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Atemzug

Grey Mr. Grey
von

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Er hatte mich gesehen! Dieser verdammte Miesepeter hatte mich gesehen!

Mit der Rechten klappte ich meinen offenstehenden Mund zu und mit der Linken wuchtete ich mich hoch. Zeit zu verschwinden!

Ich quetschte mich durch die Leute und bog in eine schmale Gasse ein.

Wie hatten es der Mürrische und das Kind nur so schnell von Geek nach Fyr geschafft? Und vor allem: Was wollten sie hier? Waren sie womöglich wegen mir hier?

Völlig egal, dachte ich. Wenn die mich erwischen, dann geht diese Sache gewiss in eine Richtung, die mir nicht gefällt.

Ich konnte nur hoffen, dass die Menge sie lange genug aufhalten würde, bis ich mich aus dem Staub gemacht hatte.

Als ich um die nächste Ecke stolperte, fand ich mich auf einer breiten Straße wieder, die scheinbar die Huren für sich allein beanspruchten. In weichen Kleidern, in mehreren Schichten geschminkt und gepudert, glucksend und kichernd standen die Weiber an ihren jeweiligen Freudenhäusern und umgarnten jedes männliche Wesen, dass sich hierher verirrt hatte. Ich wollte gerade umkehren, da hatten mich schon drei junge Dinger bei den Armen gepackt und zerrten mich mit sich. Die letzten Muskeln aufs Zerreißen angespannt, riss ich mich los. Dies jedoch interpretierten die Mädels falsch und deuteten meine Reaktion nicht als Ablehnung, sondern viel mehr als Einladung, ihre Hände in meine Hose zu stecken.

»Seht nur, wie es ihm gefällt«, meinte eines der Mädchen, dass meine Tochter hätte sein können. Unter der dicken Schminkschicht konnte man die Züge wahrer Schönheit erkennen, die nur wenigen Menschen vorbehalten war. Die Kleine zwinkerte kokett mit ihren dunklen Augen und drückte mir einen sanften Kuss auf die Lippen, während sie ihre Hand immer tiefer gleiten ließ.

»Das reicht«, hauchte ich mit zitternder Stimme, doch meine Worte zeigten keine Wirkung. Die beiden anderen Mädchen streichelten mir Nacken und Brust und flüsterten mir ins Ohr, ich sollte mit ins Haus kommen. Derweilen küsste mich die Kleine hingebungsvoll. Und gerade, als ihre Hände im Begriff waren, meinen Penis zu berühren, rutschte mir die Hand aus. Meine Faust schnellte auf ihre zarte Nase, die der Wucht nicht standhalten konnte und mit lautem Knacken brach. Die Kleine fiel zu Boden, hielt sich die blutende Stubsnase und kreischte.

Ich kniete mich zu ihr, wollte mich für meinen Ausrutscher entschuldigen, doch ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Also tätschelte ich nur unbeholfen ihre Hand. Damit betrachtete ich meinen Teil der Arbeit als erledigt und rannte in die entgegengesetzte Richtung, verfolgt von den wütenden Rufen der anderen Huren.

Ich passierte eine Straße, in der sich der Clan der Barbiere niedergelassen hatte und dachte kurz darüber nach, mir den außer Kontrolle geratenen Bart stutzen zu lassen, entschied mich aber angesichts meiner Lage dagegen und hastete weiter.

Genau in dem Moment, als ich an einer Gruppe Azzurer vorbei kam, die mit ihren blutroten, langen Haaren spielten, wie Kinder mit Puppen, und sich in ihrer eigenen harten Sprache darüber austauschten, wie sie ihr Haar als nächstes frisieren lassen sollten, schossen zwei Hände aus einer Tür heraus, packten mich am Kragen und zogen mich ins Haus.

Ehe ich wusste, wie mir geschah, baute sich schon der Mürrische vor mir auf. Sein kindliches Mitbringsel, dessen eines Bein ekelhaft verdreht war, schloss derweilen die Tür.

Ich sah mich um, ohne den Kopf zu drehen. Wir befanden uns scheinbar in dem Flur eines der Hochhäuser. Der Kastenbau sah von innen noch weniger einladend aus, als von außen. Keine Fenster, nur ein paar matschige Kerzen und eine Fackel, die den Flur in warmes, stinkendes Licht tauchten. Der Boden war mit Sand oder gewöhnlichem Dreck ausgelegt, der sich den Leuten, die hier lebten, an die Stiefelsolen heftete und sich dann Stück für Stück auf der morschen Holztreppe ausbreitete. Das war eigentlich auch schon alles, was es zu sehen gab.

»Nett habt ihr es hier«, versuchte ich ein lockeres Gespräch einzuleiten. Doch der Miesepeter hatte keinen Sinn für Humor – oh, welch Wunder! Stattdessen zückte er seinen Dolch und hielt ihn mir drohend an die Kehle.

»He! Was soll denn das?«, mischte sich der Kleine ein, der nun zu uns gehumpelt kam. »Du sagtest doch, wir würden mit ihm reden

Die Miene des Mürrischen wandelte sich etwas. Er verdrehte genervt die Augen und biss sich leicht auf die Unterlippe. »Wir sind einen ganzen Haufen Ärger los, wenn ich ihn jetzt erledige!«, fauchte er. »Dann laden wir seine Leiche irgendwo in der Weißen Wüste ab, schicken ein paar Hinweisbriefe nach Kathah und dann sind wir aus dem Schneider.« Seinen südländischen Akzent hielt er gut verborgen, doch bei dem Wort »Schneider« offenbarte sich seine Herkunft, denn es klang vielmehr wie »Schnädder«.

Der Kleine verschränkte störrisch die Arme vor der Brust und erwiderte: »Wenn du ihn tötest, dann bist du nicht besser als die Meuchelmörder, die du so sehr verabscheust!«

»Meuchelmörder töten für Geld, du Trottel! Geht das nicht in dein Erbsenhirn rein?« Der Mürrische nahm den Blick von mir, um seinem Kumpanen seine Verachtung in vollem Maße zum Ausdruck zu bringen. Während die zwei noch stritten, nutzte ich die Gunst des Augenblicks und versuchte mich davonzustehlen.

Ich war nicht weit gekommen, da unterbrachen die beiden ihre Zankerei, um ihre Blicke auf mich zu werfen und gleichzeitig »Hier geblieben!« zu rufen. Wie einig sie sich plötzlich waren.

»Versuch nie wieder, mich zu verarschen, Bürschchen!« Der Mürrische hauchte mir seinen muffigen Atem entgegen, packte mich am Kragen und schleuderte mich mit dem Rücken an die Wand.

»Weißt du, Grey«, begann nun der Rotschopf zurückhaltend. »Wenn du uns versprichst weit weg zu gehen und nie wieder nach Fyr zurückzukommen, dann lassen wir dich gehen.«

Der Mürrische rastete nun vollkommen aus. »Was zur Hölle ist bei deiner Geburt falsch gelaufen, Mumpitz?«

»Nichts, glaube ich.«

»Und welche Entschuldigung hast du dann für deine Dummheit?«

Der Kindliche namens Mumpitz antwortete nicht.

»Sag du es mir, Grey: Womit habe ich es verdient mit so einem Trottel verwandt zu sein?« Der Mürrische zeigte auf den Rotschopf.

Ich zuckte mir den Schultern. »Vielleicht will Ophostheus dich strafen, weil du ein Dieb bist?«

»Woher-?«

»-ich weiß, dass ihr beiden Diebe seid?«, vollendete ich. Soeben hatte ich das Ruder des Gesprächs übernommen. Ich deutete auf die Kleidung der Beiden, während ich mich beiläufig aus dem Griff des Mürrischen wandte. »Ich gebe zu, ihr habt die Rolle der Wachen in Kathah sehr gut gespielt, aber wenn ich euch zwei jetzt hier sehe, in dieser … Kluft, dann brauche ich bloß noch eins und eins zusammenzählen.«

»Was stimmt mit unserer Kleidung nicht?«, fragte Mumpitz.

Mir entfuhr ein Lachen. »Jungs, guckt euch doch mal an: Dunkle Stoffe, jede Menge Innentaschen, Kapuze, Dolche und Dietriche am Gürtel, und da«, mein Finger ruhte auf dem Gürtel des Mürrischen, »ist sogar ein Enterharken.«

Zwei verblüffte Gesichter starrten mir entgegen. Für einen Moment waren die beiden so erschrocken darüber, dass ihr Beruf so offensichtlich war, dass sie erstarrten. Doch nachdem sie den Schreck überwunden hatten – der Miesepeter schaffte es schneller als das Kind – glitt erneut der Dolch an meine Kehle.

Ich hob ergeben die Arme und sagte: »Wir wiederholen uns, Freunde.«

Der Mürrische starrte mir durchdringend und wutschnaubend in die Augen.

»Ist es wirklich so offensichtlich, dass wir Diebe sind, Granti?«

»Halt deine Schnauze, Mumpitz!«

»Granti, hm?«, lachte ich. Inzwischen war mir klar, dass es sich bei den beiden um Brüder handelte. Und ihre Namen waren wie für sie gemacht: Mumpitz, der offenkundig etwas schlicht war und durchweg dösige Antworten gab und Granti, der Miesepeter, der schon mit Missmut und Pessimismus zur Welt gekommen sein musste.

»Was tust du hier, Grey?«, wollte Granti wissen. »Ich habe gehört du bist aus dem Kerker entkommen.«

»Offensichtlich.«, sagte ich.

»Alleine hättest du das nie geschafft. Du konntest nicht mal richtig laufen, so schwach warst du.«

»Tatsächlich?«

»Ja, verdammt!«, brüllte er. »Halt mich nicht zum Narren!«

»Das würde ich mir nie erlauben«, gestand ich unaufrichtig.

Da Granti mich um einen ganzen Kopf überragte, konnte er mich problemlos am Haarschopf packen. Er zog kräftig daran, sodass ich den Kopf in den Nacken legen musste und mein Hals frei lag.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und zwei Ogerinnen traten ein.

»Assassine!«, schrie die dickere von beiden, als sie den Dolch an meinem Hals erspähte.

Mumpitz lächelte höflich und winkte ab: »Nein, nein. Wir sind keine Assassinen. Wir sind Diebe.«

Daraufhin schrie die zweite Ogerdame: »Einbrecher! Zu Hilfe!« Sie war zur Tür hinausgelaufen und schrie nun die ganze Stadt in Grund und Boden.

Granti entfuhr ein Wutschrei. Mit Verachtung in den Augen trampelte er zielstrebig auf die verbliebene Ogerin zu, die erstarrt dastand.

»Raus hier!«, schnauzte er und trat der Frau so gewaltig in den Bauch, dass diese rücklings zur Tür hinausflog.

Ich überlegte nicht lange und sprintete die Treppe nach Oben, die morsch unter meinen Füßen knarrte.

»Du Trottel hast die Tür nicht verriegelt!«, hörte ich Granti unten rufen, worauf ein lautes Klatschen und ein Aufschrei des Kleinen folgten.

Als ich die Treppe zur Hälfte erklommen hatte, hefteten sich die Diebe an meine Fersen. Aber da Mumpitz eine Behinderung für seinen Bruder war, weil er mit seinem verkrüppelten Bein nicht schnell genug hinterherkam, hatte ich einen guten Vorsprung. Ich rannte weiter nach Oben, übersprang mehrere Stufen gleichzeitig und erreichte schließlich das Ende der Treppe – und somit auch das Ende meines erbärmlichen Fluchtversuchs. Denn nachdem ich die Dachluke über mir entriegelt hatte stellte ich fest, dass ich mich logischer Weise auf dem Dach des Gebäudes befand. Frischer Wind blies mir durchs Gesicht und der strahlendblaue Himmel blendete mich. Und ringsherum waren nur graue Dächer, die, zu meinem Unglück, nicht einmal nah genug beieinander standen, als dass ich von einem zum anderen hätte springen können.

Also tat ich das einzige, was mir in dieser Situation einfiel: Ich warf die Dachluke zu und stellte mich drauf. Es dauerte nicht lange, da wurde von unten dagegen gehämmert.

»Mach die verdammte Luke auf, Grey!«, fauchte Granti, der gleich darauf mit Nachdruck dagegen drückte, sodass sie einen Spalt aufging. Ich sah eine Hand, die sich tastend durch die entstandene Lücke zwängte. Doch ich dachte nicht daran, die Hand weiter tasten zu lassen und trat deshalb mit der Hacke auf die dünnen Finger.

»Seht gefälligst zu, wo ihr bleibt!«, schrie ich den Dieben zu und nur um meine Worte zu unterstreichen sprang ich noch einmal mit voller Wucht auf die Luke, sodass sie sich mit einem Knall schloss.

Da die beiden wenig Spielraum hatten, um ihre ganze Körperkraft anzuwenden, hatten sie keine Chance die Luke zu öffnen, während ich darauf stand. Und genau das nutzte ich mit Vergnügen aus.

»Wir wollen doch nur mit dir reden, Grey«, kam es nun von Mumpitz, dessen Stimme aufgrund des hölzernen Wiederstands zwischen uns dumpf klang.

»Reden?«, lachte ich. »Ich hab gesehen, wie dein Bruder mit mir reden will.«

»Wir wollen doch bloß nicht, dass dich jemand verfolgt hat und dann uns auf die Schlich…«

»Halt die Klappe, du Idiot!«, unterbrach ihn Granti.

»Aber das ist es doch, was…«

Es folgte ein Schlag.

»He! Ich haue zurück, Blödmann!«

Noch ein Schlag.

Die Brüder bekamen sich erneut in die Haare.

»Trottel!«

»Mistkerl!«

»Geh nach Hause zu Mama und heul dich bei ihr aus!«

»Mama ist tot. Das wird wohl nichts.«

Granti äffte seinen weinerlichen Bruder nach, indem er in übertriebenes Schluchzen verfiel.

»Hör auf damit, Granti! Das mag ich nicht.«

»Und ich mag dich nicht.«

»Sag so etwas nicht. Das ist gemein.«

Und so ging das Ganze noch eine Weile hin und her, bis sich irgendwann das Geräusch von klappernden Schwertern unter das Gekeife der beiden mischte: Die Stadtwache. Sie waren auf dem Weg hierher. Und sie waren nicht mehr weit entfernt.

Ich wollte mir eine Bemerkung dazu nicht entgehen lassen und sagte: »Jetzt sitzt ihr in der Klemme, Freunde.«

Mit einem Mal spürte ich einen kalten Luftzug im Rücken.

Als ich mich umdrehte entdeckte ich Vail, der – weiß Ophostheus wie – auf das Dach gekommen war. Er grinste breit und sagte: »Das reicht jetzt, Grey. Ich denke, du hast deinen Spaß gehabt.«

»Wie?«, fragte ich irritiert. »Du meinst, ich soll sie aufs Dach lassen?«

Vail nickte und fügte hinzu: »Weißt du noch, als ich sagte, ich hätte Freunde in Fyr?«

Jetzt nickte ich.

»Nun«, murmelte er und deutete auf die Luke, »das sind sie.«



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2015-01-29T19:54:01+00:00 29.01.2015 20:54
Hey :)

Das (leider erstmal) letzte Kapitel! Ich bin gespannt, ob du mich jetzt hier mit tausend Fragen zurücklässt, oder doch zumindest ein paar schonmal beantwortest ;)

Die Sache mit den Huren... also das Gedränge find ich auch unpassend (aber schön beschrieben!), dass er sie jedoch geschlagen hat (und wie heftig) find ich echt schrecklich. Wow. Ich meine...wow. Die Arme. Vor allem, weil ich bezweifel, dass sie das Geld für einen Arzt hat...
Den Gedanken bei den Barbieren fand ich witzig. Du rennst um dein Leben (so wirkt es), aber grey überlegt trotzdem, ob er zum Barbier soll xD

Ah, daher kannte er sie! Darauf  hab ich gar nicht geachtet. Eine schöne Verbindung, da müsste ich gleich nochmal nachlesen.  interessant finde ich, dass Grey von "dem Kind" redet, obwohl Mumpitz ja so alt ist wie Granti...

Und ich hatte Recht, dass die beiden noch eine größere Rolle spielen und mit Grey zusammenarbeiten... wenn auch sicher eher unfreiwillig. Aber irgendwie passt Vail nicht zu ihnen.
Wobei...
doch. Irgendwie genau.

Ich mag deine Charaktere total! Sie sind so unterschiedlich und lebendig und ich mag die (aufkeimenden) Beziehungen untereinander. Die Geschichte ist bis jetzt wirklich famos und wie man sieht recht süchtig machend. Wie kam ich nur dazu, sie erst jetzt zu lesen, wo ich sie schon so lange abonniert habe.
Weiter so!

Mehr, mehr, Mehr! ;)
~Kommentarfieber~


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