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Wahre Stärke

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Wahre Stärke

„Endlich habe ich dich gefunden!“

„Nein, ich habe beschlossen mich dir zu zeigen, weil dein Umherirren und deine hartnäckige Suche in ihrer Verzweiflung schon an Erbärmlichkeit grenzen.“

Ohne viel zu versuchen, die Worte des anderen genau zu verstehen, sprach der junge Mann sogleich mit einem Verlangen in seiner Stimme: „Du weißt, wieso ich hier bin! Also gib mir, was ich brauche!“ Es klang wie eine Drohung.

„Nein“, war die schlichte, ruhige Antwort. „Ich wollte mich dir zeigen, um dir zu sagen, dass du dir von mir nichts erwarten kannst, dass ich dir nichts geben will.“

„Was ist das nur für ein Scheißsystem! Zuerst bietest du einem das Zeug an, drängst es einem regelrecht auf und dann … dann lässt du einen einfach so sitzen und in seinem Elend verrotten, du mieses Schwein!“, spie er voll Verachtung aus.

„Nein, das ist es nicht“, widersprach Nano sanft, den Blick kurz umherschweifen lassend. „Das System besteht darin, Menschen zuerst dieses Mittel, diese Errungenschaft der modernen Wissenschaft, zur Probe darzubieten, ja sogar zu schenken – beim ersten Mal – und ihnen danach das Geld aus der Tasche zu ziehen, indem man ihnen den Nachschub, den sie brauchen, teuer verkauft. Der Grund, wieso dies so gut funktioniert, ist, dass die Menschen, haben sie die Droge einmal probiert, kaum noch ohne regelmäßigen Konsum leben können.“

„Ich weiß, wie das System funktioniert! Ich war Teil davon und habe Arbitro lange Zeit bei diesem Scheiß unterstützt! Also gib mir jetzt endlich was von deinem Blut, sonst reiß ich dich in Stücke und hol es mir selber!“

Nano beobachtete den anderen, in dem sich Wut und Verzweiflung stauten, Gefühle, die durch unfreiwilligen Entzug aus dem sonst so arroganten Shiki herausbrachen. Wobei dieser es sich selbst insofern noch einmal schwerer machte, da es sein Stolz ihm verbot, seine Verzweiflung offensichtlich nach draußen zu tragen. Aber auch so spürte man es.

„Ich sagte dir bereits ab, dir weiteres Blut zu geben, dies war ja der Grund, wieso ich dieses Treffen herbeigeführt habe. Auch wenn es dir nicht recht ist, hoffe ich doch, dass zumindest die Aussage meiner Worte bei dir angekommen ist.“

Weiterhin musterte er die Gestalt vor sich mit leerem Blick und wartete. Sicher würde ihn der andere sogleich attackieren – aussichtslos natürlich, schon allein, weil die Wirkung der letzten Dosis schon viel zu sehr abgeklungen war – aber Shiki würde nicht zögern, selbst wenn er sich die Sache logisch überlegt hätte.

Es waren Gefühle wie Verachtung, Stolz und diese unbelehrbare Verbissenheit, der Drang sich anderen gegenüber überlegen zu zeigen, die Nano den anderen schon länger beobachten ließen. Welch intensive Kombination an Gefühlen in einem Menschen. Ein Charakter, den man nicht alle Tage antraf, vor allem keinen, der sich wirklich die gewünschte Anerkennung erarbeitet hatte und den Titel König hatte tragen dürfen.

Was aber, wenn dieser Mensch abstürzte, von seinem Thron gestoßen wurde? Nicht auf herkömmliche Art, hätte man ihm jemanden hingestellt, der stärker war als er und ihn besiegen hätte können, vermutlich wäre Shiki lieber im Kampf gestorben, als dass er sich die Schmach einer Niederlage angetan hätte. Was aber, wenn man diesen Menschen seiner Überlegenheit beraubte ohne gegen ihn zu kämpfen, wenn man sich gar weigerte zurückzuschlagen?

Problemlos wich Nano der ersten auf ihn gerichteten Attacke aus. Ebenso jeder weiteren. Mit kleinen Schritten änderte er seine Position so, dass er immer gerade wenige Zentimeter von der Waffe entfernt war, die geschwungen wurde, um ihn zu verletzen. Überlegenheit wollte er beweisen und keineswegs den Eindruck erwecken, er wolle weglaufen. Schon einmal war es so ähnlich abgelaufen. Lernten die Menschen denn nicht dazu?

„Wie töricht von dir zu glauben, dass du nun etwas gegen mich ausrichten könntest, wo du mir doch in diesem Zustand hoffnungslos unterlegen bist. Eigentlich solltest du es wissen, also sag, wieso greifst du mich trotzdem an?“, fragte der Attackierte mit Ruhe und Interesse, was den anderen nur noch mehr wahnsinnig machte.

„Bleib still stehen, du…! Oder wehr dich, du Feigling!“

„Willst du denn wirklich durch meine Hand sterben? Wäre das erstrebenswert für dich?“

„Du arrogantes Arschloch! Es gibt niemanden, der mich in einem Kampf besiegen kann! Ich bin der stärkste Mensch, den diese Welt je gesehen hat!“

Überheblichkeit – war sie die Ursache, die Shiki zu seinem Handeln trieb?

Mit einer Bewegung, so rasend schnell, dass ein Mensch sie kaum verfolgen konnte, positionierte Nano sich nun hinter dem anderen und beugte seinen Kopf sanft über dessen Schulter, ihm weitere Worte zuflüsternd: „Stark? Du glaubst also, du besitzt wahre Stärke?“

„Ich glaube es nicht nur, es ist so!“, schrie der Angesprochene, nachdem er in flinker Reaktion mit seinem Schwert ausgeholt und hinter sich gestochen hatte – ein Angriff, dem ein Mensch normalerweise kaum entgehen konnte. Nun, Nano schon.

„Nenn mir einen normalen Menschen, der stärker ist als ich!“, fragte Shiki herausfordernd. „Und wenn du genetisch verändertes Etwas auch nur eine Sekunde deine Konzentration fallen lässt, dann wirst du schmerzvoll erleben, wie stark ich bin!“

„Einfach“, meinte Nano lediglich, im Zuge die eigentlich rhetorische Frage des anderen zu beantworten. „Mir würden viele Menschen einfallen, aber als Beispiel … dein Halbbruder.“

Es war ein schallendes Lachen, das als Antwort auf diese Aussage zurückkam. Ein Lachen der Überlegenheit im unterschwelligen Tonfall eines Verzweifelten, konnte Shiki doch weiterhin nicht einen Kratzer am anderen machen und auch wenn er es sich nicht eingestand, zehrte dieser Kampf doch auch an seinen Kräften und irgendwann würde ihn die Ausdauer verlassen.

„Mein Halbbruder! Ha, den Winzling könnte ich mit einem Hieb umlegen, dieser erbärmliche kleine Bursche, den hab ich doch im Nu erledigt! Stärker als der bin ich allemal und auch noch viel stärker!“

„Stärker“, wiederholte Nano nachdenklich, ließ den Blick sogar kurz verträumt abschweifen, was jedoch nichts an seiner tadellosen Reaktion änderte. Und mit einem Satz hatte er auch wieder die Position gewechselt und Shiki für einen Augenblick verwirrt. „Stärker, sagst du, doch worin besteht wahre Stärke? Besteht wahre Stärke nicht eher darin, der Versuchung zu widerstehen, als sich ihr hinzugeben?“

„Was redest du nur für einen Schwachsinn! In einem Zweikampf bin ich ihm überlegen und das ist das Einzige, was Stärke ausmacht.“

Plötzlich konnte Shiki den anderen nicht mehr sehen und selbst, als er den Blick wendete, war dieser unauffindbar – zumindest, bis er durch eine erneute Wortmeldung seine Position verriet.

„Aber bist du frei?“

Ein kurzer Augenblick genügte und zielsicher stürmte Shiki in Richtung Nano, das Schwert bereits zum Schwingen ausgeholt, doch wie nicht anders zu erwarten, wich dieser aus, bevor ihn die Waffe treffen konnte.

„Natürlich bin ich frei – was für eine dumme Frage!“

„Und wieso bist du dann zu mir gekommen?“

„Eigentlich wegen deines Blutes, aber mittlerweile, um dich in Stücke zu schneiden, du arroganter Mistkerl.“

„Genau. Du bist abhängig – und zwar von mir, von meinem Blut und wieso das? Weil du zu schwach warst, um der Versuchung zu widerstehen, der Aussicht auf noch größere Stärke. Dein Halbbruder jedoch hat widerstanden, hat keine Drogen genommen, um dir einmal überlegen sein zu können, obwohl es so einfach gewesen wäre. Er hat sich sogar dagegen eingesetzt, andere gewarnt und er lebt, soweit ich weiß, nun ein angenehmes Leben. Du hingegen…“

„Halt die Klappe!“, schrie Shiki und wieder ging ein energischer Hieb mit seinem Schwert ins Leere.

„Die Wahrheit schmerzt, nicht wahr?“

„Lass mich in Ruhe!“

„Genau das habe ich auch vor. Ich wollte ja nur, dass du einsiehst, dass ich dir kein Blut mehr geben werde und vielleicht auch, dass du dir eingestehst, in welchem Teufelskreis du dich befindest, aus dem du nie wieder entfliehen kannst.“

Irgendein Funken der Aussage, die Nano die ganze Zeit herüberbringen wollte, schien angekommen zu sein – außerdem zehrte das Herumfuchteln an Shikis Kraft und er begann zu verstehen, dass seine Attacken aussichtslos waren.

„Also, weiterzukämpfen bringt wohl nichts“, meinte Shiki schließlich und senkte sein Schwert, steckte es jedoch noch nicht weg.

Ein kurzes, schwaches Nicken seitens Nano sollte wohl bedeuten, dass dieser froh war, dass der andere diese Tatsache eingesehen hatte.

„Du weißt, was ich will, und jetzt tu nicht so abgehoben“, warf Shiki ihm Worte an den Kopf, in der Hoffnung, er könne den anderen doch noch an irgendeinem schwachen Punkt packen, sei es nun Stolz oder vielleicht … Gier.

„Dein Blut wird noch immer teuer verkauft, jedoch leider nie die unverdünnte Version, die in deinem Körper fließt. Ich weiß den Marktpreis und mit den Scheinen“ – er holte ein Bündel Geldscheine heraus – „könnte ich mich ansaufen mit dem 50 prozentigen Stoff.“ Er nahm zwei weitere ebenso dicke Bündel an Geldscheinen aus seiner Mantelinnentasche. „Ich geb dir das Dreifache und will nur die doppelte Konzentration. Einmal von dir trinken – ich geb dir für jedes Mal so viel Geld. Alles an dich – ich wette, sonst behält Arbitro sich einen großen Anteil. Aber das soll jetzt eine ganz private Geschichte werden, nur zwischen uns beiden. Sind wir im Geschäft?“

Nanos Blick senkte sich, sein Gesicht blieb ausdruckslos und innerlich war da Enttäuschung, dass der andere wohl doch noch nichts verstanden hatte. „Ich brauche kein Geld“, erklärte er tonlos. „Ich habe schon gesagt, ich gebe dir nichts.“

„Ach ja! Weißt du, du kannst so leicht reden, aber was soll ich tun!“, schrie Shiki erbost über die Aussage des anderen, war er doch auch selber mit Ideen, wie er an das erwünschte Suchtmittel kommen konnte, bald am Ende.

„Eine Möglichkeit wäre ein Entzug, aber … ich glaube nicht, dass du das schaffst. Man bräuchte Menschen dazu, die einen unterstützen. Vertraute, in etwa Freunde oder Familie, doch du hast dir nur Feinde in deinem Leben geschaffen.“ Kurz schwieg Nano, er wirkte nachdenklich, und schließlich hob er den Kopf und verkündete das Ergebnis seines Denkens: „Ich glaube, es ist aussichtslos für dich.“

„Aussichtslos, was?“, knurrte Shiki, jedoch war seine letzte Hoffnung noch nicht gebrochen. „Du weißt genauso wie ich, wie sehr ich dein Blut brauche. Also hör auf mit dem lächerlichen Spiel und sag, was du dafür verlangst. Ich habe keine Scheu, sag mir, was du dafür willst und ich tue es. Soll ich jemanden umbringen? Sag einfach wen und ich tue es sofort.“

„Und auf die Knie fallen und darum bitten würdest du auch…“, murmelte Nano mehr zu sich. Es war eine Feststellung, keine Frage.

Ein leises Fluchen unterdrückend, starrte Shiki kurz den anderen an, aber sein Körper litt mit jeder Stunde, ja mit jeder Minute, in der er kein Blut bekam und so fiel der sonst so stolze Mann doch tatsächlich ohne Protest auf die Knie, die Hände am Boden aufgestützt, den Blick gesenkt. Wie sehr ihn die Demütigung traf, zeigte er nicht.

„Siehst du, was aus dir geworden ist?“, fragte Nano leise, in seinem Gesicht nicht der Hauch von Überheblichkeit oder Schadenfreude. Es war mehr Betrübtheit, dass dieser früher so interessante Mensch doch nur ein einfach gestricktes, normales Wesen war, das der Droge, die sich Line nannte und durch Nanos Adern floss, hilflos erlegen war.

„Das Blut stellt dich auf eine Probe. Doch diese ist nicht, ob man es verträgt, sondern ob man der Versuchung widerstehen kann.“

Als Shiki nach dem Vernehmen dieser Worte den Blick hob, da war der andere fort, hatte lediglich eine mickrige Phiole seines Blutes auf dem Boden zurückgelassen, um dem anderen zu verdeutlichen, dass diese Begegnung stattgefunden hatte – und es würde wohl die letzte Begegnung und ein Abschied für immer gewesen sein.



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