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Geschichten aus dem Alltag

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Martin - Zivilcourage

Mein Name ist Martin, ich bin Student. Was ich studiere, spielt keine Rolle in der folgenden Geschichte, die ich wohl nie vergessen werde.

Ich habe viele Freunde und komme kaum hinterher, mich mit jedem zu treffen. Jedoch haben alle Treffen eines gemeinsam: wir gehen immer in dasselbe Cafe.

Wir lachen, trinken, essen und schließlich gehen wir nach ein paar Stunden wieder.

In den ersten Monaten ist sie mir gar nicht aufgefallen. Ein Mädchen, nicht unbedingt hübsch oder auffällig, saß dort manchmal mit ihrer Freundin und trank einen Milchkaffee, während sie sich von einem anderen Mädchen, höchstwahrscheinlich eine Freundin, einen Monolog anhörte. Ihre Reaktionen waren eher verhalten, als würde sie sich nicht interessieren. Ein Kopfnicken hier, ein Lächeln da. Eines Abends jedoch, ging ihre Freundin eher als gewöhnlich. Das Mädchen blieb noch länger, als warte sie auf jemanden. Sie schaute aus dem Fenster und wimmelte aufdringliche Kellner mit einem flüchtigen Lächeln und einem Kopfschütteln ab. Ich beachtete sie nicht, schließlich kannte ich sie kaum. Ein paar monatelang sah ich sie nicht, doch plötzlich saß sie wieder am selben Tisch, trank Milchkaffee und schaute aus dem Fenster. Es war Winter, deswegen dachte ich sie wolle sich nur aufwärmen. So saß sie wohl wieder stundenlang, was mir jedoch in den ersten Wochen nicht so sehr auffiel. Erst nach 14 Tagen fiel sie mir das erste mal bewusst auf. Sie saß immer alleine am Tisch. Ich fragte eine Kellnerin ob sie sie kannte, es könne ja sein sie warte auf eine von ihnen. Die Kellnerin verneinte dies jedoch. Ich machte mir keine Sorgen um das Mädchen und vergaß es auch schnell wieder.

In den folgenden Wochen ging ich nicht mehr in dieses Kaffee. Die Bars waren interessanter und leichter bekleidete Mädchen haben sich in meine Gedanken gedrängt.

Als der Schnee endlich weg war, und es wieder wärmer wurde, lud ich ein Mädchen in eben dieses Cafe ein. Sie redete viel, ich genoss die Sonne, während wir vor dem Kaffee an einem Tisch saßen. Ich hörte meiner Verabredung kaum zu und ließ meinen Blick schweifen, der schließlich auch durch die Fensterscheibe ging, wo ich das Mädchen wiedersah. Sie saß alleine an ihrem Tisch, und starte an mir vorbei. Ich erschrak, weil ich mich plötzlich an sie erinnerte. Ob sie wohl monatelang jeden Tag an dem Tisch saß?

Die Verabredung sah ich nie wieder und auch mit Freunden traf ich mich nun weniger. Das Mädchen interessierte mich mehr. Ich wollte wissen, was sie dazu bewegte, dass sie sich jeden Tag an diesen Tisch setzte, um nach ein paar Stunden wieder ging.

So ging ich jeden Tag in das Kaffee. Bald hatte ich herausgefunden, um welche Uhrzeit das Mädchen kam. Ich setzte mich immer 10 Minuten vor ihrem Erscheinen an einen Tisch, sodass ich sie von der Seite her beobachten konnte. Jeden Tag dasselbe Spiel: Sie kam, bestellte, trank, die Kellnerin verdrehte bei Verneinung der Frage, ob sie denn noch etwas bestellen möchte die Augen, bezahlte nach 3 Stunden und ging dann wieder. Ich folgte ihr manchmal, um zu sehen, ob sie vielleicht danach jemanden traf. Das war allerdings nie der Fall.Sie ging immer auf dasselbe Wohnhaus zu, verschwand in der Tür, und ein fahles Licht im dritten Stock ging an, dass nach ca. einer halben Stunde wieder verlöschte.

Das wiederholte sich drei Monate lang.

Dann, einen Tag im Juli, ich saß wieder in dem Cafe, kam sie zu spät. Setzte sich hin, bestellte, starrte aus dem Fenster, und dann liefen ihr Tränen die geröteten Wangen herunter. Es schien niemandem sonst aufzufallen, dass sie weinte. Sie kratzte sich mit der rechten Hand ihren linken Unterarm auf. Immer auf derselben Stelle. Sie biss sich auf die Unterlippe, während ihr Pullover langsam feuchte Flecken bekam. Ich traute mich nicht, mich zu ihr zu setzen, und sie zu fragen, was denn nicht stimme.

Von da an hatte sich ihr Ablaufplan geändert. Sie saß nun nicht mehr nur da und starrte as dem Fenster, sondern weinte leise, während sie sich ihren Unterarm zerkratzte.

Nach einem weiteren Monat schaffte ich es, mich zu ihr zu setzen. Sie beachtete mich gar nicht, doch ich fragte sie, warum sie sich jeden Tag an demselben Tisch zum Weinen setzte. Darauf antwortete sie nur: „Aus demselben Grund, warum du jeden Tag herkommst und mir beim Weinen zusiehst“. Ich verstand nicht was sie meinte, und so saßen wir 3 Stunden schweigend nebeneinander, bis sie ging. In den folgenden Wochen saßen wir wieder einzeln. Alles war wie gehabt: Sie beachtete mich nicht, weinte, und ich beobachtete sie.

Am 3. Oktober kam ich zehn Minuten zu spät. Hektisch betrat ich das Cafe und wollte mir schon meine Jacke ausziehen, als ich bemerkte, dass sie nicht an ihrem Tisch saß. Verwirrt fragte ich eine Kellnerin, die sagte, das Mädchen sei heute nur kurz reingekommen, kurz stehen geblieben und wieder gegangen. Ich verstand das nicht. Wieso macht jemand monatelang dasselbe, und dann auf einmal nicht mehr? War ich der Grund?

Ich erkundigte mich schnell bei der Kellnerin, in welche Richtung das Mädchen gegangen sei.

Schnell rannte ich hinaus und folgte der angegebenen Richtung. Ich wusste ihren Namen nicht, und konnte sie deswegen nicht rufen. Die Blicke der Passanten waren mir egal, ich wollte nur wissen, was mit dem Mädchen ist, was der Grund für seinen Sinneswandel war. Allerdings fand ich sie nicht.

Eine Woche später wollte sie mir immer noch nicht aus dem Kopf gehen. In dem Cafe auf sie zu warten, hatte ich inzwischen aufgegeben. Ich war in der Uni und langweilte mich zwischen den Stunden. Schließlich nahm ich eine Zeitung in die Hand und blätterte ein wenig darin rum, bis mir in einer unteren Ecke ein Bild auffiel. Es war das Mädchen, sie sah zwar jünger aus und lächelte, aber sie war es. Ich las schnell den dazugehörigen Artikel:

„Mögliche Gründe für den Selbstmord von Tanja P.:

Vor 6 Tagen hab wir über den Selbstmord von Tanja P. Berichtet. Die 20 jährige Studentin legte sich in der Nacht vom 1. auf den 2. Oktober auf die Schienen einer Straßenbahn und ließ sich von dieser überrollen. Das einzige was sie bei sich hatte, waren ein Lederportemonnaie und eine Serviette eines ortsansässigen Cafes. Zu den möglichen Gründen hat die Polizei nun folgendes herausgebracht: ' Nun, wir haben ihre Verwandten und Freunde befragt. Ihr Freund habe sich wohl am 1. Oktober 2012 von ihr getrennt, und ist wohl Anfang des Jahres mit einer ihrer Freundinnen zusammengekommen. Beide sind untröstlich und in psychiatrischer Behandlung. Die Eltern geben außerdem die mögliche Armut an. Sie hatte wohl kein Geld für die Heizkosten und konnte sich kaum noch die Studiengebühren leisten. Wohl ein Selbstmord aus Verzweiflung.'

Sowas gibt es noch in Deutschland. Unbeachtete Seelen, denen keiner hilft? Wir rufen zur Zivilcourage auf!“

Während ich den Artikel las, klappte mir immer weiter der Mund auf. Am Schluss wurde ich so wütend, dass ich die Zeitung zusammenknüllte und mit einem lauten Schrei gegen die nächste Wand schmiss. Mir war egal, wie die andren Studenten mich ansahen. Ob sie mich für verrückt hielten. Ich ließ meine Tasche stehen und rannte aus der Uni, über die Straße und den Berg hinunter. An meiner Wohnung, und an der es Mädchens vorbei. Durch eine Allee, mit Zierapfelbäumen. Schließlich konnte ich nicht mehr, und blieb schwer atmend und mir die Seite haltend stehen. Mir fiel eine der Blüten aus dem Haar. Ich stand genau vor dem Cafe wo ich sie das erste mal sah, und sie mir egal war.



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