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My Precious Story

von

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Every time I look into your eyes

„Ruhe bitte!“ Schlagartig verstummten die aufgeregten Gespräche und jeder drehte sich nach vorn zur Tafel. „Das ist euer neuer Mitschüler. Bitte seid nett zu ihm.“ Meine neue Klassenlehrerin, welche sich mir bereits vor dem Betreten des Klassenzimmers als Frau Lindberg vorgestellt hatte, lächelte mich an. Langsam hob ich den Kopf und blickte durch meine blonden Ponyfransen durch die Klasse. Ungefähr 22 Augenpaare starrten mich interessiert an. Die ganze Sache war mir total unangenehm, also stellte ich mich mit stotternder Stimme vor. „Hallo… ich bin Johio.“ Ich versuchte zu lächeln, aber meine neuen Mitschüler bemerkten sicherlich, dass mir gar nicht nach lächeln zumute war. Insgeheim hatte ich tierische Angst, dass alles wieder so wird wie in meiner alten Schule.

„Warum kommst du zwei Monate vor den Sommerferien zu uns? Ist das nicht sinnlos?“, fragte ein dunkelhaariges Mädchen in der ersten Reihe.

Ich sah sie an. „Naja… ich wollte weg. Länger wollte ich nicht in meiner alten Schule bleiben.“

„Wieso?“, fragte sie wieder.

Unschlüssig starrte ich auf den Boden und meinte leise: „Sie haben mich gehasst.“ Als ich meinen Kopf wieder hob, schüttelte ich meine Haare nach hinten. Über meinem rechten Auge konnte nun gewiss jeder die große blaue Stelle erkennen. Einige Schüler blickten mich erstaunt an. Dann setzte ich mich in die letzte Reihe an das Fenster. Das war der einzige freie Platz. Langsam packte ich meine Schulsachen aus und der Unterricht begann, als wäre nie ein neuer Schüler vorgestellt worden. Um meinen Titel als Neuling schnell zu verlieren, nahm ich bereits intensiv am Unterricht teil. In meiner letzten Schule hatte ich ab der 8. Klasse keine Freunde mehr. Niemand verstand, warum ich so war, wie ich war. Sie wendeten sich von mir ab und jeder, der sich einmal meinen besten Freund schimpfte, begann zu leugnen, jemals mit mir befreundet gewesen zu sein. Das tat weh, aber der Wunsch, meinen Schulabschluss zu schaffen, hielt mich vom permanenten Schwänzen ab. Nur Sport lies ich ab und zu mal ausfallen, da ich des Öfteren in der Toilettenkabine eingesperrt worden war, weil sich niemand in meiner Anwesenheit umziehen wollte. Meine Freizeit bestand also daraus zu lernen, zu lesen und Klavier zu spielen. Ab und zu komponierte ich eigene Stücke und spielte sie meiner Mutter vor. Doch sie wollte irgendwann nicht mehr zuhören, da ihr meine Melodien zu traurig waren. Ich wollte mit der Musik meine Gefühle ausdrücken. Die einzige Person, die noch zu mir hielt, war meine Mutter. Mit ihr musste ich auch vor ein paar Tagen nicht lange wegen des Umzugs diskutieren. Deshalb bin ich ihr wirklich dankbar.

Ich ließ meinen Blick durch den Klassenraum schweifen. Hoffentlich, dachte ich, hoffentlich wird es nicht wie früher. Das erste Pausenklingeln riss mich aus meinen Gedanken und bevor ich auch nur in mein herzhaft belegtes Brötchen beißen konnte, hatten sich schon einige Mädchen vor meinem Tisch versammelt. Eingeschüchtert sah ich zu ihnen hoch.

„Siehst du immer so aus?“, fragte mich ein Mädchen mit schulterlangen schwarzen Haaren.

Ich nickte. Mir war aufgefallen, dass bis jetzt noch keiner einen dummen Kommentar zu meiner Kleidung gemacht hatte. Heute hatte ich mich sogar extra zurückgehalten. Ich trug eine schwarze Hose im Bondage-Look, ein schwarzes Shirt mit lilafarbenen japanischen Schriftzeichen, Armstulpen, wenige Nietenarmbänder, ein Nietenhalsband und Creeper. Selbst meine Haare hatte ich heute weniger toupiert und nur meine Spitzen zu Spikes gedreht.

„Was sagen denn deine Eltern dazu, dass du dich schminkst?“, fragte sie weiter.

„Meine Mutter“, begann ich, „sagte mir einen Satz, den ich nie wieder vergessen werde.“ Die Mädchen sahen mich gespannt an und ich fuhr fort: „Als ich ihr das erste Mal zeigte, welche Klamotten und welcher Style mir gefiel, sagte sie ‚Geh deinen Weg, egal was andere sagen werden. Es ist dein Leben. Man wird noch oft von dir verlangen, dass du dich für so eine nichtige Sache rechtfertigen sollst. Doch das musst du nicht. Zeige ihnen, dass du überzeugt von dir bist und du wirst immer mächtiger sein, als sie.‘“ Keiner sagte etwas.

„Wow…“, begann ein blondes Mädchen. „Deine Mutter ist echt cool.“ Ich nickte.

Wir unterhielten uns noch eine Weile. Das schwarzhaarige Mädchen stellte sich mir als Svea vor und die blonde hieß Marit. Sie sagten mir, wer die anderen seien und erzählten noch so einige Anekdoten aus der Schulzeit.

Nach zwei Stunden Mathematik saßen wir gemeinsam in der Kantine und unterhielten uns. Einige Mädchen hatten Musikzeitschriften mit und unterhielten sich über Schauspieler. Andere beschwerten sich über kleine Geschwister und zu wenig Taschengeld. Ich unterhielt mich mit Svea und Marit, als unser interessantes Gespräch über einen neuen Film von einer lauten Stimme am Nebentisch unterbrochen wurde.

„Und dann hat mir Antonia geschrieben, dass sie in mich verliebt sei. Antonia! Stellt euch das mal vor. Sie ist grade mal in der 7. Klasse. Als ob ich was von so einer kleinen Tussi wollte. Ich bin in der 10. Ich steh auf richtige Frauen!“ Ein weiterer Junge mischte sich ein: „Und was ist mit Ida? Ihr wart doch auch zusammen, oder?“ „Oh ja. Wir haben uns getroffen, aber Ida ist eine arrogante Ziege. Nur weil wir einmal etwas miteinander hatten, heißt das nicht, dass ich ihr was zum Geburtstag kaufe. Sie wollte eine teure Kette.“ – „Verdammt“, erwiderte der andere Junge, „dabei sieht sie so unschuldig aus. Die kann ich mir dann wohl abschminken.“ – „Wolltest du was von ihr?“, fragte der erste wieder.

Ich drehte mich um und sah wie der zweite nickte. Ein dritter Junge am Tisch mischte sich ein und erzählte von seiner letzten Freundin, die Schluss gemacht hatte, weil er lieber Fußball gucken wollte, anstatt sich mit ihr zu treffen.

„Selber schuld“, murmelte ich und die Mädchen in Hörweite kicherten leise.

Der Junge mit der lauten Stimme hatte tiefschwarze Haare und der Pony hing ihm nicht so stark im Gesicht wie bei mir. Er prahlte mit noch anderen Mädchengeschichten, aber scheinbar war Keine gut genug für ihn. Als er bemerkte, dass ich ihn anschaute, verzog sich sein Gesicht und er sagte zu mir: „Was gibt’s zu glotzen, Blondie? Hast wohl kein eigenes Liebesleben, oder? Hahaha. So wie du aussiehst.“ Ich schüttelte den Kopf und grinste in mich hinein.

Svea tippte mich an. „Das ist Erik. Er ist sogar in unserer Klasse. Aber halt dich bloß von ihm fern. Er sieht jedes männliche Wesen, außer seinen Kumpels als Rivalen an und jedes Mädchen versucht er abzuschleppen. Wenn er nicht bekommt was er will, wird er sehr ungemütlich.“

Ich erinnerte mich daran, dass er zu spät gekommen war und später von seinen Freunden über mich aufgeklärt wurde. Solang er mir nichts antat, war er mir egal. Ich beendete das Essen und begab mich mit meinen Freundinnen zurück ins Biologie-Zimmer.

Der Rest des Tages verlief ganz normal und als mich Svea und Marit zum Abschied sogar umarmten, war ich vollends zufrieden. Besser hätte mein erster Schultag nicht laufen können. Zu Hause wartete ich, bis meine Mutter von der Arbeit wiederkam und erzählte ihr beim gemeinsamen Abendessen von meiner neuen Klasse. Sie war sichtlich glücklich, dass ich hier in Göteburg schon am ersten Tag neue Freunde gefunden hatte.
 

Am nächsten Tag traute ich mich sogar, ein etwas auffälligeres Outfit zu tragen, schließlich sollten sich meine neuen Mitschüler schnell daran gewöhnen, dass ich mich nicht so kleidete, wie der Obermacker Erik. Ich entschied mich für einen Bondage-Rock und daran befestigte Beinstulpen, sowie ein ähnliches Shirt wie am Tag zuvor. Meine Haare toupierte ich etwas mehr und auch bei meinem Schmuck hielt ich mich diesmal weniger zurück.

Meine neuen Freundinnen fanden den Look ungewöhnlich, aber irgendwie cool und ich freute mich darüber. Sie fragten mich, was ich als Inspirationsquelle benutzte und zeigte ihnen einige Bilder auf meinem Handy. Es waren Fotos von japanischen Visual Kei Sängern und erklärte ihnen, was Visual Kei ist.

Als Erik das Zimmer betrat und mich sah, weiteten sich seine Augen und kam auf mich zu.

„Du, sag mal. Was bist du eigentlich?“, fragte er mich. Ich sah ihn absichtlich verwirrt an und antwortete nichts. „Bist du ein Mädchen oder ein Junge?“ – „Weder noch“, antwortete ich auf seine dumme Frage und grinste ihn an, „Ich will nämlich weder eine von deinen Schlampen sein, noch dein Rivale.“ Einige Klassenkameraden hatten das Gespräch gehört und fingen laut an zu lachen. Empört drehte er sich zu ihnen und setzte an etwas zu schimpfen, drehte sich dann aber wieder zu mir und schwieg. Ich stand von meinem Stuhl auf und klopfte ihm auf die Schultern. „Sagen wir‘s mal so. Du bleibst der männlichere von uns beiden.“ Wieder begann die ganze Klasse zu lachen. Der Sieg lag definitiv auf meiner Seite. Erik stapfte wütend zu seinem Platz auf der anderen Seite des Zimmers und würdigte mich den ganzen Tag keines Blickes mehr. Mit meinem Kommentar hatte ich mir allerdings neue Freunde gemacht. Ich freute mich riesig, dass meine Klasse so aufgeschlossen war und mich nicht gleich als Freak abstempelte. Selbst einige Jungen begannen sich mit mir zu unterhalten.

Während des Deutschunterrichtes, mussten wir für eine Aufgabe an die Tafel kommen und etwas anschreiben. Es gingen immer mehrere Schüler gleichzeitig vor und schrieben ein Wort an die Tafel, welches sie mit unserem aktuellen Unterrichtsthema „Klassische Literatur“ verbanden. Ich legte gerade die Kreide wieder auf den Lehrertisch und war im Begriff wieder in Richtung meines Platzes zu gehen, als mich meine Deutschlehrerin, Frau Petterson, aufhielt.

„Johio?“, fragte sie mit einem seltsamen Ton. Ich drehte mich um und sah sie an.

„Ich dachte, wir hätten einen neuen Schüler bekommen und keine Schülerin.“ Hatte sie das mit Absicht gesagt? Unsicher begann ich: „Ich bin doch auch ein Schüler.“ Ihr Blick wanderte herunter zu meinem Rock. „Aber seit wann tragen Jungen denn Röcke?“ Sie wollte mich provozieren, das war mir nun klar. Jeder andere hätte sich umgehend entschuldigt.

„Ich kann anziehen was ich will. Ihnen muss es ja nicht gefallen. Wenn Sie ein Problem damit haben, dass jeder Mensch und vor allem junge Menschen einen unterschiedlichen Modegeschmack hat, hätten sie keine Lehrerin werden sollen.“ Als ich meinen Satz beendet hatte, bemerkte ich erst was ich gesagt hatte. Ich hielt mir die Hand vor den Mund, als könnte ich somit meine Worte zurücknehmen. Frau Petterson starrte mich ungläubig an und schließlich änderte sich ihr Gesichtsausdruck in Ärger.

„Für wen hältst du dich eigentlich?“, schrie sie mich an.

Ich hielt ihren Blick stand und antwortete, nachdem ich mich wieder gesammelt hatte, mit fester Stimme: „Das ist meine Meinung. Und wenn sie mich benachteiligen, nur weil ihnen nicht gefällt, dass ich Röcke trage, dann gehe ich zum Direktor.“ Wenige Sekunden sah ich ihr noch in die Augen, danach machte ich auf meinem nicht vorhandenen Absatz kehrt und setzte mich wieder. Für den heutigen Tag war Frau Petterson sichtlich bedient, denn ihr Unterricht erschien mir wie ein einziges Durcheinander. Vielleicht war ich es ja auch, der in Gedanken immer woanders war, da ich während dem ich mich mit der Lehrerin gestritten hatte, immer wieder einen bohrenden Blick im Rücken gespürt hatte.

In der Kantine erfuhr ich von Marit, dass Frau Petterson schon einmal fast von der Schule geflogen wäre, weil sie eine Schülerin beleidigt hätte. Die gute Frau liebte es anscheinend, ironische und sarkastische Kommentare zu verteilen. Ich war zufrieden; mein Soll für heute war erfüllt. Da setzte sich plötzlich Erik neben mich und begann mich zu belegen: „Also glaub jetzt ja nicht, du wärst cool. Jeder hat mal eine Phase, wo ihm ein cooler Kommentar rausrutscht. Aber die Phase hast du nur ein Mal gehabt. Ich habe sie jede Tag.“

Ich blickte auf, sah ihm in die Augen und schüttelte den Kopf: „Und was wolltest du mir mitteilen? Ich habe keinen Bedarf mit dir zu reden.“

Dafür dass er sich für so einen tollen Hecht hielt, war er an meinem Kantinen-Stammtisch ziemlich unbeliebt. Ich fragte mich, wo seine ganzen Fans geblieben sind. Später erfuhr ich, dass seine Verehrerinnen zuhauf aus den kleineren Klassen kamen.

Seit meinem Streit mit der Lehrerin genoss ich viel mehr Ansehen, als zuvor. Ich wunderte mich am Abend, warum es an meiner alten Schule genau umgekehrt war. Hier war ich plötzlich total beliebt, obwohl ich mich für einen Jungen ziemlich weiblich stylte. Außerdem hat mich hier noch niemand gefragt, ob ich schwul sei. Zum Glück. Ich hasste diese Frage.

Damals war es anders. Wahrscheinlich lag das daran, dass mich die Schüler länger kannten. Sie wussten, wie ich vorher aussah und erlebten mit, wie ich mich veränderte. Damit kamen sie nicht klar. Ich hatte ihnen immer wieder versucht zu erklären, dass ich immer noch Johio bin, nur eben mit anderen Klamotten. Außerdem ließ ich sie wissen, dass ich keinesfalls von ihnen verlangte meinen Kleidungsstil zu mögen. Sie sollten es schlicht und einfach akzeptieren. Aber das war leichter gesagt als getan. Leider. Trotzdem verstand ich nicht, warum sie mich so fertig machen mussten. Nachdem sie mich beinahe krankenhausreif geprügelt hatten, stand für mich fest, dass ich ihr nicht mehr wohnen möchte. Selbst Leute, die ich gar nicht kannte, quatschten mich im Kaufhaus dumm von der Seite an.

Ich blickte in den Spiegel und strich mit zwei Fingern über die Beule über meinem Auge. Egal wie viel Make-Up ich benutzte, sie war immer noch zu sehen. Eine letzte Erinnerung an meine alte Schulzeit. Wie froh war ich doch, endlich Freunde gefunden zu haben.
 

Bei den anderen Lehrern war ich beliebter, denn ich erwies mich als fleißiger Schüler. Ich gehörte fast immer zu den Besten der Klasse und schrieb sehr gute Noten. Einige Mädchen nannten mich einen Streber, doch das war mir immer noch lieber, als „Schwuchtel“ genannt zu werden.
 

„Johio, kommst du mit nach Berlin?“, fragte mich Svea eines Morgens. Noch verschlafen fragte ich: „Berlin? Wieso das?“ – „Klassenfahrt. Und wir wissen nicht, ob du mit kommst.“

Ich richtete mich auf und überlegte. „Naja, ich würde gerne mitkommen. Aber ich muss noch die Lehrerin und meine Mutter fragen. In Berlin kann man cool shoppen.“ Ich grinste meine Freundinnen an. „Juhu“, schrie Marit auf, „endlich ein Junge, der sich nicht vor dem Shoppen gehen drücken will.“ Die Mädchen machten sofort Pläne, in welche Läden wir zusammen gehen sollen. Es wurde auch die Entscheidung gefällt, dass wir uns Freundschaftsketten kaufen würden. Bei dem Gedanken wurde mir ganz warm ums Herz und ich hoffte inständig, mitfahren zu können.

Nachdem ich mit meiner Lehrerin und meiner Mutter geredet hatte, rief ich Marit an und erzählte ihr von der freudigen Nachricht.

„Du wirst es kaum glauben, aber ich darf mit.“ Marit jubelte.

„Ich freue mich schon total auf die Klassenfahrt. Da hat man immer so viel Spaß“, erzählte sie mir und fügte gleich noch eine lange Ausführung über eine andere Klassenfahrt mit an, bei der zwei Jungen aus dem Fenster klettern wollten, um abends heimlich in den Wald zu gehen. Ich hörte ihr geduldig zu und sagte auch, dass meine letzte Klassenfahrt in der fünften Klasse war. Damals, als wir alle noch klein waren. Ich schwelgte kurz in Erinnerungen, doch dann wurde ich zum Abendessen gerufen.

„Es gibt Abendessen, also muss ich jetzt auflegen“, sagte ich.

„Okay, dann bis morgen.“ Marit legte auf und ich ging in die Küche.



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