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Alles Gute kommt von Oben!

Dann muss 'gut' aber neu definiert werden
von

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Lucian und die kleine Alice

Missgelaunt ging der junge Vampirjäger durch die Schlucht. Neben ihm türmten sich die zerklüfteten Felsen fast senkrecht auf. Und wohin er auch sah, fand er nichts anderes als steinige Einöde vor. Er seufzte genervt. „Wie soll ich hier denn die Orientierung behalten?!“, der Jugendliche bleib stehen und breitete demonstrativ die Arme aus. Da war einfach nichts als Stein. „Kein Grund sich so auf zu regen, Lucian. Um die Orientierung kümmere ich mich ja. Wenn wir weiter der Schlucht folgen, erreichen wir morgen früh eine kleine Stadt“, sagte der schwarze Kater resignierend, er hinter dem Vampirjäger her flog. Er bekam ein Murren des Jungen zur Antwort, ehe dieser weiterstapfte. Es war nicht nur diese verdammte Einöde, die ihn störte, auch der Name. Lucian. Das hörte sich in seinen Ohren so falsch an. Vermutlich, weil es auch nicht sein richtiger Name war. Nero hatte ihn ihm gegeben, da er sich an nichts erinnern konnte, als er vor etwa einem Tag zu sich gekommen war.

Er war, wenn auch kaum verletzt, aber dafür mit heftigen Schmerzen, mitten in der Pampa aufgewacht. Und in seinem Kopf herrschte seither genau so eine Einöde wie hier. Egal wie sehr er sich auch zu erinnern versuchte.

Lucian ging weiter und trat einen Stein vor sich her. Er ging immer weiter und weiter, obwohl er merkte, wie schnell er müde wurde. Was sollte der Mist denn? So schlimm war das Laufen nun auch wieder nicht. Als die Sonne langsam versank, merkte er überrascht, dass es ihm schon wieder deutlich wohle war. Darüber war er erleichtert, aber auch verwirrt. Wieso er sich wieder besser fühlte, begriff er nicht so ganz. „Lass uns hier in der Nähe einen Schlafplatz suchen. In der Nacht zu gehen ist noch zu gefährlich“, meinte Nero. Schon am Tag begegneten sie genügend Monstern. Aber in der Nacht war es für Lucian, der völlig unbewaffnet und nicht ganz fit war, einfach zu gefährlich. „Mir egal. Von Morgen an laufe ich in der Nacht. Ich glaub, ich vertrag die Sonne nicht“, bemerkte Lucian, als hätte er gar nicht zugehört. „Hey!“ Der Kater setzte an, sich zu beschweren, doch dann zuckten seine Ohren. Er hatte gerade etwas gehört. Wohl Steine, die abbröckelten und hinabstürzten. Bei ihrem Aufprall hallte ein leises Echo durch die Schlucht. „Das sehe ich mir mal an.“ Ohne auf Neros Einsprüche zu achten, folgte Lucian dem Geräusch.

Mit geschmeidigen und eleganten Bewegungen schlich er durch die Dunkelheit. Obwohl weder Sterne noch der Mond ein schwaches Licht warfen, konnte der Vampirjäger die schemenhaften Umrisse seiner Umgebung erkennen.

Nach einigen Momenten blieb er stehen und sah nach Oben. War es seine Einbildung oder hatte er gerade Stimmen gehört?
 

Was auch immer es war, es schreckte Lucian nicht ab, sondern verleitete ihn hoch zu klettern. Er tastete die felsige Wand ab, bis er genug Halt fand und anfangen konnte, aufzusteigen. Da er nicht viel sehen konnte, musste Lucian sich den Weg ertasten. Doch er war nicht weit gekommen, ehe ein lautes Krachen und ein darauffolgendes Kreischen die Stille zerfetzten.

Lucian riss den Kopf hoch und sah etwas, das genau auf ihn niederstürzte. Zum reagieren war es längst zu spät.

Das Ding riss ihn mitsamt einigen Steinen von der Wand runter. Lucian landete hart auf dem Boden. Aber er stützte sich gleich wieder auf und rieb sich den Kopf. „Au, verdammt!“, fluchte er, während er in der Dunkelheit nach dem Ding Ausschau hielt, dass ihn wörtlich wieder auf den Boden geholt hatte. Und tatsächlich erkannte er die Umrisse davon. Dabei wurde ihm klar, dass dieses Etwas ein Mensch, vermutlich ein Kind war, das nun leise wimmernd auf der Erde lag. Zugegebenermassen, Lucian war verstört. Was hatte ein Kind hier zu suchen?

Die Kleine – der zierlichen Gestalt nach zu urteilen war es ein Mädchen – stützte sich ebenfalls langsam auf.

Lucian erhob sich, nur um im nächsten Moment herum zu wirbeln. Hinter sich hatte er ein Lachen vernommen. Es war eisig kalt, aber doch tiefst bösartig und selbstgefällig. „Na, bist du nun bereit, uns zu verraten, wo es versteckt ist?“, fragte eine raue Männerstimme. Lucian konnte gerade mal die Umrisse einiger Ghuls erkennen. Das Mädchen antwortete nicht, sondern presste nur ihre Lippen aufeinander. Trotzdem konnte selbst Lucian ihre Angst wahrlich spüren.

Die Kleine sass auf dem Boden, unfähig sich noch einmal zu erheben. Ihr war schwindelig und sie hatte Schmerzen. Sie kauerte sich zusammen und legte schützend die Hände über sich. Die Ghuls kamen ihr immer näher und ihre Schreie liessen sie erzittern. Doch weiter geschah nichts. Dies verleitete die Kleine aufzusehen, doch sie konnte kaum etwas erkennen.

„Ich wusste ja immer schon, dass Vampire echt verabscheuungswürdig sind. Aber dass sie sich mit Hilfe ein paar Ghuls an einem kleinen Mädchen vergreifen, sollte auch für sie zu viel sein.“ Lucian hatte sich zwischen das Mädchen und die Drei Ghuls gestellt, wobei er letztere mit blossen Händen niedergestreckt hatte.

Nun stand nur noch der vermeidliche Vampirjäger da. Lucian spürte eine immense Hitze in sich aufsteigen. „Zisch ab! Sieh gefälligst zu, dass du mir hier nicht im Weg stehst!“, wies er das Mädchen schroff an, das sich darauf angestrengt erhob und durch die Schlucht stolperte. Nero, der eben dazu gestossen war, folgte ihr einfach.

Obwohl die Kleine so schnell rannte, wie sie noch konnte, hörte sie hinter sich noch die Stimme des Vampirs. „Na sowas? Du wichest ja fast genauso wie wir.“
 

Völlig erschöpft liess Alice sich hinter einigen Felsen auf die Knie fallen. Nero war ein gutes Stück hinter ihr geblieben. Erst nach einer ziemlichen Weile hörten die beiden Schritte. Alice kauerte sich panisch zusammen, doch Nero erkannte, dass es Lucian war. „Was-“, setzte er an, wurde aber vom Vampirjäger unterbrochen. „Frag nicht.“

Lucian wandte sich der Kleinen zu. „Alles in Ordnung?“, Alice linste ihn aus ihren grossen, braunen Augen an. „Wer.. bist du?“, fragte sie leise.

„Ich bin… Lucian. Und das“, er deutete auf den Kater hinter sich, „ist Nero. Keine Angst, wir tun dir nichts.“ Lucian ging vor dem eingeschüchterten Mädchen in die Hocke. „Wie heisst du? Und wie kommst du hier her?“, wollte der 16-jährige wissen.

„Alice“, antwortete das Mädchen nur. Sie war ganz offen skeptisch.

„Was machen wir jetzt mit ihr?“ Nero war noch immer hinter Lucian. Die Kleine war ja offenbar auf der Flucht.

„Sie mitnehmen. Wir können sie ja nicht einfach hier lassen“, meinte der Vampirjäger seufzend. „Von wo bist du gekommen?“

Alice sah sich um, was in der Dunkelheit reichlich wenig Sinn machte. Schliesslich deutete sie über die Felsen hinweg in eine Richtung. „Ungefähr von da“, antwortete sie.

„Ungefähr…!?“

„Genau weiss ich‘s nicht. Ich bin einfach gerannt.“

„Schon gut. Lass uns in diese Richtung gehen. Mehr können wir ja auch nicht machen.“ Lucian erhob sich wieder und ging zu der Felswand zurück, um sich daran hoch zu tasten. Nero flog neben ihm her und Alice folgte ihnen mit tapsigen Schritten. Sie blieb aber vor der Wand stehen und sah zu Lucian auf.

„Was ist?“, fragte dieser nach Unten, schon ein ordentliches Stück in der Höhe.
 

„Ich komm da nicht hoch.“
 

„Was?“
 

„Ich komm da nicht hoch. Ich sehe nichts und mir tut alles weh.“
 

„Versuch‘s trotzdem.“, erwiderte Lucian und verdrehte die Augen.
 

„Und wenn ich runter falle?“
 

„Dann fällst du. Und brichst dir was“, sagte der Ältere. Nach einigen Sekunden fügte er hinzu: „Im schlimmsten Fall das Genick.“
 

Daraufhin herrschte Stille. Lucian konnte Alices Gesicht im Dunkeln zwar nicht erkennen, aber er ahnte schon, dass sie gleich anfangen würde zu weinen. Und tatsächlich war ein sniffen zu vernehmen. Oh, das war ja so typisch! „Schon gut, schon gut! Ich komme ja runter und helfe dir. Aber fang bloss nicht an zu heulen!“
 

Gesagt, getan. Lucian stand nun wieder Unten bei der Kleinen.

„Kannst du wirklich nicht versuchen, alleine hoch zu Klettern?“, fragte der Ältere sie.
 

„A-aber wenn ich mir was breche?“
 

Lucian konnte nicht anders als die Augen zu rollen. „Tu‘s trotzdem. Ich werde dich nicht tragen.“ Ja, so viel stand fest. Er würde die Kleine nicht zurück lassen. Sie war schliesslich ein hilfloses Mädchen. Aber er würde sie auch nicht tragen!

„Hör mal Lucian…“, klinkte sich nun Nero ein, der neben der Rosahaarigen schwebte. „Wenn sie runterfällt und sich das Bein bricht, wirst du sie noch länger tragen müssen. Und jammern wird sie dann auch mehr.“

Stille.

„Ich hab‘s ja kapiert!“, fuhr Lucian ihn nach ein paar Sekunden an.

„Schön, ich nehm dich Huckepack bis oben. Du musst dich nur gut festhalten, dazu hab ich keine Hand frei“, erklärte der Vampirjäger und ging in die Hocke. Alice nickte ehe sie auf seinen Rücken kletterte und sich an ihm fest hielt.

Klammern traf es wohl eher.

„Alice…“, Lucian griff nach den schmalen Armen der Rosahaarigen und löste ihren Griff. „Ich habe gesagt, du sollst dich gut festhalten. Von erwürgen war nie die Rede!“

Alice hatte ihre Arme so eng um Lucian geschlungen, dass sie ihn beinahe erwürgt hätte. „‘tschuldigung“, murmelte die Kleine immerhin Schuldbewusst.
 

Als sie sich einigermassen ordentlich festhalten konnte und Lucian nicht das Gefühl hatte, dass sie ihn umbringen wollte, begann er zu klettern.

Das ganze gestaltete sich schwieriger als der Vampirjäger angenommen hatte. Alice gab sich zwar mühe sich festzuhalten und nicht zu kreischen, wenn er mal abrutschte oder Steine abbröckelten, aber das half ziemlich wenig.

Sie war leicht, selbst für ein Kind. Aber ihr Gewicht machte ihm trotzdem zu schaffen. Ausserdem war er so unkoordiniert und unbeweglich mit ihr auf dem Rücken.
 

Endlich Oben angekommen liess der Ältere Alice runter und setzte sich erst mal hin. Erschöpft stöhnte er auf. „Man, du bist einfach zu schwer, Kleine.“ Nach diesen Worten und Alices schmollendem Gesicht, liess er sich nach hinten fallen. Der Boden war hart und es tat eigentlich ziemlich weh, auch wenn Lucian das niemals zugegeben hätte. Und er fühlte sich an sich ziemlich fertig. Kein Wunder aber, er war den ganzen Tag unterwegs gewesen und dann hatte sich ihm noch ein dämlicher Vampir in den Weg gestellt.

Lucian blieb aber nur wenige Minuten so liegen, ehe er sich wieder aufrichtete. „Also, kleine - Alice“, meinte er, als er sich den Staub von den total verdeckten und zerrissenen Hosen klopfte. „Hier pennen können wir nicht, wenn wir nicht gefressen werden wollen. Also hoffe ich für dich, dass du noch eine Weile laufen kannst.“

Alice sass weiter da und tat nichts anderes, als Lucina aus grossgewordenen, braunen Smartiesaugen anzusehen. Sie hielt ihn offenbar für total bescheuert, traute sich aber nicht, etwas zu sagen. Aber ihre Augen wurden wässerig und schon nach wenigen Sekunden rannen dicke Tränen über ihre Wangen. Sie sniffte.

„Oh nein! Nicht das schon wieder! Hör damit auf!“, stiess Lucian hervor.

„Nimm ihn nicht ernst, Alice. Wir wollen dich schliesslich nur in Sicherheit bringen“, beschwichtigte Nero das Mädchen. Alica sah ihn sniffend an. Dann blickte sie zu Lucian, welcher offenbar nicht wusste, was er jetzt sagen sollte.

Hin und her gerissen zwischen den Optionen, einfach den Mund zu halten oder zu protestieren, wandte er den Kopf ab. „Tz.“

Das kleine Grüppchen ruhte sich noch einen Moment aus, ehe sie sich in die Richtung aufmachten, aus der die kleine Alice wohl gekommen war. Lucian und sie waren beide still und alles andere als begeistert.

Sie liefen und liefen, aber es wollte sich weder etwas anderes als Felsen in der Ferne zeigen, noch wollte die Sonne sich über den Horizont erheben.

Irgendwann begann Lucian dann damit, Schimpfwörter um sich zu werfen, von denen Nero sich wünschte, er hätte sie auch vergessen, Aber nicht nur Lucians, sondern auch Alices verhalten änderte sich mit der Zeit. Sie war noch immer still, wurde aber auch immer langsamer. Erst dachte Nero sich nichts dabei. Klar, sie hatte einiges hinter sich und wurde langsam müde. Lucian schien es nicht einmal zu bemerken. Dann aber begann Alice bedrohlich zu wanken, die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen gepresst. „Alice? Alles in Ordnung?“, fragte der Kater sie, als er das Gefühl bekam, dass es schlimmer um das Mädchen stand, als er gedacht hatte. Es kam keine Antwort, weswegen Lucian stehen blieb und sich genervt seufzend zu den beiden umdrehte. „Was ist denn jetzt schon wieder?“, fragte er gereizt. Dieses Mal bestand Alices Antwort darin, taumelnd gegen ihn zu laufen und sich völlig erschöpft an ihn lehnte. „Müde…“, brachte sie hervor und schloss die Augen. Lucian stand erst mal perplex da. Alices kopf ruhte etwas unterhalb seines Brustkorbes, doch ihre Kaninchenohren waren lange genug, um ihn leicht an der Nase zu kitzeln. Einen Moment nahm Lucian sich noch, um die Rosahaarige zu betrachten. Sie sah erschöpft aus und selbst bei dem wenigen Licht von dem Mond und den Sternen konnte der Vampirjäger erkennen, dass sie ordentlich Blessuren hatte.

Aber was zur Hölle erwartete er eigentlich? Alice war ein kleines Kind, das durch die felsige Einöde gerannt war, auf der Flucht vor Undead und einem Vampir. Mit einem tiefen seufzen drehte Lucian sich um und ging in die Hocke. Alice war entweder schon tief am schlafen oder vor lauter Erschöpfung halb bewusstlos geworden. Jedenfalls gestaltete es sich nicht gerade leicht, sie Huckepack zu nehmen. Wenigstens war sie leicht. „Komm schon, Nero. Wir müssen wohl noch ein ganzes Stück laufen“, brummte er und setzte sich wieder in Bewegung.

So viel zu der ‚Ich-werde-dich-sicher-nicht-tragen‘-Theorie.
 

Lucian war selbst ziemlich erschöpft und seine Laune war eigentlich genauso mies. Trotzdem war er nicht so verärgert über Alice, wie er es von sich selbst erwartet hätte. Naja, sie war eben doch nur ein hilfloses, undschuldiges kleines Mädchen, das sich ganz tapfer geschlagen hatte. Und irgendwie war sie ja auch süss. Dann würde er sie eben doch bis ins nächste Dorf tragen.

Ausserdem, so würde Lucian einige Tage später erfahren, hatte Alice guten Grund gehabt, wegzurennen.

Denn sie versteckte eine mächtige Waffe, die die Mahct der Dunkelheit in sich hatte.
 

Vanargand.
 


 

Es waren Jahre vergangen, seit Lucian die damals neun Jahre alte Alice gerettet hatte und durch sie in Vanargands Besitz gekommen war.

Er musst ja zugeben, Alice wusste viel und das konnte sehr nützlich sein. Allerdings wusste sie unterdessen eindeutig zu viel, was wiederrum gruselig war. Er fühlte sich unterdessen nämlich regelrecht von ihr gestalkt – was nicht zuletzt an den permanenten und unsinnigen Anrufen lag.
 

Bei einem war Lucian sich also ganz sicher: hätte er gewusst, dass schon nach wenigen Tagen aus dem süssen kleinen Mädchen eine Zickige Quasselstrippe werden würde, hätte er sie doch besser dem Vampir als Imbiss überlassen.
 

Aber man musste eben mit den Konsequenzen seines Handelns leben.



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