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Ins Blaue hinein

#001 OsTA für Maliondarin
von

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The One and Only

Cara hätte nie darauf eingehen sollen. Von Anfang an hatte sie gewusst, dass es eine dumme Idee war, sich mit diesem Kerl einzulassen. Ihre Freunde hatten sie gewarnt, aber sie hatte nicht hören wollen. Was sie für ein kleines Abenteuer gehalten hatte, würde sie nun umbringen.

Es kostete Cara unheimliche Mühe, nicht zu hyperventilieren. Immer wieder ermahnte sie sich, so langsam und leise zu atmen, wie es ihr möglich war. Möglicherweise fand er sie nicht. Wenn es irgendwo einen Gott gab, stand der Wind in einer für sie günstigen Richtung.
 

Die Sterne über ihr leuchteten in voller Kraft. Dieser Anblick, der sie normalerweise in Staunen versetzte, rief in dieser Nacht die nackte Panik in ihr hervor. Je heller jeder einzelne Stern schien, je weißer der volle Mond am Himmel stand, desto heller war die Nacht, desto leichter könnte er sie sehen. Aber vermutlich konnte er das auch im Dunkeln.

Cara spürte, wie sich ein ganzer Wasserfall aus Tränen in ihr aufbaute, der nur darauf wartete ausbrechen zu dürfen. Er durfte nicht. Es wäre zu laut. Sie kauerte sich noch mehr zusammen, versuchte noch kleiner zu werden und in diesem Meer aus Blättern und Bäumen zu verschwinden. Konnte sich nicht einer der Bäume öffnen und sie in die sicherere, geborgene Dunkelheit seines Bauches ziehen, bis sie außer Gefahr war? Wenn es Wesen wie ihn gab, dann gab es vielleicht auch Bäume, die sie retten konnten.

Langsam verlor sie den Verstand.

Cara schloss die Augen und versuchte nicht allzu sehr zu zittern. Trotz der warmen Sommernacht war ihr kalt. Ihre Angst ließ sie so erbärmlich frieren, wie es nicht mal im kältesten Winter der Fall war.

Dabei hatte es so schön angefangen.
 

Cara blickte in den klaren Sommerhimmel. Er war nahezu Türkis und kein Wölkchen war zu sehen. Die idyllische, ländliche Landschaft hatte sie direkt begeistert. Anfangs war sie sich nicht sicher gewesen, ob es klug war mit einem Mann, den sie kaum kannte, in sein kleines Waldhaus zu fahren, aber jetzt, da sie die Gegend hier sah und die frische Luft durch das geöffnete Fenster genoss, war sie sich sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Noah mochte eine etwas unheimliche Ausstrahlung haben, aber das machte ihn nicht gleich zum Vergewaltiger und Mörder. Die letzten Dates mit ihm waren schön gewesen, der Sex phänomenal. Nach diesem verlängerten Wochenende würde sie vollkommen entspannt nach Hause kommen. Vielleicht würde sogar mehr aus ihnen beiden werden.
 

Sie betrachtete Noah aus den Augenwinkeln, da er es nicht mochte, direkt angestarrt zu werden. Dabei sah sie sein Gesicht so gerne an. Eigentlich war er gar nicht so ihr Typ. Für gewöhnlich bevorzugte sie hellhaarige Männer mit modernen Kurzhaarschnitten. Noah hingegen hatte nachtschwarze, etwas bläulich schimmernde, längere Haare, die Cara ein wenig an Rabengefieder erinnerten. Wenn er seine Haare nicht in einem kleinen Zopf trug, waren sie trotz ihrer seidigen Struktur immer ein wenig zerzaust, als sei er gerade erst aufgestanden. Seine Gesichtszüge wirkten kühl und abweisend, was nicht zuletzt an seinen markanten Wangenknochen und der makellos graden Nase liegen mochte. Am unheimlichsten und zugleich schönsten aber waren seine Augen. Sie waren so hell und leuchtend wie Phosphor (oder Uran, wie Manuela ätzend bemerkt hatte). Je nachdem, wie das Licht in seine Pupillen schien, wirkten sie eher blau oder grün. In jedem Fall fiel es Cara schwer ihren Blick davon zu lösen.
 

„Woran denkst du?“, fragte Noah mit seiner dunklen Stimme, die jedes Mal einen kalten Schauer über ihren Rücken laufen ließ.
 

„Daran, dass ich froh bin, mitgekommen zu sein.“
 

„Das bin ich auch.“
 

Er wandte seinen Blick kurz von der Fahrbahn ab, um sie mit seinem Raubtiergrinsen anzusehen und ihr zuzuzwinkern. Cara spürte, wie sie rot wurde und wandte ihren Blick wieder der Landschaft zu.
 

Noahs Hütte entpuppte sich als ein Paradies der Zweisamkeit. Sie aßen zusammen, scherzten, spielten Gesellschaftsspiele, tranken Wein und liebten sich in jeder Ecke des kleinen Hauses. Jeden Morgen beobachtete sie ihn dabei, wie er draußen ein bis zwei Stunden Holz für den Winter hackte. Er war ein Mann, der alles sofort erledigte und Aufschieberei nicht leiden konnte. Er stand immer vor ihr auf, um sich zu rasieren, anzuziehen, Holz zu hacken und das Frühstück für sie zuzubereiten. Manchmal verschwand er für eine Weile in den Keller, den Cara nicht zu betreten gedachte, nachdem Noah sie über das nicht unwesentliche Vorkommen riesiger Spinnen dort informiert hatte.

Bis zu diesem einen Abend.
 

Sie saß mit einer Decke über den Beinen auf dem bequemen Sofa und las ein Buch, als Noah mit einer kleinen Schachtel aus dem Keller kam.
 

„Ich muss mit dir reden“, sagte er.
 

„Worüber?“, fragte Cara besorgt. Noah wirkte zerknirscht und sogar etwas verunsichert. Hatte sie etwas angestellt?
 

Er setzte sich neben sie auf das Sofa und legte ihr eine Hand aufs Knie.
 

„Ich habe dich mit hierher genommen, weil ich mir vorstellen könnte, lange mit dir zusammen zu sein. Ich suche schon lange nach einer Frau wie dir, habe aber nie sonderlich viel Glück gehabt. Es gibt da etwas, das ich dir noch nicht gesagt habe. Oder besser gesagt, gezeigt. In dieser Box ist der Schlüssel zum Keller. Ich möchte, dass du nach unten gehst und nachsiehst. Es gibt dort unten keine riesigen Spinnen. Ich wollte nur nicht, dass du ohne meine Erlaubnis dorthin gehst.“
 

Was redete er denn da? Erwartete sie da unten eine Art Sadomasokeller á la „Shades of Grey“? Sammelte er präparierte Tiere? Cara fühlte sich unbehaglich. Gleichzeitig sah sie aber auch in Noahs Augen, dass es ihm Ernst war. Ihr Herz schlug bei dem Gedanken höher, dass es für sie beide eine Zukunft geben könnte. Sie wurde ja auch nicht jünger. Mit einem kleinen Fetisch konnte sie leben; dafür musste er sich doch nicht schämen.
 

„So schlimm wird es schon nicht sein“, antwortete Cara und lächelte Noah mit einem Lächeln an, das zuversichtlich wirken sollte, aber er wirkte nicht sehr überzeugt.
 

„Ich gehe direkt runter.“
 

Noah reichte ihr das kleine, filigran bearbeitete Holzkästchen. Andächtig nahm sie es entgegen und öffnete es. Dafür, dass der sich darin befindende Schlüssel eine so große Bedeutung hatte, wirkte er unspektakulär. Sie nahm ihn heraus und stand auf. Bevor sie die Treppen nach unten ging, drehte sie sich noch einmal um.
 

„Mach dir keine Sorgen, so schlimm wird es nicht sein.“
 

Sie hatte es wirklich so gemeint. Sie wäre bereit gewesen, sich mit vielem abzufinden, aber mit dem, was kam, hatte sie nicht gerechnet. Die Bilder würden sie ihr Leben lang verfolgen. Ein Leben, das nicht mehr lang währen würde. Bald wäre sie ein Teil von Noahs perverser Sammlung einbalsamierter Frauen. Sie hatte ihren Augen nicht trauen wollen, hatte geglaubt, das sei ein mieser Scherz, dass er vielleicht Wachsfiguren herstelle und sie damit veräppeln wollte. Zweifelsohne wäre es ein seltsamer Nebenverdienst gewesen und sie wäre nicht mehr in den Keller gegangen.
 

Die Frauen hatten alle unterschiedlich ausgesehen, als kämen sie aus verschiedenen Epochen. Eine war in ein viktorianisches Kleid gekleidet, mit einem filigranen Schirm. Eine andere sah aus, als stamme sie aus den 80ern.
 

„Das sind meine Frauen“, hörte sie Noah plötzlich hinter sich sagen.
 

„Das… stellst du Wachsfiguren her?“, fragte sie mit zitternder Stimme.
 

„Nein. Sie sind echt. Alle. Die da drüben, die mit dem Schirm, ist Elisabeth. Neben ihr steht Margot und-“
 

„Hör auf damit, Noah! Du machst mir Angst. Wenn du so etwas arbeitest, ist das okay, aber bitte, hör auf mit dieser Serienkillerscheiße!“
 

Sie sahen so gequält aus. Jede einzelne von ihnen. Und es waren unzählige. Der Keller musste riesig sein. Von ihrer Position aus konnte sie nur einen Bruchteil einsehen.
 

„Ich lebe schon sehr lange, weißt du. Meine erste Frau verlor ich an das große Fieber. Ich konnte sie nicht gehen lassen, also balsamierte ich sie ein und behielt sie. Als ich dann Viktoria kennen lernte und sie mein Geheimnis entdeckte, wollte sie mich verlassen. Das konnte ich natürlich nicht zulassen. Sie gesellte sich zu Maria. Sie wurden immer mehr. Ich kann die Zeichen jetzt deuten. Ich kann deine Angst riechen. Du drehst dich nicht zu mir um, weil du mich nicht ansehen willst. Du kannst es nicht akzeptieren. Du liebst mich genauso wenig, wie die anderen. Kannst du dir das vorstellen? Fünfhundert Jahre und keine Frau hat mich je geliebt, sobald sie mein wahres Ich kennen gelernt hat.“
 

„Weil du krank bist!“, schrie Cara und wirbelte herum.
 

Auch wenn noch die Möglichkeit bestand, dass er scherzte, fand sie diesen Scherz so geschmacklos, dass sie die Beziehung ohnehin beendet hätte. Auch bereute sie nicht, einer der wächsernen Frauen einen dicken Wälzer zu entwendet zu haben, den Noah ihr in die Hand gelegt hatte. Mit voller Kraft holte sie aus und traf ihn an der Schläfe. Es reichte nicht, um ihn lange aufzuhalten, aber er sackte zusammen, was ihr die Zeit gab, an ihm vorbei zu rennen, hinaus in die kühle Nacht.
 

Seitdem war sie nur gerannt und hatte sich hoffnungslos verlaufen. Sie wusste nicht, wo sie war und wie sie entkommen sollte. Alles verschwamm. War Noah ein normaler Geisteskranker, oder war er wirklich ein dämonisches Wesen? Sie wusste es nicht. Wie sollte er so viele Frauen getötet haben, in nicht mehr als dreißig Jahren? Und seine Augen. Diese leuchtenden Augen! Bestimmt würde er sie in der Dunkelheit finden.
 

Trotz ihrer Panik übermannte sie irgendwann die Erschöpfung und Cara nickte ein.

Als sie ruckartig, von Albträumen gequält erwachte, war sie nicht mehr allein. Es dämmerte bereits. Sie lag noch immer in ihrem Busch, aber direkt vor ihr saß nun auch Noah, auf einem Baumstamm und beobachtete sie. Sein Kinn zierte ein bläulicher Bartschatten.

„Blaubart…“, flüsterte sie.
 

„Blaubart.“, erwiderte Noah. Seine Stimme klang hohl.
 

„Es tut mir so Leid, Cara. Der Wahnsinn macht einen manchmal unsterblich, meine Liebe. Ich habe jede einzelne meiner Frauen geliebt… ich habe mir irgendwann gewünscht selbst zu sterben, aber ich konnte es nicht. Ich habe der Dunkelheit so viele Seelen geschenkt, dass ich jetzt ein Teil von ihr bin.“
 

Zwischen seinen schlanken Händen balancierte er ein riesiges Messer.
 

„Ich möchte dir einen Handel anbieten. Oder besser einen Gefallen einfordern. Was hast du vor dem Keller empfunden?“
 

Sie war verloren. Da konnte sie auch seine Fragen beantworten. Vielleicht bestand die Möglichkeit, ihn zu überzeugen, sie doch gehen zu lassen. Sie musste es versuchen.
 

„Ich dachte, du seist gefährlich. Ich habe es irgendwie gespürt. Aber ich wollte auch bei dir sein. Ich dachte einfach, du bist einsam und brauchst jemanden in deinem Leben… wenn du… wenn es nur nicht DAS gewesen wäre… ich meine… hättest du nicht einfach Kinderschänder dahin morden können… darüber hätte man ja noch reden können…“
 

Was redete sie denn da? Aber wenn Cara es recht bedachte… gerade weil Noah auf sie so bedrohlich gewirkt hatte, hatte sie bei ihm sein wollen. Als Kind hatte sie nicht wie die anderen Mädchen Liebesromane gelesen, sondern Geschichten und Analysen über Serienmörder. Hannibal Lecter war ihr heimlicher Schwarm gewesen. Irgendwann wurde er von Dexter abgelöst. Aber es war etwas anderes, so etwas tatsächlich zu erleben. Vermutlich hatte sie gehofft, Noah würde ihr durch seine Raubtierhaftigkeit den Reiz geben, den andere Männer nicht hatten, sie aber auch nicht gefährden. Sie hatte echte Liebe empfunden.

Noah lächelte ein schiefes Lächeln. Konnte er ihre Gedanken lesen?
 

„Als wir bei dir Zuhause waren, bist du einmal eingeschlafen. Ich habe mich bei dir umgesehen und die ganzen Bücher gefunden. Charles Manson. Hannibal. Ich hatte wirkliche Hoffnungen in uns. Wenn nicht mal du mich annehmen kannst… dann wird es niemanden geben. Deswegen, bitte Cara…“
 

Er reichte ihr das Messer.
 

„Versuch es. Mitten ins Herz. Ich kann es selbst nicht tun. Meine vergiftete Seele lässt es nicht zu. Eine andere, Antonia, verletzte mich einmal, indem sie auf mich schoss. Die Wunde heilte im Nu. Dieses Messer ist etwas Besonderes. Ich tötete meine zweite Frau damit. Versuch mich zu erstechen. Ich lasse dir einen Versuch. Wenn es nicht klappt, bringe ich dich um.“
 

Zitternd nahm sie die Waffe entgegen. Plötzlich empfand sie Mitleid für diesen Mann, dieses Wesen, vor ihr. Er war wahnsinnig, keine Frage. Und er musste sterben, nicht nur damit sie leben konnte, sondern auch, damit keine andere Frau mehr durch ihn leiden musste. Aber sie empfand in diesem Moment keinen Hass.
 

„Es tut mir Leid, wie die Dinge für dich gelaufen sind.“
 

„Ich liebe dich, Cara.“
 

Sie stach zu. Das Messer schnitt durch sein Fleisch wie durch Butter. Er gab keinen Laut von sich. Er starrte einfach nur auf seine Brust. Blaues Blut sickerte heraus und durchtränkte sein Hemd. Weiter passierte nichts.

Angst breitete sich erneut in Cara aus. War es vielleicht doch nicht sein Ende, sondern ihres? Doch dann, zur scheinbaren Erleichterung auf beiden Seiten, denn Blaubart begann zu lächeln, schien sein Körper zu begreifen, dass er starb. Er fiel wie ein nasser Sack auf den Waldboden.
 

„Ich sorge dafür, dass man sich anständig begräbt“, flüsterte Cara, wusste aber nicht, ob er sie noch hören konnte.

Sie richtete sich auf, atmete die frische Morgenluft, gepaart mit dem Duft von Blut, ein und weinte.

Sie weinte, aus Erleichterung. Aus Trauer. Aus Mitleid.

Sie lebte. Aber sie würde nie wieder dieselbe sein.



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