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Das Totenhemd

Ein Grimm Abenteuer
von

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Jena

„Willkommen die Herren. Es freut mich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind!“, der Mann, welcher vor uns stand war mittleren Alters, das schlohweiße Haar war schon weit zurück gewichen und den¬noch blickte er auf uns mit wachen und jugendlichen Augen.
 

„Wir hatten kaum eine andere Wahl, Euer Hochwohlgeboren. Ihre Anweisungen waren mehr als deutlich.“, antwortete mein Bruder mit leicht mürrischer Miene.
 

Wir schrieben das Jahr 1822. Das Jahr der griechischen Revolution, des Veroneser Kongresses und neuerlichen Entdeckungen und Erfindungen. Ein Jahr, welches sich mir wohl ebenso in mein Gedächtnis gebrannt hatte, wie so viele andere auch. Die Ereignisse von Weimar und Karlsruhe lagen schon lange hinter uns, doch für Jacob und mich waren es Meilensteine, welche uns hatten reifen lassen. Auch wenn mein Bruder noch immer von Reisefieber und Forschungsdrang ergriffen aus Kassel und von mir getrieben wurde, so war er dennoch ruhiger geworden. Seid Lotte geheiratet hatte, bewohnten Jacob und ich eine kleine Wohnung etwas außerhalb der Stadt und besonders mein Bruder beschäftigte sich intensiver mit seiner „Deutschen Grammatik“. Vor einigen Tagen hatten wir ein Schriftstück des Rittmeisters Friedrich Johann Freiherr von Recke erhalten, in wel¬chem er uns eindringlich bat, sich binnen zwei Wochen bei ihm in Jena einzufinden, er hätte einen sehr vertraulichen Auftrag für uns. Jacob ahnte bereits, dass Goethe seine Finger wie¬der einmal im Spiel gehabt haben musste, dass ein Mann wie der Rittmeister ausgerechnet an uns heran getreten war. Ebenso die Namensgleichheit des Rittmeisters mit einer damaligen Bekannten ließ uns angesichts der Erinnerung einander vielsagend ansehen. Denn das bedeutete auch, dass es wieder einmal um eine äußerst prekäre Angelegenheit ging. Mein Bruder wollte dankend ablehnen, denn unsere vergange¬nen Zusammentreffen mit dem Dichterfürsten waren stets mit Tod, Verrat und schlaflosen Nächten einher gegangen. Doch Goethe musste dies wohl bereits vorausgesehen haben, da er dem Rittmeister wohl geraten hatte, dass man uns persönlich bis nach Jena brachte und so wurden wir in einer schwarzen Kutsche quer durch das Land gefahren, unseren eige¬nen Gedanken nachhängend. Jacob begann darüber zu spekulieren, in was für eine brisante Affäre wir nun wieder geraten würden und schwor, dass er dem großen Dichter nicht so einfach verzeihen würde. Ich meinerseits sehnte mich nach den liebenden Armen meiner Dorothea und hinter meinen Schreibtisch, wo ich in Ruhe schreiben konnte.

Das Anwesen des Rittmeisters lag abgelegen der Stadt und war von einer hohen Mauer umzäunt, von düster dreinblickenden Soldaten bewacht und versprühte eine un¬heimliche Ahnung, was mir eine Gänsehaut machte. Ich erschauderte etwas und blickte auf meinen Bruder, der meine Gedanken wohl zu erraten schien und leicht nickte. Wir wurden in einen großen Raum geführt, welcher nur recht spärlich eingerichtet worden war und dadurch eine recht bedrückend wirkte. An einem Tisch saß der rundliche Ritt¬meister von Recke und beugte sich über ein weiteres Schreiben, auf die Nase war eine Brille geklemmt, über deren Ränder er zu uns aufblickte. Ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen, als er aufstand und zu uns hinüber ging.
 

„Sie hatten hoffentlich eine angenehme Reise, die Herren Grimm. Ich bitte die Umstände zu entschuldigen, aber mir wurde versichert, dass sie die Besten für diese Aufgabe wären.“, seine Stimme hatte diesen leicht aristokratischen und arroganten Ton an sich, war dennoch sanft und hatte diesen thüringischen Singsang.
 

„Versichert? Ich kann mir schon denken, wer Ihnen den Rat gab, sich an uns zu wenden. Allerdings müssen wir ablehnen.“, mit diesen Worten verneigte sich mein Bruder und wandte sich ab, wobei er mich ernst anblickte: „ Komm Wilhelm, wir….“
 

„Sie meinen, dass der Herr Geheimrat von Goethe mir den Rat gab.“, unterbrach ihn Von Recke mit ruhigen und leicht spöttischen Ton.
 

„Dem ist nicht so, ich habe ihn lediglich um Ihren Aufenthaltsort gebeten. Er warnte mich bereits vor, dass Sie ablehnen würden, aus diesem Grund habe ich Sie auch holen lassen. Sehen Sie es geht um die Comtesse de Chasy-Mirandeau.“
 

Jacob erstarrte in seiner Bewegung, sein Leib begann leicht zu beben und ich sah wie in seinem Gesicht eine Veränderung vor sich ging. Alles Blut war aus seinen Wan¬gen gewichen, sein Blick wurde glasig. Ich meinte schon, er müsse jeden Moment in sich zusammen sinken. Nach schier für mich endlosen Augenblicken schluckte mein Bruder und wandte sich um. Von Recke hatte seinen Mund zu einem wohligen Lächeln verzogen, seine Miene spiegelte Triumph wieder, als er langsam auf uns zutrat. Doch ehe der Rittmeister etwas zu sagen vermochte, gewann Jacob seine Sprache wieder. Dennoch brach die Stimme, als er sprach: „Marianne Blanche Comtesse de Chasy-Mirandeau?“
 

Der Rittmeister nickte, legte einen Finger an seine Lippen und schien über etwas nachzuden¬ken, ehe er sich wieder umwandte, das Zimmer in wenigen Schritten durchmaß und sich hinter seinen Schreibtisch niederließ, um scheinbar einige Papiere zu ordnen.
 

„Wie ich sehe, ist Ihnen der Name ein Begriff. Das freut mich, dann brauche ich auch nichts weiter zu den Umständen zu sagen, welche Ihre Hilfe bedingen. Ich möchte nicht lange um die Tatsachen herumsprechen. Ihr Auftrag, meine Herren, ist recht simpel. Sehen Sie, die Comtesse ist vor nicht allzu geraumer Zeit verstorben und Sie, meine Herren, sollen ihr den letzten Wunsch erfüllen. Ihr Haupt und Leib in der Heimaterde zur letzten Ruhe betten.“
 

Mein Bruder taumelte leicht, wich einige Schritte zurück und blickte mich nun hilflos an. Ich begriff nicht, was ihn so erschreckt hatte oder warum ihn der Name in einen derartigen Schrecken versetzte, so dass ich beschloss Jacob nachher, wenn wir unter uns waren, zu fragen, was es mit der Comtesse auf sich hatte. Doch plötzlich stürzte er neben mir voran, stürzte sich regelrecht auf den Tisch und ich glaubte schon, dass er über die Platte greifen und Von Recke am Kragen zu sich herüber ziehen würde. Allerdings konnte ich lediglich seinen keuchenden Atem zuhören. Erst wenige Augenblicke später vermochte ich die Worte von seinen Lippen zu verstehen.
 

„Tot? Sie ist tot? Sie war jünger als Wilhelm. Wie kann sie tot sein? Eine Frau in der Blüte ihrer Jahre? Nein, nein. Das ist vollkommen unmöglich. Warum? Warum wir?“
 

Das unkontrollierte Verhalten meines Bruders ließ mich für einen kurzen Moment, wie von einem Blitzschlag gerührt verharren, ehe ich mich bewegen konnte und neben ihn trat, um meine Hand auf seine Schulter zulegen. Ich meinerseits blickte nun auf den Rittmeister, welcher mit leicht erschrockenem Blick auf Jacob sah, ehe er seine Fassung zurück erlangte und sich räusperte.
 

„Nun, Herr Grimm, Sie haben Recht. Madame verstarb kurz nach ihrem dreißigsten Geburtstag nach langer und schwerer Krankheit Zu jung, wie es scheint und dadurch recht tragisch. Aber es war laut des Schreibens ihres Arztes eine Erlösung. Er war es auch, welcher mich über den Wunsch informierte, dass sie von Ihnen zurück in ihre Heimat gebracht werden möchte. Sie werden den Sarg der Comtesse in Straßburg abholen und in Begleitung eines Dieners dann zurück nach Preußen bringen. Dort wird der Sarg übernommen und in der Fa¬miliengruft beigesetzt.“
 

Diese gleichgültige Nüchternheit, mit welcher Von Recke uns den letzten Wunsch der Comtesse überbrachte, erstaunte mich etwas. Er hatte uns gerade mitgeteilt, dass wir den toten Leib einer jungen Frau über mehrere hundert Kilometer durch ganz Deutschland geleiten sollten. Eine Aufgabe, welche weder alltäglich, noch in den Tätigkeitsbereich eines Gelehrten fiel.

Jacob ließ sich zurückfallen und ich glaubte schon, er würde mir nun doch zusammenbrechen, weswe¬gen ich ihn unter die Arme griff und anstatt meines Bruders antwortete: „Wann werden wir erwartet?“
 

Der Rittmeister überreichte uns ein Schriftstück, woraus wir alle Informationen entnehmen könnten, senkte seinen Blick dann wieder über die Papiere und bedeutete uns so, dass wir jetzt gehen konnten. Noch immer stützte ich meinen Bruder, ging mit ihm hinaus und half ihm in die Kutsche. Mit einem schweren Seufzer ließ er sich in die Sitzpolster sinken, schloss die Augen und lehnte den Kopf an das Holz des Innenraumes. Ich wollte ihn für eine Weile seinen Gedanken überlassen und seine Erinnerungen. Als wir allerdings schon eine ge¬raume Zeit unterwegs waren, fand ich die Gelegenheit günstig und nahm all meinen Mut um Jacob über die Comtesse zu befragen. Mein Bruder schrak bei meiner Frage derart zusammen, als hätte ich ihm Gründlinge in den Kragen geschüttet. Er hatte aus dem Fenster auf einen weit entfernten Punkt gesehen und war wohl zu sehr in seinen eigenen Überlegungen versunken gewesen. Für einen Augenblick meinte ich schon, dass er mich anschreien würde, mich mit Vorwürfen überschütten, dass ich ihn nicht von diesem Unterfangen abgehalten hatte. Ja, dass ich gar noch den Auftrag angenommen hatte und er sich nun nicht seinen Studien widmen konnte. Doch dann bemerkte ich den traurigen Ausdruck auf seinem Gesicht, ein leises Seufzen entrann sich seiner Kehle. Erneut schloss mein Bruder seine Augen und lehnte den Kopf gegen das Holz, eine einsame Träne quoll unter seinem linken Augenlid hervor und rann glitzernd über seine Wange hinab zu seinem Kinn, wo sie auf seinen Schoss hinabfiel. Der Tod der Comtesse ging ihm wirklich sehr nah, allerdings fragte ich mich nun noch mehr warum. Er hatte mir nie von ihr erzählt und ich persönlich kannte Niemanden unter diesem Namen.
 

„Marianne Blanche Comtesse de Chasy-Mirandeau war eine alte Bekannte.“, ich zuckte zusammen, als Jacobs Stimme leise und halb gebrochen erklang.
 

„Ich traf sie auf einem Fest bei meiner ersten Parisreise. Sie war gerade einige wenige Wochen verheiratet und noch recht jung, aber schon sehr wortgewitzt und hielt sich nicht mit langweiligen Reden, wie bei jungen Damen üblich, auf. Sie hatte etwas sehr Erfrischendes und Ungezwungenes an sich. Dazu muss ich wohl erwähnen, dass sie in Stettin geboren wurde und ihre ersten Lebensjahre dort verbrachte. Sie war wohl aus einfachem Hause und hatte sich nicht der Aristokratie verschrieben, sondern wie es manchmal geschieht, von dem Comte de Chasy-Mirandeau hineinvermählt. Allerdings stellte ich fest, dass sie ein hohes Maß an guter Erziehung und Bildung genossen hatte. Wir unterhielten uns recht lange und tauschten so manche Geschichte aus. Später erfuhr ich, dass man sie auf Lebenszeiten aus Deutschland verbannt hatte.“, seine Worte verhallten in der Tiefe meines Herzens.
 

„Verbannt? Auf Lebenszeit? Und dann für ganz Deutschland? Warum? Ich meine, welches Verbrechen kann schon eine junge Frau begehen, dass sie den deutschen Boden nicht mehr betreten darf?“, Blut schoss in meine Wangen, denn es musste doch etwas sehr schwer Wiegendes gewesen sein, dass selbst das kleinste Herzogtum darauf eingegangen sein musste.
 

„Nun du magst zwar Recht haben, dass eine Verbannung aus ganz Deutschland sehr ungewöhnlich ist und die genauen Gründe kenne ich leider auch nicht, aber ich weiß, dass etwas am Hofe des preußischen Königs geschehen war. Mein Gott, tot. So jung.“, die letzten Worte waren eher für sich selbst bestimmt, denn für mich, doch sie trafen mich ebenso.



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