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Ganz Nebenbei Erzählt

von

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Tränen verwischten den letzten Blick, den ich auf meinen Schatz werfen konnte. Wer weiß, wie viel Zeit vergehen würde, bis wir uns wiedersahen. Aber immer noch war wenig Zeit mit ihm verbringen besser, als gar keine Zeit mit ihm verbringen. Ich würde lange von meinen Erinnerungen zehren müssen. Wirklich lange. Wann wir uns wieder sehen, wer weiß, ob überhaupt jemals wieder?

Wir hatten uns kennengelernt bei der schwulen Olympiade. Vadim war unter dem Vorwand hierher gereist, seine Schwester zu besuchen. Noch immer war es in Russland nicht gern gesehen, wenn man klar machte, dass man schwul war. Wie in vielen Ländern wurden auch hier schwule Menschen gejagt. Sie waren Freiwild. Jeder konnte sie verletzen und niemand würde einschreiten.

Und beide hatten wir nicht genug Geld, das wir es uns erlauben konnten, für längere Zeit bei einem von uns zu leben. Vadim hatte beim Abschied gesagt, dass er sich überlegen würde, wie er zu mir kommen könnte. Hier könnten wir frei leben, brauchten nur Verfolgung durch einige Dummköpfe erwarten, die nicht mitbekommen hatten, dass sich die Welt verändert hätte, die aber für ihre Taten bestraft würden. Was in seinem Land nicht der Fall wäre. Dort müssten wir uns verstecken.

Dass unsere Beziehung so innig werden würde, damit hatten wir beide nicht gerechnet. Wir hatten uns einen Tag vor der Eröffnung gesehen, als noch Zimmer gesucht wurden und zufällig war ich da und hatte noch ein Bett frei. Dann war Vadim zu mir gekommen. Unsere Blicke trafen sich, ließen einander nicht mehr los. Mehrere Menschen neben uns stießen uns an, drückten uns beiseite. Wir bekamen nichts mit, waren in unserer eigenen Welt gefangen. Wie lange es gedauert hatte, das sich unsere Blicke wieder trennten, ich weiß es nicht. Vadim reichte mir seine Hand, ich nahm sie und wir gingen zu mir. Den ganzen Weg bis zu mir nach Hause gingen wir zu Fuß. Wir hätten den Bus nehmen können, die Straßenbahn. Wir gingen zu Fuß. Kein Wort wurde gesprochen, den ganzen Weg lang nicht. Es war nicht nötig. Mein Herz hatte seinem Herzen geantwortet, einer Frage, die nicht ausgesprochen wurde.

In meiner Wohnung zogen wir uns in aller Ruhe aus, schlüpften unter die Dusche, wuschen uns gegenseitig, trockneten uns ab und legten uns mit den Gesichtern zueinander aufs Bett. Sanft streichelten seine Finger über mein Gesicht. Ebenso sanft streichelte ich über sein Gesicht. Wann daraus mehr wurde, keiner könnte es sagen. Es war ein unendlich erfüllender Liebesakt. Als er in mich eindrang, ich ihn in mir aufnahm, war es ein nach Hause kommen, ein endlich ankommen. Leicht schaukelten wir uns sanft zu einem Höhepunkt und als wir uns beide verströmten, lagen unsere Münder aufeinander, spielten unsere Zungen miteinander.

Wir hielten uns fest, lösten uns nicht voneinander, schliefen so miteinander ein. Später, als es uns kalt wurde, zogen wir die Decke über uns, hielten uns in den Armen und schliefen wieder ein. Am Morgen wurden wir fast gleichzeitig wach. Immer noch lagen wir im Arm des Anderen.

Unendlich viele Gespräche teilten wir miteinander, unendlich viele Zärtlichkeiten tauschten wir miteinander. Jedes Streicheln in diesem Moment bedeutete, dass wir im nächsten Moment weniger Zeit miteinander hatten. Wir schufen endlose Erinnerungen, an die wir denken konnten, wenn wir wieder getrennt waren. Die Zeit war so kostbar und doch wollte ich sie gegen nichts eintauschen wollen. Alles wurde für uns wichtig, jedes Blatt das vom Baum fiel und auf dem Anderen landete, jeder Blick, wenn wir gerade nicht in die Anderen Augen sahen.

In meinem ganzen Leben habe ich jemals eine Zeit mit so viel Zärtlichkeit und doch glühender Leidenschaft verbracht, wie meine Zeit mit Vadim. Wenn ich einen Wunsch erfüllt bekommen könnte, dann den, diese Zeit so zu verlängern, dass wir am Ende unseres Lebens in des Anderen Armen sterben könnten.

Doch würde uns das nicht vergönnt sein. Der Tag der Trennung war gekommen. Als ich einen letzten Blick auf ihn warf, ein letztes Mal in seine Augen sah, ein letztes Mal seine Umarmung und seinen Körper an meinem spürte, da brach mein Herz und er nahm es mit sich. Wir tauschten unsere Herzen, gaben es in des jeweils anderen Obhut und hofften auf ein Wiedersehen.

Zwei Jahre ist es mittlerweile her. Noch immer schreiben wir uns täglich, sehen uns täglich über Skype. Der Faden zu seinem Herz wird langsam dünner und ich kann es spüren. Aber bald, nächsten Monat, habe ich genug Geld zusammen, um ihm ein Ticket herüber zu schicken und ihn zu mir kommen zu lassen. Das Aufgebot ist schon bestellt. Alles ist bereit. Auch wenn uns alle für wahnsinnig halten, wir können nicht anders. Wir haben des anderen Herz in unserer Obhut.

 

 

 

ENDE



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