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Die Zauberin und das nostrische Komplott

Die Abenteuer der Zauberin Freya, zweite Staffel
von

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Freya in: (8) Im Dunkelwald

Freya

Zwischen den Jahren, das weißt du, liegen die Namenlosen Tage – jene Zeit, die nach dem Glauben der Zwölfen von dem dunklen Gegengott an der schwächsten Stelle zwischen Leidenschaft und Pflicht in das Jahr gepresst wurden – und du bist gut vorbereitet. Du sitzt in deinem Herbergszimmer, befühlst deine neue Tracht und versuchst, die Geräusche aus dem Nebenraum zu ignorieren, ohne dabei allzu lautstark zu bereuen, dass du es warst, die Corsaia direkt neben sich unterbrachte. Du magst deine neue Rüstung, du musst sie auch mögen. Sie entstand aus der Verzweiflung heraus, die sich nach deinem Geburtstag deiner bemächtigte, als du nämlich entschiedest, noch bis zum Fest der Dämonenschlacht hier zu verweilen, Lilim sich aber mit Corsaia die Zeit vertrieb und Brig-Lo nicht mehr hergab als schon die Monate zuvor. Du wandtest dich an Marcin, doch da du ihm nicht dein Leid klagen konntest, sprachest du von deiner Rüstung, diesem schlichten wattierten Waffenrock mit Schweineborstenfütterung, getrockneten Flecken und notdürftigen Flicken, der mit deiner Robe zum warm war, besonders jetzt in der drückenden namenlosen Hitze, und noch mit deinem Rucksack verbunden zur Katastrophe wurde und der einstige Magier nickte, denn er kennt Elfen in Brig-Lo und Punin und wenn du bereit wärst, mehr zu bezahlen, dann würdest du sehr glücklich werden. Du blicktest für einen Moment in dein Herz, fühltest die Verzweiflung, dachtest an deinen Tsatag und entschlossest, dass du es dir wert wärst. Das Geld hattest du nun wirklich, schon weil du eine Reihe von Tränken verkauftest, und was dich schützt, das macht dich stark.

Du wirst glücklich. Du wartest zwei Wochen, verbringst einen Nachmittag mit einem Halbelfen aus Punin (der den Titel „Meister“ anstatt der einfachen Berufsbezeichnung eines Schneiders bevorzugt) und bezahlst eine Summe, für die du in Teshkal ein Pferd bekommen könntest, doch als die Lieferung eintrifft, da fallen etwa die Hälfte der nagenden Zweifel von dir ab; er leistete wirklich gute Arbeit. Als du jetzt in deinem Zimmer sitzt, probierst du wieder einmal die Rüstung an – ein kleiner Verstoß gegen dein Versprechen dir selbst gegenüber, sie erst im neuen Jahr zu tragen – und fragst dich, wie du darin wohl aussiehst: Zunächst der Gambeson, ein gepolsterter Stoffpanzer, der nun gleich einem Amazonenpanzer die Arme und Schultern freilässt und auch am Rücken weniger aufträgt, dann die ebenso schulterfreie Robe, in Wahrheit ein auch rückenfreies Kleid mit der Möglichkeit, direkt an den Panzer angegürtet zu werden, dann die Jacke, in deren Ärmel die Polsterstücke eingewebt wurden, die der Rüstung sonst fehlten und zuletzt den Rucksack mit dem verstärkten Rückenpolster – so teilte sich ein sperriges Objekt auf und lässt dir die freie Wahl, wo du Luft und wo du Schutz haben willst, eine kluge Lösung. Eine Kappe mit eher symbolischem Wert vervollständigt die Kombination und wird dich nicht vor wirklichen Gefahren, wohl aber vor Unfällen schützen, wobei ein Spalt am Hinterkopf deine Haare entweichen lässt. Ein Meister dachte mit, bemerkst du, ehe du in der Betrachtung des Materials versinkst, echter elfischer Bausch in wechselnden Farben und verschiedenen Formen, streichelnd weich an der Kutte, robust und zäh bei der Jacke, sanft wechselnd von dem Rotbraun des Herbstlaubes an Kappe und Kragen bis zum Grün der Jacke, bläulich an der Kutte und nahe dem Boden braun werdend, doch allesamt ausgebleicht, um wenigstens den guten Willen gegenüber dem Codex Albyricus anzudeuten – für ein Großteil des Landes wird dieses Reisegewand ausreichen, denkst du dir, und in die Stadt des Lichts wolltest du ohnehin nicht. Ja, denkst du dir, du bist bereit, für ein neues Jahr und auch für namenlose Tage. Weg mit dem neuen Gewand, dessen Zeit wird noch kommen.
 

In der Nacht schläfst du friedlich. Ein Sturm zieht auf, doch du hältst die Herde sicher.
 

Es klopft. Du wachst auf und sprichst kurz mit der Wirtin des Selindian Hal, in dem du seit Monaten haust. Sie spricht noch einmal die Warnung aus, die du auch schon vor Tagen erhieltst: Heute drehen die Novadis durch, also solltest du besser im Haus bleiben. Du befolgst den Rat, tanzt mit Mada, gehst noch einmal deine Ausrüstung durch und fragst dich, wie du diesen Rucksack noch etwas leichter bekommen könntest… und verdammt, warum musstest du diesen angeblich glücklich vergebenen Krieger auch neben dir unterbringen?
 

Der Blitz schlägt ein und richtet Verwüstung in der Herde an. Du riechst verbranntes Fleisch und eine Stimme lacht. Eine Gestalt steht auf dem Felsen, den Magierstab drohend errichtet, und sie sieht kein Land und keine Schafe, sondern ganz allein dich.
 

Die Hitze ist wirklich drückend. Hast du genügend Wasservorräte? Du kauftest ja noch auf dem Wochenmarkt ein, doch da dies alle taten, kletterten die Preise. Du hieltest dich zurück. Ach, warum besitzt Lilim nur immer noch dein Buch, du könntest die Zeit doch ebenso gut noch mit Ritualplanungen verbringen.
 

Sein Blick durchsticht dich und du fühlst dich nackt. Wie kannst du entkommen? Das ist kein Pelz, unter dem du schwitzt, sondern deine Bettdecke. Du sortierst dich noch, als du die Gestalt in der Tür wahrnimmst, Lilim mit einer Kerze: „Deine Schreie machen mir Angst, kleine Rahja.“, sagt sie, „Komme doch zu uns. Cor meint, er wird auch mit uns beiden fertig.“ Du sprichst Verwünschungen und drehst dich weg, ohne ihren weiteren Worten zu lauschen. Dir war nie bewusst, wie sehr du diesen Krieger hasst.
 

Wie zum Güldenen kamen Ratten hier herein? Sie nagen an deinen Vorräten und stören sich nicht einmal daran, dass du erwachst. Du schnappst nach deinem Magierstab und schlägst auf sie ein, weil du es nicht wagst, zu zaubern. Das vertreibt sie.

Sie müssen über Nacht erschienen sein und fielen über alles her, was nur ansatzweise nahrhaft wirkte, selbst deine Bettdecke weist Bissspuren auf. Den Rest des Tages verbringst du mit Nadel und Faden, um von deiner Garderobe zu retten, was noch zu retten ist, zumindest ließen sie aber dein neues Gewand in Ruhe.
 

Der Magier zieht ein Buch und liest darin, auch wenn er dadurch den Blick von dir nimmt, fühlst du dich noch nackter: Er liest nämlich dein Reisebuch. Besonders das Bild von dir vorne im Einband scheint es ihm anzutun.
 

Lilim schenkte dir zum Tsatag ein Satz Boltankarten, die sie wie sie sagte einmal einer Zahori abkaufte. Du legst dir Patiencen. Sechs Fürsten, zwölf Zauberer, zwölf Krieger, dazu siebenmal sechs Elemente… der klassische profane Inrah-Satz, abgegriffen und noch mit handgezeichneten Bildern geschmückt. Bei deinem ersten Durchblättern bliebst du bei dem Magier des Feuers hängen… das könntest du sein, und tatsächlich, das Bild zeigt eine Frau mit langen, flammend roten Haaren.
 

Du blätterst weiter. Der Magier des Eises, ein Mann in fellverbrämter Kutte mit langen Haaren, einem entschlossenen Blick und drohend erhobenem Stab, blickt zurück und lacht. „Ich bin hier“, sagt er, „und was immer du auch tust, du kannst dich meinem Griff nicht entziehen.“
 

Bist du wirklich einfach so eingenickt? Das ist durchaus möglich, denn du erhieltest nicht viel Schlaf. Drüben ist es still, dafür entlädt sich draußen tosend und stürmend ein Sommergewitter; du könntest also nicht raus, selbst wenn die Welt dort draußen in Ordnung wäre. Du seufzt. Du brauchst dringend eine Beschäftigung für Gewitter- und Erholungstage, doch es muss eine sein, die weder Magie noch gefährliche Gegenstände beinhaltet. Du könntest doch Stricken lernen, das wäre doch ein guter Vorsatz für das neue Jahr.
 

Der Sturm legt sich, auch der Eismagier verschwand. Du blickst noch einmal auf den Felsen und bringst dann wieder deine Herde zusammen. Die Gefahr wurde ausgestanden, im Boron kann unbeschadet geschlachtet werden.
 

Es ist soweit. Endlich kannst du aus deiner Truhe das teure Gewand herausnehmen und es langsam, fast zeremoniell anlegen. Eine nach unten verschobene Rüstung, eine dies überdeckende Kutte, eine Jacke mit starken Ärmeln, eine Kappe und ein noch ungefüllter Rucksack, als Gewand eine Einheit, als Kunstwerk sicher eine Pracht. Ein einfaches Seil soll nun gürten, deine Stiefel es vollenden… beides noch aus Andergast, also bist du nur fast neu. Es klopft und du öffnest der Wirtin. „Frau Freya, haben Sie die Tage gut überstanden?“ Du nickst. „Unten im Saal wartet eine Botin auf Sie. Sie möchte sie sprechen.“ Natürlich. Knarrende Stufen führen dich nach unten, auf den letzten Schritten bist du allein. Du öffnest die Tür und sie wartet: Glänzendes schwarzes Haar in ganz ebenmäßigem Schnitt, feine, fremde Gesichtszüge, unergründliche Augen und schwarz gewandet wie in einer Ordenstracht; halb auf dem Tisch sitzend, doch nun sich erhebend. Deine schon auf der Zunge liegende Grußformel entgleitet dir, fast wie jede Kontrolle, als ihre Augen dich erfassen, und du kannst nur stammeln: „Mineda“.
 

Freya

Mineda bedeutet Ärger, das weißt du genau. Sie ist eine Attentäterin der Hand Borons, eine der gefährlichsten Meuchlerinnen der Welt und eine Mörderin, und du bist eine Kampfmagierin – hier steht eine Amateurin einem Profi gegenüber, doch da du sie siehst, denkst du dir, kann es nicht so schlimm sein. Du glaubst es dir nicht wirklich, denn auch ‚nicht so schlimm’ kann schlimm bedeuten.

Sie sagt nichts, also schließt du hinter dir die Tür und trittst an sie heran. „Warum bist du hier?“, fragst du in die gewonnene Zweisamkeit. Lasse dir deine Angst nicht anmerken, zeige deine Stärke – du bist nicht hilflos, wirklich nicht. „Ich bin bereit, zu sprechen“, sagt sie, „doch nicht zu erzählen. Du siehst furchtbar aus. Lass mich dich baden, wie ich es früher einmal tat.“ Mineda gehörte zu der Verschwörung, die du vor Jahren in Andergast aufdecktest. Bei eurer letzten Begegnung rettetest du ihr das Leben – doch was bedeutet das für sie?

Deine Starre nimmt dir die Entscheidung. Sie nimmt dir deinen Stab aus der Hand, ohne dass du Widerstand leistest, du gehst Jacke und Panzer verlustig... und du kannst dich immer noch nicht entscheiden, ob sie als Freund oder Feind hier ist. Der Waschzuber, den du kennst, scheint zumindest ihr Angebot zu bestätigen. „Ich brachte dir Wasser aus der Andra mit. Du darfst dich ganz wie zuhause fühlen.“ Eine kleine Phiole klarer Flüssigkeit entleert sich in einen großen Bottich. Du bist nackt. Ihre Hände geleiten dich.

„Möchtest du reden?“ – „Was? Worüber?“ – „Worüber du möchtest. Verrate deine Freunde, wimmere, drohe, wonach dir ist.“ Ein Schwamm wird ins Wasser getaucht und fährt über deinen Rücken. Du fühlst nicht nur Weiches, sondern auch etwas Hartes, Kaltes. „Tötest du mich dann nicht?“ Die Frage ist so lächerlich, dass sie sie gar nicht beachtet. Minedas Finger erinnern dich an Lilims, sie war schon immer eine ausgezeichnete Dienerin.

Das Schweigen brennt. „Wie ist es eigentlich…“, beginnst du, doch stoppst. Sie wollte nichts erzählen, also frage sie nicht nach deiner Heimat. Frage sie auch nicht nach Al’Anfa. „… auf Maraskan? Ist es eine Reise wert?“ Ja, du bist eine Avesjüngerin. Das ist unverfänglich. Du hörst an ihrer Stimme, wie sie milde lächelt. „Allemal, denke ich. Es ist eine Heimat, die ich nie kennen gelernt habe, doch ich spitze die Ohren, wann immer ich Neues höre, und freue mich ganz besonders über Sinoda.“ – „Ja, das kenne ich.“ Schweige lieber, ehe du auf Andergast kommst. „So viele Orte, an denen mein Herz hängt, und ich kann mich nicht entscheiden, ob Brig-Lo nun dazugehört. Warst du schon einmal hier?“ Gerettet. „Ein Pilgerziel und eine kleine Siedlung inmitten von Gräbern, ein Borontempel im Zentrum, sonst wenig Belang. Garnison und Baronin stehen nicht unbedingt auf einer Seite, vier Gaststätten, darunter zwei Orte, in denen man übernachten kann… nein, ich war hier noch nie.“ Warum zählt sie es auf? Natürlich, klar, sie lässt dich wissen, dass sie echt ist… und erst jetzt fällt dir ein, dass du das nicht als gegeben hättest nehmen sollen. „Kennst du denn einen Ort, den ich unbedingt einmal bereisen müsste?“ Sie drückt plötzlich keinen Kopf herab und du schreist auf, ehe du merkst, dass sie nur deine Haare ins Wasser taucht. „Ja“, flüstert sie noch und schweigt dann.

Du hörst das Wasser, sein stetiges Geräusch ist alles, woran du dich klammern kannst. Du suchst jede ihrer Bewegungen zu verstehen und verkrampfst bei jeder ihrer Berührungen, was, da bist du sicher, Mineda nicht verborgen bleibt. Du blickst sie an und ihr Gesicht ist eine Maske; sie lässt dich nicht wissen, ob sie mit dir zufrieden ist oder nicht. „Was denkst du gerade?“, schießt es aus dir heraus, ehe du überlegen kannst und schämst dich sofort dafür. Sie antwortet dir nicht. „Ich jedenfalls denke und hoffe…“ – „Ich weiß“, fällt sie dir ins Wort. Was wie ein Ansatz für dich klingt, erweist sich aber als endgültig, denn ihr Schweigen wagst du erst einmal nicht zu brechen.

„Erhebe dich und siehe mich an“, sagt sie schließlich. „Ich bin deinetwegen hier. Ich habe hier zwei Nachrichten für dich. Wähle eine.“ Aus den Untiefen ihres Gewandes muss sie, als du nicht hinsahst, zwei versiegelte Pergamentrollen herausgeholt haben, die sie dir nun anbietet. Du stehst nackt in der Wanne und erschrickst vor ihrem Blick. „Was enthalten sie?“ – „Wähle.“ Sie hält nicht den Abstand, den du wünschst und ist dir in ihren schwarzen, einer Ordenstracht gleichenden Gewändern viel zu nahe. Du zögerst. „Und wenn…?“, beginnst du, ohne weiter zu sprechen, da sie dich auch so versteht, was sie dir genauso unbewegt wie zuvor beantwortet: „Du kannst auch beide nehmen oder keine. Ich werde nicht erzählen.“ Klar, sie fällt ihre Entscheidungen nach deinen, doch sie teilt sie dir nicht mit. Was bleibt dir übrig? Du nimmst den linken, die unwahrscheinlichere Möglichkeit, doch ehe du hereinblicken kannst, nickt sie. „Auf Wiedersehen, Firlina. Mögen sich unsere Wege noch vor Rethon kreuzen.“ Sie geht und du blickst ihr nach; ein kluger Zug, fährt es dir durch den Kopf, denn nackt kannst du sie schwer verfolgen.

„Wer war sie?“ Eine Stimme erspart es dir, zwischen Pergament und Kleidung eine Entscheidung zu treffen, und du wendest dich um: Corsaia steht mit gespanntem Kurzbogen in einer Ecke, den Pfeil noch auf die Stelle gerichtet, an der Mineda so eben verschwand. Er lacht, als du erschrickst. „Willst du mich ins Grab bringen?“ – „Im Gegenteil, Fräulein, im Gegenteil – ich hätte dich gerettet, wenn dir wirklich Böses drohte. Wer war sie? Du hattest Angst vor ihr.“ – „Mineda. Ein… Dämon aus früherer Zeit. Ich frage mich, was sie wohl wollte.“ – „Dann sehe nach, was sie dir mitteilte.“

Du öffnest den Verschluss der Dose und wirst kreidebleich, als dir etwas entgegen schießt: Es ist ein dünnes Lederband, am unteren Ende ein Anhänger, und dessen Gestalt gleicht der einer kleinen schwarzen Hand.
 

Freya

Du schreist – aus Hilflosigkeit, aus Schmerz, aus Ohnmacht. Du lässt das Pergament sinken und antwortest auf Corsaias stumm fragenden Blick: „Das ist ein Brief von meiner Mutter. Sie bittet mich, ein Erbe für sie aus Nostria abzuholen. Dieses Monster, diese Wahnsinnige, wie kann sie nur…“

Corsaia legt dir eine Decke um die Schultern. „Es ist ja wirklich genug, wenn sie hier einfach auftaucht und mich bedroht, aber kann die nicht meine Mutter da raushalten? Wenn sie ihr nur ein Haar krümmt, dann bringe ich sie eigenhändig um, das ist versprochen.“ Deine Wut lässt Corsaia unbewegt. „Ich ersäufe sie eigenhändig in der Ingval. Ich…“ – „Was wirst du tun?“

Du seufzt und zuckst mit den Schultern: „Was kann ich tun? Ich gehe nach Nostria und hoffe, dass Mineda sich dann mit mir zufrieden gibt.“ – „Und deine Mutter?“ – „Verbleibt in Andergast. Mehr als beten kann ich nicht… Moment, richtig. Kannst du mir helfen?“ Er gab dir diese Weile, denn er wollte, dass du es aussprichst. „Ich kann, mein Fräulein, und ich täte es gerne, doch ich habe meinen Preis. Bist du gewillt, fürs Nehmen auch zu geben?“ – „Ja, klar. Wie viel…?“ – „Doch nicht so. Ich mache mir nichts aus Geld. Ich brauche es nicht und wenn ich es brauche, nehme ich es mir.“ – „Nein“, sagst du und ziehst die Decke fester um dich. Dazu wärst du wirklich nicht bereit… obwohl… was wäre ein Opfer vor Rahja gegen das Leben deiner Mutter? Du magst sie doch, trotz allem, oder? Ja, ich bin mir sicher.

Corsaia lächelt, ehe du etwas sagen kannst, und du fürchtest, er könnte dich durchschaut haben: „Also bitte, wie könnte ich das verlangen, ich bin vergeben und treu. Nein, ich meine ein Objekt, eine Tat, eine Hilfe… jetzt oder später. Wärst du dazu bereit?“ Du nickst. „Madhlen Idra y’Arthuro, eine Albernierin in den Dreißigern mit roten Haaren, zu finden in Andergast-Stadt. Bitte hole sie da raus und bringe sie wohin, wo es sicher ist.“ – „Dela, nahe Havena. Dort wartet Takea, meine große Liebe, in einer kleinen Hütte. Dort treffen wir uns wieder, wenn wir zurück sind. Und, Freya.“ – „Ja?“ – „Solltest du vor mir erscheinen, sage ihr bitte, dass es mir gut geht. Wir sahen uns das letzte Mal, ehe Rolat uns trennte.“ Du nickst. Was sollst du sagen? Du sitzt leider jetzt in seinem Boot.

Erkennt er deinen inneren Zwist? Wahrscheinlich nicht. „Und was ist, wenn ich auf Mineda treffe? Soll ich sie auch gleich ausschalten?“ Die Frage gefällt dir irgendwie nicht. „Weiß nicht“, sagst du ehrlich, „musst du wissen.“ – „Über ein bisschen Training würde ich mich freuen. Übrigens, du schuldest mir ja auch noch einen versprochenen…“ – „Nicht jetzt, Corsaia.“ – „Schade.“

„Was geht denn hier vor?“ Ihr wendet euch beide um und seht Lilim in der Tür stehen. Corsaia fühlt sich nicht ertappt. „Wir planen. Freya wurde gerade von einer Attentäterin heimgesucht.“ – „Ach, diesmal von keinem Magier?“ – „Nein… oder?“ Blicke ruhen auf dir. Du schüttelst den Kopf. „Schade. Da bleibt wirklich kein Spaß für mich.“ – „Aber Cor, konntest du sie denn abwehren?“ – „Allerdings. Ich stand so mit meinem Bogen, sie vollends im Visier und hatte den Pfeil gespannt. Sie konnte gar nicht…“ – „Ach…“

Du entfernst dich langsam aus dem Mittelpunkt und kleidest dich an, ohne die Freude an deinem sündhaft teuren neuen elfischen Reisemagiergewand wieder zu finden. Du brauchst Zeit, um alles zu verkraften. Es geschah einfach zuviel.

„Bist du denn beim Jahrestag noch da?“ – „Wie könnte ich nicht? Ich gab einer wundervollen Dame mein Versprechen und es gilt. Freyas Mission kann ruhig bis Rondra warten.“ Alte, doch treue und zuverlässige Stiefel. Dreckskerl. „Bist du eigentlich auch ein Turnierkämpfer? Ich würde dich so gerne hoch zu Ross erblicken.“ – „Das ist mir zu profan. Ich kämpfe nur in Regeln, wenn mir wirklich langweilig ist, und dann…“ Immerhin weißt du jetzt Bescheid. Du musst auf Corsaia warten. Plane dein Eintreffen in Nostria so, dass Mineda sich entscheiden muss und einer von euch in Sicherheit reisen kann. Du kannst noch im Praios in Nostria sein, doch damit ist sicher, dass das nicht eintritt. Treue Stiefel. „Rahjalein, was bist du eigentlich noch hier? Ich habe gehört, du wärst schon aufgebrochen?“ Lilim reißt dich aus deinen Gedanken: „Ich werde bald aufbrechen, doch… Moment, woher?“ – „Deine Dienerin teilte es mir mit, sie sagte, dich zögen dringende Familiengeschäfte. Ich gab ihr dein Buch mit.“ – „Was?“ – „Ich weiß ja nicht, wann du zurückkommst und ob ich dann noch da bin.“

Autsch, Mineda, das tat weh. Damit weiß dein Feind alles über deine Magie, deine Rituale und… was hast du noch herein geschrieben? Nichts Persönliches, oder? Ein Bild im Einband… beschämend, aber nicht vernichtend. Du erschrickst vor dem klugen Zug. Wie lange musste dich die Attentäterin vorher beobachtet haben?

„Ist gut, Lilim“, sagst du, weil dir alles reicht, „Ich breche heute noch auf. Feiert schön das neue Jahr, auf mich wartet die Pflicht in Nostria.“
 

Der Weg führt dich wieder auf den Yaquirstieg und nach so langer Zeit musst du dich erst wieder daran gewöhnen, über Stunden hinweg einen schweren Rucksack zu haben. Du planst mit Übernachtungen in den Raststationen, mistetest noch in Brig-Lo deine Taschen aus… und bist trotzdem schnell erschöpft. Am ersten Tag erreichst du wenig, weil du erst viel zu spät loskamst, der zweite fällt schwer, der dritte ebenso, dass du am vierten rastest und deinen Beinen eine Pause gönnst, während dein Kopf arbeitet und Pergament die fehlenden Seiten ersetzt. Dabei bemerkst du deinen Fehler, wanderst den fünften Tag und schlägst dich am sechsten bei leichtem Regen in die Büsche, denn heute ist Tag der Mada, der erste Erdtag im Praios und – wenn man durch die Wolken blicken könnte – Vollmond, heute möchtest du dich endlich dem Stein, seinen Ladungen und dem Pergament widmen, auf dem steht, was passieren sollte. Du findest einen kleinen Bach, der zum Yaquir führt, traust dich lange Zeit nicht, ihn zu überqueren, doch als du dir endlich ein Herz fasst, überschätzt du die Furt, gleitest aus und wirst mitgerissen. Hilflos strampelst du im Wasser, ehe du endlich zum Stehen kommst und du schnell mit durchnässten Stiefeln und intakter Garderobe am Ufer stehst. Immerhin, denkst du dir, die neue Rüstung hat ihren ersten Belastungstest bestanden.

Die Stiefel fühlen sich furchtbar an, und weil es deine Füße nicht gleich wieder hineinzieht, denkst du dir, dass du genauso gut jetzt zaubern kannst. Du wartest also auf die nächste regenarme Weile, breitest deine neue Decke auf dem nassen Stein aus, verfluchst ausgiebig deine beim Wassergang unlesbar gewordenen Notizen, kramst nach Stein, greifst nach Stab und beginnst: Stein in die Hand nehmen, kreisen lassen, Worte sprechen und hoffen, dass die Aussprache keine Rolle spielt: „Lethum Tjorcanis“, Rattenkopf über Holzkugel am Stabende halten und… Kraft, verdammt noch mal, rein mit dir da, halte auf, Stab, nimmt die jetzt, nicht wieder abgeben, verdammt, Glypthe, du sollst doch… genau, genau in die Öffnung, so will ich es haben, so kann ich es haben, und nein, Stab, die Magie bitte behalten und nicht unten rausgeben, einfach gleichmäßig in dir verteilen und auch nicht nach oben stopfen und… ach, nur ein Blitz… zum Glück, verdammtes Wetter, verdammtes… ach, ist es jetzt vorbei?

Du bist fertig. Vollends geschafft packst du alles wieder zusammen und hoffst, dass sich die Nach- und Nebenwirkungen in Grenzen halten. Magie kann manchmal richtig schön sein, doch viel zu oft gleicht sie der Situation, die eintritt, wenn drei oder vier Töpfe gleichzeitig überkochen wollen.
 

Der geschäftige Yaquirstieg wartet auf dich, doch als du wieder aus dem Gesträuch trittst, fallen dir zwei Gestalten ins Auge, einfach weil sie von deinem Erscheinen ebenso wie vom Regen keine Notiz zu nehmen scheinen. Eine Frau mit roten Haaren wirkt der Resignation nahe, während sie von einem stämmigen Mann getröstet wird – Bauern offensichtlich. „Den Zwölfen zum Gruße“, rufst du, nachdem du keine Zweige mehr auf deiner Jacke siehst, und reißt sie aus der Starre. „Was ist?“ – „Kann ich Euch helfen?“ – „Wer bist du?“ – „Freya, reisende Heldin. Willkommen oder nicht?“ – „Wie könnten wir…“ – „Lass sie doch, vielleicht kann sie ja wirklich… Nun, unser kleiner Sohn Jobst wurde vor zwei Tagen entführt; da kam gegen Abend dieser unheimliche, alte Kerl… er hatte lange Haare und Fingernägel und trug Widderhörner auf dem Kopf. Er legte fünf Dukaten auf den Tisch, sagte, das sei für unseren Sohn und zerrte ihn dann mit sich. Ich wollte ihn aufhalten, doch ich sprang wie wild umher… seitdem habe ich unseren Sohn nicht mehr gesehen. Nur ein Holzfäller sah ihn noch eine Meile südlich von hier. Würden Sie sich dessen annehmen?“

Du denkst kurz nach und sprichst aus, was dir durch den Kopf fährt: „Für mich klingt es nach einem Druiden. Ich möchte nichts versprechen, aber ich werde ihn suchen und sehen, was ich für euch erreichen kann.“ – „Habt Dank… und mögen die Zwölfe Euch beistehen.“
 

Du gehst. Du hast Zeit, denkst du dir, und warum solltest du nicht mal wieder etwas Heldenhaftes tun – mal etwas anderes als die Söldneraufträge und Jagten nach mehr persönlicher Macht. Das Wetter scheint auch gut, der Wald nicht wirklich gefährlich… was ist schon dabei? Du hältst inne, pflückst eine wunderschöne blaue Blume vom Wegesrand und steckst sie dir hinter dein Ohr. Das wird schon etwas werden.

Pfade warten. Da ist eine Hütte. Da ist ein Bär, der auf dich zustürmt und den du mit einem Paralys in eine hübsche steinerne Statue verwandelst. Du gehst ans Fenster und kannst doch nichts darin erblicken, also trittst du ein… Fehler. Ganz dummer Fehler. Du stürzt ins Nichts, als dich der Boden verrät und dir eine verschwimmende Sicht das Bewusstsein raubt. Als du dich schließlich erhebst, ohne zu wissen, wie viel Zeit verging, liegst du im Gras, doch dein Gewand veränderte sich – statt deiner Rüstung trägst du nun lebendes Gewächs um dich herum. Du springst auf, wagst es jedoch nicht, es fortzureißen. Zum Glück ist dein Zauberstab noch dabei.

Die endlos weite Graslandschaft fühlt sich für dich nicht echt an. Aufgeklebt wirkende Punkte bedecken den Himmel, während du dich in Richtung der einzigen Anomalie bewegst, die du ausmachen kannst: Einen Berg. Fuß geht vor Fuß, ganz einfach und automatisch, und du bewegst dich ohne jede Anstrengungen. Zwerge mit Flügeln flattern an dir vorbei und bewerfen dich mit Äxten, ehe du sie mit Zaubern verscheuchst. Der Berg wird immer sonderbarer, denn schon bald offenbart er sich dir als eine riesige Festung… und zwar nicht Andergast-Riesig und auch nicht Wehrheim-Riesig, sondern Riesig-Riesig… graue, schieferne Mauern, als sei es aus einem Fels herausgeschnitzt worden wie ein Nussknacker aus einem Ast, die bis in die schwarzen Wolken reichen. Ob es an der Magie liegt oder an verborgenen Blicken hinter den engen Schießscharten, kannst du nicht sagen, doch es fröstelt dir und du fühlst dich unweigerlich an den Bach erinnert. Im Schatten der Mauern, in dem die Sonnenwärme verschwindet, wird es nur noch kälter. Das schweinsäugliche Gesicht im Bronzetor spricht dich an, kaum dass du nahe genug herangetreten bist. „Wanderer, der du nicht die Wege der Luft beschreitest, dein Weg durch das Labyrinth wird dir nur Leid, Durst und Hunger bringen; schließlich wird sich der Tod deiner bemächtigen. Doch gebe ich jedem eine Möglichkeit, diesen Irrgarten der Täuschung zu durchschauen! Löse dieses Rätsel, teile mir die Antwort mit. Sei jedoch sicher, die richtige Antwort zu haben! Ansonsten bist du des Todes. Höre nun das Rätsel: Der es macht, der braucht es nicht, der es kauft, der will es nicht, der es braucht, der weiß es nicht. Was ist es?“

Du blickst das Gesicht an. Langsam reicht es dir, denn bei all den Belastungen, die gerade auf dich warten, fehlt dir nun wirklich jede Lust, dich auch noch auf so einen Unsinn einzulassen. „Geh’ sterben!“, fauchst du das Tor an, reißt an der Klinke und trittst hindurch.

Schwärze bleibt dir vor den Augen, bis du dich daran gewöhnst. Der Boden des Burginneren besteht aus feinem Sand, in dem die Knochen von Abenteurern liegen, denen es schlechter als dir erging, doch du tappst hinein in die Leere und fühlst dich plötzlich von Kerkergittern beengt. Was ist geschehen? Warst du doch zu vorschnell? Nein, stellst du fest, denn nicht du bist gefangen, sondern alles andere… und darunter auch ein alter Druide. Er liegt sterbend in seinem Dreck. „Der Junge... mein Zögling... Verantwortung. Rette ihn! Die Spinnenanbeter ... die Zwerge ... beim Baum! Falsche Richtung!“ Damit ergreift er dein Handgelenk und umklammert es. Er gibt etwas an dich weiter… aber gut, du bist hier fertig. Du drehst dich um und gehst einfach.

Bei der Burg im Rücken inmitten der klaren grünen Ebene fühlst du dich besser, wenn auch nicht zufrieden, und diesmal gehst du schnurstracks in die andere Richtung – hin auf das Aufgeklebte, denn nur das kann ein riesiger Baum sein? Du bist so sehr auf die Umrisse fixiert, die du anstrebst, dass du gar nicht bemerkst, wie ein riesiges Untier mit Armen gleich einer Gottesanbeterin von drei Schritt Höhe vor dir aus dem Boden bricht. „Visibili“, rufst du und gehst einfach daran vorbei.

Am Baum sammeln fliegende Zwerge allerlei Unrat und Gerümpel, um daraus ein Nest zu formen. Du siehst sie dir eine Weile an und entdeckst schließlich Jobst unter ihnen, weshalb du schnell handelst: Du rennst, solange deine Unsichtbarkeit noch währt, greifst den rothaarigen Jungen am Arm und machst dich auf. Hinter dir erheben sich zwar die Zwerge, als du ihre Kreise störst, doch dir macht es nichts aus und du rennst. Sie haben dich fast erreicht, als du durch den Boden brichst. Diesmal jedoch befindest du dich einfach nur unter den Wurzeln in einer Höhle, wo zwei katzenköpfige Spinnen auf dich warten. Sie krabbeln auf dich zu und diesmal denkst du dir, dass du deine Mächte sparen kannst, schwingst deinen Stab und schlägst zu, während du nur aus den Augenwinkeln bemerkst, wie die Flügelzwerge in Scharen durch das Loch brechen.
 

Du erwachst auf einer Wiese, einen rothaarigen Knaben im Arm. Was zwischen dem Kampf und diesem Moment geschah, kannst du nicht mehr sagen, doch du weißt, dass du schon wirrer geträumt hast. Etwas geschah, das du nicht verstehst und – wenn du ehrlich bist – auch nicht verstehen musst, doch am Ende ging alles gut aus und das zählt. Eine Familie kam wieder zusammen… und du musst weiter nach Nostria.

Freya in: (9) Täuschung

“Liebste Firlina.
 

Ich hoffe, es geht dir gut und du vergibst mir, dass ich im Trubel der Tage und wie ich denke auf deinen Wunsch nicht versuchte, dich schon vorher zu erreichen. Die Welt der hohen Herren ist etwas, was ich nicht verstehe, weshalb ich sie dir nicht erklären kann, doch an Travias Seite wird alles sicher gut enden. Der Grund für diesen Schrieb mag dich überraschen, profan wie er ist, und doch kann ich mich an niemanden mehr wenden:

Mein Bruder Aedin Tsael ui Gwaihin, gebunden vor Travia mit einer Nostrierin, starb im letzten Jahr zu Nostria an der Blauen Keuche, und da Tsa ihm keine Kinder schenkte, bleibt niemand als ich, an den dessen Hinterlassenschaften fallen können. Ich jedoch kann in dieser ernsten Stunde Andergast nicht verlassen.

Kann ich dich darum bitten, dich dieser Sache anzunehmen? Ich habe sonst niemanden.
 

An die Herren in Nostria:

Ich bevollmächtige die Tochter meines Gatten, Firlina di Arthuro-Galahan, in meinem Sinne hinsichtlich des Erbes meines Bruders Aedin Tsael ui Gwaihin zu entscheiden.
 

Alles Liebe, Firlina, ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.

Madhlen Idra y’Arthuro, geborene ni Gwaihin“

-- aus einem von einem von einem Straßenkind in Ragath gefundenen und versiegelten Brief
 

„Grüß die Zwölfe.“

„Grüß die Zwölfe, was kann ich für Euch tun?“

„Ein Bier und am Besten ein paar Neuigkeiten. Ich verbrachte das letzte halbe Jahr in einem Nest.“

„Dann seid Ihr hier richtig. Der erste Bericht gilt natürlich der Kaiserin. Wusstet Ihr, dass unsere Rohaja, Enkelin unseres Göttlichen Hals, als erste Dame auf dem Thron seit Tausend Jahren gekrönt wurde? Leider hat ihr schurkischer jüngerer Bruder in Almada diesen Schritt nachgemacht, weil er sich nicht damit abfinden konnte… ich hoffe nur, dass daraus kein Krieg erwächst so wie in Albernia.“

„In Albernia herrscht Krieg?“

„Ja, wusstet Ihr das nicht? Die Königin Invher wollte sich unserem Verweser Jast Gorsam aus den Nordmarken nicht beugen – was ich sehr gut verstehen kann – und landete deshalb unter Acht. Leider marschieren da die Truppen… aber sie können schon bald zum Stillstand kommen, denn unsere neue Kaiserin ist die Tochter von Invhers Schwester. Seid Ihr Albernierin?“

„Ich habe dort für wenige Jahre gelebt, doch ich mag das Land.“

„Ich dachte… bei Ihren Haaren.“

„Die Farbe ist nicht echt.“

„Ganz unter uns: Ich glaube ja, der Herr Königinnengatte übt da einen schlechten Einfluss aus, das ist ja dieser Kriegstreiber Romin. Wenn der wohl nicht Kuslik haben kann… und auch sonst nichts… will er wohl ein freies Albernia wollen.“

„Romin Galahan, Sohn der Kusmina?“

„Allerdings. Kennen Sie ihn?“

„Als ich ihn das letzte Mal sah, war ich noch ein Kind. Ich gehöre zum Haus Galahan, musst du wissen.“

„Mein Beileid… bei dem, was vor Vinsalt geschah.“

„Warum, was…?“

„Naja, nach dem Tod der Amene…“

„Den Göttern sei’s gedankt.“

„… zog Romin mit einer Flotte gegen Kuslik, nahm die Stadt ein…“

„Jaaaaaa.“

„… marschierte gegen Vinsalt und versiebte es dann auf die dilettantischste Art und Weise. Er verlor einige Kämpfe, kehrte dann mit einem Teil seiner Truppe nach Albernia zurück, um seine Gattin nicht fallen zu sehen und nahm die Auslöschung des Rests seiner Truppen hin. Es tut mir Leid, Fräulein, doch was von Eurem Haus noch lebt, das ist bis auf alle Zeit verfemt.“

„Eine Schande. Ich hätte so gerne die Heimat wieder gesehen.“

„Kann man nichts machen, doch unter uns: Gareth steht schon bald Vinsalt an Schönheit nichts mehr nach. Es braucht nur noch etwas Zeit, weil die Schäden der Schlacht über den Wolken…“

„Bekomme ich noch ein Bier? Ich muss den Schock verdauen.“

„Natürlich, Fräulein.“

„Weißt du denn etwas über die Lage in Andergast? Ich habe gehört, da steht etwas an.“

„Andergast? Nein, darüber hörte ich nichts. Nichts, seitdem die Thronfolger starben wie die Fliegen.“

„Armer Efferdan.“

„Genau.“

„Ich nehme hier ein Zimmer. Können Sie mir sagen, wie ich morgen Gareth umgehen kann? Ich möchte nicht zuviel Zeit verlieren.“

-- gehört in einem Rasthaus an der Reichsstraße VI nahe Gareth
 

„Großmeister Sarpedon überbrachte durch eine Agentin einen Befehl: Die Magierin Freya di Arthuro-Galahan, die die Stadt Havena im Efferd passieren wird, sei zu erlegen. Ausdrücklich betont er aber durch fremden Mund, dass dies erst bei ihrem zweiten Besuch eintreffen solle, nicht schon bei ihrem ersten möglichen Aufenthalt in einigen Tagen.“

-- Eintrag in einem an dunklem Ort gelagerten dunklen Buch
 

„Es wurde gebetet, die Magierin Freya betreffend – Hofmusica der Kaisermutter Vesta di Baltari. Die Spende genügt den Ansprüchen, trotzdem mahnt Herr Boron zur Ruhe. Zuerst muss erfahren werden, ob die Kaiserinmutter selbst Kenntnis hiervon hat.“

-- Interner Vermerk, in Punin nur für wenige Augen bestimmt
 

„Magierin Freya betrat das aufständische Gebiet. Als lizenzierte Gildenmagierin gab es keinen Grund, ihr dies zu verweigern, und auch ihr Schwert blieb bei ihr, da sie den zuständigen Gardisten davon überzeugen konnte, der Codex Albyricus verbiete ihr nicht das Tragen einer standesgemäßen Waffe, sondern nur das Schwingen. Den Truppen sei Vorsicht geraten, denn sie ist eine gebürtige Galahan und mag als solche Ärger bedeuten.“

-- Schnipsel aus dem großen Haufen entsorgter nordmärkischer Verwaltungsdokumente
 

„Freya? Die kleine Firlina? Seltsam, da hört’ man so lange ihren Namen nicht und auf einmal… vor keinem Mond war sprach ich mit einer Dienerin über sie und erzählte ihr von Jannis und ihr. Was hat sie denn angestellt, dass ihr Befehl habt, sie bei Sichtung sofort zu erschießen?“

-- Baderin Dittlinde im Gespräch mit einem Kunden von der Garde
 

„Deshalb bete ich zu allen Göttern, die sich meiner annehmen wollen: Beschützt die kleine, tapfere Firlina. Verzeiht mir, ihr Hohen, was ich im Begriff bin, zu tun.“

-- ein Gebet, gehört in der Andergaster Burg
 

„Ja, ich werde den Winter wieder zu Hause in Grangor verbringen, bei Mutter und Katze. Da wartet auch eine Zauberin auf mich, die mir Briefe schreibt und mir ihre Liebe versichert. Ich mag sie ja auch – ich meine, wir sind gute Freunde – aber so? Jetzt weiß ich nicht, was ich mit ihr tun soll.“

„…“

„Sehr witzig. Ich wünschte, ich wüsste, was ich ihr sagen kann… oder schreiben, denn sie wartet schon seit einem halben Jahr auf einen Brief.“

-- gehört in der Kriegerschule zu Neersand
 

„Werte Herrin, bitte helft uns doch. Wir sind von blutrünstigen Orks überfallen worden. Ihr seht ehrbar und hilfsbereit aus, sie können noch nicht weit sein.“

„Was…“

„Meinen Vater haben sie getötet, es waren drei, wir hatten keinen Geleitschutz, da der Weg eigentlich sicher war… Mein Name ist Alrik und das ist meine Schwester Dana. Wir sind erst sechzehn Jahre alt und können uns nicht gut verteidigen; ich konnte die Orks gerade noch davon abhalten, meine Schwester zu schänden, doch unsere Wertsachen nahmen sie mit. Ich biete Ihnen die Hälfte des Geldes, wenn Sie die Orks töten. Ohne das Geld sind wir verloren.“

„Ich bin nur eine Kampfmagierin, doch ich werde sehen…“

„Macht Euch schnell auf den Weg, die Orks können noch nicht weit sein. Sie sind in westlicher Richtung in den kleinen Hain verschwunden.“

„Gut, gut, ich bin schon unterwegs…“

-- gehört in Albernia
 

„Schon bald müsste sie hier eintreffen. Ich hoffe mal, Mineda versprach nicht zuviel; ich wünsche mir wirklich mal einen echten Gegner und kein hilfloses Opfer… und trotzdem wird sie zu Boden gehen, im besten Gareth-Stil. Ich hoffe, sie schreit und jammert dabei… das sind mir die Liebsten. Arme kleine Freya, von deiner eigenen Familie verraten, doch mache dir nichts draus, es geht für dich vorbei.“

-- Selbstgespräch eines Magiers
 

„Oooh. Karnickel gut.“

„Aaah. Sehr gut.“

„Oooh. Gut gefangen.“

„Aaah. Gut gekocht.“

„Tairach sicher stolz.“

„Gravesh sicher auch.“

„Was? Wer…?“

„Ergebt euch, ihr Orks, oder spürt meinen Zorn.“

„Bist lustig. Wir haben Säbel.“

-- Unterbrochenes Tischgespräch zweier Orks
 

„Wer bist du, rote Magierin, und welchen Weg schlägst du ein? Ich freue mich auf dich. Komme bitte noch vor ihm.“

-- Selbstgespräch einer Elfe in Dela beim Betrachten einer Kristallkugel
 

„Bitte, du uns nichts töten. Wir hier nur wohnen und kleiner Karnickel essen. Wir können Karnickel auch bezahlen, wenn es dein Karnickel war.“

„Lass mal. Ich habe gehört, ihr habt hier eine Kutsche überfallen?“

„Wir? Nie.“

„Langsam glaube ich auch nicht daran. Miese Kerle. Kannst du deinen Freund versorgen?“

„Huh?“

„Lass mal, ich mache schon. Und wenn nächstes Mal eine Frau nur mit euch reden will, dann nehmt sie beim Wort, einverstanden?“

-- gehört mitten in der Heide
 

„Was hältst du eigentlich von Freya?“

„Sie ist ängstlich, sehr gehemmt, hält sich immer zurück, auch wenn sie glaubt, das Chaos zu leben. Ich denke nicht, dass sie weiß, was sie will.“

„Denkst du, sie kommt wieder?“

„Wahrscheinlich, doch wahrscheinlich nicht mehr in diesem Jahr.“

„Es ist so schön mit dir, Lilim, wenn du eine Magierin von Gewicht wärst, würde ich dich gar nicht mehr verlassen.“

„Mach dir nichts draus, hier heißt es, Tsa zu leben. Hier herrscht immer ein Kommen und Gehen.“

-- gehört zu Brig-Lo
 

„Du bist echt eine blöde Kuh, Freya… Warum hast du es nicht mit einem Zauber geregelt, so wie sonst auch immer? Arrgh, ich hoffe wirklich, dass meine Kraft noch reicht, mich selbst zu heilen, nachdem ich mich um die Orks kümmerte. Danke, neue Rüstung… das tat trotzdem weh.“

-- Geflüster in den Wind eines Rösleins auf der Heide
 

„Was ist das? Hmm, ich sehe mal besser…Entschuldigung, wollte nicht stören… Auaaaa.“

-- Gleiches Röslein, gleiche Heide, nur andere Stelle.
 

„Ah, da sind Sie wieder. Sie sehen furchtbar aus. Haben das die Orks getan?“

„Nein, das war… vergesst es. Ich frage mich nur: War an eurer Geschichte eigentlich auch ein einziges Wort wahr?“

„Was meinen Sie?“

„Ich meine gar nichts, doch der Ignisphaero in meinem Zauberstab flüstert mir zu, dass die Orks alles andere als gefährliche Banditen waren… und der kennt sich mit Menschen aus. Was also haben die Laiendarsteller zu dieser Bühnennummer zu sagen?“

„Wir haben nur…“

„Ja, ich habe mir wegen euch ein blaues Auge eingefangen, also: Höre ich da irgendeinen Grund, weswegen ich meinen Frust nicht an den dankbarsten Adressaten abliefern sollte?“

„Na gut… also, wir wurden nicht überfallen und der Wagen liegt schon seit Jahren hier. Wir dachten nur, wir könnten Euch benutzen, um etwas Gold von den Orks zu ergaunern… aber wir sind wirklich sechzehn Jahre alt, also war wirklich nicht alles gelogen.“

„Erzählt das der Garde. Mitkommen.“

-- gehört in Albernia
 

„Freya, ich hoffe, du hast gelernt, Vergangenes zu begraben. Sicher, du hast schon einmal deine Heimat aus fremden Klauen gerettet, doch diesmal ist alles anders. Denke neuer. Denke frischer. Auf alten Pfaden wirst du nur den Tod finden, wie ihn schon viele vor dir fanden.“

-- Worte eines Fälschers aus Ragath

Freya in: (10) Vogelfrei

Der Weg zur Grenze

Kurz nach Alberias Grenze bestieg ich eine Kutsche und ließ mich für ein paar Münzen schnell durchs Land tragen, denn ein Fehler zwang mich zur Eile: Hatte ich noch an das Gesagte geglaubt, dass das große nostrische Ritterturnier unter Yolande in den Efferd verschoben wurde, damit die Streiter beider Reiche daran teilnehmen konnten, belehrte mich der Junker von Kyldenburgh eines Besseren: Dieser Plan wurde war lange besprochen, doch niemals umgesetzt. Ich konnte also nicht einfach bis Mitte Efferd die Zeit vertrödeln und mich dann in den Horden von Schauenden und Streitern in Sicherheit wähnen, sondern musste mich beeilen, um mit etwas Glück noch die letzten Tage zu erhaschen. Nahe Havena, nur einen Katzensprung von der Grenze entfernt, holte doch auch diesen meiner Pläne die Realität ein: Menschen flohen in Gruppen und Scharen nach Albernia, einem Kriegsland. Ich fragte nach und nachdem ich darauf verzichtete, mein Siegel vorzuzeigen, erhielt ich auch Antwort: Es herrschte Krieg. Andergast marschierte und hatte in zwei Schlachten den großen Feind an den Rand des Zusammenbruchs gebracht.

Konnte dies ein Werk König Efferdans sein? Sicher nicht. Auch kam Mineda frisch aus Andergast… hier konnte ich nur das Schlimmste befürchten und auf das Beste hoffen. Sollte ich deshalb auch nach Nostria reisen, damit ich nicht in Andergast eingreifen konnte, oder verbargen sich dahinter andere Gründe… und sollte ich es denn tun? Ja, entschied ich nach kurzem Überlegen, denn was auch hier geschah, sah ich mir besser mit eigenen Augen an. Es würde nur alles schwieriger werden.

Ein um meine Hand gewickeltes Stück Tuch verbirgt mein Siegel, dann fühle ich mich gleich sicherer. Verdammt, warum habe ich diese Infiltrationskurse nur so oft geschwänzt? Okay, ja, da wusste ich schon, dass ich niemals als Agentin in einem „generischen potentiell feindlichen Staat mit einer… sagen wir… Lage im Südwesten“ eingesetzt werden wollte und außerdem gab es da schon Jannis in meinem Leben… ach, mehr können die mir sicher auch nicht gesagt haben. Wenn mich jemand fragt, dann bin ich Freya ni Arthuro aus Albernia und das Rot meiner Haare ist echt... und zum Glück trage ich ja auch nicht mehr diesen in Andergast gefertigten Gambeson, der könnte auch auffallen. Soll ich vielleicht noch bei Dela vorbeigehen und die Elfe bitten, meine Sachen zu verwahren, damit ich nicht noch als Zauberin Aufmerksamkeit auf mich ziehe? Nein, dazu ist es nun zu spät. Blöder Stab, der sich nicht als Wanderstab vermitteln lässt, blödes eindeutiges Gildensiegel… wären Handschuhe eigentlich besser als dieser Notfallverband? Nein, keinesfalls, die wirken dann sehr schnell gewollt, vor allem bei meinem Gewand. Blöder Jannis, blöder Kurs, echt, saudumme Freya; da bleibt mir nichts als es zu riskieren und das Beste zu hoffen.
 

Ich bezahle einen Bauern, der mich in aller Stille über die Grenze bringt: Da die Nostrier gerade zu beschäftigt damit sind, die Eindringlinge im Nordosten aufzuhalten, geschieht das ohne Probleme und ich weiß, dass ich nur den leichtesten Teil hinter mich brachte. Tage der Wildnis warten auf mich, in denen mein Proviant nicht reicht und mir in einem Bach meine Seife davonschwimmt. Ich freue mich also nach drei Tagen über die Taverne „Zum Wildschwein“ in einem nostrischen Vorort. Ein Bad, eine warme Mahlzeit, ein paar Bier und ein warmes Bett warten und es könnte alles so schön sein, wäre da nicht der betrunkene nostrische Söldner, der herüber zu meinem Tisch wankt. „Na, du dreggige Sau? Was schaust’n so? Willst du Schläge… oder sollen wir Schweinkram machen?“ Verdammt, ich muss ängstlicher wirken, als ich dachte, der Beutegeruch muss penetrant sein. Ich wundere mich selbst über meine Antwort: „Küss Boron, du Scheißkerl.“

Auaaaa, verkneife ich mir zu sagen, als ich die Formschönheit des Kneipenbodens bewundere und nur der Wirt, der den Söldner vor die Tür setzt, mich vor Schlimmeren bewahrt (endlich einmal ein netter Mann), das blaue Auge wollte doch gerade wieder verschwinden. Mit dem guten Gefühl, die Ermahnung zur Vorsicht gerade noch zur rechten Zeit erhalten zu haben, erreiche ich Nostria am nächsten Tag zur Mittagszeit und: Was für ein Anblick. Die Stadt selbst kannte ich ja noch nicht, doch was ich in Andergast über sie hörte, spornte meine Phantasie an: Die Hauptstadt des alten Erzfeindes, zur Wendolyn-Zeit herausgeputzt, durch die Blaue Keuche gegen Ende meiner Akademiezeit zur Geisterstadt geworden, nun von einer Unzahl an Bewaffneten in ein künstliches Leben versetzt. Ich bemerke die Schützen mit ihren mannhohen Langbögen auf den Mauern spähen, das Aufgebot der in Nostria so zahlreichen Freibauern, während das, was von der Landbevölkerung verfügbar war, sich mit der Ausbesserung der alten, doch in den letzten Jahren verwahrlosten Stadtmauer beschäftigt, während die Stadtgarde jeden kontrolliert, der die Stadt betreten möchte – eine lange Schlange, in die ich mich einreihe, ist die Folge.

Was geschieht hier? Die Nostrier bereiten sich auf einen Ansturm, doch nicht auf eine Belagerung vor: Das Andergaster Heer muss bereits recht nah herangerückt sein, doch da jedes Zeichen von Rittern auffällig fehlt, muss die Königin zusammen mit der Marschallin von Sappenstiel die Stadt verlassen haben, um das vordringende Heer auf den Weiten der Wiesen, einem für Andergaster ungewohnten Gelände, in einer offenen Feldschlacht zu schlagen. Warum ich das so genau einschätzen kann? Nun, ich schwänzte nicht alle Kurse, selbst mit Jannis nicht, und die Nostriaken wären sicher unangenehm überrascht, wenn sie erfahren würden, wie genau die Andergaster Kampfmagierakademie ihr Heereswesen kennt; schließlich arbeiten wir eng mit unseren Streitern zusammen.

Am Ende der Schlange danke ich meiner Mutter im Stillen, dass die den Staat Andergast in keinem Wort erwähnte, kann bei Verweis auf meinen Stand auch mein Schwert behalten (zum Glück fragen sie nicht nach, denn sicher würde meine Argumentation sie nicht so ohne Weiteres überzeugen) und betrete, Phex für seinen Beistand dankend, die Stadt. Ich halte inne, denn es ist wahr: Nostria ist wunderschön.

Ich lasse den Blick streifen, bewundere die breiten, gepflasterten und geraden Straßen, die so deutlich mehr meinen Erinnerungen an Kuslik denn dem Schlamm Andergasts gleichen, die hohen, backsteinbraunen Häuser mit ihren prachtvollen Fassaden und dabei die stillen Narben; Nostria schreit nicht und erschlägt einen nicht, sondern lädt zum Entdecken ein, ein still ausgesprochenes Angebot, von gesuchtem Glanz und traurigem Verfall zu lauschen. Ich wandere strikt auf das Zentrum zu, lasse den Blick schweifen und gebe mir das Versprechen, nach dem Krieg der Stadt einmal genügend Zeit zu widmen. Ich werde an meinem Ziel nicht fündig, doch irre ich auch nicht, denn da ich aus dem Süden komme und nach Norden muss, ging ich keinen Schritt zuviel: Ein Passant verweist mich auf die „Räuberhöhle“ auf dem Kasmyrinsplatz direkt an der Tommel, den ich nach einigen Irrungen (die Straßen sind zwar gerade, doch für Nichteinheimische kaum zu durchschauen – ein weiteres Angebot), auch finden kann: Allein die Inschrift über der Pforte und die kleinen, mit ihrem Messingglanz golden wirkenden Königsfiguren im Stein der Mauer lassen mich wissen, dass ich beim Nostrischen Uffiz richtig bin. Ich trete ein.

„Sie wünschen?“ – „Ich bin wegen einer Erbgeschichte hier.“ – „Da müssen Sie zu Herrn Berlind; Zimmernummer 714. Das ist im dritten Stock auf der rechten Seite. Sie können Ziffern lesen?“ – „Natürlich.“ – „Gut. Nehmen Sie besser die linke Wendeltreppe – und bei der den zweiten Ausgang, davon nicht verwirren lassen. Mit der rechten kann es schwierig werden.“ – „Hmm, ja. Danke.“

… „Die spinnen doch, die Nostrioten.“…

„714, hmm…“ – „Herein?“ – „Herr Berlind?“ – „Nein, der sitzt in Zimmer 714, das ist Zimmer 71-4. Gehen Sie am Besten den Gang zurück, halten Sie sich halbrechts und betreten Sie das Treppenhaus… dort sollte sich zu dieser Stunde die Putzmagd Selinde aufhalten, die Sie zu zum richtigen Raum führen kann… außer natürlich, das Dach leckt mal wieder, doch ich sehe, Sie tragen festes Schuhwerk.“ – „Hmm, gut.“

… „Verdammte Nostrioten.“…

„Ja, das ist schon Zimmer 714, doch Herr Berlind trinkt gerade Tee mit den Herren von der Gutverwaltungsaufsichtbehörde. Versuchen Sie es dafür im zweiten Kellergeschoss, erreichbar mit den Treppen 4, 44 und 44-4. Nun entschuldigen Sie bitte, ich muss zu meiner Arbeit zurück, dieses Dach gibt einfach keine Ruhe.“

… „Jaja, schon gut, ich mag die Nostrier. Die Stadt ist toll, die Leute sind toll und dieses Bauwerk ist auch toll. Darf ich nun endlich?“…

„Die Gutsaufsicht? Nein, die hat seit der Praiosstunde geschlossen, das ist ein Privileg der Terrasten. Das weiß doch der Herr Berlind auch, komisch… der wird doch wohl nicht schon wieder der Empfangsdame nachstellen?“ – „Und wie komme ich zu der?“ – „Ich weiß nicht, ich bin noch neu hier. Fragen Sie am Besten einfach am Empfang nach.“

… „Was mache ich eigentlich hier?“…

„Ja, Moment…“ – „Ach, da habe ich vorhin also wirklich meinen Namen gehört. Ich dachte schon.“ – „Herr Berlind?“ – „Eben der. Wollen wir uns nicht zu den Schmarotzern der Zollaufsicht gehen und da einen Tee trinken? Die haben den besten.“ – „Nein, ich bin froh, an einer Stelle zu sein, von der aus ich wieder herausfinde. Ihr Keller ist aber einer…“ – „Allerdings, auf diesen sind wir richtig stolz. Er wurde immer weiter ausgebaut und inzwischen ist er wohl der längste derische Fluchtstollen und führt außerdem trockenen Fußes unter der Tommel durch… oder nassen Fußes in sie hinein, aber die Treppen sind eigentlich gekennzeichnet.“ – „Sehr schön.“ – „Was führt Sie denn nun zu uns?“ – „Ich komme wegen dem Tod des Bruders meiner Mutter, Aedin Tsael ui Gwaihin. Ich soll für sie das Erbe abholen… Moment… hier.“ – „Mein Beileid. Er war ein guter Mensch, ich kannte ihn sogar.“ – „Ich nicht. Ich hatte mit der Familie meiner Mutter nie viel zu tun.“ – „Schade, wirklich. Zanya, kannst du aus meinem Büro die passende Kassette holen? Aedin von Gwaihin.“ – „Mache ich. Kümmerst du dich solange um neue Besucher?“ – „Klar. Ich erzähle ihnen vom Keller, bis du wieder da bist.“…

„Ich wünschte, ich könnte Ihnen etwas anbieten, doch der Eicheltee wird Ihren Erwartungen wirklich nicht entsprechen. Hatten Sie denn eine gute Reise?“ – „Weitestgehend, ja. Ich komme ganz frisch aus Brig-Lo. Da hat mich der Brief erreicht.“ – „Sie sind geeilt, um Nostria zu besuchen, solange es noch steht?“ – „Nicht wirklich, ich erfuhr erst kurz vor der Grenze davon… naja, vom Krieg. Steht es wirklich so schlimm?“ – „Wissen Sie, in meiner Position glaubt man den Augen mehr als den Ohren. Unsere Herren scheinen die Sache so zu sehen und hoffen jetzt auf ein Wunder vor der Hauptstadt wie die Garether einst beim Kampf gegen Fran. Ob es eintritt, wissen nur die Götter, doch eines weiß ich sicher: Wenn die Mauern brechen, dann wird es richtig hässlich werden. Den Andergastern kann man alle Scheußlichkeiten zutrauen.“ – „Meinen Sie?“ – „Natürlich. Nach über tausend Jahren.“

Wenig später kehrt die Empfangsdame zurück und ich drehe mich zu ihr um, als ich ihre Spieglung in Berlinds Monokel erblicke. In ihrer Hand führt sie eine mit rotem Samt überzogene Schatulle, die sie auf den Tresen legt und unter Berlinds Aufsicht öffnet. „Ich verlese“, sagt der Beamte, „Ein Buch ‚Die Kunst des Kampfes’. Ein Zierdolch. Ein Lederbeutel, gefüllt mit 42 Dukaten.“ – „Entschuldige, hierin finden sich nur 34 Dukaten.“ – „Dann müssen meine Aufzeichnungen falsch sein. Ich wiederhole: Ein Beutel, gefüllt mit 34 Dukaten. Eine aus Ebenholz geschnitzte Figur eines Elefanten. Ein Silberring mit einem Smaragd. Das wäre alles. Ihre Unterschrift und die Bevollmächtigung bitte.“ Ich verkneife mir den Ärger und zeichne ab. „Brauchen Sie eine Bestätigung für Ihre Frau Mutter?“ Ich nicke – ein fünf Silbertaler teures Nicken. „Einen schönen Tag noch.“

Als ich das Rathaus verlasse, brach der Nachmittag schon seit einigen Stunden herein und ich entscheide mich, den Tag in aller Ruhe ausklingen zu lassen, um morgen in aller Schnelle mit möglichst viel Sonnenlicht zu reisen. Dabei lockt der Nostrische Hof, das erste Hotel der Stadt, schön nah und sicher nicht mit Gardisten angefüllt… ein Gedanke, ein reizvoller Gedanke, ein Drängen und ein schließlich ein Zerren, bis ich nachgebe… und es hat ganz sicher nichts damit zu tun, dass ich gerade mehr Geld bei mir in der Tasche trage, denn das gehört ja eigentlich nicht mir und ich habe auch so genug. Es fühlt sich ungewohnt an, die wirklich edelsten Stufen zu beschreiten und dabei nicht mehr die mahnende Stimme zu hören, die an die Schulden aus der Akademiezeit erinnert, denn mit dem Verkauf meiner Heil- und Manatränke bin ich finanziell mehr als saniert. Für eine Nacht erwartet mich nun gutes Essen, weiches Zimmer und untertänigstes Personal, wie es den höchsten Gästen des Staates zusteht – und sogar ein Schneider, der sich der Schnitte in meinem Reisegewand annimmt, die die Orksäbel verursachten –, doch andere Stimmen verhindern die wahre Freude: Da ist die, die mich ermahnt, nicht mit dem Prassen anzufangen, und da ist die, die mir einen Artikel aus dem nostrischen Kurier vorliest:
 

Flüchtlinge vogelfrei

Die Kaiserin von Nostria und sein Berater entschuldigen sich bei der Bevölkerung. Der Beschluss den sie vor 3 Wochen verkündeten ist keine Tyrannei sondern ein Schutz der Bevölkerung. Hier noch einmal ihr Beschluss: .Und so bleibe ein jeder Unfreie, eine jede Unfreie auf dem Land, an das er oder sie gebunden ist. Nicht Wetter noch Naturgewalt, nicht Krieg noch Vernichtung können einen Menschen von seinem vor Praios dem Götterfürsten geschworenen Eid entbinden. Leibeigene, die das 12. Lebensjahr erreicht haben, mögen sich unverzüglich und direkt bei ihrem Lehnsherren oder ihrer Lehnsherrin melden. Dort werden sie in Landwehren eingeteilt, die dem Aufrechterhalten von Recht und Ordnung dienen. Wer sich seinem vor Praios geschworenen Eid widersetzt und widerrechtlich seine Heimatstadt in einem Umkreis von 30 Meilen verlässt, gilt als vogelfrei.

Der Adel sei aus all diesen Gründen aufgefordert, seinen rechtmäßig auf Reisen befindlichen Eigenleuten gültige Papiere mitzugeben. Wer ohne gültige Dokumente aufgegriffen wird gilt fürderhin als vogelfrei. Kein Freier oder Unfreier darf ihm Obhut

gewähren noch die Flucht erleichtern. Wer dies trotzdem tut, gilt ebenfalls als vogelfrei.

Allein durch Gehorsam und Pflichterfüllung können wir Menschen in dieser harten Zeit überleben.

Verfasst vom kaiserlichen Berater
 

Die haben den Verstand verloren, fährt es mir durch den Kopf, die Nostrier müssen wirklich vor dem Kollaps stehen. Das ist Irrsinn, ebenso wie diese Rangerhöhung zur Kaiserin, und wenn das wahr ist… ja, dann wird meine Reise wieder schwieriger. Ich spreche mit den Dienern des Hotels und die nicken: Es ist kein Witz. Der Stadt ist auch im medizinischen Sinne irregeworden.

… Was werden sie dann mit einer Andergaster Kampfmagierin machen, wenn sie sie finden, fährt es mir durch den Sinn. Das ist nicht gut. Ich muss hier weg. Ade, Nostria, du schöne Stadt… ich gehe lieber noch einkaufen, denn immerhin benötige ich noch Vorräte. Dann verlasse ich diesen Ort und halte mich wieder südlich. Ich habe eben den Ort mit dem netten Wirt hinter mir gelassen und wandere auf dunklen Pfaden durch den Wald, als ich eine penetrante Stimme vernehme: „Heda, Fräulein. Habt Ihr ein paar Münzen, die Ihr entbehren könnt?“ Ich kann mein Erschrecken soweit zügeln, dass ich nicht vom Baumstamm falle, den ich gerade überklettern muss, doch bei den auf mich zielenden gespannten Bögen hält sich meine Freude darüber in Grenzen: Drei Wegelagerer vor mir, vier – wie mir ein kurzer Blick verrät – hinter mir, da hilft mir auch kein Ignisphaero. „Ein paar schon, aber auch ein paar Zauber. An wie viele denkt Ihr denn?“ Der Sprecher, ein Wieselgesicht, grinst spitzbübisch: „Wie bei einer Brücke: Zwei Gold für jedes Bein… und für jeden Arm… und eines für jeden Finger. Das macht zusammen zwanzig – oh, verzeiht, wir dummen Bauern vermögen ja nicht zu rechnen.“ Zwanzig Dukaten für eine Passage bei einer Zauberin? Das ist… ach, zu bezahlen. Ich greife langsam in meine Tasche, ziehe den ererbten und durch den Hotelaufenthalt spürbar leichter gewordenen Beutel heraus und werfe ihn ihnen zu. Das Grinsen wird breiter: „Habt Dank für die milde Gabe, Fräulein, doch habt Ihr auch an den Tempelzehnt gedacht? Ich wüsste da eine Möglichkeit… Ihr gehört doch zur Rahjakirche, nicht wahr?“ – „Ja, zu den Säbeltänzern. Ignisph…“ In diesem Moment erstarre ich, weil alles in Bewegung gerät: Der Anführer wird von einem Pfeil getroffen und sein Kopf zerrissen, in einem Hagel sterben auch seine Getreuen vor mir, während mir ein Gurgeln verrät, dass es den Schurken in meinem Rücken nicht besser ergeht. Ich steige schnell vom Baum und greife nach meinem im Dreck liegenden Beutel. Was auch kommt, das ist meins.

„Ja, wen haben wir denn da? Erhebt Euch doch.“ – „Corsaia?“, frage ich, doch als ich mich erhebe, merke ich, dass ich falsch lag: Ich erblicke sechs Männern in langen grünen Mänteln, die sich mit Kurzschwert und Bogen der Banditen entledigten und nun sichergehen, dass sie alle tot sind. „Habt keine Angst“, sagt einer von ihnen mit einer angenehmen Stimme, „Es wird alles gut werden.“ Ich verhindere nicht, dass er sich mir nähert und denke noch, dass er mein Haar bloß von Zweigen befreien möchte, bis er die Augenbinde zuzieht. Ich schreie auf, doch lasse zu, dass sie mich für eine knappe Stunde durch den Wald führen. Als ich das Augenlicht zurückbekomme, befinde ich mich mitten in einer Siedlung mit einem Dutzend in den Wipfeln verborgenen Baumhäuser, aus deren Höhen mit einige Männer und Frauen kurz zuwinken. „Willkommen in der Stadt der Freiheit“, spricht der Anführer zu mir, dessen langes blondes Haar, dessen ebenmäßige Züge, die tiefblauen Augen und der noch im Wachsen begriffene Schnurrbart mir ebenso imponieren, „Na, gefällt sie dir? Erlebe sie erst einmal von innen und komme mit ins Haupthaus.“ Es folgt eine kurze Kletterpartie über eine Strickleiter, die mich sehr bald in eine Hütte in den Höhen führt. Fasziniert betrachte ich das Schnitzwerk in den Wänden, diese einzige Verzierung mit Firun, Phex, Praios und Ingerimm über Jägerszenen, während der Anführer erzählt: „Verzeiht mir den rauen Weg, doch ich bin sicher, auch Sie verstehen die Gründe. Nach den letzten Jahren… und ganz besonders nach meiner eigenen Geschichte… möchten wir unsere Freiheit nicht wieder verlieren. Ingvalion Kasparbald Kasmyrin mein Name, Prinz und rechtmäßiger Herrscher zu Nostria, hätten nicht die drei Jahre in einem dunklen Verließ der Marschallin zu Sappenstiel die Geschichte von mir ferngehalten. Das Glück war mir hold, als Räuber auf meinem Weg zur Hinrichtung für Tumult sorgte, doch was ich vorher erfuhr, brachte mich dazu, nicht an das andere Ende der Welt zu fliehen. Am Abend vor den Ereignissen kam die Marschallin Rondriane von Sappenstiel selbst an mein Kerkerloch und lachte: Ich solle noch wissen, was um mich herum geschähe, spottete sie, denn nun sei sie meiner überdrüssig. In Andergast erheben sich Aufrührer, mit denen sie Kontakt aufnahm, und wenn sich die Bürger in Nostria scharen und den Heeren des Feindes nach Nordosten geschleift werden, würde damit auch die Königin verschwinden und allein sie könne herrschen. Dann weichten zwei Königreiche vor der Macht des Schwertes. Allein, zu ihrem Unglück überlebte ich und werde nun alles tun, damit dies nicht eintritt. Ich werde meine Verwandte retten, die Verräterin der Krone stürzen und mein Land von den Andergastern säubern und Ihr… Ihr seid eine Magierin, doch keine der Dualisten mit den strahlend weißen Roben. Ich habe Euch gerettet und bewunderte Euren Mut bei Eurer Unterlegenheit. Wollt Ihr Euch mir anschließen?“

Diese ehrlichen blauen Augen… nein. Nein, verdammt. Denke nach. Efferdan wurde gestürzt oder sitzt in der Patsche, Yolande erwartet etwas ähnliches und irgendeine Gruppe, zu der Mineda gehört, wird sich erheben… nein, das kann ich nicht zulassen. Für Efferdan, für Andergast, für einen neuen Frieden – selbst bei Verzicht auf einen Sieg. „Firlina di Arthuro-Galahan, Verwandte des Königs Efferdan, Kampfmagierin zu Andergast. Wenn es Euch nicht stört…“ – „Wie sollte es, das ist wundervoll. Lasst uns gemeinsam für den Frieden zwischen unseren Landen eintreten, die durch den Krieg so viel verloren.“ Ich nicke. Ja, er spricht mir aus der Seele. „Komm zu mir, Bürgerin der Stadt der Freiheit.“ Er beugt sich herüber, um mich zu küssen, geschickte Lippen, verdammt schweigsamer und sich niemals meldender Rufus und… „Nein“, sage ich. Schweren Herzens schlucke ich den kessen Spruch herunter, der eigentlich schon auf meinen Lippen lag, bringe ihn auf Abstand und bitte um ein Quartier. Im letzten Augenblick warnte mich eine innere Stimme, die nicht Rufus gehörte, sondern… ich weiß es nicht. Vielleicht erinnert er mich zu sehr an einen zehn Jahre jüngeren Corsaia. „Wie du willst“, sagt er mir einer unterdrückten Wut, die mich mein Stimmchen loben lässt, „Dann mache dir in der Nacht Gedanken darüber, wie wir mit dem Rest dieser Banditen fertig werden, denn für unseren Freiheitskampf brauchen wir den ganzen Wald für uns.“

Der Morgen dämmert viel zu früh und ich weiß, dass ich nun nicht mehr zurück kann. Kasparbalds Lächeln kehrte zurück und ohne jeden Makel in seiner Freundlichkeit frühstückt er mit mir. Ich merke sehr schnell, dass es im Lager außer mir keinen Zauberer gibt und wundere mich doch, wie schnell die Freiheitskämpfer mich bei dem Prinzen an der Spitze akzeptieren. Ich spreche aus, woran ich in der Nacht dachte und fühle mich zugleich mit jedem Wort schmutzig: „Ich würde erforschen, wo deren Lager liegt, und sie dann mit einem Feuerkreis ausräuchern. Bei dem ausbrechenden Chaos wären sie leichte Beute für Eure Pfeile.“ Kasparbald hört mir aufmerksam zu und nickt, doch mich beschleicht der Verdacht, dass ihm wohl jeder meiner Pläne gefallen hätte. Streiter bereiten sich vor, während wir unser Mahl beenden, und ich spreche es aus: „Mein Prinz, bei all meinen Erlebnissen blieb ich eine Abenteurerin und wurde nie zur Mörderin. Es gefällt mir nicht, nun gegen sie vorzugehen. Gibt es keinen Weg, sie zu überzeugen?“ – „Ich fürchte nicht. Glaubt mir, ich empfinde ähnlich, doch Ihr habt sie erlebt. Was hätten sie mit Euch angestellt, wären wir nicht eingeschritten? Es wäre zum Kampf gekommen und Menschen wären gestorben. Wenn Ihr jedoch mögt, dann bleibt hier im Lager und bewahrt Eure Kräfte. Ich bin sicher, die Männer werden es verstehen, wenn ich Euch zur Bewachung des Dorfes einteile.“ Er meint es ernst, das sehe ich, und mich verlässt der Mut. „Ja, bitte“, sage ich und fühle mich elend.

Kurz vor Mittag rücken sie aus, weshalb ich in einer Geisterstadt zurückbleibe. Ich hänge den Gedanken nach, klammere mich manchmal an meine „Wache schieben“-Aufgabe, ehe ich einsehe, dass ich mich selbst belüge und mit der Strickleiter von Hütte auf Boden oder andersherum wechsele. Was mache ich eigentlich hier? Hat dieser ganze Kampf denn überhaupt etwas mit mir zu tun? Oder besser: Spielt Mineda da etwa mit rein? Sie steht, soviel ist sicher, auf der Seite der Aufständischen und damit auf der der Marschallin von Sappenstiel... oder? Das ist es, was das Stimmchen meinte und was mich stört: Der Marschallin entgleitet zufälligerweise ein wichtiger Gefangener und die wohl beste Meuchlerin in diesen Gefilden lässt es geschehen… das passt nicht. Mineda will, dass er lebt, und wahrscheinlich wollte sie mich auch mit ihm zusammenbringen. Da stellt sich die Frage: Wozu? Was nützen Kämpfer für die alte Ordnung einer Aufständischen… oder ist sie das gar nicht? An dieser Stelle musst du das Handtuch werfen und die Rauchsäulen am fernen Horizont betrachten: Du kannst dem Prinzen nicht pauschal vertrauen, ebenso wenig wie du es bei Mineda oder der Marschallin kannst. Solange du aber nicht weißt, wer auf welcher Seite steht, kannst du nur eines tun: Du kannst und musst verhindern, dass sich die Dinge schnell entwickeln, denn nur die Zeit verschafft dir Klarheit. Es geht alles so furchtbar schnell.

Glückliche Menschen kehren zurück und reißen mich aus meinen Gedanken: Die Banditen wurden ausgelöscht, doch von uns starb kein Einziger und nachdem ich mich von meinen Schuldgefühlen anstecken ließ und mit meiner Kraft die Verwundeten versorgte, ließen sie mich doppelt hochleben: Als Taktikerin und als Heilerin. Ein großes Fest schließt sich an und ich bin Kasparbald dankbar, als er mich zu sich bittet – die Menge begann schon, mich als neue Königin zu feiern. (Von Andergast? Von Nostria? Beide Gedanken gefallen mir nicht.) „Freya, es ist vollbracht, doch lass uns die Form wahren: Gab es irgendwelche besonderen Vorkommnisse?“ Ich schüttele den Kopf und setzte mich zu ihn, zwei verlorene Gestalten am Boden der Anführerhütte, während von draußen die Geräusche dringen. „Nein, mein Prinz, die Abwesenheit der Kämpfer wurde nicht genutzt.“ – „Dann lassen wir uns nun ihre Anwesenheit vergessen. Sie sind fröhlich, denn sie hätten alle tot sein können, und sie danken Boron für den neuen Tag. Verstehst du das?“ – „Natürlich. Auch ich war schon in ausweglosen und gefährlichen Situationen.“ – „Auge im Auge mit dem Tod und das für eine längere Zeit? Ich weiß nicht, ob ich dir das glauben kann.“ Ich gebe mich geschlagen. „Da habt Ihr auch Recht. Ich kenne die Gefahr sehr gut, doch bislang verflog sie immer nach einigen Tagen. In langfristigen Kämpfen…“ – „Wir können morgen alle sterben.“ – „Was?“

Vorsichtig greift Kasparbald nach meiner Hand. „Der große Schlag steht an, Freya, früher als irgendjemand hätte vermuten können. Wir werden uns in Fässern verbergen und uns als Weinhändler verkleidet in das Feldlager schleichen, ehe dann die Männer aus den Fässern springen und die Marschallin töten. Es kann mich töten, es kann dich töten, doch solange Yolande lebt, wird das Gute triumphieren. Bist du bereit, zusammen mit mir dein Leben zu riskieren?“ Er will ‚verlieren’ sagen, das weiß er und das weiß ich. Das ist furchtbar und doch hat er Recht. Ich sehe in seine Augen, diese Meere, und weiß, dass er dazu bereit ist. Bin ich es auch? Nein, verdammt noch mal, aber es bleibt uns nichts übrig, wenn wir das Böse nicht gewinnen lassen wollen. Ich darf jetzt nicht mehr denken, ich muss meinen Gefühlen vertrauen und auf das Beste hoffen.

Nein, sagt mein Herz, halt. Ja, mein Prinz, ich weiß, wie du dir das jetzt und den Rest des Abends vorgestellt hast, doch das wird nichts werden. Ich bin nicht deine Gefolgsfrau, sondern eine reisende Magierin, die hier darauf aufpasst, dass am Ende nicht die Maraskanerin lachend aus dem Gebüsch hüpft. Ich werde nicht unter dir dienen und sicher auch nicht unter dir liegen. „Ich komme mit, doch ich möchte, dass du etwas weißt: Es gibt schon einen Mann in meinem Leben und ich bin treu.“ – „So?“ – „Ja, er heißt Rufus und lässt sich im Bornland zu einem Krieger ausbilden. In einem Jahr wird er fertig sein und dann wollen wir zusammen Abenteuer bestreiten.“ – „Ein glücklicher Mann. Weißt du, ich bin früher selbst oft auf Reisen gewesen, ließ das Prinzenleben in Nostria zurück und bereiste unerkannt das Land, Salza, Havena, sogar nach Andergast. Ich lernte viele wichtige Leute kennen, vergnügte mich mit Frauen… ja, zu meiner Schande, mit einigen… und hörte Kriegern und Zauberern zu, wenn sie ihre Geschichten erzählten. Ich begleitete Händler und wollte wirkliche Abenteuer erleben, doch so sehr ich auch suchte, wollte mir Aves diesen Wunsch nicht erfüllen. Ich zog mein Rapier nie im Kampf. So gesehen beneide ich nicht nur deinen Mann, sondern auch dich. Was hast du denn schon erlebt?“ Die Frage kannte ich und wenn sie mir von jemandem gestellt wurde, den ich mochte, erzählte ich gerne von Kurkum. Diesmal lag mir eine andere Erinnerung näher und ich wechselte die Geschichte. Prinz Kasparbald war nicht irgendwer. „Ich wurde mal auf einer Burg in einen Mordfall verwickelt, da kannte ich Rufus noch nicht lange. Wir retteten die Tochter, wurden von dem Baron eingeladen und erlebten dann eine Bluttat mit. Wir suchten lange, doch war das Ergebnis schockierend: Der Baron wurde schon vor einer langen Zeit von einem Gestaltwandler ersetzt, der nun dessen aufgab und Rufus’ annahm. Er konnte mich täuschen und um ein Haar wäre alles verloren gewesen; es war der echte Rufus, der mich rettete, und des Monsters Überheblichkeit.“ Der Prinz hört mir zu, ein angenehmer Genosse. „Ich weiß“, sagt er, als ich nichts mehr anfügen möchte, „wie es ist, wenn die Menschen, denen man vertraut, sich gegen einen wenden; so war es auch bei Rondriane. Ich kenne sie, seit ich ein Kind war, wir haben oft zusammen gespielt und später gefochten und wenn ich Liebeskummer hatte, dann konnte ich zu ihr kommen und fand Rat oder Trost. Hätte man mich gefragt, ob ich ihr zutrauen würde, dass sie mich bei günstigster Gelegenheit festsetzt, unter Tage einsperrt und am Ende zu töten bereit ist, dann hätte ich das klar verneint, selbst eine Woche noch nach meiner Verhaftung. Ich dachte so lange, sie sei so edel, weil sie Nostria jederzeit hätte erobern können, doch es nicht tat, und nun verstehe ich, dass sie nur darauf wartete, es ohne Bürgerkrieg zu tun. So geht das Idol meiner Kindheit. Rondriane…“ – „Romin…“, füge ich seufzend hinzu. Er legt seinen Arm um mich, was ich zulasse und genieße. So weit darf er gehen.

Am nächsten Morgen sind wir schnell bereit: Ein Wagen, am Abend geleerte Fässer, ein Pferd und vier todesmutige Männer, Gerion, Ugdalf, Pagol und Fingorn. Alles wartet auf Kasparbald, der zu spät erscheint und dessen roten Ringe unter den Augen davon künden, dass er nach meinem Rückzug noch mit einer Flasche Wein und den Göttern an den Wänden auf seine Heldentaten anstieß. Unwillig nimmt er die Händlerkluft entgegen, die genauso wie mir gereicht wird, und nur ungern lasse ich Stab und teures Gewand im Lager zurück. Bald schon muss ich merken, dass der Prinz der Klügere von uns beiden war, denn während ich den Wagen lenke und nervös auf jede Kleinigkeit achte, schläft er. Nichts passiert, doch die Fahrt zieht sich. Werde ich so auch einmal Boron entgegenreisen?

Die Marschallin besitzt ein Landgut nahe der Front, wohin uns der Weg führt. Wir sehen die Bauern auf den Äckern und lassen sie links liegen, zielen das Herrenhaus an und werden von den Wachen aufgehalten. „Was wollt ihr?“ Klingt meine kusliksche Zunge noch überzeugend? Das heißt es, zu probieren. „Wir sind Weinhändler und bieten das edelste Blut der Reben dem edelsten Blut des Landes. Ist euer Herr da?“ – „Lasst sie passieren, ich nehme mich ihrer an. Händlerin, Ihr müsst weit gereist sein, und wenn Ihr es wert seid, so will ich Ehre mit Ehre vergelten. Zeigt, was Ihr habt.“ Das ist sie, Rondriane von Sappenstiel. Schwarze, ergrauende Haare in einem Pagenschnitt, blassblaue Augen und ein Wappenrock… und exakt die gleichen Züge wie auf dem Bild in der Akademie. Ich zucke zusammen und danke es Kasparbald, der das Kommando übernimmt: „Jetzt.“

Das Getümmel entwickelt sich so schnell, dass man kaum nachkommt. Was sich mir an Wachen in den Weg stellt, das versteinere ich einfach, denn wenn diese erwachen, dann sind wir längst weg. Keuchend sitze ich schließlich in dem holpernden Wagen und weiß gar nicht mehr, was geschah, doch die heitere Stimmung meiner Gefährten lässt mich etwas ahnen: Wir waren erfolgreich. Das ist… erleichternd, weniger schlimm als befürchtet und irgendwie… seltsam, unwirklich.

Eine weitere Feier lasse ich mit Kasparbald in luftiger Höhe sitzend an mir vorbeigehen, während wir uns unterhalten. „Ich ziehe weiter“, sage ich, um die Last von meinem Herzen zu nehmen, und der Prinz nickt: Er wusste es bereits. „Was wird nun geschehen?“ – „Die Andergaster stehen noch vor Nostria, das gilt es aufzuhalten, doch wenn unsere Streitmacht nicht von einer Verräterin befehligt wird, können wir diese Schlacht sogar gewinnen. Ich werde schon bald nach Nordwesten aufbrechen, doch dann nicht als Attentäter, sondern als Prinz, und die Andergarstigen werden laufen, wenn sich Nostria aus den Fluten erhebt.“ Ich schüttele den Kopf. „Nicht die Andergaster, sondern die Aufständischen. Ich werde nämlich ebenfalls laufen… und zwar nach Norden, um auch dort alles in Ordnung zu bringen.“ – „Das wirst du schaffen, denn die Götter werden dir beistehen. Danke, Freya.“ – „Mein Prinz.“ – „Doch ehe du uns verlässt, möchte ich dir etwas schenken. Dies hier, diese Flöte, schnitzte ich selbst während meiner Jahre im Kerker. Nimm sie und trage damit mein Lied auch in nördliches unterdrücktes Land.“ – „Habt Dank, ich habe auch etwas für Euch, nämlich… ähhm… diese Ebenholzfigur gehörte zu dem Erbe, das mich erst hierher führte, und ich denke, meine Mutter legt auch keinen so großen Wert auf sie. Stelle sie auf deinen Kamin, denn ich kann jetzt nichts von Elefanten erzählen.“ – „Das macht nichts. Das musst du nicht. Gehe zurück in dein Land und rette die Anständigen und bist du dann deines Kriegers überflüssig, kehre zu mir zurück. Du weißt, dass ich dich will.“ Das trifft. „Danke, ich… ähhm… fühle mich… ähhm… geehrt.“ – „Als Hofzauberin“, rettet er sich und mich, „als Hofzauberin natürlich.“ – „Alrik?“ – „Ja?“ – „Was?“ – „Ähhm, nein.“ – „Häh?“ – „Ich meine, möchtest du ein Glas Wein? Ich hab’ noch guten.“ – „Liebfeldischen?“ – „Nein, nur Almadischen. Ein echter Pichelstein.“ – „Das ist keine Auszeichnung.“ – „Hier schon.“ – „Nämlich, wo ich herkomme, serviert man einer Dame nur dann einen Pichelstein, wenn man sie loswerden will.“ – „Du möchtest doch gehen, nicht?“ Er lacht und ich lache und der blöde Rufus weiß gar nicht, wie viel ich für ihn erleide.

Am nächsten Tag breche ich auf, zurück nach Süden. Ich will in Albernia rasten, um von dort meiner Mutter zu schreiben und vielleicht den Weg nach Grangor abzukürzen. Was auch immer Minedas Plan war und ob er aufging, kann ich nicht sagen, doch ich kenne mein nächstes Ziel: Ich werde ihre Warnung in den Wind schlagen und mich dieses Staates selbst annehmen. Die Elfe von Dela, dann Corsaia, Überwintern in Grangor und dann, wenn ich weiß, wie es steht, zurück zum Ursprung. Das ist doch ein Plan.

Freya in: (11) Der Zirkusaffe

Blutrot

Als ich der Grenze nahte, deren Überqueren mich von Nostria zurück nach Albernia bringen sollte, und bei den kalten Winden in Mitte Efferd das bauschige Gewand fest an mich drückte, da färbte sich Madas Mal, auf dessen Licht ich setzte, blutig rot und ließ mich schauern. Ich sank zurück in den Sand, lauschte dem Rauschen des fernen Meeres inmitten einer sonst gespenstisch ruhigen Welt, erhoffte mir Möwen und fuhr mit meinen Stiefeln über die getrockneten Farne. Ich kämpfte gegen den Drang an, mich im Sand einzugraben, mich zu verstecken oder panisch zu schreien, zitternd vor wachsender Ungewissheit und hilflos vor diesem Zeichen. Färbte sich Mada wegen mir? Hatte ich meine Göttin beschämt, hatte ich ihr Schmerzen zugefügt? Sie tauchte mein Reisegewand rötlich, ebenso den Sand, doch schwer und schwarz das ferne, hinter den Deichen liegende Meer. Verdammt, was geschah nun? Mineda, bist du da? Ich fühle mich allein, kann ich es denn sein?

Die Nivesen sprechen von Mada, dem Mörder, und sehen im Mond weder Mensch noch Hasen, sondern ein Wolfskind, und wenn ich das Schauspiel jetzt betrachte, dann kann ich sie verstehen und es fällt mir gar nicht schwer, einen jungen Hund mit dunklem Fell zu sehen, der den Schnee um ihn herum mit seinem Blut tränkt. Was kann ich nun für dich tun? Soll ich für dich tanzen, meine Mörderin? Soll ich entkleiden, damit du auch mein Fleisch mit deinem Licht einfärben kannst? Soll ich für dich zaubern? Denke an ein Ritual, Freya, denke nach… warum hast du nur nichts vorbereitet?

Die Welt geht nicht unter. Es ist alles so schön friedlich. Mir gefällt es hier im Sand, es fühlt sich nicht so kühl an und es riecht frisch, wie in meiner Kindheit. Wenn Hexen sagen, man soll beim Zaubern seine Gefühle leben, dann tue ich das einfach mal… und tue nichts. Du bist hübsch, meine Göttin. Wollen wir uns unterhalten?

Ich bin Freya, weißt du? Das da, was da kreischt, könnte eine Möwe sein, aber vielleicht ist es auch Ucuri auf der Suche nach einem neuen Herrscher. Ich mag Möwen wirklich, früher habe ich oft am Hafen gesessen und ihnen zugesehen; sie waren frei und konnten weg, ich war ein Mädchen und musste zu Hause bleiben. Ich hoffte damals, dass alles besser wird, wenn ich groß bin, doch das trat lange nicht ein; ehe ich die Freiheit gewann, verlor ich das Meer.

Siehst du gerade mehr als ich? Gewiss. Blicke doch einmal ins Bornland, ans andere Ende der Küste, und sage mir, ob du meinen Krieger siehst, der dort auf mich wartet. Das ist Rufus, dessen Haare wohl gerade genauso leuchten wie meine sonst, und er mag die Sterne. Er kann dir sagen, aus welchen Elementen sich gerade Wal, Schwert und Gans zusammensetzen, was ich nachlesen müsste, und wie viel man von dem Drachen wohl gerade erblicken könnte. Schicke ihm doch bitte eine Sternschnuppe und sage ihm, dass ich gerade an ihn denke. Ich liebe ihn und bald sehe ich ihn wieder, es ist nicht mehr lange hin, die Tage werden schon wieder kälter. Hoffentlich wartet inzwischen kein Brief für mich in Brig-Lo, der käme dann wohl nie an.

Wenn du gerade so weit blickst, dann suche bitte auch nach meinen Feinden: Zwei Gestalten mit langen schwarzen Haaren, sie unauffällig und mit verborgenem Irrsinn, er mit der Grazilität eines Raubtiers. Sind sie zusammen, dann verbrennt die Erde, da bin ich mir ganz sicher, und der Sand sieht dann aus wie dein Meer; ihn habe ich aber noch nicht erblickt und ich hoffe, dass es so bleibt, sie könnte mir verdammt dicht auf den Fersen sein. Ich weiß gerade nicht, was ich glauben soll, ob ich mir eine Begegnung erhoffe oder nicht – mit Mineda allein werde ich schon fertig, wenn sie sich mir zeigt, denn auch ich beherrsche das Feuer. Ich kann mich verteidigen.

Fehlt noch einer: Weißt du, dass ich Bilder sehe von einer blonden Frau, die mir nichts anderes als den Tod wünscht? Ich kenne sie, glaube ich. Ich traf sie kurz vor den namenlosen Tagen… weißt du, wer sie ist? Schickst du mir diese Bilder? Hilfst du mir? Wenn ja, danke dafür. Sage mir, wenn du frei kommst, dann komme ich zu dir. Wir könnten dann gemeinsam nach Prem reisen und uns in eine Sauna setzen. Glaube mir, das ist wirklich schön.

Mada? Weißt du, ich habe immer eine Flasche voll Schnaps dabei, sollten die Alpträume so schlimm werden, dass ich die Bilder verbrennen muss – und zwar im Feuer von Prem. Prost, Mada. Prost, Rufus… tu nicht so, als ob du schläfst… vor uns allen liegt noch eine lange Reise, doch wenn wir uns finden, dann schreiten wir bis ans Ende der Welt.
 

Schwarzgrau

Was ist das? Bin ich etwa eingeschlafen? Scheint so, denn der Morgen graut. Ich muss besser eilen, ehe die Patrouillen ihren Dienst antreten. Schnell voran, schnell… wenn ich nur wüsste, wann ich nun genau in albernischem Land stehe. Das ist alles so… unklar hier. Da wartet ja schon ein Ort auf einem Hügel. Ich will fragen. Wo bin ich hier? Lyngwyn, nördlichste Hafenstadt Albernias, bekannt für sein Badehaus mit einer eigenen Salztherme? Das klingt ja zu schön. Ich glaube, ich kann hier rasten, einen Tag lang oder zwei. Diese heimlichen Märsche fern aller Zivilisation strengen doch mehr an, als ich sie in Erinnerung habe, doch zum Glück fanden sie nun ihr Ende. Ich bin vorerst wieder außer Gefahr.

Aus ein oder zwei Tagen wurden fünf und als ich wieder aufbreche, folge ich der verwildernden und doch zu meinem Glück bestehenden Straße weiter in Richtung Havena, bald fort von der Küste und herein in sumpfiges, nebliges Land; ich fühle mich einsam inmitten der Leere, wünsche mir ein Schiff oder einen Führer, doch da mir Nostria verschlossen blieb und in Lyngwyn keine Aussicht bestand, verwandeln sich die Planken des letzten Wunsches in den Nebel der Gegenwart. Es mag seine Gründe haben, weswegen die Einheimischen hier eher auf Efferd setzen, statt zu Fuß durchs Moor zu gehen. Die Nächte sind da eigentlich noch schlimmer als die Tage, denn bei der Dunkelheit, in der man sich nicht bewegen kann, mag alles auf einen lauern. Mein Proviant geht mal wieder zur Neige… ach, ich traue mich einfach nicht, das Sumpfwasser zu trinken, ich weiß auch nicht, warum. Wer weiß, was darin schon alles starb… und vor allem: wann? Ich schaffe es, Nordhag zu erreichen. Da holen mich meine Träume ein. Ich bin im Wasser und kann mich nicht bewegen, ich ertrinke, während ein Magier mich an Genick und Haaren packt, mich erst herausreißt und dann wieder nach unten zieht. Er lacht, es ist ein irrsinniges Lachen, und ich will fliehen, ich will weg, ich will aufwachen, nur irgendwie raus. Ich kann es nicht.

Ich liege und ich bewege mich nicht, die Furcht umklammert mich, dass sich mein Körper bewegte und ich nun abseits des sicheren Pfades im Wasser hocke und bei Achtlosigkeit versinke. Es ist feucht um mich herum… ach, das ist nur mein Schweiß im Bettzeug; richtig, ich bin in Nordhag. Ich tanze mit Mada, doch diesmal ohne Feuer, sondern eine Verteidigung mit Panzer und Schild, und lege mich dann wieder schlafen. Nordhag reizt nicht. Drei Tage später stehe ich im letzten Ort vor Havena, dem kleinen Ort Dela. Langsam kehrt Ruhe in mich ein. Das Schlimmste habe ich überstanden, allein die letzten Tagesreisen fehlen… und der Kontakt zu der Elfe, die hier lebt und die Corsaia betrogen hat. Mir wird ganz mulmig. In wie vielen möglichen Fällen kann dies denn gut enden?
 

Freya

Was mir an Dela zunächst auffiel, war die Statue, die auf dem Marktplatz stand. Sie zeigte eine Frau in Robe mit großen Augen und langen, glatten Haaren, die den Arm in Richtung Albernia erhob, doch ihren Blick zur Küste weichen ließ. Inmitten eines Brunnens stehend überragte sie mich und ich fragte mich, ob es sich wohl hierbei um Takea handeln würde? Ohren konnte man nämlich keine sehen und die übrigen Zeichen… ach, wozu spekulieren, wenn ich auch einfach nachfragen kann? Ein Fuhrknecht kommt vorbei; „Ach“, erwidert er, „das ist die Frau Nahema, die einst mit ihrer Arroganz die Große Flut über das Land brachte. Die Zwölfe mögen uns vor dem Zauberergesocks schützen, das bringt nie etwas Gutes.“ – „Danke“, murmele ich und verkneife mir die Frage nach der Elfe. Nur wen könnte ich dann fragen? Ich stapfte in die nächste Gaststätte. Warum nicht gleich eine offene Frage mit einem offenen Mittagessen verbinden?

Es sollte schon Abend werden, als ich mich der kleinen Hütte am Sumpf näherte – ein irgendwie vertrautes Bild. Ich hatte mich gewaschen und während mein Reisegewand noch auf der Wäscheleine wartete, kam endlich einmal wieder mein rotseidenes Konventsgewand aus den Tiefen meiner Tasche zum Vorschein. So und wenig anders stand ich vor einem halben Jahr vor Marcin, nun würde ich die Elfe kennen lernen und hoffentlich auch meine Mutter wieder sehen. Ich klopfe.

Es rührt sich nichts. Ich klopfe erneut.

Die Stille ist eine Antwort. Ich tigere ums Haus wie einst um ein Bordell, doch vor allen Fenstern hängen genagelte Bretter und auch die Tür bewegt sich beim Ziehen keinen Zentimeter. Es fehlt der Rauch am Schornstein… oder fehlt der Schornstein ganz, ich kann es nicht erkennen… und es fehlt auch an Nachbarn, die ich fragen könnte. Ich kehre zur Stadt zurück mit einem Gefühl der Enttäuschung – Takea ist nicht mehr hier.

Am Abend betrinke ich mich und erinnere mich an vieles nicht, was ich da erfuhr: Die Elfe gab es mal und die Einwohner gingen manches Mal zu ihr, um ihre Zukunft zu erfahren oder um magische Hilfe zu erbitten, doch wenn sie sie nicht brauchten, beachteten sie sie nicht. Immerhin wurde sie von ihnen bisher auch nicht bestattet.

Es sah alles so gut aus, nun fror die Welt um mich herum zu. Irgendwo da draußen passierten Dinge und ich wusste nicht, ob ich diesen Ort verlassen sollte, um nach dem Rechten zu sehen, oder hier besser wartete. In zwei Tagen erkundete ich Dela und stellte fest, dass es wie Brig-Lo war, nur ohne jede Bedeutung. Das war auch nichts, ich wollte doch vor, nicht zurück.

Am dritten Tag, nach einer weiteren erfolglosen Wacht vor der Hütte, hörte ich großen Lärm aus der Taverne dringen. Schnell ging ich nachsehen und erlebte, wie drei junge Männer mit langen Haaren die Dörfler mit Feuerspuckereien, Jonglieren und hinter den Ohren herausgezogenen Münzen beeindruckten, doch auch wenn sie alles andere als schlecht waren, wurden sie doch von einem kleinen Äffchen in den Schatten gestellt, welches am Tisch eine Partie Rote und Weiße Kamele gegen sich selbst spielte – nicht mit der klügsten Taktik, doch bei Einhaltung der meisten Regeln. Als er schließlich nach einem Hut greifen wollte, um die Spenden einzusammeln, und auch ich nach meinem Beutel kramte, sehe ich nur aus den Augenwinkeln eine Bewegung, auf das sich alles verändert: Rebnuk, der so kluge und geschickte kleine Affe, fängt an zu winseln und zu toben, wirft Figuren, Hut und Krüge im Raum umher, während die Gaukler hilf- und ratlos daneben stehen, und rennt schließlich kreischend aus dem Raum.

Stille kehrt ein und ehe den Gauklern die Blicke unangenehm werden können, schreit einer von ihnen: „5 Dukaten für den, der uns Rebnuk lebend zurückbringt.“

Das ist mein Stichwort. Ich will nicht mehr warten, sondern breche auf. Ich brauche endlich ein Ziel, an dem ich meine Energie entladen kann, und da ist dieses davonlaufende Tierchen am Horizont eine gute Wahl. Der Weg führt nach Süden bis zu einer Lichtung, auf der zwei abgerissene Gestalten warten, einer mit Schwert und einer mit Flöte. Was soll ich da tun? Schnell der Zauber, die übliche Wahl… zweimal Stein und gerade wieder Ruhe. Das war einfach.

Mit Rebnuk auf den Schultern kehre ich zurück und achte mehr darauf, dass hinter mir niemand mehr erscheint, als das ich dem Weg vor mir große Beachtung zukommen lasse. Plötzlich springt nämlich eine Frau mit einem großen Schwert aus dem Gebüsch und geht mit einem irren Lachen auf mich los. „Ach?“, sagt sie, „Du willst also gerne die Belohnung für dich haben? So wird das nichts. Der Affe ist mein und die Prämie für deinen Kopf gleich mit. Ich komme gar nicht nach. Das klingt alles wie aus einem Alptraum.

Auaaa. Der erste Schlag trifft mich und reißt mich zu Boden. Blöde Gala-Robe, wo ist nur mein Panzer? Denke nach, Freya, was kannst du jetzt tun? Der Spiegelpanzer wirkt, als könne er Magie aufhalten. Du musst es versuchen. Zwei Finger in die Richtung… Blitz. Ja, sie ist verwirrt, doch das hält nur eine Sekunde. Ich hätte es wissen müssen.

Zweiter Hieb, überaus mächtig. Mein Stab bewahrt mich vor Schlimmeren. „Können wir nicht reden?“, frage ich. Sie lacht nur höhnisch.

Es bleibt mir nichts anderes übrig. Ich muss töten. Linke Faust aufs Ziel, ein paar elfische Worte sprechen und sehen, wie sie sich windet. Es hält sie nicht auf, nicht einmal annähernd.

Stab fängt mehr ab, doch wo ist meine Konzentration? Diese Frau ist irre, sie lässt ihr Schwert kreisen und trifft mich, als mein nächstes Fadengeflecht nicht halten will. Blutend gehe ich zu Boden. „Frieden!“, rufe ich, doch was soll ich tun? Nächster Versuch? Genauso kläglich wie der davor. Was habe ich auch darauf verzichtet, meine Kampfzauber zu trainieren? Jetzt rächt es sich, verdammt, es rächt sich, und das bei einer Irren mit einem großen Schwert, deren Namen ich nicht kenne. Blitze ich sie eben noch einmal, mehr gibt meine Kraft nicht her, dann kann ich ja noch aufstehen und rennen… nein. Auch das hält sie nur kurz auf. Was willst du von mir, du vernarbtes Streitross, kannst du nicht… nein. Sie lächelt. Es macht ihr Freude, zu sehen, wie ich mich kaum mehr rühren kann. Alles ist verloren.

Ich schließe die Augen, erwarte das Ende und freue mich darauf, Serilla wieder zu sehen. Etwas Warmes bedeckt mich. Ist es nun…?
 

Ich blinzele, doch die Welt da draußen unterscheidet sich nicht… außer vielleicht darin, dass der Kopfgeldjägerin der Kopf fehlt. Er scheint geplatzt zu sein und ihr Blut vermischt sich mit meinem. Gerettet? Gut. Ich sinke zurück und lasse los.
 

„… Das war wirklich nicht schön“, höre ich eine Stimme reden, „doch ich wünschte, ich hätte es dir ersparen können. Wenn du wüsstest, wie viele Meuchler in den letzten Monaten hierher nach Dela kamen, nur um dich zu erlegen… Mit ihr hier und den Gauklern waren es nun sechzehn. Ich hoffe, es ist nun überstanden, denn leider kann ich ja nicht mehr aus den Schatten über dich wachen.“ Die Stimme spricht, doch nicht zu mir. „Nein, das ist… Besser, es waren vielleicht noch nicht alle, aber bei mir bist du in Sicherheit. Genau.“ Vorsichtig öffne ich die Augen. Ich liege am Boden, doch nicht mehr im Wald, und eine Gestalt zieht vor mir ihre Kreise. Ich will mich aufrichten und stöhne dabei – die Wunden mögen verschwunden sein, doch es fehlt mir jede Kraft.

Die Frau wendet sich um: „Du bist wach, Freya? Das ist schön. Ich freue mich, doch wünschte ich, die Umstände unseres Treffens wären besser gewesen. Ich hätte dir das hier gerne erspart. Wusstest du, wie viele Meuchler…?“ – „Sechzehn. Ich habe dich reden gehört.“ – „Oh, entschuldige, entschuldige.“

Die Elfe bleibt stehen und beugt sich zu mir herab, wobei ihre schwarzen Locken über ihr zartes Gesicht fallen. Sie trägt das Leinenhemd eines Bauern, doch das golden schimmernde Amulett um ihren Hals zerstört diese einfache Verkleidung. „Takea bin ich… oder möchtest du die ganzen Titel wissen?“ – „Nein, wirklich… ist Corsaia hier?“ Über ihren Ausdruck legt sich ein Schatten. „Ruhe dich aus, Kind“, sagt sie, „dann sprechen wir weiter.“ Ich möchte mich dieser Anweisung nicht widersetzen. Was immer auch kommt, es muss warten.

Freya in: (12) Der Stab der Beschwörung

Der Weg

Kurz bevor ich Albernia erreiche, raste ich. Der Sumpf wurde für eine Zeit durch einen Wald unterbrochen, und ehe ich diesen hinter mir lasse und am Ende noch im Moor versinke, nutze ich lieber die Möglichkeit zur Pause. Meine Finger greifen einmal mehr nach dem Tuch, in das ich Takeas silbrigweiße Kugel, groß wie zwei nebeneinander liegende Kreuzermünzen, eingehüllt hatte, die sie mir zum Abschied mitgab und über die wir uns auch über die Ferne miteinander unterhalten konnte. Mit Kugeln kannte sich die Elfe nämlich aus und es erheitert mich, als ich an unsere Begegnung zurückdenke, an der ich es herausfand.
 

„Corsaia war nicht hier, doch ich weiß, wer du bist.“

„Woher denn?“

„Das ist… nun… ich habe es halt. Zaubererkram, verstehst du?“

„Das macht es ja so spannend. Ein Zauber… oder eine Kugel? Das ist es, habe ich recht?“

„Ja… also nein… Ich habe eine Kugel, doch die nutze ich, um in die Zukunft zu sehen…“

„… und anderes. Dazu dient also der Stein auf Corsaias Stirnband. Du kannst ihn sehen und hören.“

„… Ja…“

„Und er weiß es nicht?“

„Er ließ mich nicht zu Wort kommen und ich nahm an, der große Held wird sicher selbst darauf kommen. Seitdem vergingen drei Jahre.“
 

Takea, die Elfe, die angeblich den Platz in Corsaias Herzen einnahm, gehörte zu der Sorte Magiern, die ihre Kunst lieben, weil sie ihnen erlaubte, mehr Zeit mit Büchern und weniger mit Menschen zu verbringen. Ich lächle, während ich an sie denke, an meinem Brot kaue und mit ein paar Rufen prüfe, ob sie sich gerade in der Nähe ihrer Kugel aufhält. Bei allem, was nicht mit Zauberei zu tun hatte, schien sie überfordert zu sein, und sie war eine furchtbare Rednerin. Marcin hätte sie tanzen lassen, aber mit einer Freude…

„Baum, Baum, Baum zur linken, Baum zur rechten… Elfe da?“ – „Ja. Nein. Rebnuk hat mal wieder… Gibt es was Wichtiges?“ – „Nur mein Wunsch nach Gesellschaft. Du, sag mal, warst du eigentlich schon einmal in Havena?“ – „Ja, wegen Rebnuk hier, und einmal, als ich sie sehen wollte. Sie hat mir aber nicht gefallen. Ich kenne Städte, doch diese mag ich gar nicht.“ Takea war einsam, das merkte ich deutlich. Sie schien ihre Tage bloß in der Hütte zu verbringen, allein in Gesellschaft ihres Äffchens Rebnuk, hatte in dem Dorf Dela weder Freunde noch Familie und wartete auf ihren Krieger, von dem sie wusste, dass er sie betrog. Ich hatte sie gefragt, wie das kam, doch über ihre Herkunft wollte sie nichts erzählen. Ich ging davon aus, dass sie ihre Sippe verloren haben musste, was sie an Corsaia band, doch nicht jede ihrer Antworten passte zu dieser These – so wie diese. „Was stört dich denn an der Stadt?“ – „Du wirst behandelt wie auf dem Dorf. Jeder glotzte mir hinterher, keiner wollte mit mir sprechen und alle griffen zu den Waffen, wenn ich nur in ihre Richtung sah. Dazu kommt ein Gestank nach Dreck, totem Fisch und Mensch von der schlimmsten Sorte, da willst du nur noch weg.“ – „Oh, dann freue ich mich schon darauf, hinzukommen.“ Ja, richtig, Albernia war ja etwas magierscheu, das hatte ich mitbekommen, als ich da lebte, nur zeigten sich solche Eigenschaften in den Städten nicht normalerweise weniger stark? „Wie sehr sahst du denn wie ein Zauberer aus?“ – „Ich sehe aus wie eine Elfe. Das tue ich immer.“ Danke, Takea, das war nicht die Frage, doch ist es eine Antwort. „Dann ist ja gut, dass ich da nicht lange bleibe. Ich brauche nur eine Passage nach Grangor, um da zu überwintern. Dann ist alles Nötige getan.“
 

In dieser Nacht schlief ich schlecht. Madas Mal blickte sterbend auf mich herab und mich überfiel die Furcht davor, welche Alptraumgestalten wohl auf mich warten würden, wenn ich die Augen schloss und mich einfach fallen ließ. Es gab eigentlich keinen Grund dafür, ebenso wenig wie an den letzten Nächten, wenn man einmal vom fremden Land absah und von der Magie aus Takeas Kugel, die ich bei mir trug, aber weder beherrschte noch verstand. Dann tanzte ich mit Mada, teilweise eine ganze Stunde lang, doch auch so kam ich nicht zur Ruhe. Es gab etwas, was an mir nagte, und das war das Gefühl, als würde ich einen Hang herabrollen in einem Wagen und ich hätte keine Kontrolle. Zu viele Menschen nahmen gerade Einfluss auf mein Leben und schickten mich über zu viele Stationen, und mir fehlte jede Kontrolle. Das war es für mich nicht, was es hieß, frei zu sein. Das hatte ich eigentlich vermeiden wollen.
 

Ich betrat Havena auf dem Landweg. Sümpfe am Horizont verwandelten sich langsam in Felder, bis sich mir schließlich eine Stadtmauer und dahinter die Aussicht auf mehr offenbarten. Der Weg wurde fester, wenn auch nicht voller, und ich fühlte mich allein, als ich langsam und wie ich spürte von Langbogenschützen beobachtet auf das – ganz passend genannte Nostrische Tor zutrat. Stadtwachen langweilten sich und die Bewegung, in der sie mein Nahen versetzte, ließ das Schlimmste befürchten. Ein schwarzhaariger Kerl in schimmernd poliertem Kettenhemd und mit einem fiesen Blick trat mir einen Schritt entgegen. Seine Kameraden fühlten sich in seinem Schatten stark.

„Heda, wer, woher und wohin?“

„Adeptin Freya aus Andergast, kommend aus Dela und auf Weiterreise nach Grangor.“

„Ach? Das Gildensiegel bitte.“

„Hier. Natürlich.“

„Das ist falsch.“

„Was?“

„Ein echtes Gildensiegel wird in der Handfläche getragen.“

„Bei Kampfzauberern, die sich durch Feuer schnell die Handflächen wegbrennen können, genügt ein öffentliches Tragen. Sagt der Codex Albyricus.“

„Ach ja? Larric, prüfe das nach und sieh’ gleich nach, ob nach einer Andergaster Zauberin gefahndet wird. Sie bewegen sich solange nicht weg. Ist Ihnen das Magieverbot in der Stadt bewusst?“

„Ich hab’ von gehört.“

„Jede Form schadhafter Zauberei wird sofort geahndet – und denken Sie nicht, dass Ihnen ihre Gilde hilft, wenn Sie es doch tun. Das geht dann ganz schnell hier. Und nun: Den Rucksack abnehmen, Beine auseinander und Arme hoch. Den Stab zu mir.“

„Was wird das?“

„Zollkontrolle. Der Stab ist aus Steineiche, richtig?“

„Ja, allerdings.“

„Einfuhr von Steineiche ist zollpflichtig, wird abgerechnet nach angefangenem Quader. Gun, schreib das auf und halt mal. Die Jacke ausziehen.“

„Was?“

„Kleidung ist ein beliebtes Versteck für Schmuggelware. Aedith, fühl da nach. Und nun… der schönste Teil.“

„Sie tun mir weh.“

„So eine Leibesvisitation muss penibel und gründlich sein, sonst erfüllt sie ja keinen Zweck.“

„Wenn das Ihre Vorgesetzten wüssten… kann ich meine Jacke wiederhaben?“

„Die sehen das ganz genauso. Die denken nämlich, es ist besser, wenn ihr vor der Stadtwache austickt als mitten unter Bürgern.“

„Sehr freundlich. Haben wir es bald?“

„Nein, noch lange nicht. Die Flasche ausleeren.“

„Warum? Das ist meine Trinkflasche.“

„Die Mitnahme von Alchemica in die Stadt ist untersagt und Wasser gehört dazu. Außerdem kann es Gift sein. Dann bitte den Rucksack öffnen und ausleeren.“

„Was, hier auf der Straße?“

„Wo denn sonst?“

„Kann ich wenigstens eine Decke unterlegen?“

(…)

„Dann ist jetzt alles gut?“

„Natürlich nicht. Ihr Schwert müssen wir leider noch einbehalten, damit dürfen Sie nicht in die Stadt. Sie können es allerdings abholen, wenn Sie die Stadt verlassen.“

„Das wird aber doch auf dem Seeweg geschehen.“

„Die Verwahrungsgebühr beläuft sich auf einen Dukaten pro Mond… und natürlich meinen wir Madas Phase. Wie viele Monde dürfen wir auf der Quittung vermerken?“
 

Havena

Ich habe Hunger, denn als ich endlich das Tor passieren konnte, legt Rahja bereits das Mittagsmahl nahe. Die Hauser des Stadtteils Oberfluren, durch den ich nun wandere, gleichen allerdings so gar nicht dem, was ich erwartete. Es sind große Villen an beiden Seiten von prachtvollen Straßen, die sich langsam mit Leben füllen, und nahe der Königsburg. Havena präsentiert sich mir von seiner besten Seite und von der dem Wasser fernsten gelegen – ein Teil, der auch gut in Kuslik stehen könnte. Die Bewohner sieht man allerdings kaum, weil sie ihre Häuser nicht verlassen oder sich nur in Kutschen zeigen, so dass nur Diener die Straßen bevölkern, sich in eifrigen Schritten bewegen. Niemand scheint mich zu beachten, was mich an Takeas Worten zweifeln lässt, doch kaum spreche ich sie an, merke ich, dass mich niemand beachten will: Passanten hören meine Rufe nicht oder weisen mich knapp darauf hin, dass sie beschäftigt und in Eile seien. Ich bin Zauberin, also bin ich komisch und weil es mich nicht geben soll, gibt es mich nicht. Dabei möchte ich nur wissen, wo in der Stadt ich gut was essen kann, ohne mich in die Nesseln zu setzen.

Ich fühle mich allein. Ja, vom Verhalten her könnte dies auch sehr gut Kuslik sein.
 

Das riesige Immanstadion im Zentrum und die Erinnerung an die Heimat lassen mich träumen und so merke ich nicht, dass ich mich langsam dem Hafen nähere und die Gegend maritimer und dreckiger wird. Matrosen und Arbeiter ersetzen die Dienstboten und die Herausforderung, eine bezahlbare Unterkunft zu finden, weicht der Suche nach einer vertrauenswürdigen. Bei der vierten Schenke sagt schließlich mein Gefühl zu und ich betrete sie, um mir ein Gefühl für die Stadt und ihre Regeln zu verschaffen. Wenn man davon absieht, dass Magier hier nicht willkommen sind, weiß ich wenig über den Ort, nur dass der Krieg hier sonderbarerweise weit weg zu sein scheint. Ach, Havena ist so groß und unübersichtlich. Ich hätte nicht von Andergaster Verhältnissen ausgehen sollen.

Eine schale Fischsuppe füllt den Magen und lässt mich weiter die Stadt erkunden. Ich verweile auf der Zollbrücke und sehe zu, wie ein ankommendes Schiff von Zöllnern besucht und schließlich weiter in den Hafen geleitet wird, so vertraut aus jungen Tagen, dass ich träumend auf das Wasser starre, bis mich missmutige Gardisten zum Weiterziehen anhalten. Ich schlendere die Hafenstraße entlang durch den verlassen und ruhig daliegenden Südhafen, an dessen Hafenmeisterei ich gebeten werde, an einem anderen Tag als dem Praiostag wiederzukommen, und bestaune andächtig den Bennain-Damm, während ich auch auf ihm verweile. Ich kann von seinen Höhen aus Havena erahnen: Im Westen in Richtung des Meeres versunkene Stadtteile mit dem markanten Turm der Zauberin Nahema, die hier vieles tat, nur wenig Gutes, und der nun wie ein schwarzer Finger als Warnung aus dem Meer ragt, dann die kleinen, wenn auch nicht schmutzigen Hütten Fischerorts vor mir, dann das Hafenbecken mit seinen weitläufigen Anlagen wie auch seiner Ruhe vor mir, kaum von großen Schiffen gefüllt und dahinter die Stadt, in deren Gewirr aus Gassen ich noch die Umrisse von Immanstadion und Königsburg zu erahnen meine. Aus dem Südhafen dann kam ich, diesem ruhigen Ort mit Teilen der Mauer dahinter und dann blicke ich schon wieder auf Wasser, kleine Trauerweiden, versunkene Ruinen, Nahemas Fingerzeig und die Hoffnung hinter den Weiten des Meeres. Wenn ich mich jetzt in ein Schiff setzen und nach rechts die Küste entlang segeln würde, käme ich wieder in Nostria an, oder bei einer Fahrt nach links in meiner Heimat. Ich möchte mit jemandem sprechen, während der Wind an meinen Haaren scheitert, hole die Kugel heraus und spreche Takea an. Sie antwortet nicht.

Ich ziehe weiter. In dem aus kleinen Hütten um den Efferd-Tempel bestehenden Fischerort fühlt es sich ganz behaglich an, doch in dem hinter einer kleinen Brücke gelegenen Stadtteil Krakeninsel werden die Blicke aus den Fensterlöchern feindseliger und in das nahe Orkendorf, in dem sich der Gestank von Mensch, Fisch und Sumpf zum Widerlichsten vereinen und es in Gänze hässlich wird, wage ich mich gar nicht mehr herein. Auch eine fremde Magierin ist schließlich nur eine Frau.

So scheitert mein Rundgang um das Hafenbecken mit seiner Insel im Zentrum auf den letzten Metern und ich tröste mich mit einem neuen Ziel, der sich doch irgendwo beim Wasser befindlichen Prinzessin-Emer-Brücke, dem Meisterwerk des in meiner Heimat berühmten Genius Leonardo. Ich fand das riesige Bauwerk über den Großen Fluss hinter dem unauffälligen, auch in Andergast hätte liegen könnenden Stadtteil Unterfluren, und inmitten von innerhalb der Stadtmauer liegenden Feldern, und wurde nicht enttäuscht. Zwei Türme auf Säulen ließen es leicht erspähen und die drei Bögen wurden hoch genug gespannt, um auch großen Schiffen mit vollen Segeln die Passage zu erlauben. Ein Dämon soll sie zerstört haben, als Borbarad nach der Welt griff, und dann wurde sie von Nahema wieder aufgebaut – davon kündete ein bronzenes Schild, doch ich erkannte keine Spuren.

Da schließe ich meinen Rundgang durch die Stadt ab. Das also war Havena – schnell betrachtet und von außen. Wenn ich morgen ein Schiff finde, welches mich nach Grangor führt, dann werde ich noch irgendwann einmal zurückkehren, vorerst möchte ich aber in Unterfluren, wo mein Gefühl stimmt, mir eine Bleibe suchen. Ich brauche ein Bad, etwas Ruhe und dann eine Passage, damit ich Rufus in Grangor als eine wunderschöne, wie aus dem Ei gepellte Magierin gegenübertreten kann… wie immer das auch endet. Ach, Rufus… und ich brauche ein Bier.
 

Zeit vergeht. Ich sitze in der Taverne Salzfass inmitten von Hafenarbeitern und bin schon etwas angetrunken, als sie mich neben sich setzt; eine brünette junge Frau mit sanften Rehaugen, die ich erst nicht erkenne, weil sie zur Abwechslung einmal nicht wie die aus dem Ei gepellte Magierin aussieht, die ich so gerne wäre, und weil Jahre vergingen. „Firlina“, sagt sie und sieht mich an. „San? Bist du es wirklich?“ – „Deine Mutter nennt dich Lina.“ – „San…“

Ihr Name lautet Sancide de Ruthor und vor der Unendlichkeit, in der sich meine Zeit in Andergast verbirgt, wurde sie meine Tutorin. Ich verdankte ihr, die obgleich in einem ähnlichen Alter in der Schule schon so viel weiter war, eine Menge, doch als sie ging, um ihre pflichtmäßige sechsjährige Dienstzeit bei dem ODL, der magischen Armee der Grauen Gilde, abzuleisten, waren wir keine Freundinnen mehr und auch jetzt zeigt sie keine Freude, mich wieder zu sehen, was aber auch nichts heißt. Sie war schon immer unterkühlt.

„Erzählst du mir von den Streitenden Königreichen?“ Mir muss die Kinnlade herunterklappen, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. Sie sitzt vor mir wie ein Fels, die Hände vor sich auf dem Tisch, wie sie es schon im Unterricht tat, und spricht mit leiser Stimme. „Möchtest du die Antwort überdenken, während ich mir ein Bier hole?“

Ich nicke, doch sie dreht sich nur um und gibt dem Wirt ein Zeichen. „San, du bist nicht zufällig hier, oder?“ – „Nein, ich wartete hier auf deine Ankunft. Die bekam ich mit, du warst nicht leise.“ Nein, das war ich wirklich nicht. San sitzt wieder ruhig da, die Hände vor sich und mit ruhigem Blick, der präsent ist, aber nicht bohrend. Ich kannte sie nie anders. Sie brachte sich damals diese Haltung selbst bei, um den Magistern des erst vor wenigen Jahren für Frauen zugänglichen Seminars unmöglich zu machen, sie für Zappelei zu bestrafen. Sie wollte es auch mir beibringen. Daraus bestanden unsere ersten Stunden. „Ich war zufällig in Nostria, als da das Chaos ausbrach, und half bei einem Angriff auf die Marschallin von Sappenstiel. Meinst du das?“ – „Nein, doch beschreibe diese Zufälle.“ Unter ihrem Blick glich meine Haltung inzwischen ganz der ihren, während unser Bier in den Krügen seine Schaumkrone verlor. „Meine Mutter schrieb mir einen Brief, in dem stand, dass ihr Bruder verstorben war und sie mich bat, seine Erbschaft für sie abzuholen. Das tat ich, doch dann brach der Krieg aus und ein Andergaster Heer rückte an. Ich lernte auf der Flucht den Prinzen Kasparbald kennen, der gegen die Andergaster und die Marschallin von Sappenstiel, die die Macht an sich gerissen hatte, gleichermaßen ankämpfte, half bei einem Angriff gegen sie und verschwand dann. Stört dich daran etwas?“ Sie antwortet mir nicht, doch in ihrem Blick liegt eine tadelnde Note. Ich gebe mich zu schwach. Nun gut, eh egal, denke ich mir und genehmige mir gleich noch einen Schluck. „Es gab einen Putsch in Andergast. Noch lichtete sich der Nebel nicht, doch wir erhielten Kunde, dass ein Dämon dabei auftrat und es zu Kämpfen mit den Magiern des Seminars kam. Es klingt alles danach, als habe ein reisender Held ihn bezwungen, aber seit diesem Vorfall vor einigen Wochen fehlt uns jeder Kontakt mit der dortigen ODL-Garnison. Wir rechnen mit dem Schlimmsten.“ – „Bei den Zwölfen. Efferdan?“ – „Der Putsch verlief erfolglos, wir erhielten aber Kunde von einem Gegenkönig.“ – „Ach du liebe Güte.“ – „Fällt dir noch etwas dazu ein?“ Ja, natürlich. Mir fällt es wie Schuppen von den Augen. „Mineda.“ – „Ja?“ – „Sie ist eine maraskanische Attentäterin und kam aus Andergast, um mir den Brief zu überbringen. Von ihr bekam ich auch eine schwarze Onyxhand. Warte, ich habe sie…“ Die muss doch in dem Rucksack sein. Verflucht, warum geht der nur so schwer auf? Meine Finger. „Firlina? Kennst du sie von den Ergebnissen damals?“ – „Gut geraten. Sie arbeitete für den General. Hier, das ist die Hand.“ San nimmt sie entgegen, sieht sie jedoch nicht an. „Hier stimmt etwas nicht“, sagt sie. „Ich glaube, wir werden beobachtet.“ Ich schaue sie an und lache. „Ja, der Wirt will wissen, ob du was gegen sein Bier hast.“
 

Es ist hell, als ich erwache, und ich liege in einer kleinen Kammer und das Licht scheint hell durch das Fenster. Ich bin allein – sei das gut oder schlecht – und bei der Schräge der Decke wohl direkt unter dem Dach. Das Bett ist nicht sehr sauber, aber angenehm, der Raum hingegen leer. Ich muss wohl doch noch eine Unterkunft gefunden haben.

Es klopft an der Tür, laut und eindringlich. Ich will mich nicht bewegen, also lasse ich es sein. „Aufmachen“, klingt eine Stimme nicht weniger penetrant von draußen. „Und leisten Sie keinen Widerstand. Sie sind verhaftet wegen des Mordes an Fräulein de Ruthor.“

Ich bin wach. San? Niemals! Das kann nicht sein!

Ehe ich mich versehe, greife ich nach Stab und Rucksack und raus aus dem Fenster, am Sims festhalten und… aua. Das war anders gedacht und tut weh. Ich bin trotzdem raus, verlasse schnell, wenn auch leicht hinkend, den Hinterhof und… ja, was nun? Erst einmal weg. Beim Laufen kann ich nachdenken. Hauptsache, ich werde nicht gefasst, denn wenn die mich fassen, dann hänge ich doch sicher, weil ich ja eine Zauberin bin.
 

Gestern Abend wird Sans Blick ein einziges Mal stechend, dann sagt sie: „Die Sache ist ungeklärt und dein Name tauchte auf. Wir haben Befehl, dich zu verhaften.“ Das überraschte mich weniger, als sie vermutet haben musste. Ich biete ihr meine beiden Arme an. „Bitte nicht“, sagt sie, „Ich habe nur gesagt, mein Befehl lautet so. Ich möchte mir erst selbst noch ein Bild davon machen. Du bist in Gefahr.“ Sage mir bitte nichts, was ich so schön verdrängt habe. „Ja.“ – „Ein gemeinsamer Bekannter warnte mich. Nur darum bin ich hier.“
 

Wo bin ich? In Havena, danke. Ich stehe mitten in der Stadt und trete auf einen weiten Platz, viereckig, mit Bäumen gesäumt und von einem mächtigen Bauwerk aus schweren Steinen und mit kleinen Fenstern beherrscht. Was weiß die Garde und woher weiß sie es? Was ist passiert, wo und wann? Nicht die Tore raus, darauf warten sie doch nur. Verflucht, ich muss mich umziehen. Gibt es hier öffentliche Latrinen? Was ist das hier? Maskenmuseum, geöffnet außer Praiostags, Eintritt: 1 Silber? Ich lache mich scheckig. Perfekt.
 

Gestern Abend wollte ich nicht raten. „Wer war es?“, frage ich, statt zu spekulieren. „Dein Einstiger.“ Welcher?, überlege ich und mein Blick muss Antwort genug gewesen sein. „Carro. Er sagte, du würdest nach Albernia mitten in eine Falle fliehen. Ich solle auf mein Kind achten, wie man es in meiner Heimat täte… und um sicherzustellen, dass es echt ist, schrieb er den Satz, mit dem ich dich begrüßte.“ – „Und der war?“ – „Dass deine Mutter dich Lina nennt.“ – „Das tat Carro auch.“
 

Ich trage eine dunkelgrüne Bluse mit einer passenden Hose, als ich das Museum verlasse, wie ich es immer tue, wenn ich mal für einen Abend nicht daran erinnert werden will, keine Magierin zu sein. Meinen Stab kann ich nicht verstecken und leider auch noch nicht verwandeln, deshalb löse ich einfach das Wolfsfell, mit dem ich den Griff auskleidete, und binde es über die Spitze – schon wirkt er auf einfachem Wege ganz anders. Ehe mich auch noch ein Barbier verpetzt, helfe ich mir bei den Haaren auf ganz ähnliche Weise: Schnell bei einem Krämer eine Spange gekauft und schon wirkt die Frisur ganz anders. Das muss reichen. Mehr kann ich in einer Stadt, die ich seit gestern erst kenne, nicht tun.
 

Gestern Abend war da etwas. Ich musste übergeben. Die Latrine war besetzt, also stürme ich raus und erleichtere mich im Hinterhof neben einer Hecke. Das Bier war wirklich furchtbar, da hatte San vollkommen Recht. Stimmen lassen mich schweigen. Da sind zwei Männer, die reden.

„Bist du sicher, dass sie es ist?“

„Larric kontrollierte sie, als sie die Stadt betrat. Freya aus Andergast, rotbraune, lange Haare, Siegel auf der Rechten. Kein Zweifel.“

„Gut, und nun?“

„Geduld. Schon bald wird sie schlafen wie ein kleines Kind, da sei dir sicher. Dann geht’s ihr an die Kehle und ab mit ihr ins Moor.“

„Und ihre Freundin?“

„Gleich daneben – es sei denn, du hast noch anderes mit ihr vor.“

„Lass mal stecken. Sarpedon war die Sache ernst. Wir gehen besser kein Risiko ein.“

„Besser ist das. Und nun: Geduld.“
 

Larric, genau. Larric von der Stadtgarde. Das war einer der Helfer, die hinter der Sache stecken mussten. Ich muss ihn finden und … naja, zunächst einmal finden. Nur wie? Ich denke, ich versuche es auf die einfachste Art: Freundlich nach seinem Wohnort fragen. Das ist Havena, da gibt es eine Menge Kommen und Gehen, warum soll dann nicht ein Gardist Besuch von seiner Base aus Dela bekommen?

So wäre San auch vorgegangen. Das war eine ungeschriebene Regel ihres Lebens: Tue das, was du tust, offen, doch mache kein Getue drum. Das konnte sie… oder kann sie, denn noch kann ihr Tod auch ein Trick sein.
 

Gestern Abend konnte ich San nicht im Stich lassen. Ich kehre zu ihr in den Schankraum zurück. „Du hast Recht“, sage ich, „Wir sind in Gefahr und im Bier ist Gift.“ Sie blickt mich an mit unerratbaren Gedanken hinter sanften Rehaugen, vollkommen ruhig, während in mir die Panik aufsteigt. „Gehe zum Brunnen und wasche dich“, sagt sie. „Du siehst furchtbar aus.“
 

Im Moment der Entscheidung bekomme ich kalte Füße. Wer war dieser Gardist doch gleich? Es war nicht der, der mich mit größtem Vergnügen begrabschte und dabei nicht einmal so tat, als suche er nach verborgenen Phiolen, sondern einer seiner Assistenten… nur wer und wie sah er aus? Ich war mir sicher, er sah eigentlich ganz unauffällig aus – das tun Attentäter ja, sieht man ja an Mineda –, aber wenn das und seine Position bei der Stadtgarde alles war, was ich wusste, dann konnte es auch böse nach hinten losgehen. Ich ging lieber auf Nummer Sicher und solange eine Spur zum Salzfass führte, konnte ich erst einmal dieser nachgehen… oder hatte San Freunde oder Kollegen in der Stadt? Wenn es eine offizielle Vertretung des ODLs hier in Havena gab, dann könnte mir die doch beispringen… aber die gab es wohl nicht, nicht in einer magierfeindlichen Stadt ohne Akademie.
 

Wenn ich mir vor meinem inneren Auge eine Zauberin vorstellte, dachte ich an San. Sie war immer so viel besser als ich. Ihr Erfolg, als erste weibliche Schülerin mit dem Rohalsmal des Jahrgangsbesten ausgezeichnet zu werden, obgleich Teile des Lehrkörpers alles taten, um dies zu verhindern, spricht für sich. Ich bin schon seit Jahren ein Protegé, sie vollbrachte ihre Leistungen allein. Ich glaube, darin lag ein Grund für unseren Bruch.
 

Das Salzfass gönnt sich einen freien Tag, davon kündet ein Schild, doch ob dies einem Mord geschuldet war, wurde nicht verraten. Ich gehe langsam vor und teste einfach mal aus, ob die Tür denn zu öffnen ist – und tatsächlich, das war sie. Der nächste Schritt führt mich in den Keller, nachdem sich das Gasthaus als verlassen erweist, und habe dort Glück… oder wie man es nimmt. In einer großen Kammer, in der das Flackern von Feuerschalen magische Zeichen an der Wand enthüllt, steht ein Mann in schwarzen Gewändern und sein altes, verschrumpeltes Gesicht strahlt, als er mich erkennt. „Und ich dachte schon, du wärst geflohen und der Meister enttäuscht. Da haben wir ja Glück… und ganz besonderes, denn ich gewinne noch mehr köstliches, magisches Blut für ein paar ganz bedeutende Rituale.“ Was? Ich verstehe gar nichts mehr, was mein Gesicht zu verraten scheint und den Magier erheitert. „Stirb!“, ruft er mir zu, „Stirb für einen guten Zweck.“ Da öffnet sich ein Portal und ich sehe mich ganz plötzlich zweier riesiger Spinnen gegenüber. Er selbst verschwindet, doch das ist klar.
 

Ich gebe dem Magier keinen Grund zur Wiederkehr, denn schon bald liegen seine Spinnen im Staub und nachdem ich meine schmerzenden Wunden mit einem Balsam versiegelte, kann ich mich auch im Raum umsehen. Da wurde ein Schreibtisch ganz in die Ecke geschoben, auf dem sich die beschriebenen Blätter stapeln, da ist ein eiserner Hebel, der das Gitter einer Zellentür öffnet, und da ist auch ein Körper darin: Ein zierlicher Frauenkörper in einfachen Leinen und mit einem Schwall brauner Haare, der sich im Takt eines ruhigem Atems auf und ab bewegt. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Auch wenn es nicht so aussieht, ist das mein ganz aus dem Ei gepellter Traum einer Magierin.
 

Am Ende war alles gut. Ein Zirkel des Namenlosen, der sich durch Auftragsmorde ein großes Ritual finanzieren wollte, für das auch der Raub eines Stabs der Beschwörung nötig war, konnte zerschlagen werden und die Papiere, die sich im Keller fanden, führten acht Bürger vor den Henker. Mir wurde ganz schwindelig, als ich einen Vermerk las, auf dem mein eigener Tod beschlossen wurde: „Großmeister Sarpedon überbrachte durch eine Agentin einen Befehl: Die Magierin Freya di Arthuro-Galahan, die die Stadt Havena im Efferd passieren wird, sei zu erlegen. Ausdrücklich betont er aber durch fremden Mund, dass dies erst bei ihrem zweiten Besuch eintreffen solle, nicht schon bei ihrem ersten möglichen Aufenthalt in einigen Tagen.“, fein säuberlich in ein dunkles Auftragsbuch notiert. Ich konnte mir denken, wer diese Agentin war, doch ich schwieg. Sollte sich San und der ODL ihre Gedanken machen. Ich erhielt noch eine ganz andere Ehre: Vom Stadtvogt selbst wurde ich im Rahmen der Feier zur Nacht der Ahnen für meine Taten um die Stadt gelobt. Ich hätte ja lieber San diese Ehre angetragen, doch die musste ja weiter.
 

An jenem Abend kehrte ich, nachdem ich mich wusch, erneut zu San zurück. Ihr Blick war so ernst, dass er mir in der Seele brannte. „Er schrieb von Kindern und meiner Heimat, doch verstehst du, was er damit sagte? Er sagte, dass er den Brief diktiert bekäme und ich besser beraten wäre, den Anweisungen nicht zu folgen und dich sterben zu lassen. Ich verlor zwei meiner Brüder und eine Schwester in der Nacht, als die schwarzen Schiffe kamen, und verspreche dir: Das werde ich nicht noch einmal zulassen. Fliehe du an den Ort, an dem ich mein Quartier bezog, ich werde dir sagen, wo. Ich halte sie auf.“

Freya in: (13) Der Waigel ohne Wiederkehr

„… und lachen Sie nicht…“

„Meine Damen und Herren, liebe Scholaren, werte Kollegen, geehrte Gäste. Ich heiße Sie alle ganz herzlich hier im Autitorium Maximum der Akademien der Erscheinungen zu Grangor willkommen, wo wir uns alle versammelten, um feierlich das 88. Lehrjahr unseres zwar verhältnismäßig jungen, aber doch an Geschichten und Leistungen umso reicheren Instituts zu eröffnen. Große Träume warten auf uns, auf Magier wie auf die Schüler, und sie wollen nicht verwirklicht, sondern gelebt werden, wie sie sind: Farbenfrohe Bilder, Lichter, die mit den Sternen glänzen und der reine Fluss von Tsas Regenbogen. Sie alle wollen geformt und sichtbar gemacht werden, auf das Magie zur Schönheit, Schönheit zur Freude und Freude zur Magie führt, und auch wenn das Alter unseres Hauses langsam das der ältesten Bürger in unserer Stadt überschreitet, so wollen wir doch nicht müde werden, uns der Herausforderungen der Magie selbst auch in diesem Jahr neu zu stellen. Unser Lehrkörper blieb nun im dritten Jahr unverändert und wenn auch die unvorhergesehenen Tode unter den Scholaren im Rahmen bleiben, so kann uns eigentlich gar nichts geschehen. (…)

Ich möchte Ihnen allen auch einen Gast vorstellen, der zumindest für ein Teil des Jahres an unserer Seite weilen wird, meine bezaubernde junge Kollegin Freya aus Andergast. Als Adepta seit nunmehr zwei Jahren wird sie ihren ersten Gildendienst hier in unseren Hallen ableisten, also seid nett zu ihr – außer, wenn ihr zeigt, was ihr könnt. Zu meinem Bedauern möchte ich allerdings mitteilen, dass es uns nicht gelang, einen neuen Akademiekoch mit realistischen Lohnvorstellungen zu finden, doch auch wenn wir die Suche nicht aufgeben, so würden wir es doch begrüßen, ließen die Therbûniten Frau Travine möglichst bald zu uns zurückkehren…“
 

Ich hörte Stimmen und floh. Kaum fiel hinter mir die Tür zum Gästequartier ins Schloss, da hatte ich auch schon die Kristallkugel in der Hand und blickte betont böse auf sie herab. „Ja, Takea, was gibt es?“ Vor versammelter Menge geflohen, mitten während dieser ewig langen Eröffnungsrede… was für ein Beginn meines Pflichtdienstes hier. Hoffentlich würden sie annehmen, dass es mich bloß zur Latrine zog. Das fehlte mir jetzt echt.

„Alles in Ordnung?“, hallt Takeas Stimme aus dem Nichts, kraftlos und fern. „Nein“, sage ich zu schnell und zu laut, was hoffentlich niemand draußen hört. „Ich musste gerade einen vollen Saal verlassen, mitten während einer Rede. Die haben alle geglotzt und getuschelt.“ – „Wo bist du denn?“ – „Grangor, jetzt endlich. Ich werde die nächsten zwei Monate an der Akademie beschäftigt sein.“ – „Und dein Krieger?“ – „Ließ sich nicht blicken. Scheißkerl.“

Ich wirbele die Kugel umher, renne durch den kalten, nur von Hängematte und einem kleinen Tisch ausgefüllten Raum und lasse mich unter dem Fenster auf den Boden sinken. Dann erlischt mein Bewegungsdrang so schnell, wie er begann. „Ich habe nach ihm gefragt, doch die Stadtgarde meinte, er sei noch nicht wieder da, und bei seiner Mutter wollte ich nicht nachfragen. Vielleicht liegt ja Schnee im Bornland oder er ist krank…“ – „… oder er hat sich ein schönes blondes Kind geangelt, das nicht so schwierig und magisch ist.“ Ihre beißende Kälte könnte den Hafen zufrieren, doch ich lache. Sie denkt, was ich denke, und du wirst jetzt nicht weinen, Freya. Du bist doch eine wunderschöne, wie aus dem Ei gepellte Kampfmagierin. Das Bild wollen wir doch bewahren.

„Ich hasse es einfach.“, plappere ich drauflos, denn ich brauche jetzt eine Stimme, auch wenn es meine eigene ist. „Wenn er mir wenigstens etwas geschrieben hätte. Er wusste doch von Brig-Lo, er weiß doch von Grangor, da kann er doch etwas schreiben, und wäre es nur ein Nein. Wenn er denkt, dass es nichts wird, dann kann er es mir doch sagen, oder wenn er nichts Festes will oder nur was zum Angeben oder was weiß ich, aber stattdessen fehlt er und tut so, als gäbe es mich gar nicht. Es ist fast so, als wiche er mir aus. Ach, ich ertrage das einfach nicht mehr länger.“ Blöde, blöde Stille. „Denkst du, ich habe ihn vertrieben? He, Takea? Bin ich ansehnlich? Ich meine, natürlich gibt es schönere Enten auf dem Teich, aber es gibt doch wirklich auch Schlimmere. Und ich bin doch auch nicht zu anstrengend. Immerhin hat es auch Jannis über ein Jahr mit mir ausgehalten. Und ich habe doch Geld und keine Schulden mehr… oder ist es das?“ Takea? Jetzt schweige du mich nicht auch noch an. „Takea? Elfe?“

„Ich bin nicht allein.“, sagt sie mit gedrückter Stimme, „Corsaia ist hier. Ich soll grüßen.“ – „Ach, das… ist ja peinlich.“ – „Nicht sehr. Hast du schon von dem Dämon gehört?“ Ja, davon sprach San auch schon. „Was ist mit ihm?“ – „Es gab einen. Corsaia konnte ihn vernichten… mit drei Hieben, sagt er.“ – „Und was war es für einer?“ – „Groß und feuerrot, eine Art Vogel. Mehr weiß er nicht.“ – „Und meine Mutter?“ – „Ist noch in Andergast. Der große Held hat es ganz vergessen.“

Bewege dich nicht, Freya. Du magst dich zwar bewegen, aber sonst nichts. „Freya, da ist noch etwas. Das ist ein Abschied.“ – „Was?“ – „Corsaia ist hier und wir brechen gleich auf. Delion ruft und spricht vom Meister der Macht… und die Spur führt fort von Dere.“ – „Sehen wir uns denn wieder?“ – „Das kann ich nicht sagen, doch wenn wir es nicht tun: Lebe wohl…“

Ich bleibe noch lange vor dem Fenster liegen, denn es traf mich wie ein Schock. In den letzten Monaten fühlte es sich gut an, jemanden zu haben, mit dem ich reden konnte, und nun war ich allein. Takea zieht weiter und ich wünsche ihr nur das Beste, während es an mir liegt, mich um mich selbst zu sorgen. Hier in Grangor werde ich sicher jemanden finden, mit dem ich reden kann.
 

„… den Anspruch zu erfüllen…“

Kalter Wind, schneidend von See kommend, empfängt mich, als ich den säulengeschmückten einstigen Stadtpalast nur meinen Rücken betrachten lasse. Gestern erreichte ich Grangor erst in der Dämmerung und auch heute bestand mein Handeln nur aus einem ausgiebigen Besuch im Badehaus und einem langen Blick in den Spiegel. Ich freute mich so lange schon auf eine Stadt, in der ich nicht gleich stechende Blicke auf meiner Magierrobe spürte, und hatte doch noch nichts getan. Das Schiff hatte erst verspätet ablegen können, da die See bisweilen tobte, Rufus war noch nicht da… nein, es hätte alles besser anfangen können. Nun lautet mein nächstes Ziel, mir im Bürgerhaus einen Bürgerbrief ausstellen zu lassen, wodurch ich zur Grangorerin werde – in wirklich keiner anderen Stadt stehen die Tore so weit offen wie hier. Es wird mir die nächsten beiden Monate sicher vereinfachen und wenn die Sache mit Rufus gut geht, dann kehre ich sicher noch häufiger hierher zurück. Ach, schlechtes Thema…

Der markanteste Teil Grangors stellt sicher das Wasser dar, wurde die Stadt doch auf einer Insel inmitten einer Bucht errichtet und als wenn dies nicht genügen würde, schneiden sich breite Kanäle mitten durch das Land und bieten fast mehr Schiffs- als Fußweg. Während ich die feinen Bürgerhäuser, die sich im Wasser des Schinderwaats spiegeln, auf mich wirken lasse und mir klar wird, dass von mir aus meine Schritte zum Bürgerhaus auch etwas kleiner sein könnten, denke ich mir: Ja, klar, kein Wunder, dass sie so offen sind, denn leicht kann man nicht von hier fliehen. Trotzdem erfasste auch diese Stadt der Wachstumsschub und ich bilde mir ein, dass sie vor einem Jahr, als ich schon einmal hier überwinterte und mich mit Hilfe der Schule zum Sternengefäß formte, noch nicht so voll war… und laut.

Ein Gardist mit langen braunen Haaren winkt mir zu und während ich ihm nachsehe, erinnere ich mich daran, ihn nach dem Weg zu der Akademie gefragt zu haben. Er gehört zu der Zweililiengarde, die hier für Ordnung sorgt und dabei Stäbe trägt, von denen jedes Ende bewehrt ist, weil ihnen seinerzeit ein Gebieter das Tragen von Waffen mit _einer_ Klinge untersagte. Ein blonder Junge in teuren Gewändern spricht mit lauter Stimme gegen den Menschenstrom an, der sich jedoch nicht auf ihn einlässt und seine Anweisungen, Grangors Zukunft in der Vergangenheit und in einem Geschlecht aus dem Güldenland zu suchen, während ein nicht ganz so gut gekleideter Barde vom Ende einer Liebe singt. Ich bin nicht unglücklich, mich schnell dem freistehenden, großen Bürgerhaus genähert zu haben. Hoffentlich erwartet mich hier kein Abenteuer wie in Nostria.

„Hallo, meine Dame? Sie sehen aus, als hätten Sie… hohe Ziele und möchten nicht so töricht sein, sie alleine anzugehen? Dabei vermag ich Sie zu unterstützen. Kaiser von der Kuslik-Grangorer mein Name.“ Die ausgestreckte Hand in meinem Weg lässt mich erst erahnen, dass er mit mir spricht, und ich schüttele sie, um nicht unhöflich zu sein. „Wissen Sie denn schon, was die Kuslik-Grangorer Ihnen bieten kann? Wir haben ein Sortiment an Heldenversicherungen nun im Angebot, um Ihnen die Möglichkeit zu geben, Gutes zu tun und sich gleichzeitig nicht allein zu fühlen. Wären Sie interessiert?“

Meint der das ernst? „Hmm?“

„Da haben wir zum einen unsere Prothesenversicherung. Wissen Sie: Es kann so schnell geschehen, da war der Drache hungrig oder der Artillerist betrunken und schon wünschten Sie sich…“ – „Nein.“ – „Wie nein?“ – „Mein Schicksal schützt mich vor Verstümmelungen.“ Da bin ich mir sicher. In meinen Träumen verliere ich zwar mein Leben und meine Seele – und beides mit einer gravierenden Häufigkeit –, doch keine Gliedmaßen.

Der Herr Kaiser bleibt einen Augenblick irritiert. „Nun“, sagt er, um die Zeit zu überspielen, die er mit dem Ordnen seiner Blätter verbringt, „Dann bieten wir von der Kuslik-Grangorer auch die HeldInnen-Lebensversicherung an. Zeichnen Sie diese und wir werden sowohl für Ihre Begräbnis- wie Überführungskosten aufkommen und einem Begünstigten eine an unsere Tarife angepasste Summe auszahlen. Sollten Sie allerdings das 55. Lebensjahr erreichen – was wir beide nicht hoffen, kleiner Scherz –, zahlt Ihnen die Kuslik-Grangorer ein monatliches Altersruhegeld. Kommt das Ihnen näher?“

Der Schlag trifft. Ich weiß nicht, wie es kommt, doch auch Herr Kaiser spürt es – ihm rutschen seine Papiere aus der Hand, damit er sie aufheben kann. Was soll ich tun? Das Schicksal sagt mir und ich weiß es, ich weiß es mit einiger Gewissheit, dass ich nicht alt werde. Ich kann tun, als wüsste ich es nicht, oder ich kann mich darauf einstellen. „Lassen Sie mich später entscheiden“, sage ich, „und geben Sie mir die Papiere. Ich komme auf Sie zurück, wenn ich den Kopf frei habe.“
 

Nun heißt es, mich dem Bürgerhaus zuzuwenden. Bei einem kleinen Fisch-Imbiss namens Ui-Cob kaufe ich mir einen in Praiosblumenöl gekochten Ui Fisch mit einer weißen Soße, den ich verspeise, während ich schnell die Anschläge mustere. Eine Nachricht dringt in meinen Verstand und lässt mich Schlimmes ahnen.

„Der Heldensteuerjahresausgleich: Um der allgegenwärtigen Dukatenverknappung Herr zu werden, entschloss sich der allaventurische Städtekonvent (mit Ausnahme Al’Anfas), das Heldensteuergesetzbuch (HSG) mit sofortiger Wirkung als verbindlich einzuführen. Danach werden fahrende Recken verpflichtet, den fälligen Steuerbetrag bis spätestens Rondra zu entrichten, der im Praios festgesetzt wird und der in folgender Höhe ausfällt: Ein Prozent der Abenteuerpunkte plus Stufe in Dukaten. Für das Ausstellen der Urkunden wurde überall wie auch hier ein Stadtwaigel eingesetzt, der auch Anträge auf Minderung bearbeitet. Die Stadt.“

Ich verstehe die Zahl nicht, doch bin ich mir sicher: Das kann teuer werden.
 

Ich betrete das Bürgerhaus, halte mich links, auch wenn die Erfahrung mit Lytis schreckt, und stehe wenig später inmitten einer Traube bunt gekleideter Recken. Da sind Hexen, die über ihre Flughartholzharnische diskutieren, da stehen Praioten und Schwarzmagier schön in einer Reihe und da klagt ein Schelm darüber, schon wieder verhauen worden zu sein. Nur Rufus fehlt… nein, er ist auch nicht dieser niedergeschlagen dreinblickende Meuchler, der eben das Büro verlässt. Ich bin an der Reihe und eine nicht aus dem Ei gepellte Zauberin tritt ein.

Ich trete in eine Art verstaubtes und verlassenes Studierzimmer, welches von einem schweren Schreibtisch im Herzen und von Regalen voll mit Büchern an den Wänden gut ausgefüllt wird und der grimmigen Gestalt, dem Mann wie ein Ork, in einem Sessel keinen Raum zu geben scheint. Sein Blick greift mich wie der des Kopfes des Tigerfells auf dem Boden, weshalb ich nur beiläufig das Namensschild auf dem Tisch wahrnehme. Der Mann scheint keinen Namen zu besitzen, denn dort steht nur: „Der Waigel“.

„Sie wünschen?“ Ja, was will ich denn? Ich denke an die wohlige Schwere meines Geldkätzchens und spreche den Weg aus, sie zu bewahren: „Ich möchte einen Bürgerbrief und ich möchte weniger Steuern zahlen.“ Funkelnde Augen mustern mich und lassen mich an eine Zwergenbinge denken. „Ach, und warum?“ – „Gemäß der Tatsache, dass ich seit 1028 BF als Heldin arbeite und dementsprechend einen Vierer-Vertrag besitze, der mit dem alten, wohl in der Hal-Zeit gültigen Dreier-Vertrag nur scheinbar übereinstimmt, beantrage ich eine Kürzung um 30% nach HSG.“ Der Mann blickt mich an und erbebt, bis ich verstehe, dass er lacht. „Sie haben recht“, sagt er, „Wer sich für die Allgemeinheit einsetzt, der soll belohnt werden. Der Antrag auf Bürgerrecht wurde verstanden und wird bewilligt, sollte innerhalb einer Wochenfrist niemand aus der Bürgerschaft Einwände dagegen erheben, was die Steuer angeht, so schreibe ich Ihnen eine Urkunde, die sie im Nachbarbüro angeben können. Bezahlen Sie bis zum letzten Werktag im Rondra, oder Sie werden für ein Jahr aus der Stadt verbannt. Der Nächste bitte.“
 

Als ich das Bürgerhaus verlasse, verdunkelte sich die Stadt vor der herannahenden Nacht und ein Wind fährt mir durch das Haar. Das ist Grangor, meine Wirkungsstätte für die nächsten zwei Monate… und meine nächste Heimat.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von: abgemeldet
2014-03-31T17:14:56+00:00 31.03.2014 19:14
Da bin ich. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber wenn ich das hier für dich lese, will ich es richtig tun, und mir schwirrte in den letzten Tagen zu viel durch den Kopf, als dass ich mich aufs Lesen hätte konzentrieren können. Ich fürchte, ich werde nicht alles auf einmal schaffen, auch wenn ich es gerne würde - aber ich glaube, damit hast du schon gerechnet, oder?

Ich mag den Einstieg. Ich weiß nicht viel darüber, worum es geht, und durch das "du" fühle ich mich direkt angesprochen und habe den Eindruck, dass das gar nichts macht und ich an der passenden Stelle erfahren werde, was ich wissen muss.

Sie entstand aus der Verzweiflung heraus, die sich nach deinem Geburtstag deiner bemächtigte, als du nämlich entschiedest, [...]
Entschiedest? Srsly? Entschieden hast wäre eindeutig besser.
Uff, Monstersätze. Du solltest vielleicht aus zwei Riesenmonstersätzen ein paar kleinere Monster machen. Ich mag lange Sätze eigentlich, aber deine hier sind so lang, dass ich mich brutal aus dem Lesefluss rausgeworfen fühle.
Die Verbendungen auf -st wirken auch auf Dauer komisch. Anfangs ging es noch, aber dann wirkte es rasch gestelzt und gekünstelt.

doch als die Lieferung eintrifft, da fallen etwa die Hälfte der nagenden Zweifel von dir ab; er leistete wirklich gute Arbeit.
Klingt bedrohlich danach, als könne er es jetzt nicht mehr.

Der Blitz schlägt ein und richtet Verwüstung in der Herde an. Du riechst verbranntes Fleisch und eine Stimme lacht.
An dieser Stelle fällt mir auf, dass ich dir das "du" nicht mehr abnehme. Anfangs war es ein nettes Stilmittel, was einen dazu eingeladen hat, weiter zu lesen. Nun frage ich mich, warum du immernoch daran hängst.
Ich rieche kein Verbranntes Fleisch, sondern frage mich, warum du immer "du" schreibst - hättest du beispielsweise geschrieben "Der Geruch verbrannten Fleisches liegt in der Luft", hätte ich es als Fakt dem Setting hinzugefügt.

Eine Gestalt steht auf dem Felsen, den Magierstab drohend errichtet, und sie sieht kein Land und keine Schafe, sondern ganz allein dich.

Von der Erzählperspektive mal abgesehen finde ich diesen Satz grandios.

Die Hitze ist wirklich drückend. Hast du genügend Wasservorräte? Du kauftest ja noch auf dem Wochenmarkt ein, doch da dies alle taten, kletterten die Preise.
Du hast eingekauft. Wirklich. Nicht kauftest.

Ach, warum besitzt Lilim nur immer noch dein Buch, du könntest die Zeit doch ebenso gut noch mit Ritualplanungen verbringen.
Welches Buch?

„Deine Schreie machen mir Angst, kleine Rahja.“, sagt sie, „Komme doch zu uns.
Geht der Satz nach der wörtlichen Rede weiter, brauchst du keinen Punkt. Nur andere Satzzeichen, die zusätzlich zum Ende des Sartzes noch die Betonung des Satzes anzeigen werden geschrieben.
Wieso "komme"? Ich frage dich: Wer sagt denn "komme"? Sollte das mystisch nach Fantasy wirken: Tut mir leid, hat nicht geklappt.

Du sprichst Verwünschungen und drehst dich weg, ohne ihren weiteren Worten zu lauschen. Dir war nie bewusst, wie sehr du diesen Krieger hasst.
Aus purer Neugierde? Wieso nicht sprachst und drehtest? Da es mich, wie du ja gemerkt hast, nervte, stört mich der Wechsel jetzt nicht sonderlich.

Sie müssen über Nacht erschienen sein und fielen über alles her, was nur ansatzweise nahrhaft wirkte, selbst deine Bettdecke weist Bissspuren auf.

Jo, die Ratten sind erschienen. Nicht einfach aus dem Loch gekrochen. Sie haben sich nicht einfach durch eine Wand genagt. Sie sind erschienen wie ein magisches Wesen. Teleportiert!
"aufweisen" ist ein Verb, das man vorsichtig einsetzen muss, denn es passt nicht immer in den Textfluss. Es wirkt gehoben, posh würde meine Englischlehrerin sagen. Gehobene Sprache passt irgendwie nicht zu Rattenbisslöcherln im Laken.

Den Rest des Tages verbringst du mit Nadel und Faden, um von deiner Garderobe zu retten, was noch zu retten ist, zumindest ließen sie aber dein neues Gewand in Ruhe.
Ich frage mich, was sie mit ihrem Zauberstab kann. Offensichtlich keinen Antirattenzauber und auch keinen, mit dem sie Löcher dicht kriegt. Wirkt hilflos, wenn sie so kleine Dinge nicht kann und sie ohne zu murren, was ihre Tagesplanung angeht, einfach mal den ganzen verfluchten Tag da sitzt und Löcher stopft. Ich vermisse Plot, um ehrlich zu sein. ^^
Alltagsbeschreibungen habe ich, wenn ich einfach nur die Augen aufmache und schaue, was ich hier so treibe. Dafür brauche ich keine lange Geschichte lesen.

Ich mag es, dass du beschreibst, wie ein einfaches Kartenspiel in der Welt aufgebaut ist. Da ist es fast schon schade, dass sie nur Solitär spielt.

Bist du wirklich einfach so eingenickt? Das ist durchaus möglich, denn du erhieltest nicht viel Schlaf.
Warum? Wirklich: Warum?
Erhieltest? Ist das dein Ernst?^^
Diese ausgefallenen Worte wirken nicht mystisch. Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber das einzige, was man damit erreicht, ist, seinem Leser zu zeigen, dass es einem an schreiberischer Erfahrung mangelt. Na, immerhin ist es nur Erfahrung und nicht Motivation, andersrum wärs viel schlimmer. (:

Mineda bedeutet Ärger, das weißt du genau.

Staffel 2 hin oder her: Es hat viel zu lange gedauert, bis etwas passiert. Das hier ist Kapitel 1 deiner Geschichte. Du musst deinem Leser einen Grund geben, lesen zu wollen, denn sonst wird es keiner lesen. So wichtig Ruhe- und Erholungstage sind, so wichtig es ist, zu schildern, dass die Herberge ein Rattenproblem hat: Manchmal muss man sich kurz fassen, um wichtige Dinge zu erzählen. Du hättest einfach auf frische Nähte auf ihrer Kleidung verweisen können, und in einem Nebensatz erklären, dass die daher kommen, dass über Nacht eine Horde Ratten über ihre Sachen hergefallen ist und sie Nadel und Faden bemühen musste. Damit hättest du genau so viel gesagt, inhaltlich gesehen, wie du es so tust. Nur wäre ich nicht komplett gelangweilt.
Es ist wirklich, wirklich schade, weil man allein schon von der Wortanzahl her sieht, dass du dir tierisch viel Mühe gegeben hast. Nur sieht man die Mühe nirgendwo. Es wirkt einfach... runter gerattert.
Es tut mir sehr leid, dir das sagen zu müssen, aber ich kann deine Geschichte nicht lesen. Ich werde mich nur ärgern und weiter ärgern, werde übellaunig klingen, werde dich irgendwann unabsichtlich anpampen, und da haben wir beide nichts von.
Ich schaue gerne in Staffel 3 rein, aber ich werde keine 21.000 Wörter in diesem Tonus lesen.
Eule


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