Verfolgung durch die Straßen Chibas
Ungläubig starrte Sakura sekundenlang in Kabutos Gesicht, während er die kaputten Plastikwände der Ablage auf den Sitz vor ihnen warf. Ein hämisches Grinsen hatte sich auf seine Lippen gelegt, als er sich Sakura zuwandte. Er war der einzige in dem Abteil, der lächelte; der einzige, der nicht vor Schrecken zitterte oder jeden Moment die Nerven verlor.
Kabuto war so gelassen, wie Sakura ihn noch nie gesehen hatte. Unwillkürlich fragte sie sich, ob er etwas wusste – vielleicht, dass Hilfe unterwegs war oder dass es Shino gut ging. Doch Sakura schüttelte innerlich den Kopf; Kabuto interessierte sich für Rang und Ansehen, aber sicher nicht für seine Mitmenschen.
„Der Zug wird jeden Moment halten!“, rief Kabuto unerwartet. Obwohl er Sakura dabei keine Sekunde aus den Augen ließ, richtete er seine Worte an die Fahrgäste, die sich ihm erleichtert zuwandten wie einem Retter. „Sobald der Zug steht, werden wir die Türen aufschlagen. Nehmt die Notfallhammer aus dem Verschlag!“, rief er seine Anweisung, als hätte er sie von General Ishida persönlich bekommen. „Wenn die Türen geöffnet sind, werdet ihr den Zug ohne Hast verlassen! Ohne Hast, habt ihr verstanden? Wenn ihr euch gegenseitig umrennt, wird überhaupt keiner entkommen. Also bewahrt Ruhe und achtet auf den, der neben euch läuft!“
Auch so kannte Sakura Kabuto nicht. Sein sonstiges Auftreten war stets unterwürfig, wenn auch arrogant gewesen. Ebenso hätte sie nie geglaubt, ihn sich für Fremde einsetzen zu sehen.
„Los, kommt endlich!“ Kabuto hielt Momokos Mutter die Hand entgegen, half ihr auf und führte sie mit ihrer Tochter zusammen ohne Gegenwehr zu den verschlossenen Türen. „Du auch, Sakura!“, rief er sie zu sich, und obwohl sie sich erst sträuben wollte, bahnte sie sich den Weg an den Menschen vorbei.
„Hat dich Ishida geschickt?“, murmelte sie verbissen. Sie musste sich mit ganzer Kraft an der Halterung festklammern, weil der Zug seine Bremsbemühungen verstärkte. Nicht mehr lange, und sie würden zum Stehen kommen. Sakura konnte nur hoffen, dass sich die Menschen an Kabutos Anweisungen hielten.
„Es dreht sich nicht alles um dich, Sakura. Ich war zufällig in dem Zug.“ Kabuto zuckte schlicht mit den Achseln. „Was hast du denn wieder angestellt?“
„Ich soll dir abkaufen, dass Ishida mich nicht Suchen lässt?“
„Ist mir ziemlich egal, was du glaubst. Aber ich würde dir raten, an meiner Seite zu bleiben, wenn sich die Türen öffnen. Wir wollen doch nicht, dass dir was zustößt?“ Er grinste auf seine typisch arrogante Weise, die Sakura so sehr hasste. Trotzdem hatte sie nicht vor, auf seine Hilfe zu verzichten; sollten die Leute erneut in Panik verfallen, würde alles außer Kontrolle geraten.
„Mach dir keine Gedanken, wir schaffen das“, flüsterte Sakura Momoko zu, die neben ihr stand und sich verzweifelt an ihre Mutter krallte.
„Jetzt geht’s los“, sagte Kabuto, als der Zug endlich hielt. Er nahm einen der Hammer entgegen, den ihm ein älterer Mann reichte. „Tretet ein Stück zurück!“ Er donnerte kräftig gegen die Scheibe der Tür, und als sie nachgab, halfen ihm etliche Hände, beide Hälften auseinanderzuschieben. „Beeilt euch, aber bleibt ruhig. Euch passiert nichts, solange ihr die Nerven behaltet. Geht geradeaus bis zur Straße und sucht den nächsten Bunker auf. Jetzt los!“ Er griff Sakuras Hand und zog sie energisch hinter sich her. Kaum, dass sie ins Freie traten, hörten sie auch schon die Sirenen, von denen sich immer mehr anschalteten, bis die das ganze westliche Chiba zu heulen schien.
Als Kabuto sie über den Asphalt der nahen Fabrik zog, mit hundert anderen Menschen im Rücken, blickte Sakura in der Hektik über ihre Schulter zurück. Die Mechas waren groß genug, um sie auch von hier zu sehen. Naruto kämpfte nach wie vor mit dem Feind und Sakura betete, dass er bald Unterstützung bekam.
„Sind schon andere informiert?“, fragte sie Kabuto, der so schnell lief, dass sie Seitenstechen bekam. „Hat Naruto allein überhaupt eine Chance?“
„Hilfe ist unterwegs“, sagte Kabuto rau und zog Sakura an einem mächtigen Zaun aus Stacheldraht vorbei. Die Straße lag unmittelbar vor ihnen und einige Flüchtende begangen zu rennen. Auch Kabuto lief nun, doch er zog Sakura von den anderen fort durch eine Gasse.
„Wo willst du hin?“, fragte Sakura, als sie sich dessen bewusst wurde. „Sollten wir nicht …“
„Ich muss zum Hauptquartier, Sakura. Außer mir ist nur noch Hinata Hyuuga in der Lage, einen Mecha zu steuern. Und Hinata wird Naruto kaum nützen; sie wird ihn mit ihrer Unerfahrenheit höchstens in Gefahr bringen! Dank dir müssen wir ja auf unseren besten Piloten verzichten!“
„Dank mir?“
„Du hast Sasuke doch den Kopf verdreht, damit er für dich eintritt. Deswegen sitzt er jetzt ein. Der General wird kaum einen Rückzieher machen und ihn freilassen, dafür ist er zu stolz!“
„Aber das ist doch Wahnsinn!“ Sakura blieb erschrocken stehen. „Die Stadt ist in Gefahr! Naruto und Hinata … Das kann er doch nicht machen!“
„Dann geh zu ihm und bitte um Sasukes Freilassung! Mach gut, was du verursacht hast!“
„Aber ich habe doch nichts …“ Und warum wollte Kabuto, dass sie zu Ishida ging?
„Natürlich hast du! Du benimmst dich wie ein verzogenes Kind! Wohin wolltest du grade, hm? Los, sag es mir!“ Er griff sich wieder Sakuras Arm und zog sie heftig zu sich. „Wenn ich dir eine Frage stelle, will ich eine Antwort haben!“
„Lass los, du tust mir weh!“
„Wohin wolltest du, Sakura? Noch mehr Ärger machen? Die Stadt wird wegen dir zerstört! Der Mecha wird zum Hauptquartier wollen, und Naruto wird ihn nicht aufhalten können. Hinata wird verletzt werden oder schlimmeres!“
„Hör auf!“, rief Sakura und hielt sich instinktiv die Ohren zu. „Das ist nicht wahr!“
„Doch, ist es. Also sag mir jetzt die Wahrheit! Was hast du vor?“
„Nein!“, keifte Sakura, doch da traf sie schon die Ohrfeige. Rücklinks fiel sie zu Boden, kauerte sich weinend auf die Knie und hielt sich die gerötete Wange. „Du kannst mich mal!“
„Ach ja?“ Kabuto spuckte auf die Straße, dann grinste er breit und bäumte sich vor Sakura auf. „Wenn das so ist …“ Er wollte sie bei den Füßen packen, doch Sakura riss sich rechtzeitig zusammen und stieß ihn mit einem Tritt zwischen die Beine zurück. Während Kabuto sich schmerzverzerrt krümmte, rappelte sich Sakura auf und rannte los. Sie hörte seinen wütenden Schrei und seine Stiefel, die auf dem Asphalt widerhallten. Er verfolgte sie, und es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis er sie erwischte.
Sakura rannte aus der Gasse und hoffte, im Tumult auf der Straße unterzugehen. Doch die Straßen lagen bereits leer vor ihr – nur vereinzelt rannten noch Menschen vorbei, die alle zum nächsten Bunker unterwegs waren. Sakura atmete kurz durch, dann sprintete sie auf die andere Seite und in die entgegengesetzte Richtung. Sie wusste nicht, wohin sie sollte; sie wusste nur, dass sie Kabuto entkommen musste, bevor er sie in die Finger bekam.
Sakura schlängelte sich durch einen kaputten Zaun hindurch und rannte über ein abgesperrtes Gelände. Kabuto war noch immer hinter: er rief lautstark ihren Namen, während er die Spanne zwischen ihnen immer mehr verkürzte.
Sakura erreichte das rückseitige Gehöft der Anlage, sprang auf einen Müllcontainer und kletterte über den Zaun. Sie blieb hängen und sah kurz nach Hinten; Kabuto hatte aufgeholt und kam mit wutverzerrten Gesicht auf sie zu. Gerade im letzten Moment konnte sich Sakura unter dem Geräusch ihrer reißenden Jacke befreien, schmiss sie im Laufen fort und rannte noch einmal, so schnell sie konnte. Doch die schmerzende Lunge konnte sie nicht mehr lange ignorieren. Ihr ging die Puste aus, und sie wusste sehr wohl, dass Kabuto davon mehr besaß.
Sakura ließ das Fabrikgelände gerade hinter sich, da hörte sie unerwartet ein lautes Donnern. Erst dachte sie, es käme von einem Kampfjet, aber der Himmel war wolkenlos und nichts dergleichen war zusehen. Sie rannte weiter, doch als es wieder donnerte – so markerschütternd wie ein Erdbeben – kam sie ins Straucheln und fiel der Länge nach auf die Straße. Sie rappelte sich auf, doch Kabuto hatte aufgeholt; er war nur noch wenige Meter hinter ihr und sah wütender aus als je zuvor. Sakura überlegte, sich zu verstecken, rannte um die nächste Häuserecke und prallte direkt in jemanden hinein, der sie zu packen bekam, ehe sie zu Boden fiel.
„Tut mir leid“, schluchzte Sakura außer Atem, wollte sich befreien und schnell weiterrennen, doch die Hände ließen sie nicht los. Erschrocken blickte Sakura auf …
… und blickte direkt in Sasukes dunkle Augen.