurde ich damals zum Direktor gebeten. Du warst gerade sieben Jahre alt, daher taten sie es zum Glück als Gezänk unter Kindern ab. Ich sagte ihnen, dass deine Mutter hellsehen kann, und dass es durchaus sein konnte, dass du eine Ahnung hattest.“

„Ja, und daraufhin konnte ich mir für die nächsten paar Wochen von allen Lehrern sarkastische Kommentare zu dem Thema anhören.“ Ujat lächelte schief und füllte seinen Teebecher nach, ohne ihn vorher ganz geleert zu haben. „Zu Beginn der Ferien, einige Wochen später, hatte ich eine weitere Vision. Sie war der anderen sehr ähnlich und drehte sich auch um Emryd, aber dieses Mal sagte ich es niemandem. Er kam nicht wieder zur Schule. Ich erfuhr, dass er den verpassten Ausflug zusammen mit ein paar Freunden nachgeholt hatte. Bei einer Mutprobe fiel er von einer Brücke und starb. Zwei seiner Freunde überlebten schwer verletzt. Und ich fragte mich, ob es etwas geändert hätte, wenn ich ihn gewarnt hätte. Oder wenn ich ihn nicht daran gehindert hätte, am Ausflug mit der Klasse teilzunehmen und ihn statt dessen irgendwie anders vor dem Sturz bewahrt hätte.“

„Oh... deshalb hat dich das so mitgenommen. Ich hab das mit dem Unfall eines Schülers damals nur am Rande mitbekommen. Es war das Jahr mit der Sandpockenepedemie in der Feenfestung, und ich war deshalb nicht zu Hause. Etliche Heiler halfen bei den Feen, weil die Krankheit unter ihnen weitestgehend unbekannt war.“

„Ich entsinne mich. Da hattest du noch diesen wunderlichen Lehrmeister.“

„Genau. Jedenfalls ist dir hoffentlich inzwischen klar, dass der Junge nicht deine Verantwortung war. Wenn du keine Vision gehabt hättest, wäre er abgestürzt und fertig. So lebte er noch etwas länger.“

„Ich kann damit leben,“ versicherte Ujat. „Schließlich war das nicht der einzige Fall, bei dem ich mich fragte, ob ich mehr hätte tun sollen, und es gab jene, wo ich dachte, zu viel getan zu haben. Zum Beispiel dieser arme alte Wanderer, dem ich half, ein Vermögen beim Wetten zu gewinnen. Er wurde später wegen eben jenes Vermögens von Banditen überfallen und fast umgebracht. Ich kam zu spät, um das zu verhindern. Dies ist das Schicksal von Leuten wie mir... deshalb beschloss ich eines Tages, nicht mehr auf meine Ahnungen zu hören. Ich befragte Teesätze und Kristallkugeln, um mir Gewissheit zu verschaffen.“

„Aber du hattest die Ahnungen,“ unterstellte ihm Vindictus.

Ujat nickte langsam. „Ja... aber ich machte zu oft die Erfahrung, dass sie mehr Probleme bringen als lösen, und dass manchmal etwas Schlimmes gerade erst geschieht, weil ich versuchte, es zu verhindern. Vielleicht sagt die Gabe manchen von uns die Zukunft, damit wir besser darauf vorbereitet sind, nicht, damit wir sie ändern.“

„Hm, du hast früher selten über die Schule geredet. Wie lustig, dass du es jetzt tust,“ kicherte Vindictus. „Übrigens... wird der Tee nicht kalt?“ Er meinte den dritten Becher. In der Kanne blieb er länger warm.

„Das ist kein Problem,“ versicherte Ujat. Er nahm den Becher und hielt ihn einem Neuankömmling hin.

Vindictus fuhr herum, er hatte gar niemanden bemerkt. „Oh... Ihr seid es.“

„Hallo,“ sagte Thaumator. „Entschuldigt, dass ich mich so angeschlichen habe, aber ich wollte niemanden stören. Es hätte ja sein können, dass ihr hier schlaft. Ich habe Euch erst draußen gesucht...“ Er nahm den Tee entgegen.

„Das ist Ujat, mein Sohn – Thaumator vom Zirkel,“ stellte Vindictus die beiden vor.

Ujat und Thaumator nickten einander zu.

Der Feuermagier schien zu dem Schluss zu kommen, dass er offen reden konnte. „Ich fürchte, mein Verbleib hier ist sehr fragwürdig. Ich geriet in ein kleines Duell mit dem jungen Fire.“

„Ja, ich hörte schon davon.“

„Soach war nicht erfreut darüber, dass ich seinem Sohn eine Lektion mit dem Kontaktbrenner verpasst habe. Vermutlich hat er mich nur deshalb nicht direkt rausgeworfen, weil er mich und meine Kollegen erst wenige Stunden vorher gefragt hat, ob wir noch etwas bleiben wollen.“

Das überraschte Vindictus. „Wirklich?“

Thamator drehte den Becher in seiner Hand hin und her. Der Inhalt dampfte wieder. „Ja. Ich dachte, Ihr hättet da was organisiert, aber Ihr scheint davon auch nichts zu wissen. Wie auch immer... als ich hierher kam, um Euch einen Lagebericht zu geben, begegnete ich noch einmal Fire. Stellt Euch vor... er verlangte, mein Schüler zu werden.“

Der Plan funktionierte ja besser als erwartet! „Ihr habt hoffentlich zugestimmt.“

„Natürlich nicht! Wo kämen wir denn da hin, wenn ich so mit mir umspringen ließe. Er regte sich ziemlich auf, also sagte ich ihm, wenn er es ernst meinte, solle er morgen erstmal mit zum Training kommen. Ich legte eine ziemlich frühe Zeit fest, bei Anbruch der Dämmerung. Bin gespannt, ob er das schafft.“

Vindictus rieb sich berechnend das Kinn. Noch war nicht alles verloren. „Nun... dann werde ich auch da sein. Das will ich mir ansehen. Wollt Ihr wieder schwimmen gehen?“

Thaumator verzog das Gesicht. „Nun ja... eigentlich dachte ich unter diesen Umständen eher an einen kleinen Lauf. Schafft Ihr das?“

„Das wird schwierig,“ gab Vindictus zu. „Ich hab kurze Beine und kann deshalb schlecht mithalten.“

Thaumator prustete in seinen Tee. „Irgendwie ist das nicht der Grund, den ich erwartet habe!“

„Nein? Seltsam. Allerdings könntet Ihr den Burschen ärgern, wenn Ihr schwimmen geht. Er mag das nicht besonders.“

„Vater, bleib morgen früh lieber hier und ruh dich aus, du hast ja noch eine lange Nacht vor dir,“ mischte sich Ujat plötzlich ein.

Vindictus warf ihm einen Blick zu. „Du hast Recht, Junge...“ lenkte er ein. Wer war er denn, dass er jemandem widersprach, der die Zukunft sah?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  jyorie
2016-07-04T04:38:27+00:00 04.07.2016 06:38
Hey ツ

ah, das meintest du, das Fire recht impulsiv sein kann. Eigentlich war es schon lustig, wie sich die beiden da gekabbelt haben und die Erklärung, warum Fire nicht gewarnt wurde ist sehr einleuchtend, man sollte sich eben vorher überlegen, was man alles fängt und aufnimmt. Obwohl ich doch schon erstaunt war, was er alles absorbieren kann. Sehr lustig fand ich dafür die Szene später als Thaumator den Hergang wieder gibt und sich über Fires Verhalten wundert, das er erst diesen Wettstreit macht und dann angekrochen kommt und ihn bittet, das er sein Lehrer wird, nachdem Fire sichtlich im Stolz gekränkt wurde. Muss sehr verwunderlich sein, so ein Gesinnungswandel und Vindictus lacht sich ins Fäustchen.

Ujats Interpretation von allem fand ich auch total interessant, das er glaubt das alles was passiert ist, schon seit Chrimsons Schulzeit und dem Urteil mit Vindictus zu einem kompletten Ganzen gehört. Mir hat aber auch gefallen, wie er mit seinem Vater über die alten Zeiten redet und darüber wie er gelernt hat mit seinen Visionen klar zu kommen, bzw. was er damit tun sollte.

Freu mich schon auf den Unterricht von Thaumator und Fire, gerade nach dem Tipp das ein Schwimmtraining nicht gut ankommen könnte. Und nach dem ganzen Sinnieren über Vorahnungen, bin ich ebenfalls gespannt, ob etwas passiert, bei dieser ersten Stunde der beiden, weshalb Vindictus lieber nicht dabei sein sollte.

CuCu Ƹ̵̡Ӝ̵̨̄Ʒ Jyorie

Antwort von:  Purple_Moon
04.07.2016 12:14
Hallo!

Zweiter Versuch, argh! Irgendeinen falschen Knopf gedrückt oder so, weg war die Antwort! Gibt es nicht irgendwo Sicherungen für sowas? *nicht find*

Ich hab mich gefragt, ob Ujats Erzählungen nicht zu viel sind, weil dann das Kapitel so lang war. Aber war mir auch zu schade zum Löschen. *lach*

Fire wurde gewarnt - von Thaumator selbst, aber er hat nicht auf ihn gehört. *g* Er riet Fire, den neuesten Angriff nicht abzufangen.
Fire übernimmt die Kontrolle über die Zauber anderer Feuermagier. Es ist nicht direkt Absorbieren, was er tut. Auf diese Weise spart er etwas Energie, die er brauchen würde, um einen großen Zauber zu erschaffen. Sehr ärgerlich für den Gegner, weil alles auf ihn zurückkommen kann...
Wenn es zum Unterricht mit den beiden kommt, werde ich Gelegenheit haben, das alles mal genauer zu erläutern. Das macht auch mal Spaß. :)
Wir haben ja in #2 schonmal mitbekommen, dass Fire nicht so gerne schwimmt. Allerdings will Thau mit Fire lieber laufen, weil er selbst nicht jedem seine Narben zeigen will.

Die nächste Episode ist schon bei etwa 3000 Wörtern und irgendwie seltsam... ich bin selber verwirrt, vermutlich hat Ujat das schon geahnt. ^^° Kommt im Laufe der Woche.

Liebe Grüße
Anja



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