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Jareth und René

Los Angelos Summerdrive
von

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Flohmarkt

Ich wusste ja nun schon einiges über erste Dates, doch dieses hier kam mir sonderbar vor. In der Zeit, die wir zusammen waren, malte sich mein Kopf so vieles aus. Wie er mich küsste, wie er mich umarmte oder wir Händchen hielten. Ich stellte mir sogar vor, ob er mich fragen würde: „Willst du noch auf einen Kaffee mit rauf?“ Ich überlegte, denn rein von der Wohnung her ja, doch bei dem was diese Frage noch bedeuten könnte, nein. Oder besser, ich war mir nicht sicher. Wollte ich das denn wirklich? Immerhin war mir René für intimere Details zuwider. Er war verdammt noch mal ein Kerl! Dasselbe Geschlecht wie ich. Und noch außerdemer tat ich das alles nur, um den Teil meiner Erinnerungen wiederzuerlangen, der mir noch zu einem vollständigen Bild fehlte. Wie ironisch, dass René der Einzige war, der mit da helfen konnte. Warum war die Welt nur so ungerecht?!

Nachdem wir uns im Park von C.G. verabschiedet hatten, gingen wir ganz normal nebeneinander her. Wir strauchelten durch die Einkaufspassage im hiesigen Stadtteil von L.A., holten uns Currywurst mit Pommes und aßen sie auf einer der unzählig wenigen Sitzgelegenheiten der Stadt auf. Danach führte René mich ins Kino. Er bezahlte und wir sahen uns einen Aktionsfilm an, der wirklich genial war! Als wir anschließend den Tag oder besser das Date mit einem weiterem Fastfoodessen bei McDoof abrundeten, musste ich erstmal den Film auswerten.

„Die Effekte waren ja mal der Hammer. Ich mein, Pistolen und so auf coole James Bond Art zu schießen, ist schon hammergenial, doch das war ja schon eher so Matrixlike. Weißte? Wie in diesen Zeitlupen Sequenzen, wo du die Kugeln an ihm haarscharf vorbei schießen siehst und ah war das toll. Auch die Roboter waren irgendwo cool. Auch wenn ich nicht so darauf stehe, aber ein bisschen geht immer“, plapperte ich und schlang meinen Burger runter oder leckte mir den Ketchup von den Daumen. „Sag mal was grinst du eigentlich so?“

Schon die ganze Zeit über, in der ich den Film erörtert hatte, grinste dieser Affe mich an. Noch ehe René etwas sagte, bewegte seine Hand sich auf mich zu und ich sah ihr auch noch artig hinter her. Sein Zeigefinger strich nahe meinem Mund über meine Haut und ich sah mit röter werdenden Wangen dabei zu, wie René sich das bisschen Ketchup von dem Finger leckt. Was sollte das nun wieder? Wusste er wie peinlich so was war?

„Nix weiter. Ich freue mich nur. Immerhin hast du noch nie so relaxt mit mir geredet“, sagte er, stützte seinen Kopf auf seiner Hand ab und grinste mich weiter an. „Aber ja, ich fand den Film auch voll cool.“

„Meinst du nicht, dass das etwas untertrieben ist?“, protestierte ich, zum Teil auch nur, um mich von seiner Geste eben abzulenken.

„Nein, dass finde ich nicht“, erwiderte er ganz ruhig und schob sich eine Pommes in den Mund. „Sicher war der Film cool, aber eben nur halb so interessant wie die Person vor mir.“ Der kam unerwartet. Wo er doch den ganzen, gut fast den ganzen Tag, einfach nur nett war.

„Wenn du meinst... Ich kann mir ja schöneres vorstellen als das. Ich mein-“

„Jay.“ Abrupt hielt ich inne, als hätte er mir seine Hand direkt auf den Mund gelegt und nicht einfach nur sachte auf meine Hand. „Weißt du denn, warum ich diese Dates wollte?“, fragte er und seine Stimme war total sanft.

„Um mich zu ärgern?“ René ließ ein schnaubendes Geräusch von sich, dass belustigt wie beleidigt klang.

„Um dich mal so kennen zu lernen, wie du jetzt bist.“

„Wieso, wie ich jetzt bin?“

„Weil ich dich nur noch von früher kenne. Als wir klein waren. Aber das ist schon etliche Jahre her und sowohl du als auch ich haben uns in der Zeit verändert. Ich weiß ja nicht, aber stehst du immer noch auf Schmetterlinge?“

Mit großen Augen und etwas überrascht sah ich René an. Einfach weil er etwas so ernstes sagte, das so natürlich rüber brachte, dass ich mich frage, wie ich diesen Aspekt je nicht sehen konnte? Ich mein, an was ich alles gedacht hatte...

„Etwas. Nicht mehr so sehr, aber etwas“, brachte ich noch leicht geplättet heraus. An Renés Gesicht konnte ich ablesen, dass er diese Antwort doch überraschend fand.

„Echt?“ Er grinste. „Das hätte ich nicht gedacht. Immerhin warst du damals so verrückt nach ihnen. Aber die anderen in der Klasse haben dich deswegen immer auf den Arm genommen“, sagte er und lachte, in Erinnerungen versunken. Es hörte sich richtig erleichtert an. „Josi hatte alle, die dich aufgezogen hatten in die Flucht geschlagen. Obwohl sie jünger war, hatte sie keine Angst vor den älteren Jungs. Und du-“

„Ich hab mich dann immer bei ihr beschwert, dass sie das nicht zu machen braucht, weil ich der Ältere bin und mich doch nicht von einem Mädchen beschützen lassen kann. Genau, das habe ich gesagt. Ich erinner' mich.“ Noch perplex von der neuen Erkenntnis, lächelte ich René an, auch wenn mir nicht bewusst war, woher ich diese Erinnerung ausgegraben hatte. René schien sich eben dasselbe zu fragen. So wie er schaute. Große graue Augen, in einem leicht eckigem Gesicht, ein erstaunter Blick und dann ein Lächeln, wie ein Sonnenschein.

„Du erinnerst dich ja doch an etwas?“, grinste er schelmisch und lehnte sich etwas vor. „Kannst du dich noch an die Kirschexpedition erinnern?“

„Kirschexpedition? Das war doch das eine mal als wir uns eine Schatzkarte gezeichnet hatten und auf super geheim gemacht haben. Und dann sind wir durch die ganze Stadt gegangen, immer schön die Schritte abzählend, bis wir beim Kirschbaum hinter unserem Haus angekommen sind.“ René nickte.

„Genau. Und dann haben wir uns an den Kirschen bedient, bis wir Bauchschmerzen hatten und deine Mutter uns deswegen ausgeschimpft hatte.“ Ich schmunzelte bei der Erinnerung.

„Ja, und dann mussten wir trotzdem noch zu Abend essen.“

„Und weil es uns dann allen dreckig ging, habe ich bei dir übernachten dürfen.“

„Ach wirklich?“, fragte ich nach. Jetzt war ich doch überrascht. Obwohl ich vom Hörensagen sag annehmen musste, dass so wie Übernachtungen stattgefunden haben müsste. Dennoch verband ich es nicht automatisch mit René. Sofort kramte ich in meinem Kopf nach einem Bild von René, aber ich konnte ihn mir nicht als kleinen Jungen vorstellen.

„Ich hatte damals etwas längere Haare als jetzt und den Abend haben wir noch lange unter deiner Bettdecke gesessen und uns mit Taschenlampen versucht zu erschrecken.“ Ich überlegte und langsam kamen Bilder von kleinen Jungen, die mit Taschenlampen Schattentieren an die Wand malten oder sie sich unters Kinn hielten, wieder hoch. Nach dem Hochgefühl mich an etwas zu erinnern ohne mit den Kopf zu zerbrechen, war das eben ein kleiner Schock gewesen. Aber mit den wenigen, zarten Bildern fühlte ich mich wieder bestätigt. Ich war auf dem richtigen Weg.

„Das warst du?“, fragte ich und kam nicht um ein Lächeln umher. Wenn ich mich recht erinnere, wirkte René da so klein und frech. Gar nicht mehr wie er heute ausschaut.

„Ja, das war ich. Ich war auch einen Kopf kleiner als du. Jedenfalls bis wir acht waren. Dann hab ich dich eingeholt.“

„Stimmt, wir haben doch am Türrahmen immer Striche gezogen! Aber das du mich so schnell eingeholt hattest, hat mich schon geärgert.“ Er nickte nur, scheinbar mit sich zufrieden.

„Komm, lass uns gehen“, sagte er und deutete mit den Kopf in Richtung des Ausgangs. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir schon lange mit dem Essen fertig waren. Geschweige denn wie spät es geworden war.

Draußen war es mittlerweile schon dunkel und der Wind frischte auf. Ich merkte das besonders gut, da ich außer meiner Unitasche ja nur mein Shirt an hatte. Auf ein so spontanes Date war ich nicht vorbereitet gewesen. René war schlauer gewesen und eine Lederjacke, die echt warm aussah. Ich versuchte es mir an meiner Haltung nicht anmerken zu lassen, auch wenn ich Gänsehaut bekam. Ich lenkte mich von der Kälte ab und dachte an unser Gespräch über die gemeinsamen Erinnerungen. Das war viel aufregender als alles andere! Erstaunt stellte ich fest, dass ich mich doch an eine ganze Menge erinnern konnte und dass auch René seinen festen Platz darin hatte. Allerdings hatte ich einige der Erinnerungen als trivial eingestuft und nicht weiter beachtet. Ob es noch mehr von damals gab an das ich mich zwar erinnern konnte, aber es als nicht bedeutend genug abgestempelt hatte?

Als wir nach einer kleinen Weile stoppten, fand ich mich vor Renés Wohnung wieder. Kam jetzt etwa diese Kaffeesache?

„Ich finde, es hat heute echt viel Spaß gemacht...“

„Stimmt, war lustig“, sagte ich und lächelte.

„...daher tut es mir Leid, aber für heute ist erstmal Schluss. Ich muss morgen früh raus.“

„Oh...“ Das kam unerwartet.

„Ich hoffe doch, du kommst gut nach hause. Schreibst du mir, wenn du da bist?“ Irgendwie war ich gerade buff...

„Ähm... ja, klar, kann ich machen. Du hast dir ja meine Nummer widerrechtlich eingehandelt“, sagte ich stichelnd und die Kurve kriegend.

„Das war nur ein fairer Ausgleich zu den Sorgen, die ich mir gemacht habe“, schnaufte René. Abschätzend sah ich ihn an, drehte mich dann um und war bereit zu Gehen.

„Kay, dann bis dann, würde ich sagen.“ Es war als würde man an der schönsten Stelle eines Film oder eines Songs einfach einen cut setzten und aus war. So was unsensibles habe ich wirklich noch nie erlebt! Das hab ich ja nicht mal bei den Frauen fertig gebracht, denen ich überdrüssig wurde. Und er!?

„Bist du mir etwa böse, dass ich dich alleine los schicke? Jay?“

Als ich nicht reagierte, kam er mir einen Schritt nach und hielt mich am Handgelenk fest. Ich wusste nicht, was er erwartet hatte oder was ich in dem Moment für ein Gesicht gemacht hatte, aber René zog mich augenblicklich in seine Arme.

„René hör auf. Ist schon gut, dass-“ -macht doch nichts, wollte ich sagen. Doch er küsst mich einfach. Fest, vielleicht zu fest schon, presst er seine Lippen auf meine, dass ich dachte, er sei nur ausgerutscht. Doch im nächsten Moment wurden sie weicher, bewegten sich und ich spürte einen Arm um meine Taille, der mich näher zog. Es war seltsam. Ich fühlte mich so einkesselt wie noch nie, so gezwungen. Und doch war mir als lägen wir einfach unter einer Decke und machten Morsezeichen mit der Taschenlampe. Ich erwiderte. So einfach war das. Ich gab nach. Dem Kribbeln in meinen Fingern, die sich gerade durch dunkles Haar wühlten, wie auch meinem rasendem Herzschlag oder der Verwirrung in meinem Kopf. Es war nur ein Kuss, sagte ich mir. Ein kleiner... größer werdender, berauschender Kuss, aus dem ich atemloser hervorging als aus jeden davor. Ich hatte nicht gewusste, dass René auch 'so' küssen konnte. (Wenngleich er sowieso schon der beste Küsser war, den ich je hatte.) Seine Zunge war einfach vorgeprescht und hatte mich völlig überrumpelt. So einen leidenschaftlichen Kuss hatte ich mit einer Frau noch nie. Schlimmer war vielleicht noch die Erkenntnis, dass nicht ich es war, der aufhören wollte. René hatte sich zurück gezogen und nun strich er mir sanft über meine Wange und ich hatte Mühe mich am Riemen zu reißen.

„Ich melde mich bald wieder bei dir. Und bis dahin muss das leider reichen“, hatte er sanft noch hinzugefügt, ehe er mich wirklich los ließ und in sein Haus verschwand. Etwas in meinem Kopf hatte mir dann laut zugeschrien >Umdrehen und nach hause gehen!< Sonst stünde ich vielleicht immer noch vor seiner Tür.
 

Wie konnte ich mich darauf nur einlassen? Was hatte ich erwartet? Wie war es überhaupt dazu gekommen? Was 'dachte' ich mir nur dabei mich René praktisch in die Arme zu werfen? Immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich an diesen Tag zurück dachte. Nicht so, wie an eine schöne Nacht mit herrlichen Sex und einer Schönheit, die so geheimnisvoll und lustvoll war wie die Nacht selbst. Eher wie ein Tag im Sonnenblumenfeld, mit herrlichen Sonnenstrahlen und summenden Bienen. Doch warum ich ausgerechnet eine der Sonnenblumen küssen musste, wusste ich beim besten Willen nicht mehr. Auch nicht, was ich bitte erwartet hatte. Immerhin ging es mir doch um meine Erinnerungen und die Frage, warum René sich so an mich ranschmiss. Gut, letztens haben wir viel über die Vergangenheit geredet, aber nicht über Neues. Wir sind praktisch nur alte Details durchgegangen und haben sie aufgefrischt. Jetzt konnte ich von selbst meine Erinnerungen durchsuchen und neu bewerten. Immerhin wusste ich nun wie René damals ausgesehen hatte und konnte nach ihm suchen, mich selbst erinnern.

Aber warum beschäftigte mich dann zusätzlich die Frage, was ich von René wollte? Klar, sein Abgang war nicht gerade klassisch oder kavalierhaft, aber wenn er Termine hatte. Nur... warum fand er dann keine Zeit mich nach hause zu bringen? Erst war er so erpicht darauf, dass ich heil zu hause ankomme und dass er ein scheinbares Interesse daran hatte zu wissen, wann ich wo war und dass es mir gut ging – nur wegen diesem einem kleinen Ausrutscher im Park! Doch dann hält er es nicht für nötig mich nach einem Date nach hause zu bringen, wo das doch die klassischen Abfolge war! Wenn ich es so betrachtete... eigentlich wurden nur die Mädchen nach hause gebracht. Da ich immer beteuerte, dass ich Keines war und er mich nicht so behandeln sollte, hatte er es womöglich ernst genommen. Demnach hatte ich mir ein Eigentor geschossen, nur... hatte ich nicht sowieso damit gerechnet, dass wir zu René nach hause gehen würden? Vielleicht war ich auch nur so überrascht, weil er mich eben nicht gefragt hatte, ob ich noch auf einen Kaffee mit hochkommen wollte. Es wirkte, als hätte er mich eiskalt abserviert. Aber als ich bockig war, küsste er mich. Und wie! Ein bisschen war das schon toll. Aber auch nur ein bisschen!

Dafür hatte ich ihm keine SMS geschickt. Auch nicht angerufen. Zum einem hatte ich es vergessen und zum anderen wollte ich ihn leiden lassen. Vergessen hatte ich es auch nur, weil ich auf dem Weg nach Hause nicht aus meinen Gefühlen schlau geworden war. Den Abend waren sie präsenter, jetzt kaum noch greifbar. Seit dem ersten Date waren 3 Tage vergangen und ich hatte mich nicht gemeldet. René hatte irgendwann geschrieben und gefragt, ob es mir gut ginge. Dann rief er an. Seit den Abend schon 8 Mal. Ich ging nicht einmal ran. Ich fand es selbst schon kindisch, aber irgendwie hatte ich den Zeitpunkt verpasst, ab dem es nicht peinlich wurde, ihn so offen ignoriert zu haben.

„Wenn du nicht augenblicklich an dein Handy gehst, mach ich das, oder du stellst es aus! Es nervt. Was soll eigentlich dieser Klingelton?“, fragte C.G. mich genervt.

„Den hat René eingestellt, als ich mal nicht aufgepasst habe.“ Besser als ich bewusstlos gewesen war! Außerdem schien er eh schon aufgelegt zu haben. Ich drehte mich um, eigentlich nur aus einer Laune heraus und um C.G. zu sagen, 'Siehste!'. Doch da erkannte ich erst, 'warum' das Klingeln aufgehört hatte. C.G. war rangegangen!!

„Ja. Hi... na klar. Mir geht’s gut und dir?... Kling toll. Sag mal-.. hä? Was ich an seinem Handy mache? Naja.. er ist nie rangegangen und dieser Klingelton nervt! Wie von dir? Nein, der is' nicht cool, der is' voll nervig! Was? Ja, ich geb' ihn dir.“ C.G. sah mich an und das mit einem Blick der so viel sagte 'Beende das jetzt, sonst bring ich dich um!'. Ich seufzte und nahm das Handy entgegen.

„Ich hasse dich....“, begrüßte ich ihn müde.

»Freu mich auch dich zu sprechen, Darling!«

„Hör auf mich so zu nennen.“

»Das war das erste Mal. Aber gut, dass ich nun weiß, auf was du stehst.« Sein läppisches Grinsen sah ich sogar durch den Kopfhörer hindurch.

„Was willst du?“, fragte ich resignierend, da ich auch das Gespräch so schnell es geht hinter mir haben wollte. Es war so schon peinlich genug.

»Hast du heute Zeit?«

„Ich hab Uni.“ Lüge.

»Glaub ich dir nicht.«

„Warum nicht?“ Warum frag ich überhaupt?

»Weil dein Handy laut gewesen sein muss, sonst hätte es C.G. nicht genervt und er wäre nicht rangegangen.«

„Hab's gerade erst laut gemacht... Außerdem kann ich dennoch Uni haben. Vielleicht hab ich ja erst Abends Lesung und du weißt das nur nicht.“

»Jay, hör auf damit. Hast du Lust dich heute mit mir zu treffen oder nicht?«

„Ist das wieder ein...“ Vor meinem besten Kumpel konnte ich das nicht laut sagen. Zumal C.G. genau wusste wer am anderem Ende war.

»Nein, ist es nicht. Nur ein ganz normales Treffen. Dass heißt, du darfst diesmal für dich selbst zahlen.« Wieder dieses Grinsen...

„Hatte ich eh vor. Das letztens wäre auch nicht nötig gewesen.“

»...« Oh. Mal keine Antwort?

„Wo soll's denn hingehen?“, harkte ich schnell nach, denn diese Ruhe am anderen Ende passte mir gerade gar nicht.

»Sag ich dir dann. Um drei an der Ecke Third Street. Bring etwas Geld mit.« Als nächstes hörte ich nur noch das Freizeichen. Er hatte aufgelegt. Einfach so. Ungläubig starre ich mein Telefon an, als klebe dort eine besonders hässliche Spinne.

„Und was sagt er?“, riss mich C.G. aus meiner Verwirrung.

„Ich glaube, er ist sauer mit mir...“, gab ich ungläubig zu verstehen.

„Kann man es ihm verübeln? Du ignorierst ihn ja seit letztens. Was hat er denn gemacht, dass du so miesepetrig bist?“

„Er hat mich stehen lassen...“, sagte ich, sah C.G. an und sah seinen ungläubigen Blick.

„Und?“

„Das war kacke! Erst will er unbedingt was machen und drängt mich förmlich dazu. Wobei wir uns auch echt gut unterhalten haben, so von früher und so. Und dann lässt er mich stehen, weil er früh raus muss?“

„Ich find das jetzt nicht so schlimm. Immerhin machst du das auch ständig. Vor allem mit René. Er revangiert sich gerade nur“, gab C.G. schulterzuckend zu.

„Wann bitte habe ich ihn mal stehen gelassen?“

„Im Dinner, der Bar, der Disco, auf dem Campus... eigentlich immer, wenn wir ihm begegnet sind.“ So richtig glauben, wollte ich das nicht. Aber es stimmte. 'Ich' habe René zuerst stehen lassen und nun hat er selbiges mit mir gemacht. Und das bei einem Date. Er hatte mir alles mit einmal zurück gezahlt. Wenngleich er kurz schwach geworden war und mich geküsst hatte. Oder war das alles geplant gewesen?
 

Mit einer kurzen Notiz für meine Mitwohnenden – meine Schwester und meine Eltern – ging ich kurz vor drei Uhr los. Dabei war ich schon ziemlich spät dran. Ich wusste einfach nicht, was ich anziehen sollte. Für die Jacke, die ich favorisierte, war es wesentlich zu warm und doch brauchte ich etwas zum überziehen, falls wir doch länger draußen blieben. Ich wusste nun ja nicht, wo es hingehen sollte. Aber so oder so, blieb mir der Nach-Hause-Weg nicht erspart und für diesen brauchte ich für den Fall der Fälle eine Jacke. Das letzte Mal war es echt kalt gewesen. Wäre ich nicht gerannt, wäre mir der Weg zurück sicher ewig lang vorgekommen. Obwohl ich ja auch die U-Bahn hätte nehmen können.

Für heute jedenfalls hatte ich mir eine Jacke mitgenommen. Mein Portemonnaie war im meiner Hosentasche versteckt und drückte sich jetzt beim Laufen auf meinen Hintern. Ich sollte sie mal wieder entrümpeln... Die Jacke hab ich mir schnell um die Hüfte gebunden, war in meine Schuhe gestiegen und bin los gerannt. Als ich endlich an der vereinbarten Stelle eintraf, wartete René schon an die Häuserwand gelehnt und sah aus wie die Ruhe selbst. Noch konnte ich nicht erkennen, ob er mir noch immer böse war oder nicht. Schnaufend blieb ich vor ihm stehen und brauchte einen Moment um Luft zu holen.

„Tut mir.... echt Leid...“, japste ich. Man ich hatte echt Null Kondition.

„Warum nimmst du eigentlich nie die Bahn?“, wurde ich gefragt, wobei mir Renés Stimme etwas eigenartig vor kam. So angespannt, als stünde er vor einer urst wichtigen Prüfung.

„Weil ich sie nicht mag. Sie sind dreckig, stinken und wer weiß auf was für ein Gesocks man dort trifft. Außerdem ist in meiner Nähe keine Station. Da kann ich das Stück auch laufen“, antwortete ich und fühlte mich, als würde 'ich' geprüft werden.

„Dann verstehe ich nicht, wie du so außer Atem sein kannst?“

Das ernsthafte in seiner Stimme war noch nicht ganz verschwunden, aber er klang amüsierter. René stieß sich von der Wand ab und bog um die Ecke. Ich folgte, ohne weitere Fragen zu stellen. Jetzt, wo mir bewusst war, dass ich vielleicht ein weniger nettes Verhalten ihm gegenüber gehabt hatte, fühlte ich mich leicht gehemmt. So als wolle ich meine eigene Rolle beobachten und versuchen sie besser zu spielen. Eben so, dass René keinen berechtigten Grund mehr hatte, sauer auf mich zu sein.

„Wo geht’s denn hin?“

„Auf den Flohmarkt.“

„Und dafür schleifst du mich mit? Wegen einen Flohmarkt? Da bekommt man doch nur Plunder und Rumps. Alles was andere nicht mehr haben wollen“, protestierte ich. Eigentlich dachte ich, er käme mit einer ähnlich tollen Idee wie mit dem Kino. Vielleicht hatte ich das auch erwartet, immerhin... oh nein, warte. Dies hier war ja gar kein Date. 'Ein ganz normales Treffen' hatte er gesagt gehabt. Aus einem mir noch unerfindlichen Grund versetzte mir dieser Gedanken einen Stich in die Brust. Wieso war mir ein normales Treffen gerade nicht genug?

Der Flohmarkt war entgegen meiner Erwartungen doch ganz amüsant. Es war erstaunlich, was manche Leute sich für Müll kauften, oder wie wieder andere versuchten zu lachhaft billigen, manche auch zu überaus hurenden Summen ihre Waren zu verkaufen. Was genau wir suchten, konnte René mir auch nicht sagen. „Ich weiß es, wenn ich es sehe“, hatte er nur erwähnt. „Ich suche noch etwas für meine Wohnung.“ Ich konnte mir bei besten Willen nicht vorstellen wie jemand, dessen Wohnung das abgestimmteste Farbschema hatte, welches ich je gesehen habe, etwas gleichwertiges von diesem Müllmarkt hinzufügen wollte??? Vielleicht war das ja auch eines jener Mysterien, denen die Menschheit schon seit langem auf der Spur waren?
 

Wir verbrachten Sage und Schreibe dreieinhalb Stunden auf diesem dummen Markt! Mir taten die Füße weh, zumal die Auslagen sich nach einiger Zeit zu wiederholen schienen. Während ich erst leicht verzückt mit schlenderte, dann gelangweilter immer einen Schritt zurück blieb und René wie ein Entenküken überall hinterher lief, und dann offenkundig meine Langeweile nach außen trug, war René einfach nicht klein zu kriegen. Erst als er eine sonderbare Holzskulptur von irgendeiner indischen Göttin gefunden hatte, zusammen mit sonderbaren dünnen Holzstreben, von denen er meinte, dass wenn er sie in eine entsprechend große Vase stellte – wir fanden eine 'Vase' die etwa einen Meter zehn groß war und er kaufte sie natürlich – es eine gute Dekoration für seine Wohnstube ergeben müsste. Was war er? Der Deko-König? Zumal ich diese Statue ja eher beängstigend fand, als schön. In mein Wohnzimmer würde ich sie wohl nicht stellen. Es sei denn, ich möchte meine gesamten Gäste vergraulen.

„Das ist Kali. Die indische Göttin, die für Tod, Zerstörung aber auch Erneuerung steht. Sie ist eine sehr kriegerische Göttin, die es gern hat Dämon oder böse Wesen zu zerreißen und auf ihnen herumtrampelt, selbst wenn sie schon tot sind.“

Entsetzt sah ich René an. SOWAS stellt man sich doch nicht ins Wohnzimmer!

„Aber sie bringt auch Erneuerung und einen Neuanfang. Ihr Mann Shiva sorgte einst dafür, dass sie, als sie einen Schlag gegen hunderte von Dämonen gewonnen hatte und wie wild auf den Leichen tanzte, wieder runterkam. Er legte sich mit auf den Boden und erst als Kali auf ihrem Mann tanzte und seinen scheinbaren Leichnamen bemerkte, beruhigte sie sich. Aus Schreck und Scharm streckte sie dann ihre Zunge raus.“ René zeigte auf die Zunge in den grotesken Gesicht der Göttin. Als könnte man die übersehen. „Shiva habe ich schon als Holzskulptur. Jetzt hatte noch Kali gefehlt. Denn Shiva ohne Kali ist Shava. Das heißt leblos.“

Trotz des hässlichen Antlitzes der Holzskulptur, war ich ernsthaft von René beeindruckt. So viel Tiefgründigkeit hätte ich ihm gar nicht zugetraut.

„Ich bin fertig hier. Kommst du noch mit zu mir? Alles einrichten und tragen helfen?“ Ich grinste schief, was sollte ich auch anderes machen? Das war die Frage, auf die ich beim letzten Mal gewartet hatte. Abgesehen von meinem Arschlochverhalten und dass ich ein vielleicht kleines schlechtes Gewissen hatte, war es irritierend wie froh mich seine Frage machte.

„Wo du mich schon mal hierher geschleppt hast, bleibt mir ja keine andere Wahl oder?“

„Nein. Nicht wirklich.“



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