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Ein Gott zu sein ist schwer

von

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Die Legende lebt

Unsere Ahnen überliefern seit Urzeiten die Geschichte eines jungen Gottes, der unter uns geboren wird. Von außergewöhnlichem Talent begleitet lebt er seine ersten 9 Jahre als geliebter Bruder unter uns, bis ihn der Himmel kennzeichnet. Das Zeichen überlebend und von da an auf der Brust tragend, muss der Stamm ihn der Wildnis zurückgeben und ihn seinen Weg als zukünftigen Gott gehen lassen. Lange vor meiner Geburt, so sagte man sich, wurden bereits drei andere Jünglinge dank dieser Geschichte ausgesetzt. Der erste war ein legendärer Bogenschütze. Als jüngster Krieger unseres Stammes durfte er die Männer etwa zwei Jahre lang auf der Jagd begleiten – die Jagd dauerte mit ihm gemeinsam niemals länger als einen halben Tag. Dabei war das bewundernswerte, dass er niemals auch nur ein Tier zu viel legte. Wir hatten immer genügend Rationen, ohne jedoch zu viel verderben zu lassen. Man sagt sich, dass dies seinem Respekt vor der Natur zu verdanken war.

Der zweite Jüngling war immens klug, erkannt jede Fährte, wusste gut mit Tieren umzugehen und erlernte neue Fertigkeiten sehr schnell. Ihm verdankte es mein Stamm auch, dass die Weißhäute unser Dorf nicht sofort zerstörten. Er erlernte ihre Sprache und kommunizierte mit ihnen, brachte ihnen unsere Kultur bei und lernte dafür ihre.

Der dritte Jüngling war schnell und körperlich fit. So hoch wie er, kletterte sonst niemand, so weit wie er sprang, sprang sonst niemand und für sein Geschick was Schnitzereien betraf, war er hoch angesehen. In meinem Stamm werden zwei Bögen von Vater zu Sohn weitergereicht, die angeblich von ihm gemacht wurden.

Totaler Humbug, oder? Das dachte ich auch für sehr lange Zeit. Bis mich meine Eltern tatsächlich mit 9 Jahren eines Nachts in der Wüste aussetzten. Es stimmt schon, ich bin talentiert. Ein gesunder Jüngling mit vielen Talenten. Ich konnte gut klettern, gut jagen, wusste so einiges mehr als andere in meinem Alter und konnte laufen wie der Wind. Durch meine Talente war ich bei allen beliebt und durch meine Beliebtheit dazu entschlossen, immer gutes zu tun, damit dieser quasi Ruhm im Stamm mir auch blieb, wenn ich einmal in den Stand des Mannes erhoben wurde. Doch damals wusste ich noch nicht, dass man in mir einen potentiellen, zukünftigen Gott sah.
 

Wie gesagt wurde ich deshalb mit 9 Jahren ausgesetzt. Und das obwohl schon drei Jünglinge vor mir ausgesetzt wurden. Warum, möchte man sich fragen. Nun, auch ich weiß es nicht. Aber ich weiß, warum ich diese Geschichte überhaupt erzählen kann. Weil sie wahr ist.

Mit 9 Jahren saß ich in einer Schlucht, von meinen Eltern verlassen, auf einem Stein und wartete. Worauf ich wartete wusste ich damals selbst nicht. Ich dachte nur, mich würde nach einiger Zeit sicher jemand abholen. Irgendwer. Und wenn es nicht meine Eltern waren, dann jemand anderer aus dem Stamm. Sie konnten mich doch nicht einfach alleine lassen. In der zweiten Nacht ohne Wasser oder Nahrung starrte ich benommen in den Sternenhimmel. Das Weinen hatte ich schon aufgegeben – es kostete zu viel Kraft und war umsonst, da niemand außer mir da war. Da bemerkte ich über mir einen Vogel. Und einen zweiten. Sie kreisten über mir. Aber es waren eindeutig keine Geier. Wie unnatürlich, dachte ich, bevor ich in einen unruhigen Schlaf fiel. Nicht lange, dann wachte ich wieder auf. Ein Rascheln in dem trockenen Busch weiter hinter mir ließ mich meinen Kopf wenden. Wie versteinert stand dort ein Wolf und starrte mich an, auf seinem Rücken eine Schneeeule. ‚Wie seltsam‘, war der letzte Gedanke, den ich fasste, bevor ich wieder einschlummerte. So ging es die ganze Nacht hindurch und sogar tagsüber sah ich die Tiere. Die Sonne brannte so stark vom Himmel herunter, dass ich mir sicher war, ich würde halluzinieren. Innerlich bereitete ich mich auf meinen Tod vor. Ich würde hier draußen sterben, so wie es die drei Jünglinge vor mir vermutlich auch getan hatten.

In der vierten Nacht donnerte es und es begann stark zu regnen. Ich war zu schwach, mich auch nur ein Stück weiter zu schleppen, um eine Höhle oder etwas Ähnliches zu finden. Neben mir sah ich plötzlich den Wolf stehen, er leckte mir winselnd über die Hand, zwängte sich neben mich auf den Stein und wärmte mich. Dankbar kuschelte ich mich an ihn, in dem Versuch seine Wärme aufzusaugen und zu speichern, und versank in Dunkelheit…
 

„Nein, hast du nicht!“

„Hab ich wohl!“

„Du hast gesa-“

„Ruhe jetzt, alle beide!“
 

Ich stöhnte leise und drehte mich auf die Seite. Mein ganzer Körper tat weh, in meinem Hals befand sich ein Kloß aus Staub. Als ich meinen Mund leicht öffnete, fühlte ich, wie meine Lippen aufplatzten. Doch selbst meine Zunge konnte nur das salzige Blut schmecken, nicht wie erhofft die trockenen Lippen befeuchten und den Schmerz lindern.
 

„Da habt ihr es, er ist wach. Nish, lauf los und hol frisches Wasser. Kyung, setz dich und sei brav.“
 

Ein Murren und schnelle Schritte, die sich von mir entfernten, antworteten der fremden Stimme. Ich lag anscheinend in einer Höhle, alles um mich herum war dämmrig und kühl. Von weit her sah ich ein Licht schimmern. Eine Silhouette schob sich vor das Licht und griff nach meiner Hand, die ich gerade gehoben hatte um zu sehen, ob ich tatsächlich noch am Leben war.
 

„Hier, nimm erstmal einen Schluck von meinem Wasser. Es ist nicht mehr das frischeste, aber es sollte deinen Durst lindern.“, sagte jemand neben mir. Meine Augen waren zu schwer, ich konnte sie kaum offen halten, geschweige denn etwas erkennen. Begierig schlang ich das Wasser herunter, weshalb es mir sofort wieder entzogen wurde.

„Nicht so hastig, sonst verschluckst du dich.“

Die Warnung missachtend trank ich weiter und verschluckte mich prompt. Verzweifelt versuchte ich mich aufzurichten, um leichter husten zu können, doch erst als mich Hände packten und aufsetzten, gelang es so richtig und ich konnte das Wasser neben mein kleines Bettenlager aus Fell ausspucken. Behutsam wurde mir auf den Rücken geklopft bis ich mich beruhigt hatte, dann legte man mich wieder hin. „Wie ich es gesagt hatte. Wie geht es dir?“, fragte mich die Stimme jetzt. Ich versuchte meine Augen aufzumachen und den Mann neben mir anzusehen. Schneeweißes Haar, grüne Augen und Adlerflügel waren das letzte was ich sah, bevor mich die Dunkelheit wieder besiegte und ich einschlief.
 

Die nächsten drei Tage verliefen ähnlich. Ich wurde wach, bekam Wasser und versank wieder in meinem Fiebertraum. Zu Beginn dachte ich auch, dass genau diese Träume für die Dinge verantwortlich waren, die ich sah. Der hilfsbereite Mann mit den Adlerflügeln behielt die Adlerflügel auch dann, wenn ich zum fünften Mal aufwachte. Eine weitere Person hatte eindeutig Wolfsohren und einen Schwanz… Es konnte für mich nur ein Fiebertraum sein. Entweder das, oder ich war wirklich in die ewigen Jagdgründe eingegangen und stand hier vor Göttern. Aber woher kamen dann diese endlosen Schmerzen, die Qual und das Feuer, das andauernd in mir brannte? Ich hatte ein gutes Leben geführt, man würde mich sicher nicht bestrafen wollen. Und dennoch, irgendetwas stimmte hier nicht. Irgendwo war etwas schief gegangen. Ach ja, dieser Blitz. Er schlug am Tag des Gewitters neben mir ein. Darum hatte ich auch diese Narbe auf der Brust. Und von da an ging alles bergab. Ich stöhnte genervt auf.
 

„Bist du bei Bewusstsein? Geht es dir besser?“, fragte mich der Adlermann und setzte mich vorsichtig auf. „Ich denke, ab jetzt darfst du dich ein wenig aufsetzten. Früher oder später solltest du wieder auf die Beine kommen, du liegst hier schon fast eine Woche.“

Ich riss die Augen auf. „Eine Woche?“, rief ich überrascht und bereute es sofort, da sich ein stechender Schmerz durch meinen ganzen Körper bohrte. „Nur ruhig. Erzähl mir erst mal, wer du bist und was du hier draußen machst.“, sagte der Adlermann zu mir. Ich betrachtete ihn misstrauisch, während er neben mir ein Feuer anheizte und einen Topf mit Suppe darüber warm machte. „Wieso erzählst du mir nicht erst mal von dir?“, konterte ich, noch immer misstrauisch.
 

„Natürlich! Du ärmster bist sicher total verwirrt. Jungs, kommt her!“, rief der Adlermann und von draußen kam ein Schneeeule hereingeflogen und von weiter hinten aus der Höhle kam ein Wolf, die sich beide, bei dem Adlermann angekommen, in ebensolche menschenähnliche Wesen verwandelten, wie er es war.
 

„Mein Name ist Matt. Das Federvieh neben mir nennt sich Nish und der Pelzknäul zu deinen Füßen ist Kyung.“, sagte Matt und deutete auf seine Freunde, die sich durch seine Bezeichnungen nicht im geringsten Beleidigt zu fühlen schienen. „Wie du sehen kannst sind wir keine Menschen… Aber ich denke, dazu sollten wir später kommen. Magst du dich jetzt auch vorstellen?“

Ich zögerte einen Moment, stellte mich aber letztendlich doch vor.

„Ich heiße Hok’ee, 9 Jahre, vom Stamm der-“

„Vergiss sowas wie Zahlen und deinen Stamm. Dein Stamm hat dich verlassen und den Göttern überlassen. Ab jetzt gehörst du zu uns.“, unterbrach mich Matt und stellte mir einen Becher Suppe vor die Nase. Ich blinzelte verwirrt. Anstatt noch länger zu zögern beschloss ich, während dem Gespräch zu essen. In meinem Kopf drehte sich alles und mein Magen knurrte. Die Suppe tat mir sicher gut. „Götter?“, fragte ich, während ich den Löffel mit Suppe füllte und zum Mund führte. „Naja, zumindest so etwas ähnliches…“, murmelte Matt und gab auch Kyung und Nish einen Becher mit Suppe, die sich dankbar um mich herum setzten und stumm aßen. Die beiden waren wohl nicht so gesprächig?

„Es gibt zwischen Menschen und Göttern keine Zwischenstufe, was soll „so etwas ähnliches“ also sein?“, sagte ich in meinem 9-jährigen Eifer um zu beweisen, dass ich solche Sachen schon gelernt hatte. Der Adler zog nur eine Augenbraue hoch und schwieg.

„Also wir sind keine Götter. Aber wir sind auch eindeutig keine Menschen. Was genau sind wir vier deiner Meinung nach dann?“, sagte Nish und sah mich mit erwartungsvollem Blick an.

„‘Wir vier‘?“, fragte ich ungläubig. „Ist hier etwa noch einer von euch versteckt?“

„Nein, er meint dich. Du wirst bald einer von uns, also wehr dich nicht zu sehr dagegen. Wir hätten dich nicht gesund gepflegt, wenn wir uns nicht sicher gewesen wären, dass du eine Chance hättest.“, sagte Matt. Ich war mir nicht sicher, was das alles zu bedeuten hatte, konnte aber keinen weiteren Gedanken darauf verschwenden. Das Essen hatte mich müde gemacht, ich fühlte mich schläfrig und ließ mich deshalb wieder auf mein Lager zurücksinken.

„Ja, denk vorerst nicht darüber nach. Schlaf dich gesund und wir reden morgen darüber...“, hörte ich Matt noch sagen, bevor ich schon wieder ins Land der Träume überging.
 

„In Ordnung, also ihr sagt, ich wäre ein Gott, den ihr auszubilden hättet? Ihr? Mich?“, fragte ich wohl schon zum zehnten Mal, doch Matt saß noch immer Geduldig neben mir auf meinem Bett und nickte. Er gab nicht auf und erklärte es mir nochmal.

„Die genauen Gründe für all das hier kennen wir selbst noch nicht genau, aber wir sind dazu da, die möglichen Anwärter auf eine Gottesposition zu prüfen. Und wenn wir sie für würdig halten, dann dürfen wir mit dem Training beginnen. Leider sind seit gut hundert Jahren keine guten Anwärter mehr für uns geopfert worden. Unser Leben war deshalb sehr ruhig. Aber jetzt bist du ja hier, darum würden wir in ein paar Tagen gerne mit dem Training beginnen. Es scheint dir ja inzwischen besser zu gehen. Wenn du die nächsten Tage ein bisschen hinaus kommst, sollte einem Trainingsbeginn nichts mehr im Weg stehen.“

Ich schüttelte verwirrt den Kopf und versuchte seine Worte zu verstehen. An sein Aussehen hatte ich mich schon gewöhnt, aber die Dinge, die er mir erzählte, wirkten so irreal und konfus, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte.

„Hör zu, Hok'ee, die Entscheidung sollte dir eigentlich ganz leicht fallen. Deine Familie hat dich verstoßen, du kannst noch nicht alleine überleben und hast nur uns. Wir werden dir helfen dich zu ernähren und dir alles Wichtige beibringen – und später kannst du dich immer noch dazu entschließen, dass das alles gar nicht so sein kann und dein eigenes Leben beginnen.“, schaltete sich Nish ein. Ich hatte schon herausgefunden, dass er eigentlich gerne mehr sprach, aber aus Respekt zu Matt oft lieber schwieg. Sofern sich die Gelegenheit aber bot, hatte er gleich den Schnabel offen. Wie passend, für eine Eule.

„Nish hat Recht! Du kannst uns sozusagen einige Zeit lang ausnutzen und später gehen, sofern dir diese Situation in ein paar Jahren noch immer so seltsam vorkommt wie jetzt. Was sagst du?“, fragte Matt und sah mich freundlich an. Sein Blick strahlte Wärme aus, fast wie die Augen meiner Mutter es getan hatten... Ich sah mich unsicher im Raum um, bis ich eine Schnauze in meinem Rücken spürte. Kyung sagte mir mit seinem Blick eindeutig, dass die anderen beiden Recht hatten. Und was konnte ich als 9-jähriger schon groß in der großen Wüste machen? Niemand würde mich mit offenen Armen empfangen und als Kind alleine gegen all die wilden Tiere anzukommen war nicht einfach. Ich nickte schließlich, worauf mich Matt freudig umarmte, Kyung eine Art bellen von sich gab und Nish anfing, um mein Bettenlager herumzuspringen.
 

„Dann müssen wir dein Versprechen nur noch festhalten. Komm her.“, sagte Matt, und stach mit einer Nadel in meinem Daumen. „Aua!“, schrie ich aufgebracht, konnte jedoch nicht schnell genug reagieren. Er hatte bereits seinen eigenen Daumen gestochen und seine Wunde auf meine gedrückt. Beinahe wie eine Blutsbruderschaft. Nish und Kyung drückten ihre blutenden Daumen ebenfalls noch auf meine Wunde, und so schien der Schwur also besiegelt. Ich wurde ab jetzt von einer Schneeeule, einem Wolf und einem Adler trainiert, um später einmal ein Gott zu werden! Oh Mann!



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