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K -illing Project

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Vorab eine kleine Warnung. dieses und eventuell das nächste Chapter, werden zusätzlich zu Fushimis Sicht auch Munakatas enthalten. Wieder in ich-perspektive.
Joa, dann wünsch ich mal viel Spaß^^
Ganz liebe Grüße
Xalis Komplett anzeigen

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Prolog

Seit den Ereignissen auf der Schulinsel waren nun ein paar Wochen vergangen. Gestern war Weihnachten. Weihnachten und der Tag, an dem mir bewusst wurde, wie viel der Tod eines Menschen verändern konnte. Es war nicht so, dass ich selbst trauern würde. Nein. Mikoto Suoh hatte mir nie so wahnsinnig viel bedeutet wie einigen Menschen in meinem Umfeld. Er war nie ein Freund oder Vorbild. Im Gegenteil. Für mich war der rote König nicht viel mehr gewesen, als der Mensch, der mir meinen besten Freund gestohlen hatte. Derjenige, auf den ich jede Schuld abwälzen konnte, was den unerfreulichen Verlauf meines Lebens anging. Jetzt war er fort und ich konnte aus einem gewissen Abstand das Loch betrachteten, das er in den Menschen, die ihn besser gekannt hatten als ich, hinterlassen hatte. Am deutlichsten sah man es an den restlichen Clanmitgliedern von HOMRA. Ich hatte Teile ihrer ‚Weihnachtsfeier‘ gesehen. Es schien das erste Mal zu sein, dass sie sich seit dem besagten Vorfall getroffen hatten. Auch ohne dazuzugehören oder sich wirklich mit ihnen auseinander zu setzen, spürte man die kalte Melancholie, die über der Gesellschaft hing, wie die Stille, die über sie gebreitet war. Sie hatten sich nichts zu sagen. Wenn ich so darüber nachdachte, fehlt ihnen mit dem Tod ihres Königs die Verbindung. Das Zentrum und vielleicht auch ein Teil ihrer selbst.

All das hatte mich nicht überrascht. Weder das fehlende, früher so starke Gefühl von Gemeinschaft, noch die unnatürliche Stille. Was mich überraschte war seine Abwesenheit. Misaki war nicht dort. Es hatte mich geärgert. Schließlich war das mein Hauptgrund gewesen, einen Blick in die Bar zu riskieren. Er war der einzige, von dem es mich wirklich interessiert hatte, wie er mit allem fertig wird.

Es war reines Glück, dass ich ihn auf dem Rückweg sah. Er saß an einer Ecke der Straße und malte gelangweilt Formen in den noch nicht vollständig weggeschmolzenen Schnee. Das interessante daran war, dass das nicht irgendeine Ecke an irgendeiner Straße war. Es war einer dieser Orte, der vor belanglosen Erinnerungen an alltägliche Momente überquoll. Wir hatten öfter hier gesessen nach der Schule. Einer der unspektakulärsten Orte, die man sich vorstellen kann und trotzdem saß er jetzt hier. Konnte es sein, dass er auf mich gewartet hatte? Nein, unmöglich.

Ich bemühte mich keine Geräusche zu machen, als ich langsam um die nächste Ecke verschwand.

Jetzt saß ich auf meinem Bett, seit circa einer Stunde war ich fertig mit der Arbeit und das Bild verfolgte mich weiterhin. Misaki, wie er da saß an unserem Platz. Dann kamen diese Momente, in denen mir Wünsche und Fantasie mir einen Streich spielten und ich sah vor meinem inneren Auge wie er aufsah, mich angrinste, mich ungeduldig zu sich winkte und anschnauzte, warum ich so lange gebraucht hatte, dass er sich den Arsch abgefroren hätte und ich jetzt endlich rüberkommen sollte.

Ich seufzte, schließlich wusste ich genau, dass es nicht so gekommen wäre, wäre ich gestern Abend länger stehen geblieben. Trotzdem weckte es Hoffnungen in mir. Mikoto war weg. Die größte Hürde, die uns die letzten Jahre getrennt hatte, war tot. HOMRA war am zerfallen und vielleicht vermisste Misaki mich ja genauso wie ich ihn. Die Chance bestand oder? Alles konnte doch ganz einfach wieder so werden wie früher. Nur Misaki und ich gegen den Rest der Welt. Nein, konnte es nicht. Vielleicht war der rote König tot, vielleicht war HOMRA am zerfallen, aber das einzige was hier in Scepter4 am zerfallen war, war die Psyche von Munakata Reisi und es war reiner Zufall, dass ich das überhaupt bemerkt hatte. Ich war einfach zur passenden Zeit am richtigen Ort.

Eigentlich hatte ich an besagtem Abend nur einen verspäteten Bericht abgeben wollen, aber was ich sah, als ich die Tür öffnete, hatte mich davon abgehalten.

Er hatte mich nicht bemerkt. Vermutlich war er zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Ich hatte in der geöffneten Tür gestanden und ihn angestarrt, wie er absolut still, den Kopf halb in den Händen verborgen, an seinem Schreibtisch saß. Er hätte auch einfach übermüdet sein können oder gestresst von einem harten Arbeitstag, aber das Dokument, das vor ihm lag, sprach Bände. Es hatte sich leicht gewellt und die Buchstaben waren zu einem unleserlichen Fluss aus Druckertinte verschwommen. Ich hatte tatsächlich kurz gedacht, er hätte das Blatt mit in Schnee oder Regen gehabt, so ungewöhnlich kam mir der Gedanke vor, den blauen König, der immer so unnahbar und übertrieben professionell auftrat, weinen zu sehen. Ohne dieses nasse Blatt hätte ich es nicht bemerkt. Ich entschloss kurzerhand, meinen Bericht am folgenden Tag abzugeben und schlich mich wieder unbemerkt aus dem Zimmer.

Keinem war entgangen, dass der Captain sich verändert hatte, seit er nach dem Kampf zu uns zurückgekehrt war. Schließlich war es auffällig, wenn er Termine vergaß und nicht merkte, wenn jemand blau machte oder seine Berichte nicht abgab. Außerdem war mir aufgefallen, wie sehr er sich seitdem abgeschottet hatte. Früher wurde ich wegen jeder Kleinigkeit in sein Büro gerufen, mittlerweile war es selten geworden. Ähnliches galt auf für den Lieutenant.

Aber erst, als ich gesehen hatte, wie seine Tränen dieses Blatt aufschwemmten, war mir bewusst geworden, was es für ihn bedeutet haben musste, Mikoto Suoh zu töten. Keiner von uns wusste, was genau auf dieser Insel passiert war. Niemand wusste etwas außer Munakata, und der schwieg sich darüber aus. Vielleicht konnte er garnicht darüber reden. Das war ein Gedanke, der mir in diesem Moment gekommen war, als ich vor seiner Bürotür gestanden und realisiert hatte, wie sehr ihn dieser Vorfall verändert hatte. Nie zuvor wäre ich auf die Idee gekommen, den Mann hinter dieser Tür mit einem Adjektiv wie verletzlich zu beschreiben. In diesem Moment war es mir immer wieder in den Sinn gekommen.

Aber seine psychische Verfassung war das Einzige, was sich innerhalb von Scepter4 verändert hatte. Alles andere ging weiter seinen gewohnten Gang. Ich auch. Vermutlich hätte ich diese alltägliche Routine einfach weitergemacht, aber jetzt ging das nichtmehr. Die Hoffnung, die mit all diesen Veränderungen kam, mein Glück, das sich hinter dem Tod des roten Königs verbarg ließ mich nicht. Der Gedanke, dass alles so sein könnte wie früher, ging mir nicht aus dem Kopf. Früher, als es für uns weder HOMRA noch Scepter4 gab. Keine Könige. Keine Clans.

Ich seufzte. Immer wieder musste ich mir eingestehen, wie sehr ich diese Zeit vermisste. Dass ich alles dafür tun würde, sie wieder zu bekommen. Das Schicksal hatte mir einen morbiden Gefallen getan, als es Mikoto sterben ließ. Aber sein Tod allein reichte nicht, um dieser Welt lebewohl zu sagen, in die ich mich tiefer verstrickt hatte, als alle anderen. Misaki hatte es jetzt leicht, zum damals zurückzufinden in die Zeit ohne Clans. Ich nicht. Ich habe noch einen König.

Ich hielt inne, für einen Moment setzte ich das Atmen aus. Ich hatte mich über meine eigenen Gedanken erschreckt. Etwas, an das ich eigentlich nicht einmal im Traum denken würde. Etwas an das ich nicht denken sollte. Aber hatte ich nicht eben noch gedacht, dass ich alles tun würde? Und würde ‚alles‘ das nicht auch mit einschließen? Fast hatte ich darüber gelacht, dass ich das tatsächlich in Erwägung zog. Es war ein absurder, grotesker Plan, ohne jegliche Logik. Gegen jede meiner eigenen Moralvorstellungen und Ideologien. Und trotzdem saß dieser Gedanke jetzt in meinem Kopf und krallte sich tief in meinen Verstand, damit er, selbst wenn er verschwinden würde, seine Spuren hinterlassen würde.
 

Ich lag jetzt seit zwei Stunden wach und starrte meine Decke an. Ich hatte mir mittlerweile fest vorgenommen, in mein altes Leben zurückzukehren. Um jeden Preis. Ich hatte mir eine Menge Möglichkeiten ausgedacht, aber es schlich sich immer wieder zurück in das Zentrum meines Denkens. Dieser eine unrealistische, kranke Gedanke, der mit jedem mal weniger unrealistisch und krank zu werden schien und trotzdem noch außerhalb meiner Vorstellungskraft lag. Wie konnte ich es tun? Selbst wenn ich es wollte. Wie sollte ich meinen König töten?

Tag 1

5:00 morgens

Ich konnte nicht mehr schlafen. Wirre Träume hatten mich aufgeschreckt, an die ich mich nun nichtmehr erinnern konnte. Das einzige, was von ihnen zurückgeblieben war, war ein bitterer Geschmack auf der Zunge, der kalte Schweiß auf meiner Haut und das ungewöhnlich schnelle Schlagen meines Herzens.

Ich stand auf und öffnete ein Fenster. Die kalte Morgenluft schien förmlich in meine Haut zu beißen, aber sie vertrieb das seltsame Gefühl, das diese Träume in mir zurückgelassen hatten. Ich setzte mich zurück auf den Bettrand und blieb einen Moment einfach so sitzen. Eine vereinzelte Schneeflocke wurde vom Wind in mein Zimmer getragen und landete weich und nass auf einem meiner Füße. Ich hob den Blick und sah nach draußen, wo das einzige Licht bisher von Straßenlaternen und vereinzelten Gebäuden kam. Irgendwo da draußen war Misaki. Vermutlich schlief er noch. Ob er von mir träumte? Ich lachte über meine eignen Gedanken und legte mich wieder unter die Decke. Auf die Dauer war es doch ein wenig kalt wenn man den Winter in sein Zimmer ließ.

Nachdem ich eine halbe Stunde so auf dem Bett gelegen hatte, wurde mir klar, dass an Schlaf wohl erstmal nicht zu denken war. Lohnenswert war aufstehen um diese Zeit allerdings auch nicht. Aber über eine Beschäftigung musste ich mir keine Sorgen machen. Denn schon von dem Moment an, als mich der erste winterliche Luftzug getroffen und meine Gedanken geklärt hatte, waren die Gedanken des letzten Abends wieder da. Etwas in mir verkrampfte sich. Es kam mir falsch vor, dass mich diese abstoßende Idee nicht losließ. Ich fluchte müde. Mir war klar, dass sie nicht gehen würde, ehe ich wirklich ernsthaft darüber nachdenken würde, also tat ich das. Es war ein Gedankenspiel. Alles rein hypothetisch und interessanter als ich es mir vorgestellt hatte. Ich zog es nicht in Erwägung, also durfte ich doch darüber nachdenken oder? Selbst wenn nicht, tat ich es trotzdem.

Und da gab es eine Menge nachzudenken. Im ersten Moment erschien die ganze Sache beinahe unmöglich, selbst wenn man Moral und Gewissen beiseiteließ. Er war ein König. Nicht mal im Traum würde ich es in Kampf mit ihm aufnehmen können. Ganz zu schweigen davon, dass nur ein König einen anderen König töten konnte. Außerdem wäre das unglaublich auffällig und vermutlich wäre ich danach selbst tot wegen Hochverrats oder hinter Gittern. Also abgesehen davon, dass ich es moralisch nicht tun könnte, wäre ich weder in der Lage, in einem Kampf gegen ihn zu bestehen, noch ihn zu töten.

Aber das war nur der Grundgedanke. Ließ man weiterhin Moral und Gewissen außen vor und widmete sich den anderen Punkten, fand man nach einer gewissen Zeit kleine Tricks, wie man sie umgehen können würde. Es war interessant, dass der Zufall mir in beinahe jedem Punkt ein keines Hintertürchen ließ, das, rein hypothetisch natürlich, schon fast wie eine Einladung wirkte. Nehme man das Hauptproblem: Ich kann ihn nicht töten weil ich kein König bin. Falsch! Nach längerer Überlegung war mir ein Gesprächsfetzen aus dem verregneten Abend im Stadion eingefallen. Ich erinnerte mich an einen Teil des Gesprächs.

„Das berühmte Schwert, Kotowari […]Ich denke, damit könntest du versuchen mich zu töten.“

Das waren die Worte des Captains gewesen, kurz vor seinem Kampf mit Kuroh Yatogami. Es war der Beweis. Man musste kein König sein. Es reichte, dessen Waffe zu besitzen. Ein dreister Gedanke. Munakata mit seinem eigenen Säbel zu erstechen, aber da ich Gewissen und solche Sachen in dieser Überlegung erstmal übersah, wirkte es nur zu logisch. Natürlich stellte sich dann die Frage, wie man an besagten Säbel kommen würde, aber das war ein viel kleineres Problem als das, das ich mit dieser Idee gelöst hatte.

Was die Sache mit dem Kampf anging war das alles sogar noch einfacher. Wer hatte je behauptet, dass ein Kampf notwendig sei? Es mag feige klingen und das ist es auch, aber ohne einen Kampf wäre es wahrscheinlich leichter, wegen des Überraschungseffekts. Jemanden im Schlaf zu erstechen war einfach schon immer leichter als mit offenen Absichten. Es war seltsam. Das war der erste Gedanke, bei dem ich wirkliche Abscheu gegen mich und meine Gedanken empfand. Ich hatte einen Kloß in der Kehle, der mir das Atmen erschwerte, als ich es mir unwillkürlich vorstellen musste. Ich schauderte.

Auf der Suche nach Ablenkung sah ich auf die Uhr. Es waren schon eineinhalb Stunden vergangen seit ich aufgewacht war. Ich stand wieder auf und wickelte mir die Decke um den Körper. Ich hatte das Fenster vergessen und es war ein Wunder das von meiner Decke noch keine Eiszapfen hingen. Sie hätten der gefühlten Temperatur entsprochen.

Das Fenster war mein erstes Ziel. Ich schloss es und drehte die Heizung an, ehe ich mich weiter in die Decke gewickelt zurück auf die Bettkante setzte. Es war mittlerweile spät genug, als dass sich aufstehen lohnen würde. Bis zur ersten Schicht war zwar noch etwas Zeit, aber das hieß nur, dass ich mir Zeit lassen konnte. Selten wollte ich so dringend Arbeit wie heute Morgen. Ich hoffte mich von diesem Gedanken ablenken zu können, ehe sich noch krankere Dinge in meinem Kopf abspielten.

Schon nach wenigen Minuten ging mir das Warten auf bessere Temperaturen auf die Nerven und ich schmiss meine Decke zurück auf die Matratze. Vielleicht konnte die Kälte meine Gedanken ja genauso vertreiben wie vorhin die Spuren der Träume. Ich hatte Pech. Während ich aufstand driftete ich zurück zu diesem theoretischen Mordplan in meinem Kopf. Denn genau das war es. Aber darüber durfte ich nicht nachdenken. Davon würde mir schlecht werden. Ich war kein Mörder. Und trotzdem erwischte ich mich weiter, wie ich über Mittel und Wege grübelte.

Nachdem ich ein paar Mal tief eingeatmet hatte, und mir die kalte Luft den Hals einzufrieren schien, erinnerte ich mich eindringlich daran, dass das alles nur Gedanken waren. Ein theoretisches Experiment. Ein Hirngespinst. Nur eine Schnapsidee, die mich mit ihrer morbiden Art faszinierte. Solange ich das nicht vergaß, sollte das alles doch kein Problem sein. Dann blieben Gedanken Gedanken, Taten Taten und ich ich selbst. Nachdem ich mich bestimmt 5 Mal hintereinander daran erinnerte, erlaubte ich mir, meine Gedankengänge dazu fortzusetzen.

Ich versuchte das Bild zu verdrängen, wie ich versuchte meinen König im Schlaf zu erstechen und widmete mich wieder rein hypothetischen Überlegungen. Zum Beispiel der Frage: Wie sollte ich überhaupt in seine Nähe kommen? Geschweige denn in die seines Säbels.

Diese Fragen beschäftigten mich während ich zum Schrank ging und mir frische Sachen herauszog.

Gerade jetzt, wo sich der Captain so von allem und jedem abschottete. Jeden unnötigen sozialen Kontakt zu meiden schien und allem Anschein nach allein in Vorwürfen und Trauer über seinen Verlust ertrank.

Auf einmal kam es mir noch falscher vor, über das alles nachzudenken. Man trat niemanden, der schon am Boden lag, auch wenn derjenige sich seinen Niedergang nicht anmerken ließ. Eigentlich war es schon fast bewundernswert. Niemand hier –da war ich mir sicher- hätte seinen seelischen Zustand so eingeschätzt. Er tat mir leid. König oder nicht, irgendwo war er auch nur ein Mensch. Und im Moment war er allein. Mit sich selbst und seinen Problemen. Und das würde auch so bleiben, denn ich war mir sicher, dass so schnell niemand bemerken, würde was los war. Ich war der Einzige.

Immernoch gedankenverloren fing ich an mich anzuziehen. Doch es ließ mich nicht los.

Aber es war seine eigene Schuld oder? Wenn er weiter so stark bleiben wollte war das seine Sache. Es ging mich nichts an.

Mein Blick fiel auf meinen Säbel, der an den Stuhl gelehnt stand, über dem die Uniform hing, nach der ich gerade griff. Mein Verstand war noch zu fixiert auf die Mordidee, als dass er den Säbel sehen konnte, ohne direkt wieder zum Thema zurückzukehren. Vielleicht war es besser so. Selbst dieser Gedanke war mir lieber als die vorherigen. Ich wollte kein Mitleid mit Munakata haben. Ich wollte keines haben müssen.

Andererseits war das Wissen um seinen Zustand wichtig für meine Überlegungen. Wie einen Selbstmord konnte man es nicht aussehen lassen. Dafür wussten zu wenige Bescheid aber, rein theoretisch, ließ es sich trotzdem ausnutzen. Vielleicht indem ich ihm half. Angenommen ich würde ihn konfrontieren, wie könnte er reagieren. Munakata Reisi war kein Mensch der einem sein Herz ausschüttete. Vermutlich würde er meine Beobachtungen abtun. Höchst wahrscheinlich würde er das Thema umlenken. Aber ein offenes Angebot für Hilfe abschlagen? Ich war mir nicht ganz sicher, ob er das tun würde. Ich war mir sicher, dass er mir vertraute. Vielleicht sogar mehr als ich mir selbst vertraute, aber irgendwie bezweifelte ich, dass er meine Hilfe annehmen würde. Er war nicht die Art von Person die sich auf die Hilfe anderer verließ. Er war eher die Sorte Mensch die sie anderen anbot…

Das war in diesem Fall vielleicht sogar der bessere Plan. Wenn ich statt ihn auf seine Probleme anzusprechen, mit meinen zu ihm kam, hätte ich schon größere Chancen. Der Haken an der Sache war, dass ich auch nicht die Sorte Mensch war, die Hilfe annehmen würde und noch weniger die Sorte, die sie gezielt suchte. Allerdings war in diese Theorie auch der Schlüssel zur Lösung all meiner Probleme. Ich konnte sie als gelöst betrachten. Ehemalige Probleme zu erzählen war etwas anderes. Mit Problemen, die einen nichtmehr belasteten, Mitleid zu heischen war wohl bisher die leichteste Methode für mich ihm-.

Das Geräusch meines Weckers schreckte mich aus meinen Gedanken. Ich schlug ihn aus.

-näher zu kommen.

So einzeln betrachtet brachte mich dieses Stück meiner Überlegung auf ganz andere Ideen. Das hier war reine Theorie. Also konnte ich auch einfach mal darüber nachdenken, wie ich noch näher an ihn herankommen würde. Spätestens ab hier musste ich mich nicht daran erinnern, dass ich all das nicht in Erwägung zog. Weder Mord noch, die Idee ihn in eine gestellte Beziehung zu locken kamen für mich in Betracht. Aber rein gedanklich, war es vorstellbar. Wann kam man näher an einen Menschen heran, als wenn man etwas mit ihm anfing. Von wem erwartet man am wenigsten im Schlaf erstochen zu werden? Von dem Menschen, den man selbst in sein Bett eingeladen hat. Ja, in der Theorie stand mein Plan. Endlich. Vielleicht würde mich der Gedanke jetzt endlich in Ruhe lassen.

Ich zog die Uniform an und verließ mein Zimmer auf dem Weg zum Frühstück und einem weiteren eintönigen Arbeitstag.
 

~*+*~

Hat überhaupt jemand Interesse weiterzulesen?

Kapitel 1

Eigentlich mochte ich meine Arbeit nicht. Ich hasste sie förmlich. Eintönige Formulare, penibel detailliert geschriebene Berichte und unzähliger anderer Papierkram, der tagtäglich wie eine Flut über einem hereinbrach und einen in Langeweile ertränkte. Interessanter und verwirrender Weise war die Menge der Vorfälle, die für die unzähligen Blätter auf meinem Schreibtisch verantwortlich waren, nicht zurückgegangen, wie man es angesichts der apathischen Inaktivität HOMRAs erwartet hätte. Tatsächlich schienen es immer mehr zu werden. Normalerweise würde ich mich darüber beschweren, aber trotz ihrer größtenteils langweiligen Natur, halfen sie mir, mich von den Gedanken der letzten Nacht abzulenken. Natürlich gab es schönere Formen von Ablenkung, aber für diese Form wurde ich bezahlt und sie erfüllte ihren Zweck so gut, wie alles andere es tun würde und damit gab ich mich vorerst zufrieden. Vorerst. Denn wie es der Zufall, oder wohl eher mein zweifelhaftes Glück, so wollte, wurde mir keine ernsthafte Chance gelassen, die besagten Themen ruhen zu lassen. Die Erinnerung erfolgte in der vielleicht deutlichsten Form, die möglich war.

Es war kurz nach der Mittagspause. Ich bemerkte den Zettel auf meinem Schreibtisch sofort. Eigentlich handelte es sich dabei um nicht viel mehr, als ein weiteres Blatt Papier auf einem unordentlichen Stapel weiterer Papiere und doch unterschied es sich deutlich. Denn im Gegensatz zu all den ausgedruckten Dokumenten, die es für mich zu bearbeiten galt, zierte dieses Blatt eine gleichmäßige, feine Handschrift.

Ich seufzte halb. Ich wusste bereits den Inhalt der Nachricht. Seit selbst der Lieutenant nur noch ein seltener Gast im Büro des Captains war, war jener dazu übergegangen seine Leute über diese kleinen handschriftlichen Memos zu sich zu bestellen. Und wie schon früher, als es noch Awashima war, die einen über solche Vorladungen informierte, erfuhr man den Grund erst, wenn man bereits vor dem schweren Schreibtisch stand und mit diesem wissenden Blick bedacht wurde, der einem oft genug das Gefühl vermittelte, dass dein Gegenüber jede deiner kleinsten Sünden und düsteren Geheimnisse Bescheid wusste. Allerdings bezweifelte ich, das an diesem Gefühl etwas Wahres dran war. Falls es doch so war, hatte er wenigstens den Anstand, sie in keiner Silbe zu erwähnen.

Ich schnalzte müde mit der Zunge und beförderte den Zettel, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, in den Papierkorb. Träge griff ich einen kleinen Stapel fertiger Berichte, die ich sowieso noch abzugeben hatte und machte mich wortlos, von einer inneren Unruhe ergriffen auf den Weg in Munakatas Büro. Ich hielt die Berichte in meiner Hand eine Spur zu fest und spürte, wie sie leicht unter meinem Griff zu knittern begannen, aber ich war anderweitig beschäftigt. Ich bemühte mich mit allen Mitteln, nicht an dieses kranke Bild zu denken, das mir heute Morgen schon so viel Unbehagen bereitet hatte. Aber wie es mit dem krankhaften Versuch, nicht an etwas zu denken, war, zog es die zu ignorierenden Gedanken magisch an. Erneut hatte ich einen Kloß im Hals und mir wurde sogar ein wenig schlecht. Ich blieb einen Moment stehen, legte die Stirn leicht gegen die kühle Wand und schloss für einen Moment die Augen. Ich hätte eigentlich nicht damit gerechnet, dass das Bild meiner eigenen Hände, die diesen Säbel in den Brustkorb meines schlafenden Königs rammten, von mal zu mal einen heftigeren Effekt auf mich haben würde. Ich atmete tief durch. Schließlich war das alles nur ein Hirngespinst. Es musste mich nicht tiefer treffen als irgendein stumpfsinniger Horrorstreifen. Ich schlug mit der flachen Hand gegen die Mauer und bewegte mich mit einem entschlossenen Ruck von ihr weg. Ich gab mir Mühe das Bild etwas gleichgültiger zu betrachten. Es war reine Fantasie und weiter weg von der Wirklichkeit als man es sich vorstellen konnte. Eigentlich sollte es mich komplett kalt lassen. Tatsächlich tat meine neue Einstellung ihre Wirkung. Meine Hand krampfte nicht mehr so sehr um das Dokument und die Unruhe klang ab. Ob dieser Effekt allerdings bestand haben würde, wenn ich vor dem ‚Mordopfer‘ stand, würde sich noch zeigen müssen.

Glücklicherweise schien es mir aber tatsächlich zu gelingen, das Bild aus meinem direkten Denken zu verdrängen. Zumindest verschwand es mit jedem meiner Schritte etwas mehr aus meinem Verstand.

Vor meinem Ziel angekommen blieb ich einen Moment stehen und sammelte mich ein letztes Mal.

Etwas zögerlicher als sonst hob ich die Hand, um anzuklopfen. Ich wartete einen kurzen Moment, ehe ich die Tür öffnete.

Munakata saß hinter seinem Schreibtisch, umgeben von mehreren Stapeln Papier und mehreren losen Puzzleteilen, von denen die wenigsten zusammenzuhängen schienen. Als er das Geräusch der sich wieder schließenden Tür zu bemerken schien, sah er auf und bedachte mich mit einem nicht zu deutenden Blick. Dann lächelte er sein für ihn typisches Lächeln.

„Ah, Fushimi-kun, du hast meine Nachricht also erhalten.“ Bis heute war ich der Auffassung, dass dieser Satz seine ganz eigene, unpersönliche Art war, ‚Schön das du gekommen bist‘ zu sagen. Es war das erste Anzeichen dafür, dass er wieder so war wie sonst. Oder sich so gab.

Ich betrachtete ihn einen Moment möglichst unauffällig. Wenn ich ihn so sah, hätte ich glauben können, der Mensch, dessen nervliches Wrack ich erst neulich beobachtet hatte, wäre reine Einbildung gewesen. Ein Tagtraum, eine Sinnestäuschung. Dieser Mann, der absolut ausgeglichen und ruhig hinter seiner Arbeit saß und mich leicht über den Rand seiner Brille betrachtete, hatte keine Ähnlichkeit mit dem Häufchen Elend, dass ich erst vor wenigen Tagen in diesem Büro angetroffen hatte.

Allerdings blieb mir nicht sonderlich viel Zeit weitere Überlegungen diesbezüglich anzustellen.

„Nimm dir einen Stuhl und setz dich. Diese Unterhaltung könnte etwas länger dauern.“

Ich sah mich einen Moment um auf der Suche nach dem besagten Stuhl. Er war mir nie zuvor aufgefalen und so dauerte es einen Moment bis ich ihn entdeckte und vor den Schreibtisch zog. Unter dem geduldig wartenden Blick meines Königs nahm ich platz. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was es mit der von ihm erwähnten Unterhaltung auf sich haben würde, aber allein die Tatsache, dass ich zum ersten Mal aufgefordert wurde mich zu einem Gespräch zu setzen, irritierte mich.

Erwartungsvoll und vielleicht auch ein wenig skeptisch betrachtete ich meinen König, der seinerseits keine Anstalten machte, das Gespräch zu beginnen. Sein Blick war zwar auf mich gerichtet aber ich erkannte den Unterschied zwischen ‚jemanden ansehen‘ und ‚durch jemanden hindurch sehen‘.

„Worum geht es?“, fragte ich und holte Munakata damit aus seinen Gedanken zurück.

Wie um von seiner geistigen Abwesenheit abzulenken, richtete er den Blick auf eine dünne Akte auf seinem Schreibtisch und richtete seine Brille.

„Da gäbe es zwei Dinge. Fangen wir mit dem Geschäftlichen an.“

Ich sah ihn perplex an. Mit dem Geschäftlichen? Bedeutete das, das andere war privat? Hatte er mich doch bemerkt, an diesem Abend in seinem Büro? Oder ging es um etwas anderes? Die Unruhe kehrte zurück und ich war heilfroh, dass wenigstens die Bilder in meinem Kopf fernblieben. Ich sagte nichts und wartete darauf, dass er das Thema näher erklärte.

„Ich erwarte einen mündlichen Bericht von dir.“

Erneut legte er eine Pause ein. Er schien zu denken, dass ich wüsste wovon er sprach, doch da täuschte er sich gewaltig. Seine Worte verwirrten mich nur immer weiter, bis er das Rätsel endlich lüftete.

„Wie steht es um den roten Clan? Du warst doch an Weihnachten an ihrer Bar.“

Ironischer Weise fühlte ich mich ertappt. Dabei war es doch Munakata, der mich gegen die Vorschriften außerhalb meiner Dienstzeiten geortet und beobachtet haben musste.

War es denn schlimm, dort hin und wieder vorbei zu schauen? Konnte er mir deswegen wirklich Vorwürfe machen? Ich dachte noch einige weitere dieser Gedanken, ehe mir bewusst wurde, dass keines seiner Worte ein Vorwurf gewesen war. Er war lediglich auf Informationen aus.

Ich überlegte. Was sollte ich ihm sagen?

„Sie trauern.“ Es war das erste und ehrlichste, das mir einfiel.

Munakata nickte bloß, sah dabei aber nicht mich an, sondern die dünne Akte. Schlagartig wurde mir wieder bewusst, dass es ihm da ähnlich ging und vergaß einen Moment lang was ich noch sagen wollte.

„Sie-…“ Ich stockte kurz, fand dann aber wieder zurück zu dem was ich sagen wollte. „Sie haben angefangen sich etwas zu entfremden und voneinander zurückzuziehen, wenn ich das richtig einschätze. Allerdings kann ich nicht beurteilen, wie es mit ihnen weitergeht.“

Mein Gegenüber nickte wieder. Immernoch mit dem Gesicht dem Schreibtisch zugewandt, die dünne Akte mit dem Blick fixierend.

Ich warf einen Blick darauf. Nur ein Datum als Titel…aber es war DAS Datum. Auf einmal war ich davon überzeugt, dass in dieser kleinen Akte der detaillierte von Reisi Munakata selbst geschriebene Bericht über den Vorfall auf der Schulinsel und Mikotos Tod steckte.

Schnell hob ich den Blick wieder. So sehr mich das interessierte, auf seltsame Weise kam es mir plötzlich privat vor. Ein unsinniger Gedanke.

„Ist das alles?“ Die Frage holte mich zurück in das hier und jetzt. Ich sah hoch und begegnete dem Blick meines Königs. Ich wich ihm aus, ohne zu wissen warum.

„Naja einige Mitglieder sind garnicht erst dort gewesen. Der Rest hat sich mehr oder minder angeschwiegen.“ Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Aber dass ich meinem König nicht verraten würde, weswegen- oder eher wegen wem- ich dort war und auch so schnell wieder ging, das stand fest.

Ich konnte seinen forschenden Blick auf mir spüren. Ein Blick dem ich noch immer auswich.

Stille.

Sein Blick schien ihm Frage genug zu sein und ich schwieg. Einfach aus dem Grund, dass ich seine unausgesprochene Frage nicht beantworten konnte, geschweige denn wollte. Außerdem war ich mit den Gedanken weit weg. Bei HOMRA, deren Zerfall und meiner unerschütterlichen Hoffnung. Und so war es letzten Endes doch der Captain, der das Schweigen brach.

„Und was hat es mit diesem Jungen auf sich?“

Der Satz kam zu überraschend für mich. Mein Blick schnellte hoch und starrte in die violetten Augen meines Königs, deren zufriedener, leicht amüsierter Blick mir verriet, dass er mit meiner Reaktion gerechnet hatte. Ich konnte nicht viel mehr, als ihn anzustarren. Meine Gedanken überschlugen sich. Meinte er Misaki? Er konnte nur Misaki meinen! Woher wusste er von ihm? Was wusste er noch? Warum sprach er mich gerade jetzt darauf an? Was ging ihn das an? Was interessierte es ihn? Er sollte sich gefälligst von ihm und meinen Angelegenheiten fernhalten! Was sollte das alles? War das der andere Grund für unser Gespräch? König hin oder her, das war privat! Das ging ihn nichts an!

„Du hängst zu sehr an ihm.“

Ein einfacher Satz, gesprochen in einer ruhigen, berechnenden Tonlage, mit einer Endgültigkeit, die keinen Widerspruch zu dulden schien. Sechs Worte die mich rasend machten. Warum zur Hölle dachte er, dass er das Recht hatte, sich hier einzumischen?! Jetzt tat er so als würde er mich kennen! Als würde er Misaki kennen! Als würde er uns kennen! Falscher konnte er nicht liegen! Was wusste er schon von mir?! Nichts! Überhaupt nichts! Und von Misaki noch weniger! Und jetzt? Jetzt wollte er sich in mein Leben einmischen!? Mir sagen was ich zu tun hatte und was nicht!? Mir sagen wen ich mögen soll und wen nicht!? Mir sagen, ich soll mich von Misaki, MEINEM Misaki, fernhalten!?! Gerade er, der doch Schuld daran ist, dass ich jetzt nicht bei ihm sein kann. Er, wegen dem ich nur aus der Ferne zusehen kann, wie mein bester Freund und vielleicht der Mensch, den ich liebe, alleine zerbrach? Er, der keine Ahnung vom Leben hatte oder von Freundschaft und Liebe. Er, der mir jetzt gegenüber saß und mich ansah mit einem Blick als wüsste er alles. Er wusste NICHTS! GARNICHTS! NIE! Ich ballte eine Faust und konnte spüren wie sie in meinem Schoß bebte.

„Fushimi-kun, du solltest-“

„Einen Scheiß soll ich!“

Ich war aufgesprungen.

Jetzt stand ich perplex im Raum und sah durch Munakata hindurch ins Nichts. Mein Ärger hatte etwas bewirkt. Etwas, dass mir in einem weniger aufgebrachten Zustand vielleicht Angst gemacht hätte. So aber beruhigte es mich und ich spürte wie meine Lippen begannen ein Lächeln zu formen. Das Bild war wieder da. Alle Bilder waren wieder da. Das Bild von Misaki wie er mich zu sich winkte, ebenso wie das Bild von meinen Händen, die meinen König mit seinem eigenen Säbel durchbohrten. Und es beruhigte mich ungemein. Der Ärger und die Wut, die mich eben noch aus meinem Stuhl katapultiert hatten, waren etwas anderem gewichen. Einer grimmigen Entschlossenheit, das zu tun, was mich diese Nacht wach gehalten hatte. Das, wovon mir heute Morgen noch flau im Magen wurde. Das, was der einzige und beste Weg war, mein Ziel zu erreichen. Ich war mir nie sicherer gewesen, das Richtige zu tun.

Ich entspannte meine Glieder und sah meinen König an, der ebenfalls aufgestanden war und mich mit einem scharfen Blick ansah.

„Entschuldigen Sie bitte meinen Ausraster, Captain. Ich weiß nicht, was da über mich gekommen ist.“

Meine Stimme war ruhig und voll von ekelhafter, falscher Reue, die ich allerdings für mein weiteres Vorgehen brauchte.

Ich setzte mich wieder. Munakata tat es mir gleich.

„In Ordnung, Fushimi-kun. Es scheint als habe ich ein sensibles Thema angesprochen.“

Oh ja das hatte er. Das hatte er wirklich. Und er hatte keine Ahnung, von den Auswirkungen, die seine Worte noch haben würden.

Als Antwort nickte ich, den Blick gen Boden geneigt. Missmutig. Zumindest sollte es so aussehen.

Die Stille, die danach einkehrte, war unangenehm, aber sie gab mir Zeit, meine Strategie zu überdenken. Ich erinnerte mich an meinen Plan. Mitleid heischen. War dieses Thema nicht das Beste, um diesen Plan umzusetzen? Auch wenn es mir vielleicht nicht so gut gefiel, ausgerechnet diesem Mann meine alten Probleme anzuvertrauen.

Ich seufzte.

„Wissen Sie-“, wollte ich anfangen meine kleine theatralische Leidensgeschichte zu erzählen, doch ich wurde unterbrochen.

„Du liebst ihn oder?“

Kapitel 2

Munakatas POV

Ich war selbst nicht ganz sicher, warum ich dieses Thema überhaupt angesprochen hatte. Mir war von Anfang an klar gewesen, dass Fushimi nicht gut darauf zu sprechen sein würde. Aber ich hielt es mittlerweile für eine dringende Notwendigkeit. Ich hatte mich viel zu lange aus dieser Angelegenheit heraus gehalten. Zu lange zugesehen, wie sich seine Obsession verschlimmerte. Irgendwer musste ihm helfen, aus diesem Teufelskreis auszubrechen, und da sich niemand außer mir verantwortlich zu fühlen schien, hatte ich beschlossen, es selbst zu versuchen.

Es war nicht gesund für eine junge Psyche, sich so abhängig von einem einzigen Menschen zu machen. Vorallem in seiner jetzigen Situation. Er verletzte sich nur selbst. Was war bloß so besonders an diesem Jungen?

„Du liebst ihn oder?“

Es war das einzig Logische. Natürlich würde es die Situation für ihn mehr als nur erschweren, aber es würde sein selbstzerstörerisches Verhalten erklären.

Ich betrachtete ihn mitfühlend, wissend, wie er sich fühlen musste. Das war auch der Grund, weswegen ich mich in der Lage sah, ihm helfen zu können. Außerdem war da noch diese kleine egoistische Komponente, die ich mir eingestehen musste. Ich brauchte es, ihm zu helfen. Ich brauchte etwas, womit ich mich beschäftigen konnte. Etwas, das mich möglichst voll in Anspruch nahm und mir keine Zeit lassen würde, nachzudenken. Das Wissen, dass es falsch war, vor meinen Problemen zu fliehen und ihre Aufarbeitung vor mir herzuschieben, ignorierte ich geflissentlich. Es war noch zu früh, um mich wirklich damit auseinander zu setzen. Ich hatte es bereits versucht und war kläglich gescheitert. Vor ein paar Tagen, als ich diesen Bericht schrieb, den ich seitdem nicht mehr aus den Augen gelassen hatte. Niemals sollte jemand außer mir lesen, wie ich diese letzte Zeit nach der Evakuierung der Schulinsel erlebt hatte. Vielleicht der nächste blaue König, irgendwann, wenn es mich nicht mehr gab, aber zu meinen Lebzeiten doch möglichst nichtmehr. Zu zittrig war meine Handschrift. Zu verschwommen die Buchstaben. Zu krankhaft der Versuch professionell zu bleiben. Ich hatte schon versucht, das geschriebene zu verbrennen. Es irgendwie wieder zu vernichten, aber selbst das schaffte ich nicht. Also lag diese Akte jetzt vor mir, wie ein Mahnmal meiner eigenen Überforderung und erinnerte mich daran, alles daran zu setzen wenigstens Fushimi, zu helfen, der bisher keinerlei Reaktion zu zeigen schien. Allerdings wollte ich mir auch nicht anmaßen, zu wissen was er dachte. Vielleicht war es auch einfach zu viel, als dass es sich in seinem Ausdruck widerspiegeln könnte. Ich beobachtete ihn mitleidig. Er sah mich an, ehe er für einen kurzen Moment die Augen schloss und nickte.

Das war die Bestätigung meiner Vermutungen. Es würde schwer werden, ihm zu helfen. Genau wie ich gehofft und vermutet hatte. Es würde schwer werden, besonders für ihn, aber es war nicht unmöglich. Mit viel Mühe und Hilfe würde er das schaffen. Mit Beistand, Trost und vielleicht etwas Liebe. Dinge, von denen ich in der Lage und bereit war, sie ihm zu geben.

Ich spürte, wie sich etwas in meinem Inneren zusammenzog. Konnte förmlich eine leise Stimme in meinem Kopf hören.

Ist das dein lächerlicher Versuch, deinen Mord an Mikoto wieder gut zu machen? Deine Schuld an dem Tod deines Freundes?

Ich seufzte, sowohl um die Stimme in meinem Kopf zu übertönen, als auch aus Resignation vor meiner und Fushimis Situationen.

Es war gut, dass ich mich mit seinen Problemen auseinandersetzen konnte. Es würde mich vermutlich wirklich ablenken können.

Also war er tatsächlich in diesen Jungen verliebt. Ich überlegte.

„Warum hast du dann damals HOMRA verlassen?“

Es war das Einzige, das in meinen Augen keinen Sinn ergab. Wenn er so dringend seine Aufmerksamkeit und Nähe suchte, warum hatte er sich dann aus freien Stücken so weit von ihm entfernt?

„Weil ich es nichtmehr mit ansehen konnte. Ich konnte nichtmehr mit ansehen, wie er mit den anderen glücklich war. Wie er ohne mich Spaß hatte und wie er Mikoto vergötterte.“

In jeder Silbe hörte man die tiefe Verbitterung, die seine Worte mit sich trug. Die letzten beiden Worte bargen einen Hass und Abscheu, wie ich sie selten von jemandem erlebt hatte.

„Ich war doch nur noch Luft für ihn. Ich wurde erst wieder interessant, wenn die anderen nicht da waren, oder keine Zeit für seine Kindereien hatten. Dann durfte ich wieder den Lückenbüßer spielen. Ich, für den er doch die Welt war!“

Ich konnte hören, wie er sich in seinen Ärger über diese Ungerechtigkeit hineinsteigerte, ehe seine Stimme auf dem letzten Satz brach. Ich begann zu verstehen, dass ich vermutlich der erste Mensch war, mit dem er jemals darüber geredet hatte. Der erste, dem er das alles erzählte und ich rechnete es ihm hoch an. Ich konnte förmlich spüren, wie tief es ihn traf, sich mir gegenüber mit seiner Offenheit verletzlich gemacht zu haben. Ich stand auf und ging um meinen Schreibtisch. Fushimi war vollkommen abwesend, zumindest verriet mir das sein von Melancholie und Missmut geschwängerter Blick. Ohne lange darüber nachgedacht zu haben legte ich eine Hand auf seine Schulter. Er sollte wissen, dass er nicht alleine war und dass ich vorhatte, ihm beizustehen, und Worte waren der Bedeutung dieses stummen Versprechens nicht gewachsen. Ich sah ihn mitfühlend an und versuchte, ihm das zu vermitteln, was ich so nicht in Sätzen würde ausdrücken können.

In Gedanken wiederholte ich seine Antwort. Was er sagte sprach Bände. Langsam begann alles wieder Sinn zu machen. Zumindest nach der krankhaften Logik, die manche verliebte Menschen an den Tag legten. Und Fushimi war meiner Meinung nach in eine Obsession abgedriftet, die man kaum noch mit Liebe vergleichen konnte.

„Ich denke ich versteh dich.“

Er hatte HOMRA verlassen und war Scepter 4 beigetreten, in dem verzweifelten Versuch, die Aufmerksamkeit seines Freundes wieder auf sich zu zentrieren. Aber hatte er nicht geahnt, dass er damit nur für Unverständnis und Hass sorgen würde? Oder war das vielleicht sogar seine Absicht gewesen? Selbst, wenn es so war, könnte das doch nie sein, was er erreichen wollte. Ich sah ihn weiter an. Es stimmte mich traurig, zu sehen, dass ihn die Sache so weit an seine Grenzen gebracht hatte.

„Aber es war dumm von dir, zu denken, dass du dadurch die Aufmerksamkeit bekommst, die du suchst.“

Ich bemerkte selbst, dass das nicht wirklich das taktvollste war, das ich hätte sagen können, aber wenigstens war ich ehrlich. Jemand musste es ihm sagen und ich schien derjenige zu sein.

Auch meine zweite Hand fand den Weg auf seine Schulter und ich lehnte ich ein wenig herunter um ihm besser in die Augen sehen zu können. Ich wollte ihn dringend erreichen. Im etwas klar machen, solange er sich vielleicht nicht vollends in seiner Hatz um den jungen Skateboarder verloren hatte.

„Würdest du aufhören dich nur auf ihn zu fixieren, fändest du bestimmt jemand anderen, mit dem du glücklich werden könntest. Es gibt sicher viele, die dir liebend gerne all das geben würden, das du bei ihm so verzweifelt suchst.“

Es klang strenger und belehrender als ich es beabsichtigt hatte, aber vielleicht war das ja auch nötig. Mit gutem Zureden würde man ihm nicht mehr helfen können. Selbst mir fehlten dafür die richtigen Worte.

Er wich meinem Blick aus. Nur leicht, aber ich bemerkte es trotzdem. Ich bemerkte seinen nachdenklichen Gesichtsausdruck und begann, zu hoffen, vielleicht tatsächlich den Grundstein zur Lösung seines Problems gelegt zu haben. Beinahe hoffnungsvoll erwartete ich eine Reaktion auf das, was ich gesagt hatte. Sie ließ auf sich warten und ich begann bereits, mir Sorgen zu machen. Als ich dann diesen gequälten Blick sah, mit dem er den meinen erwiderte, verschwand mein letztes bisschen Hoffnung auf baldige Hilfe für ihn. Es tat fast schon weh ihn so zu sehen. Kaputt. Am Ende mit den Nerven.

Er rang um eine Antwort.

„Ich-…“

Weiter kam er nicht. Er sackte in Zeitlupe in sich zusammen und sein Gesicht verschwand hinter seinen Händen. Ich hatte es kommen sehen, sogar erwartet. Aber vorbereitet war ich nicht gewesen. Es war absolut still geworden, bis auf gelegentliche Schritte hinter der geschlossenen Bürotür. Unsicher, wie ich darauf am besten reagieren sollte stand ich nun nutzlos vor Fushimi, der jetzt auch noch anfing zu zittern.

Ich riss mich zusammen.

„Fushimi-kun..?“ Man musste mir meine Unsicherheit deutlich anhören, aber in der Bemühung, sanft zu klingen, war das schwer zu unterdrücken gewesen. Ich erhielt keine Reaktion. Besorgt betrachtete ich ihn weiter. Ich zögerte, ehe ich einen erneuten Versuch startete, zu ihm durchzudringen.

„…Saruhiko..?“ Er zuckte kurz zusammen. Er musste wirklich weit weg sein, wenn er nur so wenig Reaktion zeigte. Auch sein Zittern klang nicht ab. Bildete ich es mir ein oder wurde es sogar stärker. Ich wusste, dass es nichts mit der Temperatur zu tun hatte, dass er nicht fror und doch folgte ich meinem ersten Impuls und ging zu der kleinen, unscheinbaren Tür in der Wand, die einen direkten Zugang zu meinem Wohnbereich darstellte. Wie von selbst griff ich nach der weichen Decke, die sorgfältig zusammengelegt auf dem Sofa lag und nahm sie mit in mein Büro.

Behutsam legte ich sie um die Schultern der zusammengesunkenen Figur auf dem sonst kaum benutzten Stuhl und fixierte sie unter dem leichten Griff meines Armes. Ich hatte selten in einer so unbequemen Position gestanden, aber ich hatte mir vorgenommen Fushimi den Halt zu geben, den er brauchte, und ich hielt mich für gewöhnlich an meine Vorsätze.

Noch immer besorgt betrachtete ich ihn. Erleichtert konnte ich kurz darauf feststellen wie sich sein Körper minimal entspannte und das Zittern langsam nachließ. Das schmerzliche Geräusch, das er dabei nicht hatte zurückhalten können, versetzte mir einen kleinen Stich, während ich weiter einfach neben ihm stehen blieb, in dieser unvorteilhaften Haltung und anfing, beruhigend auf ihn einzureden.

„Es ist okay. Du bist nicht alleine.“

Gerade, als ich dachte, ich könnte ihm wirklich helfen, sich zu beruhigen, wurde ich von meinem PDA unterbrochen. Widerwillig richtete ich mich auf und griff danach. Es war die Erinnerung an eine für heute angesetzte Besprechung. Ich sah auf die Uhr. Halb genervt stöhnend, halb leise fluchend, legte ich das Gerät zurück auf den Schreibtisch, ehe ich mich wieder Fushimi zuwendete. Das Meeting würde in weniger als 10 Minuten beginnen. Ich hatte mir diese Erinnerung zugelegt, weil ich um meine psychische Verfassung wusste. Ich gab mir diese 10 Minuten, um mich gegebenenfalls darauf vorzubereiten, so aufzutreten, wie es schon immer Gang und Gebe für mich war. Meistens war das nicht nötig, aber ich ging da lieber auf Nummer sicher. Heute mussten mir diese 10 Minuten reichen, um eine nervlich labile Person aus meinem Büro verschwinden zu lassen. Ich konnte ihn wohl kaum zurück auf sein Zimmer schicken. Allein aus meinem Zweifel heraus, dass er allein stehen konnte. Zurückbringen konnte ich ihn ebenfalls nicht. Zum einen wäre es zu auffällig, zum anderen könnte die Zeit knapp werden, die diese Transportaktion womöglich beanspruchen würde.

Der Gedanke, ihn in meine Privaträume zu bringen, bis die Besprechung zu Ende war, kam mir erst als ich noch circa sechs Minuten hatte. Etwas umständlicher, als ich es eventuell unter weniger Zeitdruck zustande gebracht hätte, half ich Fushimi, seinen vom Zusammenbruch geschwächten Körper aus dem Stuhl zu hieven. Mit einem Arm hielt ich erneut die Decke, die noch um seine Schultern lag, mit der anderen bemühte ich mich ihn zu stützen, was mir glücklicherweise erstaunlich gut gelang. Es fiel mir verhältnismäßig leicht, ihn durch mein Büro zu der Tür zu lotsen und mit etwas Mühe bugsierte ich ihn auch durch diese Hindurch in den Raum, der mir als Wohnzimmer diente. Der Weg um den Couchtisch herum, war schon etwas anspruchsvoller, stellte allerdings kein wirkliches Hindernis dar.

Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass ich noch 2 Minuten hatte. Ich sah zu Fushimi, der jetzt auf meiner Couch saß, kaum gefasster als vorhin, als er noch gezittert hatte. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, ihn in diesem Zustand zurückzulassen, aber es gab nunmal Pflichten für mich, vor denen weder sein Zustand noch meiner etwas zählte.

„Ich werde dich einen Moment allein lassen müssen. Ruh dich aus und versuche bitte, dich zu beruhigen.“

Ich schluckte ein Seufzen herunter und ging zurück in mein Büro, wo mir noch eine Minute blieb, mich für das zu wappnen, was auch immer Awashima gleich zu berichten haben würde.
 

Fushimis POV

„Du liebst ihn oder?“

Für einen Moment war ich zu verblüfft um zu antworten. Im Nächsten war ich erneut auf 180 und es fiel mir schwer, mir das nicht anmerken zu lassen. Einfach so diese Worte zu sagen. Mich dabei so mitfühlend anzulächeln, als könnte er mich verstehen. Als wüsste er etwas über Mitgefühl und als wüsste er, was in mir vorging. Von ihm und seinen Worten wurde mir schlecht.

Ich verzog das Gesicht in keinster Weise und sah weiter gespielt missmutig vor mir auf den Boden, bemüht dieses brodelnde Gefühl aufkeimenden Hasses zu ignorieren. Eigentlich spielte er mir doch perfekt in die Karten. Er lieferte die perfekte Vorlage. Und trotzdem!

Nach ein paar Minuten der Stille, in der ich mich und meinen Ärger wieder in den Griff bekam hob ich den Blick und sah Munakata in die Augen. In ihnen spiegelte sich echtes Mitleid. Ich tat ihm doch tatsächlich leid! Das konnte er sich sparen! Das brauchte ich schließlich bald nicht mehr, wenn alles nach mir ging.

Ich schloss für einen längeren Moment die Augen und nickte zögerlich.

Diesmal war es mein Gegenüber, das seufzte.

„Warum hast du dann damals HOMRA verlassen?“

Ich unterdrückte ein Schnauben. Egal, wer es war, alle stellten sie dieselbe dumme Frage. Alle! Und niemanden von ihnen ging es etwas an. Am wenigsten ihn. Der sollte sich einfach freuen, dass ich auf seine Seite gewechselt war, auch wenn ihm zum Freuen nicht mehr viel Zeit bleiben würde.

Es widerstrebte mir mit jeder Zelle meines Körpers jetzt ausgerechnet IHM antworten zu müssen.

„Weil ich es nichtmehr mit ansehen konnte. Ich konnte nichtmehr mit ansehen wie er mit den anderen glücklich war. Wie er ohne mich Spaß hatte und wie er Mikoto vergötterte.“ Ich spuckte das Wort förmlich aus.

„Ich war doch nur noch Luft für ihn. Ich wurde erst wieder interessant, wenn die anderen nicht da waren, oder keine Zeit für seine Kindereien hatten. Dann durfte ich wieder den Lückenbüßer spielen. Ich, für den er doch die Welt war!“

Ich brach ab. Ich hatte zuviel gesagt. Viel zu viel. Die Worte waren gekommen, ohne dass ich ihren Fluss kontrollieren konnte. Sie waren einfach aus mir herausgesprudelt, gierig auf die offenen Ohren meines Königs zu treffen und loszuwerden, was ich schon viel zu lange mit mir herumschleppte. Aber warum ausgerechnet bei ihm?

Ich zuckte zusammen. Eine Hand hatte sich auf meine Schulter gelegt. Ich hatte nicht bemerkt wie Munakata aufgestanden war, geschweige denn wie er um den Tisch herumgegangen war. Ich sah nur wie er jetzt vor mir stand, halb auf seinem Schreibtisch sitzend und mich immernoch mitfühlend ansah. Sein Lächeln war verschwunden und er meinte es wirklich ernst, aber das war mir egal. Ich widerstand dem Drang seine Hand wegzuschlagen die noch immer auf meiner Schulter ruhte. Sein Mitleid hatte ich nicht nötig. Aber doch brauchte ich es. Ich brauchte es, um mein Ziel zu erreichen.

Ich seufzte. Damit, dass es schwer werden würde, hatte ich gerechnet. Aber damit, dass es mir SO schwer fallen würde…

„Ich denke ich versteh dich.“

Ich schwieg. Konnte er mich verstehen? Nie im Leben. Ausgerechnet er! Das war doch lachhaft!

„Aber es war dumm von dir zu denken, dass du dadurch die Aufmerksamkeit bekommst, die du suchst.“

Er machte es mir wahnsinnig schwer, nicht auf der Stelle mein Glück zu versuchen und ihn hier und jetzt zu erwürgen. Seine Worte schürten meinen Hass. Es schien ihm nicht gereicht zu haben mit seinen vorherigen Sätzen sein Todesurteil unterzeichnet zu haben. Er stempelte es sogar ab und versah es mit seinem Siegel. Das schlimmste an seinen Worten war jedoch die Tatsache, dass sie auf eine schmerzhafte Art und Weise stimmten. Es war nicht das, was ich wollte. Aber es war mehr als nichts. Und das sollte er mir nicht schlecht machen. Es war das wenige, das mir bisher geblieben war.

Erneut seufzte Munakata und beugte sich zu mir herunter, bis wir auf Augenhöhe waren. Dass dadurch sein Gesicht keine 10 Zentimeter mehr von meinem entfernt war, schien ihm nicht einmal aufzufallen. Aber das war typisch für ihn. Vielleicht musste er damit den enormen emotionalen Abstand kompensieren, den er zu allem und jedem hatte. Von Mikoto und dessen Tod mal abgesehen.

Ich spürte wie sich seine freie Hand auf meine andere Schulter legte, und er sah mich eindringlich an.

„Würdest du aufhören dich nur auf ihn zu fixieren, fändest du bestimmt jemand anderen, mit dem du glücklich werden könntest. Es gibt sicher viele, die dir liebend gerne all das geben würden, das du bei ihm so verzweifelt suchst.“

Es bedurfte einer großen Menge Konzentration, nicht erneut aus der Haut zu fahren. Diese Lebensweisheiten konnte er sich sonst wohin stecken. Ich wollte sie nicht hören. Für mich würde es nie jemanden außer Misaki geben.

Ich atmete resigniert aus. Ich hatte keine Zeit für meine Wut. Es war Zeit sich wieder auf mein Ziel und den Weg dorthin zu konzentrieren, denn langsam wurde es ernst. Die Gelegenheit, die sich mir hier bot war vielleicht die erste und letzte und ich wusste, dass ich jetzt gut aufpassen musste, was ich sagte oder tat.

Ich ließ meinen Blick etwas nach unten wandern- ich hatte Angst, meine Lügen könnten unter seinem Blick einbrechen – und blieb an seinen Lippen hängen. Sie waren nicht sonderlich spektakulär in meinen Augen. Trotzdem fragte ich mich, wie sie sich auf meinen anfühlen. Ob es mir später sehr schwer fallen würde, eventuelle Küsse dieser Lippen zu erwidern. Schon bei dem Gedanken daran wurde mir seltsam zumute. So sehr wie ich es hoffte, so sehr befürchtete ich es auch. Wahrscheinlich würde ich mich so lange ich konnte, davor drücken. Trotzdem durfte ich jetzt nicht nachlassen. Ich hatte schon seit einiger Zeit kein Wort mehr gesagt. Das war zwar nicht ungewöhnlich für jemanden in meinem ‚Zustand‘, aber langsam könnte es auffällig werden. Ich musste eine Reaktion zeigen. Am Besten eine wirklich mitleiderregende.

Ich sah gequält auf. Bemühte mich direkt in diese besorgte Augen zu schauen.

„Ich-…“

Ich brach ab. Mein eigentlicher Grund: fehlende Inspiration mir eine überzeugende Masche zurechtzulegen. Der Grund, den mein König hoffentlich darin erkannte: emotionale Überforderung.

Ich lehnte mich etwas vor und vergrub das Gesicht in meinen Händen, als wollte ich Tränen und Kummer vor den Augen meines Gegenübers verstecken. Tatsächlich verbarg sich hinter besagten Händen mein wohl siegessichterstes Lächeln seit langem.

Für einen Moment herrschte absolute Stille. Mein eben noch so triumphales Lächeln verschwand. Hatte er mein Schauspiel durchschaut? Sicherheitshalber begann ich leicht zu zittern.

„Fushimi-kun..?“ Er klang irritiert. Gut so. Irrititerte Menschen ließen sich leichter beeinflussen. Ich zeigte keinerlei Reaktion. Umso verunsicherter von der Situation er war, umso leichter würde er auszunutzen sein.

Erneute Stille.

„…Saruhiko..?“Fast hätte ich vor Überraschung aufgesehen. So aber ermahnte ich mich, mein Gesicht versteckt zu halten und zuckte lediglich zusammen, gerade so als würde ich unbewusst reagieren. Als wäre ich mit den Gedanken ganz weit weg, verloren in meinem kleinen Nervenzusammenbruch.

Mein Name echote in meinem Kopf. Es war wirklich sehr ungewöhnlich ausgerechnet von jemandem wie Munakata beim Vornamen genannt zu werden. Aber meine anfängliche Verblüffung wich Verstehen. Mit meinem Nachnamen war er nicht zu mir vorgedrungen, also versuchte er es mit dem Vornamen. Trotzdem hatte es einen seltsam ungewohnten Klang ihn gerade aus seinem Mund zu hören. Es war mir wirklich unangenehm.

Ich hörte wie sich rasche Schritte von mir entfernten. Dann eine Tür. Nicht die schwere Bürotür, auch keine Schranktür. Als das Geräusch eines einrastenden Türschlosses zu hören war, riskierte ich einen kurzen Blick in die Richtung aus der es gekommen war. Ich musste zweimal hinschauen um die unscheinbare Tür zu bemerken durch die mein König vor wenigen Sekunden verschwunden sein musste. Als ich die Bewegung der Klinke sah kehrte ich schnell in meine alte, gekrümmte zitternde Haltung zurück. Jetzt sah ich wieder nichts außer der vage erkennbaren Haut meiner Hände. Ich lauschte, mich hin und wieder leicht schüttelnd.

Auf einmal spürte ich etwas Schweres, Weiches auf meinem Rücken. Vermutlich eine Decke. Darüber ein einzelner Arm der sanft meine Schultern umschloss. Ich merkte wie schwer es mir unter dem Gewicht der Decke und seinem sanften Griff fiel, mein Zittern weiter vorzutäuschen und ließ es unter einem erstickten, erbarmungswürdigen Geräusch abklingen.

„Es ist okay. Du bist nicht alleine“ , hörte ich Munakatas Stimme etwas zu nah an meinem Ohr für meinen Geschmack. Es war faszinierend, wie er sich um beruhigende Worte und Gesten bemühte. Das alles ging fast schon zu einfach.

Dann hörte ich das Geräusch eines PDAs. Vorsichte lugte ich durch meine Finger und beobachtete die Hände, die das Gerät vom Tisch nahmen. Den Blick weiter zu heben wäre zu auffällig, also wartete ich ungeduldig ab. Ich hörte einen genervten Laut, wie ich ihn bis dahin noch nicht von meinem Captain gehört hatte. Kurz darauf spürte ich Hände, die mir aus dem Stuhl in eine stehende aufrechte Haltung verhalfen. Wieder lag ein Arm um meinen Rücken und hielt die Decke fest, während Munakata mich vorsichtig quer durch den Raum in Richtung der Tür führte, die ich erst vor wenigen Minuten das erste Mal bemerkt hatte. Behutsam schob er mich in den dahinter liegenden Raum und half mir, mich auf ein Sofa zu setzen.

„Ich werde dich einen Moment allein lassen müssen. Ruh dich aus und versuche bitte, dich zu beruhigen.“

Und mit diesen Worten verschwand er wieder aus dem Zimmer und ließ mich allein hier zurück.

Kapitel 3

Fushimis Pov

Als die Tür hinter meinem Captain zufiel, konnte ich zum ersten Mal erleichtert aufatmen. Ich wischte den Atem, der sich über die Zeit des ‚Tränenversteckens‘ an meinen Händen kondensiert hatte an der Hose ab und schob die Decke von meinen Schultern. Mein Rücken schmerzte etwas von der gekrümmten Haltung, die ich ihm aufgezwungen hatte. Leicht stöhnend streckte ich mich und legte den Kopf in den Nacken. In dieser Position blieb ich einen Moment und betrachtete die schlichte weiße Zimmerdecke. Dann schloss ich die Augen und lauschte. Das Klopfen erschrak mich, aber im nächsten Augenblick realisierte ich, dass es die Bürotür gewesen sein musste, denn kurz darauf hörte ich, wie Munakata seinen Besuch hereinbat. Am Widerhall der Schritte erkannte ich den Lieutenant. Es schein eine stinknormale Besprechung zu sein, wie sie zu Dutzenden stattfanden. Das war gut. Meistens dauerten sie recht lange, was wiederum bedeutete, dass ich Zeit haben würde, mich hier umzusehen. Ich stand auf und stieß mit dem Schienbein gegen die Kante eines kleinen Couchtisches und brachte damit zwei Gläser unbenutzte Gläser zum Klirren, die auf der Ecke standen, als würde der Bewohner des Zimmers immer mit Besuch rechnen. Tragischer weise war ich mir sicher, dass er noch nie welchen gehabt hatte. Ich schob mich seitlich aus der doch recht engen Fläche zwischen Couch und Tisch und stand dann mitten im Raum der offensichtlich das Wohnzimmer sein sollte. Der Raum war nicht so groß wie ich es von dem Zimmer eines Königs erwartet hatte, konnte in Sachen Größe und Einrichtung trotzdem nicht mit meinem oder den Zimmern der anderen verglichen werden, aber so war das wohl eben, wenn man König war.

Einen Momentlang betrachtete ich das lange überfüllte Bücherregal und stellte fest, dass die Bücher penibel geordnet waren. Schmuckstücke internationaler Literatur sortiert nach Autoren, Sprache, Namen und Alter in einer komplizierten Art, die mich an diese absurde Vorliebe für Puzzle erinnerte, die ihr Besitzer hegte. Allerdings war mir seine kleine Privatbibliothek reichlich egal, solange ich nicht einen Plan B brauchte und versuchen musste, sein Zimmer in Brand zu stecken.

Ich sah mich weiter um, warf flüchtige Blicke durch die hohen Fenster, von deinen eins von dem schweren dunkelblauen Vorhang halb verhangen war. Wie auch jene in seinem Büro zeigten sie den Hof und die Straße dahinter. Die Scheiben waren penibel sauber. Ich fragte mich, ob er für die Ordnung hier drin jemanden bezahlte. Von dem, was er vermutlich verdiente, würde es ihn wohl kaum in den Ruin treiben. Wenn ich das hier alles sah, kam mir mein eigenes Gehalt etwas zu klein vor. Ich grinste leicht. Wenn ich mich schon an ihn ran machen musste, konnte ich vielleicht für die Zeit, die ich brauchte, um meinen Plan in die Tat umzusetzen, eine kleine Gehaltserhöhung durchsetzen. Verdient würde ich es haben, betrachtete ich den Ekel, der in mir aufstieg, wenn ich daran dachte, welche Reaktionen ich Munakata hatte zeigen und welche Dinge ich ihm hatte sagen müssen. Ich ergänzte die Gehaltserhöhung auf meine kleine To-Do-Liste, wenn auch mit einer sehr niedrigen Priorität knapp über ‚letztes bisschen Selbstachtung behalten‘ und lächelte ironisch. Ich würde tun, was immer nötig war, um meine letzte kleine Mission zu beenden.

Ich wandte mich wieder vom Fenster ab. Eigentlich gab es dahinter nichts Interessantes zu sehen. Des Weiteren gab es hier einen recht großen Fernseher, auf dem eine Fernbedienung lag, die mindestens so viele Knöpfe zu haben schien, wie unsere Helikopter. Was konnte er mit diesem Ding alles machen? So viele Tasten waren nicht normal. Ich beschloss sie später noch mal genauer in Augenschein zu nehmen.

Außerdem eine Kommode mit integrierter hohen Glasvitrine. Hinter den gläsernen Türen verbarg sich allerdings nur weniges, das es wert war, gesehen zu werden. Andere Menschen hätten schicken Schnickschnack dahinter verstaut, stolz eine Sammlung irgendwelcher Dinge, die keinen interessieren präsentiert, oder sie zweckmäßig genutzt. Diese war fast leer. Aber auf Augenhöhe erkannte ich von versteckten LEDs blau angeleuchtet, den Säbel. Sicher in seiner speziellen Halterung aufbewahrt und ihn dem Licht glänzend, wie unbenutzt. Aber wenn er eines nicht war, dann unbenutzt. Sicher war es nicht mehr zu sehen, nicht mehr mit dem kleinsten Partikel befleckt, aber an dieser Klinge hing das Blut des roten Königs. Und das des blauen und vierten Königs würde folgen. Bald schon.

Bedächtig öffnete ich den Schrank und besah mir die Halterung genauer. Ich wusste, dass ich nicht in der Lage sein würde, Schwert und Hülle davon zu befreien. Genauso wenig, wie ich es ziehen konnte. Gedankenverloren betrachtete ich es und suchte nach einem Weg auch in diesem System ein offenes Hintertürchen für mich zu finden. Um die Halterung zu öffnen brauchte es Munakata, ebenso wie für den Mechanismus in der Schwertscheide. Also lag das Problem nicht am Säbel selbst. Es waren die Dinge darum. Für meinen Plan brauchte ich nur die Klinge, doch die befand sich am sichersten Ort den es gab. Direkt vor meiner Nase und doch meilenweit entfernt. Kurz überlegte ich, ob es reichen könnte ihn mitsamt der Hülle zu erschlagen, aber der Gedanke war so unsinnig, dass ich ihn sofort wieder verwarf. Ich brauchte diese Klinge, aber ich bezweifelte, dass selbst in der lockersten und vertrauensvollsten Beziehung, die ich zu ihm aufbauen könnte, er jemals so unbedacht sein würde, diese Waffe offen liegen zu lassen. Am wenigsten über Nacht.

Also schied es schon mal aus, dass ich spontan aus Glück heraus an meine Mordwaffe käme. Ich musste mir einen Plan zurechtlegen. Ich musste sie ihm mindestens am Mittag vor seinem Tod abnehmen und er durfte es nicht bemerken. Eine vereinzelte Idee schoss mir in den Kopf, die sich nach und nach zu einem beinahe idealen Gerüst aufbaute. Ich würde die Waffen vertauschen. Möglichst vor einem freien Tag, denn beim ziehen der Waffe, würde er den Unterschied merken. Ich würde meinen Säbel in seine Hülle stecken und seinen in meine. Ein einfacher Tausch, der es mir ermöglichen würde, seinen Säbel zu benutzen, wann immer ich wollte. Jetzt musste ich nur noch auf die Gelegenheit warten. Für einen kurzen Moment berührte ich ganz sacht den glänzenden Griff.

„Bald“, flüsterte ich ihm verschwörerisch zu, ehe ich meine Hand zurückzog und die Tür wieder schloss.

Ich machte ein paar leise Schritte zur Tür und lauschte.

„Der Strain, der für die Vorfälle letzte Woche verantwortlich war, wurde gestern widerstandslos festgenommen. Es scheint sich aber um einen Jekyll&Hyde-Fall zu handeln“, hörte ich Awashima sagen.

Also hatten wir einen Mr.Hyde in unserer Gewalt? Das war sehr selten, würde mir aber sehr gelegen kommen, wenn das, was ich bisher darüber gehört hatte, so stimmte. Es könnte eventuell sogar die Gelegenheit bieten, die ich brauchte, um die Säbel zu vertauschen. Ich entfernte mich wieder von der Tür.

Ziellos stand ich jetzt mitten im Raum und überlegte, wie meine kleine Show weitergehen sollte. Immer noch vollkommen kaputt auf dem Sofa zu sitzen, wenn Munakata wiederkam war unrealistisch. Ich war mir sicher, dass die Besprechung länger dauern würde, erstrecht, wenn es jetzt um einen Fall wie diesen ging, aber mit Sicherheit konnte ich nicht davon ausgehen. Aber Wahrscheinlich würde es länger dauern, als ein Nervenzusammenbruch glaubwürdig erscheinen kann. Außerdem konnte ich damit rechnen, wieder hochkant rausgeworfen zu werden, sollte mein Zustand zu stabil wirken. Es war nicht, dass ich mich darum riss, in seiner Nähe zu bleiben, aber wie war das noch mal. Seinen Freunden nah sein, seinen Feinden noch näher? Es war ein gutes Motto.

Es brauchte also einen triftigen Grund, dass er mich hier behalten musste. Etwas, dass es ihm schwer oder gleich unmöglich machen würde, mich rauszuwerfen. Gedankenverloren führten mich meine Schritte in den nächsten Raum. Es handelte sich um das Schlafzimmer. Gerne hätte ich einen schlechten Witz über ein king-sized Bett gemacht, aber mir fehlte die Vorlage. Das Bett das sich an einem Raumende befand, hatte nicht einmal ganz die Größe eines Ehebettes. Auf der anderen Seite des Raumes- der, auf der ich jetzt stand- befand sich ein weiterer Schreibtisch, der unglaublich zerwühlt und unordentlich aussah. Er passte so gar nicht in diese ordentliche Wohnung. Ich warf einen Blick über die Akten, Blätter und Bücher, die darauf in wackeligen Stapeln und kleinen Haufen herumlagen, wurde aber nicht wirklich schlau daraus. Über den großen, verzierten Schrank an der Wand und eine Kommode, die fast genauso unordentlich von Blättern übersät war wie der Schreibtisch, allerdings nicht ganz so ins Gewicht fiel. Erneut blieb er an dem Bett hängen. Die Decke fehlte. Das Kissen lag leicht zerknittert am Kopfende und mir wurde bewusst, wie müde ich war. Vielleicht war das ein Plan. Ich könnte einfach so dreist und geistig verwirrt sein, mich in seinem Bett schlafen zu legen. Es würde mir die Chance geben sein Schlafverhalten genauer zu beobachten und gleichzeitig konnte ich vielleicht ein bisschen des Schlafes nachholen, den ich letzte Nacht versäumt hatte.

Ich ging zurück ins Wohnzimmer, um die Decke zu holen. Stille. Aus dem Büro kamen keine Stimmen. Konnte die Besprechung schon zu Ende sein? Ich beschleunigte das Tempo, schnappte mir die Decke, schlang sie mir um den Oberkörper und begab mich zurück ins Schlafzimmer. Ich ließ mich auf die Matratze fallen und kugelte mich leicht ein. Es sollte verletzlich aussehen, ich musste es nur schaffen jetzt auch in dieser Haltung einzuschlafen.
 


 

Munakatas Pov

Ich hatte bereits einen großen Teil der Besprechung überstanden, als das Thema unangenehmer wurde.

„Der Strain, der für die Vorfälle letzte Woche verantwortlich war, wurde gestern widerstandslos festgenommen. Es scheint sich aber um einen Jekyll&Hyde-Fall zu handeln.“

Ich atmete tief durch. Das würde wieder einmal Probleme geben.

„Wurde der Psychologe schon informiert?“, fragte ich.

„Bisher war keiner erreichbar, wir versuchen es weiter.“

Es war immer dasselbe mit den Jekyll&Hyde Fällen. Das war das Letzte, was mein Gewissen jetzt brauchte.

Der Code Jekyll&Hyde beschrieb die wohl verzwickteste Kategorie von Strains, mit denen wir bisher zu tun gehabt hatten. In meiner ganzen Zeit hier waren mir bisher nur 4 solche Fälle untergekommen und darüber war ich heilfroh, denn sie waren mit viel Arbeit und Gewissensbissen verbunden.

Die Mr.Hydes, wie wir sie hier umgangssprachlich nannten, waren Strains, mit zwei verschiedenen Bewusstseinszuständen. Wir wussten bisher nicht, wie diese Charakterspaltung erfolgte, aber es gingen Vermutungen um, das es schizophren Veranlagte oder Leute, die unter einem stark ausgeprägten Somnambulismus litten, handelte. Sicher konnte sich keiner sein, da der Umgang mit ihnen äußerst kompliziert war. In ihrem normalen Zustand waren sie meist ganz normale Bürger, die oft nur eine verschwommene Ahnung oder überhaupt keine Kenntnisse ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten hatten. Sie hatten nicht mehr oder weniger kriminelle Energien wie jeder andere. Der Moment aber, in dem ihr Bewusstseinszustand sich änderte, machte sie meist gemeingefährlich und es war schwer ihnen in ihrer oft amoklaufähnlichen Raserei Herr zu werden. Diese Momente waren unberechenbar und nur selten von einem äußeren Umstand provoziert. Zumindest sagten das die wenigen Psychologen, die wir mit diesen Fällen betrauten. Es waren außerdem mitunter die einzigen Fälle, in denen wir die Hilfe von Psychologen benötigten. Das Problem lag nämlich in ihrer Zurechnungsfähigkeit. Vor Gericht würden sie vermutlich freigesprochen und in psychiatrische Behandlung –mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer geschlossenen Abteilung- gegeben werden. Allerdings war das nicht möglich. Das hohe Gefahrenpotenzial und die Kräfte von Strains machten es in der Regel unmöglich, sie an normalen öffentlichen Einrichtungen wie Kliniken oder Gefängnissen festzuhalten. Es war eine unserer Hauptaufgaben, diese Strains aufzuspüren, zu kategorisieren und wieder in die Gesellschaft einzugliedern oder wenn nötig zu eliminieren. Anfangs fiel es allen schwer- mich eingeschlossen- dieses System zu akzeptieren, aber es war die sicherste Lösung für die Bevölkerung, Verbrecher, die ohne jegliche Reue ihre Kräfte gegen die Menschheit nutzten, aus dem Weg zu räumen. Aber was machte man jetzt mit einem Menschen, der sich seiner Schuld nicht bewusst war? Der nicht die leiseste Ahnung hatte, was ein anderes Ich seiner selbst anstellte? Für diese Fälle war es meistens am wichtigsten einen Psychologen hinzuzuziehen, um dem Jekyll die Existenz seines Hydes klarzumachen, metaphorisch gesprochen. Aber wie immer war kein Psychologe erreichbar.

„Halten Sie mich auf dem Laufenden.“

Damit beendete ich das Thema. Ich wollte nicht daran denken, dass in den Gefängnis räumen eine tickende Zeitbombe saß, um die ich mich wahrscheinlich persönlich kümmern musste, sollte sie hochgehen. Ich war aufgestanden und sah aus dem Fenster hinter meinem Schreibtisch.

„Sonst noch etwas?“ ,fragte ich in der Hoffnung, die Sitzung beenden und zu Fushimi in meinem Wohnzimmer zurück zu können.

Eine kurze Stille entstand, wie es sie nur bei schlechten Nachrichten gab.

„Es gibt Gerüchte um die Sichtung eines neuen roten Königs.“

Meine Finger krallten sich in den Stoff des Vorhangs. Das ging zu schnell für mich. Mir wurde schlecht. Unglaublicherweise schien man es mir aber nicht anzumerken. Ich war froh, dass Awashima mein Gesicht nicht sehen konnte. Ich musste kreidebleich sein.

„Sind wir dem schon nachgegangen?“, fragte ich gepresst.

„Bisher gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass an den Gerüchten etwas Wahres dran ist, aber ich dachte, Sie sollten es wissen.“

Ich schloss die Augen. Ich konnte es auf meinen Händen spüren. Suohs Blut. Ich hatte das Gefühl, es würde noch Jahre dauern, bis dieses Gefühl verschwinden würde und jetzt sollte es schon einen neuen roten König geben? Ich versuchte mich zu beruhigen und meine Stimme auf einen normalen Level zu bringen.

„Sonst noch etwas?“, fragte ich erneut. Ich wünschte die Besprechung wäre vorbei.

Erneut eine kurze Pause.

„Vor dem Tor steht ein Mitglied des alten roten Clans.“

„Was?“ Ich war überrascht. Ich richtete meinen Blick aus dem Fenster auf das Tor, konnte aber nichts erkennen. „Wer ist es?“

„Yata Misaki-“ Sie redete weiter, um mir zu erklären wer es war, auch wenn ich es schon wusste.

Ich unterbrach ihre Erklärung.

„Was will er hier?“

„Er möchte Fushimi sehen.“

Ein Moment der Stille kehrte ein, in dem ich eine Entscheidung treffen musste.

„Schicken Sie ihn weg, aber Fushimi sollte nichts davon erfahren.“

Ich hatte mich wieder umgedreht, in dem Glauben, mich wieder im Griff zu haben und sah Awashimas verwirrten Blick auf mir ruhen.

Zur Bestätigung meiner Worte nickte ich noch einmal und immer noch verwirrt verließ sie den Raum.

Kaum war die Tür hinter ihr zugefallen ließ ich mich kraftlos in meinen Stuhl sinken und erlaubte mir einen kleinen Moment der Schwäche. Ich ließ meinen Kopf auf die kalte Tischplatte sinken und baute mit meinen Armen eine schützende Mauer darum. Ich seufzte langgezogen und schloss die Augen. Ich wartete bis das flaue Gefühl in meiner Magengegend abklang, dass mich bei dem Gedanken an einen neuen roten König-oder besser dem Tod seines Vorgängers- ergriffen hatte. Wenn ich so wie jetzt die Augen schloss, konnte ich den kalten Wind spüren, der das warme Blut an meinen Händen kontrastierte. Ich konnte Mikotos leblosen Körper spüren, den ich anfangs nicht hatte loslassen können, gefangen in dem Schockmoment über das, was ich getan hatte. Ich konnte die salzigen Tränen erneut spüren, die mir fast im Gesicht festgefroren waren, während ich mit dem Körper, des einzigen Menschen, der mich je hätte verstehen können, im halb geschmolzenen Schnee saß. Ich hatte zugesehen, wie die weißen Flocken begannen ihn zu bedecken und hatte es nicht glauben können. Ich hatte die Kälte seiner Glieder gespürt und den fernen Blick seiner Augen gesehen, aber ich hatte wahnsinnig lange gebraucht, um es wirklich zu realisieren. Es war nichtmehr auf der Insel passiert. Die ernüchternde Erkenntnis hatte mich erst viel später eingeholt. Weit nach dem Moment auf der Brücke, als ich der einzige war, der meine Rückkehr nicht feierte.

Ich spürte das kalte glatte Holz des Schreibtisches an meinem Körper und es war das einzige, das mich in diesem Augenblick im Hier und Jetzt hielt. Ich presste meine Finger dagegen, als wollte ich mich daran festhalten, während ich versuchte, diesen schrecklich vertrauten Moment zu verlassen, in dem meine Gedanken gefangen waren.

Als ich es schließlich geschafft hatte und die Augen öffnete konnte ich das Blut an meinen Fingern sehen. Mikotos Blut. Nein. Meines. In meinem krampfhaften versuch mich, am Tisch festzuhalten, hatte ich mir einen kompletten Nagel ausgerissen. Ich hatte es nicht gespürt. Ich spürte es immer noch nicht. Ich griff in meine Schublade und desinfizierte es. Zu mehr war ich gerade nicht fähig und eigentlich war es mir auch egal.

Geistesabwesend sah ich ins Nichts, bis ich mit einem Ruck energisch aufstand. Ich ließ mir nie viel Zeit für diese Trauer und Leere. Besonders nicht für die Leere. Und so erinnerte ich mich selbst daran, dass im Wohnzimmer vielleicht noch Fushimi saß, unschlüssig was er jetzt tun sollte. Ich atmete noch einmal tief durch und betrat meine Wohnung. Ich fand die Couch leer vor. Weder Fushimi, noch die Decke befanden sich im Raum. Ich fragte mich, ob er gegangen war. Zuzutrauen wäre es ihm. Vorausgesetzt er hatte seinen Nervenzusammenbruch vollständig überstanden. Ich seufzte und ließ mich selbst in die weichen Polster sinken. Einen Moment überlegte ich, Fushimis Aufenthaltsort auf den Überwachungskameras zu prüfen, fühlte aber eine innere Müdigkeit, die mich davon abhielt, die Fernbedienung zu holen. Stattdessen ließ ich mir von der Couch die süßesten Schlaflieder ins Ohr wispern, die es ohne Töne gab. Als ich aus einem Sekundenschlaf hochschreckte beschloss ich, dass es keinen Sinn hatte, mich weiter zu bemühen wach zu bleiben oder meine Gedanken zu klären. Ich hatte seit langem nicht mehr richtig geschlafen. Die letzten beiden Tage überhaupt nicht.

Ich ging in die Küche, um die Bettdecke zu holen. Ich hatte sie dort zum Lüften aus dem Fenster gehängt, wie ich es hin und wieder tat. Es war das einzige Fenster meiner Wohnung, das nicht zum Hof und der Straße hin ausgerichtet war. Deshalb war es für das Gelegentliche Lüften meine erste Wahl. Alles andere hätte von außen seltsam gewirkt.

Ich klemmte mir die kühle Decke unter den Arm und schloss das Fenster. Die Temperatur in der Küche war so winterlich wie die Außenluft. Selbiges galt für die Decke und ich legte sie im Wohnzimmer noch einen Moment auf die Heizung, ehe ich sie mit ins Schlafzimmer nahm und im Türrahmen vor Überraschung fallen ließ.

Fushimi hatte meine Wohnung doch nicht verlassen. Da lag er. Eingehüllt in die Sofadecke und zitterte im Schlaf. Die Decke hatte schon immer eher Trost als Wärme gespendet und nach dem ersten kurzen Überraschungsmoment deckte ich ihn vorsichtig zu. Er schlief. Und das sogar ziemlich ruhig. Vielleicht hatte es ihm gut getan, alles einmal rauslassen zu können.

Von meiner starken Müdigkeit übermannt zog ich nur die Uniform aus und legte mich in Hemd und Hose neben ihn auf das Bett. Einen Moment betrachtete ich den leicht in seiner Haltung gekrümmten Rücken, der vor mir lag und sah zu wie das Zittern, das diesmal tatsächlich von der Temperatur hergerührt zu haben schien, abebbte. Ich legte mich ebenfalls unter die Decke, wünschte ihm leise eine gute Nacht und schlief kurz darauf ein.
 

Fushimis Pov

Mitten in der Nacht wurde ich von einem plötzlichen Ruck des Bettes aus dem Schlaf gerissen. Müde drehte ich den Kopf und brauchte einen Moment, um zu realisieren wo ich war, und was passiert sein musste. Ich war in Munakatas Schlafzimmer. Es war stockfinster, doch ich sah seine Silhouette aufrecht im Bett sitzen und konnte den stoßweisen Atem hören, während er nach Fassung zu ringen schien. Ich ging davon aus, dass er einen Albtraum gehabt haben musste. Dabei dachte ich, sowas gab es nur für Normalsterbliche wie mich. Es war eine kleine Genugtuung, dass auch Könige in dieser Hinsicht wohl einfache Menschen waren. Trotzdem hätte das nicht sein müssen. Sein dummer Albtraum hatte mich geweckt und die Spannung machte es mir vorerst schwer, wieder einzuschlafen. Ohne auf eventuell verräterische Geräusche und Bewegungen zu achten drehte ich mich herum.

„Tut mir leid, dich geweckt zu haben“, hörte ich eine unglaublich müde Stimme leise sagen. Ich gähnte nur zur Antwort und stahl ihm etwas mehr von der Decke, die er irgendwann aus dem Nichts wieder hierher befördert haben musste. Es war mir egal, wo sie herkam; sie war unglaublich warm und kuschelig. Ich vergrub mich tiefer darin und versuchte auszublenden wo ich war, und wer da neben mir lag. Ich schloss die Augen und bemühte mich, sämtliche Anzeichen eines anderen Anwesenden auszublenden. Es war zu schwer. Schlaflos warf ich mich ein paar Mal hin und her, ehe ich ihm letztlich wieder den Rücken zugedreht hatte. Ich konnte es einfach nicht ignorieren. Das Geräusch seines Atems, auch wenn er jetzt wieder ruhig ging, hielt mich wach. Es war die sekündliche Erinnerung daran, mit wem ich in einem Bett lag. Ich presste die Lider zusammen und versuchte es zu verdrängen, ihn zu ersetzen, durch jemanden, den ich lieber hier haben würde. Meine Gedanken drifteten zu Misaki. Mein Misaki. Für ihn machte ich das alles hier. Ich würde es nicht lange machen müssen, dann wäre es vielleicht wirklich er, dessen Atmen ich bald nachts neben mir hören würde. Ein sanftes Lächeln stahl sich auf meine Lippen, während ich sein schlafendes Gesicht vor Augen sah. Er war wahrscheinlich wirklich das einzige, was mich hier hielt. Aber für ihn, würde ich meinen Plan durchsetzen. Erneut in meinen Absichten bestärkt gelang es mir viel besser, meine derzeitige Situation zu akzeptieren und tatsächlich schaffte ich es, wieder einzuschlafen.
 

Erneut wachte ich auf. Es war noch immer stockfinster in diesem Zimmer und ich fragte mich, was mich diesmal geweckt hatte, als es mir schlagartig bewusst wurde. Ganz langsam drehte ich den Kopf nach hinten und erkannte einen Teil von Munakatas Gesicht. Unglaublich nah. Er schlief. Er schlief viel zu nah hier drüben. Ich wollte weiter zur Kante rutschen ehe ich den Arm bemerkte, der schlaff um meinen Oberkörper geschlungen war. Oh Gott. Fast wurde mir schlecht. Diese Nähe gefiel mir überhaupt nicht. Ich wollte wegrutschen konnte es aber nicht. Genauso wenig wie fast jede andere Bewegung. Ich drehte den Kopf zurück nach vorne und erhaschte einen flüchtigen Blick auf den Wecker auf dem Nachttisch. 3 Uhr morgens. Es würde mindestens 2 Stunden dauern, ehe diese Hände zwangsläufig und mit Sicherheit von mir verschwinden würden. Es war das Grauen. Ich atmete ein paarmal tief durch, um mich zu beruhigen und schloss die Augen. Ich schauderte. Ich konnte seinen Atem im Nacken und seine Wärme dicht an meinem Rücken spüren. Ich schluckte. Viel zu nahe. Ich spürte wie sich mein ganzer Körper anspannte und sich versuchte von ihm weg zu lehnen, was mir aber nicht das Geringste brachte. Ich kniff die Augen zusammen und zählte bis 20 ehe ich sie wieder öffnete und tief seufzte. Ich versuchte mich wieder zu entspannen. Es brachte mir nichts, die restliche Zeit damit zu verbringen, mich aus seiner Umarmung zu kämpfen. Ich hoffte nur, dass ich an dem Tag, an dem ich ihn töten wollte, mehr Bewegungsfreiheit haben würde.

Kapitel 4

Fushimis POV

Verschlafen öffnete ich die Augen. Das Zimmer war gespickt von dünnen Fäden morgendlichen Lichts, das durch die Vorhänge fiel. Schlaftrunken drehte ich mich herum und sah ein leeres Bett vor mir. Ich erlaubte mir ein leises, erleichtertes Aufatmen, rollte mich auf den Rücken und atmete entspannt durch. Diese Nacht war überstanden. Ohne große Eile setzte ich mich auf und stieg aus dem Bett. Ich fragte mich ob es noch irgendetwas gab, wofür ich diesen zweiten Moment, in dem ich dieses Zimmer für mich allein hatte, nutzen sollte. Nach kurzer Überlegung verwarf ich den Gedanken, grinste in mich hinein und dachte mir im Stillen, dass ich wohl noch öfter diese Gelegenheiten bekommen würde. Alles lief zu perfekt, als dass ich jede freie Minute nutzen musste. Und deshalb verließ ich auch das Schlafzimmer und suchte die Tür, die auf den Gang hinausführte, um zurück in mein eigenes Zimmer zu gelangen. Auf dem Gang kam mir zum Glück niemand entgegen. Entweder ich hatte verschlafen und alle waren schon vollauf beschäftigt – was ich mir nicht vorstellen konnte, da mich mein Chef sicher geweckt hätte, schließlich hatte ich in seinem Bett geschlafen- oder ich war früher wach, als all die anderen und sie waren noch irgendwo in ihren Traumwelten, was um einiges wahrscheinlicher war.

Ich erreichte mein Zimmer recht schnell, zog mich aus und warf mein Zeug auf das Bett, ehe ich ins Bad ging und die Dusche aufdrehte. Ich wollte seinen Geruch aus meinen Poren waschen. Am liebsten seine ganze Existenz. Mit diesem unmöglichen Ziel vor Augen stellte ich mich unter den prasselnden Strahl und ließ mir die Sorgen aus dem Kopf spülen.

Das warme Wasser beruhigte mich ungemein. Vermutlich war es erholsamer als so manche Nacht der letzten Tage es gewesen waren. Zumindest klärte sich mein Verstand und ich konnte nachdenken, ohne, dass Mordgelüste und Luftschlösser mein Denken beanspruchten.

Ich konnte spüren, wie ich mich entspannte und ich kam mir ausgeruhter vor. Und das obwohl ich heute Nacht zweimal geweckt worden war. Wahrscheinlich hatte ich einfach nur länger geschlafen als sonst, denn ich konnte mir kaum vorstellen, dass es sonderlich erholsam war, neben meinem König zu schlafen. Erst recht nicht, wenn man bedachte, wie ich aktuell zu ihm stand.

Aber ich musste zugeben, dass ich mit meiner Aufregung ziemlich übertrieben hatte. Klar, er war mir etwas zu nah gekommen, aber war ich es nicht gewesen, der sich in sein Bett gelegt hatte. Hatte ich nicht irgendwo damit gerechnet? Ich war schließlich wirklich nicht davon ausgegangen, dass er wegen mir auf dem Sofa schlafen würde oder so etwas. Und dafür, dass er mich umarmt hatte, konnte ich ihm auch schlecht die Schuld geben, schließlich hatte er zu dem Zeitpunkt geschlafen. Und wenn man es mal ganz nüchtern betrachtete, ohne zu berücksichtigen wer er und ich waren, war es doch eigentlich mal ganz schön gewesen, nicht allein zu sein.

Ich lachte kurz über meine eigenen Gedanken. Gott, wie armselig war ich? Es wurde Zeit, dass ich meinen Plan umsetzte. Derjenige, der mir nachts Gesellschaft leisten sollte, war mit Sicherheit nicht Munakata, sondern Misaki.

Selbst das warme Wasser konnte den kalten Schauder nicht unterdrücken, der mich überlief, als mir klar wurde, wie selbstverständlich und gewissenlos ich bereits über diese Dinge nachdachte. Ich hatte nie große Probleme gehabt, meine Fehltritte mit meinem Gewissen zu vereinbaren, egal, worum es ging, aber dass es mir bei Mord so leicht fallen würde, war doch in gewisser Hinsicht erschreckend. Ich drehte das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Der entspannende Effekt war sowieso zu Nichte. In ein blaues, von Scepter 4 gestelltes Handtuch gewickelt verließ ich das Bad und suchte mir frische Sachen zusammen, die ich dann zusammen mit mir selbst auf das Bett warf. Es scherte mich nicht, ob mein Bett nass wurde. Bis ich wiederkam würde es getrocknet sein, wenn das Wasser Schäden hinterlassen sollte, würde ich ein neues bekommen. Das war der Luxus der Wohnungen in Scepter 4. Und da ich schon vor einigen Wochen die doch recht gut versteckten Überwachungskameras ausgeschaltet hatte, brauchte ich mir auch keine Gedanken über mögliche Voyeure zu machen. Eigentlich nur über einen möglichen Voyeur. Ich hatte aufgehört mich zu fragen, warum der Captain uns auf diese Art überwachte. Die Gründe waren entweder zu unsinnig oder unangenehm, aber ich musste mir darum ja keine Gedanken mehr machen.

Ich schloss einen Moment entspannt die Augen und bereitete mich mental auf einen weiteren eintönigen Arbeitstag vor. Nach ein paar Minuten warf ich einen Blick auf den Wecker auf meinem Nachttisch. Bald würde meine Schicht beginnen. Ich richtete mich auf und ging zum Schrank, um mich anzuziehen. Meine Haare waren noch nass und das tropfende Wasser hinterließ einen unangenehm an mir klebenden, halb durchsichtigen Fleck im Kragen meines Hemds. Auch egal. Das würde noch trocknen.

Ich betrachtete mich in dem in den Schrank eingelassenen Spiegel. Wie lange war ich jetzt schon so blau? Zu lange. Viel zu lange. Ich entdeckte ein irres Glitzern in den Augen meiner Reflektion und grinste sie an. Sie grinste zurück. Gedankenverloren zog ich mein Hemd etwas zur Seite und betrachtete die unter Narben verstecken Überreste des HOMRA-Zeichens. Der rote Clan hatte seine Spuren auf mir hinterlassen. Ironischer Weise würde der blaue das nicht. Weder in meinem Blut, noch in meinen Knochen, wenn sich Scepter 4 wie Asche im Wind zerstreuen würde, nachdem ihr König gefallen war. Ich befühlte den weichen Stoff der Uniform und betrachtete mich im Spiegel. Der junge Mann mit dem Scepter 4 –Mantel und dem zerkratzen HOMRA-Tattoo wirkte fehl am Platz. Zu nichts von beidem schien er wirklich zu gehören. Es wirkte wie eine Verkleidung. Ein schlechter Scherz. Und viel mehr war es nicht. Eine Schnapsidee und ein verzweifelter Versuch, etwas zu erreichen. Es war mir nie ernst mit den Clans gewesen. Für mich kamen und gingen sie wie Modetrends. Würde mir der goldene, silberne, farblose oder grüne Clan mehr neue Möglichkeiten und interessante Nebeneffekte Misaki betreffend bieten, würde ich ohne mit der Wimper zu zucken erneut wechseln. Ein Verrat unter vielen. Wobei der Schlimmste noch bevorstand.

Ich riss meinen Blick von meinem immer noch grinsenden Spiegelbild los und sah auf die Uhr. Es war spät genug, als das ich mich bereits auf den Weg zur Arbeit machen konnte, ohne noch stundenlang auf die anderen warten zu müssen. Langsam ohne jegliche Hektik begab ich mich ins Büro. Trotz allem war ich der erste. Das war wirklich ungewohnt. Normalerweise saßen fast alle bereits an ihren Tischen, wenn ich ankam. Awashima begrüßte mich meistens mit einem ungeduldigen Blick, als wäre ich mehrere Stunden zu spät, und einem Stapel Blätter, hinter dem man ein kleines Kind verstecken konnte. Jetzt war das Büro dunkel und leer. Lediglich die Lämpchen an dem ein oder anderen Bildschirm glommen wie kleine Augen in der Dunkelheit, die mich verblüfft anstarrten und sich fragten, was ich schon hier machte.

Ohne mir die Mühe des Lichteinschaltens zu machen, ließ ich mich an meinen Platz fallen und fuhr meinen Computer hoch. Ich hatte nicht vor schon zu arbeiten. Aber irgendetwas musste ich ja machen, bis der Rest kommen würde. Dank der neumodischen Technik, die wir hier in Scepter 4 zur Verfügung hatten, musste ich keine 5 Minuten warten, ehe ich den langweiligen Hintergrund, der unser ebenso langweiliges Logo zeigte, sah. Ich öffnete meine eigenen Dateien und änderte ihn in ein Bild von meinem Misaki, nur, um das morgen zu wiederholen, da sich die persönlichen Einstellungen nach jedem Benutzen zurücksetzten. Wahrscheinlich wäre ich in der Lage, das auszuschalten, wenn ich mich damit auseinander setzen würde, aber jeden Tag ein neues Bild von Misaki als Hintergrund auszuwählen, war zu einer der wenigen Freuden geworden, die mir die Arbeit bereitete. Einen Moment lang betrachtete ich das Foto, das ich heimlich an seinem Geburtstag geschossen hatte, ehe ich mein Lieblingsprogramm öffnete. Mit diesem war es möglich öffentliche Überwachungskameras anzuzapfen und dank einer kleinen Ergänzung meinerseits auch das ein oder andere Smartphone. Ich tippte die lange Zahlenkombination ein, die die Kamera vor der Bar HOMRA beschrieb und beobachtete gespannt, wie sich das Fenster mit der Liveübertragung auf meinem Bildschirm aufbaute. Eine einzelne Zeitung wehte vor der Tür vorbei. Es war die einzige wahrzunehmende Bewegung. Es war einfach noch zu früh. Ich schloss das Fenster und das dazugehörige Programm und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Bald würde ich nicht mehr auf diese Heimlichtuerei angewiesen sein. Ich sah meinen Bildschirmhintergrund an. Bald würde ich bei dir sein, Misaki. Ich schloss die Augen und lächelte.

KLACK.

Mit einem Schlag wurde es hell im Raum und ich kniff die Augen noch fester zu, als das Licht begann sich durch meine Lider zu brennen. Nach einem Moment begann ich zu blinzeln und sah zur Tür. Die Umrisse, die ich durch meine immer noch etwas schmerzenden Augen sah, formten sich nur langsam zum Bild einer Person, die ich erkannte. Akiyama stand in der Tür, bewaffnet mit einer großen Tasse eines dampfenden Getränks, von dem ich um diese Uhrzeit ausging, dass es Kaffee war. Er starrte mich verblüfft an.

„Was machst du denn um diese Uhrzeit schon hier?“

„Sitzen“, antwortete ich knapp. Ich konnte ihm schlecht die Wahrheit sagen und eine glaubwürdige Lüge fiel mir auf die Schnelle auch nicht ein.

Akiyama tat das mit einem resignierten Lächeln ab.

„Wie immer nicht interessiert an Smalltalk, was?“

„Gut erkannt.“

In der Stille die daraufhin einkehrte, begab sich auch Akiyama an seinen Schreibtisch und trank von seinem Kaffee. Immer wieder sah er mit diesem verwirrten ‚Was tut er schon hier?‘ Blick zu mir herüber. Es war lustig das zu beobachten.

Bald darauf kamen auch schon die nächsten. Viele wirkten verschlafen und die meisten hatten ebenfalls eine Tasse Kaffee dabei. Langsam füllte sich das Büro, als der Lieutenant kam und anfing die riesigen Stapel Arbeit auf den Tischen zu verteilen. Auch sie sah mich irritiert an, sagte allerdings nichts dazu. Mir fiel auf, dass mein Stapel heute kleiner war. Ungläubig starrte ich den kleinen Haufen Papier an. Das konnte nur eines bedeuten. Ich hatte irgendwas Spannenderes zu tun. Irgendwas draußen in der Stadt. Und schon hob sich meine Laune. Vielleicht würde ich Misaki auf dem Weg sehen, oder konnte einen kleinen Abstecher zur Bar machen. Mit dieser Aussicht im Hinterkopf stürzte ich mich auf die Arbeit, wie sonst nie.

Pünktlich zur Mittagspause wurde ich fertig. Ich konnte mich nicht erinnern in den letzten Jahren so konzentriert und effektiv gearbeitet zu haben.

Mit einem befreiten Gefühl streckte ich mich auf meinem Stuhl und lächelte, bei dem Gedanken endlich mal wieder nach draußen zu kommen. Selbst der dichte Schneefall, den ich durch ein Bürofenster beobachten konnte und die unangenehmen Temperaturen konnten mir die Laune nicht verderben. Ich fragte mich, ob es an der Vorstellung, Misaki wiederzusehen, lag. Es war schon immer ein Ansporn für meine Außeneinsätze gewesen, aber heute, war die Vorfreude noch größer als sonst. Wahrscheinlich, weil ich wusste, dass ich ihn vermutlich allein antreffen würde. Außerdem war es gut möglich, dass es nicht zum Kampf kommen würde. Der Kleine war noch zu verletzt, von einer Schlacht, die er nicht selbst geschlagen hatte. Mikotos Tod hatte ihn schwach gemacht. Vielleicht schwach und einsam genug, als das er mich vermisste. So, dass er mich jetzt sah und ihm schmerzlich bewusst wurde, was er verloren hatte. Ein Schmerz, den ich ihm -bei aller Liebe- von Herzen gönnte.

Aber egal. Ich brauchte keinen Grund dazu. Ich wollte ihn einfach sehen.

Ich stand auf, um mir ein Mittagessen zu besorgen, als ich von Awashima aufgehalten wurde.

„Es wäre gut, wenn du sofort damit anfangen könntest. Der Captain, will den dazugehörigen, detaillierten Bericht bereits heute Abend auf seinem Schreibtisch sehen.“ Mit diesen Worten drückte sie mir eine recht dünne Akte in die Hand, ehe sie selbst durch die Tür verschwand, um ihre Mittagspause zu beginnen. Und ich sollte direkt mit der Arbeit beginnen?

„Und was ist mit Essen?“, rief ich ihr genervt nach.

„Du wirst bestimmt einen Imbiss oder ein Restaurant auf dem Weg sehen.“

Sie drehte sich nicht einmal um. Wie mich alle hier immer aufregten. Jetzt würde ich meine Mittagspause mit Arbeit verbringen. Und abends musste ich schon wieder zu Munakata. Das dämpfte meine Laune nun doch etwas. Ich setzte mich auf den nächstbesten Tisch während ich die Akte aufschlug und nachsah, um wen oder was es sich handelte.

Es handelte sich um die Fall-Akte eines Akiharu Kuroda, unseres Mr. Hyde. Das war auch der Grund weswegen sie noch so dünn war. Auf dem obersten Blatt klebte eine kleine Notiz. Darauf stand ein Name und eine Adresse. Darunter die Anmerkung „Befragen. siehe Seite 4“. Jippie. Wie ich es liebte mit wildfremden Menschen zu interagieren. Befragungen waren nicht wirklich mein Lieblingsjob, und manchmal bevorzugte ich da schon fast die Papierarbeit. Allerdings hatte es ein Gutes. Die besagte Adresse befand sich tatsächlich ziemlich in der Nähe der Bar.

Während meine Füße sich bereits auf den Weg aus dem Gebäude machten, blätterte ich zu Seite 4. Die Person, die ich befragen musste hieß Taishi Sendo, war ein Jahr jünger als ich und scheinbar ein guter Freund von Kuroda. Das und die Adresse war auch schon so ziemlich alles, was wir über den Jungen wussten. Für Akiharu galt ähnliches. Wir hatten kaum eine Ahnung von diesen Menschen und ihrem sozialen Umfeld und das musste sich natürlich ändern.

Ich erreichte die Tür und trat ins Freie. Schon nach den ersten Sekunden hatte ich die ersten Schneeflocken auf der Brille. Die Luft war kalt und mein Atem formte Wolken in die Luft. Trotzdem empfand ich die Temperatur auf seltsame Weise angenehm. Wie gestern Morgen, als die kalte Nachtluft die schlechten Gedanken aus meinen Gedanken vertrieben hatte, fühlte ich mir freier. Unbelastet von Schmerz und Sünde, und realer, als eben noch im Hauptquartier von Scepter 4. Ich sah das als Zeichen, dass ich dort nicht hingehörte und freute mich schon auf meinen baldigen „Austritt“.

Die Straßen waren gut gefüllt, trotz Uhrzeit und Wetterlage. Ich duckte mich hinter eine Reihe parkender Autos, um einem Schneeball zu entgehen, als ich in eine Straße voller Kinder einbog, die sich eine erbitterte Schlacht lieferten. Ihr helles Lachen und die Schreie hallten von den engstehenden Häusern wieder und zusammen mit der grellen Reflektion der Sonnenstrahlen auf dem glänzendweißen Schnee war es eine kopfschmerzerzeugende Kombination. Ich war froh als ich die Straße mit den spielenden Bälgern verließ und der Schnee von fahrenden Autos bereits grau und nicht mehr reflektierend war. Ich kam der Gegend immer näher. An einer Kreuzung entschied ich letztlich, die Bar erst nach der Arbeit aufzusuchen. Allerdings machte ich einen kleinen Umweg um mir wenigstens eine Kleinigkeit zu essen zu holen.

Ich schluckte gerade den letzten Bissen herunter als das Haus in Sicht kam, in dem Taishi Sendo laut meinen Informationen wohnen musste. Es war ein Mehrfamilienhaus, doch die Wohnung herauszufinden schien nicht von Nöten zu sein.

„Bist du der Typ, der mich befragen soll?“

Ich drehte mich um. In einer kleinen Seitengasse stand Sendo und beobachtete mich argwöhnisch.

„Bist du Taishi Sendo?“, stellte ich eine Gegenfrage.

Er sah mich an, antwortete aber in keinster Weise.

„Dann bin ich hier, um dich zu befragen. Sollen wir rein gehen?“, versuchte ich die Sache etwas zu beschleunigen.

Mein Gegenüber gab einen genervten Laut von sich und griff in die Jackentasche, aus der er eine Packung Zigaretten holte. Das hieß wohl „Nein“.

Ich zuckte mit den Schultern.

„Dann erzähl doch mal über deinen Freund Akiharu.“

Eine Stille trat ein, in der ich den Jungen ungeduldig ansah. Er schien das zu merken.

„Falls du es noch nicht begriffen haben solltest, ich will nicht über ihn reden, okay?“, kam es von ihm, während er einen kräftigen Zug von seiner Zigarette nahm und hustete.

„Noch nicht so lange Raucher, was?“, fragte ich.

Er warf mir einen ziemlich unfreundlichen Blick zu, ehe er zur Seite sah.

„Irgendwie muss man ja seine Nerven beruhigen.“ So schnell wurde ein pöbelnder Jugendlicher kleinlaut.

Ich gab ein zustimmendes Murmeln von mir und war überrascht, als Sendo weiterredete.

„Es ist alles so verdammt schräg. Ich meine, ich kenne – kannte- ihn jetzt seit, was weiß ich wie lange. Sieben Jahre? Ich dachte er wäre mein bester Freund. Er war es. Und jetzt finde ich heraus, dass er ein verfickter Mörder ist. Ich habe ihn verloren und ich weiß nicht mal wieso oder wie lange schon. Ich dachte ich kannte ihn.“

Er zog ein weiteres Mal an seiner Zigarette.

„War denn nie etwas seltsam an ihm?“, hakte ich nach.

„Was ist denn seltsam?“, bluffte Taishi zurück. „Er war ein wenig eigen. War eher unter sich oder mit mir unterwegs, hatte es nicht so mit Leuten, hin und wieder führte er mal Selbstgespräche oder philosophierte über seltsame Themen, aber wenn es Ärger gab konnte ich mich auf ihn verlassen, egal, was war.“

„Ärger?“ Das war immer ein Stichwort, bei dem es Nachzufragen galt.

„Ja, wann immer es Stress gab eben. Mit irgendwelchen Möchtegerngangstern auf der Schule, oder mit echten Banden hier im Viertel. Akiharu hat nie Hemmungen gezeigt sich mit ihnen anzulegen. Sie mussten mich nur blöd angucken und er würde sagen ‚Geh weiter, ich regel das‘, selbst wenn er unbewaffnet in eine Messerstecherei von Typen, die 2 Köpfe größer als er waren, rennen würde.“

Ich wurde hellhörig.

„Und was ist dann passiert?“

„Keine Ahnung. Als Freunde hört man ja auf einander oder? Er kam jedenfalls meistens nach einer knappen Viertelstunde zurück. Eigentlich immer ohne irgendwelche Verletzungen.“

„Das ist aber schon ein wenig seltsam oder?“

„Als ob ich in dem Moment darüber nachgedacht hätte. Es war verdammt cool. Er hat mir nie verraten, wie er das macht.“

Stille trat ein.

„Er hat dir vieles nicht gesagt oder?“, fragte ich nach.

„Eigentlich konnte ich mit ihm über alles reden, dachte ich. Aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke hat er eigentlich nur selten von sich geredet oder sich über irgendwas beschwert. Wir haben immer gemacht was mir grade in den Sinn kam. Eigentlich…Ich glaube ich weiß fast gar nichts über ihn.“

Na super. Und den sollte ich befragen? Das würden ja tolle Informationen werden.

„Und WAS weißt du über ihn?“

Danach bekam ich die langweiligsten Informationen über einen Menschen zu hören, die man jemandem erzählen konnte. Ich notierte mir das meiste, weil es eben nötig war und war froh, als der langweilige Teil des Gesprächs endlich vorbei war.

„Ich kann es immer noch nicht glauben. Mein bester Freund ist ein Mörder. Ich kann doch nicht mit jemandem befreundet sein, der einen Menschen auf dem Gewissen hat.“

Ich hielt mich zurück, um ihn nicht mit dem Gedanken zu verstören, dass es sogar vier waren.

Als ich mich schließlich von ihm verabschiedete, hatte sich die Akte kaum um nennenswerte Fakten erweitert. Zumindest nichts, das uns in irgendeiner Form weiterhelfen würde. Wir wussten nicht in welcher Hinsicht seine Fähigkeiten als Strain wirken könnte. Bei dem bisschen, das wir wussten konnte es sich um beinahe alles handeln. Hoffentlich würde man mir nicht die Schuld für den Informationsmangel geben.

Kapitel 5

Vorweg: mir ist eben aufgefallen, das die Kapitel falsch beschriftet waren. Sprich, ich hab die 3 ausgelassen ^^° das hab ich mal eben verbessert. Lasst euch nicht verwirren
 

Und nochmal ein Kapitel nur in Fushimis Sicht. Das nächste wird glaub ich wieder 2 perspektivisch (tolles Wort oder? XD)

Jedenfalls viel Spaß

~*+*~
 

Fushimi

Meine Arbeit war beendet und ich konnte mich endlich auf den Weg in Richtung Bar machen. Um diese Uhrzeit sollte ich Misaki dort antreffen können. Ich lächelte verträumt vor mich hin, während ich durch die verschneiten Straßen streifte. Meine Füße trugen mich wie von selbst zu meinem Ziel. Ich sah hinauf in den schneegrauen Himmel und entdeckte die Sonne hinter einer der tristen Wolken. Der Winter würde vorbeigehen. Dieser und auch meiner. Die kalte, einsame Zeit neigte sich dem Ende zu. Und auch Misaki würde auftauen. Schon bald. Alles würde warm und strahlend werden. Wie früher. Ich brauchte nurnoch ein bisschen Geduld.

Aber selbst die Aussicht darauf, ihn mit etwas Geduld wieder zu bekommen, nahm mir nicht den dringenden Wunsch ihn zu sehen. Und wenn ich ihn nur beobachtete. Ich brauchte diese Momente, wie die Luft zum Atmen. Umso enttäuschter war ich, als die Bar in meinem Blickfeld auftauchte. Niemand war zu sehen. Vermutlich waren sie drinnen, wie zu erwarten bei dem Wetter. Ich schlich mich etwas um das Gebäude und sah durch die eiskristallbesetzten Fenster. Wie immer war nicht mehr als ein paar grobe Umrisse der Anwesenden zu erkennen, aber was wäre ich für ein Freund, wenn ich Misakis nicht von den anderen unterscheiden könnte.

Ich hielt den Atem an und sah jede der Silhouetten einen Moment an. Bei der letzten stoppte ich. Ich hatte bereits befürchtet er wäre nicht anwesend, aber da war er. Er schien auf einem der Barhocker zu sitzen. Neben ihm unverkennbar Kamamoto. Der war nun wirklich alles andere als übersehbar und der Logik nach war das hinter der Bar Kusanagi. Sie waren nur zu dritt. Früher war das selten, aber vielleicht war das eines der Dinge, die sich nach dem Tod des roten Königs geändert hatte. Es war still hier auf der Straße, aber von drinnen konnte ich mit etwas Mühe Stimmen hören.

„Aber ich vermisse ihn.“

Das war Misakis Stimme. Es versetzte mir einen Stich ins Herz. Immer noch redete er nur über Mikoto.

„Wir können dich ja auch verstehen, aber du solltest versuchen nach vorne zu sehen.“

Natürlich war es Kusanagi, der sich hier bemühte, gute Ratschläge zu erteilen. Wie ich es mitbekommen hatte, war er auch so ziemlich der einzige, der seit dem einen kühlen Kopf bewahrt hatte.

„Heißt das ich soll ihn vergessen?!“

Misaki war aufgebracht.

„Das wäre das beste oder?“, mischte sich erstmals Kamamoto ein, wurde aber übergangen.

„Niemand hat das gesagt“, versuchte Kusanagi Misaki zu beruhigen. „ Du…solltest dich einfach damit abfinden, dass er weg ist.“

„Und wenn ich das verdammt nochmal nicht will?“

Typisch mein Misaki. Dickköpfig wie immer.

„Etwas Anderes wird dir aber leider nicht übrig bleiben“, gab Kusanagi resigniert zu bedenken.

Einen Moment war es still, ehe er weiterredete.

„Denk einfach nicht so viel an ihn. Ich weiß es fällt dir schwer, aber so ist es leichter über den Verlust hinwegzukommen.“

Eine weitere Stille trat ein, in der ich sogar hier draußen spüren konnte, wie sich die Stimmung im Innern der Bar verdüsterte.

„Warum musste er mich auf diese Art verlassen?“

Misaki hatte so leise geredet, dass ich ihn fast nicht verstanden hatte. Manche Wörter hatte ich fast erraten müssen.

„Er hielt es für richtig so zu gehen. Du solltest seine Entscheidung akzeptieren, wie wir anderen auch.“

„Aber er-“

Das Klingeln meines PDAs übertönte den Rest von Misakis Satz und ich sah mich gezwungen, meinen Platz am Fenster zu verlassen, ehe es mich verriet. Schon nach einigen Schritten hörte das Klingeln auf und ich sah auf das Display.

Anruf in Abwesenheit. Munakata.

Hatte der Mistkerl mich schon wieder geortet und wollte mich jetzt zurechtweisen? Ich widerstand dem Drang, das Gerät gegen die nächste Hauswand zu schleudern und entfernte mich von der Bar. Ich wollte das doch eigentlich eh nicht hören. Selbst jetzt, wo er tot war, ging es wieder nur um Mikoto. „Wieso musste er von uns gehen“, „Ich vermisse ihn“, schluchz. Ich hätte kotzen können. Jedes dieser Worte war ein Stich in meine Seele.

Ich seufzte. Er würde noch Zeit brauchen. Aber ich hatte lange auf ihn gewartet, ich würde weiter auf ihn warten. Und ich würde jedes Hindernis aus dem Weg räumen, bis nichts mehr zwischen uns stand. Komme was da wolle.

Erneut machte mein PDA ein Geräusch und ich sah nach, wer sich diesmal den Spaß machte, mich zu nerven. Diesmal war es eine Textnachricht vom Lieutenant.

Ich überflog das Geschriebene und machte mich schleunigst auf den Weg zurück. Es gab etwas, das ich nicht verpassen wollte. Ein Notfall mit unserem Mr.Hyde.

Als ich am Hauptquartier ankam war alles in heller Aufregung. Der Geräuschpegel war wirr genug, als das ich nicht daraus schlau wurde und einmal wurde ich beinahe umgerannt. Ich machte mich gerade auf den Weg zu den Zellen als ich einen Schrei von dort hörte. Ich unterdrückte ein verräterisches Grinsen. Dieser Strain würde meine Pläne um so vieles vereinfachen. Dem einzelnen, schmerzerfüllten Schrei folgten weitere panische. Ich wurde überholt und ich sah nur noch eine blaue Uniform um die Ecke in den Gang, der zu den Zellen führte, verschwinden.

Noch einige überholten mich und jeder wurde nach einer knappen Minute zu einem weiteren panischen Schrei, der durch das Gebäude hallte. Als ich den Zellentrakt selbst betrat, wurde mir bereits eine stark blutende Gestalt entgegen geschleppt. Nicht weniger als vier Mann bemühten sich Enomoto sicher aus der Zelle zu bugsieren. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen und er schien unter Schock zu stehen. Ich sah wie sich seine Lippen bewegten, konnte aber keinen Ton hören. Zu viert schleppten sie ihn an mir vorbei. Ich erreichte gerade die Zelle als sich Awashima davor positionierte.

„Niemand geht in diese Zelle!“, sie wirkte etwas außer Atem, was ich allerdings auf den Stress schob, den diese durch den offensichtlichen Angriff ausgelöste Panik ihr bereitete. Trotzdem war ihr Ton kalt und bestimmend und keiner hatte vor, ihr zu widersprechen. Die meisten waren sowieso dem Verletzten und seinen Begleitern nach draußen gefolgt.

Der Blick des Lieutenants blieb an mir hängen und wenn Blicke töten könnten…

„Wir hatten eine Massenhysterie. Es gibt mehrere Verletzte. Etwas Unterstützung wäre von Vorteil gewesen. Wo warst du?“

Sie war nicht so kühl wie immer, eher aufgebracht.

„Auf dem Weg hierher nehme ich mal an“, gab ich meinerseits kühl zurück.

„Nimmst du mal-!“ Sie brach ab atmete einmal tief durch und war schlagartig wieder ihr normales ich. „Ich werde mich um den Strain kümmern. Sieh du nach den Verletzten. Und mach, dass der Rest sich beruhigt.“

Ich war nicht zufrieden mit dieser Aufgabe. Vielmehr war ich neugierig auf das, was gerade hinter dieser Mauer geschah. Was dieser Strain war und wie er in der Lage gewesen war, manche von uns zu verletzen. Aber vielleicht konnte ich das auch von Enomoto erfahren. Vorausgesetzt er hatte seinen Schockzustand überwunden, wenn ich kam.

Ohne jedwede Hektik machte ich mich auf den Weg zu den Krankenzimmern. Ich konnte bereits die Sirene des Notarztes hören. Zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass die Verletzung, aus der doch so viel Blut geflossen zu sein schien, lebensbedrohlich sein könnte. Ich hatte beinahe ein schlechtes Gewissen, dass mir der Gedanke erst so spät kam und mich so kalt ließ.

Ich wurde noch auf dem Weg zu den Verletzten von dem Arzt und seinen Helfern überholt. Wir hatten eine eigene ärztliche Versorgung in Scepter 4, aber bei größeren Verletzungen verließen wir uns lieber auf echte, routiniertere Fachleute. Ruhig folgte ich dem Arz,t der in eines der hinteren Zimmer eilte und schon währenddessen seine Tasche öffnete. Kaum hatte er den Raum betreten, verließ eine ganze Besucherschar diesen. Sie sahen besorgt und verwirrt aus, aber kein wenig panisch. Konnte mir recht sein. Weniger Arbeit. Sie gingen an mir vorbei ohne mich wirklich zu bemerken.

Was ich an anderen Verletzten durch die halbgeöffneten Türen sah war nicht der Rede wert. Hier ein Verband um den Kopf. Hier eine Schiene am Arm. Ich fragte mich, wie zwischen den Verletzungen so ein großer Unterschied bestehen konnte. Ich lehnte mich an die Wand neben der Tür in die der Notarzt verschwunden war. Vielleicht konnte ich nach der Behandlung eine etwas interessantere Befragung als heute Mittag durchführen.

Die Befragung! Ich hatte noch einen Bericht zu schreiben. Bis heute Abend. Diese Deadline war verdammt kurz. Die meiste Zeit wurde uns wenigstens ein Tag Zeit gelassen. Vor allem wenn es um Dinge ging, die „detailliert“ werden sollten. Aber vielleicht war das typisch für Jekyll&Hyde Fälle. Die Eile dahinter. Wahrscheinlich brannte der Captain genauso darauf, zu erfahren, wer oder was da in einer unserer Zellen saß, wie ich. Auch wenn wir unterschiedliche Gründe hatten.

Ich stieß mich von der Wand ab. Ich würde in einer Stunde wiederkommen. Bis dahin sollte ich einen ordentlichen Teil meines Berichts verfasst haben und der Notarzt sollte seine Behandlung beendet haben.

Still und in Gedanken ging ich den Weg ins Büro. Es war absolut leer. Auf manchen der Bildschirme liefen noch Programme. Berichte waren mitten im Wort abgebrochen worden. Blätter lagen auf dem Boden. Awashima hatte recht. Es war eine Panik gewesen.

Ich setzte mich auf meinen Platz und starrte den Bildschirm an. Er war noch an. Ich ließ ihn immer an. Es war schließlich nicht meine Stromrechnung. Und so viel Spaß es mir auch bereitete, einmal am Tag ein Hintergrundbild einzustellen reichte. Manchmal hatte ich das Gefühl, diese Einstellung war ein schlechter Streich meines Captains. Einfach nur, um mich zu ärgern.

Ich öffnete ein leeres Dokument und begann den Verlauf des Gesprächs einzugeben. Ich ergänzte so viel ich noch wusste über Mimik, Gestik und Betonung. Sie wollten es detailliert, sie würden es detailliert bekommen.

Als ich das nächste Mal auf die Uhr sah, waren zweieinhalb Stunden vergangen. Soviel zu meinem vorgenommenen Besuch bei Enomoto. Ich speicherte den halbfertigen Bericht und stand auf. Erst jetzt bemerkte ich, dass das Büro beinahe voll war. Wann war der Rest denn wieder hier aufgetaucht? Und was noch viel wichtiger war: Seit wann arbeitete ich so konzentriert?

Ich seufzte und machte mich zum zweiten Mal an diesem Tag auf den Weg zu den Krankenzimmern.

Als ich ankam war alles ruhig. Der Besucherstrom schien versiegt und die meisten Verletzten waren wohl an ihre Arbeit zurückgekehrt oder nach Hause geschickt worden. Mir konnte das recht sein. Ich wollte sowieso keine Zuhörer für das kommende Gespräch. Vorsichtig warf ich einen Blick durch die halb geöffnete Zimmertür. Enomoto schien zu schlafen. Ein Schlaf, den vermutlich die Schmerzmittel ausgelöst hatten, die neben seinem Bett hingen. Er sah nicht gut aus. Auch wenn keine sichtbaren Wunden erkennbar waren, war er immernoch aschfahl und auch im Schlaf wirkte er nicht friedlich. Allerdings wollte ich nicht wissen, wie er unter der dünnen Bettdecke aussah, unter der er lag.

Ich betrat den Raum und ließ die Tür hinter mir ins Schloss fallen. Das dadurch erzeugte Geräusch schien bereits auszureichen, um den Schwarzhaarigen aus seinem wahrscheinlich traumlosen Schlaf hochschrecken zu lassen. Erschrockene Blicke wanderten durch den Raum ohne irgendetwas oder jemanden zu erkennen. Ich wusste nicht, was er sah, aber sein Blick weitete sich in Panik.

„Es war nicht meine Schuld. Ich schwöre es. Ich habe keine Ahnung, woher er den Säbel hatte. Bitte!“

Seine Worte überschlugen sich. Sein Blick driftete noch ein gutes Stück weiter von der Realität weg. Ein unkontrolliertes Zittern übernahm seinen Körper und das Gerät neben seinem Bett begann alarmierend zu piepsen. Bereits kurz darauf vernahm ich hektische Schritte auf dem Gang. Der Notarzt, der kurz darauf das Zimmer betrat, schob mich lediglich mit einem bösen Blick aus dem Raum, ehe er die Tür hinter sich schloss. Bald darauf nahm das Piepsen wieder einen normaleren, stabileren Rhythmus an.

Ich nutzte die Gelegenheit und machte mich aus dem Staub, ehe ich mit seinem veränderten Zustand in Verbindung gebracht werden würde. Auf dem Rückweg ließ ich mir noch einmal durch den Kopf gehen, was ich soeben gehört hatte. Sonderlich viel hatte ich dadurch nicht erfahren. Und die wenigen Informationen, die es gebracht hatte, warfen nur weitere Fragen und Rätsel auf. Unser Mr. Hyde war also in Besitz eines Säbels, der, wenn ich Enomotos von Schock und Schmerzmittel vernebelten Worten glauben durfte, einfach aus dem nichts aufgetaucht, und vermutlich auch wieder dorthin verschwunden war. Ich sollte versuchen, Kuroda demnächst selbst einen kleinen Besuch abzustatten. Alles andere würde mich wohl nicht weiterbringen. Aber ein kurzer Blick auf die Uhr verriet mir, dass dafür heute keine Zeit mehr sein würde. Ich hatte noch einen Bericht zu schreiben und ein gottverdammter Termin mit Munakata war auch noch für heute Abend angesetzt. Ich seufzte. Die Zeit, die ich bereits mit ihm verbracht hatte, wäre mir eigentlich genug für den gesamten nächsten Monat gewesen, aber dieser häufige Kontakt war eigentlich das Beste, das mir passieren konnte. Umso schneller würde er das notwendige Vertrauen fassen. Umso schneller konnte ich ihn töten. Zurück im Büro ließ ich mich auf meinen Platz fallen und starrte einfach auf Misakis Lächeln, das mich von meinem Bildschirm her anstrahlte und mir allen Ärger aus dem Kopf vertrieb. Für ihn.

Ich seufzte. Ich hatte noch Arbeit und wenn ich mein Verhältnis zum Captain verbessern wollte, sollte ich sie etwas ordentlicher machen als normalerweise.
 

„Ah Fushimi-kun. Ich habe dich bereits erwartet“, wurde ich von meinem König begrüßt als ich sein Büro betrat. Ich ließ mir meinen Widerwillen nicht anmerken und brachte den soeben verfassten Bericht nach vorn zu seinem Schreibtisch, wo er ihn bereits interessiert entgegen nahm und überflog.

„Mehr konntest du nicht in Erfahrung bringen?“

Er sah mich etwas enttäuscht und zweifelnd an. Ich nickte einfach nur und hoffte, er würde nicht auf die Idee kommen, die Schuld dafür bei mir zu suchen. Doch er schien das Thema nicht weiter vertiefen zu wollen.

„Setz dich doch“, bot er lächelnd an, doch ich erkannte einen Hauch von Unsicherheit dahinter. Vermutlich war ihm mein kleiner „Nervenzusammenbruch“ gut im Gedächtnis geblieben. Ich hielt ein Grinsen zurück und nahm unter seinem aufmerksamen Blick Platz.

„Ich wollte noch einmal mit dir reden“, fuhr er fort, während er den Bericht ordentlich zur Seite legte. Unter seinem direkten Blick sah ich mich gezwungen zu Boden zu sehen. Ja, mein kleines Schauspiel schien Eindruck gemacht zu haben.

Munakata seufzte.

„Du solltest versuchen deinen Freundeskreis zu erweitern.“

Er machte eine Pause und warf einen Blick auf die Uhr, ehe er fortfuhr.

„Ich würde dich heute Abend gerne einladen.“

Meine Verwirrung war echt. Ich warf ihm einen völlig perplexen Blick entgegen.

„Captain?“, gab ich unsicher von mir.

Vielleicht hatte ich mich ja verhört. Ich konnte ihm ansehen, dass das nicht die von ihm erhoffte Reaktion war.

„Du kannst natürlich auch ablehnen, falls dir das lieber ist“, ergänzte er ruhig.

Ich zögerte. Sollte das etwa so etwas wie eine seltsame Art von Date werden?

„N-Nein. Ich meine Ja. Ich würde mich freuen.“

Ich klang wie ein heimlich verliebtes Schulmädchen. Zum Kotzen war das. Im Moment war ich mir selbst zuwider. Aber was tat man nicht alles für seinen Misaki und wer weiß, ich könnte dem Abend auch einfach eine Chance geben. Wer weiß , vielleicht würde es ja ganz interessant werden, und mit etwas Glück vielleicht auch ganz schön.

Ich rang mir ein Lächeln ab, das von meinem Gegenüber erwidert wurde.

Ich sah zweimal hin, ehe ich das glauben konnte. Ein richtiges echtes Lächeln. Wie man es Freunden schenkte und nicht…Untergebenen. Es war seltsam diesen Ausdruck bei jemandem wie ihm zu sehen, aber ich musste zugeben, dass es eine angenehme Abwechslung war.

Für einen Moment war es still. Gelegentliche Blicke wurden zu einer Wanduhr geworfen und schweigend sahen wir zu, wie die letzten Minuten meiner Schicht verstrichen. Ich ließ sie nicht sinnlos vorüberziehen. Ich nutzte die kurze Zeitspanne, um mich seelisch auf den bevorstehenden Abend vorzubereiten. Ging gedanklich durch, was es für mich bedeutete. Heute würde ich die wohl wichtigste Show meines Plans abliefern müssen. Und das auf unbekanntem Terrain, ohne das Wissen um äußere Gegebenheiten und Situationen. Aber das hier war meine große Chance. Wenn jetzt alles gut lief, würde es mit Sicherheit nicht mehr lange dauern, bis ich meine Gelegenheit erhalten würde. Dann galt es nur noch, herauszufinden, wie ich mir unseren Mr.Hyde am besten zu Nutzen machen konnte, die Säbel zu vertauschen und nahe genug an meinen König heranzukommen. Und gottverdammt, ich würde es tun. Ich würde über meinen Schatten springen und auf all das eingehen, was der heutige Abend-dieses „Date“- mit sich bringen würde. Und dann, dann MUSSTE er mir vertrauen.

Auf die Minute pünktlich erhob sich mein Gegenüber und streckte mir einladend eine Hand entgegen.

„Wollen wir uns auf den Weg machen?“

Ich unterdrückte das Verlangen, tief und beruhigend Luft zu holen. Alles in mir verkrampfte sich. Trotzdem rang ich mir ein weiteres Lächeln ab und nickte. Die Hand ergriff ich nicht. Ich wollte freundlich sein, nicht niedlich. Irgendwann würde es auffällig werden.

Munakata schien seine Fehleinschätzung zu bemerken und nahm amüsiert die Hand runter, nur um sie mir kurz darauf erneut entgegen zu strecken. Diesmal hielt sie einen Schlüsselbund.

„Wenn du möchtest kannst du im Wagen auf mich warten. Ich brauche nicht lange.“

Ich nahm das kleine Bündel entgegen und betrachtete es einen Moment. Was ich damit alles anstellen könnte. Und ich dachte, ich müsste sein Vertrauen noch gewinnen. Fast hätte ich gelacht. Dieser Mann spielte wirklich auf Risiko, was das anging. Er würde sehen, wo ihn das hinführte.

Ich schloss die Finger um das kalte Metall und ging zur Tür, ohne mich zu verabschieden. Es kam mir unsinnig vor. Ich würde ihn ja sowieso viel früher wiedersehen, als es mir lieb war.

Der Wagen, zu dem die Schlüssel gehörten, sah weniger spektakulär aus, als ich es erwartet hatte. Beim Einsteigen änderte sich mein Eindruck allerdings schlagartig. Das lag allerdings nicht an den edlen Lederpolstern oder dem anderen wahrscheinlich wahnsinnig teuren Schnickschnack im Innenbereich. Es war die Technik. Es waren nur die vielen Knöpfe und Bildschirme, die auf die Komplexität des Gerätes hindeuteten, denn was ich auch versuchte, ich bekam es nicht zum Laufen. Vermutlich lief es mit so etwas wie Spracherkennung.

Ich lehnte mich in dem bequemen Beifahrersitz zurück und wartete.

Wie angekündigt, brauchte Munakata nicht lange. Keine 15 Minuten nach mir betrat er die Tiefgarage. Fast hätte ich ihn nicht erkannt. Er hatte seine Uniform gegen eine dunkle Hose und ein Hemd getauscht. Legerer würde man ihn wohl nie zu Gesicht bekommen. Trotzdem machte es einen riesigen Unterschied.

Wortlos stieg er zu mir ins Auto und nahm die Schlüssel entgegen.

„Am besten fahren wir vorher noch zu dir. Ich bezweifle, dass du in deiner Freizeit gerne in der Uniform herumläufst.“

Über mein Starren hatte ich vollkommen vergessen, dass ich selbst noch diese nervige Uniform trug. Allerdings verwunderte mich sein letzter Satz. Woher wusste er so genau, dass ich noch ein anderes Zuhause hatte, als dieses unpersönliche Zimmer im Hauptquartier?

Er startete bereits den Motor und wir verließen das Gelände in die richtige Richtung. Ich erwartete, dass er nach dem Weg fragen würde, aber das tat er nicht.

„Da li-“

„Ich weiß schon.“

Als wir die erste relevante Kreuzung erreicht hatten, hatte ich den unsinnigen Versuch starten wollen, ihn zu navigieren. Irritierender Weise schien das aber nicht von Nöten zu sein und ich wurde abgewürgt.

Auch ohne meine Hilfe wurde ich nur wenige Minuten später vor meiner Wohnung raus gelassen.

Ehrlich gesagt war ich froh, für kurze Zeit aus der unmittelbaren Nähe meines Captains verschwinden zu können.

Als ich mich umgezogen hatte, stand ich noch einen Moment am Fenster und sah runter auf die Straße. Ich könnte auch einfach hier oben bleiben. Im letzten Moment einen Rückzieher machen. Aber ich würde es nicht tun. Ich würde diese Sache hier durchziehen und zwar ganz. Ich atmete tief durch, ehe ich das Haus verließ und damit meine letzte Chance auf einen Rückzieher verstreichen ließ.
 

~*+*~

Da hab ich mir mal wieder eine interessante Stelle zum Ende eines Kapitels ausgesucht was? Naja, ihr habt jetzt wahrscheinlich etwas Zeit eure Fantasie spielen zu lassen, was da so zwischen Fushimi und Munakata laufen könnte, ehe ich euch diese Frage beantworten werde.

LG

Xalis

PS: ließt das hier auf mexx überhaupt noch wer oder kann ich mir das hochladen sparen und ganz auf FFde umsteigen?

Kapitel 6

Hey Leute. Hab euch etwas länger warten lassen als sonst. Meine Ausrede? Hmm Cosplay, mein 18ter...so sachen ^^°

Aber hier ist das nächste Chap. und ich verspreche das ich mit dem nächsten direkt anfange.

Vorallem da das hier recht unspektakulär ist, aber ich wollte längentechnisch nicht zu sehr aus dem Rahmen fallen im Vergleich zu den anderen.

Also anyways, viel spaß~
 

~*+*~
 

Fushimis POV

Bis auf ein halb verstecktes Kompliment für mein Aussehen war die Fahrt still verlaufen. Auf die Frage, wo er eigentlich mit mir hinwollte, hatte Munakata immer nur belustigt gelächelt und mir gesagt ich solle geduldig sein, oder mich überraschen lassen. Ich hatte schon fast befürchtet er würde mich in irgendein Love Hotel entführen und wollte mit seiner verschwiegenen Art verhindern, dass ich während der Fahrt aus dem Auto sprang. Aber das hätte nicht zu ihm gepasst. Gar nicht. Von allen Menschen, die ich kannte, war er mitunter derjenige, den ich an so einem Ort am wenigsten vermuten würde. Zusammen mit meinem Misaki, der allein bei der Erwähnung solcher Orte sicher niedlich rot anlaufen und schnellstmöglich das Thema wechseln würde.

Tatsächlich hatten wir vor einem Café gehalten, von dem ich noch nie gehört hatte. Drinnen erwarteten uns einige gedrängte Tische, eine schlichte Bar und eine Tanzfläche. Ich hätte fast auf dem Absatz kehrt gemacht, aber Munakata, der meine Absichten wohl durchschaut hatte, hatte sich so hinter mir platziert, dass er mir so oder so den Weg abgeschnitten hätte. Nur weil es eine Tanzfläche gab, hieß es ja nicht gleich, dass ich dort rauf gezerrt werden würde. Tatsächlich führte mich mein Begleiter an einen kleinen Tisch am Rand des großen Raumes. Dort hinten war es nicht so überfüllt, wie der restliche Ort. Denn als ich mich umsah, stellte ich fest, dass sich tatsächlich Unmengen von Leuten aller Art an Bar, Tischen und Tanzfläche tummelten. Viel zu viele Menschen für meinen Geschmack.

Ich spürte einen aufmerksamen Blick auf mir ruhen und drehte mich diesem entgegen.

„Ich sehe meine Auswahl sagt dir nicht wirklich zu.“

Na toll. Direkt war ich durchschaut worden. Aber das hatte ja noch nichts zu bedeuten.

„Nein, es…ist schon in Ordnung.“

Ich erntete ein Lächeln.

„Wenn man Leute kennenlernen will, sollte man sich nicht scheuen, sich auch mal an gut besuchten Orten aufzuhalten.“

Warte mal. Hatte ich das richtig verstanden? Das hier war kein Date. Das war ein kleiner Ausflug auf dem ausgerechnet der blaue König mir helfen wollte, Freunde zu finden? Ich schüttelte den Kopf. Das war doch idiotisch. Trotzdem war ich erleichtert. Denn das bedeutete, dass das hier wirklich kein Date war. Das erlaubte mir etwas entspannter an die Sache heranzugehen.

Munakatas Blick veränderte sich.

Stimmt ja. Ich hatte den Kopf geschüttelt.

„Nichts. Sie haben recht“, sagte ich schnell, um eventuelle Missverständnisse auszuräumen.

Er wirkte nicht überzeugt.

„Ich dachte nur…“

Erst denken, dann reden. Warum machte ich heute so viele Leichtsinnsfehler?

„Was dachtest du?“ Er sah mich fragend an und dann…lachte er.

Ich starrte ihn perplex an. Noch nie hatte ich ihn lachen gesehen. Irgendwie war er heute ein anderer Mensch. Unwillkürlich musste ich lächeln. Ehrlich lächeln. Es war insgesamt lange her, dass ich das letzte Mal jemanden hatte Lachen hören. Zumindest in meiner Gesellschaft. Ziemlich genau seit meinem Austritt aus HOMRA. Es tat gut.

„Nein. Das hier ist kein Date. Ich kann dich beruhigen. Die Rechnung übernehme ich natürlich trotzdem.“ Seine Augen lachten noch immer als der Ton schon lange verklungen war.

Immer noch amüsiert winkte er einem der Kellner und bestellte sich einen Kaffee. Wahrscheinlich hatte auch er irgendwann Tee satt. Ich nahm die Gelegenheit wahr und bestellte ebenfalls. Der Kellner verschwand wieder und eine kurze Stille kehrte ein in der ich hoffentlich peinlich berührt auf die Tischplatte vor mir sah.

Nach nur wenigen Minuten spürte ich eine Hand auf meiner.

„Alles in Ordnung?“

Ich sah auf, um den aufmerksamen Blick meines Königs zu erwidern. Die letzten Spuren seines Lachens waren wieder verschwunden und etwas anderes hatte seinen Platz eingenommen. War es Sorge? Ich wusste es nicht, aber es hätte zu seiner Reaktion gepasst.

Ich hielt seinem Blick stand und nickte einfach nur und glücklicher Weise schien er das Thema damit als beendet zu sehen. Die Frage, wie er mein Verhalten interpretiert hatte, blieb jedoch offen.

„Ehm…Entschuldigung?“, hörte ich eine leise Mädchenstimme hinter mir.

Als ich nach ein paar Minuten immer noch keine Reaktion gezeigt hatte wurde mir von hinten auf die Schulter getippt.

Ich schnalzte mit der Zunge und drehte mich um. Sie sollte meine Zeit nicht verschwenden. Ich war nicht zum Vergnügen hier und weiß Gott nicht, um irgendwelche Frauen kennenzulernen.

„Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht mit mir tanzen willst.“

Ihr Blick lag schüchtern irgendwo in der Gegend ihrer Füße und ihre unsichere Art ging mir schon jetzt auf die Nerven.

In dem Versuch sie abzuwürgen drehte ich mich wieder Munakata zu, der mich allerdings nur mit einem leicht empörten Blick ansah und kaum merklich in die Richtung des Mädchens nickte. Stimmt ja. Er war ja wegen genau sowas mit mir hier her gekommen. Ich verzog etwas das Gesicht und drehte mich wieder um.

„Tut mir leid. Kein Interesse.“

Ich sah sie solange desinteressiert an bis sie geknickt das Weite suchte. Es war wirklich nicht die feine englische Art, aber ich konnte mit Leuten wie ihr einfach nichts anfangen.

Als ich mich wieder zu meiner Begleitung umwandte, erntete ich einen fast schon enttäuschten Blick.

„Das war nicht sonderlich feinfühlig, Fushimi-kun. Außerdem wirst du auf diese Art nie Kontakte knüpfen können.“

„Vielleicht will ich das ja garnicht“, murmelte ich trotzig.

Munakata seufzte.

„Was hattest du an der jungen Dame auszusetzen?“, fragte er ruhig.

Ich überlegte einen kurzen Moment nach einer Antwort und letztlich erschien mir die Wahrheit am glaubwürdigsten.

„Ich konnte noch nie wirklich was mit Frauen anfangen. Und tanzen kann ich auch nicht.“

Ich schämte mich nicht wirklich für etwas davon, aber das ausgerechnet meinem Captain erzählen zu müssen war irgendwie…unangenehm.

Dieser jedoch lächelte einfach nur und nickte.

„Du kannst stolz auf dich sein, Fushimi-kun. Nicht jeder geht so offen mit seiner Sexualität um, wenn sie nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. Allerdings habe ich dich schon immer als sehr selbstbewusst eingeschätzt.“

Ich sah ihn an. Damit hatte ich nun ehrlich gesagt nicht unbedingt gerechnet. Womit ich allerdings gerechnet hatte, konnte ich auch nicht wirklich sagen. Seine Einstellung zu solchen Dingen schien meinem Plan zum Glück jedenfalls nicht im weg zu stehen.

„Das…stört Sie nicht?“, fragte ich und bemühte mich um etwas „versteckte“ Erleichterung.

„Sich an so etwas zu stören wäre kindisch. Außerdem müsste ich lügen, wenn ich behaupten würde, dass mein Interesse allein dem weiblichen Geschlecht gilt.“

Die Beiläufigkeit, mit der er das Thema zu betrachten schien, war schon fast erschreckend.

„Allerdings“, fuhr er fort, „befürchte ich, dass ich uns in Betrachtung dessen ins falsche Lokal geführt habe.“

Der Kellner kam mit den Getränken und beendete die Unterhaltung, die auf einmal so seltsame Richtungen eingeschlagen hatte.

Munakata nahm einen Schluck von seinem Kaffee und sah mich weiterhin dabei an.

„Was mich ehrlich gesagt mehr verwundert als deine sexuelle Ausrichtung ist die Tatsache, dass du nicht tanzen kannst.“

Ich zuckte mit den Schultern. Was kümmerte es ihn? Was kümmerte das irgendwen? Das war ja wohl eine der unwichtigsten Nebensachen der Welt. Es war doch egal, ob ich tanzen konnte oder nicht.

„Ist doch egal, oder?“, vertrat ich meine ehrliche Meinung.

„Eigentlich sollte man wenigstens die Standardtänze im Ansatz beherrschen. Man weiß nie, wozu man dieses Wissen irgendwann einmal gebrauchen kann. Vielleicht wirst du ja auf eine Hochzeit eingeladen. Willst du dann der einzige sein, der am Rand steht und sich am Punsch betrinkt?“

Fast hätte ich gelacht. Wer würde mich denn auf eine Hochzeit einladen? Und wer müsste das sein, als dass ich auch nur in Erwägung ziehen würde, hinzugehen?

Eine Antwort blieb mir vorerst erspart. Munakata hatte weitergeredet.

„Wenn du möchtest kann ich es dir beibringen.“

Ich sah ihn ungläubig an. War das sein Ernst?

„Übrigens wird dein Kaffee kalt, Fushimi-kun.“

Ich riss meinen Blick von ihm und richtete ihn auf das Getränk vor mir.

„Sie wollen mir tanzen beibringen? Habe ich das richtig verstanden? Doch nicht etwa hier oder?“ Aus dem letzten Satz sprach purer Horror. Ich hatte keine große Lust mich vor all diesen Leuten zum Deppen zu machen, auch wenn ich keinen von ihnen kannte.

„Natürlich nicht hier. Und natürlich nur, wenn du das auch willst.“ Er schmunzelte. „Du bist nicht im Dienst, ich kann dich zu nichts zwingen.“

Ich nahm einen Schluck von meinem Kaffe. Er war tatsächlich schon etwas abgekühlt. Ich dachte einen Moment nach. Das könnte an sich eine gar nicht so schlechte Gelegenheit sein. Zumindest wenn mein König sich das so dachte, wie ich mir das vorstellte.

„Und…wo dann?“

„Bei mir?“ Die Antwort kam zu schnell, als das er vorher überlegt haben konnte. Er konnte damit wohl kaum seine „Wohnung“ im Hauptquartier gemeint haben. Ich überlegte, ob jemand von den anderen bei Scepter 4 schon einmal bei ihm zu Hause gewesen war. Von den meisten war ich mir sicher, dass es nicht so war. Beim Lieutenant war ich mir nicht ganz so sicher.

Auf jeden Fall entsprach seine Antwort meiner Vermutung. Das würde mir sehr gut in den Plan passen.

Ich hob den Blick einen Moment von der Tasse, die noch in meiner Hand ruhte und sah ihn an. Dann sah ich wieder weg, und zuckte erneut die Schultern.
 

Munakatas POV

Fushimi überschlug sich nicht vor Begeisterung als er meinem Vorschlag, ihm wenigstens ein paar der Standardtänze beizubringen, zustimmte. Aber etwas anderes hatte ich auch nicht wirklich von ihm erwartet. Eigentlich ging es doch sowieso nur darum, ihn abzulenken. Seine Gedanken ein Stück weit weg von seinem kleinen Freund aus HOMRA auf etwas anderes zu lenken. Seien es Leute oder eine Tätigkeit. Ich bereute es allerdings, ihn mit hierher genommen zu haben. Es schien wirklich nicht das richtige Lokal gewesen zu sein, wenn ich berücksichtigte, was ich gerade erfahren hatte. Dabei kam ich mittlerweile recht gerne her. Die Beliebtheit, der sich diese Einrichtung erfreute, garantierte viele Besucher und da fiel auch ein König nicht auf. Hier könnte ich ihn voller Uniform an diesem kleinen Tisch an der Wand sitzen und müsste an einem gut besuchten Tag auf den Kellner warten wie jeder andere Mensch auch. Und das war genau der springende Punkt. In dieser Menge war ich ein gewöhnlicher Mensch. Nicht mehr und nicht weniger. Deshalb kam ich öfter her. Deshalb und weil ich das alte Lokal nicht mehr aufsuchen konnte ohne…nunja, es gab Erinnerungen, die ich lieber ungeweckt ließ.

Ich trank noch einen Schluck von meinem Kaffee, um einem Gespräch aus dem Weg zu gehen. Ich hatte sehr wohl gemerkt, dass das letzte etwas unangenehm für Fushimi gewesen zu sein schien. Außerdem schuldete er mir genaugenommen noch eine richtige Antwort, die ich wohl nie erhalten würde.

Ich sah ihn über den Rand meiner Tasse an. Was er wohl gerade dachte? Er hatte das alles für ein Date gehalten. Innerlich schmunzelte ich über diesen abstrusen Gedanken. Aber wenn er das wirklich gedacht hatte, wieso hatte er dann zugestimmt? Langeweile? Einsamkeit? Oder hatte er sich vielleicht einfach seinem Captain verpflichtet gefühlt? Dabei war er gerade einer der wenigen, die sich nicht bemühten, mir alles peinlichst genau recht zu machen. Er war jemand mit Charakter und Willen. Genau das machte ihn mir so sympathisch. Vielleicht war es auch etwas ganz anderes. Ob er sich gefreut hatte, zu erfahren, dass das keineswegs ein Date war? Erleichtert über abfallenden Druck, jemandem gefallen zu müssen? Oder doch eher…enttäuscht? Hatte er es als eine Abweisung gesehen? Als einen weiteren Menschen, der ihm den Rücken kehrte? Wie so oft blieben mir seine Gedankengänge ein Rätsel. Ich setzte die Tasse wieder ab.

„War das ein Ja?“, hakte ich letztlich nach, um wenigstens die Reste eines Gespräches am Leben zu erhalten.

„Ja, das war ein Ja.“

Seine Begeisterung hielt sich noch immer stark in Grenzen, allerdings hatte ich seine Zustimmung.

„Dann schlage ich vor, dass wir uns nach dem Kaffee auf den Weg machen. Wie es scheint, stehen die Erfolgschancen meines ursprünglichen Plans sehr schlecht.“

„Scheint so“, war Fushimis knappe Antwort darauf.

Meine Bemühungen um ein laufendes Gespräch waren von Unglück gekrönt. Vielleicht sollte ich es einfach aufgeben und mich darauf beschränken, die Tasse vor mir zu leeren. Das tat ich auch. Wenigstens das gelang mir heute.

Ich betrachtete mein Gegenüber einen Moment lang. Nein, wenn ich ihn mir so ansah hatte er von vornherein nicht hier her gepasst. Was hatte ich mir dabei gedacht?

Ich winkte dem Kellner noch ehe Fushimis leere Tasse den Tisch berührte.

Wie immer schien ich mit dem Trinkgeld zu übertreiben, aber es war mir egal.

Ich wusste selbst nicht wirklich, warum ich es so eilig hatte nach Hause zu kommen. Vielleicht war es auch einfach der Hunger, der mich trieb. Ich hatte seit heute Vormittag nichts mehr gegessen. Vermutlich war es das tatsächlich.

„Möchtest du etwas essen?“, fragte ich während ich ins Auto stieg.

Fushimi nickte nur.

Kam es mir nur so vor, oder redete er seit dem Abend seines Zusammenbruchs weniger. Ich versuchte nicht weiter darüber nachzudenken. Es war kein schöner Gedanke.

„Etwas Bestimmtes?“, fragte ich, in der Hoffnung auf eine wirklich Antwort.

„Nein.“

Immernoch besser als ein Kopfschütteln.

Ich rechnete mit einer sehr stillen Fahrt und war schon nach wenigen Minuten dazu übergegangen, das Radio einzuschalten. Ich hatte den Blick bemerkt der meinen Fingern gefolgt war, und schon kurz danach wurde mir klar, dass ich mich schon wieder in meinen Vermutungen getäuscht hatte.

„Captain, kann ich Sie mal was fragen? Was ist das?“

Er zeigte auf die Vielzahl von Knöpfen und Bildschirmen am Armaturenbrett.

Ich schmunzelte und legte einen Finger auf eine kleine Fläche.

Mein Abdruck wurde gescannt und die Apparatur zeigte ihre Reaktion. Was mit einem kleinen blau blinkenden Punkt auf dem Bildschirm begann, endete mit dem Hochfahren des gesamten Computersystems. Die Computerstimme begrüßte mich mit Datum und Uhrzeit und fragte, ob ich die aktuellen Neuigkeiten hören wolle.

„Nein“, antwortete ich.

Dann wandte ich mich an Fushimi.

„Das hier ist ein speziell entwickeltes Computersystem, dass es mir erlaubt jederzeit vollständigen Zugriff auf sämtliche Scepter4 Programme und Dateien aufzurufen. Es umfasst Kommunikation und Ortung sämtlicher zugeordneter Geräte und Personen, Videoüberwachung, und das gesamte digitalisierte Archiv.“

Ich sah Fushimis faszinierten Blick.

„Umfasst das auch die Sicherheitssysteme?“

Diesmal war ich es der nur nickte.

Ich legte einen kleinen Hebel um und das System fuhr sich wieder herunter.

Kurz darauf erreichten wir auch schon mein Haus. Es klang immernoch seltsam, es so zu nennen, schließlich verbrachte ich monatlich allerhöchstens sechs bis sieben Nächte hier. Ursprünglich war das alteuropäisch gebaute Gebäude mit dem großen Garten, dessen Kiesauffahrt wir gerade hinauf fuhren, das Haus meines Onkels. Als er vor 4 Jahren starb hatte er es mir vererbt. Mein altes hatte ich verkauft. Es war unnötig ein Haus zu besitzen, wenn man nie dort war. Jetzt hatte ich erneut eines und es kam mir falsch vor, es auf demselben Weg loszuwerden, wie das andere. Also hatte ich andere Maßnahmen getroffen.

Ich stieg aus. Fushimi tat es mir gleich. Ich beobachtete, wie sein Blick über das Haus wanderte, konnte allerdings nicht sagen, was er davon hielt. Ich fragte ihn auch nicht danach.

Ich ging die Auffahrt hinauf und folgte dem schmalen Weg durch den Garten zur Haustür. Das Knirschen der Steine verriet mir, dass Fushimi mir folgte. Es dauerte einen Moment bis ich den passenden Schlüssel gefunden hatte. Ich war wirklich selten hier. Viel zu selten.

Mit einem leisen Geräusch öffnete ich die Tür und wurde bereits von einer freudigen, hellen Stimme begrüßt.

„Munakata-san, Sie sind zuhause.“

Aoi kam eilig die Treppe herunter, ehe sie auf einer der unteren Stufen abrupt stoppte.

„Oh Sie haben Besuch mitgebracht.“ Ihre Stimme war etwas leiser geworden. Es war typisch für ihre eher schüchterne Art.

„Ah, Aoi, schön dich zu sehen. Das ist Saruhiko Fushimi, er arbeitet auch für mich“, klärte ich sie auf. Als ich von ihm sprach drehte ich mich zu ihm um und stellte fest, dass er angesichts der jungen Frau genauso –wenn nicht noch verwirrte als sie war.

„Ist das…ihre…Tochter?“, fragte er, augenscheinlich auf gut Glück.

„N-Nein!“ Aoi sah zu Boden, druckste etwas herum, ehe sie sich ungelenk verabschiedete und zurück ins obere Stockwerk verschwand.

„Jetzt hast du sie verschreckt.“

Fast hätte ich gelacht, während ich das sagte.

„Nein, sie ist nicht meine Tochter. Aber jetzt begleite mich doch erst einmal in die Küche. Wir wollten doch etwas essen oder nicht?“

Er sah unzufrieden mit der Antwort aus, fand sich aber damit ab. Die Stille zwischen uns störte mich etwas, aber vielleicht änderte sich das ja nach dem Essen.

Da Fushimi Aoi verscheucht hatte war es wohl an mir zu kochen. Ich bedeutete meinem Besuch am Tisch Platz zu nehmen und ging zum Kühlschrank. Schon während ich die Zutaten zurechtlegte, begann ich, ihm die Situation zu erklären.

„Aoi Miyabis Vater war alleinerziehend. Er hat ebenfalls bei Scepter 4 gearbeitet, leider ist er vor ungefähr 3 Jahren bei einem Einsatz ums Leben gekommen.“

Ich machte eine Pause. Wahrscheinlich war es unnötig, ihm zu erklären, dass ich mich schuldig fühlte. Und auch wenn er vermutlich der letzte Mensch war, der sich bemühen würde, mir meine Schuldgefühle zu nehmen, wollte ich das Risiko, eine solche Diskussion auszulösen, nicht eingehen.

„Das Mädchen tat mir leid und ich beschloss sie hier wohnen zu lassen. Ich nutze das Haus beinahe überhaupt nicht. Sie passt für mich auf, dass es nicht verwahrlost und dafür kann sie hier recht sorglos leben.“ Das stimmte. Die letzten Jahre hatte ich zusätzlich zu den Rechnungen noch die Verpflegungskosten übernommen. Seit sie seit letztem Monat einen Job hatte, war selbst das unkomplizierter geworden. Manchmal vergaß ich schon, dass das hier mein Haus war.

„Achso.“

Mehr sagte Fushimi nicht dazu. Sein Interesse war bereits wieder verflogen

Kaum eine halbe Stunde später war ich mit dem Kochen fertig und setzte mich mit den Tellern ebenfalls an den Tisch. Misstrauisch beäugte mein Gegenüber seine Mahlzeit.

„Ist etwas nicht in Ordnung, Fushimi-kun?“

Vorsichtig stocherte er darin herum und schob hier und da etwas zur Seite.

„Ich versuche nicht, dich zu vergiften, keine Sorge“, ergänzte ich belustigt.

Er gab einen amüsanten Anblick ab, aber etwas seltsam war es schon.

„Ist da Gemüse drin?“

„Nein“, antwortete ich eher reflexartig.

Immernoch skeptisch nahm er den ersten Bissen und überlegte einen Moment, ehe er weiter aß. Manchmal zahlten sich kleine Lügen und feine Raspeln doch aus.
 

~*+*~

Auch wenn ich hier noch nicht so viele Menschen erreiche wollte ich trotzdem bescheid geben, dass ich auf der FBM sein werde. Einen der Tage als Munakata, den anderen als die Herzkönigin aus dem Spiel Alice Madness Returns. Vielleicht sieht man sich ja

Kapitel 7

Soo hier ist auch schon das nächste Kapitel. Mal lockere Stimmung ausnahmsweise. Hoffentlich ist es nicht zu ooc geraten. Wenn doch sagt mir das bitte und helft mir das zu verbessern^^

Ich wünsch dann einfach mal viel Spaß beim Lesen

Eure Xalis
 

~*+*~
 

Fushimis POV

Ich hatte nicht erwartet, dass mein König kochen konnte, aber tatsächlich war das, was auch immer das auf meinem Teller sein sollte, essbar und eigentlich sogar ziemlich lecker.

„Schmeckt es dir?“

Normalerweise hätte ich einfach genickt, aber etwas an diesem Schmunzeln gab mir ein ungutes Gefühl. Ich ließ das halb gehobene Besteck zurück auf den Tellerrand sinken und starrte erneut in mein Essen. Er hatte mich reingelegt. Ich war mir sicher.

„Man schmeckt das Gemüse nicht raus oder?“

Angewidert verzog ich das Gesicht. Ich hatte rechtgehabt. Langsam, ohne den Blick davon zu nehmen, schob ich meinen Teller von mir weg.

„Ich glaube ich habe keinen Hunger.“

Zum zweiten Mal an diesem Abend hörte ich Munakata lachen. Auch diesmal ließ es mich nicht ganz kalt, aber aus einer kindischen Neigung heraus unterdrückte trotzig ich mein eigenes Lächeln.

Er schob mir meinen Teller wieder entgegen.

„Du weißt, dass das sehr unhöflich ist oder? Tu mir und deinem Magen den Gefallen und iss.“

Ich schnalzte mit der Zunge. Höflichkeit konnte mich mal, wenn es um sowas ging. Ich konnte mir meinen Abscheu vor Gemüse selbst nicht erklären. Er war immer da gewesen und ich hatte bisher nicht das Bedürfnis gehabt, etwas daran zu ändern. Und nur weil mein König jetzt sagte, ich sollte das verdammte Zeug essen, würde ich diese Einstellung nicht ändern.

Trotzig schob ich den Teller erneut von mir weg.

„Du benimmst dich wie ein kleines Kind, Fushimi-kun.“

Mein Gegenüber schüttelte leicht den Kopf, ehe er fortfuhr zu essen. Meinen Teller ließ er diesmal in der Mitte des Tisches stehen. Es sah ihm gar nicht ähnlich so schnell aufzugeben. Und dann hörte ich es. Meinen eigenen Magen. Dieses peinliche Grummeln. Verflucht. Aber nein, ich würde das nicht essen! Ein weiteres Mal dieses Geräusch. Diesmal konnte ich es sogar spüren. Das war das erste Mal, dass sich sogar mein Gehirn gegen mich wendete. Gedanken wie „Eigentlich hat es doch geschmeckt“, „Einmal wird dich nicht umbringen oder?“, „Es muss ja niemand erfahren“ schlichen sich in meinen Verstand.

Irgendwann – Munakata war beinahe fertig – überwältigte mich der Hunger und ich zog den Teller wieder heran. Den triumphierenden Blick, der mir dabei geschenkt wurde, ignorierte ich schlecht gelaunt. Ich war sowieso zu konzentriert darauf, eventuelles Gemüse doch noch herauszuschmecken oder auf meinem Teller zu identifizieren und auszusortieren, ehe ich es essen musste. Leider gelang mir weder das eine noch das andere. Also gab ich dem Hunger nach und schlang tatsächlich den gesamten Teller unter den selbstzufriedenen Blicken meines Captains herunter, der bereits angefangen hatte, den Tisch abzuräumen. So viel zu Höflichkeit.

„Und? Wie schlimm war es?“, fragte er mich, als auch ich meine Mahlzeit beendet hatte.

„Furchtbar! Ich dachte ich müsse sterben. Auf den Schock brauch ich erstmal einen Schluck harten Alkohol“, antwortete ich.

Tatsächlich öffnete mein Gastgeber ein abgeschlossenes Fach im Schrank und ich fühlte mich schlagartig in die Zeit in der Bar HOMRA zurückversetzt. Natürlich war es bei weitem nicht so viel Auswahl, aber es hier zu sehen, wo ich es nie vermutet hätte, ließ es übertrieben mehr erscheinen als es eigentlich war. Er schloss das Fach wieder ab.

„Wenn ich es mir recht überlege, gebe ich dir lieber nichts und ich denke ich selbst verzichte ebenfalls. Ich will dich später nicht mitten in der Nacht nach Hause laufen lassen müssen.“

Irgendwie fand ich das schade, aber ich hatte eigentlich nicht vor, heute Nacht noch einmal nach Hause zu gehen, wenn es sich vermeiden ließe.

„Na gut“, gab ich klein bei. „Dann versuch ich diesen Schock so zu verarbeiten.“

„Falls du die Zeit dafür findest. Du wolltest doch noch Tanzen lernen oder?“

Er wirkte erstaunlich gut gelaunt. Noch erstaunlicher war die Tatsache, dass es mir ähnlich ging. Und das trotz Tanzen und Gemüse. Vielleicht hatte er noch irgendwelche anderen Mittel wie das Gemüse unmerklich in mein Essen gerieben. Anders ließ sich das wohl kaum erklären. Genau wie die Tatsache, in welch lockerer Atmosphäre dieser Abend bisher verlief. Trotzdem. Bei dem Wort tanzen spannte ich mich an. Ich war nicht sonderlich erpicht auf diese reine Blamage, die da auf mich zu kam. Vage konnte ich mich erinnern wie meine Mutter mich vor ein paar Jahren in einem Tanzkurs angemeldet hatte. Nach der ersten, katastrophal verlaufenen Stunde hatte ich die dafür eingeplante Zeit mit Misaki in der Stadt verbracht. Für so etwas schien ich nicht gemacht zu sein. Aber an dem Blick meine Königs sah ich, dass er bereits nicht mehr umzustimmen war, und hatte ich mir nicht geschworen, mich auf alles einzulassen, was dieser Abend mit sich bringen würde?

Ich atmete tief durch und nickte.

„Dann bringen wir es hinter uns.“

„Bloß nicht zu enthusiastisch“, konnte ich Munakata belustigt murmeln hören und fühlte mich augenblicklich verarscht.

Er stand bereits im Türrahmen und wartete auf mich. Ich folgte ihm eher widerwillig. Gemeinsam führte er mich durch das halbe Haus in ein geräumiges Wohnzimmer. Irgendwie beneidete ich diese Aoi um ihr einfaches Leben im Luxus. Vielleicht sollte ich mich auch noch etwas länger bei ihm einschleimen und Mitleid erregen.

Die einsetzende Musik riss mich aus meinen Gedanken.

„Da du vermutlich allerhöchstens bei öffentlichen Anlässen tanzen wirst, egal wie sehr ich es dir nahe lege, zeige ich dir am besten erst einmal den Walzer.“

Und mit diesen Worten winkte er mich näher zu sich und unsicher kam ich dem nach. Im Gegensatz zu mir, schien er ziemlich genau zu wissen, was er da tat und machte auch keinen Hehl daraus. Er erklärte mir jeden kleinen Schritt und das Lied war bereits zu Ende, ehe er auch nur mit meiner Tanzhaltung zufrieden war.

Es dauerte erneut fast eine ganze Minute, bis ich besagte Haltung wiedergefunden hatte, nachdem Munakata das Lied zum bereits zweiten Mal von vorne startete und es auf eine andauernde Wiederholung stellte. Ich würde es wohl noch zu hassen lernen.

Abgesehen von seinem Perfektionismus musste ich zugeben, dass er Geduld mit mir hatte. Auch wenn er fast jedes Mal etwas an mir auszusetzen hatte, wurde er des Erklärens nicht müde. Und als ich nach einer Dreiviertelstunde einen Blick auf unsere Reflektion im Spiegel warf, war ich erstaunt, wie flüssig und leicht meine eigenen Bewegungen wirkten. Vermutlich lag es daran das mein König führte. So dumm es sich anhörte, das Führen lag ihm im Blut. Ich hatte das Gefühl, dass es einer der Gründe für meine eigenen schnellen Fortschritte war. Mein Gehirn war schon seit einer Viertelstunde ausgeschaltet und ich ließ mich einfach von ihm mitreißen.

Das Lied endete und drohte schon damit zum gefühlt 120ten Mal von vorn zu beginnen, als Munakata stoppte und mich losließ, um die Musik anzuhalten.

Dann drehte er sich erneut zu mir und sah mich an.

„Ich weiß überhaupt nicht, was du hast. Für einen Anfänger tanzt du doch gut. Nur das Führen kann ich dir nicht beibringen. Um ehrlich zu sein verlangt es mir bereits hohe Konzentration ab, die Frauenschritte zu tanzen.“

Ich sah weg. Stimmt ja. Wegen mir tanzte der blaue König den Frauenpart. Ich fragte mich, ob ihm das peinlich war, aber ihn darauf anzusprechen kam mir unhöflich vor. Und darauf schien er ja so viel Wert zu legen.

„Jedenfalls sollten wir eine Pause machen. Ich hole uns etwas zu trinken.“

Allerdings hielt er in der Bewegung inne und sah zu der angelehnten Tür. Dann lächelte er.

„Aoi, komm doch rein.“

Die Tür fiel mit einem Schlag zu und leise, schnelle Schritte verklangen im Flur dahinter.

„Hat sie was gegen mich?“

Ich MUSSTE einfach fragen. Ich hatte schon mit schüchternen Leuten zu tun gehabt, aber das war übertrieben.

„Wieso sollte sie? Sie ist einfach nur unsicher. Gib ihr etwas Zeit“, verteidigte Munakata sie, ehe er sich nun doch auf den Weg nach draußen machte.

Ich setzte mich auf das weiche Sofa und warf einen Blick auf die Wanduhr, die schräg neben dem Kamin hing. Ich hatte mich mit meiner Einschätzung vertan. Wir tanzten bereits seit über einer Stunde. Das erklärte auch die undurchdringliche Dunkelheit hinter den Fenstern. Wenn ich es schaffen konnte noch etwas länger hier zu bleiben, könnte ich mit Sicherheit über Nacht bleiben und das konnte nur positive Auswirkungen haben. Es war eindeutig von Vorteil für meinen Plan, wenn mein Opfer mir nicht nur vertraute, sondern auch an meine Nähe gewohnt war und was das anging war ich auf dem besten Weg.

Ich hatte noch nicht lange so da gesessen, ehe Munakata mit zwei dampfenden Tassen zurückkam. Tee. Wer hätte das erwartet? Also war der Kaffee vorhin wohl doch eher eine Seltenheit. Er stellte beide auf den kleinen Couchtisch und setzte sich zu mir.

„Und womit wollen Sie mich als nächstes Quälen?“, fragte ich irgendwann scherzhaft um die Stille zu durchbrechen.

„Du meinst nach dem Gemüse und dem Tanzen?“ Er schmunzelte. „Ich hätte da noch ein unfertiges Puzzle.“

Ich verrollte die Augen. „Ich passe.“

Ich konnte seine ausgeprägte Leidenschaft für diese Dinger einfach nicht nachvollziehen. Ich konnte mir kaum etwas Langweiligeres und Eintönigeres vorstellen, aber vielleicht passte es gerade deshalb so gut zu ihm.

„Wie zu erwarten“ war sein einziger Kommentar, ehe er einen Schluck seines Tees nahm. „Dann fällt mir vorerst keine weitere Foltermethode für dich ein. Vielleicht sollten wir zu Dingen übergehen, die du eher als angenehm betrachten würdest.“

Ich sah ihn an. Etwas, dass ich als angenehm betrachten würde. Tatsächlich fiel mir nichts ein. Ich war in den letzten Jahren einigen verschiedenen Hobbies nachgegangen, aber nie waren es meine gewesen. Meistens waren es Misakis. Hin und wieder hatte ich Totsuka unterstützt. Aber nichts davon war wirklich mein Hobby. Es war eine Beschäftigung gewesen, aber nichts, was ich aus eigenem Antrieb unbedingt wiederholen wollte. Der Gedanke war unangenehm. Ich schob ihn in die hintersten Regionen meines Verstandes.

Allerdings brauchte ich eine Antwort. Vielleicht ließ sich sogar etwas finden, dass mir in meinem Plan weiterhelfen könnte. Etwas das ich als angenehm betrachten könnte…Ich sah ihn weiter an und hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Die Idee, die mir gerade gekommen war, gefiel mir nicht. Ich betrachtete sie ganz und garnicht als angenehm, aber es würde die Situation mit Sicherheit interessanter machen, auch wenn ich ein hohes Risiko dabei einging.

„Etwas Angenehmes?“ Scheinbar überlegend senkte ich meine Stimme, ehe ich die Augen schloss, mich langsam nach vorne lehnte und-

Erschrocken aufsprang. Heißer Tee ergoss sich auf meine Beine. Ich fluchte und sah der Katze hinterher, die vom Tisch sprang und unter einen nahe gelegenen Schrank schoss.

„Vitani! Komm zurück!“ Aoi kam durch die Tür gerannt und sah sich nach dem Tier um, dem sie ihrem Blick nach zu urteilen schon durchs halbe Haus gefolgt sein musste. Als sie die noch immer kaum merklich dampfenden Flecken auf meiner Hose bemerkte, wurde ihr Blick schuldbewusst.

„D-Das tut mir unglaublich Leid. Ich-“ Sie brach ab. Dann drehte sie sich um und lief eilig aus dem Zimmer. Wie schüchtern konnte man sein? Doch diesmal hatte ich mich geirrt, denn nur einen kurzen Moment später kam sie zurück. In der Hand hatte sie ein nasses Tuch, das sie mir schweigend, aber immer noch schuldbewusst in die Hand drückte.

„Es…tut mir wirklich leid.“

Das Tuch tat nicht wirklich etwas gegen die Flecken auf meiner Hose, aber wenigstens kühlte es mein Bein ein wenig ab. Aoi war indessen vor dem Schrank auf die Knie gegangen und spähte darunter.

„Vitani, komm da raus.“

Sie griff nach der Katze, aber als sie den Arm wieder hervorholte, war das einzige, dass sie gefangen hatte ein paar Spinnweben. Seufzend stand sie auf und warf nochmal einen Blick auf den Schrank.

„Ich muss warten bis sie von selbst rauskommt.“

Bewusst wich sie meinem Blick aus, ehe sie schnellstmöglich aus dem Raum verschwand.

Ich fluchte immernoch und rieb und presste das Tuch auf die Flecken auf meiner Hose. Mein Bein schmerzte noch etwas. Dabei war ich nichtmal hitzeempfindlich. Zumindest dachte ich das immer. Ich fluchte weiter, als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte.
 

Munakatas POV

Einen Moment saß ich perplex auf meinem Platz auf dem Sofa. Ich war nicht wirklich in der Lage vollständig zu realisieren was gerade passiert- und vor allem- was fast passiert war. Mein Blick war immer noch recht starr auf Fushimi gerichtet, der aufgesprungen war und wiederum sein Bein anstarrte. Keine Sekunde zuvor, war er mir so nah, wie wahrscheinlich noch nie. Es klang klischeehaft und vielleicht missinterpretierte ich die Situation auch vollkommen falsch, aber es hatte ausgesehen, als wollte er mich küssen.

Etwas Angenehmes?

Seine Worte echoten mir durch den Kopf. Konnte ich das wirklich falsch verstanden haben? Ich hoffte es. Alles andere wäre unglaublich kompliziert und…seltsam. Ja, seltsam traf es gut. Zumindest beschrieb es den Gedanken, dass Fushimi versucht haben könnte, mich zu küssen ziemlich treffend. Es sah ihm überhaupt nicht ähnlich. Und mir auch nicht. Trotzdem schlug seine Aktion Wellen und Was-wäre-wenn-Szenarien füllten mein Denken. Ich versuchte, sie nicht ernst zu nehmen und auszublenden, was mir auch gut gelang. Ich hatte schließlich Übung darin. Nur dieses seltsame Gefühl, das ich nicht benennen konnte, blieb zurück. Es musste eine wirklich ungewöhnliche Mischung aus Emotionen sein, wenn mir das nicht möglich war. Ich erlaubte mir, einen Moment darüber nachzudenken. Wie stand ich dazu? Ich konnte es nicht wirklich sagen. Hätte ich es gewollt? Hätte ich ihn aufgehalten? Ihm eine Standpauke gehalten? Den Kuss erwidert? Tatsächlich konnte ich es nicht sagen. Noch vor einem Monat wäre meine Reaktion vollkommen klar gewesen. Vor diesem einen Tag hätte ich ihm auf höflich distanzierte Art klar gemacht, dass das kein angemessenes Verhalten war und den emotionalen Raum zwischen mir und dem Rest der Welt wie immer möglichst groß gehalten. Aber jetzt, seit Mikotos Tod, hatte ich mich verändert. Es hatte mich aus der Bahn geworfen und es würde wohl noch einige Zeit dauern, bis ich dieses Chaos, dass dieses Ereignis in meinem Kopf und meiner Gefühlswelt hinterlassen hatte, in seine alte Ordnung gebracht hatte. Also gab es im Moment wohl nur eine Möglichkeit, dass herauszufinden und die erschien mir selbst unpassend.

Nur am Rande bemerkte ich, wie Aoi das Zimmer betreten hatte und sich nun bereits wieder verabschiedete. Ich sah ihr nach und warf einen kurzen prüfenden Blick zu dem Schrank unter dem ein kleiner gescheckter Katzenkopf hervorlugte. Ich erinnerte mich, wie sie mich vor einem halben Monat gefragt hatte, ob es in Ordnung wäre, wenn sie sich ein Haustier anlegte. Ich hatte nicht gewusst, was ich dagegen haben sollte. Und auch jetzt tat ich es nicht wirklich, auch wenn Vitani keinen sonderlich guten ersten Eindruck bei mir hinterließ. Ich wandte den Blick von der Katze und drehte mich zu Fushimi, der mit einem Tuch fluchend seine fleckige Hose bearbeitete. Er war ganz in diese unsinnige Aufgabe vertieft. Um mich bemerkbar zu machen, legte ich ihm eine Hand auf die Schulter. Er hielt inne und sah auf.

„Komm mit nach oben. Ich kann dir eine andere leihen. Außerdem möchte ich mir dein Bein mal ansehen und ich bezweifle, dass du dich im Wohnzimmer umziehen möchtest, wenn Aoi vielleicht wieder durch den Türspalt zusieht.“

Ich lächelte. Einen Moment sah er mich an, ehe er das Tuch genervt auf meinen Couchtisch klatschte.

Ich nahm seinen Ärger nur beiläufig wahr. Ganz hatte ich meine vorherigen Gedanken nicht unterdrücken können. Aber meine geistige Abwesenheit schien ihm ebenfalls nicht wirklich aufzufallen. Und wahrscheinlich war das auch besser so.

Ich verließ den Raum und er folgte mir. Etwas amüsiert stellte ich fest, dass man immer noch hin und wieder den ein oder anderen unverständlichen Fluch unter seinem Atem hören konnte.

Als wir mein Schlafzimmer erreichten zögerte er keinen Augenblick es sicher sofort auf meinem Bett bequem zu machen. Aber das kannte ich ja bereits von ihm. Er schien eine Art Vorliebe für meine Betten zu haben, oder für Betten insgesamt. Ich versteckte mein Schmunzeln, indem ich mich zum Schrank drehte und diesen nach einer passenden Hose durchsuchte. Nach nicht allzu langer Suche wurde ich fündig und reichte Fushimi eine schwarze, leicht ausgewaschene Jeans, an die ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern konnte, sie besessen zu haben. Ich stand einen Moment mit der Hose in der Hand da, ehe ich bemerkt wurde. Mein Gast war vollkommen damit beschäftigt sich leicht gelangweilt im Zimmer umzusehen. Letztlich nahm er die Hose dann doch entgegen.

„Wollen Sie nicht rausgehen?“, fragte er nach ein paar Minuten intensiven Starrens ungeduldig.

„Du scheinst vergessen zu haben, dass ich mir dein Bein ansehen wollte.“

Er sah unzufrieden drein, aber das war ich ebenfalls schon von ihm gewohnt.

„Also?“ Diesmal war ich es, der ein wenig ungeduldig klang, aber ich verstand nicht wirklich, was sein Problem war. Ich hörte ein leises Schnalzen mit der Zunge, ehe sich seiner Hose entledigte. Das Bein war teilweise etwas gerötet und geschwollen. Ich nickte einen Moment. Und schluckte den Kloß in meinem Hals herunter.

„Und Doktor? Werde ich durchkommen?“, fragte Fushimi genervt.

„Nein, ich fürchte wir müssen es entfernen.“ Ich benutzte keine Ironie. Der wirkliche Grad der Verbrennung sollte auch für ihn klar erkennbar sein. „Du solltest es kühlen.“

Ich stand auf, um ein nasses, möglichst kühles Tuch zu holen, als ich bereits das Rascheln von Stoff hinter mir hörte.

„Du willst nicht auf mich hören oder?“ Ich drehte mich um und betrachtete, wie er die von mir erhaltene Hose anzog. Ich sah wie er sich zurückhielt, um nicht das Gesicht zu verziehen.

Eine Antwort erhielt ich nicht. Seufzend setzte ich mich zum ihm aufs Bett und sah die letzten Spuren der Verbrennung unter Stoff verschwinden. Der Kloß war wieder da und mir war unvermittelt kalt. Was manche Kleinigkeiten auslösen konnten. Mein Blick streifte meinen linken Unterarm. Gut versteckt unter Stoff die einzelne haarfeine Narbe, die diese eine Nacht hinterlassen hatte. Eine seltsame Melancholie übernahm mich. Eine Erinnerung an eine Nacht mit viel Alkohol. Zu viel Alkohol. Und Nähe. Der Geruch von Zigaretten. Ich wusste was für eine Nacht das war, aber ich wusste nicht, ob ich mich erinnern wollte. Und das gerade jetzt. Erneut ruhte mein Blick eine kurze Zeit auf meinem Arm.

„..Captain?“

Zu sagen, dass ich hochschreckte wäre übertrieben, aber ich war schlagartig zurück im Hier und Jetzt. Hatte Fushimi mit mir geredet? Die ganze Zeit? Ich ärgerte mich über mich selbst.

„Entschuldige, was hast du gesagt, Fushimi-kun?“

„Ich hatte nur gefragt, ob alles in Ordnung ist.“

Ich nickte. Also hatte er es bemerkt. Damit hatte ich rechnen müssen. Etwas müde sah ich ihn an. Ich wollte das Thema wechseln. Kurz überlegte ich, ihn auf den vermeintlichen Kuss von vorhin anzusprechen, aber es schien mir ein seltsames Thema und ein schlechter Zeitpunkt. Insgesamt fiel mir nichts ein, was ich sagen könnte. Der kleine Ausflug in meine Erinnerung hatte mich wie so oft aus dem Konzept gebracht. Am besten ich gönnte mir etwas Ruhe.

Ich seufzte.

„Vielleicht sollte ich dich nach Hause fahren.“

Fushimi senkte den Blick und Stille kehrte ein. Aufmerksam betrachtete ich ihn. Er wirkte selbst müde. Niedergeschlagen. Zumindest sprach das seine Körperhaltung. Nach einem Moment hob er den Kopf und sah mich an.

„Kann ich nicht heute Nacht hier bleiben? Bitte?“

Überrascht sah ich ihn an. Es war eine ehrliche Bitte und sie gab mir einen tiefen Einblick in seine gut versteckte Verfassung. Ich sah ihn vor mir, den Abend, als er in meinem Büro zusammengebrochen war. Er brauchte Hilfe und ich hatte sie ihm geben wollen. Und wem gefiel es schon, allein zu sein. Ich seufzte und schloss kurz die Augen. Dann nickte ich.

„In Ordnung.“

Kapitel 8

Soo hier ein neues Kapitel. Tut mir leid wegen den unregelmäßigen Wartezeiten aber ich versuche wenigstens monatlich ein neues hochzuladen.

Das hier ist etwas fluffiger geworden als die letzten, also eine echte Rarität. Aber lest selbst.

Viel Spaß damit

Eure Xalis
 

~*+*~
 

Fushimis POV
 

Innerlich grinste ich, als Munakata sein Einverständnis gab, musste dann aber kurz darauf verwirrt zusehen, wie er sich erhob und den Raum verlassen wollte. Allerdings fragte ich nicht nach. Das hätte vermutlich zu neugierig gewirkt. Und das hier war sein Haus. Er würde mir wohl kaum davonlaufen. Meine Vermutungen bestätigten sich, als er sich an der Tür noch einmal zu mir umdrehte.

„Ich denke es wäre das Beste, wenn ich mich schon mal um das Gästezimmer kümmere.“

Gästezimmer. Das war bei der Geräumigkeit dieses Hauses kaum anders zu erwarten gewesen. Wahrscheinlich hatte er gleich zwei oder drei davon. Ich stand eilig auf und folgte ihm.

Wir gingen einen nicht allzu langen Gang mit lediglich 2 weiteren Türen entlang.

„Das ist übrigens das Badezimmer. Fühl dich frei es zu benutzen, sollte dir danach sein“, erklärte mein Gastgeber beiläufig, ohne sich zu mir umzudrehen. Nur kurz darauf erreichten wir eine weitere Tür am Ende des Ganges. Mein Gastgeber öffnete diese und gab die Sicht auf ein auf den ersten Blick gemütliches Gästezimmer frei. Ich betrat den Raum direkt nach ihm und beobachtete ihn dabei, wie er sich daran machte, die ein oder anderen Stapel an Akten und Unterlagen, die auf Bett und Nachttischen verstreut waren, in einer Kommode verschwinden zu lassen. Aber er wurde unterbrochen.

„Munakata-san, Fushimi-san, Vitani wollte sich entschuldigen. Stimmt’s Vitani?“

Aoi stand in der Tür. Auf ihrem Arm die zappelnde Katze, der ihre Lage überhaupt nicht zu gefallen schien. Munakata legte die Akte, die er gerade in der Hand hatte zurück auf das Bett und ging zu ihr herüber. Ich folgte ihm in einem etwas größeren Abstand. Meine Vorsicht machte sich bezahlt. Das viele Winden der Katze ebenfalls. Schnell sprang sie aus Aois Armen und rannte wild durchs Zimmer. Blätter flogen in die Höhe als das Tier aufs Bett sprang und das Mädchen ihr rufend hinterher stürmte. Ich beteiligte mich nicht an der Jagd, sondern nutzte die Gelegenheit, etwas in Augenschein zu nehmen, das mir vor wenigen Momenten aufgefallen war. Ich ignorierte die lauten, polternden Geräusche und betrachtete eine Wand. Halb hinter einem zugezogenen marineblauen Vorhang versteckt, lugte eine mit Bilder und Statistiken tapezierte Wand hervor.

„Was ist das?“, fragte ich nun doch neugierig, als ich den Vorhang nun ganz zur Seite zog. Die wenigen Stellen an der Wand, die mit Sicherheit 3,5 Meter hoch und mindestens 4 Meter breit war, an denen man die Tapete noch deutlich erkennen konnte waren ungefähr so groß wie meine Hand und auch an dieser abzuzählen. Das Poltern hörte vom einen auf den anderen Moment auf und ich drehte mich kurz um. Vitani saß in einem kleinen Käfig aus blauen, fluoreszierenden Wänden. Der blaue König hatte wohl selbst keine Lust auf das Fangspiel gehabt. Er hob den Käfig gerade hoch, ehe er ihn über Aois Armen verschwinden und die perplexe Katze in deren Griff purzeln ließ.

„Aoi, würdest du bitte das Bettzeug holen?“

Die Show war vorbei und ich drehte mich wieder zu der Wand. Allerdings hatte ich keine Gelegenheit mehr, sie mir genauer anzusehen, als auch schon unerwarteter Weise mein Captain zu mir herantrat und mit einer Wucht die Zettel von der Wand riss, dass ich den Arm vor das Gesicht hob, um nicht vom Regen der Reißzwecke getroffen zu werden. Er knüllte sie zusammen und versuchte alles in den dafür augenscheinlich viel zu kleinen Mülleimer zu stopfen. Tatsächlich gelang es ihm sogar. Ich beobachtete ihn skeptisch dabei. So wenig ich über ihn wusste, das war auf keinen Fall seine Art.

„Nichts Wichtiges“, war seine Antwort auf meine kurz vorher gestellte Frage.

Sein Blick war unergründlich. Selbiges galt für seine Tonlage. Ich grinste in mich hinein, als mir klar wurde, dass ich eine ganze Nacht Zeit haben würde, mir den Papierhaufen voll düsterer Geheimnisse genauer anzusehen, der in dem Eimer neben der Kommode auf mich wartete.

Munakata hatte indessen seine Beschäftigung von eben wieder aufgenommen und ließ die letzten Spuren anscheinend arbeitsreicher Abende in Schubladen verschwinden. Ich folgte seinem Blick, der anschließend suchend durch das Zimmer glitt, allerdings nicht das zu finden schien, nach dem er Ausschau hielt. Schließlich sah er zu mir herüber.

„Was macht dein Bein?“

Ich winkte ab.

„Schon wieder in Ordnung.“

Er brauchte nicht zu wissen, dass es immer noch ein ziemlich unangenehmes Gefühl war, gerade mit dem rauen Stoff der Jeans, die er mir gegeben hatte. Am besten wäre es für mich, er würde den Raum oder gleich das ganze Haus für ein paar Stunden verlassen. Ich gähnte und bemühte mich, es möglichst auffällig zu machen. Es zeigte seine Wirkung. Zumindest dezent.

„Wir haben einen langen Tag hinter uns“, sagte Munakata mit einem Blick auf die Wanduhr. „Komm mit. Ich leihe dir etwas zu schlafen. Vielleicht hat Aoi bis dahin auch das Bettzeug zurechtgemacht.“

Er wirkte schlagartig selbst sehr müde und mir wurde bewusst, dass ich nicht der einzige gute Schauspieler im Raum war. Nicht der einzige mit einer nahezu perfekten Maske.

Ich nickte müde und folgte ihm aus dem Raum, über den Gang und zurück in sein Schlafzimmer. Erneut öffnete er den Schrank und begann seine Suche. Ein beiläufiger Blick verriet mir, wie selten er tatsächlich hier war. Eigentlich war es ein Wunder, dass er überhaupt eine Hose gefunden hatte, die er mir hatte leihen können.

„Munakata-san?“

Aoi stand in der Tür. Vitani schlich unheilverheißend um ihre Beine und warf uns, wie es mir vorkam, gehässige Blicke zu. Ich mochte diese Katze nicht.

„Was gibt es, Aoi?“

„Ich hab nur das hier gefunden. Der Rest muss in der Wäsche sein.“

Ein dünnes Laken. Höchstens ein Bezug. Natürlich optimal für den Winter. Draußen lag Schnee und meine ‚Decke‘ hatte ungefähr den wärmenden Effekt einer Serviette.

„Ich werde selbst noch einmal nachsehen gehen.“ Ehe er den Raum verließ drehte sich Munakata noch einmal zu mir. „Such dir einfach etwas raus.“ Er deutete auf den geöffneten Schrank.

Und mit diesen Worten ließ er mich und den Schrank zurück. Einzig Aoi stand noch in der Tür und sah mich an. Es war eine rundum seltsame Situation.

„Kann ich…dir irgendwie helfen?“, fragte sie zögerlich, nicht wissend, ob sie mich duzen oder siezen sollte. Mein Blick wanderte von ihr zum Kleiderschrank und zurück.

„Ich könnte dir vielleicht etwas leihen“, fuhr sie leise fort.

Ich sah sie entgeistert an.

„…etwas von meinem Vater…“ Sie klang leise und bedrückt, als sie das Missverständnis auflöste. Ich erinnerte mich daran, was mir diesbezüglich erzählt worden war. Es war mir etwas unangenehm. Trotzdem nahm ich das Angebot dankbar an.

„Wenn es für dich in Ordnung ist.“

Sie nickte.

Stumm begleitete ich sie in ihr Zimmer. Ich war erstaunt darüber, dass sie es nun doch unerwarteter Weise geschafft hatte, normal mit mir zu reden. Ihr Zimmer war der lebendigste Raum im ganzen Haus. Die Farben waren warm und freundlich und die Regale vollgeräumt. Genauer sah ich nicht hin. Mir reichte der erste Eindruck, schließlich war sie, genau wie alles andere, was mit ihr zu tun hatte, für mein Vorhaben absolut uninteressant. Hauptsache, sie kam mir nicht in die Quere.

Zielstrebig zog das Mädchen etwas, das aussah wie eine weiche Sporthose und ein T-Shirt aus dem Schrank. Nur um kurz darauf das Shirt zurückzulegen und mir stattdessen einen Pullover reichte. Ich nahm die Kleidung entgegen und bedankte mich. Dann verließ ich den Raum auch wieder. Es gab Wichtigeres zu tun.

Zurück im Gästezimmer wurde ich bereits erwartet. Tatsächlich schien sich keine wärmere Decke im ganzen Haus zu befinden. Das schloss ich zumindest aus der Tatsache, dass mein Captain das dünne Laken über der Matratze glatt strich, als ich durch die Tür trat.

„Ich habe die Heizkörper so hoch gestellt wie es geht. Vielleicht lässt es sich so aushalten. Entschuldige, normalerweise kann ich meinen Gästen mehr Komfort bieten.“

"Normalerweise haben Sie auch nicht so unerwartet Gäste, schätze ich", erwiderte ich versöhnlich.

Er nickte und verließ den Raum, um mir Zeit zum Umziehen zu lassen. Im Türrahmen drehte er sich noch einmal zu mir um.

"Solltest du noch etwas benötigen melde dich bei mir." Dann schloss er die Tür hinter sich und ich war allein.

Das ging viel zu einfach. Ich warf das Wäschebündel aufs Bett und widmete meine volle Aufmerksamkeit dem Mülleimer. Mehr als einmal stach ich mir die Reißzwecke in die Finger als ich vorsichtig versuchte, die Papiere möglichst schadlos herauszuziehen und auf dem Boden auszubreiten. Schon nach einem knappen Zehntel begriff ich den ungefähren Sinn der Aufzeichnungen. Eine umfassendere Recherche zum Kagutsu-Vorfall hatte ich noch nie gesehen. Berichte, Bilder, Tabellen, Diagramme, kleine Notizen, Zeitungsausschnitte. Und ich hatte erst einen kleinen Teil der Blätter betrachtet. Und dann fiel es mir in die Hände. Das Bild von Suoh Mikoto. Dem roten König. Es passte nicht ins Bild. Ich begriff nicht gleich, was es hier sollte, doch als ich der roten Schnur folgte, die daran in den Eimer führte und die dazugehörigen Blätter herauszog erkannte ich es. Eine sorgsam geführte Tabelle. Ereignisse, versehen mit Datum und Weißmann-Level. Sorgsam eingetragen. Manche davon noch vor meiner Zeit bei HOMRA und das war beachtlich.

Munakata hatte den roten König schon lange im Auge. Beobachtete die Chancen auf einen weiteren Vorfall wie den mit dem letzten roten König. Wie lange er wohl schon wusste, dass das alles passieren würde? Er musste es geahnt haben.

Ich wühlte mich weiter durch die Papiere. Immer wieder überflog ich Blatt für Blatt, in der Hoffnung auf Interessantes zu stoßen, bis meine Augen etwas fanden, das meine Aufmerksamkeit wert war. Es war die Aufzeichnung eines Gesprächs zwischen dem blauen und dem roten König. Es war wie man es sich vorstellte. Einen trockenen Vortrag seitens blau, taube Ohren seitens rot. Es war eine Warnung gewesen. Eine Warnung, die nie beachtet worden war. Schon vor über einem Jahr hatte mein Captain sich darum bemüht, den Tod des anderen zu verhindern. Auf meiner weiteren Suche stieß ich auf viele dieser Aufzeichnungen. Alle mit demselben Ergebnis. Natürlich. Das Ergebnis hatten mittlerweile alle begriffen. Nach einem Drittel hörte ich auf. Ich sah auf die Blätter hinab. Den fehlgeschlagenen Versuch einen Menschen zu retten. Ich hatte Mitleid. Gedankenverloren sah ich an die Wand hinter der ein paar Räume entfernt Munakatas Schlafzimmer liegen. Ich konnte verstehen, dass er diese Blätter nicht mehr sehen konnte.

Mühsam stopfte ich sie zurück in den Papierkorb. Dort gehörten sie hin. Das Thema Mikoto war für mich seit meinem Austritt aus HOMRA abgeschlossen. Und auch der blaue König sollte langsam damit abschließen. Und was half nicht besser den Verlust eines Menschen zu verkraften, als Nähe und freundliche Worte. Präsenz eines anderen. Und die würde er von mir bekommen bis ans Ende seiner Tage, das viel näher war als er ahnte. Ich lächelte leicht. Vielleicht würde er wenigstens halbwegs glücklich sterben. So viel Glück gönnte ich ihm. Direkt konnte er ja nichts für meine Misere mit Misaki. Daran war allein der rote König Schuld und der hatte bereits dafür gezahlt. Sein Pech war es einfach, zur falschen Zeit mein König zu sein.

Ich setzte mich aufs Bett und sah die Schlafkleidung an, die mir Aoi geliehen hatte. Es war ein seltsames Gefühl, Kleidung eines Toten anzuziehen. Dabei war der Tod so alltäglich geworden. Ich hatte schon Leichen gesehen. Live und unzählige Male im Fernsehen, aber es fühlte sich trotzdem falsch an. Meine Finger glitten über den weichen Stoff des Pullovers. Richtig. Der Tod war alltäglich. Etwas Normales. Jeder stirbt eines Tages. Und nicht immer war das Leben fair mit dem Zeitpunkt und den Umständen. Also warum sollte ich es sein? Warum bekam ich immer mehr ein schlechtes Gewissen? Meine Hand ballte sich zur Faust und ich warf den Pullover gegen die Wand, verärgert über meine eigene Dummheit. Diese Gefühlsduselei. Misaki war das einzige was zählte. Solange er der Grund war, würde ich alles mit meinem Gewissen vereinbaren können. Ich stand auf um den Pullover zurück zu holen. Ich dachte nicht weiter darüber nach, wem er mal gehört hatte und begann mich umzuziehen. Die Hose fühlte sich viel angenehmer auf meinem Bein an, als die Jeans zuvor.

Umgezogen und entspannt legte ich mich auf das Bett und sah an die Decke. Es würde eh nichts bringen, sich zuzudecken. Ich warf einen prüfenden Blick auf die Uhr. Es waren fast 2 Stunden vergangen, seit ich in diesem Zimmer allein war. Einen Moment würde ich noch warten.

Ich stand auf und öffnete ein Fenster. Die kalte Luft die mir entgegen kam wie eine harte Betonwand ließ mich frösteln. Aber das war der Sinn der Sache. Wollte ich überzeugen wirken, musste ich kalt sein. Verkrampft stand ich am geöffneten Fenster und ließ mir den Schnee ins Gesicht wehen, bis ich zitterte. Es war eindeutig der unangenehmste Teil meines Plans bisher und vermutlich übertrieb ich, aber sicher war sicher.

Leise schloss ich das Fenster wieder, was meinen zittrigen Hände mehr abverlangte, als es sollte. Ich unterdrückte ein Klappern meiner Zähne, während ich zur Tür ging und hinaus auf den Flur trat. Ich ging schneller als ich es beabsichtigt hatte, verlangsamte meine Schritte allerdings, als ich Munakatas Schlafzimmertür näher kam.

Das Klopfen tat etwas weh. Umso leiser war es. Ich öffnete langsam die Tür.

„Captain?“, flüsterte ich in das dunkle Zimmer. „Sind Sie noch wach?“

Ich erhielt keine Antwort. Das hatte ich erwartet. Ich betrat den Raum, und schloss die Tür hinter mir. Vorsichtig näherte ich mich dem Bett.

Ich erschrak ein wenig, als die Nachttischlampe eingeschaltet wurde. Ein leicht verschlafen wirkender blauer König sah mich aus leicht zusammengekniffenen Augen heraus an. Ich war wohl nicht der einzige, dem das Licht zu hell war.

„Fushimi-kun?“

„Ich wollte sie nicht wecken, Captain, aber…“ Ich druckste ein wenig herum.

„Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“ Er setzte sich langsam auf.

„Kann ich zu Ihnen kommen?“ ,fragte ich schließlich, ohne weiter um den heißen Brei herumzureden. Ich hatte das Bett mittlerweile erreicht.

„Warum?“

Ich antwortete nicht. Es war leichter einfach das unterdrückte Zähneklappern zuzulassen. Überrascht griff mein Gastgeber nach seiner Brille.

„Du bist auch ganz blass. Deine Lippen sind fast blau.“ Ein Seufzen. „Na gut.“

Zu meinem Erstaunen rutschte er auf seiner Matratze lediglich etwas nach hinten und hob die Decke an. Dieses offensichtliche Angebot von wirklicher Nähe hatte ich nicht erwartet.

Mein Zögern wurde allerdings von der unglaublichen Kälte, die meinen Körper umgab, drastisch verkürzt.

„Danke“, sagte ich leise lächelnd, während ich mich in das angenehm warme Bett legte und zuließ, dass mein König die Decke über uns breitete. Als er mich berührte zuckte er kurz zusammen. Einen direkten Kommentar zu meiner Körpertemperatur verkniff er sich allerdings.

„So sollte es besser sein oder?“

Ich zitterte noch immer. Ja, ich hatte es übertrieben. Ich rollte mich förmlich unter der Decke zusammen. Etwas, dass Munakata nicht entging.

„Wie wäre es mit einem warmen Tee?“, schlug er mit einem erschöpften Seufzen vor.

Ich schüttelte den Kopf.

„Ich will keine unnötigen Umstände machen. Das wird gleich wieder.“

Allerdings schien Munakata das nicht als Frage gemeint zu haben, denn tatsächlich stand er auf und verließ den Raum. Ich lächelte leicht aus zwei Gründen. Einer war die Bestätigung für das Aufgehen meines Plans. Den anderen konnte ich selbst nicht wirklich benennen. Ich schlang mich so eng es ging in die Decke ein und stahl ihr die Wärme, die mein König zurückgelassen hatte. Ich war ein großes Risiko mit dieser Aktion eingegangen, aber es hatte sich gelohnt. Zumindest redete ich mir das ein, während meine Zähne unablässig weiterklapperten.

Als die Tür sich wieder öffnete und Munakata mit zwei dampfenden Tassen Tee den Raum betrat, freute ich mich schon beinahe ihn zu sehen. Die angenehme Wärme der Decke hatte meiner frostigen Kälte nicht lange die Stirn bieten können und ein heißes Getränk- auch wenn es Tee war- und jemand, dessen angenehme Temperatur ich stehlen konnte, waren eine unglaublich gute Aussicht. Ich setzte mich auf, darauf bedacht möglichst bis unter die Nase in die Decke gehüllt zu bleiben. Ich hatte lange nicht mehr wirklich gefroren, andererseits hatte ich mich an die Hitze ausstrahlende Aura des roten Clans gewöhnt, die mich auch in mancher Winternacht etwas von innen gewärmt hatte.

Dankbar nahm ich den Tee entgegen.

„Verbrenn dich nicht wieder“ hörte ich von der anderen Seite des Bettes, auf der es sich mein König gerade wieder bequem machte. Ich erwiderte nichts.

Die Tasse fühlte sich an wie glühende Kohlen in meinen Fingern, aber ich ließ sie nicht los und nach einigen Minuten verschwand das unangenehme Gefühl. Als ich zum ersten Schluck ansetzte hatte ich das Gefühl mir die Lippen zu verbrennen. Ich ignorierte es. Der Tee schmeckte besser als ich dachte und von seinem wärmenden Effekt brauchte ich erst garnicht anzufangen. Meine Zähne hörten auf zu Klappern und auch mein Zittern ließ nach. Fast hätte ich ein paar Minuten später nach einer zweiten Tasse gefragt, aber das kam mir dann doch zu dreist vor.

Munakata schien schon fast wieder zu schlafen. Seine Tasse stand schon lange auf dem Nachttisch, auf dem jetzt auch die meine stand und das einzige, was noch von ihm zu hören war, war ein ruhiges Atmen. Ich betrachtete ihn einen Moment. Die Arme hatte ich noch immer mit einer beachtlichen Menge Decke um mich geschlungen und ich spürte meine Haut unter meinen nun stark aufgewärmten Händen wie eine Eisfläche. Wie weit durfte ich gehen? Wie hoch war das Risiko? Tatsächlich interessierten mich diese Fragen gerade nur am Rande. In etwas, dass man fast eine Kurzschlussreaktion nennen konnte, schob ich mich näher an den Körper meines Königs und schmiegte mich an ihn. Er war warm. Oder einfach weniger kalt als ich. Ich seufzte leise und genoss das Gefühl von Wärme und vielleicht auch ein kleines bisschen, das der Nähe.

Diesmal war er nicht zusammengezuckt. Genauergesagt erhielt ich überhaupt keine Reaktion und ich war bereits kurz davor, verunsichert auf meinen Platz zurück zu rutschen, als er den Kopf langsam in meine Richtung drehte.

„Bist du so einsam?“

Ich hob den Kopf und sah ihn an, so gut es ging. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Ich senkte den Blick wieder und vergrub mein Gesicht zwischen dem Kissen und seinem Rücken. Das Rascheln von Decke und die Bewegung, die ich spürte deuteten an, dass er sich umdrehte, aber ich hob den Kopf nicht um nachzusehen. Wie hatte diese Frage mich so aus der Bahn werfen können? Ich war nicht einsam. Oder zumindest nicht mehr lange. Und gespielt? War ich es da? Hatte ich ihm das vermittelt? Vermutlich und das war gut so, oder? Mitleid war gut für meinen Plan. Egal ob es jetzt für meine echten Probleme war oder die gespiel-

Ich unterbrach meine Gedanken als ich einen warmen Arm spürte, der sich sanft um meinen Oberkörper schlang und mich leicht an sich drückte. Ich ließ es geschehen, erleichtert darüber, dass er sich seine Antwort selbst gegeben zu haben schien. Ich schloss die Augen, einfach still daliegend und die Wärme und Nähe aufsaugend. Wann war das letzte Mal ein Mensch so zu mir gewesen? So nah, so nett, so..? Ich konnte es nicht mit Sicherheit sagen, aber im Moment war mir das auch egal.

„Denk daran, dass du nie alleine bist, solange du die Menschen wahrnimmst, die dich umgeben. Und diese Menschen wird es immer geben, du musst nur anfangen, sie zu sehen, Saruhiko.“

Ich sah ihn an, konnte in dem Licht allerdings nicht viel erkennen. Seine Worte waren mir ein Rätsel. Dass er meinen Vornamen benutzt hatte verwirrte mich zusätzlich. Aber vielleicht war ich auch einfach müde. Ich muss anfangen zu sehen? Wen?

„Sie?“

Ein leises Lachen war die Antwort.

Wie peinlich, hatte ich das gerade laut gefragt?

„Zum Beispiel“, antwortete Munakata leise.

Kaum spürbar bemerkte ich seine Hand, die über meine Haare fuhr. Unweigerlich lächelte ich. Das war wohl der angenehmste Teil meines Plans.

Kapitel 9

Soooo ja ich melde mich auch mal wieder mit einem Kapitel. Wenn ihr meine Ausrede hören wollt ich bin von Vorweihnachtsstress in den Nachweihnachtsstress gerutscht und habe in der Zeit danach seeehr viel Inspiration für Cosplay gehabt. Leider jedoch nicht wirklich für FF^^° Trotzdem ist jetzt endlich das neue Kapitel da.

Viel Spaß beim Lesen.

Eure Xalis
 

~*+*~
 

Munakatas POV

Fushimi schlief. Sicher bereits seit über einer Stunde. Und ich konnte nicht anders, als ihn dabei zu betrachten, während ich den Abend immer wieder Revue passieren ließ. Das schwache Mondlicht und meine Augen, die sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erlaubten es mir, grobe Umrisse seines Gesichts zu erkennen. Er schien friedlich zu schlafen, noch immer eng bei mir liegend. Und das war vielleicht auch der Grund weswegen ich ihn die ganze Zeit ansah. Dieses Gefühl von Nähe war schön – und dann von der Person, von der ich sie als letztes erwartet hätte. Die Situation hatte etwas Surreales. Ebenso die letzten Sätze unseres kurzen Gespräches heute Nacht.

Ich gähnte. Vermutlich hatte die Müdigkeit einen großen Teil zu meiner Aussage beigetragen. Mit etwas Glück würde morgen keiner von uns mehr darüber reden. Ob sich Fushimi überhaupt noch daran erinnern würde, war eine andere Frage. Fast fand ich den Gedanken enttäuschend, er könnte es bis morgen vergessen haben. Ich seufzte und strich ihm erneut leicht durchs Haar. Vielleicht war es einfach der verzweifelte Versuch eines einsamen Mannes gewesen, einen Jüngeren vor seinen eigenen Fehlern zu bewahren.

„Gute Nacht Saruhiko“

Es nützte nichts. Morgen war wieder ein Arbeitstag und ich brauchte den Schlaf. Nach einem letzten Blick in Fushimis schwach erhelltes Gesicht schloss ich die Augen und kurze Zeit später holte auch mich der Schlaf ein.
 

Meine Augen waren geschlossen und ich konnte das Blut in meinem Kopf pulsieren hören, angetrieben von meinem viel zu schnellen Herzschlag. Aber es war nicht laut genug, um das tiefe und gleichzeitig schrille, das leise und zugleich dröhnende Geräusch zu übertönen, das von oben auf mich eindrang. Es war dieses Geräusch, das meine Finger zittrig machte und jeden meiner Muskeln verkrampfen ließ. Einst hörte sich dieses Geräusch fremd an, doch mit der Zeit hatte ich mich daran gewöhnt. Verfolgt im Schlaf und in unaufmerksamen Momenten. Allgegenwärtig wie ein Schatten, wie die düstere Bedrohung, die es war. Das nicht zu beschreibende Geräusch, von dem ich sicher war, dass kein normaler Mensch es je gehört hatte, gehörte zu einem Damoklesschwert. Um genauer zu sein: Zu einem fallenden . Mein Körper wurde taub während das Geräusch so laut wurde, dass man den Klang fast spüren konnte.

Ich wusste was nun kommen würde. Gleich würde ich die Augen öffnen, wie die Nächte zuvor. Vor mir würde Suoh stehen, mit diesem friedlichen Gesichtsausdruck, während er das schier Unmögliche von mir verlangte. Ein König in Erwartung des Todes. Die Arme ausgebreitet um sein Ende zu begrüßen. Ein Anblick der mich auch in meinen wachen Momenten verfolgte. Ich wollte es nicht tun. Nie hatte ich es gewollt, doch ich wusste, dass es sein musste. Wusste, dass ich ihm diesen Gefallen schuldete, dafür, dass ich ihn nicht früher hatte retten können. Es kostete mich Überwindung, wie jede Nacht, doch ich öffnete die Augen.

Es schneite. Der Boden war weiß, der Himmel grau. Alles trist. Alles farblos. Sonst nichts. Keine leise Spur von rot. Keine rote Aura, keine roten Haare, und auch nicht das Damoklessschwert des roten Königs. Ich starrte in das Nichts vor mir, während das Geräusch noch immer lauter wurde. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff und langsam, fast wie in Zeitlupe den Blick hob. Hinauf in den Himmel, dem Schnee entgegen, in Erkennung meines Schicksals. Töricht von mir zu denken, es wäre immer nur der rote König. Den eigenen näherkommenden Tod nicht zu bemerken. Wie dumm von mir. Das war also das Ende. Gellender Schmerz durchzuckte meinen Körper wie ein Blitz, als die Spitze meines Damoklesschwertes mich traf.
 

Ich saß kerzengerade und schweißgebadet in meinem Bett. Schwer atmend starrte ich in die dunkle Leere, von der ich noch nicht ganz überzeugt war, dass sie mein Zimmer war und nicht der Tod. Alles war schwarz und tonlos. Dann hörte ich das Rascheln des Bettzeugs neben mir.

„Captain?“

Fushimi! Ich wollte nicht antworten. Konnte es nicht. Wusste nicht wie. Am liebsten hätte ich ihn berührt. Irgendwo. Ein anderes lebendiges Wesen gespürt. Ihn gebeten, mir zu bestätigen, dass ich lebe.

„Entschuldige mich bitte.“

Ich schaltete die Nachttischlampe an und erntete ein missbilligendes Geräusch von der anderen Seite des Bettes. Licht. Es war schön zu sehen, wo ich war. Pures Schwarz war so undefiniert gewesen. Trotzdem zog es mich nach draußen. Ich war rastlos. Aufgescheucht von diesem Traum. Leicht zittrig schwang ich die Beine aus dem Bett und stand auf. Ich verließ den Raum. Der Boden war eisig unter meinen Füßen, aber tatsächlich empfand ich das in diesem Moment eher als angenehm. Mein Weg führte mich in die Küche, wo ich mir einen Tee aufsetzte.

Ein leises Geräusch hinter mir ließ mich kurz aufschrecken. Ich hasste diese Anspannung nach einem Albtraum wie diesem. Als ich den Kopf drehte musste ich dann allerdings leicht lächeln. Große grüne Augen blickten mich unschuldig von unten an. Ich ging etwas in die Knie und strich der Katze leicht über den Kopf. Ich erntete ein langgezogenes „Miau“. Ich seufzte und setzte mich auf einen der Küchenstühle, während ich auf das Wasser für meinen Tee wartete. Vitani begleitete mich, sprang auf meinen Schoß und rollte sich zu einer kleinen, flauschigen Kugel zusammen. Gedankenverloren kraulte ich das Tier, während ich nachdachte. Auch jetzt konnte ich es hören. Ganz leise und kaum hörbar unter dem Schnurren der Katze auf meinem Schoß. Aber es war da. Das Geräusch einer immerwährenden Mahnung viele Meter über meinem Kopf. Damoklesschwerter verschwanden nie. Vielleicht sah es für Außenstehende so aus, aber eigentlich waren sie immer da. Und ich konnte es hören. Das Geräusch war nicht wirklich zu beschreiben und bei weitem nicht so beunruhigend wie in meinem Traum, aber es war da. Eine kleine Erinnerung.

Bedenke, dass du sterblich bist.

Unwillkürlich wanderte mein Blick nach oben. Dieser Traum. Hatte er etwas zu bedeuten? Andererseits, träumt nicht jeder irgendwann einmal von seinem Tod? Ich schloss die Augen. Es war ein Traum. Mehr nicht. Ich war am Leben und ich würde es auch bleiben. Ich war gesund, mein Damoklesschwert in annehmbarem Zustand und letzten Endes gab es noch kein einziges geglücktes Attentat auf mich oder Scepter 4. Ich senkte den Blick etwas. So ganz stimmte das wohl nicht. Ich würde sein Blut wohl auf ewig an den Händen haben, aber ich war am Leben. Wäre ich es nicht gewesen, gäbe es die Schulinsel rund um die Ashinaka Highschool nicht mehr. Erneut hatte es mich eingeholt. Das Bild das mich Nacht um Nacht in meinen Träumen verfolgte. Ich verdrängte es. Nein, ich würde leben. Vorsichtig hob ich Vitani von meinem Schoß und nahm einen großen Schluck von meinem fertigen Tee.
 


 

Fushimis PoV

Perplex saß ich in dem für meine Augen noch viel zu grell erleuchteten Schlafzimmer und starrte zu der Tür, durch die Munakata vor wenigen Sekunden verschwunden war. Also haben Könige wohl auch hin und wieder Albträume. Und wie es aussah auch gleich recht heftige. Ich kniff noch ein paarmal die Augen zusammen, ehe das Licht erträglich wurde. Kurz überlegte ich, die Lampe einfach wieder auszuschalten und weiterzuschlafen, doch dann packte mich die Neugier. Es war schon fast lustig, wie meine Pläne das Interesse an meinem König in mir geweckt hatten. Ich lehnte mich etwas über die Bettkante und zog die Schublade des Nachttisches auf. Ich war nicht so naiv, mit einem Tagebuch oder anderen privaten und interessanten Dingen zu rechnen. Und doch war ich überrascht, dass die Schublade wirklich so wenig Interessantes enthielt. Das einzige war ein abgeschlossenes kleines Notizbuch in Form eines Terminkalenders, ein sehr trocken klingendes Buch und eine angebrochene Dose Schlaftabletten. Ich sah erneut zur Tür. Nach dieser Nacht konnte ich mir vorstellen wofür er die brauchte. Vorsichtig hob ich das Notizbuch hoch in der Hoffnung, den Schlüssel ebenfalls in der Schublade finden zu können, als ein kleiner Zettel herausrutschte. Ich legte das Büchlein zurück und nahm den Zettel.

„Bei Ausfall des Scanners: S4RMSASFHAYBRCADTEDFRGAH“

Interessiert betrachtete ich den Zettel. Es war auf jeden Fall ein Passwort. Wofür es war, wusste ich noch nicht, aber ich hatte das Gefühl, dass es gut wäre, es mir zu merken. Ich kramte weiter in der Schublade und fand tatsächlich einen Kugelschreiber. Ein Stück Papier hatte ich nicht und ich hätte auch nicht gewusst, wo ich es hätte hintun können. Ich zog eines meiner Beine an und kopierte den Text auf meinen Unterschenkel. Dort sollte er so schnell niemandem auffallen. Ich legte Zettel und Notizbuch wieder in die Schublade, schloss diese und legte mich wieder bequem hin. Mein Timing war gut. Schon kurz darauf hörte ich Schritte auf der Treppe.

Als er den Raum wieder betrat, wirkte der blaue König fast so wie immer: Gefasst und ruhig. Erstaunt stellte ich jedoch fest, dass er Begleitung hatte. Um seine Beine wand sich der schlanke, haarige Körper Vitanis. Ausgerechnet diese Katze.

Als er sich wieder hingelegt hatte, sah ich gerade noch, wie das Tier auf das Bett sprang und sich schnurrend neben seinem Kopf zusammenrollte. Das Letzte was ich sah, bevor das Licht ausging, war das Gesicht der Katze und ich hätte schwören können, dass sie mich feindselig angefunkelt hatte. Mistvieh.
 

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, stellte ich zu meiner Erleichterung fest, dass die Katze weg war. Nur ein sehr behaartes Kissen hatte sie zurückgelassen. Munakata war auch schon aufgestanden. Ich gähnte kurz und streckte mich, ehe ich die Beine aus dem Bett schwang und das Passwort darauf entdeckte. Kurz grübelte ich erneut, verwarf den Gedanken dann aber. Das konnte bis nach dem Frühstück warten.
 

Man sah Munakata an, dass er schlecht geschlafen hatte. Er wirkte zerknittert und müde als ich die Küche betrat. Zu meinem Erstaunen allerdings war davon nach dem Frühstück nichts mehr zu bemerken, obwohl ich bezweifelte, dass er sich jetzt viel wacher oder lebendiger fühlen konnte. Wir waren beide viel zu gute Schauspieler. Ansonsten war alles absolut unspektakulär. Keiner sprach die vergangene Nacht an. Insgesamt sprachen wir nicht viel. Der Tag bot einen starken Kontrast zum Vergangenen. Aber das war mir recht. Ich war selbst nicht auf Konversation aus. Meine Gedanken waren woanders; bei meinem Stundenplan. Ich hatte beschlossen mir heute den Mr. Hyde genauer anzusehen. Vielleicht konnte mir dieser Strain noch nützlich werden.

„Fushimi-kun,“ Die Stimme meines Captains riss mich aus den Gedanken. „beeil dich etwas, oder wir kommen zu spät.“

Erst jetzt wurde mir bewusst, dass Munakata – im Gegensatz zu mir – bereits fertig angezogen war und sein Frühstücksgeschirr weggeräumt hatte.

Ich nickte, schlang die Reste auf meinem Teller herunter und machte mich eiligen Schrittes auf den Weg ins Gästezimmer. Als ich die geliehenen Sachen auszog fiel mein Blick erneut auf das Passwort auf meinem Bein. Es hatte begonnen leicht zu verwischen. Ich zog meinen PDA heraus und speicherte es unter meinen Notizen.

Dann fiel mein Blick auf die Hose, die Munakata mir letzte Nacht gegeben hatte. Ich hatte nicht den blassesten Schimmer wo sich meine befinden könnte. Ich griff danach und zog sie an. Es war immer noch ein unangenehmes Gefühl auf der von der Verbrennung gereizten Haut, aber es war um einiges besser auszuhalten als gestern. Ich wechselte auch mein Oberteil und verschob das Duschen auf den Abend. Wenn man bedachte, dass alle Räume in Scepter 4 videoüberwacht waren, war meinem Gastgeber zuzutrauen, dass er mich dabei bespannen würde, oder? Na gut, das war weniger wahrscheinlich, aber ein seltsames Gefühl wäre es trotzdem.

Ich suchte noch meine restlichen Sachen zusammen ehe ich mich zurück ins Untergeschoss begab. Mein König erwartete mich bereits in kompletter Uniform, mit einem kleinen Stapel Akten in der einen und dem Autoschlüssel in der anderen Hand. Und auch wenn er nicht ungeduldig wirkte, hatte ich das Gefühl, mich beeilen zu müssen.

„A-Auf Wiedersehen.“

Ich blickte kurz über meine Schulter, um zu sehen wo Aoi stand und fiel prompt über ein laut miauendes, protestierendes Fellknäuel am Fuß der Treppe. Ich hörte ein Klatschen und spürte kurz darauf einen Arm, der meinen Sturz unterbrach. Ich sah auf und blickte in das schmunzelnde Gesicht Munakatas. Peinlich.

„Vitani scheint es wirklich auf dich abgesehen zu haben“, scherzte er belustigt während ich mein Gleichgewicht wiederfand und mich aufrichtete.

„Ich glaube auch“, grummelte ich schlecht gelaunt und schob seinen Arm von mir weg.

„Lass uns gehen, ehe sie den nächsten Anschlag auf dich verübt.“ Man konnte sein Amüsement hören.

Ich sagte nichts dazu. Dafür half ich dabei, die Blätter wieder einzusammeln, die er hatte fallen lassen, als er mich auffing. Das meiste schienen Berichte zu sein. Ein Schema ließ sich in den Fällen allerdings nicht feststellen. Erstaunt stellte ich fest, wie selbstverständlich ich mittlerweile fast alles analysierte, was mit ihm zu tun hatte, aber nicht ihn selbst. Warum hatte er mich gerade aufgefangen. Warum sagt er nichts dazu, dass ich noch immer seine Hose trage? Warum hat er gestern Abend zugelassen, dass ich mich zu ihm lege? All diese Fragen hatte ich mir nicht gestellt, aber seinen Notizblock und Mülleimer durchsucht und die Akten überflogen. Ich schüttelte leicht den Kopf über mich selbst. Eine Geste, die Munakata zum Glück entging.

Ich richtete mich wieder auf und gab ihm die Papiere zurück. Er bedankte sich, verabschiedete sich von Aoi und wir verließen das Haus. Die Fahrt verlief recht still und beinahe wäre ich noch einmal eingeschlafen, als mich die Computerstimme aufschrecken ließ.

„Eingehende Sprachnachricht von Awashima Seri“

Ein leises Seufzen kam vom Fahrersitz, ehe ich erneut beobachten konnte, wie das ausgeklügelte Computersystem des Fahrzeuges hochgefahren wurde. Das Scannen von Munakatas Finger dauerte keine 2 Sekunden, ehe-.

Das Scannen? Ich schmunzelte. Konnte das Stimmen?

Ich wartete höflich ab, bis der Lieutenant mit seinen Berichten über einen Strainvorfall im südlichen Stadtteil, die erneute Verschiebung des Termins mit dem Zuständigen für Mr.Hyde und Enomotos sich schnell verbessernden Gesundheitszustand geendet hatte. Dann erst sprach ich das Thema an, das mir nun auf der Zunge lag.

„Darf ich Sie etwas fragen?“

Ich wartete keine Antwort ab.

„Was machen sie eigentlich sollte der Scanner einmal defekt oder gehackt worden sein?“

Eine kurze Stille entstand und meine Aufregung stieg. Wenn ich Recht hatte, hatte ich jetzt ein Fluchtfahrzeug in Aussicht.

„Für den Notfall habe ich ein Passwort, mit dem sich das System starten und neu einstellen lässt. Es ist faszinierend gut durchdacht, nicht wahr.“

Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, bis ich Munakatas Blick sah. Seine Tonlage hatte unbeschwert geklungen, aber sein Blick war skeptischer, als er es hätte sein sollen. Hatte er Verdacht geschöpft?

„Wieso fragst du, Fushimi-kun?“

„Reines Interesse“, antwortete ich schnell.

Er sah wieder auf die Straße. Das Gespräch war vorbei, aber das unbehagliche Gefühl wurde ich nicht los, bis wir das Tor zum Gelände des Scepter 4 Hauptquartiers passierten. Ich wurde bereits vorm Eingang abgesetzt und mein König fuhr den Wagen allein in die Tiefgarage.

Einen Moment stand ich einfach nur da und überlegte. Hatte er wirklich Verdacht geschöpft? Aber dann hätte er doch sicher mehr Fragen gestellt, oder? Andererseits war das der blaue König. Wenn es einen Menschen gab, den ich kannte, von dem man manchmal glauben konnte, dass er Gedanken lesen konnte, dann Munakata. Ich würde es sehen. Ich vertrieb den Gedanken aus meinem Kopf und betrat das Gebäude.

Alles war normal, bis auf meine gute Laune. Ich war dem perfekten Mord wieder einen Schritt näher gekommen. Und auch das skeptische Verhalten meines Königs dämpfte jetzt nicht mehr den Hauch von Euphorie der mich erfasste, wenn ich daran dachte, wie leicht alles werden würde. Unbewusst wanderte mein Blick zu meinem Bein, auf dem wohl immer noch die verschwommenen Reste eines ganz bestimmten Passworts sein mussten.

Zuerst führte mich mein Weg in mein Zimmer. Ich wollte raus aus der geliehenen Hose. Außerdem lag meine Uniform noch in meiner Wohnung außerhalb. Ich holte Ersatz aus dem Schrank und zog mich um. Vermutlich konnte man die Tage, an denen ich sie noch tragen musste an einer Hand abzählen. Der Gedanke hinterließ ein seltsames Gefühl in mir. Eine abstrakte Mischung aus Freude, Unsicherheit, Erwartung und Trauer. Ich würde Misaki zurückbekommen. Dafür musste ich aber diesen einen Menschen umbringen, der sich tatsächlich um mich bemühte. Ärgerlich schlug ich mit der Hand gegen den Spiegel. Warum musste dieser Mistkerl das auch machen? Konnte ich ihm nicht einfach genauso egal sein, wie allen anderen auch. Dann wäre das hier einfacher. So viel einfacher. Aber nein, doch nicht Munakata.

Ich hasse Menschen mit einem großen Herz…

Ich seufzte.

…sie machen dir ein schlechtes Gewissen, wenn du sie töten willst.

Ich betrachtete mein Spiegelbild. Es lächelte mich bitter an und seufzte erneut. Es würde nicht das erste Mal sein, dass ich mit einem schlechten Gewissen leben musste, das Richtige getan zu haben. Mit HOMRA war es damals doch dasselbe gewesen. Vielleicht nicht ganz dasselbe…aber ich würde damit umgehen können. Besonders wenn Misaki dann bei mir war. Immer. Jeden Tag. Bei mir. Er würde der Beweis sein. Der Beweis dafür, dass ich das Richtige getan habe. Denn alles andere war falsch. Solange er nicht bei mir war, war es falsch. Und egal wie, wenn er zu mir zurückkam war es richtig.

Ich verließ mein Zimmer und machte mich auf den Weg in die Büroräume. Ich würde erst die Mittagspause nutzen, um mich mit dem Mr. Hyde zu beschäftigen. Solange musste ich mich gedulden, sonst würde es zu auffällig werden. Noch immer gut gelaunt machte ich mich an die Arbeit und bot damit einen Anblick, der die anderen zum Tuscheln brachte.

Brocken wie „verliebt“, „gruselig“ und „seltsam“ erreichten mich, aber es kümmerte mich nicht.
 

Munakatas POV

Eine einzelne Schneeflocke landete auf meinem Fenster. Ich sah zu wie sie schmolz. Ich stand schon länger als eine Viertelstunde hier. Auf dem Schreibtisch hinter mir drohten Papierberge über mir zusammenzustürzen, aber ich konnte mich gerade nicht mit ihnen beschäftigen. Ich nahm einen Schluck von meinem Tee und sah weiter in den hellgrauen Himmel. Dort oben, weit über mir, hing eine ständige Bedrohung, die meinem Leben ein Ende setzen würde. Ich wusste es schon lange. Um genau zu sein, seit ich König war. In dem Moment, in dem man es das erste Mal sieht, begriff man es sofort. Sein eigenes unausweichliches Schicksal. Dann musste man lernen damit umzugehen. Mittlerweile wusste ich beinahe alles darüber. Und doch dachte ich nie über meinen eigenen Tod nach. Wann würde es passieren? Wie würde ich sterben? Würde ich eine Welle von Verwüstung und Tod hinterlassen? Würde es jemanden geben der wenigstens das Schlimmste verhindern würde? Jemanden der mir den Gefallen erweisen würde, den ich Suoh erwiesen hatte? Trotz der angenehmen Temperatur in meinem Büro wurde mir kalt. Ich verscheuchte die düsteren Gedanken und drehte mich zum Schreibtisch. Ich war vernünftiger als Suoh und ich war dabei, mich wieder zu fangen. Sollte der Himmel warten. Ich hatte noch Arbeit. Und ich hatte jemanden, der mich lebend brauchte. Ich schmunzelte beim Gedanken an den doch recht niedlichen Gesichtsausdruck, als er heute Nacht in der Tür gestanden und gebeten hatte, zu ihm ins Bett kommen zu dürfen.

Kapitel 10

Ich sags euch dem Kapitel haben nurnoch knappe 500 Wörter zum hochladen gefehlt. Und dann kam 8 Monate lang immer was dazwischen...Klingt das glaubwürdig? Naja ihr müsst euch damit abfinden und mir ist es ja auch peinlich. Naja jetzt ist ein neues Kapitel da und ich hoffe einfach mal dass das nächste schneller fertig wird.

Sorgen um Abbruch und so müsst ihr euch keine machen. Das Ende ist schon geschrieben, der Plan steht in meinem Kopf bis zum Ende und soooo wahnsinnig viele Kapitel werden es wohl auch nicht mehr werden. Kann sich nurnoch um Jahre handeln *hust*

Naja jetzt jedenfalls viel Spaß

Eure Xalis

~*+*~
 

Fushimis POV
 

Ich nahm einen Schluck von meinem Kaffee und starrte das leere Dokument vor mir an. Könnte es zurückstarren würde es mich wohl sehr vorwurfsvoll ansehen. Ich saß hier seit fast zwei Stunden und war kaum vorangekommen. Es war mir einfach nicht möglich mich richtig zu konzentrieren. Es juckte mich einfach zu sehr in den Findern, dem Zellentrakt einen Besuch abzustatten und das Geheimnis um die Fähigkeiten unseres Mr. Hydes zu lüften. Noch ein Schluck Kaffee. Ich seufzte und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Nach fast 10 Minuten hatten sich meine Gedanken soweit geleert und ich startete einen erneuten Versuch den Bericht zu schreiben. Tatsächlich gelang es mir das Dokument langsam mit Wörtern zu füllen und zur Mittagspause hatte ich nun doch ein Fünftel meiner Arbeit hinter mich bringen können.

Statt in der Mittagspause essen zu gehen, machte ich mich direkt auf den Weg zu unserem Gefangenen. Noch immer war ich davon überzeugt, dass in ihm der Schlüssel zu meinem bisher recht schlüssigen Plan lag. Klar, war ich auch etwas beunruhigt, schließlich schien er wirklich gefährlich zu sein, aber wirkliche Angst hatte ich nicht. Außerdem war meine Neugierde stärker. Vor der Zelle angekommen blieb ich stehen und spähte durch das kleine Fenster in der Tür. Mein Blick traf direkt auf Kurodas, der mich von der kleinen Bank an der Wand aus direkt anstarrte. Der erste kleine Schreck verflog schnell und nach kurzem Zögern und unter allen vorgeschrieben Sicherheitsvorschriften öffnete ich die Tür und trat ein. Noch wirkte er auf mich wie ein ganz gewöhnlicher Durchschnittsmensch, aber ich wusste, dass der Schein hier erheblich trügen konnte und ließ ihn keine Sekunde aus den Augen.

„Akiharu Kuroda?“, sprach ich ihn so normal wie möglich an. Ich musste herausfinden, wen ich vor mir hatte. Jekyll oder Hyde. Ich brauchte Hyde, denn mit Jekyll würde ich für meine Versuche nichts anfangen können, aber er war derjenige, mit dem ich normal interagieren könnte. Zumindest war das meine Vermutung, aufgrund dessen, was ich über die vorherigen Fälle wusste.

Ich erhielt keine Antwort. Ich wurde nur weiter mit diesem seltsamen Blick fixiert, unter dem ich mich zunehmend unwohler fühlte.

Ich sprach ihn noch einmal an, die Finger hatte ich bereits vorsorglich um den Griff meines Säbels gelegt.

„Akiharu Kuroda?“

Mein Gegenüber fing an zu grinsen. Jetzt reichte es mir. Sicher war sicher. Ich zog meinen Säbel und wich erschrocken knappe fünf Schritte zurück. Der Strain stand vor mir, noch immer grinsend und richtete eine Waffe auf mich. Nicht irgendeine Waffe. Es war ein Säbel, einer wie mein eigener. Einer, wie die von Scepter 4. Die Spitze zeigte auf meine Brust, ohne dass die Klinge auch nur ein wenig schwanken würde. Woher hatte er diesen Säbel? Das war einfach unmöglich. Nach allem was ich wusste, sollte er unbewaffnet sein, und selbst wenn er die Waffe schon gehabt haben sollte, als ich die Zelle betreten hatte, so hätte sie mir doch auffallen müssen. Eine Waffe dieser Länge kann man nicht einfach verstecken. Außerdem war ich mir absolut sicher, dass es einer unserer Säbel war und die gab es nirgends auf Lager. Es gab genau so viele Säbel wie Mitglieder und ich hatte nicht davon gehört, dass jemandem ein Säbel fehlte. Kurz kam mir der Gedanke, dass es vielleicht Enomotos Säbel sein könnte, aber ich meinte mich zu erinnern, dass auch seiner dort war, wo er hingehörte. In Gedanken verloren merkte ich gerade noch im letzten Moment wie Kuroda zum Angriff ansetzte und wich aus. Den nächsten parierte ich. Das Geräusch von Metall auf Metall bestätigte es. Der Säbel war echt. Es war kein Trick, keine Illusion oder optische Täuschung. Es war etwas Reales. Ich ließ mich nicht auf einen Kampf ein. So abgelenkt von den Fragen in meinem Kopf wie ich war, wäre das ein zu großes Risiko gewesen. Also blieb ich in der Defensive und ließ mich unbemerkt Richtung Ausgang treiben. Meine Flucht gelang. Ich wich einem letzten Angriff aus und schob mich durch die Zellentür ehe ich sie hinter mir wieder fest verschloss.

Draußen im Gang atmete ich erst einmal tief durch. Ich starrte auf die Tür und schüttelte ungläubig den Kopf. Das konnte doch nicht sein. Eiligen Schrittes verließ ich den Zellentrakt. Ich würde jetzt Mittagspause machen, ob sich jemand darüber beschwerte oder nicht. Ich brauchte jetzt Ruhe, etwas gutes Essen und eine Menge Zeit zum nachdenken.
 

Ich hatte mich entschlossen heute außerhalb zu essen und jetzt saß ich in dem kleinen Laden um die Ecke und stocherte auf meinem Teller herum. Meine Gedanken waren noch in der Zelle. Immer wieder strich meine Hand unbewusst über den Griff meines Säbels. Wie konnte das sein? Hatte es etwas mit seiner Fähigkeit zu tun? Es war das einzig Sinnvolle. Konnte ihm eine Fähigkeit erlauben, einen nicht gerade häufigen Säbel aus dem nichts zu materialisieren? So abwegig es klang, gerade war es noch am Logischsten. Aber wenn er Dinge materialisieren konnte, warum dann keinen Schlüssel für die Zellentür? Oder warum erschuf er sich nicht eine Stange Dynamit und sprengte sich ins Freie? Ich begriff es noch nicht ganz. Aber wenn ich ihn das nächste Mal besuchen würde, würde ich vorbereitet sein. Diesmal konnte er mich nicht mehr überraschen.

Appetitlos und zu rastlos kippte ich die Hälfte meines Tellers in den Müll und stand auf.

Ich hatte mir fest vorgenommen heute noch das Geheimnis um diesen Strain zu lüften, und das würde ich jetzt tun. Ich zahlte und ging fast so eilig wie ich das Hauptquartier verlassen hatte, dorthin zurück. Tatsächlich kam ich nicht weit. Schon im Eingangsbereich wurde ich vom Lieutenant abgefangen. Ich hörte mir ihre Predigt wegen meiner Überschreitung der Mittagspause mit halbem Ohr an, ehe ich meinen Weg fortsetzte. Da konnte sich Awashima aufregen wie sie wollte, ich hatte gerade wichtigeres zu tun als Bericht xy zu schreiben. Und sie bald auch. Ich fragte mich, ob es ihr gelingen würde Scepter 4 alleine weiter zu führen, bis sich der neue blaue König fand. Aber davon würde ich vermutlich nichts mehr mitbekommen. Bis dahin war ich raus aus dieser Welt mit Königen, Clans, Strains, und Auren. Meine Aura. Es war das einzige an dieser Welt, das ich vermissen würde. Selbst die rote, an die ich mich nie richtig hatte gewöhnen wollen, hatte ich nach dem Tod des roten Königs vermisst. Zumindest ihre leicht wärmende Wirkung. Es würde seltsam sein, keine mehr zu besitzen. Aber eigentlich waren sie nutzlos. Im echten Leben brauchte man so etwas nicht. Bei meinem alten Leben mit Misaki hatten wir auch keine gehabt und wir waren zurecht gekommen. Wir waren glücklich. Mehr als das. Und wir würden es wieder sein. Mir fehlten nur noch wenige Details für meinen Plan. Und eines davon saß hinter der Tür, die ich soeben zum zweiten Mal an diesem Tag erreichte.

Ich hielt inne. Erneut sah ich durch das kleine Fenster. Diesmal erhaschte ich nicht einmal einen Blick auf ihn. Seltsamerweise hinterließ das ein nicht weniger unangenehmes Gefühl bei mir, als sein starrer Blick vorhin.

Ich nahm meinen Mut zusammen und öffnete die Zellentür zum zweiten Mal an diesem Tag. Stille und Ruhe empfingen mich und ein Mann mit einem verwirrten Blick und unsicherer Ausstrahlung saß mir gegenüber.

Fast dachte ich, ich hätte mich in der Tür geirrt, aber das war wohl der erste Eindruck, den der Wechsel von einem Hyde zu einem Jekyll hinterließ. Ich seufzte enttäuscht. So hatte ich keine Chance mehr Informationen von ihm bekommen.

„Können Sie mir helfen?“, fragte die leise Stimme Kurodas. „Warum bin ich hier? Was ist hier los? Wer sind Sie?“

Ich drehte mich um und ging wieder. Ich wusste nicht, ob ich befugt war, ihm Auskunft zu geben. Außerdem war mir der Jekyll reichlich egal. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und ich ging zurück an die Arbeit. Es ärgerte mich, aber heute würde ich nicht mehr viel Ausrichten können.

An meinem Platz angekommen konnte ich mich kaum richtig konzentrieren. Es ärgerte mich. Es ärgerte mich wahnsinnig. Wenn andere kamen wurden sie halb getötet und mir stellte er verängstigt Fragen. Ich seufzte und stand auf, um mir einen weiteren Kaffee zu holen. Meine Gedanken waren immer noch im Zellentrakt. Wie genau kopierte er diese Waffen? Wie konnte ich das für mich nutzen? Wer sagte mir, dass er zur richtigen Zeit der Richtige war, um in meinen Plan zu passen?

Mit dem Kaffee und etwas Ruhe begann ich mich zu beruhigen. Vielleicht war das ja sogar ganz gut. Es war ein Tag mehr, an dem ich an der Bindung zu meinem Captain arbeiten konnte und es gab mir Zeit, mich auf meine nächsten Tests besser vorzubereiten. Ich lehnte mich mit der Tasse zurück, legte die Füße auf den Tisch und wippte leicht mit dem Stuhl vor und zurück. Was ein wenig positives Denken bewirken konnte. Ich lächelte leicht. Warum war ich überhaupt so in Eile? Ein weiterer Tag ohne meinen Misaki mehr oder weniger würde mich nach so langer Zeit nicht umbringen. Und jede Stunde, die ich in den Plan investierte gab mir mehr Gewissheit, dass er reibungslos funktionieren würde. Schritt für Schritt ging ich durch, was ich hatte. Ich würde die Nacht bei ihm verbringen. Ob hier im Hauptquartier oder privat war mir noch nicht ganz klar, auch wenn ich zu Option zwei tendierte. Ich würde an seinen Säbel kommen, in dem ich ihn den Tag vorher mit meinem austauschte. Und nach dem gelungenen Mord würde ich mit seinem Wagen fliehen und meinen Verfolgern dank des Systems immer einen Schritt voraus sein. Soweit es feststand klang das doch perfekt. Und wenn die Lücken erst einmal vollständig gefüllt waren, fehlte nur noch die fehlerfreie Umsetzung. Das würde bald sein, sehr bald. Es waren kaum noch Lücken offen und ich war mir sicher, dass ich die Lösung heute zweimal besucht hatte. Ich musste nur weiterforschen. In meinem Gedanken formten sich fragen und Ideen, wie ich sie beantworten konnte. Konnte er nur Waffen kopieren die er sieht?- Ich könnte versteckt eine mit mir tragen. Kopiert er die Waffen mit allen Eigenschaften? Ist es dasselbe Material? – Wenn ich einen Revolver auf ihn halte, hat er dann dieselbe Anzahl Kugeln darin wie ich?

Aufgeregt in meiner Neugierde und freudigen Erwartung tippten meine Finger in einem schnellen Rhythmus leicht gegen die Tasse.

Ein Räuspern ließ mich zusammenschrecken und der Stuhl, die Tasse und ich kippten nach hinten um, wo mein Hinterkopf hart gegen die Kante des nächsten Schreibtisches schlug. Mir die pochende Stelle haltend saß ich auf dem Boden, auf dem sich ein großer Fleck Kaffee langsam in meinen Mantel zog und sah mit zusammengekniffenen Augen nach oben zu Awashima, die mir ziemlich mitleidslos einen ärgerlichen Blick zuwarf. Ich schloss die Augen und stützte mich ab um aufzustehen. Fehler. Meine Hand zuckte zurück als sich die erste Keramikscherbe in meine Handfläche bohrte. Ich fluchte, entfernte sie und zog mich am Schreibtisch hoch. Awashima, die schon vor meinem kläglichen Versuch aufzustehen angefangen hatte, auf mich einzureden, schien gar nicht zu bemerken, dass keines ihrer Worte bei mir ankam. Der Schmerz pochte viel lauter in meinen Ohren als ihr Gezeter.

„War’s das?“, fragte ich nach einer kurzen Zeit, die mir vorkam wie eine Ewigkeit.

Ich wartete nicht einmal eine Antwort ab ehe ich mich umdrehte und ging. Bruchstücke ihrer Reaktion erreichten mich noch. Etwas wie : „-shimi, wo… …du…hin“. Der Rest wurde von einem ekligen Pfeifen übertönt. Ich brauchte Ruhe. Das war‘s mit der guten Laune.

Wenig später fiel ich geplättet in mein Bett. Aus der Minibar, die ich mir letztes Jahr von meinem Weihnachtsgeld geholt hatte, hatte ich mir einen Kühlbeutel geholt, der mir jetzt mehr oder weniger als sehr unbequemes Kopfkissen diente. Mit Denken war’s erst einmal vorbei. Ich seufzte leicht unter meinem Atem und schloss die Augen. Als ich sie wieder öffnete war es stockfinster. Ich war eingeschlafen und mittlerweile tat mein Kopf von der Kälte weh und mein Nacken ließ sich kaum noch drehen. Urlaub. Ich stand auf. Ich brauchte Urlaub und den würde ich jetzt beantragen. Und wenn es nur ein oder zwei Tage waren. Oder einfach keine Bereitschaft am Wochenende.

Erst als ich bereits vor Munakatas Bürotür stand wurde mir bewusst, dass das eine schreckliche unproduktive Idee war. Erst danach, dass es wirklich sehr spät war und er vermutlich schon gegangen war. Mit der Hand in der Luft mit der ich gerade hatte klopfen wollen, blieb ich stehen. Dann drückte ich einfach vorsichtig die Klinke nach unten. Tatsächlich war die Tür noch nicht abgeschlossen. Unschlüssig blieb ich einen Moment dort stehen ehe ich leise und langsam eintrat. Auch hier war es dunkel. Ich spähte ein paar Sekunden in den Raum, ehe ich die Silhouette meines Captains an seinem Schreibtisch erkannte. Schlafend. Leise trat ich näher und betrachtete ihn. Er schlief tatsächlich. Zusammengesunken über unzähligen Unterlagen. Scheinbar das Ergebnis zu vieler und zu langer Überstunden. Unschlüssig blieb ich neben ihm stehen. Sollte ich ihn wecken? Ich zögerte noch einen Moment ehe ich leicht eine Hand auf seine Schulter legte.

„Captain?“, fragte ich leise.

Ein leises Grummeln war die Antwort und langsam hob sich sein Kopf.

„Fushimi-kun?“

Ob er mich durch die Dunkelheit sehen konnte, oder mich an der Stimme erkannt hatte, wusste ich nicht.

„Wieviel Uhr ist es?“ Er klang müde.

Ich sah auf meinen PDA.

„Halb 11“

„Nachts?“

Ich nickte und betrachtete wie er seine Brille absetzte und sich unauffällig die Augen rieb.

„Ich muss eingeschlafen sein. Was möchtest du so spät noch?“

„Eigentlich…Urlaub.“

Er lachte.

„Das sollte eigentlich kein Scherz sein.“

„Das habe ich mir gedacht“, entgegnete er schmunzelnd. „Urlaub also?“ Noch etwas abwesend kramte er einen Kalender aus einer Schublade und blätterte darin herum. Dann seufzte er. „ Na gut, nimm dir morgen frei.“

Ich sah ihn verblüfft an. „Morgen schon?“

„Willst du lieber noch-“ –mehr Geblätter- „zweieinhalb Monate warten?“

Hektisch schüttelte ich den Kopf. „Nein, nein. Morgen ist toll. Morgen ist prima.“

Munakata lächelte mich an. „Dann morgen…Dabei könnte ich deine Unterstützung wie immer gut gebrauchen.“

Er bedachte mich mit einem undeutbaren Blick, streckte sich kurz und setzte seine Brille wieder auf.

Ich stand unschlüssig im Raum. Unsicher ob ich noch etwas sagen sollte. Letztendlich drehte ich mich einfach um und verließ den Raum.

„Guten Nacht, Fushimi-kun“ , kam es noch durch den Türspalt, als ich ihn schloss. Ich seufzte wehleidig und kniff die Augen zusammen. Dieser Wechsel von Dunkelheit zu hellem Licht bekam meinem geschundenen Kopf nicht wirklich. Ich nahm die Brille ab und schirmte meine Augen mit der Hand gegen das Licht ab.

Ich holte nichts mehr aus meinem Zimmer. In meiner Wohnung war alles was ich für einen Tag Urlaub und Kopfschmerzen brauchte.

Den Weg nach Hause lief ich. Es war zwar bitterkalt aber doch irgendwie angenehm. Es hatte wieder leicht zu schneien begonnen und bis ich an meiner Wohnung war, hatten sich die ersten Dächer und Pflanzen weiß gefärbt. Leider auch Teile meiner Haare und Schultern. Erschöpft vom Weg und der Kälte kramte ich den Schlüssel heraus und öffnete die Tür. Es war kühl, aber nicht kalt im Flur. Trotzdem lief ich erst einmal in alle Zimmer und stellte die Heizung an. Meine Jacke behielt ich an. Mein Kopf schmerzte immer noch und auch meine Hand pochte in unregelmäßigen Abständen etwas unangenehm. Ich wollte gerade ins Badezimmer gehen und mir eine Schmerztablette holen als mir das Blinken an meinem Telefon auffiel. Jemand musste in meiner Abwesenheit hier angerufen haben. Neugierig sah ich nach. Zwei verpasste Anrufe und eine Nachricht. Alles von derselben Nummer. Ich hielt inne und besah mir jede Zahl einzeln. Konnte das wirklich sein? Aber warum sollte Misaki mich anrufen? Ich sah auf das Datum. Es war von dem Abend als ich ihn belauscht hatte. Ich seufzte. Vermutlich hatte er mich gesehen und wollte mir klar <machen, dass ein Verräter wie ich an der Bar nichts mehr zu suchen hatte. Trotzdem spielte ich die Nachricht ab.
 

Nachricht 1

27.12 22:32
 

Hey Saru, wegen du weißt schon -pause- ach vergiss es. Ich hab mich nur verwählt
 

Etwas enttäuscht löschte ich die Nachricht. Jetzt war ich kaum schlauer als vorher. Dass er sich nur verwählt hatte glaubte ich ihm keine Sekunde lang, aber was er wirklich wollte, hatte er mir auch nicht verraten. Ich seufzte kurz und lächelte etwas bitter.
 

Bald, Misaki, bald können wir wieder ganz normal mit einander reden. Als wäre nie etwas gewesen. Du und ich. Bald. Dann kannst du mir wieder alles erzählen, dann sind wir wieder Freunde.
 

Ich hätte mich selbst dafür Ohrfeigen können, dass ich mir Urlaub genommen hatte. Ich hätte doch genug Urlaub gehabt, wenn ich meinen Plan umgesetzt hätte. Unzufrieden holte ich nun doch die Schmerztablette und spülte sie mit etwas Leitungswasser herunter. Mein Spiegelbild über dem Waschbecken war blass und hatte nasse Haare. Wahrscheinlich vom Schnee. Ich griff neben mich und rieb sie mir mit einem Handtuch trocken. Die Brille, die ich den Weg über in der Jackentasche gelassen hatte legte ich auf den Beckenrand. Ich würde sie erst morgen wieder brauchen.

Ich verließ das Bad und ging in die Küche wobei mein Blick erneut am Telefon hängen blieb. Es war noch rot. Vermutlich weil ich einfach vergessen hatte die Anrufe auch zu löschen. Ich holte es nach und löschte die drei Anrufe, ehe ich mir eine Kleinigkeit zu Essen aus dem Kühlschrank nahm. Kurz überlegte ich, ob ich Misaki hätte zurückrufen sollen, aber aus Erfahrung war ich mir sicher, dass er nicht abnehmen würde. Ich würde nur eine Nachricht mehr auf seiner Mailbox hinterlassen und damit hatte ich aufgehört. Er schien sie ja eh nie abzuhören. Zumindest meine nicht.

Appetitlos schlang ich mein Abendessen herunter während mein Blick immer wieder zur Uhr wanderte.
 

Sollte die Tablette nicht langsam mal wirken?
 

Ich seufzte und stellte den leeren Teller in die Spüle. Ich war mir sicher er würde es mir nicht verübeln erst morgen abgespült zu werden. Besonders da die Hand, in die ich mich geschnitten hatte, bei Wasserkontakt noch dazu neigte zu brennen. Da wollte ich nicht wissen wie es sich mit Spülmittel verhielt.

Aber vielleicht würde sich das ja bis morgen ändern. Ich verließ die Küche und ging ins Schlafzimmer. Ich ließ das Licht aus; das war meinem Kopf gerade lieber. Ich wusste wo alles war. Das Shirt das ich letztes Mal schon zum Schlafen anhatte lag wie immer über dem Fußende meines Bettes und der grüne Schein der Ziffern auf dem digitalen Wecker reichte mir um zu erkennen, dass das Bett halbwegs gemacht war. Ich lächelte. Gleichzeitig erhellte es auch das gerahmte Bild auf meinem Nachttisch. Es war schon ein paar Jahre alt, aus der Schulzeit um genauer zu sein, aber es war aus einer glücklicheren und friedlicheren Zeit. Eine Zeit, die ich gerade im Moment wieder anstrebte. Meiner Zeit mit Misaki. Er grinste auf dem Foto und hielt stolz sein damals erstes Skateboard in die Kamera. Einen Arm hatte er um mich gelegt. Ich konnte mich noch erinnern wie er damals versucht hatte mich etwas kleiner zu drücken. Die elf Zentimeter hatten ihn schon immer gestört. Es war wahrscheinlich das Einzige was sich zwischen uns nicht geändert hatte. Ich fuhr leicht mit dem Finger über den Rahmen. Aber irgendetwas in meinem Inneren überzeugte mich davon, dass es wieder so werden konnte. Ich lächelte in mich hinein während ich mich auf die Seite drehte. Ich lächelte noch bis ich einschlief.
 

~*+*~

Vielleicht haben sich jetzt ein paar Fragen geklärt hm?

Naja da ich mich kenne wünsche ich euch jetzt schonmal fröhliche Weihnachten und einen guten Start ins neue Jahr

Kapitel 11

Okay nicht einen Monat später bekommt ihr hier noch ein neues Chapter. Und es ist das bisher längste von Killing Project und was noch viel wichtiger ist: Es enthält Fluff. Ich wollte euch nur gewarnt haben.

Ich denke viel mehr Vorwort braucht und wollt ihr wahrscheinlich auch nicht

Also viel Spaß beim Lesen

Eure Xalis
 

~*+*~
 

Fushimis POV

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war es circa 12 Uhr. Erstaunlicherweise fühlte ich mich als wäre es drei Uhr morgens. Ich stand kurz auf, um die Vorhänge zu schließen, um auch das letzte Licht, das durch den geschlossenen Laden drang, auszusperren. Müde legte ich mich ins Bett zurück, drehte meinem Wecker demonstrativ den Rücken zu und versuchte weiterzuschlafen, als mich ein nervtötendes Geräusch daran hinderte. Das nervtötende Geräusch war meine Türklingel. Jetzt wo ich darüber nachdachte, hatte ich das Gefühl, dass ich das schon mal gehört hatte heute. Vielleicht war es das, was mich geweckt hatte. Widerwillig schwang ich erneut die Beine aus dem Bett, ehe ich mich zur Haustür schleppte. Ohne weiter nachzudenken riss ich sie auf und warf meinem Gegenüber einen bösen Blick zu.

„Guten Morgen, Fushimi-kun.“

Munakata lächelte mich an und ich hätte kotzen können.

„Morgen“, grummelte ich zwischen den Zähnen hervor. „Was wollen Sie hier?“

Ich war versucht ihm die Tür einfach vor dem Gesicht zuzuschlagen, aber ich beherrschte mich.

„Ich wollte nach dir sehen. Ich hatte mich doch angekündigt.“

Ich kramte in meinem Gedächtnis.

„Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie irgendetwas in dieser Richtung gesagt hätten.“

Ich war müde und genervt und das ließ ich ihn merken. Allerdings ließ sich mein Besucher nicht wirklich davon beirren.

„Hast du deinen Anrufbeantworter nicht abgehört?“

„Doch!“, antwortete ich trotzig. Hatte ich ja auch. Es war nur die Nachricht von Misaki gewesen. Aber irgendwie machte mich seine Selbstverständlichkeit unsicher. Es war ja auch egal. Jetzt stand er hier unangekündigt vor meiner Tür.

Ich schluckte meinen Ärger herunter und warf ihm lediglich einen genervten Blick zu, den er scheinbar gekonnt ignoriert.

„Darf ich reinkommen?“

Er schien meinen Blick tatsächlich ignoriert zu haben. Ich zögerte, aber schließlich trat ich zur Seite und ließ ihn in meine Wohnung. Meine Privatsphäre missachtend sah er sich überall neugierig um. Ich war aber zu müde, um mich wirklich darüber aufzuregen. Er würde schon nichts kaputt machen und peinliche Sachen konnte er hier auch nicht finden. Also schlurfte ich zurück in mein Bett und drehte der Tür den Rücken zu. Die Schritte ließen mir allerdings nicht die nötige Ruhe zum Schlafen. Seufzend betrachtete ich wieder das Bild auf meinem Nachttisch. Normalerweise half mir das beim Einschlafen. Heute nicht.

„Was hast du da?“

Munakata stand in der Tür und beobachtete mich. Ich drehte mich wieder weg und versuchte ihn gänzlich auszublenden. Einen Moment gelang mir das auch, doch dann spürte ich wie sich die Matratze unter fremdem Gewicht bog. Ich zögerte noch einen Moment, aber dann drehte ich mich um, nur um sein Gesicht keine zehn Zentimeter vor meinem zu sehen. Überrascht schreckte ich ein Stück zurück.

„Ehm…Captain?“ Eine aussagekräftigere Frage fiel mir gerade nicht ein.

“Fushimi-kun?”, antwortete er schmunzelnd.

Ich warf ihm einen bösen Blick zu. Dann fing ich von vorne an.

„Was genau wollen Sie in meinem Bett?“

„Ich bin hier, um dir Gesellschaft zu leisten, und da du im Bett liegst, dachte ich, ich komme zu dir.“

Ich unterdrückte ein Seufzen. Gerade von seiner Gesellschaft nahm ich ja Urlaub, mehr oder weniger.

„Müssen Sie nicht arbeiten?“

„Es ist Mittagspause.“

„Hm…“

Ich gab es auf. Rauswerfen konnte ich ihn schließlich auch nicht wirklich einfach so. Resigniert schloss ich die Augen und versuchte, mich zu entspannen. So unglaublich schlimm war es nun gerade auch nicht, zumindest solange er mich in Ruhe ließ. Und im Moment schien ich was das anging, Glück zu haben. In dieser Sicherheit wiegte ich mich etwa eine Viertelstunde. Dann wurde sie von einem Arm zerstört, der sich leicht um meine Hüfte legte. Es jagte mir einen Schauer über der Rücken und ich verkrampfte mich in meiner Haltung. Was sollte das? Das grenzte ja schon fast an sexuelle Belästigung. Ich fragte mich ob ich ihn darauf ansprechen sollte. Unsicher hob ich den Kopf und sah ihn an. Er hatte die Augen geschlossen, aber an dem leichten Lächeln, das sich über sein Gesicht ausbreitete, konnte ich erkennen, dass er meinen Blick bemerkt hatte.

„Entspann dich, Fushimi-kun“, flüsterte er ruhig. „Du kamst mir nur so kühl vor. Soll ich wieder gehen?“

Eigentlich hatte ich die ganze Zeit auf diese Frage gewartet gehabt. Jetzt zögerte ich schweigend. Er hatte schon recht irgendwie. Mir war vielleicht nicht kalt, aber seine Wärme war wirklich angenehm. Zugeben würde ich es aber nicht. Ich wandte den Blick wieder von ihm ab. Vielleicht würde er es einfach als Zustimmung hinnehmen, wenn ich nichts sagte. Ich konnte seinen Blick spüren, aber er fragte nicht weiter nach und auch seinen Arm ließ er an Ort und Stelle.

Irgendwie war es friedlich und irgendwie genoss ich es. Nicht einmal der warme Atem in meinem Nacken störte mich mehr. Entspannt schloss ich die Augen und als ich sie das nächste Mal öffnete, war eine Stunde vergangen, wie mir mein Wecker verriet.
 


 


 

Munakatas POV
 

Müde hob ich den Kopf von den Unterlagen, die mir die letzte halbe Stunde als Kissen gedient hatten. Es war jetzt ungefähr 11 Uhr und der Schlafmangel, der mich gegen Viertel nach 10 überwältigt hatte, war noch so gegenwärtig wie zuvor. Diese Träume ließen mich einfach nicht schlafen.

Als es an der Tür klopfte, hatte ich fast mit Fushimi-kun gerechnet, doch es war Awashima, die auf mein „Herein“ hin das Büro betrat. Ihre sonst so professionelle, ernste Miene wurde weich und sorgenvoll. War mein Anblick wirklich so mitleiderregend? Vielleicht wollte ich das gar nicht wissen.

„Was gibt es?“, fragte ich möglichst so wie immer.

„Nichts Wichtiges…“ Sie bedachte mich mit einem besorgten Blick. „Sie sollten sich freinehmen.“, fiel sie direkt mit der Tür ins Haus.

Ich seufzte. Sie hatte mir diesen Vorschlag diese Woche schon mehrmals durch die Blume gemacht, aber ich war nie wirklich darauf eingegangen. Ich konnte mir nicht einfach freinehmen. Gerade jetzt, da wir einen Fall wie diesen Kuroda in unserem Zellentrakt hatten, war es fast schon fahrlässig, wenn ich mir aus so einem nichtigen Grund frei nahm. Wir wussten noch nicht einmal wie gefährlich der Mr.Hyde war, nur das er es geschafft hatte Enomoto schwer zu verletzen. Ich musste hier sein wenn etwas passierte. Es war meine Pflicht.

Die Akten vor mir wurden zur Seite geschoben und von einer dampfenden Tasse Tee ersetzt. Ich war so in Gedanken gewesen, dass ich davon kaum etwas mitbekommen hatte. Ich bedankte mich bei Awashima für den Tee und starrte doch nur in das grünliche Getränk, anstatt es zu trinken. Ich stand noch etwas neben mir.

Aber was war wenn sie recht hatte? Vielleicht brauchte ich wirklich eine Pause. Etwas Schlaf vielleicht außerhalb des Hauptquartiers würde mir vermutlich wirklich gut tun. Ich seufzte erneut und sah vom Tee auf. Wäre es so schlimm, wenn ich heute nicht da wäre? Natürlich war es ein schlechter Tag. Ich hatte bereits Fushimi freigegeben. Sonst teilten er und Seri sich die Verantwortung, wenn ich außer Haus war und ich wusste nicht, ob ich ihr so viel Druck machen sollte. Andererseits war es ihr eigener Vorschlag gewesen. Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück, und nahm einen Schluck von meinem Tee, während ich sie betrachtete. Ich bemerkte wie unsinnig meine Befürchtungen waren. Wenn es jemanden gab, der dieser Aufgabe gewachsen war, dann sie.

Es waren sicher mehr als zehn Minuten vergangen, ehe ich, ihren Worten zustimmend, nickte.

Sie lächelte erleichtert.

„Bist du sicher, dass du hier allein zurechtkommst?“, fragte ich nun doch. Ich wollte es einfach von ihr hören.

„Natürlich. Und sollte irgendeinen Notfall geben, sage ich natürlich Bescheid.“

Ich wusste, dass sie von Kuroda redete. Nur, dass sie so einfach meine Sorgen erkannt hatte versetzte mich in leichte Unruhe. Ich brauchte wirklich Schlaf.

„Dann gehe ich jetzt.“

Und mit diesen Worten stand ich auf, nahm noch einen Schluck des leckeren Tees, wünschte Awashima noch einen schönen Tag und verließ den Raum.
 

Draußen auf dem Hof blieb ich unschlüssig stehen. Mir war ein Gedanke gekommen und ich wusste nicht, warum er mir so gut gefiel. Ich könnte zu Fuß gehen. Zu Fushimi-kuns Wohnung und ihn dort besuchen. Vielleicht wollte ich einfach Aoi keine Sorgen machen, vielleicht wollte ich auch einfach näher am Hauptquartier sein und vielleicht wollte ich einfach nicht so müde wie ich war Auto fahren. Außerdem hatte ich eh vorgehabt, nach ihm zu sehen.

Der frische Schnee knirschte unter meinen Schritten, während ich über den Hof zum großen Tor ging. Meine Entscheidung war gefallen. Ich würde ihm einen Besuch abstatten.
 

Der Weg war nicht wirklich lang. Die Kälte hielt mich wach und dank des Wetters war ich ziemlich allein auf den Straßen unterwegs. Nur ich und der Schnee. Eine angenehme Ruhe für eine so große Stadt. Ich erreichte Fushimis Wohnung früher, als ich gedacht hatte. Zögernd warf ich einen Blick auf die Uhr. Es war ziemlich pünktlich zur Mittagspause, so, wie ich mich am Abend zuvor angekündigt hatte. Ohne weiter darüber nachzudenken, klingelte ich und wartete. Keinerlei Reaktion. Erneut betätigte ich die Klingel. Wieder geschah einen Moment lang nichts und ich hatte meinen Finger wieder auf dem Knopf positioniert, als ich Schritte von drinnen vernahm und die Hand wieder herunter nahm.

„Guten Morgen, Fushimi-kun“, begrüßte ich ihn lächelnd.

„Morgen“, wurde meine Begrüßung nicht sonderlich enthusiastisch erwidert. Aber ich konnte es ihm nicht verübeln. Er sah aus, als wäre er erst gerade aufgestanden. Seine Haare standen in ungewöhnlichen Richtungen ab und die Augen, die mir einen bösen Blick zuwarfen, waren kaum zur Hälfte geöffnet.

„Was wollen Sie hier?“

Ich ließ mich von seiner nicht allzu höflichen Frage nicht irritieren. Es war in ganz Scepter 4 bekannt, dass er in der Regel nicht der Umgänglichste war, wenn er wirklich gerade erst aufgestanden war. Also antwortete ich ihm ganz normal und freundlich.

„Ich wollte nach dir sehen. Ich hatte mich doch angekündigt.“

Für einen Moment sah er mich einfach nur irritiert an.

„Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie irgendetwas in dieser Richtung gesagt hätten.“

Also hatte ich ihn tatsächlich geweckt. Naja, wenn er seine Nachrichten nicht überprüfte, dann konnte ich nichts dafür, dass mein Besuch so überraschend kam. Natürlich konnte ich seinen Ärger verstehen, aber ich hatte nicht vor, jetzt auch noch den Weg nach Hause zu gehen und teilte ihm seinen Fehler mit.

„Hast du deinen Anrufbeantworter nicht abgehört?“

„Doch!“ war seine schnelle und überzeugte Antwort. Dann hatte entweder sein Telefon ein Problem oder er beim Abhören. Aber letzten Endes war es auch egal. Ich war jetzt hier und damit musste er leben. Ehe ich wieder ging würde ich mich wenigstens noch aufwärmen. Mittlerweile hatte der Schnee meinen Mantel durchnässt und der kalte Wind ließ sich die Stellen anfühlen als froren sie ein.

„Darf ich reinkommen?“

Er zögerte und es war ihm deutlich anzumerken, dass er nicht sonderlich begeistert von meinem Besuch war, allerdings deckte sich das mit meinem Empfinden über seine höfliche Begrüßung und damit betrachtete ich uns als quitt.

Nach einem kurzen Moment gab er allerdings die Tür frei und ich entfloh der Kälte in seine Wohnung. Neugierig sah ich mich um. Die ganze Wohnung war eher zwecksorientiert eingerichtet und von einer leichten Unordnung belagert, die aber eher einen bewohnten als einen chaotischen Eindruck machte. Alles in allem konnte man sich hier sicher wohlfühlen. Ich lief ein wenig durch die Räume, ohne dass Fushimi etwas dazu sagte, aber ich dachte mir nichts dabei. Erst als ich mich umdrehte, bemerkte ich, dass er garnicht bei mir war. Überrascht streckte ich den Kopf durch die letzte Tür, die ich noch nicht inspiziert hatte und sah ihn im Bett liegen. Er hielt etwas in der Hand und betrachtete es eine ganze Zeit lang.

„Was hast du da?“

Es sah aus wie ein Bilderrahmen und ich fragte mich unwillkürlich, was es wohl für ein Bild war, dass er auf seinem Nachttisch stehen hatte. Allerdings erhielt ich keine Antwort. Er schien mich zu ignorieren und um diesen Eindruck noch zu verstärken, drehte er sich von mir weg. Etwas amüsant fand ich dieses kindische Benehmen schon, aber Menschen tendierten oft dazu, kindisch zu werden, wenn sie müde waren.

Ich ging zum Bett und setzte mich auf die Kante, um das Bild zu betrachten. Ich unterdrückte ein Seufzen. Wer auch sonst? Traurig lächelnd wandte ich den Blick wieder zu Fushimi, der mich immer noch mit einer Entschlossenheit ignorierte, die fast bewundernswert war.

Ich gähnte leise. Eigentlich konnte ich mich auch dazu legen. Schließlich hatte ich mein Bett auch schon mit ihm geteilt, es wäre nur fair, und außerdem war ich laut ihm scheinbar sowieso nicht anwesend.

Also ließ ich mich in die weichen Kissen sinken, schloss die Augen und drehte mich zur Seite.

Einen Moment geschah nichts, dann hörte ich das leise Rascheln von Stoff. Ich öffnete die Augen und sah in Fushimis überraschtes Gesicht.

„Ehm…Captain?“

Was sollte man darauf antworten?

„Fushimi-kun?“, antwortete ich schmunzelnd. Sein verblüffter Ausdruck war einfach zu schön anzusehen.

Er warf mir einen bösen Blick zu, als wäre meine nur meine Antwort schlecht formuliert und überdachte seine Frage neu.

„Was genau wollen Sie in meinem Bett?“

Um genau zu sein, liegen, um mich auszuruhen.

Ob du es glaubst oder nicht Fushimi-kun, auch Könige werden müde.

„Ich bin hier, um dir Gesellschaft zu leisten, und da du im Bett liegst, dachte ich, ich komme zu dir“, war allerdings die Antwort, die ich ihm gab. Und sie entsprach wenigstens genauso der Wahrheit, wie meine Gedanken zuvor. Es klang nur weniger dreist. Und eigentlich war es auch gar nicht meine Art, als ungebetener Gast in Wohnungen zu kommen und dort das Bett zu beschlagnahmen. Aber normalerweise war es auch nicht meine Art mir freizunehmen. Oder einen meiner Mitarbeiter zu besuchen während er krank ist. Außerdem war ich viel zu müde, um mir Sorgen darüber zu machen, ob was ich tat, wirklich meine Art war.

Fushimi sah mich einen Moment enttäuscht an.

„Müssen Sie nicht arbeiten?“

Ja, er wollte mich nicht hier haben, aber an seiner Tonlage konnte ich hören, dass er seinen Widerstand aufgab.

„Es ist Mittagspause.“

Ich warf schnell einen unauffälligen Blick auf die Uhr, aber ich hatte nicht gelogen. Es war tatsächlich noch Mittagspause.

„Hm…“

Das war für eine Viertelstunde das Letzte, das gesagt wurde. Fushimi hatte sich wieder von mir weg gedreht und schien mich erneut voll und ganz auszublenden. Etwas enttäuschend war es schon. Schließlich war mein Besuch ja in erster Linie wirklich gut gemeint gewesen und ich hatte gehofft, er würde sich darüber freuen, aber wenigstens war mir hier unter der Decke im warmen Bett meines Favourites nicht mehr kalt. Schlaf wob sein Netz um mich und ich war dabei einzudösen, als ich merkte, dass sich mein Gastgeber anspannte. Irritiert bemerkte ich, dass ich im Halbschlaf den Arm um ihn gelegt haben musste. Ich lächelte leicht.

„Entspann dich, Fushimi-kun. Du kamst mir nur so kühl vor. Soll ich wieder gehen?“

Es war eine Lüge, aber es war mir egal. Es war ein schönes Gefühl, ein wenig Nähe zu haben, besonders die seine und es schien ihn ja auch nicht wirklich zu stören. Jedenfalls beschwerte er sich nicht. Er antwortete überhaupt nicht auf meine Frage. Ich unterdrückte ein Seufzen. Fast hätte ich mir eine Antwort gewünscht. Es war schon immer schwer gewesen, seine Gedankengänge nachzuvollziehen, besonders in ausgefallenen Situationen wie jetzt. Ich würde wohl nicht erfahren, wie er darüber dachte. Und ich würde einen Teufel tun, ihm mein Denken mitzuteilen. Ich hatte eine ungefähre Ahnung, warum ich hier lag und lächelte, während ich ihn leicht im Arm hielt. Wenn es ihm egal war, konnte ich ja so liegen bleiben. Mir war es nicht egal. Ganz im Gegenteil. Ich lächelte etwas traurig.

Wenn du wüsstest, was ich für dich empfinde, würdest du mich keine zehn Meter mehr an dich heranlassen. Aber du musst ja nicht alles wissen.

Ich behielt das Lächeln bis ich einschlief.
 


 


 

Fushimis POV

Als ich aufwachte spürte ich noch immer Munakatas Atem im Nacken und seinen Arm an meiner Hüfte. Er schien noch zu schlafen. Zweifelnd warf ich einen Blick auf die Uhr. Die Mittagspause war jetzt definitiv vorbei. Kurz überlegte ich, ihn zu wecken, aber mich weckte schließlich auch niemand, wenn ich meine Schicht verschlief. Außerdem sah er aus, als hätte er den Schlaf dringend nötig. Jetzt, wo ich wacher war, sah ich all die kleinen versteckten Zeichen, die mir heute Morgen noch entgangen waren. Die dunklen Schatten unter den Augen, wie unnatürlich blass er war und- vielleicht bildete ich mir das auch ein- aber auch seine Haare wirkten irgendwie…matter, aber vielleicht war daran auch mein Bett schuld.

Warte, seine Haare sind matter? Auf was für einen Mist achtete ich da eigentlich?

Ich drehte meinen Kopf wieder nach vorne und entspannte mich. Ich war einfach ein aufmerksamer Mensch. Außerdem hatte ich ihn in letzter Zeit wirklich mehr als oft genug gesehen.

Meine Gedanken setzten einen Moment aus, als ich eine Bewegung hinter mir spürte.

Ist er wach?

Irgendwie enttäuschte mich diese Vorstellung. Warum das so war, konnte ich nicht genau sagen. Vielleicht weil ich keine Lust auf Konversation mit ihm hatte und mich sein andauerndes Lächeln langsam aber sicher in den Wahnsinn trieb…Vielleicht aber auch, weil ich es eigentlich gerade schön fand. Die Wärme und das Gefühl von Nähe, dass er mir gab, während er da hinter mir schlief. Wer weiß, es könnte tatsächlich sein, dass seine Idee, mich zu besuchen gar nicht so schlecht war, wie sie mir vorhin noch vorgekommen war.

Ich hoffte einfach, dass er noch schlief und keine Ahnung hatte, dass er eigentlich schon lange wieder auf der Arbeit sein müsste. Von mir aus konnte es gern noch einen Moment so bleiben.

Der Arm auf meiner Körper bewegte sich leicht. Er war wohl doch wach. Ich seufzte.

„Gut geschlafen?“, fragte ich leise. Es war als Test gemeint.

Ein gegrummeltes Ja zeigte mir, dass ich recht hatte.

Lass ihn nicht auf die Uhr sehen.

„So spät schon?“

Wann hatte ich eigentlich mal Glück?

„Ein Glück habe ich mir für heute frei genommen.“

Ich lächelte leicht und drehte den Kopf, um meinen König anzusehen. Er lächelte ebenfalls. Ich kuschelte mich tiefer unter die warme Decke, die gerade groß genug war, als dass wir sie uns problemlos teilen konnten. Ja, ich musste es wirklich zugeben, dass ich es mochte, Zeit im Bett mit meinem Captain zu verbringen. Ich grinste kurz bei dem Gedanken, wie seltsam und falsch sich das anhörte. Es waren lediglich ein Bett, eine Decke, Nähe und Wärme, die wir uns teilten und an der Art wie bedacht Munakata mit mir umging, bezweifelte ich, dass ich mit „Schlimmerem“ rechnen musste. Wir lagen eine ganze Weile so still da, bis Munakata das Schweigen brach.

„Fushimi-kun…“

Ich sah ihn an. Er mich nicht. Verwundert betrachtete ich sein Profil. Es war sehr ungewöhnlich für ihn, mich bei einem Gespräch nicht anzusehen. Besonders nicht, wenn er es angefangen hatte. Das war unhöflich und widersprach seinen Prinzipien.

„Ja?“, fragte ich nach einem kurzen Zögern.

„Woran denkst du?“, fragte er leise.

Die Frage überraschte mich.

„Nichts“

Eine kurze Stille trat ein, ehe Munakata sie noch leiser als zuvor schon erneut unterbrach.

„Gehört dieses Nichts zufällig zu HOMRA und fährt gerne Skateboard?“

Er sah mich immer noch nicht an. Ich dagegen starrte regelrecht. Es war klar, dass er Misaki meinte, und ob ich an ihn dachte? Das war eine dumme Frage. Natürlich. Ständig. Aber sollte ich das antworten? Andererseits hatte ich ihn in letzter Zeit schon oft genug angelogen oder?

Er hatte mein Zögern bemerkt und drehte den Kopf nun doch wieder zu mir. In seinem Gesicht war nicht zu lesen, was er dachte. Wie immer eigentlich. Ich zögerte noch immer, dann nickte ich leicht.

Er seufzte und schloss kurz die Augen. Ich hörte ihn leise etwas sagen, verstand es aber nicht. Dann öffnete er die Augen wieder. Er sah irgendwie traurig aus. Vielleicht hatte er sich eine andere Antwort erhofft. Ich beobachtete, wie sein Blick zur Decke wanderte. Erneut sagte er etwas Leises- vermutlich zu sich selbst- doch diesmal verstand ich es.

„Was ist es?“

Ich sah ihn fragend an.

„Was ist was?“, fragte ich nach einer kurzen Pause vorsichtig.

Er sah wieder zu mir.

„Was dich so an ihm fasziniert. An ihn bindet. Ich verstehe es einfach nicht.“

Ich sah in seine immer noch traurigen Augen. Mir wurde klar, dass ich keine Antwort wusste. Auf keine der beiden Fragen. Es war nicht so, als gäbe es keine. Ich hatte sicher meine Gründe, aber sie fielen mir nicht ein. Nicht jetzt, nicht in diesem Augenblick.

Munakatas Blick traf meinen und ich wich ihm aus. Ich fühlte mich unwohl. Irgendwie ertappt.

„Fushimi-kun?“

Ich hörte den unterschwelligen drängenden Unterton. Er wollte eine Antwort und ich hatte schon viel zu lange gezögert. Aber ich hatte nichts, das ich ihm sagen konnte. Keine Antwort.

Ich schüttelte einfach den Kopf, als wollte ich die Frage abschütteln.

„Du hast keine Antwort?“

Ich sah ihn immer noch nicht wieder an, aber es hörte sich fast so an, als würde er leicht schmunzeln.

Ich unterdrückte ein Seufzen und schüttelte erneut den Kopf.

„Was unterschiedet ihn dann von…mir zum Beispiel?“

Ich konnte nicht umhin, ihn jetzt anzusehen. Unsere Blicke trafen sich und ich hatte erneut das Bedürfnis wegzusehen. Ich spürte meinen Herzschlag unangenehm in meinem Kopf. Dieses Gespräch ging in eine Richtung, auf die ich kein bisschen vorbereitet war und die mir auch kein bisschen gefiel.

Eine lange Pause entstand, als ich nicht antwortete. Ich spürte wieder den wachsenden Druck, unter Munakatas forschendem Blick antworten zu müssen.

„…Sie sind einfach anders.“

Diesmal sah ich, wie er schmunzelte. Er stützte den Kopf in eine Hand und sah mich mit einer Mischung aus Neugier und Amüsement an.

„Wie bin ich denn?“

Verdammt! Wieso hatte ich damit nicht gerechnet? War das eine Fangfrage? In diesem Kontext mit Sicherheit.

„Anders?“, wiederholte ich trotzig. Ich weigerte mich, ihm eine detaillierte Antwort zu geben. Meine Meinung ging ihn nichts an.

„Weichst du etwa meiner Frage aus, Fushimi-kun?“

Wie kam er denn auf DIE IDEE?! Ich antwortete nicht.

„So schwer ist die Frage doch nicht oder?“

Vermutlich war sie das wirklich nicht, aber bedeutete das, dass ich sie unbedingt beantworten musste? Ich seufzte, dann sah ich kurz weg und schloss die Augen. Mir blieb wohl keine andere Wahl. Locker lassen würde er sicherlich nicht.

Wie war mein Captain denn?

„Freundlich,“, sagte ich leise.

-ein übertrieben höflicher, überfürsorglicher Stalker um genau zu sein -

„Intelligent,“

-besserwisserisch-

„Selbstsicher,“

-wohl eher arrogant-

zu „ehrlich,“

„mitfühlend…“

-naja, aufdringlich-

Ich hielt inne. Mir fiel nichts mehr ein und mein Kopf drehte mir sowieso alles herum, was ich sagen wollte. Ich sah ihn wieder an. Belustigt sah er nicht mehr aus, auch wenn er noch immer leicht lächelte. Irgendwie war es mir unangenehm, irgendwie peinlich. Es musste gewirkt haben, als hätte ich ihm Komplimente machen wollen. Mich einschleimen. Naja, vielleicht stimmte das auch ein bisschen. Wenigstens wurde ich nicht rot.

„Ich fühle mich geschmeichelt, Fushimi-kun. Auch wenn ich sicher bin, dass das nicht alles ist, was du gerne sagen würdest…“ Er machte eine längere Pause. „Also ist dein Freund unfreundlich, dumm, verlogen und verletzend?“

Ich sah weg. Es verletzte mich wie er über meinen Misaki redete, aber trauriger Weise hatte er bis zu einem gewissen Punkt recht. In diesen Sachen war der eine praktisch das Gegenteil des anderen. Das laut zugeben tat ich allerdings nicht.

Plötzlich spürte ich eine sanfte Hand an meinem Kinn. Ich zuckte zusammen und verkrampfte leicht. Ich folgte widerwillig der Bewegung seiner Finger und sah ihn nun wieder an.

Sein Lächeln war fast ganz verschwunden.

„Wäre ich dann eine so viel schlechtere Wahl?“

Ich sah ihn noch völlig überrumpelt an, als er sich unerwarteter Weise zu mir lehnte und mich sanft küsste. Auch ohne dass er mein Kinn festhielt, hätte ich in keinster Weise mehr reagieren können. Ich war viel zu überrascht dafür. Seine Lippen waren weich und obwohl er keinen Sinn für Abstand oder Freiraum hatte, war der Kuss kein bisschen fordernd oder aufdringlich. Lange halten tat er allerdings auch nicht. Munakata löste ihn recht schnell wieder. Vermutlich hatten meine fehlenden Reaktionen ihn verunsichert. Ich sah ihn an und irgendwie spürte ich seine Lippen noch immer auf meinen. Jetzt, da ich wieder in der Lage war, zu reagieren, wusste ich nicht wie. Er lächelte mich leicht an und ich lächelte unsicher -unsicher, aber ehrlich- zurück.

„Entschuldige, wenn du das als unangebracht empfandest.“

Ich sagte immer noch nichts. Die Situation überforderte mich etwas und ich war noch dabei meine Gedanken immer wieder neu zu ordnen, denn ein kleiner Aspekt konnte da nicht stimmen. Es hatte mir gefallen.

„Lass uns einfach so tun, als wäre das nie passiert“, fügte er nach einem weiteren Moment meines Schweigens hinzu.

Ich sah ihn an. Irgendwie machte mich diese Aussage traurig.

„Captain?“

Ich wusste nicht einmal, was ich sagen sollte, aber ich hatte das Gefühl irgendetwas tun zu müssen, ehe er diese Maßnahme wirklich ergriff. Er erwiderte meinen Blick. Mir fehlten die Worte.

„Ich-…“

Dann lehnte ich mich nach vorne und küsste ihn und diesmal war er der Überraschte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich weiß, das war jetzt eigentlich genau dasselbe, aber es war mir einfach wichtig euch die Möglichkeit zu geben, Motive, Interpretationen, Gedanken und Verhalten zu vergleichen. Naja, ihr könnt mir ja sagen, wie ihr das mit der Zweitperspektive findet. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (9)

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Von: abgemeldet
2016-09-01T17:38:41+00:00 01.09.2016 19:38
Noooooin das kann nicht sein, wieso ausgerechnet hier?
An der Stelle auf die ich die ganze Zeit gewartet hatte! QAQ
Schreib bitte weiter... bitte D:
Von:  Glennstar
2015-08-31T12:36:44+00:00 31.08.2015 14:36
Das waren wieder tolle Kapitel.
In meinem Kommi wird es jetzt in erster Linie um Kapitel 11 gehen.

Ich finde es schön, wie du die Gefühle und Gedanken beschreibst.
Besonders bei Fushimi dessen Plan es ja eigentlich war, seinen König zu töten. Nur ob er das jetzt noch machen will?
Ich bin gespannt, wie du ihn jetzt weiter reagieren lässt. Der Kuss hatte ihn ja schonmal sehr überrascht und auch dazu geführt, dass Fushimi Munakata ebenfalls küsst. Nur was ist mit Misaki? Ich glaube nicht, dass er das einfach abstellen kann, selbst wenn er wollte. Dafür war er zu sehr auf den Skater fixiert.

Direkt am Anfang des Kapitels merkt man wieder, wie Fushimi von allem mitgenommen wird. Dass du geschrieben hast, dass er sich fühlt als wäre es drei Uhr nachts und nicht schon Tag, gefällt mir gut.
Die Verwirrung, die er empfindet, als Munakata vor der Tür steht, kann man ihm wohl nicht verübeln. Schließlich ist er gerade erst wachgeworden und hatte nicht damit gerechnet.
Ich hätte nicht damit gerechnet, dass Munakata sich einfach mal eben so neben ihn ins Bett legt, obwohl Fushimi so schlechte Laune hat, wobei das bei dem Jüngeren ja schon normal ist und sich Reishi nicht so leicht abschütteln lässt.

Das Gespräch der beiden, als Munakata fragt, was Fushimi von ihm denkt, finde ich richtig süß.
Der Umkehrschluss, wie Yata dann wohl sein muss ist hart, damit wird Fushimi erstmal zu kämpfen haben, denke ich.

Und dann diese Frage. "Wäre ich dann eine so viel schlechtere Wahl?"
Ich wüsste zu gerne, was Munakata in dem Moment gedacht hatte und ob das überlegt war oder eher impulsives Handeln.

Dank dir liebe ich das Pairing jetzt :D
Aber es gibt viiiiel zu wenig zu den beiden.

Liebe Grüße
Reika

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Von: abgemeldet
2015-05-05T16:41:52+00:00 05.05.2015 18:41
Hey ho~
Ich hoffe du liest mein Kommentar mal ;D
die FF ist der Hammer~
Richtig gut geschrieben~
Ich Fieber immer wieder mit Fushimi mit xD
also Hut ab~
ich hoffe es geht bald weiter ;D
bin gespannt was noch alles kommt~
Von:  Taka-Chan
2015-04-03T10:01:09+00:00 03.04.2015 12:01
Hallo,
Also diese FF ist sooo toll geschrieben und gefällt mir von der Idee her sehr gut! Würde mich sehr freuen wenns bald weiterginge, bin nämlich schon sehr gespannt was als nächstes passieren wird...;-)
LG
Von:  Glennstar
2014-05-10T10:36:05+00:00 10.05.2014 12:36
Hi :)
Ich habe gerade deine ff entdeckt und sie gefällt mir richtig gut!
Alle Kapitel konnte ich noch nicht lesen, weil ich gleich nochmal weg muss, aber von den ersten 7 konnte ich nicht genug bekommen.
Ich bin echt gespannt wie's weitergeht.
Das Lesen ist sehr angenehmen und auch wenn du manchmal die selbe Situation aus der anderen Perspektive nochmal beschreibst wird es nicht langweilig, das schafft nicht jeder ;)
Von:  ArisuYuki
2013-10-20T16:37:04+00:00 20.10.2013 18:37
Ich habe grade angefangen zu lesen :D
Von:  xNox
2013-08-25T19:20:56+00:00 25.08.2013 21:20
ich lese es immernoch °^°
*4ever alone*
Von:  xNox
2013-07-02T08:48:48+00:00 02.07.2013 10:48
...

WARUM MUSS DAS KAPPI SCHON ZU ENDE SEIN DADDY?!?! D:
schreib bitte schnell weiter ich will wissen wie es weiter geht T^T
Von:  xNox
2013-06-25T14:22:08+00:00 25.06.2013 16:22
*mich doll meld*
ich! ich hab interesse weiterzulesen!!
die ff ist richtig interessant ^^


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