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Untergang

Dunkelfürst Famfrit stellt Demyx vor die Wahl...
von

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Untergang

Wasser. E n d l o s e W e i t e des Meeres, Festform, Gletscherpackeis, Kristallzapfen oder unsichtbar im Raum verteilt wie ein formloses Gespenst. Warm und kalt, heiß und kochend, dampfend, schwappend, tröpfelnd, fließend, reißend, felsensprengend... Welches Element konnte schon von sich behaupten in all seinen Daseinszuständen so allgegenwärtig und so mächtig zu sein wie das Wasser?
 

Von Horizont zu Horizont erstreckte sich nichts als die schwarze Regenwand. Wassertropfen, die steil, wie Speere, dem Boden entgegenjagten und die Erde erstachen, in einen Sud aus kalten Brauntönen verwandelten, peitschten den Bäumen das letzte Herbstlaub von den knorrigen Zweigen und ließen zahllose Würmer und Schnecken auf die letzten Bastionen des halb überfluteten Feldweges kriechen, die sich noch an ihre einst feste Form zumindest teilweise erinnerten. Aus dem fast zum Fluss gewordenen Weg, der sich einst zwischen üppigen Kornfeldern befunden hatte, die nun kahl und brach dalagen, ragten diese vermeintlich sicheren Inseln, drapiert mit fauligem Grasüberzug, die einem Stiefel kaum Halt boten, einem Wurm jedoch, genügen dürften.

Der Tag schien zu dröhnen und zu hallen vom Rauschen und Toben des Wetters, das mit Wolkenbergen aufwartete, die ihn fast zur Nacht machten. Bei der Aufwartung am Himmel, würde jeder zweifelsohne nach dem berühmten Rüssel eines Wirbelsturmes bang Ausschau halten, doch nichts dergleichen ereignete sich. Es war vollkommen windstill. Nicht der Wind war es, der Einzug hielt, nicht die Erde, die sich unter den Füßen einsamer Wanderer aufzulösen begann... es war das Wasser. Oder viel eher gesagt, eine Inkarnation des Wassers. Oder, um ganz genau zu sein...

Zwei, dachte Demyx. Famfrit mochte ein Beherrscher des Wassers sein, doch er selbst, Demyx, konnte dies von sich ebenfalls behaupten. Und womöglich steckte er genau deswegen in diesem Dilemma...

Das schlammige Nass plätscherte an seinen Schienbeinen und nahm bereits seine Knie in Angriff, während der Saum seines Mantels sich gütlich mit dem Strom zu seinen Füßen voll sog. Was der Regen nicht fertig brachte - immerhin war sein schwarzer Mantel wasserdicht oder sollte es zumindest sein - schaffte der unaufhörliche Sog.

Komm her, werde eins mit mir!, schien das Trommelfeuer des Regens ihm einzubläuen. Werde es, werde es! Lass dich nieder und werde eins mit mir! Empfange die dunkle Umarmung der Gewässer in den Tiefen und steige zum Himmel hinauf, leicht wie eine Feder und stürze wieder hinab in eine Weite, die dein Verstand sich nicht auszumalen vermag, denn nur wer fließen kann wohin er will, der jede Form und jede Eigenschaft sein Zuhause nennen kann ist wirklich FREI!

"Nein!", sagte Demyx laut und zog seinen Stiefel aus dem morastigen Wasser und flüchtete sich ein paar hastige Schritte rückwärts auf eine der Erhebungen des Feldweges. Jedes Mal, wenn er seine Füße aus dem schlammigen Grund zog, hörte er ein enttäuschtes quatschendes Geräusch, als hätte das dunkle Wasser den Erdboden korrumpiert und in matschige Hände verwandelt, die ihn festhalten sollten.

"Verstehe mich nicht falsch. Ich mag Wasser. Es hat sicher einen Grund, weshalb es zu meinem Element geworden ist, aber... MEIN Wasser ist nur ein Aspekt des Wassers an sich. Ich möchte gar nicht alle Formen in mir vereinen, ich liebe nur das warme, klare, freundliche Wasser. So harmlos wie in einem Kinderplanschbecken", erklärte Demyx und zog seine Kapuze tiefer in sein Gesicht. Selbst ohne Wind verirrten sich immer wieder schwere Tropfen in seinen Kragen, was ihn langsam tierisch zu nerven begann und die zunehmende Kälte trug ihren Teil dazu bei, dass er DIESES Wasser allmählich richtig zu hassen begann.

Die Tropfen unmittelbar neben ihm begannen sich zu kräuseln und schienen schließlich eine unsichtbare massige Gestalt entlang zu rinnen. Sie war viel größer und breiter als ein Mensch es jemals gewesen war und nahm einen Raum ein wie ein überdimensionaler Teekessel.

Demyx musste, als ihm dieser Vergleich in Gedanken kam, leise und etwas nervös kichern.

"Das ist überhaupt nicht dein Problem", hallte eine bronzene Stimme in seinem Kopf. Eine Stimme mit dem erhabenen Klang einer gewaltigen Glocke und so unausweichlich und mächtig, dass Demyx sich am liebsten die Ohren zugehalten hätte, auch wenn man eine Stimme, die direkt zum Geist spricht, nicht ausblenden konnte. Vielleicht aber hätte es zumindest eine Art Placebo-Effekt gehabt. Glaube ist Macht...

"Es sieht dir wahrscheinlich ähnlich unangenehme Dinge einfach wegzuschieben bis du deren Existenz sogar vergisst", meinte die Stimme und inzwischen konnte man ihre Gestalt schemenhaft erkennen. Eine bläulich-grüne Rüstung, ein Panzer, der absolut undurchdringlich wirkte, auf dem der Regen tönte wie ein wildgewordener Orgelspieler.

"Ach ja?", fragte Demyx schnippisch.

"Für ein Überwesen wie mich, ist es ein Leichtes die Motivationen von niederen Kreaturen zu durchschauen. Und ich entferne das 'wahrscheinlich' aus meinem vorherigen Satz, denn mittlerweile wäre es Vermessenheit mir selbst gegenüber mir nicht zu erlauben über ein so schwaches Wesen wie dich die Wahrheit zu sprechen."

"Schön, dass du dir bereits deine Meinung über mich gebildet hast... wir kennen uns nun schon seit... ein paar Tagen...? Und unter Umständen, die ich mal 'gewaltsame Entführung' nennen würde, Mann!"

Inzwischen hatte das Überwesen seine feste Form gefunden und sein gerüsteter Kopf, der Ähnlichkeiten mit einem Fisch oder einer Kröte aufwies, nahm die weite Flur in Augenschein. Die vielfachen goldenen Verzierungen der Rüstung glänzten feucht und Demyx sah sich vielfach matt in ihnen gespiegelt. Dann hob das Wesen seine Hände vor sein undefinierbares Gesicht, als hadere es mit etwas, doch welche Gefühle wirklich in dieser wandelnden Rüstung schlummerten, vermochte Demyx nicht zu sagen, schon allein weil er ein Niemand war.

"Es ist mein gutes Recht", behauptete es dann nur mit vollster Überzeugung.

"Ich glaube, ich spinne!", schrie Demyx in den Regen. "Du und deine komischen Freunde taucht im Schloss, das niemals war, auf, greift uns an und dann übernehmt ihr unsere Körper und entführt uns! Und mich! Mich hast du dabei auch noch benutzt, um Xion und... den... den... Superior anzugreifen!! Oh Dunkelheit! Er wird mich dafür GRILLEN!"

In einer absoluten Kurzschlusshandlung beschwor Demyx seine Sitar, die tosend aus den Wassern emporschoss und eine viel dunklere Gestalt annahm, als er sie jemals zuvor gesehen hatte, und schlug sie gegen das Überwesen.

Ein lauter Gong ertönte, der Demyxs Zähne vibrieren ließ.

"Du! Bist! Schuld! Wenn! Ich! Draufgehe!", knurrte Demyx dennoch unbeirrt und schlug weiter zu. Gong! Gong! Gong!

Hätte das Wesen Augen gehabt, es hätte wohl höchstens etwas verwundert geblinzelt über so viel... Schwäche.

"Mehr hast du nicht zu bieten? Das ist alles, was du aufzubieten hast? Und Wasser nennst du deinen Verbündeten? Mit solch einem Helfer solltest DU eigentlich dein Superior sein. Wasser ist unzerstörbar. Wen sollte es fürchten?", meinte das Wesen.

Das aufgeweckte, strömende Wasser rings um ihn herum, wühlte Demyxs Innerstes auf, berührte einen Punkt in ihm, der ihn mit seinem Element in Einklang brachte, eine Leidenschaft, zu der er in seiner herzlosen Existenz nur äußerst selten fand. Doch nach einem letzten nutzlosen Schlag verpuffte seine Sitar zu Meerschaum und er rutschte im Schlamm aus, jedes letzte Stück Trockenheit an ihm endgültig ausmerzend.

"Ich kann nicht, das bin einfach nicht ich...", flüsterte Demyx und fasste sich an die Stirn, die sich irgendwie heiß und fiebrig anfühlte. Niemand hätte ihn bei dem Geräuschpegel des Regens verstehen können, doch Famfrit vernahm jede Silbe.

"Deswegen ist es mein Recht", wiederholte er.

"Das kapiere ich nicht!", rief Demyx wieder mit einem Anflug von Zorn. "Was hat das alles zu bedeuten?"

Erhaben beschwor das Überwesen einen riesigen Krug, der an einer schweren Kette befestigt war. Im Inneren des Kruges rauschte schwarz die See selbst und wogte, kreiselte und krümmte sich in dieser Waschtrommel direkt aus der tiefsten Hölle. Es packte die Kette mit sicherem festen Griff und schwang den Krug im Kreis, von Horizont zu Horizont, so schien es, und sammelte allen Regen, bis kein einziger Tropfen mehr aus den türmenden schwarzen Wolken fiel. Zurück blieb eine totenstille Wüste aus Feuchtigkeit. Nicht dass Famfrit die Stille gebraucht hätte, um zu erzählen, was es zu erzählen gab, aber vielleicht erschien sie ihm angebrachter.

"Einst lehnten ich und meine Mitgeschöpfe, die Esper, sich gegen die Götter auf. Wir verloren."

"Ich dachte, Wasser sei unzerstörbar! Wie konntest du da bloß verlieren?", fragte Demyx voll Genugtuung.

"Götter lehnen sich gerne einmal gegen die natürliche Ordnung auf", erklärte Famfrit bloß. "Wir wurden aus unseren Körpern gerissen und trieben zwischen den Welten haltlos umher, für immer verdammt. Nur in Mysth, einem Bestandteil von Magie, konnten wir uns zeitweise wieder manifestieren, doch zu welchem Preis. Wir wurden zu Knechten der Hume..."

"Was sind-"

"Menschen. In vielen Welten nennt man sie auch Menschen, wenn du damit mehr anfangen kannst. Die korruptesten schwächsten Kreaturen überhaupt wurden unsere Herren. Jedoch ist nichts für immer. Wir wurden in die Freiheit entlassen. Waren wir auch Gefangene, dem Willen der Hume unterworfen, so besaßen wir doch einen Funken Beständigkeit. Nun abermals im Schwebezustand, am Rande der Existenz, suchten wir erneut nach Wesen, die mit unseren ureigensten Naturen gleichklangen. Viele Welten sah ich fürwahr in meinem Taumel durch den unendlichen Raum... und viele Geschöpfe. Doch mit keinem konnte ich, konnten wir, eine Bindung eingehen, die unserem Verlangen Genüge getan hätte. Bis wir euch fanden. Leere Hüllen, die nur darauf warteten besetzt zu werden."

Demyx schluckte schwer.

"Wir sind nicht leer nur weil wir keine Herzen haben. Ich habe trotzdem noch mein Ich!"

"Das offenbar nicht gereicht hat", sagte Famfrit mit einer Häme, die jede Hoffnung zu Nichte machte, dass dieses Wesen einen gütigen Charakterzug besaß, den Menschen Gottheiten so gerne andichteten. "In einer Welt existierte eine Zauberin namens Xayide. Sie befehligte riesige Giganten. Wie schaffte sie das, wurde sie gefragt. Ich sage dir, was sie antwortete: Ich kann alles beherrschen was LEER ist."

Demyx fühlte sich, als hätte ihm jemand zwangsweise Eiswasser eingeflößt. Er war nicht leer! Da war etwas, das spürte er einfach! Allein sein Streben nach einem Herzen bewies doch, dass es etwas in ihm gab, das die Hoffnung besaß diesen Zustand zu ändern! Ein Geschöpf, das vollkommen ausgehöhlt war, würde nichts tun, denn ihm war alles gleichgültig, aber IHM nicht! IHM NICHT!

"Stimmt, da ist ein kleiner kindischer Trotz in dir", bemerkte Famfrit, "und ich bin kein Unwesen und gewähre dir für eine kurze Zeit noch etwas deine angeblich so kostbare Freiheit."

Seine vormals feste Gestalt wurde langsam durchsichtig und begann zu entschwinden wie ein Dunstschleier.

"Ich möchte, dass du dir ganz genau überlegst, was du eigentlich in Wahrheit willst und du wirst auf die Lösung kommen, da bin ich mir sicher. Auch wenn du es vielleicht niemals offen zugeben wirst, dein Herz oder vielmehr der Hohlraum in dir, weiß die Antwort."

Nun war Famfrit wieder vollkommen verschwunden und zu der bronzen hallenden Stimme reduziert.

"Angenommen du kehrst unversehrt von dem bösen Überwesen zurück zu deiner Organisation. Was erwartet dich? Mitglieder, deren Freund du nicht bist, ein Anführer, dessen Wohlwollen du nicht hast, ein Herz, dass nur in deinen verzweifeltsten naivsten Hoffnungen Gestalt findet... und Arbeit, Arbeit, Arbeit... Ich hingegen biete dir an dir all diese lästigen Beschwerlichkeiten abzunehmen, denn ich werde Herr über deinen Körper und deine vervielfachten Kräfte sein. Arbeit, Verantwortung, Handeln und Denken liegen von nun an bei mir und du wirst dich um nichts mehr kümmern müssen. Und sollte ich mal gute Laune haben, lasse ich dich auf deinem Instrument das klimpern, was du Musik nennst. Ich habe in deine Seele gesehen und du liebst die Bequemlichkeit. Es wäre Heuchelei dieses Leben nicht zu wählen; schon weil du ein Niemand bist, solltest du die Moralvorstellungen aus Kindergeschichtchen endlich über Bord werfen."

"Warum solltest du mir diese... diese Wahl lassen, wenn du doch einfach so meinen Körper übernehmen kannst, wie es dir passt!?", wollte Demyx verzweifelt wissen. Zu viele Gedanken strömten auf ihn ein.

"Ein williger Wirtskörper ist bequemer zu handhaben als ein widerspenstiger kleiner Geist, doch hast du recht. Im Großen und Ganzen ist es mir vollkommen einerlei. Ich gebe dir diese Zeit nun nur, weil ich sowieso etwas Zeit totschlagen muss, bis meine Mitgeschöpfe alle bereit sind den großen Plan auszuführen für den wir bestimmt sind."

Das war das Letzte, was Demyx von Famfrit hörte. Er war in der Tat vollkommen allein in dieser Einöde. Schnell streifte er seine Handschuhe ab und bemerkte, dass sogar die bläuliche, goldverzierte Rüstung, die sich schuppenartig auf seinen Händen ausgebreitet hatte, verschwunden war. Die Verwandlung war tatsächlich rückgängig gemacht worden. Zumindest für die Zeitspanne, die Famfrit ihm ausersehen hatte, wie lange auch immer sie sein mochte. An einem Winkel seines Geistes, jener, der am meisten mit dem Element des Wassers verbunden war, spürte er immer noch ein fernes Donnern bronzener Glocken. Niemals würde er ihn vollkommen gehen lassen. Was also tun mit der Zeit, die ihm allein gegeben war? Sollte er sich tatsächlich über das Gedanken machen, was Famfrit ihm an den Kopf geworfen hatte? Sollte er aufgeben und sich zurückziehen, weil er selbst das eigentlich so wollte?

Ziellos begann er zu wandern. Wäre er stehen geblieben, man hätte ihn bei all dem Schmutz und Schlamm auf seiner Kleidung für eine vergessene Vogelscheuche halten können. Er wusste nicht welche Welt dies war, vielleicht war es auch gar keine Welt, in die er entführt worden war, vielleicht war dies hier nur ein Bruchstück einer zerstörten Welt, das keinen Namen besaß. Er fühlte sich hilflos und verlassen. War die Organisation auch kein heimeliger Ort gewesen, so hatte sie ihm immer ein Gefühl der Sicherheit vorgegaukelt. Er war unter Gleichgesinnten gewesen... Gleichgesinnte, die er hatte ausnutzen können, damit sie ihm Missionen abnahmen... Er war geschickt darin Problemen aus dem Weg zu gehen, oh ja! Gerade genug, um zwar als Faulpelz aufzufallen, aber nicht den Zorn der Obrigkeit auf sich zu ziehen. Das konnte man ihm vielleicht übel nehmen, aber dieser Hang bedeutete noch lange nicht, dass er die Zügel ganz aus der Hand geben wollte. Nein, er würde der kleine widerspenstige Geist bleiben. Ganz sicher!

In der Ferne schälte sich die Silhouette eines kleinen Dörfchens aus dem aufgekommenen Nebel. Es war von einer marode aussehenden Holzbarrikade umgeben, die jedoch so niedrig war, dass man die Stroh- und Holzdächer der Bauten bequem ausmachen konnte. Die Felder gingen langsam in hohes sandfarbenes Gras über auf dem einige braune Kühe mit krummen Hörnern nach saftigen Halmen zwischen dem dornigen Gestrüpp suchten. Er glaubte zwar nicht, dass die Dorfbewohner glaubten in dieser Gegend, wo es selbst keine Herzlosen gab, Touristen begrüßen zu können, ferner würde es also etwas wie ein Gasthaus nicht geben, aber vielleicht ließ ihn ja einer der Bauern in der Scheune übernachten. Hier draußen würde Demyx sicher nicht nächtigen wollen und nach etwas Ruhe war ihm allemal zumute. Dunkelheit, er hasste Wanderungen! Er hasste überhaupt alles, was andere "körperliche Ertüchtigungen" schimpften. Was hatte man davon, als dass einem nachher sämtliche Glieder weh taten? Bei ihm waren es jedenfalls gerade die Füße und die würde er noch brauchen. Vielleicht hatte er lange genug Zeit den Superior ausfindig zu machen und ihm die ganze Sache zu erklären. Vielleicht sollte er es aber auch beim Abhauen belassen... Wie gesagt, in beiden Fällen brauchte er flinkes Fußwerk.

Die Holzbretter der Barrikade starrten vor hochgespritztem Schlamm und feuchten Pilzen in jeder Ritze und Spalte. Teilweise waren sie so von Moos überwuchert, dass sie mehr grün denn braun waren. Das Tor, das in das Dorf führte, quietschte und hing bedrohlich schief. Rostige Nägel ragten zentimeterlang fahrlässig aus dem Holz. Demyx wagte kaum es zu berühren, als er es nach innen aufschob. Sollte es plötzlich rasch wieder zufallen, weil er etwa im feuchten Morast ausrutschte, könnte es ihn womöglich erdolchen! Die Vorstellung ließ ihn erschauern und er brachte es so schnell und vorsichtig wie möglich hinter sich. Vor ihm erstreckten sich schmutzige Kieswege und überall moderte Unrat, wie kaputte Körbe und zerrissene Seile, vor sich hin, wurde langsam eins mit dem Boden. Dünne Rinnsale bahnten sich ihre Wege kreuz und quer und auch hier bedeckten fette Nacktschnecken von Schwarz bis grell Orange den Boden. Teilweise waren sie kaum vom nassen Herbstlaub zu unterscheiden. Die Fenster der primitiven Häuser glommen dunkel und feindselig. Ob ihm hier jemand Obdach bieten würde? Der Gedanke kam Demyx immer unwahrscheinlicher vor.

Wie als Antwort auf diesen Gedanken, knirschte plötzlich ein Holzschild in einer leichten Brise und Demyx drehte sich rasch dazu um. Tatsächlich thronte vor ihm ein kleines, etwas schäbiges, doch ohne Zweifel einladend wirkendes Gasthaus. Es war das größte Haus - "groß" im Verhältnis zu den ärmlichen Hütten - am Platz und es war Demyx unbegreiflich, wie es ihm erst jetzt ins Auge hatte fallen können. Innen flackerte Kerzenschein, betörend wie ein Irrlicht. Die Tür öffnete sich knarrend und eine kleine quadratische Maus trat mit einer Kerze heraus.

"Guten Abend. Sie wünschen sicher eine bequeme Bleibe, hihihi!", begrüßte die Maus ihn und begutachtete ihn mit einem kränklichen schielenden Blick, der Demyxs ohnehin schon hochstehende Haare noch stärker zu Berge stehen ließ.

"J-Jawohl", stammelte er.

Er hatte kein Problem mit sprechenden Tieren. Schon in vielen Welten waren ihm ebensolche untergekommen und dass dieses hier quadratisch war, daran konnte er sich durchaus ebenfalls gewöhnen, was bekam man mal nicht zu sehen, wenn man durch zahllose Welten reiste? Nein, es war etwas anderes, was ihm dieses unangenehme Gefühl beschied. Etwas Tieferes...

"Mir ist jedes Zimmer recht, ich schlafe sogar im Stall, falls sie einen haben, denn ich... bin leider blank..."

"Ohihihihihi! Kein Gast schläft bei mir im Stall! Sie können umsonst übernachten, wenn Ihnen meine bescheidene Herberge zusagt und das in einem gemütlichen trockenen Zimmer mit Kamin! Seien Sie nur so frei! Ginge es mir um den schnöden Mammon, würde ich nicht hier eine Herberge betreiben, oh nein, ganz sicher nicht!"

Die Maus schüttelte glucksend den Kopf und wedelte mit einer papierflachen Pfote umher und Demyx konnte nicht mehr anders als über sein Glück lächeln. Was für ein barmherziger Samariter! Das unangenehme Gefühl hatte er längst vergessen.

"Mein Name ist übrigens Gregory", stellte sich die Maus vor, als sie ihn nach innen geleitete. "Wie lautet der Ihre?"

"Nennen Sie mich einfach Demyx, Herr Gregory. Nochmals vielen Dank, ich wüsste gar nicht wohin ich sonst..."

"Nein, nein, nein, ist doch alles selbstverständlich, hehehe!", winkte Gregory wieder ab, danach füllte er ein Blatt Papier aus und trug ihn in die Gästeliste ein.

Sein Zimmer stellte sich wirklich als gemütlich heraus. Klein, aber fein. Ein wenig duster zwar, aber was war mangels elektrischem Licht und den Wetterverhältnissen schon anderes zu erwarten. Außerdem plante Demyx ohnehin zu schlafen. Bei der Dunkelheit, er fühlte sich, als hätte er eine ganze Woche nicht mehr geschlafen!

"Einen schönen Aufenthalt noch!", wünschte ihm Gregory, dann entfernte sich sein Gastgeber und der Lichtkreis seiner Kerze wurde kleiner und kleiner bis er irgendwann verschwand.

Ein wenig erleichtert schloss Demyx die Tür seines Zimmers, zog Mantel und Stiefel aus und legte sich aufs Bett. Gerade als ihm die Augenlider zufielen, schreckte er in einem Nu wieder hoch. Seine Beine zuckten und er setzte sich kerzengerade auf. Aus irgendeinem Grund hatte er urplötzlich den Eindruck gehabt, dass ihn ein gieriges Auge beobachten würde.

"Lasst mich schlafen...", murmelte Demyx zu niemand bestimmten und drehte sich von der Tür weg. Falls ihn jemand durch das Schlüsselloch angaffte, sollte er sich an seinem schönen Rücken entzücken, wenn es ihm Spaß machte. Doch an Schlaf war nun nicht mehr zu denken. Der Blick bohrte sich regelrecht in sein Kreuz. Er war sich nicht sicher, ob er nachschauen sollte, wer da seine Glubscher nicht unter Kontrolle hatte, vielleicht wollte er gar nicht wissen, was er vorfinden würde, wenn er die Tür aufriss. Vielleicht war er aber einfach nur paranoid. Wer wäre das nicht, wenn einem ein Überwesen im Nacken hocken würde. Jederzeit konnte Famfrit seinen Körper "rechtmäßig" in Besitz nehmen, wenn ihm das Spiel, das er zweifelsohne mit ihm spielte, überdrüssig werden sollte. Konnte es sein, dass dies hier seine Prüfung war? Ihn so mürbe zu machen, am besten mit Schlafentzug, dass er gar nicht anders konnte als aufgeben? Aber wer würde unter solch einer Folter nicht irgendwann klein beigeben? Das würde gar nichts beweisen! Überhaupt nichts! Wenn Famfrit glaubte, es sei die Wahrheit, dass er, Demyx, so faul war, dass er lieber jemand anderen alles in seinem Leben steuern ließ, dann musste er, Demyx, ihm freiwillig den Körper überlassen und nicht unter Folterzwang!

Es klopfte an der Tür. Nur wenige Sekunden später wurde sie geöffnet.

"Hallooooooo...!", hauchte eine Stimme und ein kleines rosafarbenes Reptil, gekleidet wie eine Krankenschwester, kam in sein Zimmer gewatschelt.

Es hatte ohne Frage etwas zutiefst Weibliches an sich, auch wenn Eidechsen gewisse Säugetieren vorbehaltene Merkmale fehlten, um dies zu veranschaulichen. Sie also, schlug ihre schwerlidrigen mit langen Wimpern bestückten Augen nieder und sagte wieder mit dieser rauchigen Stimme: "Haaallooo... werter neuer Gassst!"

Beim "S" züngelte ihre gespaltene Zunge unglaublich schnell und witterte... hungrig.

"Hallo...", gab Demyx kleinlaut von sich.

Aus irgendeinem Grund kam ihm diese kleine quadratische Echse - so quadratisch wie Gregory! - gar nicht mehr so klein vor. Manche Leute vermochten einen allein mit ihrem Charisma komplett zu überragen, egal welches äußere Erscheinungsbild sie besaßen.

"Mit weeem habe ich denn dasss Vergnüüügen...?", fragte sie züngelnd. "Mein Naaame ist Catherine."

"Sehr... erfreut... Nennen Sie mich einfach Demyx", antwortete er ihr. Und lassen Sie mich bitte in Ruhe, dachte er hinterdrein.

"Ohhh, Sie sehen aber garrr nicht gut ausss!", stellte sie frohlockend fest und plötzlich hatte sie zu Demyxs Grauen eine riesige fette Spritze mit höhnisch glänzender Nadel in der Hand. "Sollten wiiir da nicht ein weeenig Bluuuut abnehmen? Nur zur Vorsssorge, versteht sich!"

"Nein, danke!", sagte Demyx prompt. Sein Mund fühlte sich staubtrocken an.

"Aber ich besteeehe darauf, hnnn!", stöhnte Catherine und das Sexuelle, was von dieser Echse ausging, machte Demyx tierisch Angst.

Das war einfach... falsch...

"Wuow... würden Sie jetzt bitte gehen? Ich kann Ihnen höchstens einen Becher mit meinem Urin anbieten, wenn sie unbedingt etwas von mir untersuchen möchten", bot Demyx hilfsbereit an. Ihm war wirklich zumute, als würde er sich gleich in die Hose machen, da würde er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

"Nein! Neeeiiin! Ich will Bluuuuuuuuuuut!", kreischte Catherine und schwenkte bedrohlich ihre Spritze.

Sie setzte sich in Bewegung und machte sich bereit ihm die Spritze einfach irgendwo in den Körper zu rammen und Demyx sprang zu Tode erschrocken auf und versuchte seine Sitar zu beschwören.

"Sie kranke Alte! Lassen Sie mich in Frieden, sonst...!"

Doch nichts geschah.

"Wasser Marsch!"

Wieder nichts.

Catherine zielte mit der Spritze auf sein Bein und er sprang schreiend über sie hinweg und sie rammte ihr Mordwerkzeug tief in die Matratze. Ungeschickt kam er auf dem Boden auf und schlug sich in dem engen Raum das Knie an einem Hocker an.

Verdammt, wieso gehorchte ihm das Wasser nicht?!

"Wasserdoppelgänger!", rief er verzagend und rutschte beim Aufstehen in einer Pfütze aus, die sein tropfnasser Mantel hinterlassen hatte. Der Länge nach knallte er auf den Boden. Was war das nur für ein Albtraum?!

"Endlich! Dein Blut ist meiiin!", johlte sie und die Nadel ihrer Spritze versenkte sich in seiner rechten Wade.

"NEIN!", kreischte er völlig entsetzt und strampelte wie wild, während er versuchte sich wieder aufzurichten.

Eigentlich hätte die Nadel sofort brechen müssen, aber Catherines Albtraum-Spritze konnte wohl so einiges wegstecken. Sie glitt aus seinem Bein und das Blut, das sie ihm bereits geklaut hatte, spritzte über den Boden. Catherine starrte drein, als wäre Weihnachten abgesagt worden.

"Nein, mein schönes Bluuut!!"

Diesen Augenblick nutzte Demyx, um die Tür aufzureißen und den Gang entlang zu eilen. Bloß weg von dieser Wahnsinnigen! Wusste Gregory etwa davon und hatte ihn ins offene Messer laufen lassen? Diese Scheiß-Ratte konnte etwas erleben!

"Wasser Marsch!", schrie er und aus den Pfützen am Boden erhoben sich schwächliche Fontänen.

Etwas lähmte also seine Kraft. Oder Magie an sich. Er bekam überhaupt keine Verbindung zu seinem Element, als hätte jemand seinen Zugang gekappt. Von Famfrit spürte er auch nicht das leiseste Bisschen. Er war frei. Frei von allem. Und komplett wehrlos. Obwohl... für diese dummen Tiere mussten dann eben ein paar Tritte her, wieso sollte er das nicht fertig bringen? Wieder etwas zuversichtlicher, rannte er in die Richtung, in der er den Ausgang vermutete.

Auf einmal brannte ein stechender Schmerz in seinem Rücken und er stürzte hart zu Boden. Der dünne rote Teppich dämpfte seinen Sturz überhaupt nicht. Er verrenkte den Hals und glotze ungläubig die Spritze an, die er aus seinem rechten Schulterblatt ragen sah. Diese Bestie hatte sie nach ihm geworfen! Mühsam rappelte er sich hoch und sah Catherine auf sich zukommen. Grinsend und fauchend und wild wie ein Allosaurus.

"Bleib mir vom Leib!", schrie er und trat nach ihr, doch sie wich behände aus und sprang ihn mit einer Kraft an, die er so einem kleinen Wesen nicht zugetraut hätte. Schmerzhaft wurde er auf den Rücken gedreht, so dass die Spritze abknickte und sich unerträglich gegen seine Wirbelsäule drückte. Darauf nahm sie eine weitere Spritze hervor und stieß sie mit einem triumphierenden Heulen in seine linke Hand. Der Hand mit der er sie abzuwehren versucht hatte. Sie pinnte sie regelrecht am Boden fest und ließ es sich nicht nehmen das gleiche auch mit seiner rechten zu tun. Ihre Kraft war unglaublich.

"Nein! BITTE NICHT!", flehte Demyx schreiend und versuchte sich zu befreien.

Das Repertoire an Spritzen schien unendlich zu sein. Immer mehr nagelte sie in ihn, bis er sich überhaupt nicht mehr rühren konnte. Schluchzend und erbärmlich lag er da und musste mit ansehen, wie sie begann Spritzen völlig wahllos in seinen Körper zu setzen wie Pinnadeln. Dann zog sie langsam und genüsslich die Kolben zurück. Bei jeder ließ sie sich die gleiche Zeit, um auch jedes Mal den vollsten Genuss davonzutragen.

"AHHHHH... Das fühlt sich sooo guuut an!", keuchte sie und legte eine weitere blutrot gewordene Spritze liebevoll beiseite. Wahrscheinlich durchlebte sie gerade einen multiplen Orgasmus.

"Wenn du so geil auf Blut bist, dann werde doch Metzger!", greinte Demyx. Als Niemand war es ihm möglich Schmerzen auszublenden, die seinen nichtexistierenden Körper peinigten, dennoch...

"Ich interessiere mich nur fürsss Blutabnehmen", erklärte sie züngelnd und lächelte breit.

"Langsam ist es doch genug... Wenn man was, was man mag, zu oft macht, dann verliert es seinen Reiz...", sagte Demyx, hob den Kopf und sah sie an mit seinen Augenringen und blassen Lippen. Vielleicht hätte er in manch anderem Mitleid erweckt, doch nicht in Catherine.

"Dasss issst mir noch nie passiert!", sagte sie genüsslich und fuhr fort. "Ohhh, das tut so guuut!"

"Weißt du was? Scheiß drauf!", raunte er.

Er wusste es, er war nicht der Typ, der aufgegeben hätte. Er hätte weiter gekämpft. Jawohl, er war faul, ein Drückeberger, ein Feigling. Nicht der Stärkste, obwohl sein Element nach Famfrit schlichtweg genial war. Er ließ gerne andere die Arbeit machen und hatte lieber seinen Spaß. Aber für diesen Spaß hätte er gekämpft und hatte es auch. Die Organisation war Beweis genug. Er wäre der widerspenstige Geist geblieben. Famfrit hätte nicht seine leere willige Hülle bekommen. Seine einzige Schwäche war seine Schwäche gewesen. Durch seine Faulheit hatte er nicht den Ehrgeiz besessen stärker zu werden, obwohl er es gekonnt hätte.

Die anderen hätten sich sicher nicht von einer rosa Eidechse fertig machen lassen, dachte er bitter. Aber das war nun nicht mehr wichtig. Es war, wie es war.

Mach mit mir, was du willst, Famfrit. Du kannst mich haben. Nicht, weil ich aufgebe, sondern weil ich machtlos bin. Ein Schwächling. Ohne dich werde ich nicht überleben. Lieber bin ich ein Sklave, als dass ich sterben muss, denn mich einfach töten zu lassen ist das gleiche wie aufzugeben. Und ich gebe nicht auf, verstehst du? Ich bin keine leere Hülle!
 

Ob Famfrit ihn gehört hatte?



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