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Imagination

von

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Sonntags und Freitags

Letzte Woche noch saß genau an dieser Stelle ein Mann. Ein grauer Mann. Heute ist es eine Frau ganz in grau gekleidet. Die Menschen ziehen an ihr vorbei und nehmen keine Notiz von ihr. Der Himmel über ihr ist grau, wie die Kirche auf deren grauen Stufen sie sitzt. Ihre Augen schillern bunt wie die Kirchenfenster und sehen einfach alles.

Tauben sitzen zu ihren Füßen. Ich sehe sie. Wie ich auch den Mann sehen kann, der jeden Sonntag dort saß und den Frauen, die an ihm vorbei die Treppen hinauf gingen, unter die Röcke schaute. Jeden siebten Sonntag saß er dort und nahm von mir keine Notiz.

Die Frau jedoch machte mir Angst. Sie saß jeden Sonntag nach dem Mann dort. Ihre allsehenden Augen waren grausam. Das Lächeln auf ihren Lippen galt mir und war ein Versprechen. Obwohl sie die Lippen nie bewegte, könnte ich schworen sie sagen zu hören „Schon Bald, mein Kind. Schon bald.“ Ich nenne Sie Magdalena Ashtray.

Magdalena wie der Name der Kirche vor der sie saß und Ashtray weil sie so grau war, aus ihren Augen jedoch eine bunte Fülle zu kommen schien. Beide, Mann und Frau, wirkten wie in die Welt hinein gegossen aus ein und demselben Gusseisen. Als wären sie in diese Welt hinein gewoben wurden von einer alten Blinden, die nicht sehen konnte wie sehr sie nicht zu den anderen Fäden der Welt passten.
 

Blind waren auch die Menschen, die an ihnen vorbei gingen. Bald nach dem unheimlichen Versprechen der Frau, zogen meine Eltern mit mir in eine andere Stadt, wohin mir weder der Mann noch die Frau folgten. Die Stadt war auch nicht mehr so grau. Sondern bunt, was mich mit großer Erleichterung erfüllte. Nichts was so grau war wie diese beiden falschen Fäden könnte mir hierher folgen. Es gab mehrere Kirchen in verschiedenen Gemeinden. Aber keine davon besuchten meine Eltern und ich jemals. Meine Eltern hatten keine Zeit. Sie waren Lehrer an einer höheren Schule. Ich selbst hatte immer sehr viel Zeit. Und Langeweile auch. Bei meiner Großmutter, die dazu verdonnert wurde auf mich acht zu geben, gab es nicht viel für ein Mädchen wie mich. Langeweile war für mich schon beinahe so greifbar wie jenes unheimliche Paar. Sie besuchte mich regelmäßig nach den Hausaufgaben.
 

Großmutters Cottage stand weit ab vom Schuss und hatte einen großen Garten. Wann immer mir die Langeweile wieder auf den Schultern saß wie ein übermächtiger Huckup, das war meistens Freitags der Fall, ging ich in den Garten. Genau hinter der Hecke und den Rosenrabatten war das Tor hinaus. Hinaus auf die Felder mit tiefen Furchen für Kartoffel.

Ein Stück weiter noch um die Ecke, wo wilde Primeln wuchsen Keuschbaum, Baldrian und Schafsgabe. Wo das Elfenkraut die Sonne grüßte. Genau an diesem Ort wenn ich mich viermal im Kreise drehte und die Augen schloss, wenn ich viermal vier Schritte vor und zurück trat, da war Caleb. „Hast mich vermisst?“ Ich wagte es nie ihm eine Antwort zu geben.

Ich sah ihn lieber an. Seine Kleider waren braun wie Sandelholz und eine Spur rötlich wie Safran. Seine Haut war wie helle Vanilleblüten. Seine Haare von einem kräftigen wuchs und rot wie wilde Erdbeeren. Eindrucksvoll waren seine Augen. Sie waren kristallblau, wie ein tiefer Ozean dessen Grund man nicht erahnen konnte. Caleb Blackthorne nannte ich ihn.
 

Caleb schwarzer Stachel. Nichts an Caleb stach so sehr wie sein schwarzer Humor, der mich zum Lachen bringen sollte. Ich wagte es mich nie zu lachen, obwohl er sein Bestes tat. Sein schwarzer Humor war wie Dornen einer schönen Rose.

Ich erinnere mich noch genau, wie er mir Bilder von seinen Abenteuern zeigte. Der grüne Rasen mit Gänseblumen und altem Laub war seine Kinoleinwand. Die Luft war elektrisiert und schwamm vor meinen Augen wie die hitzige Illusion einer Fata Morgana.

Die Blumen und Kräuter hinter mir schwiegen, obwohl der Wind ihre Blüten und Blätter streifte. Caleb zeigte mir seine Streiche.
 

Bei einem, das weiß ich noch als wäre es gestern, da war er ein Diener von einem furchtbar großen Kerl, der zwei Händevolle starker rauer Männer befehligte.

Die Haare des Mannes waren lang und schienen lange nicht gewaschen worden zu sein. Ein großes Schwert hing an seiner Hüfte und er trug seinen Kopf mit stolz auf den kriegerischen Schultern. Caleb war sein Diener und stellte sich unmöglich an. Er schnallte die Gurte nicht richtig, er ließ die Suppe überkochen und das Fleisch verbrennen.

Kein Stiefel, den er putzte passte jemals zu einem anderen mehr. Bis zu dem Tag, an dem der Große ihn beim Schlafittchen packte und schimpfte. Caleb schenkte ihm mit Beteuerungen der Unschuld ein Pferd als Wiedergutmachung. Das Pferd obwohl ein gewöhnlicher Gaul, ließ sich keine Zügel anlegen und schäumte wütend auf.

Die Meute von wilden Männern konnte das Tier nicht halten. Einer nach dem anderen saßen sie auf, um das Tier am davongaloppieren zu hindern.

Doch selbst vierzehn starke Männer auf dem Rücken, brachten kein Halten. Das Pferd rannte mit ihnen davon und sie wurden nie mehr gesehen.
 

Caleb erzählte mir diese Geschichte oft. Es war sein absolutes Lieblingsabenteuer. Meines auch. Es brachte mich fast immer dazu beinahe zu vergessen, dass ich mich eigentlich gar nicht traute zu Lachen. Ein anderes Abenteuer erzählte er mir auch sehr oft.

Ich weiß noch das ein Esel darin vorkam, der eigentlich gar kein Esel war, sondern ein armer Schauspieler, der mit seiner Truppe in den Wald hinein ging, in der Königin Revier.

Der arme Wicht wurde von Caleb verzaubert hässlich zu sein. Ihm wuchsen lange graue Ohren und seine Stimme war ein Krächzen. Aus seinem Hintern lugte sogar ein grauer Schwanz mit schwarzem Haaren hervor. Sein Gesicht war wild behaart und die Zähne waren viel zu groß. Die Königin liebte ihn jedoch, da auch sie verzaubert war.

Sie fütterte ihn mit den süßesten Beeren und gab ihm goldenen Blütensaft. Sie strich durch sein Haar und pries seine Schönheit. Was mich beinahe wirklich zum Lachen brachte, denn der arme Kerl war eindeutig hässlich, nur die Königin sah dies nicht.
 

Nun das Ende des Abenteuers oder war es nur eine Geschichte?, dass konnte ich nie unterscheiden, war doch sehr bedrückend. Doch wagte ich mich nie zu zeigen, wie traurig ich das Ende fand. Die Königin erwachte aus ihrem Zauber.

Sie fand den hässlichen Mann neben sich und sang ihm keine Lieder mehr. Allein ließ sie ihn dort liegen und verschwand mit ihrer tanzenden Schar.

Allein erwachte der arme Wicht mit Eselsohren und grauem Haar im Gesicht. Er weinte um die schöne Königin, die ihn hatte verlassen.

In einem tiefen Schlaf fiel er und ihm wurde die Gnade des Königs zuteil. Aufgelöst wurde der Zauber und Caleb führte ihn zurück zu der übenden Truppe von Schauspielern. Niemand hatte bemerkt wie lange der arme Wicht fort gewesen war.

Es wurde geprobt bis spät in die Nacht. Doch das Stück, dass sie aufführten am nächsten Tage war eine Katastrophe.
 

Ein Drama hatte es sein sollen. Eine Komödie war es am Ende. Obwohl sie nicht aufgeknüpft wurden, so war ihr Lohn nur die Rückkehr zum Alltäglichen.

Der arme Wicht musste zurück zu seiner armen Alten, die meckerte und schimpfte und keine Fantasie besaß. Grob erinnere ich mich nur noch an ein weiteres Abenteuer. Ein verirrter Reisender in einer fremden Welt.

Caleb zeigte mir nie in welcher Welt.

Aber mein Gefühl sagte mir, dass sie ferner nicht sein konnte. Auf einem Schiff durchfuhr er sie auf der Suche nach seinen verschwundenen Männern. Die See auf der er fuhr war klein und das Land war groß. Nichts schien wirklich wahr zu sein und doch gab es an diesem Ort keine Lüge. Das Alte war jung und das Junge blieb jung.

Vier Länder und vier Seen. Vier Königreiche und doch ein einziges. Es war hell und dunkel zu gleich. Die Seele ging, der Körper flog. Aber vielleicht trügt mich auch meine Erinnerung und ich habe es nur einmal geträumt.
 

Dies so waren einst meine Freitage. Meine Caleb Tage. Wenn ich zurückkam, von jenem Ort, wo das Elfenkraut wuchs, da stand das Tor im Garten weit auf und meine Großmutter wartete dort. Immer wenn die Sonne rote und orange strahlen warf und die Luft um mich herum nicht mehr wärmte. Die Arme hatte sie immer in die Hüften gestemmt.

Ihr Blick obwohl freundlich, war auch Ungeduldig. Wenn nicht sogar mit einem Schwung Vorwurf. „Und hattest du Spaß?“ Ich erzählte ihr nie von Caleb.

Caleb gehörte mir ganz allein. Niemanden erzählte ich von Caleb. Ich nickte immer nur artig und antwortete brav, denn in der Küche auf dem Tisch mit der Blumendecke da stand ein Teller mit Biskuit und Marmelade.

Manchmal auch, wenn ich nicht zulange die Abenteuer von Caleb sah, stand dort eine Schale mit geschlagener Sahne. Aber wirklich nur manchmal. Eine große Kanne stand auch dort. Sie dampfte herrlich und lockte mit dem Geruch von frischem schwarzen Tee oder Früchten. Und eines wusste ich genau, wenn ich alles gegessen und getrunken hatte, so wurde es Zeit ins Bett zu gehen und ein Licht an zu machen, damit ich nicht an die Sonntage denken musste.



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