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Der Froschkönig

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Der Froschkönig

Gefangen in Lethargie, verstrickt in einem Spinnennetz aus Hoffnungslosigkeit und zurückgehalten von meiner eigenen Wut, waren es die herzzerreißenden Tränen eines Mädchens, die mich aus meiner bitteren Bewusstlosigkeit lockten. Schon wenige Augenblicke zuvor hatte ein leises Platschen schwache Wellen am Rande meines Bewusstseins erzeugt und als ich nun die Lider hob, erkannte ich neben mir einen Gegenstand, der stetig und gemächlich dem Grund des Brunnens entgegen strebte. Eine Kette, geschmiedet aus funkelndem Sonnengold und mächtiger, wispernder Magie.

Mein leerer Magen sehnte sich bei diesem ekelhaften Anblick danach sein Innerstes nach Außen zu kehren. Magie trug die Schuld an meinem Zustand. Magie und nichts anderes! Und falls mein Verstand sich nicht vollkommen verabschiedet hatte, dann heulte das Gör da oben wegen des Verlusts seiner ketzerischen Kette und störte mein wohlverdientes Selbstmitleid. Ich war hier derjenige, dem Tränen zugestanden hätten. Mein Herz schmerzte, als ich meine ehemals edle Hand nach dem Schmuckstück ausstreckte und dabei diese widernatürlichen, moosgrünen Schwimmhäute in mein Blickfeld gerieten. Nun, ein Prinz musste tun, was ein Prinz tun musste. Ich wollte meine Ruhe, die ich wahrscheinlich nur bekam, indem ich die Ausgeburt der Hölle berührte und sie seiner Besitzerin zurückbrachte.

Es fiel mir schwer mich zu bewegen, was mein Zeitgefühl mit Überraschung quittierte. War es wirklich schon so lange her, seitdem mich die Hexe in den Brunnen geworfen hatte? Nein, wahrscheinlich lag es an dem Körper, gegen den mein Geist sich sträubte. Frösche waren so unästhetisch. Lediglich ein stolzer Jagdfalke hätte meiner wahren Persönlichkeit Ausdruck verliehen. Aber meine weisen Worte waren übergangen worden.

Falken, ja? Es gibt kein größeres Symbol für die Freiheit als das Fliegen. Dir gebührt eine härtere Strafe. Aber letztlich werde nicht ich über dich richten, sondern andere.

Bla, bla, bla. Unqualifiziertes, verachtenswertes Geschwafel, das sie eines Tages bereuen würde.

Ich kämpfte mich zur Oberfläche voran. Bei meinem Auftauchen erschrak das Gör, ebenso wie mich die Überraschung ergriff. Dabei hätte ich es bereits anhand der Kette erahnen können. So etwas gehörte keiner Tochter eines Feldarbeiters mit schwieligen Handinnenflächen und Furchen auf der Stirn, sondern einem hochwohlgeborenem Edelfräulein. Wenn nicht gar einer Prinzessin, was das Schloss am Rande des Waldes erklären würde. Anfangs hatte ich überlegt, mich dorthin zu begeben. Aber ich war ein Frosch. Wer wusste wie viel Lebenszeit mir bliebe, nachdem ich den Weg dorthin gemeistert hatte?

Doch welchen Wert besaßen meine schwermütigen Gedanken schon in der Nähe dieser von Schönheit gekrönten Jugend? Ich war entzückt. Auf ihren Schultern schmiegten sich veilchen-violette und tarpesin-rote Zöpfe in perfekter Farbkombination aneinander und ihr Kleid wirkte, als wäre es zum Neid des Himmels in erlesene Blautöne getaucht worden. Zudem schmückten es schwarz angehauchte - Nun, nein, bevor ich mich noch lächerlich mache, will ich ehrlich sein; die Prinzessin sah aus, als wäre sie in einem Färbetrog gefallen. Aber ihre Brüste, die sich unter dem Mieder abzeichneten, verkündeten ihre wahrlich reinrassige Abstammung. Trotz meiner froschigen Wechselwärmigkeit, wurde mir bei diesem Anblick ganz schön heiß.

Fräulein Heul-dich-tot allerdings erkannte meine wahre Schönheit nicht und fiel fast vom Brunnenrand beim Versuch mir auszuweichen. „Na na, du liebliches Ding, ich bin dein Wohltäter. Hier, ich habe dir deine Kette -“

„Nein, nicht die Kette! Geh weg!“, wagte sie es mich schrill zu unterbrechen. Hätte ich Augenbrauen gehabt, wäre es der passende Moment gewesen, eine von ihnen zu heben. Stattdessen warf ich ihr die Kette ins Gesicht.

Kaum hatte sie diese geschickt, kurz vor ihrer Nase, gefangen, wechselte ihre Haltung von abwehrend zu entspannt. Lächeln tat sie nicht, dafür rutschte sie zu mir heran und ließ ihre filigranen, ringlosen Finger über meinen wohlig erschaudernden Leib gleiten. „Ich danke Euch, mein Held“, flüsterte sie, derweil sich ihre freie Hand zu ihrem Hals hob und die Kette sich ohne Zutun darum schloss. Na bitte, kaum hatten die Weiber ihr Bling-Bling wieder, wurden sie zu schnurrenden Hauskätzchen.

„Gewährt mir einen Wunsch, mein edler Retter. Nennt mir Euren Namen.“

„Ihr braucht nicht flehen. Eure Vorzüge haben mich längst zu jeder Narrerei überredet.“

„Spricht Euer Name denn vom Gauklertum?“

„Keineswegs. Ich bin Prinz Hector Adelbert Efarim von Rufonia. Stets zu Euren Diensten, Teuerste.“

„Euer Angebot ist zu viel für mein klägliches Herz. Aber gäbe es anderes als meinen Dank, das Ihr verlangt, so seid gewiss, ich will versuchen, es Euch zu gewähren.“

„Wir könnten damit beginnen, dass Ihr mich hoch in Euer Schloss bringt.“

„Dies wäre meine größte Freude. Doch lasst mich vorher den Namen nennen, den meine Eltern, der König und die Königin dieses Landes, mir gaben. Denn ich bin ihre jüngste Tochter, Prinzessin Anileska.“

„Ah ja. Euer Name. Schön, dass wir das geklärt haben.“

Anilama, nein, Anileka, nein... Prinzessin Ani jedenfalls schien einen Augenblick lang zu stutzen und sah gar nicht glücklich über meine Worte aus. Aber bevor ich mir noch mehr Mühe geben musste, ein gewinnendes Lächeln auf mein Froschgesicht zu zwingen, trat ihrerseits ein verklärtes Lächeln auf ihre grasgrünen Lippen. Seltsames Mädchen.

Endlich stand sie daraufhin auf, griff nach mir und trat den Rückweg zum Schloss an, gegen den ich, dank der Nähe zu ihrem herrlichen Busen, nichts einzuwenden vermochte.
 

Wir begegneten zunächst niemandem. Verwaiste Blumengärten, leere Gänge und eine allgegenwärtige Stille begrüßten mich im Schloss. Wo waren die Edelleute und ihre Dienstboten? Die Prinzessin schien die Einsamkeit des Schlosses nicht wahrzunehmen, deshalb schwieg ich mich aus. Irgendeine sinnvolle Erklärung mochte es dafür sicher geben. Vielleicht ein Fest in der Stadt. Nur wieso war sie dann nicht dort? Mich beschlich das Gefühl, ich hätte der Hexe bei ihren Ausführungen über ihr Heimatland lauschen sollen. Andererseits war sie eine Hexe und solche Ungeheuer hatten keine Ahnung von der oberen Schicht und dem höfischen Treiben.

Als wir gerade durch einen langen Gang mit stolz dreinblickenden Ahnenbildchen gingen, öffnete sich eine der breiten Zimmertüren. Prinzessin Ani blieb stehen und auch ich drehte mich ein wenig, um der herausstolpernden Person besser ins Gesicht sehen zu können.

„Oh“, murmelte Ani.

„Ein leichtes Frauenzimmer“, ergänzte ich.

„Eine meiner Schwestern“, korrigierte sie und brachte mich dazu, lachähnliche Geräusche auszustoßen. Die Existenz als Frosch war so unwürdig!

„ Anileska! Liebste Schwester! Was trägst du da mit dir herum? Ist das ein Vorschauobjekt für deine nächste Haarfarbe? Ich denke nicht, dass dir dieser Grünton stehen wird. Aber solls so sein. Könntest du bitte eben in dieses Zimmer gehen, auf den Balkon treten, dich aufs Geländer schwingen und mein Höschen herunterholen, das an den Dachzinnen hängt? Der Wind hat es plötzlich weggeweht und mein Liebster, der es wieder einfangen wollte, ist leider selbst abgestürzt. Nun, er war eh zum Tode verurteilt, weil er mit der Königin geschlafen hat.“

„Ach, wirklich? Das wusste ich noch nicht. Ich werde es sogleich versuchen, liebste Schwester.“

„Hah.. ah... äh...?“

Mir fehlten ernsthaft die Worte. Ich glaube, ich war kurz davor in einer Ohnmacht zu versinken. Diese Unsinnigkeit... diese Anstandslosigkeit... Oh mein Herz!

„Ani. Das kann nicht Euer Ernst sein? Auf einen Balkon steigen? War dieses Fräulein wirklich Eure Schwester?“

Während sich die andere Prinzessin bereits aus den Staub gemacht hatte, als hätte sie vergessen, worum sie ihre Schwester erst Sekunden zuvor gebeten hatte, sah Ani mich fragend an.

„Aber natürlich ist sie meine Schwester. Meine Halbschwester. Also die Tochter meines Vaters und eines Dienstmädchens. Wir haben das erst vor... ich weiß nicht mehr... vier Wochen herausbekommen? Man kann es an den Ketten erkennen. Jeder in unserer Familie trägt eine. Ich meine mich zu erinnern, dass sie ein Geschenk von Papa waren. Oder? Hm... Ach ja, der Balkon!“

Euphorisch wirbelte Ani herum und stürmte in das Zimmer, das nicht nur nach Geschlechtsverkehr aussah, sondern auch so roch. Wie unanständig. In sowas schickte man sofort ein Dienstmädchen zum Aufräumen. Was auch immer mir die Hexe vorgeworfen hatte, ich besaß bessere Manieren als ihre eigene königliche Familie.

Zu meinem Entsetzen betrat die Prinzessin Sekunden später tatsächlich den Balkon und setzte mich auf einem silber bestickten Diwan ab, von dem aus ich wunderbar die halsbrecherische Tat verfolgen konnte.

Meine Bitten, dies zu unterlassen, stießen auf eine Wand aus geistlosem Lächeln und der Beteuerung, es würde Spaß machen. Wäre sie ein Prinz statt einer Prinzessin und die Eigentümerin des Höschens nicht ihre Schwester, hätte ich es verstehen können. Für die fleischlichen Gelüste tat Mann so manche Waghalsigkeit. Ich durfte das, mein Blut erlaubte es mir. Aber dieses unselige Geschöpf sollte sich lieber auf dem bereits benutzten Bett ausstrecken und mich erfreuen.

Tat sie aber nicht. Stattdessen schwang sie sich aufs Geländer und hielt sich mitleiderregend schwach an den Dachzinnen fest. Immerhin waren diese kunstvoll ausgearbeitet mit fliegenden Himmelsboten. Fliegen musste man hier wirklich können, denn wir waren so weit oben, dass ich am Boden keine einzelnen Blumen mehr erkennen konnte. Schaudern löste in mir die Vorstellung aus, was mit dem Geliebten der anderen Prinzessin geschehen war.

Doch Ani überlebte es. Strahlend sprang sie vor mich und hielt mir ein seidenes, rotes Höschen vors Gesicht, das mich ganz heiß machte, besonders als sie es danach zwischen ihren Brüsten verschwinden ließ. Ich hätte es wirklich gerne da drinnen gesucht.

„Mögt Ihr jetzt mein Zimmer sehen? Es ist gleich neben diesem. Hatte ich schon erwähnt, dass dies hier der königliche Zimmerflügel ist?“

Widerstandslos ließ ich mich darauf ein. Dieses Mädchen hatte eh einen Sprung in der Schüssel. Befehlsverweigerung wäre deshalb nicht die beste Idee.
 

Wie ich in den nächsten Tagen feststellen durfte, verhielt sich die ganze Familie derart. Jeder schien unter ungesunden Stimmungsschwankungen zu leiden und seine Meinung dreimal pro Stunde zu ändern. Allein das Verhalten des Königs war absolut ungebührlich, inkonsequent und unehrenhaft. Beim gemeinsamen Abendmahl schäkerte er vor seinen Töchtern mit seiner Gattin. Am zweiten Tag war eine Unterhaltungsgruppe anwesend, von der er sich sofort die zwei hübschesten Damen schnappte. Anschließend gab es einen wahnsinnigen Streit mit seiner Gemahlin, den er beinahe ohne schlechtes Gewissen überstand. Einerseits beneidete ich den Mann, andererseits war mir seine Sorglosigkeit ein Rätsel.

Bei den anderen war es nicht sonderlich besser. Sie beschworen die größten Dramen herauf, töteten einander fast und hatten in der nächsten Stunde ihr unschickliches Verhalten bereits vergessen. Bald begann ich zu vermuten, meine Wandlung in einen ekelerregenden Frosch hätte mir Sinnestäuschungen beschert, damit ich mein eigenes Pech leichter ertragen könne.

Mehrmals missglückte meine Flucht aus dem Schloss. Ich fühlte mich beobachtet, denn immer wusste jemand, wann ich plante zu entkommen.

Am Ende der zweiten Woche wagte es eine der sieben Prinzessinnen mich nach einem Fluchtversuch in ihrem Zimmer einzusperren. Grauenhaft! Genauso wie alle anderen Zimmer zeugte dieses von schlechtem Geschmack und einer unordentlichen, planlosen Einrichtung. Aber obwohl mir in der gesamten Zeit nicht mehr als zwei Dienstboten begegnet waren, hielt sich die Verschmutzung in Grenzen. Ich vermutete Magie. Zu jeder Zeit lag ihr Geruch in der Luft. Die Königsfamilie wurde durch ihre Ketten geradezu von ihr verschüttet. Umso sonderbarer war, dass gelegentlich ein Gast ebenfalls eine Kette trug. Aber Gäste waren sowieso dafür prädestiniert, innerhalb weniger Tage wieder zu verschwinden. Ich verstand es nicht.

Erschöpft ließ ich mich auf dem Bett der Prinzessin nieder, dessen Bettdecke das Bildnis einer nackten Fee zeigte. Dies wollte so gar nicht zu der keuschen und regelliebenden Prinzessin passen, die mich eingesperrt hatte. Wie war noch mal ihr Name gewesen? Auch irgendetwas mit A... das konnte sich doch kein Mensch merken!

Vor mir lag ein Buch mit dem Titel „Architektonische Errungenschaften der Neuzeit“. Nun, in Notsituationen musste man sich mit dem abfinden, was man hatte, daher beschloss ich es zu lesen und mir so die Zeit zu vertreiben, bis jemand das Gemach betrat. Konnte sich nur um Tage handeln.
 

Letztlich dauerte es bis zur Abenddämmerung. Die Tür wurde stürmisch aufgerissen und ein seltsames Wesen mit einem zauberhaften Mieder hüpfte ins Zimmer.

„Ani! Welche Freude mein Her-“

„Du! Wie kannst du es wagen! Das Zimmer meiner Schwester! Du Schuft!“

„Oh nein, nicht schon wieder...“

Hatte ich schon erwähnt, dass diese Stimmungsschwankungen mein sensibles inneres Gleichgewicht strapazierte?

„Teuerste, du missverstehst die Situation und das ist das erste Mal, dass ich diesbezüglich die Wahrheit spreche.“

„Mistkerl!“ Spannend, wie sie mir nicht zuhörte. Dann musste ich eben zu harten Mitteln greifen.

„Weib! Du hast keinen Anspruch auf mich. In bin von edlerer Gesinnung als du je sein könntest. Die Hexe hat den gleichen Fehler gemacht wie du und -“ Hat mich in einen Frosch verwandelt. Lange konnte ich diese Existenz nicht mehr ertragen. Was hatte sie damit gemeint, dass andere über mich richten würden? Wer? Und wann? Noch einen Tag länger inmitten dieser Königsfamilie und ich wäre freiwillig vom Dach gesprungen.

„Du bist abscheulich!“

„Ja, ist ja gut. Hör auf zu schreien.“

„Argh!“

Allmählich fragte ich mich, was ihr diesen wütenden Dämon ins Herz gesetzt hatte. Dank meiner Gestalt hatten wir kaum eine Liebesbeziehung beginnen können. Uns verband nichts. Ich hatte sie in den zwei Wochen nicht mal täglich gesehen. Wahnsinn musste ihr Gehirn zerfressen haben.

Wie zur Bestätigung meiner Theorie, kam sie stapfend auf mich zu. Gänzlich unheldenhaft quiekend, versuchte ich vom Bett zu entkommen, bevor sie mich fassen konnte. Es gelang mir nicht.

Hitzige Hände schlossen sich um meinen Körper und quetschen ihn ein. Die wirklich böse Überraschung kam aber, als sie ausholte und ich mich plötzlich der Situation ausgesetzt sah zu fliegen, bevor ein höllischer Schmerz mein Rückgrat entlangschoss und mich in eine tiefe Bewusstlosigkeit zerrte. So wurde ich auch ohne Dachsprung zu Matsch.
 

Mein Aufwachen gestaltete sich unangenehm. Eine harte Pritsche unter meinem Rücken, zu grelles Licht, das mich beim Augenaufschlagen blinzeln ließ und eine Hexe mit süffisantem Lächeln auf den knallroten Lippen. Ich war definitiv tot und in der Hölle.

„Hector! Bist du endlich wach. Wie du an die Wand geklatscht wurdest, sah nicht gut aus.“

„Heinrich...“

Nun, das war schon besser als die Hexe. Ich blickte zur Seite, wo auf einem groben Holzstuhl mein treuer Freund Heinrich saß und mich recht mitleidslos musterte.

„Ähm, könntest du bitte die Hexe entfernen. Wegen ihr bin ich ein Frosch.“

„Mensch, bist du langsam. Sieh mal an dir herunter.“

Ich tat wie geheißen und versank im nächsten Moment in andächtiges, gerührtes Schweigen. Ich war wieder ein Mensch! Oh, die Gnade der Götter war unendlich. Nie hatte ich so etwas Schönes wie mich gesehen und nie ein solches Glück wie über mich selbst empfunden.

Ich wollte auf ewig den Blick nicht mehr von mir wenden. Aber irgendwann erregten leise Stimmen aus einer Ecke des Zimmers meine Aufmerksamkeit. Dort stand ein mannshoher Spiegel, doch anstatt seine natürliche Pflicht zu erfüllen und den Raum wiederzugeben, zeigte er einen fremden Ort und weit entfernte Personen. Ani und ihre Eltern. Sie stritten sich. Verwirrt beobachtete ich die Szene, bis ich mir bewusst wurde, dass ich meinerseits beobachtet wurde. Ich fing den Blick der Hexe auf, die inzwischen eher traurig lächelte.

„Was...?“

„Das sind diese berühmten, magischen Fernspiegel. Du siehst da die beliebteste Serie des Landes“, antwortete mir stattdessen Heinrich. Als er beim Sprechen mit den Händen gestikulierte, klirrten an seinem linken Handgelenk mir unbekannte, eiserne Kettchen.

„Ich verstehe nicht.“

„Es ist eine lange Geschichte. Magda hat sie mir nach deiner Verwandlung erzählt.“

„Wer?“

„Ich“, kam es schmalllippig von der Hexe.

„Achso.“

„Ach, Hector... Egal, hör zu.“

„Tu ich doch.“

Heinrich hatte wirklich Glück, dass er mein Cousin ersten Grades und bester Freund war, sonst hätte ich schon mehrmals seine Hinrichtung anordnen müssen. Ich mochte es nicht, wenn man mich wie ein ungezogenes Kind behandelte, besonders nicht, nachdem ich meinen wunderbaren, perfekten Körper wieder hatte. Endlich konnte ich mich wieder auf menschliche Art und Weise aufsetzen und später würde ich umhergehen, reiten, essen und trinken können. Das Leben war großartig.

„Gut“, er räusperte sich. „Es ist nämlich so, dass vor fünf Jahren im mächtigen Nachbarland ein Krieg ausbrach. Zwei Zwillingsbrüder stritten nach dem unerwarteten Ableben ihres Vaters um den Thron. Der König dieses Landes stellte sich auf die Seite des einen Bruders, doch schließlich gewann der andere. Er bestrafte seinen Bruder und dessen Anhänger grausam und machte auch vor den Oberhäuptern anderer Länder nicht halt. Alles, was er den Königen eingestand, war die Entscheidung zwischen zwei Schicksalen. Entweder hätten sie ihren Kopf eingebüßt, während ihre Familien ins Exil geschickt wurden oder sie ließen sich magische Ketten anlegen.“

„Magische Ketten?“ Es war, als hätte ich von der Verfluchung der Ketten gewusst. Irgendetwas war daran einfach nicht in Ordnung gewesen.

„Ja. Diese Ketten sind Manipulationswerkzeuge. Sie unterdrücken den eigentlichen Charakter eines Menschen und den Großteil seiner Erinnerungen. Im Gegenzug können die Erschaffer der Ketten die Handlungen und Gefühle der Person bestimmen. Schon seit vier Jahren wird dieses Prinzip benutzt, um aus dem Leben der königlichen Familie eine Fernspiegelserie zu machen.“

Ich glaube, mir stand der Mund offen. Ich war ein Königssohn. Ich hatte gelernt, wie man mit Feinden umging und doch hatte mein Vater ihnen immer ihre Würde gelassen. Sie zu einem Schauspiel für die Öffentlichkeit zu machen war unmenschlich.

„Das Schlimmste kommt noch“, mischte sich nun die Hexe ein. Ich konnte kaum fassen, wie niedergeschlagen sie wirkte.

„Der neue König des Nachbarlandes hat die Regentschaft dem Volk übertragen und mit ihren Vertretern Knebelverträge ausgehandelt. Was mit der Königsfamilie geschieht, ist allerdings nicht auf seinen Mist gewachsen. Da hat er alle Entscheidungsfreiheit den Produzenten der Serie übertragen und diese richten sich nach unserem Volk. Einmal im Monat gibt es einen Volksentscheid, ob der Königsfamilie ihr unverfälschtes Leben zurückgegeben werden soll. Und einmal in der Woche kann man sich das Recht erkaufen, mitzuentscheiden, was die Personen in der Serie tun sollen.“

Heinrich hielt auf ihre Worte hin seine Hand hoch und erneut klirrten die Eisenketten. Ich sah fragend zwischen den beiden hin und her.

„Die habe ich mir gekauft, um dich da herauszuholen. Je mehr man hat, umso mehr darf man mitreden. Hat echt lange gedauert, bis genügend Leute dafür gestimmt haben, dass du gegen die Wand geklatscht werden sollst.“

„Bei dir hatten sie nach zwei Wochen Gnade, aber die Königsfamilie ist weiterhin gebunden“, sagte die Hexe bitter. Es waren ihre letzten Worte. Ihr eindringlicher Blick brannte sich in mein Fleisch. Direkt danach verließ sie das Zimmer.

Alleine mit Heinrich versuchte ich das Gehörte zu verarbeiten. Langsam machte sich eine Frage in mir breit.

„Wieso hat sie das getan? Hasst sie mich so sehr? Es war doch nur Sex...“

Heinrich schien der Geste nach zu urteilen, bei der er sich am Kinn kratzte, unschlüssig. Wieder klirrten die unorthodoxen Armkettchen. Scheinbar war er selbst nicht angetan von dem Laut, denn er begann sie eins nach dem anderen abzulegen und schwieg währenddessen. Die Stille zerrte an meinen Nerven.

„Ich habe dich etwas gefragt...“, wagte ich nach Minuten einen zweiten Vorstoß.

„Jaa...“

„Und?“

„Ich bin mir nicht sicher“, sagte er und seufzte. Ich war überzeugt, dass er sich sicher war. Er war schon immer der Einfühlsamere von uns beiden gewesen. Er kannte das Innere von Menschen, derweil ich ihr Äußeres erkundete und teilweise auch ihr Inneres, aber das ist eine andere Sache.

„Ich denke, sie setzt Hoffnung in dich. Obwohl du ein Mistkerl bist. Aber du bist der einzige Prinz, den sie kennt. Du kommst aus einem weit entfernten, aber einflussreichen Land. Vielleicht hat sie gedacht, wenn du es am eigenen Leib erfährst, entwickelst du einen Sinn für die Ungerechtigkeit des Ganzen und versuchst mit dem König des Nachbarlandes zu reden, damit er sich hier einmischt und es beendet.“

„Hah...“

Ich ließ mich wieder auf die Pritsche sinken, überwältigt von einem solchen Schwachsinn. Verrücktheit musste in dem gemeinsamen Blut dieses Volkes liegen. Oder Heinrich war verrückt, aber wenn er so eine Theorie aufstellte, glaubte ich ihm.

„Wirklich?“, fragte ich heiser nach.

„Nein. Aber wir haben in den letzten Wochen einander gut kennengelernt. Sie ist klug, vorausschauend und hoffnungslos gerecht. Es gab da so Andeutungen... Hector, meinst du, wir -“

„Sollten das wirklich machen?“

„Ja.“

„Das ist zu viel Stress, direkt nachdem ich zwei Wochen als Frosch verbracht habe.“

„Hector...“

Ich wand mich unter Heinrichs Blick. Ich hatte es ihm auf Anhieb abgenommen, dass er sich gut mit der Hexe verstanden hatte. Er war ebenfalls hoffnungslos gerecht. Weshalb er mich deswegen noch nicht in den Wind geschossen hatte und nach Hause zurückgekehrt war, erschien mir fraglich. Irgendwie war ich ihm ja etwas schuldig. Speziell, wenn er meinetwegen sein ganzes Geld für diese hässlichen Eisenketten verscheuert hatte.

„Hmpf. Ich hoffe, der König des Nachbarlandes hat eine hübsche Schwester.“

Zufrieden klopfte Heinrich mir auf die Schulter.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  -lyra-
2013-04-07T14:10:08+00:00 07.04.2013 16:10
"Zudem schmückten es schwarz angehauchte - Nun, nein, bevor ich mich noch lächerlich mache, will ich ehrlich sein; die Prinzessin sah aus, als wäre sie in einem Färbetrog gefallen." bei diesem satz musste ich einfach anfangen zu grinsen :D der ist wirklich genial xD

und die szene von dem geliebten der schwester xD ich hab das gar nicht gepackt xD er war zu tode verurteilt, weil er mit der mutter geschlafn hatte un is dann daran gestorbn, weil er mit der schwester was hatte un von der die unterwäsche holn wollte? xD auf solch eine idee muss man erst mal kommen!

der prinz ist aber auch nicht wirklich ohne, aber gut, eigentlich spielt er auch zum teil das wieder, was den großteils der menschheit betrifft. wieviele leute gehen nur nach dem äußeren? "igitt, die sieht hässlich aus, die will ich nicht kennenlernen!" und das obwohl man eigentlich nicht weiß wie die person wirklich ist.

die geschichte fand ich im ganzen einfach toll^^


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