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Der Tod und andere Normalitäten

von

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Prolog

Das warme Rot spritzte hoch, bedeckte meine Haare, mein Gesicht. Doch mein Blick blieb klar, gefroren, desinteressiert. Langsam wandelte sich die Wärme vom Rot zu Kälte, es lief langsam über meine Wangen, meine Arme, bis es schließlich herunter tropfte und mit leisem Geräusch den Boden aus dunklem, verschmutzten Stein berührte. Meine Hand fuhr zurück, versteckte die verschmierte Klinge in meiner Kleidung. Dann wandten sich meine Füße um und führten mich unbemerkt fort von dem schlaffen Körper, dessen letzten Atemzug ich in mich aufgenommen hatte. Der Tod … Es gab nichts normaleres als den Tod – mein Begleiter auf Lebenszeit.
 


 


 

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Danke an distinctive :D

Kapitel 1

Der kühle Wind strich sanft über meine geröteten Wangen, als ich eilig über die Bahngleise rannte um noch rechtzeitig zur Schule zu kommen. Die letzte Nacht war länger, als ich es erwartet hatte, daher kam ich erst vor wenigen Stunden nach Hause. Dementsprechend hatte ich natürlich auch verschlafen und musste nun zu Fuß zur Schule kommen – meine Bahn war schließlich schon lange weg. Ein Glück, dass ich das Laufen gewohnt war – es war schließlich meine Beinmuskulatur, die mir zu einem Kennzeichen wurde, das ich eigentlich nur des Nachts zu zeigen pflegte.

Aber diesen Gedanken durfte ich jetzt nicht nachhängen, ich musste zur Schule – pünktlich! Meine Schule war sehr streng eingerichtet – und für jeden Fehltritt hatte man zu büßen, auf welche Art und Weise auch immer. Und auf irgendwelche Bloßstellungen hatte ich heute keine Lust, wenngleich es die Lehrer wären, die bloßgestellt würden.

Als mein Blick auf meine Uhr wanderte, begannen meine Füße damit, mich schneller fortzubewegen. Ich hatte noch etwa zehn Minuten, dann würde die allmorgendliche Begrüßung sein.

Na super, dachte ich.

Mein Blick huschte hastig von links nach rechts – gut, die Straßen waren leer, niemand sah zu! Kurzer Hand machte ich einen Satz nach vorn, sprang dann mit Kraft vom Boden ab und landete – leise wie ich war – auf einem großen, rot geziegelten Dach.

Jetzt nur noch quer rüber …

Schnell sprinteten meine Beine quer über die Dächer, sprangen von Rand zu Rand, bis in der Ferne meine Schule in Sicht kam. Noch sieben Minuten. Unter mir war ein Klirren zu hören – verdammt, die ersten Leute machten ihre Läden auf! Und meine Beine trugen mich noch schneller. Noch fünf Minuten – gleich geschafft! Das Geräusch von öffnenden Fensterläden ertönte – nur noch ein bisschen!

Ich eilte, nein flog förmlich über die Dächer, meine schwarzen Haare wehten auf und ab und meine Tasche tat es ihnen gleich, bis ich unbemerkt am Haupttor meiner Schule ankam und eilig ins Gebäude stürmte, ehe ich den großen Saal erreichte, in dem die allmorgendliche Begrüßung stattfand. Meine Hand öffnete eine der großen Türen und ich fand schnell meinen Platz unter den anderen Schülern. Zwei Minuten hätte ich nun noch – pünktlich wie immer!

„He Kaná, warum warst du denn nicht im Zug?“, stupste mich ein Junge meines Jahrgangs an. Er hatte kurze braune Haare und graue Augen, sein Name war Keith.

„Ach naja, ich hatte heute Lust, zu laufen!“, antwortete ich grinsend und stellte meine Tasche ab. Keith war hier in der Schule der einzige, mit dem ich den ganzen Tag zusammen war, mit dem ich Hausaufgaben machte und der mir immer mein Essen klaute – andere würden uns als beste Freunde bezeichnen, er tat es auch, aber für mich war er nur der, der mir am wenigsten auf die Nerven ging. Das mag hart klingen, aber meine Freunde waren anders, viel spezieller. Und sie waren es auch, mit denen ich wirklich mein ganzes Leben teilte, während Keith und die anderen in mir nur den gewöhnlichen Schüler sahen.

Ein Mann mittleren Alters mit gestreiftem Anzug und einer Melone trat an das Podium vor uns und räusperte sich laut.

„Guten Morgen, Schüler!“

„Guten Morgen, Rektor Killany!“
 

Ich legte gähnend den Stift beiseite und erhob mich, um mit Keith in die Mensa zu gehen. Beiläufig fiel dabei mein Blick auf die Uhr – noch zwei Stunden, dann würde ich wieder nach Hause fahren. Vielleicht konnte ich auf dem Heimweg sogar bei Knife vorbeischauen, da war ich bestimmt eine Woche nicht mehr gewesen und der alte Mann hatte immer etwas zu erzählen. Und vielleicht hatte er ja wieder etwas für mich entwickelt …

„Kaná, willst du auch was?“, fragte Keith grinsend und deutete auf die Süßigkeitenregale – ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir bereits in der Mensa waren.

„Nein, ich habe etwas bei.“, antwortete ich lächelnd und ließ meinen Blick schweifen. Viele der Lehrer hielten sich gerade hier auf und aßen zu Mittag. Ich merkte, wie Keith die Schultern zuckte.

„Wenn du meinst.“, sagte er und griff nach diversen Schokoriegeln und Weingummitüten, die er anschließend an der Kasse bezahlte.

„Sag mal, Kaná – hast du die Hausaufgaben gemacht?“, fragte Keith beiläufig und kaute auf einem Weingummi herum. Ich seufzte, lächelte aber.

„Warst wohl wieder zu sehr mit Mai beschäftigt, hm?“, erwiderte ich. Mai war ein Mädchen unserer Klasse mit langem blonden Haar und reizenden vollen Lippen – Keith vergötterte sie förmlich.

„Hehe, sicher! Wenn sie nach mir ruft, kann ich die edle Dame doch nicht einfach allein lassen!“

Und er war naiv – immer tat er, was sie verlangte. Er ließ sich ausnutzen, doch er merkte es gar nicht.

„Wenn du so weitermachst, wirst du noch durch die Klausuren fallen.“, meinte ich, deutete dann auf die Tür, woraufhin Keith nickte.

„Hey, es wird auch nicht mehr vorkommen.“

Ich lachte.

„Das hast du bereits die letzten sechs Male gesagt, Keith!“
 

Das laute Klingeln ließ mir einen erleichterten Seufzer entfahren – ich hatte an diesem Tag wirklich keine Lust mehr, daher war mir das Klingeln, das das Ende des Schultages einläutete nur allzu recht. Hastig packte ich meine Sachen zusammen, sah dann auf die Uhr. Ich hatte noch etwa zwölf Minuten Zeit, um zum Bahnhof zu gehen. Es blieb also noch genug Zeit, kurz beim Zeitungsladen anzuhalten und mir die neueste Tagesschau zu kaufen.

„Hey Kaná, kommst du?“, hörte ich Keith rufen und sah aus dem Fenster. Wie schaffte es dieser Kerl eigentlich immer, so schnell unten am Tor zu sein? Ich lächelte und bedeutete ihm, kurz auf mich zu warten, ehe ich hinunter rannte. Gemeinsam liefen wir dann in die Richtung, in der der Bahnhof lag.

„Ich freue mich auf die nächsten Ferien!“, gähnte Keith.

„Warum?“

„Was fragst du da? Natürlich weil ich dann endlich genug Zeit habe, Mai für mich zu gewinnen!“

„Wenn Mai etwas von dir wollte, Keith, hätte sie bereits etwas gesagt. Immerhin läufst du ihr den ganzen Tag hinterher.“

Keith sah mich grummelnd an, dann schlug er mir auf den Rücken – ich geriet ins stolpern.

„Weißt du was, Kaná? Du bist bloß eifersüchtig, weil mich ein Mädchen in ihrer Nähe haben will!“, kicherte er.

„Sicher, sicher – und morgen geht die Welt unter.“, erwiderte ich säuerlich – Mädchen waren das letzte, was ich nun brauchte. Immer kicherten sie dumm herum und redeten über irrsinniges Zeug. Außerdem hatten die Mädchen der Tageswelt keine Ahnung vom wahren Leben – niemand aus der Tageswelt hatte dies.

„Hey, wenn du dir eine Freundin suchen würdest, wärst du bestimmt nicht so ein Schwarzseher!“, meinte Keith lachend. Ich verdrehte die Augen.

„Schwarzseher? Ich nenne so etwas realistisch sein.“, erwiderte ich und kniff Keith in den Arm, der daraufhin kichernd wegsprang – manchmal war dieser Junge wirklich merkwürdig.

Nach ein paar Minuten zog ich an Keiths Ärmel und deutete auf den kleinen Zeitungsladen.

„Ich muss mir noch die Tagesschau holen.“, sagte ich. Keith rollte mit den Augen und seufzte.

„Warum holst du dir die jeden Tag? Es steht doch eh nichts interessantes drin!“

„Sagst du – vielleicht haben sie ja ein paar Informationen zu den Morden der letzten Tage!“

„Was sollen sie denn für Informationen haben? Denkst du, ein Vögelchen kommt vorbeigeflogen und flüstert ihnen, wer es getan hat?“

Ich zuckte die Schultern.

„Vielleicht.“

Ich war nur allzu froh, dass Keith die ganze Angelegenheit gelassen nahm – und nicht zu denen gehörte, die den ganzen Tag damit verbrachten, diese Morde aufdecken zu wollen. Denn wenn es so wäre, würde er mir gefährlich werden können. Ich holte mir Tagesschau wirklich jeden Tag, weil ich wissen wollte, wie weit die Polizei mit den Ermittlungen war. Aber nicht, weil ich wollte, dass sie die Morde aufklärten – ich wollte sicher gehen, dass alles sauber und nach Plan verlaufen war.

Kurze Augenblicke später hatte ich die Tagesschau bezahlt und ging mit Keith weiter Richtung Bahnhof. Dort angekommen mussten wir kaum zwei Minuten auf den Zug warten, der uns nach Hause bringen würde.

In diesem setzten wir uns auf ein paar freie Plätze und unterhielten uns weiter.

„Ich denke, ich werde mir nachher dieses neue Spiel kaufen.“, sagte Keith nachdenklich. Ich nickte zustimmend – ich wusste, dass Keith bereits seit drei Monaten auf dieses Spiel sparte.

„Hast du also endlich das Geld zusammen, ja?“

„Klar – pünktlich zur Erscheinung, wie ich es dir vorhergesagt hatte!“

„Na dann ist ja gut – sonst hättest du mir nur wieder die Ohren vollgequängelt!“, sagte ich bestimmt, woraufhin mich Keith entsetzt ansah.

„Ich würde dich nie vollquängeln! Dafür bist du viel zu taktlos!“, erwiderte er schnaubend.

„Ja, das stimmt wahrscheinlich.“, meinte ich lächelnd und schaute auf die Anzeige des Zuges.

„Du Keith, ich muss hier raus – will noch einen Freund besuchen. Bis morgen früh!“, sagte ich kurz und schnell, ehe ich aus dem Zug trat – ohne auch nur auf eine Antwort Keiths zu warten. Auf dem Bahnsteig schaute ich auf meine Uhr, dann steckte ich die Tageszeitung in meine Tasche und ging die lange Treppe hinunter, die zur Straße führte. Auch diese überquerte ich zielstrebig und gelangte nach wenigen Minuten auf einen alten Trampelpfad, der mich geradewegs zu einer alten, großen Hütte führte – extrem hässlich, wenn man mich fragt.

Schnell war ich zur Tür gelaufen und hatte mich kurz gestreckt. Dann öffnete ich sie – sie war schwer, wie immer – und trat in den dunklen Flur.

„He Knife, bist du da?“

Kapitel 2

Im dunklen Flur zog ich gelassen meine Schuhe aus, ehe ich einige Schritte weiter hinein tat und die Tür hinter mir zufallen ließ. Meine Füße trugen mich in das Wohnzimmer, in welchem wie erwartet der alte Mann lag und vor sich hin schnarchte. Ich seufzte kopfschüttelnd, ehe ich ihn unsanft weckte.

„W-was?“, erwachte dieser und setzte sich ruckartig auf, bevor er mich erkannte und mich böse anfunkelte.

„Soju, musst du einen alten Mann wie mich immer aus dem wohlverdienten Mittagsschlaf reißen?“, meckerte er – sein weißer Schnurrbart bebte dabei und die verrutschte Fliegerbrille auf seinem Kopf wackelte verdächtig, als er dazu noch den Kopf schüttelte.

„Was kann ich denn dafür, dass du so spät schlafen gehst?“, erwiderte ich und stellte meine Tasche ab, entledigte mich dann meiner Jacke.

„Hach, Soju – du treibst mich irgendwann noch in den Wahnsinn, Junge!“

Ich musste Schmunzeln – Soju nannte mich hier nur Knife, denn alle anderen fanden, dass mein Name nicht zu mir passte. Der alte Mann aber sagte jedes Mal, dass gerade solche Ungereimtheiten einen Menschen ausmachten.

„Das will ich doch nicht hoffen – wer soll mir denn sonst bei meiner Arbeit helfen?“, sagte ich breit grinsend und setzte mich auf einen großen dunklen Sessel – viele Nächte hatte ich grübelnd in diesem verbracht, seit ich vor neun Jahren von Knife aufgefunden wurde.

„Und – hast du wieder etwas neues für mich?“, fragte ich lächelnd. Erst grummelte der alte Mann, dann aber nickte er und sprang voller Tatendrang auf. Er bedeutete mir, ihm zu folgen – wo ich mich doch gerade hingesetzt hatte!

Langsam schlurfte ich ihm hinterher, bis wir in seinem versteckten Labor ankamen, welches aufgrund des hellen Anstrichs nicht nur riesig wirkte, sondern wirklich riesig war. Ich wusste dies nur zu gut – als Kind war ich diesen Raum stundenlang abgelaufen.

Knife lief freudig auf einen seiner großen Labortische zu, der bis auf ein paar kleinere Kisten und einem Schweißgerät leer war.

„Soju, nun mach schon!“, murrte er.

„Schon gut, schon gut!“, erwiderte ich seufzend und schulterzuckend und trat neben ihn. Aus einer Kiste holte er schließlich ein Paar Stiefel heraus, die an sich schwarz waren, aber einen dunklen grünen Schimmer ausstrahlten. Er drückte sie mir in die Arme.

„Zieh mal an – und dann sprinte mal eine Runde!“

Ich stutze, tat dann aber, wie mir geheißen. Schnell hatte ich mir die Stiefel übergezogen – sie waren unglaublich bequem –, anschließend lief ich ein paar Schritte, ehe ich kurz Luft holte. Dann tippte ich kurz mit der rechten Fußspitze auf den Boden – und rannte los! In Windeseile hatte ich den riesigen Raum umrundet und stoppte jäh, als ich wieder neben Knife stand. Erstaunt blickte ich ihn an.

„Die sind gut!“, lobte ich. Der alte Mann lächelte überzeugt und nickte.

„Ich habe eine neue Funktion eingebaut – mit der werden deine Beine während den schnellen Bewegungen geschont. Das neue Material ermöglicht dir nicht nur, dich wohl zu fühlen, sondern ist auch Hitzebeständig und zudem Wasserfest – oder wohl eher Blutfest!“, lachte der Alte. Auch ich begann zu lachen – Knife wusste, woran er denken musste.

„Und was ist mit meinem Waffenarsenal? Ich hatte dir vor zwei Monaten meinen Dolch gebracht – hast du ihn reparieren können?“, fragte ich, nun jedoch ruhiger als zuvor. Doch als mein Blick die Augen des Alten trafen, überkam mich Kälte. Mein Dolch – mein Lieblingsstück – war also nicht mehr zu retten gewesen …

„Tut mir Leid, Junge. Ich weiß, dass dir der Dolch viel bedeutet, immerhin ist er dein erster wirklicher Besitz gewesen.“, sagte Knife leise, ich nickte stumm. Diesen langen, geschwungenen Dolch mit der schwarzen, blau schimmernden Klinge – ich liebte ihn. Er hatte mir einst das Leben gerettet.

„Hast du die Stücke noch?“, fragte ich. Knife nickte langsam, führte mich dann zu einem weiteren Tisch und leerte eine weitere Kiste aus – heraus fielen der Griff meines Dolches – wunderbar friedlich glänzte das Silber – und die Einzelteile der Klinge. Ich besah mir die Stücke gut – viele Meiner Erinnerungen waren mit diesem – meinem – Schatz verbunden.

Ich drehte mich weg.

„Knife, kannst du … kannst du die Einzelteile für etwas anderes benutzen? Irgendetwas, das ich behalten kann?“, fragte ich und sah, wie er überlegte. Schließlich zuckte er die Schultern.

„Zu gegebener Zeit, vielleicht.“
 

Zwei Stunden später saß ich wieder in dem großen Sessel und schlürfte eine Tasse heiße Schokolade. Knife war vor etwa fünfzehn Minuten verschwunden und ließ mich warten. In Gedanken versunken bemerkte ich kaum, dass er wieder ins Zimmer trat.

„Soju, den hier hat mir heute ein Falke gebracht.“

Der Alte warf mir einen Brief in den Schoß, den ich sogleich öffnete.

„Hmm … nur wieder eine Nachricht, dass sich mein Honorar verspäten wird.“, murrte ich und ließ den Brief zu Boden fallen, ehe ich mich wieder meiner Schokolade widmete und Knife die Schultern zuckte.

„Dafür habe ich aber eine Nachricht für dich. Berthellyo hat sich gemeldet – er will, dass du dich um den Herzog von Grimmsflur kümmerst – heute noch.“

Augenblicklich ließ ich die Tasse sinken.

„Berthellyo? Aber …“, ich überlegte eifrig.

„Er will also Grindernoff aus dem Weg geräumt sehen … steht er ihm den politisch so nahe, dass er gefährlich wird?“

„Keine Ahnung, Junge. Berthy sagte nur, dass er heute Nacht beseitigt werden muss.“

„Und das Honorar?“

„39 Goldene und 16 Kristalline Tropfen des schwarzen Blutes.“

Ich lächelte.

„Schwarz also … dann muss der Auftrag aber wichtig sein!“

Kapitel 3

Ein sicherer Handgriff und mein enges Oberteil saß perfekt, ebenso wie auch der Rest meiner Kleidung perfekt saß. Geschwind band ich mir diverse Schnallen um die Hüfte und auch eine größere über meine Schulter – an diesen würde ich alles befestigen müssen. Sofort griff ich in eine meiner Schubladen und holte sechs Wurfmesser heraus, dazu drei Wurfsterne und einen Wurfring, die ich alle an den Schnallen um meine Hüfte befestigte. Ich blickte mich kurz in meinem Zimmer um, ehe ich nach meinen neuen Stiefeln griff und sie geschickt überzog. Erst dann suchten meine Hände nach den Klingen, die ich so liebte – meine Dolche. Je einen versteckte ich in den Stiefeln, ebenso wie ich jeweils drei kürzere an meinen Unterarmen befestigte. An meinen rechten Oberarm schnallte ich zudem einen weiteren an. Die Schnalle an meinem Oberkörper schmückte ich mit einem Blasrohr und dazu gehörenden Giftpfeilen, zudem auch mit kleinen Kristallflaschen, welche ich erst vor einer halben Stunde mit tödlichen Substanzen gefüllt hatte.

Als ich meine Ausrüstung im Spiegel betrachtete, nickte ich lächelnd – alles war so, wie es sein musst. Kurz überprüfte ich noch, ob das Tuch vor meinem Mund fest genug saß, dann zog ich mir meinen Umhang über, er war schwarz wie die Nacht außerhalb meiner Fenster, genau so, wie auch der Rest meiner Kleidung.

Als ich zu meinem Fenster trat und dieses öffnete, kletterte ich geschickt hinaus und blieb auf dem Fensterrand stehen, damit ich es schließen konnte. Kurz warf ich einen Blick nach links und einen weiteren nach rechts – die Straßen waren leer, das erleichterte mir die Arbeit. Ein weiteres Lächeln huschte über mein Gesicht, ehe meine Miene gefror und der Kälte meines Blickes Platz machte.

Vorsichtig zog ich die Kapuze über den Kopf und verhüllte so auch den Rest meines noch unbefleckten Gesichtes, ehe ich vom Fensterbrett sprang und die sechs Stockwerke des Gebäudes herunterfiel.
 

Wenige Minuten später lief ich eilig durch einen dichten und weiten Wald, den ich erst vor ein paar Momenten betreten hatte. Ohne ein Geräusch zu verursachen schlängelte ich mich durch das dichte Unterholz, sprang hier in die Baumkronen und dort wieder heraus, bis ich schließlich auf einer Lichtung inmitten des Waldes ankam. Wie ich es erwartet hatte schlichen einige Bedienstete des Herzogs durch das Unterholz und suchten mit eiligen Blicken die Umgebung ab.

Knife hatte mir gesagt, dass Grindernoff vermutlich in seinem „Ferienhaus im Grünen“ war – weshalb er sich ausgerechnet im stickigsten Wald des Reiches niedergelassen hatte, war mir allerdings schleierhaft. Natürlich, so dicht wie der Wald war, war er natürlich auch vor Kriminellen sicher – niemand verirrte sich hierher oder zumindest kam dieser Jemand dann nicht mehr in einem Stück wieder heraus. Die Tiere, die in diesem Wald lebten, waren überaus aggressiv und ziemlich mordlustig, wie mir vor einem Jahr aufgefallen war.

Einer der Bediensteten Grindernoffs kam meinem Versteck hinter einem großen, alten Baum gefährlich nahe, jedoch war ich gut darin, mich zu verbergen, sodass er zielstrebig an mir vorbei lief. Mein Blick folgte ihm kurz, jedoch war er für mich nicht weiter bedeutsam – ich musste ins große Haus und daran würde er mich nicht hindern. Auch dann nicht, wenn er mit einer Waffe auf mich zugestürmt kommen sollte.

Leise schlich ich von meinem Versteck zu einem anderen Baum, in dessen Krone ich sprang, um von dort aus in den nächsten Baum zu springen. Wieder warf ich einen Blick über die Lichtung – keiner schien Interesse an mir zu haben. Daher sprang ich von einem Baum zum nächsten, ehe ich leise und unbemerkt das Dach des Hauses erreichte und dort in die Hocke ging. Ich dachte an den Plan, den Knife mir vor drei Stunden gezeigt hatte – und war mir sicher, dass sich unter mir das Gemach des Herzogs befand.

Vorsichtig stemmte ich mich an der Dachkante hinunter und fand auf einem hervorstehenden Steinblock halt, der sich direkt neben dem Fenstersims befand. Ein kurzer Blick über meine linke Schulter reichte, um mich der Anwesenheit Grindernoffs zu vergewissern. Langsam nahm ich meinen Platz auf dem Fenstersims ein, schnappte mir dann eines meiner Wurfmesser und begann, die außenliegenden Scharniere des Fensters auseinanderzunehmen. Mit geschickten Handbewegungen hatte ich die Scharniere schließlich gelöst, sodass ich mühelos das Fenster aus den Angeln heben und auf den Steinblock neben mir stellen konnte. Geräuschlos schlüpfte ich in das Schlafgemach Grindernoffs und schlich mich mit schnellen Schritten ans Bett. Vor Ärger entfuhr mir ein leises Seufzen – er hatte sich eine Bettgefährtin mitgebracht, die er zudem eng umschlungen hielt.

Nun gut, Grindernoff – wenn du ihr unbedingt einen Schreck fürs Leben einjagen willst, dachte ich und zog den Dolch an meinem Oberarm, schwang ihn einmal probeweise, ehe ich die Klinge langsam an Grindernoffs Hals führte. Mit einem schnellen und geübten Schnitt durchtrennte ich seine Kehle und sah, wie Unmengen an Blut in das Bett strömten. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Grindernoff erschrocken die Augen aufgerissen hatte – er starrte mich an, war aber zu keiner Bewegung mehr fähig. Mein kalter Blick traf seine Augen und ließen ihn ein letztes Mal schaudern. Ich wandte mich wieder dem Fenster zu, hängte es wieder ein und wandte dann meine Augen den Bäumen zu. Ich dachte an den Schock in Grindernoffs Gesicht – er wusste nur zu gut, wer ich war.

Schnell verschwand ich in den Bäumen, kam auf dem Boden an und jagte durch den Wald – solange, bis dessen Ende in meine Sichtweite kam. Immer wieder kehrten meine Gedanken zu Grindenoffs Blick zurück – er war so, wie auch bei den vielen Opfer zuvor, die ich gefordert hatte. In jeder Seele sah ich die Angst – Angst, weil der Tod ihnen ihre Fehler aufzeigen würde, weil sie ihre Schandtaten sehen und akzeptieren mussten. Ich sah ihre Angst vor der kommenden Kälte und der Finsternis, die sie umhüllen würde – und all dies zeigten mir meine Blicke in ihr Inneres, meine Augen, die ihnen offenbarten, dass sie es zu weit getrieben hatten. Meine eisblauen Augen – sie hatten mir meinen Namen gegeben, die Unbarmherzigkeit, die sie ausstrahlten, wenn ich jemandem den Dolch ins Herz stieß. Unbarmherzigkeit, und die Tatsache, dass man mich nie bemerkte, wenn ich unterwegs war.

Mein Name? Nun, sie tauften mich Kaltkrähe!

Kapitel 4

Der nächste Morgen kam jäh und ich mühte mich aus dem Bett – warum verquatschte ich eigentlich immer die ganze Nacht mit Knife? Gähnend griff ich im Badezimmer nach meiner Bürste um die Knoten aus meinen Haaren zu kriegen – ich verstand nicht, warum die jeden morgen da waren, wo ich mich sowohl morgens als auch abends lange mit ihrer Pflege abmühte. Ich fragte mich, ob es einfach an der Länge liegen könnte – sie reichten mir inzwischen schon über die Schulterblätter hinaus –, jedoch schüttelte ich bei dem Gedanken den Kopf.

Nachdem ich sowohl meine Haare gebändigt, als auch meine Zähne geputzt und mich der täglichen, sonstigen Hygiene gewidmet hatte, schlurfte ich in die Küche meiner Wohnung und griff ohne weiter darauf zu achten in den Kühlschrank. Ich hatte einen Joghurt gegriffen, weshalb ich auch gleich nach einem Löffel suchte – so ordentlich ich auch war, mein Besteckkasten sah immer aus wie nach einer Explosion.

Als ich auch mit dem mageren Frühstück fertig war, packte ich eilig meine Sachen – ich hatte einfach keine Lust, heute erneut den Zug zu verpassen. Bevor ich aber ging, überprüfte ich nochmal, ob ich auch alle Waffen säuberlich verstaut hatte, sodass sie niemand fand, falls es jemand für nötig halten sollte, mich ohne meine Gegenwart zu besuchen.
 

Zehn Minuten später befand ich mich auch schon auf dem Bahnhofsplatz und wartete auf meinen Zug, der mit dreiminütiger Verspätung auch endlich eintrudelte. Ich hasste Verspätungen …

Im Zug suchte ich mir einen Platz und hielt auch den neben mir frei – da ich immer als erster einstieg, hielt ich Keith, der sich erst drei Stationen später zu mir gesellen würde, einen Platz frei. Während wir die Stationen durchfuhren, beobachtete ich die Leute im Zug – sie hatten wohl schon Wind davon bekommen, dass Grindernoff tot war. Ein paar junge Frauen tuschelten eifrig über ihn, eine erwähnte etwas von „unbemerkt“ und dass „eine Frau blutverschmiert“ gefunden worden wäre – man „hielte sie aber nicht für die Täterin“. Ich schüttelte leicht den Kopf und seufzte – ich mochte es nicht, wenn bereits morgens alle über meine Opfer redeten.

„Morgen, Kaná!“, schlug mir Keith eine Hand auf die Schulter und riss mich so aus meinen Gedanken. Ich nahm meine Sachen weg, sodass er sich hinsetzen konnte – allerdings nicht ohne ihn vorher anzufauchen, dass er das lassen sollte.

„Ganz ruhig – hast wohl nicht gut geschlafen, was?“, erwiderte er daraufhin und hob abwehrend die Hände. Ich aber murrte nur.
 

Als wir gegen Mittag in der Kantine saßen – zusammen mit ein paar anderen Mitschülern –, kaute ich auf einem trockenen Stück Brot herum, dass die „Caféteria-Tante“ zu der dünnen, geschmacklosen Suppe gepackt hatte. Meine Mitschüler unterhielten sich allesamt eifrig über den Test, den wir gerade geschrieben hatten.

„He, Kaná – wie lief's denn bei dir?“, fragte mich Alicia – eine Freundin von Mai, die übrigens auch am Tisch saß, was wiederum bedeutete, dass Keith sie ununterbrochen anstarrte – lächelnd. Ich zuckte die Schultern.

„Wie immer halt …“, murmelte ich – ich war noch nie schlecht in einem Test abgeschnitten und auch dieses mal fiel er mir sehr leicht, daher war mir das Ergebnis bereits klar. Alicia und Mai begannen zu kichern – das taten sie immer, wenn ich mit ihnen redete.

Versteh einer die Weiber, dachte ich und kaute weiterhin auf dem faden Stück Brot herum. Wie konnte man es eigentlich schaffen, dass Brot so widerlich wurde? Hätte ich keinen Hunger gehabt, hätte ich das Zeug womöglich gleich wieder ausgespuckt …

„Kaná, was ist denn heute mit dir los?“, fragte Eric – ein typischer Streber, dem es scheinbar gefiel, mir auf die Nerven zu gehen.

„Nichts – was soll schon los sein?“, erwiderte ich trocken.

„Nun ja … du wirkst so abwesend heute …“, entgegnete mir daraufhin Eric. Ich seufzte und rollte mit den Augen.

„Hab halt mal schlecht geschlafen – was interessiert's dich?“

Angewidert ließ ich das Brot auf meinen Teller fallen und stand auf, verließ eiligst den Raum. Ich hatte keine Lust auf das Gelaber von meinen Mitschülern – sie hatten eh nichts interessantes zu sagen.

Meine Füße führten mich auf den Schulhof, wo sich zur Zeit kaum Schüler befanden, weshalb ich mich auf einer Bank niederließ und in den Himmel starrte. Meine Gedanken kreisten um meinen Auftrag der letzten Nacht. Ich würde heute wieder bei Knife vorbeigehen und meine Belohnung abholen müssen.

„Kaná?“

Ich drehte mich um – ein Mädchen mit langem braunen Haar stand hinter mir und sah mich scheu an.

„Ja?“, sagte ich. Das Mädchen schien nervös zu sein.

„Könnten wir kurz dort hinüber gehen?“, sie deutete auf einen Baum. Ich zuckte die Schultern und stand auf.

„Klar.“

Als wir an dem Baum angekommen waren, blickte das Mädchen zu Boden – langsam kamen die Erinnerungen hoch, wer dieses Mädchen war.

„Nun, ich ...“, begann sie zögerlich. Tara – ihr Name war definitiv Tara! Und sie war drei Klassen unter mir.

„Kaná, ich wollte fragen, ob du nicht eventuell mit mir ausgehen möchtest?“, fragte sie hastig und sah – rot angelaufen – zu Boden.

„Öhm …“, ich überlegte. Ich war nur ungern unhöflich den Mädchen gegenüber, die etwas für mich zu empfinden schienen.

„Weißt du, ich habe ehrlich gesagt …“, fieberhaft dachte ich nach. Währenddessen sah ich, wie eine Träne zu Boden fiel.

Na toll …

„Hör zu … Tara. Es gibt bestimmt einen Jungen, der viel lieber etwas mit dir unternehmen möchte – und es wäre doch unfair, wenn du den übersehen würdest? Sieh es mal so – mit jemandem im gleichen Alter wirst du bestimmt mehr teilen können.“

Weitere Tränen fielen. Sachte strich ich Tara über die Haare, ein Schluchzen wurde laut.

„Hey, beruhige dich.“, sagte ich sanft – ich konnte keine Mädchen weinen sehen.

Einige Minuten redete ich ihr gut – chrm – zu, ehe sie sich halbwegs beruhigt hatte und mich schließlich lächelnd ansah.

„Es stimmt also.“, sagte sie leise, ich blickte sie nur fragend an.

„Eine Freundin von mir hat mir erzählt, dass du immer freundlich bleibst – selbst wenn du jemanden abweist. Ich hatte Angst, dich nach einer Verabredung zu fragen – aber ich merke, dass es wohl doch gar nicht so schlimm war. Wenngleich du mir einen Korb gegeben hast.“, erklärte sie und wischte sich die letzten Tränen weg.

„Trotzdem danke, Kaná – nicht jeder bleibt so einfühlsam.“, sagte sie schließlich und ging.

Verdutzt sah ich ihr hinterher – hatte sie mich gerade „einfühlsam“ genannt? Und ihre Freundin … ich hatte bereits viele Mädchen zurückgewiesen – besonders in diesem bisher nicht einmal halben Schuljahr – und ich fragte mich, ob diese Freundin wohl auch zu ihnen gehörte. Ohnehin erschien es mir schleierhaft, weshalb es gerade die jüngeren Schülerinnen förmlich auf mich abgesehen hatten, wo ich doch kaum etwas mit ihnen zu tun hatte.
 

Als es klingelte, stapfte ich zurück in meinen Klassenraum und setzte mich auf meinen Platz. In der Schulstunde – wir hatten gerade Geschichte – flog ein kleiner Zettel zu mir auf den Tisch. Ich entfaltete ihn.

„Casanova“, stand darauf geschrieben. Genervt zog ich eine Augenbraue hoch und sah Keith an, der fröhlich vor sich hin kicherte.

„Idiot.“, murmelte ich leise, als bereits der nächste Zettel auf meinem Tisch landete.

„Warum hast du nicht zugesagt? Sie war doch süß! ;D“, las ich leise, griff dann nach meinem Kugelschreiber und antwortete:

„Tara ist erst 15, du Schwachkopf! Was interessieren mich kleine Mädchen?“

Dezent genervt warf ich ihm unbemerkt den Zettel zu und bemerkte, wie er weiterhin leise kicherte, ehe er mir seine Antwort gab.

„Sie heißt also Tara, hm? Und sie interessiert dich natürlich überhaupt nicht – verstehe, verstehe!“

Ich seufzte und kratzte mich am Kopf, ehe ich ihm meinerseits antwortete.

„Im Gegensatz zu dir, brauche ich keine Nervensäge an meiner Seite um zu wissen, was ich drauf hab.“

Wieder Gekicher.

„Du hast was drauf? Ist mir neu.“

„Idiot!“, fluchte ich erneut. In etwa so ging es dann auch den Rest der Stunde weiter und natürlich hörte Keith auch in der folgenden Pause nicht damit auf.
 

Als mich endlich das Klingeln zum Ende des Schultages erlöste, sprang ich eiligst auf und lief zum Haupttor der Schule, wo Keith – wie immer – bereits auf mich wartete. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, schlug ich ihm hart gegen den Oberarm, sodass er mich entsetzt ansah.

„Alter, deine dummen Kommentare kannst du dir in Zukunft sparen – ich habe keine Lust auf diesen Mist!“, fauchte ich, ehe ich an ihm vorbei stürmte. Er rief mir noch irgendetwas nach, aber ich achtete nicht darauf. Auch ignorierte ich heute den Zeitungsladen, lief geradewegs zum Zug und konnte noch gerade so den abpassen, der vor meinem eigentlichen kam – so musste ich mir wenigstens nicht das Genöle von Keith anhören. Immer, wenn er sich so kindisch benahm, könnte ich vor Wut irgendetwas in Stücke reißen …

Kapitel 5

Tief durchatmend klopfte ich an Knifes Tür, ehe ich sie öffnete und hineintrat. Grummelnd zog ich meine Schuhe aus und ebenso meine Jacke, während ich meine Tasche zu Boden fallen ließ. Dann betrat ich das Wohnzimmer.

„Knife?“, rief ich, denn er war nicht im Raum. Mit schnellen Schritten hatte ich nicht nur die Küche erreicht und hineingesehen, sondern auch Knifes Schlafzimmer und das, welches immer für mich bereit stand, falls ich irgendwie Unterschlupf brauchte. Kurzerhand beschloss ich, in seinem versteckten Labor nachzusehen, aber auch dieses fand ich leer vor.

„He Knife, ich habe keine Lust nach dir zu suchen!“, rief ich genervt – Knifes Haus war riesig und barg viele verschiedene Räume und Geheimgänge. Ehe ich Knife finden würde, würde wahrscheinlich ein ganzer Tag vergehen.

„Komm schon!“, rief ich schließlich, ging dann erneut in die Küche und nahm mir aus dem riesigen Kühlschrank – der wie immer beinahe leer war, da schließlich ich für den alten Mann einkaufen ging und das selten tat – einen Becher Kirschjoghurt, ehe ich mich im Wohnzimmer auf meinen Stammplatz setzte und zu essen begann.

„Idiot …“, murmelte ich. Weitere zehn Minuten der Stille vergingen, in denen sich Knife nicht blicken ließ und ich den Becher wegwarf. Ein Seufzen entglitt mir – wo steckte Knife nur? Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit. Hätte ich mir vielleicht doch eine Tageszeitung holen sollen? Vielleicht hatte ich Spuren hinterlassen, die die Garde zu Knife geführt hatten? Ich schluckte. Fieberhaft dachte ich nach – konnte dies wirklich der Fall sein? Ich wusste, dass Knife niemals etwas über mich verraten würde, dass ich definitiv in Sicherheit wäre – aber Knife war in dieser Gegend meine einzige Bezugsperson, der einzige Freund dem ich mich anvertrauen konnte. Wenn ihm etwas zustieß, würde ich wahrscheinlich irgendwann durchdrehen. Und wenn ich durchdrehte, würde ich unschuldiges Blut vergießen. Mein Kopf sträubte sich dieser Tatsache, aber ich wusste zu genau, dass es der Wahrheit entsprach.

Ein leises Klirren unterbrach meine kreisenden Gedanken und ließ mich zusammenzucken – war da gerade ein Fenster im hinteren Teil des Hausen kaputt gegangen? Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare sträubten und ergriff schnell eines der geschärften Küchenmesser, ehe ich mit schnellen Schritte und in geduckter Haltung durch das Haus eilte, in dem Versuch, das Zimmer zu orten, in welchem ein Fenster kaputt gegangen war. Nach eifriger Überlegung ertönte ein weiteres Klirren, was mich aufhorchen ließ und zu dem richtigen Zimmer führte.

Wieder schluckte ich. Wenn jemand in diesem Raum war, gegen den ich kämpfen musste, stand die Chance auf einen Sieg bei vielleicht 35%. Ich wusste, dass mich in Sachen „heimlicher Mord“ keine übertraf, aber in einem fairen Nahkampf war ich eindeutig unterlegen. Ich war nicht besonders große und zudem sehr schmal und drahtig. Der einzige Vorteil, den ich hatte, war meine Geschwindigkeit. Allerdings würde mir das wohl nicht viel nützen in einem kleinen Raum – wenn ich zu viele Wenden machen müsste, würde ich viel zu schnell ermüden. Zudem waren schnelle Angriffe weit gefehlt, wenn da drin jemand stand, der ein riesiges Beil schwingen konnte und zudem eine volle Rüstung trug. Wenngleich das wohl ziemlich unwahrscheinlich wahr.

Mist – ich musste aufhören, solchen Schwachsinn zu denken! Ich spürte, wie mein Herz gegen meine Kehle schlug – warum war ich so nervös? Ich schüttelte den Kopf. Dann griff ich vorsichtig mit meiner freien Hand nach dem Türgriff und öffnete die massive Holztür. Um nicht sofort gesehen zu werden, drückte ich mich an die Wand im Flur und schaute vorsichtig um die Ecke.

Verdammt, dummes Herz! Sei ruhig!

Mein Blick durchwanderte das Zimmer – jedoch war es leer. Die Scherben auf dem Boden aber verrieten mir, dass es das richtige war. Neben dem Fenster war eine Vase zerbrochen – derjenige, der dies getan hatte, wollte, dass ich hierherkam. Ich knurrte leise und betrat den Raum. Ein Zettel lag auf einem kleinen, verstaubten Schrank.
 

He Kaltkrähe, es ist lange her! Willst du den Alten nicht zurückholen? Ich würde mich auf ein Treffen mit dir freuen! Im Mondlicht natürlich, wie beim letzten mal. Sag, Kaltkrähe – kannst du die Nymphen tanzen sehen?
 

Meine Augen weiteten sich, während ich das Küchenmesser fallen ließ und zum Fenster stürmte, hinaus starrte. Mein Puls raste und mein Atem surrte förmlich, so sehr beanspruchte ich meine Lungenflügel. Meine Hand zerknüllte den in ihr liegenden Zettel – ich nahm es nur fern wahr, meine Gedanken hingen bei Ihm.

„Weshalb bist du auf freiem Fuß? Und wie konntest du mich finden?“, flüsterte ich dem Wind entgegen. Ich wusste, wem der Zettel gehörte, wusste, was Er vorhatte. Und ich wusste auch, dass ich mich heute Abend beeilen musste – Er wartete nicht gern und wenn es ihm zu lange dauerte, würde Knife sterben. Und es würde meine Schuld sein.

Kapitel 6

Mein Füße hasteten durch die Straßen meiner Stadt, trugen mich in Windeseile über Dächer und durch dunkle, stinkende Gassen, während der fahle Mondschein versuchte, die Finsternis in den Straßen zu durchdringen. Das Geräusch meines Herzens surrte in meinen Ohren – immer wieder musste ich schlucken, um es zumindest ein wenig zu vertreiben. Versteckt vor den Augen der in der Nacht herumstreunenden Menschen suchte ich nach einem geeigneten Weg, die Stadt schnellstmöglich zu verlassen. Ich wusste, wohin ich musste. Er hatte mir schließlich alle Informationen hinterlegt.

Wenige Augenblicke später drückte ich mich bereits an eine Säule des östlichen Stadttores, wo gerade die postierten Wachen patrouillierten.

Mist, warum ausgerechnet heute? Ich biss mir auf die hinter dem schwarzen Tuch versteckten Unterlippe – wie sollte ich sie ablenken? Springen würde nichts bringen – sie würden mir folgen – und einfach an ihnen vorbei spazieren konnte ich ja auch nicht. Oh, wie ich es hasste mich kaum konzentrieren zu können! Besonders dann wenn ich wusste, dass ich selbst Schuld war. Mein Gehirn arbeitete einen Plan nach dem anderen aus und verwarf auch einen nach dem anderen, während meine Augen der Patrouille folgte und meine Zunge leise die Sekunden zählte.

Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben – Drehung. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben – Drehung. Eins, zwei, drei … Immer sieben Sekunden, davon etwa vier, in denen er mir völlig den Rücke zuwendet. Vier Sekunden, in denen ich aus dem Tor verschwinden muss. Moment, waren das gerade nur sechs Sekunde? Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben – Drehung. Okay, doch nicht.

Ich seufzte erleichtert, wandte mich dann wieder der Patrouille zu. Sobald er sich umdrehte und drei Sekunden lief, musste ich losrennen – um aber genug Schwung zu bekommen, musste ich ein Stück weiter weg und zum richtigen Zeitpunkt loslaufen. Ich wartete kurz, eilte dann leise in eine schmale Gasse zwischen zwei Häusern, von der aus ich die Patrouille sehen konnte. Wieder zählte ich, schließlich rannte ich los!

Drei, vier, fünf …

Mein Körper verschwand durch das Tor, als ich gerade sieben zählte und die Patrouille sich umdrehte – gerade noch rechtzeitig, um nicht gesehen zu werden. Mein Weg führte mich nun über eine weite Grünfläche, die seit Jahren unbenutzt war, zu einem tiefen Wald. Ich wusste, dass ein reißender Fluss seinen Weg durch diesen zog – und zu dem musste ich, um Punkt Mitternacht.

Je näher ich dem Wald kam, desto stärker schlug mein Herz – ich hatte beinahe das Gefühl, mein Brustkorb würde bald zerreißen. Entschlossen betrat ich aber den Forst und ging nun leise und vorsichtig weiter – langsame Schritte lagen mir nicht, ich rannte lieber, dennoch war dies hier wohl kaum angebracht.

Tief atmete ich durch – ein Zittern in meiner rechten Hand wurde mir bewusst. Verdammt! Ich ignorierte er und lief weiter. Die Tiere der Nacht streiften durch den Wald – hier aber würden sie nicht einmal auf die Idee kommen, mich anzufallen. Glück, dass Er immer in Wassernähe wartete und dieser Fluss das einzige Gewässer in der Umgebung war.

Langsam wurden Geräusche des Flusses lauter – ich kam also näher. Ich warf meinen Blick hin und her, um möglichst viel wahrzunehmen – ich konnte gut im dunkeln sehen, was mir ebenso einen Vorteil verschaffte wie sonst meine Beine. Nach einigen Augenblicken erreichte ich eine Lichtung und blieb hinter einem Baum stehen, um erst alles zu beobachten.

In der Nähe des Flusses, der sich am Rand der Lichtung entlang zog, stand ein hochgewachsener Mann. Er hatte einen langen, dunkelgrauen Mantel übergestreift, dessen Ärmel unsauber ausgerissen worden waren. Seine Arme wurden von Verbänden geschmückt und auch an seinen nackten Füßen waren Verbände zu erkennen. Ich konnte sehen, dass Er eine schwarze, knapp über die Knie fallende Hose trug und an seiner Hüfte drei Pistolen und zwei Dolche befestigt hatte. Ein weißes, ebenfalls zerschlissenes Shirt konnte ich nur unter dem Mantel erahnen – Er trug immer ein weißes Shirt. Das inzwischen lange rote Haar fiel in sanften wogen über seine Schultern.

Ich blickte neben ihn – dort saß Knife. Er war gefesselt und geknebelt, schien aber bei Bewusstsein zu sein. Seine ohnehin wirren weißen Haare wirkten nun noch wirrer, zudem hatten sich in ihnen Blätter verfangen – er hatte also auf dem Boden gelegen und war verletzt, denn an seiner linken Schläfe konnte ich getrocknetes Blut erkennen. Sein sonst reinweißer Mantel war am Saum und auch an den Ärmeln zerrissen und zudem dreckig, er war barfuß und auch dort machte ich eine leichte Verletzung aus.

Ich hol dich hier weg, Knife!

„Guten Abend, Kaltkrähe. Willst du dich nicht zu uns gesellen?“

Augenblicklich bemerkte ich, dass ich den Atem angehalten hatte. Ich drückte mich kurz gegen den Stamm des Baumes und atmete tief durch, überprüfte in Gedanken meine Ausrüstung, in der Hoffnung, nichts vergessen zu haben. Ein Kribbeln breitete sich in meinen Fingern aus und erreichte schließlich auch meine Schultern – wie ich es hasste. Ich hasste es, dass Er es immer wieder schaffte, mich meiner eigenen Existenz und deren Verlustmöglichkeit bewusst wurde.

„Komm schon, Kaltkrähe – ich habe doch schon viel zu lange auf deine Gesellschaft verzichten müssen!“

Ich hasste es, dass Er es schaffte, Angst aus mir zu zerren.

Kapitel 7

Ich schritt um den Baum herum und blickte in die stahlgrauen Augen des Mannes, der Knife entführt hatte. Ich biss meine Zähne fest zusammen, wollte nicht, dass ich zitterte und er es auch noch mitbekam.

„Ah, Kaltkrähe – ein wohltuender Anblick nach all den Jahren! Komm doch näher zu mir, dann können wir uns richtig begrüßen!“, sagte er grinsend, ich spuckte aus, ballte meine Hände zu Fäusten.

„Damit du mich abstechen kannst? Nein danke!“, knurrte ich.

„Aber nicht doch, Kaltkrähe – so hinterhältig bin ich nicht. Ich möchte dich lieber leiden sehen, während ich dich umbringe – das solltest du doch inzwischen wissen!“, lachte er daraufhin.

„Ach ja, ich vergaß – du bist ja sadistisch veranlagt, Lexis.“, erwiderte ich grimmig. Mein Puls raste. Der Rothaarige lachte schallend, ehe er mit ausgebreiteten Armen auf mich zuschritt.

„Jaja, Aidan Lexis – der mordlustige Sadist! Aber so bin ich eben – und bei dir werde ich mir besondere Mühe geben, so, wie du sie dir für mich gegeben hast, als du mich einkerkern ließt. Das bin ich dir doch schuldig, mein lieber Kaltkrähe!“

Ich wich zurück – er widerte mich an. Der Blick meiner eisblauen Augen wanderte zu Knife, der mich hoffnungsvoll ansah. Ich schluckte schwer – ich musste ihn beschützen. Mit schnellen Bewegungen zog ich zwei Dolche und nahm eine geduckte Haltung ein, aus der ich schnell angreifen konnte – oder ausweichen, wenn es dazu kam. Lexis lachte wieder, dann zog er einen Verband aus einer Hosentasche und begann, sich seine Haare zusammenzubinden.

„Du willst wohl gleich aufs ganze gehen, hm?“, fragte er grinsend, ich nickte nur knapp.

„Ich will den Mist hinter mir haben – und dich endgültig los werden!“, erwiderte ich finster. Noch bevor Lexis eine Waffe ziehen konnte griff ich an – auf gut Glück! –, aber er wich einfach aus.

„Nanana, Kaltkrähe – du willst doch nicht hinterhältig sein!“

Ich knurrte leise – dieser Angriff hätte nicht schief gehen dürfen! Lexis war Fernkämpfer, notfalls griff er zu seinen Dolchen – aber im Gegensatz zu mir war Lexis kein Nachtschatten, niemand, der es gewohnt war, aus dem Hinterhalt anzugreifen. Ich hingegen war Assassine und miserabel in einem fairen Kampf. Wieder wanderte mein Blick zu Knife, ich seufzte innerlich.

Halt durch, alter Mann!

Ich drehte mich um – und konnte gerade noch rechtzeitig dem Dolchangriff Lexis' entgehen. Eine schnelle Drehung ermöglichte es mir, mich aus seiner Reichweite zu bringen und selbst anzugreifen. Aber Lexis blockte einfach ab und stieß mich zurück, ich stürzte gegen einen Baumstamm, Schmerz zog durch meinen Rücken. Ich hatte völlig vergessen, wie stark Lexis war. Langsam richtete ich mich wieder auf, meine Beine zitterten.

„Was ist denn los, Kaltkrähe? Bist du eingerostet in den letzten vier Jahren?“, lachte Lexis – bei jedem Treffen schien er verrückter zu werden. Ich keuchte und spuckte einen Batzen Blut aus, ehe ich ihn anblickte. Vier Jahre war es also her, seit ich diesen Wahnsinnigen in die Kerker eines alten Turmes geschlossen hatte – nur durch Zufall war es mir gelungen, ihn zu überlisten. Ich fragte mich, wie er überhaupt überlebt hatte – der Turm war weit abgelegen in einem Sumpfgebiet, in dem sich keine Dörfer oder andere Siedlungen befanden. Kein Mensch kam je in die Nähe dieses Turmes. Wie also hatte er überleben können, ohne Nahrung, ohne Wasser?

Ich knurrte leise, dann nahm ich wieder Haltung an und hielt meine Dolche angriffsbereit – wenn ich ihn so nicht treffen konnte, musste ich einen anderen Weg finden. Das Zittern in meinen Beinen ließ nach, die Kraft kehrte in sie zurück. Und diese Kraft brauchte ich, denn meine Beinkraft war mein einziger Vorteil – oder zumindest das einzige, dass mich nicht sofort verlieren ließ.

Ich machte zwei langsame Schritte auf Lexis zu – ehe ich losrannte, an dem Rothaarigen vorbei, der mir nur überrascht hinterher sah. Ich war in einem Bruchteil von Sekunden an Knife vorbeigelaufen und sprang schließlich in die Krone eines Baumes mit kräftigem Stamm. Ich drehte mich um und sprang weiter hinauf, um von dort näher zu Lexis zu gelangen. Schleichen war meine leichteste Übung – selbst zwischen Ästen konnte ich mich geräuschlos bewegen. Der Grund für die Höhe war die Hoffnung, das Lexis nicht gut klettern konnte – und vor allem nicht so hoch springen wie ich, sodass ich ein wenig Luft zwischen uns bringen konnte. Aus der Ferne konnte ich ihn mit meinen Wurfgeschossen angreifen und so mein bisschen Leben bewahren, während ich im Zweikampf wohl in ein paar Minuten sterben würde.

„Kaltkrähe – komm raus! Das macht doch keinen Spaß!“, lachte Lexis und sah sich um. Ich schluckte schwer, dann erst bewegte ich mich in den Ästen und zog zwei Wurfmesser. Vorsichtig sprang ich in seinem Rücken zum nächsten Baum – sein Blick wanderte blitzschnell zu der Stelle, an der ich zuvor verborgen war. Wie war das möglich? Meine Zähne mahlten aufeinander, ich zog mich tiefer in das Geäst zurück und hob schließlich das erste Wurfmesser an mein Ohr – so konnte ich es am ehesten zielsicher werfen. Ebenfalls eine meiner Schwächen, werfen von Messern. Giftpfeile waren da eindeutig besser zu koordinieren. Meinen Atem hielt ich an, ich verharrte bewegungslos in der Baumkrone und beobachtete die vagen Züge des Rothaarigen.

Eins, zwei, drei … und dann flog mein erstes Messer, während ich in den nächsten Baum sprang. Lexis blickte wieder in die Richtung meines vorherigen Platzes und schlug dabei das Messer mit einer langen, silbernen Pistole von sich – es flog durch das Unterholz aus meinem Blickfeld. Ich biss mir auf die Unterlippe – er hatte in den vier Jahren scheinbar sein Gehör geschärft, sonst würde er meine Sprünge nicht bemerken. Die Fähigkeit des Anschleichens konnte ich also ebenfalls von meiner Vorteile-Liste streichen. Super.

Mein erster Wurf ging daneben und nun beobachtete Lexis die Baumkronen eingängig, ich durfte mich nun nicht regen, musste warten, bis er mir wieder den Rücken zudrehte. Ich war geduldig – als Assassine musste man das sein –, daher verweilte ich ruhig und bewegungslos in der Baumkrone.

Komm schon, Lexis – dreh dich um!

Die erste Schweißperle rann über meine Stirn – Nervosität. Ich würde mir am liebsten einreden, dass dies hier schnell zu Ende gehen würde, aber leider wusste ich es besser. Wenn ich diesen Kampf beenden würde, dann nur mit schweren Verletzungen – wie jedes mal, wenn Lexis auftauchte. Meine Nackenhaare sträubten sich, als ich bemerkte, dass ich unachtsam gewesen war und Lexis aus den Augen verloren hatte. Ich schluckte schwer und versuchte, meinen Atem und mein rasendes Herz zu beruhigen – wo war er? Meine Augen suchten die Umgebung ab, während ich mir das Gehirn darüber zermarterte, ob es klüger wäre mir einen anderen Platz zu suchen oder ob Lexis mich dann umso schneller finden würde.

So ein Mist – warum muss ich auch dauernd in Gedanken versinken?

Ein Zischen hinter mir ließ mich zusammenfahren – ich warf den Kopf zurück. Nichts. Dann rechts von mir – wieder nichts.

Ich muss hier weg!

Langsam erhob ich mich und achtete darauf, keine Geräusche zu verursachen – dann schlängelte ich mich zwischen den Ästen hindurch, weiter nach oben und von dort auf den rüberragenden Ast des nächsten Baumes. Für einen Bruchteil von Sekunden würde ich sichtbar sein – hoffentlich würde dieser Bruchteil nicht alles kaputt machen! Vorsichtig setzte ich den linken Fuß vor und begann dann, hinüber zu schleichen. Mein Puls säuselte in meinen Ohren – Ruhe! Ein weiterer Schritt – dann wäre die eine Stelle, an der ich sichtbar sein würde. Ich atmete tief durch, ehe ich mich vorwagte. Eilig huschte ich über den Ast, bis ich etwa einen Meter später wieder hinter Geäst versteckt war und mich weitere zwei Meter später beim Stamm hinhockte und wieder die Umgebung beobachtete.

Scheint geklappt zu haben.

Mein Puls beruhigte sich ein wenig und mein Atem tat es ihm gleich. Ich wollte mich gerade ein Stück vorlehnen, um besser sehen zu können, als ich bereits vom Baum gerissen wurde und hart auf dem Boden aufprallte. Schmerz zog durch meinen ganzen Körper, vor allem aber durch meine rechte Schulter. Ich rappelte mich auf und besah sie mir – eine Kugel steckte in ihr und Unmengen an Blut flossen hinaus. Ich drehte mich um und blickte zu der Stelle, an der ich gesessen hatte – Lexis stand da und grinste überlegen. Ich knurrte vernehmlich – der Schmerz in meiner Schulter hatte mich dazu veranlasst, meine Dolche fallen zu lassen. Sie aufzuheben würde aber bedeuten, Lexis freie Bahn auf meinen Rücken zu lassen. Ich wich zurück und zog zwei neue Dolche – mein rechter Arm zitterte stark.

„Na Kaltkrähe, überrascht?“, fragte Lexis und landete vor mir auf dem Boden. Ich war tatsächlich überrascht – vor vier Jahren war Lexis nie so leise gewesen, nie hatte er mich aus dem Hinterhalt unbemerkt angreifen können.

„Kein bisschen, Lexis.“, murrte ich und sprang ein paar Meter zurück. Lexis folgte mir mit offenkundigem Hohn.

„Natürlich nicht, Kaltkrähe. Du bist wie immer auf alles vorbereitet!“

Ich hasste es, wie er immer wieder meinen Namen wiederholte – fürchtete er, dass ich ihn vergessen könnte? Pah!

Mein Blick wandte sich kurz zu Knife – er schien an den Seilen um seinen Handgelenken zu zerren. In diesem Moment kam mir eine Idee, wie ich ihn retten konnte. Ich räusperte mich und wich dann weitere Schritte zurück, natürlich folgte mir der Rothaarige. Ich bewegte mich leicht im Kreis – bis ich Lexis so gegenüberstand, dass er mir die Sicht auf Knife blockierte. Ich duckte mich ein wenig, um alles sehen zu können – dann zückte ich ein Messer und warf es auf Lexis Bauchhöhle. Wie erwartet wich er aus, mein Messer grub sich in den Stamm eines Baumes.

„Bist du etwa verzweifelt, Kaltkrähe? Wann haben jemals solche Angriffe funktioniert?“, spottete Lexis. Aber ich lächelte nur, als ich sah, wie Knife das Messer nahm und sich wieder hinsetzte – er schien es verstanden zu haben, was man vom Rothaarigen nicht erwarten konnte.

„Warum lächelst du so, Kaltkrähe? Wirst du langsam verrückt?“

„Keineswegs – ich will schließlich nicht so enden wie du!“

Lexis Grinsen verschwand, seine Augen verengten sich und Zornesröte breitete sich auf seinen Wangen aus – er hasste es, als verrückt bezeichnet zu werden. Mein Lächeln wurde daraufhin breiter – wenn ich seine Gesamte Aufmerksamkeit auf mich lenken konnte, würde Knife unbemerkt verschwinden und den anderen Bescheid geben können.

„Wie kannst du es wagen!“, knurrte Lexis plötzlich und zog auch seine zweite Pistole – er richtete beide auf meinen Kopf. Eine äußerst suboptimale Situation, wenn ich bedachte, dass in meinem Rücken ein Baum stand, vor mir ein Wahnsinniger und meine Füße so zitterten, dass ich nicht schnell genug nach rechts oder links ausweichen konnte. Ich seufzte enttäuscht – wenigstens ein paar Minuten wollte ich Knife schon geben. Ich blickte ernst in die stahlgrauen Augen des Rothaarigen. Er fixierte mich, als wäre er irgendein riesiges Raubtier – und ich die Beute. Mir gefiel diese Konstellation nicht, ich war immer lieber der Beutegreifer, da hatte ich wenigstens keinen Grund, mir über einen Fluchtweg Gedanken machen zu müssen.

„Wie ich es wagen kann? Sieh doch einfach in einen Spiegel – dann siehst du auch selbst, wie verrückt du bist.“

Der erste Schuss fiel – durch Zufall schaffte ich es, mich darunter hinweg zu ducken. Als ich mich wieder aufgerichtet hatte, sprach ich weiter.

„Ich meine, du bist seit Jahren dabei, ein und die selbe Person zu verfolgen – das ist schon ziemlich merkwürdig.“

Wieder ein Schuss, wieder ein glücklicher Zufall.

„Dazu kommt, dass du damals ein Kind umbringen wolltest, das dich nicht einmal gesehen hatte – sehr suspekt.“

Wieder wich ich aus, dieses mal zwei Schüssen – ich spürte, wie das Zittern meiner Beine endete. Endlich. Wieder richtete ich mich auf.

„Komm schon, Lexis – du musst doch zugeben, dass du nicht ganz bei Sinnen sein kannst.“

Mein Lächeln ehrte zurück und ich sprang in die Höhe, als Lexis schoss. Die Läufe seiner Pistolen folgten mir, aber bevor er mich treffen konnte, stieß ich mich von dem Baum hinter mir ab und flog in hohem Bogen über Lexis hinweg, bis ich zwischen ihm und Knife landete.

„Wie weit bist du?“, wisperte ich, Knife hatte inzwischen den Knebel entfernen können, sodass es zwar so aussah, als würde er in seinem und stecken, dies aber nicht wirklich der Fall war.

„Gleich, Junge, ich bin ein alter Mann, schon vergessen?“, flüsterte Knife zur Antwort.

„Mach schnell – du bist doch sonst nicht so langsam!“

Ich stürmte auf Lexis zu und duckte mich unter den Schüssen hinweg, bis ich direkt vor ihm war und mit dem Dolch zustieß – der erste Treffer, den ich landete. Lexis strauchelte und wich zurück, dann tauschte er eine Pistole gegen einen Dolch und griff seinerseits an – die Klinge in seiner Hand streifte meinen Hals, ein leichter Schnitt war die Folge. Ein Angriff meinerseits folgte, aber Lexis konnte im letzten Moment ausweichen. Er konterte mit einem Schuss, der sich tief in meinen rechten Arm bohrte – als ob der nicht bereits genug unter dem Schuss in die Schulter litt.

Ich griff nach zwei Wurfmessern und schleuderte sie gen Lexis – eines bohrte sich in seinen rechten Oberschenkel, das andere lenkte er mit seinem Dolch ab. Der nächste Schuss traf meine linke Schulter, die Klinge des Dolches meine Bauchhöhle – ich stolperte und wich zurück, ehe ich in die Knie ging. Die Bauchhöhle war eine der Stellen, wo man durch eine Verletzung am schnellsten verblutete. Und der Schmerz dessen war fürchterlich. Wieder spuckte ich einen Batzen Blut – ich hörte etwas surren und riss trotz der Schmerzen meine Arme hoch. Meine Klingen trafen auf die Klinge Lexis'. Dann wurde das Entsichern der Waffe laut, die Lexis auf meine Stirn richtete. Mein Kopf arbeitete, während die verdrängte Angst zurückkehrte, ebenso die Erinnerungen, die ich Jahrelang unter Verschluss gehalten hatte.

Nicht jetzt, Soju!

Ich schüttelte den Kopf, dann spuckte ich geradewegs in Lexis' Gesicht und rollte mich zur rechten Seite, stand auf und sprang unter Schmerzen zurück ins Geäst – ich sah, dass Knife gerade hinter einigen Bäumen verschwand. Ich lächelte, Ziel erreicht. Mein Blick wanderte zurück zu Lexis, der mich finster fixierte und den Lauf seiner Pistole auf mich richtete, während er sich meinen Speichel aus dem Gesicht wischte. Ich kicherte leise und richtete mich vollständig auf – die Verletzung an meinem Bauch spuckte Blut.

Irgendwie muss ich das doch beenden können …

Ich besah mich meiner Ausrüstung, nachdem ich den drei Schüssen Lexis' ausgewichen war – und fand das, von dem ich dachte, dass ich es nicht mitgenommen hatte! Schnell zog ich drei Wurfmesser und zog eine hauchdünne Schnur durch die Löcher am Griff, die ch selbst vor Jahren hinein geschlagen hatte. Die Schnur befestigte ich an dem Stamm des Baumes, dann sprang ich zum nächsten, tat dort das gleiche – bis ich zehn Minuten später den siebten Baum erreicht und die Schnur darum gewickelt hatte. Wieder entsicherte Lexis die Pistolen – inzwischen hielt er beide in den Händen und schoss unabdingbar zu mir. Zu meinem Glück schien er nicht zu sehen, was ich tat.

„Kaltkrähe, hör auf dich zu verstecken!“, rief Lexis wütend, mein Atem rasselte und ich fuhr zusammen. Ich blickte über die Schulter – ich hatte durch das Springen und Ducken viel Blut verloren – genug, dass es mir mehr als nur schwindelte. Ich schluckte, als sich alles zu drehen begann und kniff die Augen zusammen – etwas traf mich im Brustkorb und riss mich vom Baum. Ich versuchte, mich aufzurichten und lief schließlich Lexis entgegen, der auf mich zustürmte – er musste an der richtigen Stelle stehen, sonst würde mein Plan nicht aufgehen. Ungeschickt stolperte ich und fiel zur rechten Seite – und entging zu meinem eigenen Staunen einem Angriffs Lexis', der daraufhin selbst das Gleichgewicht verlor und nach vorn stolperte. Ich richtete mich so gut es ging auf und lief weiter, bis ich mich mit dem Rücken an einen festen Stamm lehnte. Ich lächelte Lexis an, der nur wütender wurde, zu mir rannte und mich zu Boden schlug – in meiner rechten Hand lag mein Trumpf und er wusste es nicht.

„Ich werde dich ausweiden, Kaltkrähe!“, knurrte der Rothaarige, ich kicherte.

„Ach ja?“, röchelte ich und setzte mich auf, der Lauf einer Pistole legte sich an meiner Stirn, ein Dolch an meine Kehle. Wieder kicherte ich und hob meinen rechten Arm.

„Sei nicht so sicher, Lexis – du bist geradewegs in meine Falle getappt!“, brachte ich hervor. Seine Augen weiteten sich und ich zog meinen rechten Arm nach hinten, sodass sich die Schnur strafte, deren Ende in meiner Hand lag. Wie ich es berechnet hatte flogen alle Wurfmesser, die ich befestigt hatte, zur gleichen Zeit los – in verschiedenen Winkeln, versteht sich. Lexis sollte schließlich nicht ausweichen können.

Das warme Blut benetzte meinen Körper und mischte sich mit dem meinen, als Lexis durchbohrt wurde. Er taumelte rückwärts, die Wurfmesser hinderten ihn daran, sich richtig zu bewegen. Ich sah, dass eines dieser Wurfmesser seinen rechten Lungenflügel durchbrochen hatte.

„Wie … ?“, wisperte Lexis und spuckte Blut, bis er vor mir in die Knie ging. Ich lachte.

„Erledigt, Lexis … selbst wenn du mich tötest – du stirbst ebenso.“

Lexis' graue Augen hafteten sich an mich, das Leben verlor sich in ihnen. Aber irgendwie schaffte er es, sich aufzurichten. Er wandte sich zum gehen.

„Sei nicht töricht!“, murmelte ich, aber ich ließ ihn gehen – mit diesen Verletzungen würde er nicht weit kommen. Hinzu kam die Vergiftung – denn 4 meiner 21 Wurfmesser waren mit Giften benetzt gewesen.

„Leb Wohl, Aidan Lexis.“, wisperte ich und lehnte mich an den Stamm, alles drehte sich und Übelkeit stieg in mir auf. Wieder lachte ich – langsam glaubte ich, dass auch ich schon lange am Rande des Wahnsinns gelebt hatte. Ich legte meine Hände auf die Verletzung meiner Bauchhöhle – es schien, als würde ich diesen Ort ebenso wenig lebend verlassen wie der Rothaarige …

Kapitel 8

Kapitel 8
 

Nebel umhüllte mich, ich sah nur Dunkelheit – wusste nicht, ob meine Augen geöffnet waren oder nicht. Schmerz zuckte durch meinen Körper, selbst die Taubheit meiner Beine schmerzte. Ein Rauschen in den Ohren ließ mich an einem realen Ort zweifeln – war ich in einem Fiebertraum gefangen? Es wäre kein Wunder, Fieber nach starken Verletzungen war nicht ungewöhnlich – vielleicht hatten sie sich bereits entzündet. Vielleicht war dies aber auch Teil einer Halluzination, ausgelöst durch den hohen Blutverlust.

Langsam griff Kälte nach mir – ich hatte lange dagegen angekämpft, dieses mal unterlag ich. Irgendetwas in mir regte sich – ich hatte auf meinen Tod gewartet, fürchtete mich nicht davor, aber ich hatte gedacht, dass ich dabei nicht allein sein würde. Lächerlicher Gedanke, dass wurde mir bewusst – warum sollte man sich beim sterben beobachten lassen wollen? Man sollte mich nicht als Häufchen Elend in Erinnerung behalten – ich war nicht schwach! Kaputt vielleicht, körperlich und seelisch – aber nicht schwach.

Ein schmerzhaftes Lachen entrang sich meinen kalten Lippen und ging in ein Husten über, Blut rann meinen Mundwinkel hinunter – ein Wunder, dass ich noch genug Blut im Körper hatte, um etwas auszuspucken.

Eine Stimme drang an mein Ohr, nur ein Wispern im Rauschen – oder doch nur Einbildung?

„…ju“

Da war es schon wieder – verlor ich jetzt wirklich den letzten Sinn, Realität von Wahnsinn zu unterscheiden?

„…oju“

Schon wieder – woher kam es? Irgendetwas legte sich auf meine Schulter.

„Soju!“

Die Stimme – war das Knife? Warum war er hier?

„Soju – mach die Augen auf!“

„He Kaltkrähe, jetzt mach nicht schlapp!“

Eine zweite Stimme, sie donnerte in den Ohren, in meinem Kopf – und auch sie kam mir bekannt vor. Etwas zog mich hoch und hielt mich fest, ehe sich auch meine Füße vom Boden lösten.

„Wir müssen ihn versorgen!“, sagte Knifes Stimme.

„Ja – dein Haus ist in der Nähe, Sacrificia. Wir sollten uns beeilen – ich verliere ungern meine besten Leute.“

Seine besten Leute? Ich? Mein Kopf schmerzte, ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.

„Keine Sorge, Junge. Du hast schon vieles überstanden, du überstehst auch das.“

Berthellyo – war er es, der mich durch den Wald trug? Ich merkte, dass ich getragen wurde und auch, dass derjenige sich mit raschem Schritt bewegte – jedes auf und ab raubte mir das letzte bisschen Luft in meinen geschundenen Lungen.

Es kam mir alles so unwirklich vor – und zudem wie eine halbe Ewigkeit, bis kalter Wind in meine Knochen drang und mich an den Schmerz erinnerte. Ein leises Stöhnen entfloh meinen Lippen, der Schritt meines Trägers wurde noch schneller, die Luft in meinen Lungen weniger.

Das Rauschen in meinen Ohren wurde wieder laut, wurde zu einem unerträglichen schmerzenden Tosen. Ich schaffte er, einen Moment lang meine Augen zu öffnen – und sofort ergossen sich Farben über meine Wahrnehmung, bevor alles wieder schwarz wurde. Schwarz … und still.

Kapitel 9

Kapitel 9
 

Brennender Schmerz durchzog die Gesamtheit meines Körpers und prasselte wie Feuer in meinen Blutgefäßen, meine Lunge schien in Flammen zu stehen und mein Kopf fühlte sich an, als würde er mit einem Morgenstern gespalten. Anders ausgedrückt: als ich all meine Sinne wieder beisammen hatte und es schaffte, die Augen geöffnet zu halten, ging es mir so dreckig wie nie zuvor. Ich versuchte, einen Laut von mir zu geben, aber Zunge und Lippen spielten nicht mit, ebenso wenig wie mein Körper, als ich einen Versuch startete, mich aufzusetzen – just in diesem Moment fiel mir die tiefe Wunde in meiner Bauchhöhle ein, die mich daran erinnerte, dass laufen wohl keine so gute Idee war. Ich ließ mich also prompt zurück in die weichen Kissen fallen, ehe ich den Raum musterte – oder es versuchte, denn er war stockfinster.

„Knife … Berthellyo …“, langsam kehrten die Erinnerungen zurück und ich konnte mir denken, dass dies wohl mein eigenes Zimmer in Knifes Hütte sein würde – in die Stadt hatten sie mich bestimmt nicht gebracht, denn wie ich die beiden kannte, würden sie bis zu meiner vollständigen Genesung ein wachendes Auge auf mich haben. Und wie ich Lexis kannte, würde diese vollständige Genesung etwas Zeit in Anspruch nehmen – einer der Nachteile des Assassinenlebens.

Ich hörte zu meiner rechten – wenn ich mich recht erinnerte, war dort die Tür – Schritte, die zwar leise waren, aber stetig näher kamen. Es waren kurze Abschnitte zwischen den Schritten, woraus ich schlussfolgern konnte, dass Knife hierherkam, denn Berthellyo war um einiges größer als Knife und lief viel gemächlicher. Langsam glitt die Tür auf und ein schwacher Lichtschein fiel ins Zimmer, traf meine Augen – sofort verschlimmerten sich die Kopfschmerzen, eines der Leiden, die ich immer hatte, wenn ich schwer verletzt worden war.

„Soju? Bist du schon wach?“, fragte Knife mit krächzender Stimme – die Nacht im Wald hatte ihm scheinbar eine Erkältung eingehandelt, oder zumindest würde es zu einer kommen. Da ich meinen Mund noch immer nicht geöffnet bekam, nickte ich leicht und sah, wie sich auf Knifes schattige Züge ein erleichtertes Lächeln stahl. Er trat zu mir herüber und setzte sich auf den Rand des Bettes, strich mir einige Strähnen der langen schwarzen Haare aus dem Gesicht.

„Da bin ich ja beruhigt. Ich hatte Sorge, dass du vielleicht einige Tage brauchen würdest, bevor du wieder bei Sinnen bist.“

Ich nickte leicht, er machte ein klägliches Lächeln.

„Naja, fast bei Sinnen. Aber das ist doch wenigstens ein Anfang!“, sagte er. Ich sah auf die Armbanduhr, die sich an Knifes rechtem Handgelenk befand – sie war fast vollständig aus Silber, ich hatte sie ihm vor etwa drei Jahren von einem Auftrag mitgebracht. Knife bemerkte den Blick natürlich und lieferte mir sofort die Antwort, nach der ich gesucht hatte.

„Es ist beinahe sechs Uhr morgens, seit etwa vier Stunden liegst du im Bett, vor viereinhalb Stunden haben wir dich aus dem Wald geholt.“

Wieder nickte ich langsam und vorsichtig. Vier Stunden also. Natürlich war dies erst der Anfang, das war mir bewusst, aber wenn ich nach vier Stunden bereits wieder klar im Kopf war – oder zumindest zum Teil –, bedeutete dies, dass ich wohl doch nicht so lange warten musste, bis ich wieder allein aufstehen und herumlaufen durfte.

Ich spürte, wie mir langsam die Augen wieder zufielen und erneute Müdigkeit mich übermannte, Knifes kalte Hand legte sich auf meine Stirn.

„Schlaf dich nur aus, Soju – bald wird es dir wieder besser gehen, du wirst schon sehen!“
 

Ein leichtes Kribbeln auf der Haut holte mich aus den Tiefen des Schlafes, sodass ich nur noch wenige Momente vor dem Erwachen stand – oder doch nicht? Ich war mir nicht sicher, dieses Kribbeln kam mir real vor, gleichzeitig aber so irreal, dass ich es beiseite schieben wollte. Aber irgendwie wurde es etwas stärker – kam es von meinem Kopf? Strich jemand über meine Stirn? Und wenn, konnte nur Knife sein. Ich entschied mich, mich wieder tiefer ins Land der Träume fallen zu lassen – bis ich erschrocken feststellte, dass es definitiv nicht Knifes Hand sein konnte, die dort auf meiner Stirn ruhte. Entsetzt riss ich die Augen auf und setzte mich auf, ehe ich ruckartig zusammenzuckte – soeben war die Wunde meiner Bauchhöhle wieder aufgerissen. Ein mit Schmerz angefülltes Stöhnen entwich meinen schwachen Lippen, während ich zusammengekauert in die Kissen zurückfiel. Das Tosen in meinen Ohren hatte es verdeckt, aber als der Schmerz nachließ, hörte ich zwei mir bekannte Stimmen meinen Namen sagen – immer und immer wieder. Dann erst öffnete ich erschöpft die Augen und erblickte Mai und Keith, die mich beide besorgt vom Bettrand aus anstarrten – Mais Hand war in meine Richtung gestreckt, sie hatte also über meine Stirn gestrichen.

„Kaná, alles okay?“, fragten die beiden besorgt. Ich stöhnte erneut, dieses Mal, um mich ordentlich hinzulegen, was natürlich von weiteren Schmerzen gefolgt war.

„Was … macht ihr … hier …“, brachte ich schwach hervor, Mais Züge erweichten sich dabei zunehmend. Sie setzte sich wieder ordentlich hin – zuvor war sie vermutlich aufgesprungen – und lächelte sanft.

„Du warst nicht in der Schule und die Lehrer wussten auch nichts von deinem Verbleib, deshalb wollten Keith und ich dir Aufzeichnungen und Hausaufgaben bringen. Als du nicht in deiner Wohnung warst, dachte ich mir, dass du wohl hier sein würdest.“

Ich musterte sie müde – Mai behielt mehr im Gedächtnis, als ich erwartet hatte. Ich kannte sie, seitdem Knife mich aufgenommen hatte, eine Freundin von ihm hatte sie immer hierher gebracht, damit ich Gesellschaft hatte. Aber das letzte mal war sie vor fünf oder sechs Jahren hier gewesen, daher hatte ich erwartet, dass sie dieses Haus bereits vergessen hatte. Da kam mir jedoch bereits etwas anderes in den Sinn.

„Ihr wart in meiner Wohnung?“

meine beiden Mitschüler nickten, ehe Keith erklärte:

„Mai wusste, wo dein Zweitschlüssel war.“

Ach ja, das habe ich ihr ja vor zwei Jahren gesagt gehabt, als sie sich weigerte, ihn selbst mitzunehmen – Mai vertraute ich in der Hinsicht nämlich mehr als Keith, der verlor nämlich alles. In diesem Moment fiel mir Keiths Blick auf – etwas säuerlich sah er mir in die Augen. Dieser Schwerverliebte dachte doch nicht wirklich, dass ich etwas mit Mai am Laufen hatte? Innerlich seufzte ich.

„Sag mal, Kaná, wie kommst du eigentlich dazu, dich von einer Jugendbande aufschlitzen zu lassen?“, fragte Mai plötzlich bitter – wie bitte? Jugendbande? Was erzählte sie da? Pure Verwunderung machte sich in mir breit und das nicht nur, weil Mai sich sonst gepflegter ausdrückte – glücklicherweise verbot mir mein Zustand, diese Verwirrung zur Schau zu stellen –, bis mir ein Licht aufging. Knife hatte ihnen wahrscheinlich die vor Jahren einstudierte Geschichte eines Überfalls auf eine junge Mutter mit Kind durch eine Jugendbande erzählt, den ich zufällig beobachtete und einschritt – je nach Verletzung variierte die Ausführung natürlich, mal war es ein Motorradfahrer, mal jemand mit einem Baseballschläger der mir die Hand brach und dieses mal eine Jugendbande, die mir mit Messern den Bauch öffneten.

Danke, Knife, dass du an alles denkst!

„Tja, ich kann doch nicht einfach tatenlos herumstehen.“, wisperte ich mit schwacher Stimme und ebenso schwachem Lächeln. Mais Blick aber wurde kälter.

„Wie oft soll ich dir eigentlich sagen, dass du nicht immer den Helden spielen sollst?“, schnalzte sie, ich schüttelte leicht den Kopf, ehe ich zu Keith sah – er schien bedrückt.

„Keith?“, sprach ich, woraufhin er aus seinen Gedanken gerissen wurde und mich fragend anblickte.

„Sorry wegen gestern.“, meinte ich dann, er lächelte nur verwundert.

„Denkst du da etwa noch dran? Dummkopf!“, tadelte er mich schließlich – mit einem Lachen auf den Lippen. So, wie ich ihn kannte – und wie ich ihn immer kennen wollte, denn mit anderen Gefühlen konnte ich nur schlecht umgehen …

Kapitel 10

Sorry, hatte mich im Kapitel geirrt x_____x
 

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Kapitel 10
 

„Hey Soju, alles okay mit dir? Du bist so still heute.“

Ich wandte meinen Kopf zu Knife, der mich besorgt ansah.

„Jaja, alles okay … hab bloß keinen Hunger.“

Wir aßen gerade zu Mittag, jedoch rebellierte mein Magen. Ich mochte Knifes Essen, er konnte gut kochen – wenngleich man ihm das nicht ansehen mochte. Aber irgendwie hatte ich ein ungutes Gefühl. Es war jetzt sechs Tage her, seit ich gegen Lexis gekämpft hatte. Ich wusste, dass ich ihn tödlich verletzt hatte, aber irgendwie glaubte ich nicht daran, dass er wirklich gestorben war.

Ich erinnerte mich noch gut daran, wie er mich vor vier Jahren durch das halbe Land gehetzt hatte. Wochenlang war ich geflüchtet, Müdigkeit und Hunger hatten an körperlichen sowie seelischen Kräften gezerrt. Ich war kurz vor dem Ende – ein paar Tage länger und ich wäre definitiv tot umgefallen. Durch Zufall flüchtete ich in einen Sumpf, seit Tagen hatte ich keine Menschenseele gesehen. Nur Lexis, immer wieder hatte er mich einholen können. Jedes Mal, wenn ich mich schlafen legte, tauchte er plötzlich auf. Damals hatte ich den Turm im Sumpf entdeckt, er war aus dunklem Stein, dessen Farbe an geronnenes Blut erinnerte. Ich hatte ihn in die Kerker gelockt und es durch Glück geschafft, ihn dort anzuketten und einzusperren.

Als ich alles hinter mir ließ, hatte ich geglaubt, es wäre vorbei. Und auch dieses Mal wollte ich glauben, dass alles vorbei war. Aber Lexis hatte mich bereits davon überzeugt, dass ihn so leicht nichts ins Grab bringen würde. In der Nacht vor sechs Tagen musste ich bereits zu benebelt gewesen sein, als dass ich es hätte bemerken können. Jetzt vergiftete aufkeimende Panik vor einer Rückkehr seinerseits mein Hirn.

„Bist du dir sicher? Du bist blass.“

Knife fühlte meine Stirn.

„Und eiskalt.“

„Ich bin immer kalt, Knife. Und dass ich blass bin, wird wohl von den Verletzungen kommen.“

„Aber die sind doch so gut wie verheilt – wie immer!“

Das stimmte, mein Körper regenerierte sich ungewöhnlich schnell. Das war der Grund, weshalb ich nie lange ausfiel.

„Ach, was weiß ich. Ich werde mich hinlegen.“, erwiderte ich leise und erhob mich langsam vom Tisch, ehe ich mich abwandte und in mein Zimmer lief. Dort angekommen setzte ich mich auf das weiche Bett und warf einen Blick auf mein Handy, das auf dem Nachttisch lag. Es zeigte zwei verpasste Anrufe an, weshalb ich es in die Hand nahm und nachsah.

„Keith …“, murmelte ich. Wenn ich so darüber nachdachte, war er die letzten zwei Tage nicht vorbeigekommen. Mai war allein hier gewesen um mir ihre Aufzeichnungen zu geben.

„Vielleicht ist ihm etwas passiert …“

Ungewollt musste ich wieder an Lexis denken, aber diese Furcht schob ich beiseite.

„Er ist tot. Und wenn nicht, dann ist er schwer genug verletzt, dass er nicht plötzlich durch die Stadt marschiert.“, versicherte ich mir selbst, dann wählte ich Keiths Rufnummer. Es dauerte nicht lange, da hob er bereits ab.

„Kaná, bist du es?“

„Wer sonst ruft wohl über meine Nummer an, Dummkopf.“

Er schnaubte.

„Wer weiß! Vielleicht hat dich ja jemand entführt und weiß zufällig, dass wir beide beste Freunde sind?“

„Ja, genau. Mein Entführer steht gerade hinter mir und will, dass du mir sagst, was du von mir wolltest. Also, schieß' los.“, erwiderte ich augenrollend und ließ mich in die weichen Kissen fallen.

„Haha …“

„Keith?“

„Ja?“

„Mach hinne.“

Wieder ein schnauben, ich lächelte.

„Ich wollte eigentlich fragen, ob ich vorbeischauen kann.“, meinte er schließlich.

„Seit wann fragst du bitte, was du tun und lassen kannst?“

„Kaná, komm schon …“

Ich seufzte und setzte mich auf.

„Klar kannst du vorbeikommen, Idiot.“

„Okay, gut. Ich bin dann in ein paar Minuten da.“
 

Zwanzig Minuten später ließ ich Keith ins Haus, er verlangte danach, mit mir allein zu reden.

Was hat er denn jetzt schon wieder?

Ich stimmte zu. Als wir in meinem Zimmer ankamen und uns gesetzt hatten, legte sich Stille über uns.

Ob er Probleme hat? Braucht er Hilfe?

Ich hoffte, dass dies nicht der Fall war – besonders gut im Helfen war ich nie gewesen. Natürlich, wenn es nicht anders ging, würde er auf mich zählen können, immerhin brauchte ich meine Tarnung die nächsten Jahre noch. Und auch sonst war ich es ihm wohl schuldig. Er mochte es vielleicht nicht wissen, aber vor vier Jahren, als wir uns kennen gelernt hatten, war er es, der mich von den Ereignissen der letzten Wochen abgelenkt hatte.

„Kaná, kann ich dich was fragen?“

„Sicher.“

Er schluckte. Nervosität? Anspannung? Angst?

„Sei bitte ehrlich zu mir.“

„Schon klar, Keith.“

„Nun … du und Mai … was läuft da zwischen euch? Ich konnte die letzten Tage an nichts anderes denken. Du sagst zu mir immer, dass ich mich nicht auf sie einlassen soll, sie würde mich nur ausnutzen. Aber andererseits verstehst du dich sehr gut mit ihr. Warum?“

Ich seufzte.

Er denkt also wirklich, dass ich was mit Mai am laufen habe … Dummkopf …

„Weißt du, Keith, du solltest dir nicht solche Gedanken darum machen.“

„Kaná, bitte beantworte meine Frage!“

Ist es dir wirklich so wichtig?

„Aaah, Keith – du bist so anstrengend! Aber gut, wenn du s unbedingt wissen willst.“

„Also?“

„Zwischen mir und Mai läuft nichts, kannst ganz beruhigt sein. Als ich vor neun Jahren in die Stadt kam, war Mai die erste, die ich kennen gelernt hatte. Du weißt ja, dass ich mich nicht an die Zeit davor erinnern kann. Knife hat mich damals bei sich aufgenommen und damit ich nicht allein bin, hatte er Mais Großmutter gebeten, ab und zu mit ihrer Enkelin vorbeizuschauen. Wir kennen uns also einfach nur lange. Nichts weiter.“

„Wirklich?“

„Ja, wirklich.“

„Aber … warum hast du mir das nie erzählt?“

„Weil wir schon lange nicht mehr so viel zusammen gemacht haben wie damals und außerhalb der Schule nur wenig miteinander zu tun haben. Als du in die Stadt gezogen bist, hast du ihren Platz eingenommen und sie hat sich andere Freunde gesucht.“

Er sah mich verdutzt an.

„I-ich hab ihren Platz eingenommen?“

„Ja … schon irgendwie.“

Ich war etwas verwirrt ob dieser Reaktion – was machte ihn so stutzig?

„Das … hab ich gar nicht bemerkt.“

„Natürlich nicht, du bist ja auch ein Holzkopf. Und blind dazu!“

„Hey!“

„Pluster dich jetzt bloß nicht auf, Keith. Kannst du dich noch daran erinnern, weshalb du dich unbedingt mit mir anfreunden wolltest?“

Er sah mich mit fragendem Blick an.

„Du sagtest damals, ich würde so einsam wirken. Wenn ich dieser Annahme trauen darf, sah es wohl nicht unbedingt danach aus, dass Mai und ich viel zusammen unternommen haben.“

„Du … merkst dir wirklich viel.“

„Einer von uns muss das ja können.“

„Warum?“

„Wenn ich mir so wenig merken würde wie du, könnte ich doch nicht die Hausaufgaben machen, die du immer abschreibst.“

Ich lächelte überlegen, woraufhin er in schallendes Gelächter ausbrach.

Danke, dass du wieder normal bist, Keith. Ich kann andere Gefühle nicht leiden.

Kapitel 11

Kapitel 11
 

Ich setzte mich gerade hin, als bereits mehrere Stimmen meinen Namen riefen. Erschrocken blickte ich auf und erkannte einige meiner Klassenkameraden, die gerade durch die Tür im Klassenraum traten und überrascht die Augen aufrissen ob meines Anblicks. Vor zwei Tagen hatte ich dieses Zwischen-Mai-und-mir-läuft-nix-Gespräch mit Keith geführt und heute, an einem Freitag, hatte ich meinen ersten Schultag nach Lexis' Besuch – und natürlich wussten bereits alle von der Pseudo-Muttiretter-Geschichte. Ich sah mit hochgezogener Augenbraue zu Keith, der neben mir stand und mich verschämt ansah – er hatte es also verbreitet.

„Kaná, geht es dir etwa schon besser? Mai und Keith meinten, du würdest schlimm aussehen!“, fragte Alice als erste und beugte sich zu mir hinunter.

„Ja, genau – wie kommt es eigentlich, dass du dich mit einer ganzen Band anlegst? Dazu noch, während sie bewaffnet sind!“, kam von Gerret die Frage, während Eric und Lucy lieber wissen wollten, wie sich die „gerettete Mutter“ bei mir bedankt hatte. Ich rollte innerlich die Augen, allerdings musste ich ihnen ja nicht unter die Nase reiben, dass diese Geschichte reine Erfindung und sie absolute Nervensägen waren. Geduldig beantwortete ich also alle Fragen – bis endlich jemand auf die Idee kam, mich aus dieser Situation zu befreien.

„Ach Leute, lasst ihn doch erst einmal wieder in der Schule ankommen!“, drängelte sich Mai durch die Menge, bis sie vor meinem Tisch stand und schnaubend die Arme verschränkte.

„Sonst kommt er noch auf die Idee, gleich wieder nach Hause zu gehen – wollt ihr das wirklich?“

Ich musste lächeln – Mai wusste, wie sie die anderen überzeugen konnte. Einerseits wollten sie mich weiter ausfragen, aber andererseits war dies ja nicht möglich, wenn ich nicht da war – sie würden also alles häppchenweise über den Schultag verteilen müssen. Murrend und mit verzogenen Gesichtern teilten sich dann auch endlich die Massen vor meinem Tisch und jeder ging zu seinem eigenen Platz. Mai und Keith wandten sich währenddessen mir zu.

„Schön, dass du wieder da bist!“, meinte Mai dann mit einem breiten Lächeln, ich nickte dankbar – natürlich wusste sie, weshalb.

„Sag mal, Kaná, meinst du, du bist fit genug um heute Nachmittag mit auf den Sportplatz zu kommen?“

Jetzt musste ich nachdenken bevor ich antwortete – die anderen wussten nicht, dass meine Wunden beinahe vollständig verheilt waren und für gewöhnlich wären sie es wohl nicht einmal Ansatzweise, daher konnte ich nicht alles tun, was ich sonst tat.

„Also – mitkommen kann ich bestimmt, aber was irgendwelche Spiele angeht muss ich passen.“, erklärte ich mit bedacht und wie erwünscht sprang Keith darauf an – ich vergaß zu oft, dass ich nicht gerade sitzen oder stehen konnte, dass ich hin und wieder „vor Schmerzen das Gesicht verziehen“ musste. Es waren jedes mal aufs Neue Kleinigkeiten, die mich bei guten Beobachtungen auffliegen lassen würden.

„Ich denke, das passt schon – wir wollten Basketball spielen gehen und brauchen noch einen Schiedsrichter! Da du dich eh kaum bewegen kannst, passt du ziemlich gut in die Rolle!“, erwiderte Keith grinsend und schnappte sich den Stuhl vom Platz vor mir, auf welchen er sich sinken ließ.

„Meinetwegen, im Gegensatz zu manch anderen kann ich schließlich die Regeln.“, entgegnete ich dann und Mai find an zu lachen.

„Aber Kaná, sei doch nicht immer so fies gegenüber deinen Klassenkameraden!“, meinte sie kichernd – ich wusste allerdings, dass sie genauso dachte wie ich. Als das Lachen Mais endete, sah sich mich und Keith nachdenklich an, ehe sie wieder ihre Stimme erhob.

„Kann ich nachher vielleicht auch mitkommen? Ich gucke euch gerne zu! Also, was sagt ihr?“, fragte sie und setzte ihre Rehaugen auf. Noch bevor ich hätte etwas sagen können, hatte Keith bereits freudestrahlend zugestimmt und der Blondine geraten, immer auf ihn zu achten, da er sicherlich einen Korb für sie werfen würde – das übliche eben. Wenn man es von dieser Seite aus betrachtet also ein völlig normaler Schultag.
 

Als es zum Ende der letzten Stunde läutete, packte ich behutsam meine Sachen zusammen.

„Ich warte dann unten auf dich!“, meinte Keith und ging bereits aus dem Raum, ebenso wie die meisten anderen. Mai kam währenddessen zu mir herüber.

„Kaná. Sag, können wir einen Moment reden?“, fragte sie mit leicht erröteten Wangen. Ich musterte sie kurz fragend, nickte aber schließlich und stand langsam auf, schulterte meine Tasche und ergriff meine Jacke.

„Wohin soll's denn gehen?“, fragte ich und sah hinüber zur Tür, der wir uns näherten.

„Oh, nicht weit – ich will nur kurz unter vier Augen mit dir reden.“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Wenn du meinst.“

Gemeinsam verließen wir den Klassenraum und durchquerten einen Teil des Schulflurs auf dieser Etage, bis Mai mich in einen leeren Raum zog, in welchem über Winter unsere Schulpflanzen Platz fanden. Vorsichtig schloss die Blondine die Tür, ehe sie sich zu mir umdrehte und sich räusperte.

Oh Himmel …

Ich hoffte sehr, dass es nicht das war, was ich glaubte.

„Kaná, ich …“, sie räusperte sich erneut und drehte sich dann wieder von mir weg.

„Wir kennen uns jetzt schon so lange, Kaná. Du bist mir zu einem guten Freund geworden und zudem bist du mir sehr … wichtig. Ich … Ich weiß, dass es deiner Gefühlswelt nicht entspricht, aber ich denke, du hast ein Recht es zu erfahren.“

Mais Stimme brach an dieser Stelle und ich sah, wie warme Tränen zu Boden fielen, ein Schluchzen ertönte.

„Es tut mir Leid, dich damit belästigen zu müssen, Kaná, aber schon seit ein paar Jahren hege ich diese Gefühle für dich. Ich dachte, es würde eine Phase sein, eben weil wir uns doch schon so lange kennen, aber es wird immer schlimmer …“

Ich schluckte, sie ebenso. Dann drehte sie sich zu mir und blickte mir in die Augen, während weiterhin die Tränen aus den ihrigen quollen.

„Kaná, ich … ich habe dich wirklich sehr, sehr gern.“, endete sie und brach nun vollends in Tränen aus, schlug die Hände vor ihr Gesicht und versuchte, alles zu verstecken.

Ich kann sie doch nicht einfach stehen lassen …

Ich ließ Tasche und Jacke fallen und trat näher zu ihr, nahm sie in den Arm und strich vorsichtig über ihr langes Haar.

„Tut mir Leid, Mai … ich weiß schon lange von deinen Gefühlen, ich kenne dich schließlich besser als die meisten anderen. Mai, ich will nicht, dass das zwischen uns steht.“

Ihr Schluchzen wurde lauter und sie krallte sich schließlich in meine Arme, während ihre Tränen mein Hemd durchnässten. Mai hatte in den letzten Jahren für mich stark an Wert gewonnen, sie hatte mir das Einfinden in eine neue Umgebung erheblich erleichtert und war auch die folgenden Jahre immer die erste, die bemerkte, wenn es mir nicht gut ging. Mir wurde klar, dass sie viel mehr von mir wusste, als ich Preis geben wollte. Aber mir wurde auch klar, dass sie wohl eine gute Freundin wäre, wenn ich wie sie in der Tageswelt leben würde.

Es vergingen mehrere Minuten, bevor ihr Schluchzen langsam nachließ und schließlich völlig verebbte, ebenso ihre Tränen. Langsam löste sie sich von mir und blickte mir lächelnd ins Gesicht.

„Danke, Kaná. Du bist ein guter Mensch!“, sagte sie leise.

„Mai, ich wollte nicht …“

„Du wolltest nicht, dass ich unter diesem Gefühlen leide – aber jetzt, wo es geklärt ist, geht es mir ohnehin schon viel besser!“, erklärte bei bestimmt und drehte sich der Tür zu, ehe sie sich die letzten Tränen aus dem Gesicht wischte und mit einem Handspiegel das Make-Up überprüfte. Als sie es für gut befand, sagte sie:

„Komm, Kaná, die anderen warten schon auf uns!“

Sie öffnete die Tür und trat heraus, während ich mir eiligst die Jacke überzog, damit man mein nasses Hemd nicht bemerkte. Dann erst ergriff ich meine Tasche und folgte Mai aus dem Raum und anschließend den Schulflur entlang, bis wir den Haupteingang und damit die anderen erreichten.

„Wo wart ihr denn so lange?“, begrüßten sie uns und drehten sich zum gehen um. Natürlich antworteten wir nicht, sondern liefen einfach mit den anderen mit, bis wir etwa zwanzig Minuten später endlich den Sportplatz erreichten. Die Jungen meiner Klasse holten einen Ball für das Spiel, während ich mir einen Platz am Spielfeldrand suchte und mich dort auf einen Stuhl stellte. Ich konnte nicht am Rand mitlaufen, das würde merkwürdig erscheinen, aber Alice und Mai boten mir ihre Hilfe an und übernahmen die andere Seite, während Eric mir den Ball zuwarf.

Möge das Spiel beginnen!

Kapitel 12

Kapitel 12
 

„Bitte was?!“, rief ich entsetzt und sprang von meinem Platz im Sessel auf, während ich Berthellyo und Knife finster ansah.

„Fängst du jetzt etwa an, mir zu Misstrauen? Ich habe bisher nie einen Job vermasselt!“, fauchte ich noch immer fassungslos und funkelte den Riesen bedrohlich an. Ich stützte meine Hände auf Knifes Tisch, der sein Gesicht abgewandt hatte.

„Das hat nichts mit Misstrauen zu tun, Kaltkrähe.“, erwiderte Berthellyo mir mit ruhiger Stimme, aber ich schüttelte nur den Kopf und wandte mich ab.

„Ich arbeite nicht mit einem anderen zusammen! Entweder du lässt es mich wie immer allein machen oder dein erwünschtes Helferlein kann an diesem Scheiß sterben gehen!“, entgegnete ich ihm erzürnt. Ich hörte, wie der Riese, der eigentlich mein Boss war, seufzte – vermutlich schüttelte er gerade den Kopf.

„Kaltkrähe, es ist kein „Helferlein“, niemand soll auf dich aufpassen oder etwas ähnliches. Ich stelle dir diese Person zur Seite, weil ich weiß, dass ihr gut zusammen arbeiten könnt und der Job einfach zu groß für dich ist.“

„Kein Job ist zu groß für mich! Berthellyo, ich bin der Beste, den du hast und ich komme gut allein zurecht!“

„Soju, hör mir mal zu, okay?“, fing nun Knife an. Ich wandte mich ihm mit unverhohlenem Zorn zu.

„Berthy will dich wirklich nicht unter Kontrolle stellen. Ich würde vorschlagen, du siehst dir morgen den anderen Assassinen an und entscheidest vor Ort, ob du den Job machst – dann haben wir wenigstens alles getan.“

Ich murrte laut – ich hasste es, mit anderen zusammenzuarbeiten. Sie behinderten mich nur!

„Sacrificias Vorschlag hört sich doch gut an, Kaltkrähe. Also, überleg's dir.“, stimmte Berthellyo dem alten Mann zu und erhob sich von seinem Platz, ehe er an mir vorbei aus dem Zimmer ging und anschließend das Haus verließ – ich hörte nur noch, wie die schwere Tür zufiel. Anschließend schwieg ich, ebenso Knife.

Jemand, mit dem ich gut zusammenarbeite? Pah! Die müssen sie erst einmal zurück holen!
 

Am Abend lag ich schweigend auf meinem Bett in meiner Wohnung und starrte an die Decke, seit Stunden tat ich nichts anderes. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war oder wie lange genau ich das bereits tat, ich wusste nicht einmal genau, wann ich mich hier hingelegt und damit begonnen hatte. Meine Gedanken kreisten um die Frage nach diesem Assassinen, der mich begleiten sollte. Eine Person würde mir einfallen, bei der das wirklich zutraf – aber die saß noch immer in der Hauptstadt und studierte Unterlagen, die in meinen Augen ohne Belang waren. Wer also konnte dieser Assassine sein?

Frustriert setzte ich mich schließlich auf und trat zu meinem offenen Fenster, sah hinaus. In letzter Zeit war viel passiert, irgendwie zerrte alles an meinen Kräften und ich fühlte mich müde, aber zeitgleich so Rastlos wie lange Zeit nicht mehr.Vor nunmehr vier Wochen war Aidan Lexis in mein Leben zurückgekehrt, acht Tage später hatte Mai mir ihre Liebe gestanden – obwohl ich Keith nur achtundvierzig Stunden zuvor erläutert hatte, dass keine Gefühle dieser Art zwischen uns standen. Und ausgerechnet er hatte es fünf Tage später dank eines Gesprächs zwischen Mai und Alice mitbekommen, der seitdem kein Wort mehr mit mir redete. Ich konnte mich noch ganz genau daran erinnern, wie er zornig zu mir gekommen und mir eine gelangt hatte – so heftig, dass ich hochkant von meinem Stuhl flog und bis zum heutigen Tag eine blaue Wange hatte. Ich muss zugeben, ich hatte Keith zuvor nie so erlebt und wusste auch nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Mai hatte ihn wütend angefahren, aber das hatte Keiths Zorn nur gesteigert. Er hatte mich einen Verräter genannt – etwas das mich schon immer tief traf und wahrscheinlich noch einige Zeit fest in meinem Hirn verankert bleiben würde.

Aber als ob das nicht genug wäre, habe ich Wind von einem Kopfgeldjäger bekommen, der nach mir suchte und wohl nicht gerade auf die leichte Schulter zu nehmen war.

Seufzend warf ich meine Haare zurück, die ich am heutigen Abend nicht zusammengebunden hatte. Ich schloss die Augen und ließ den kalten Wind über meine Wangen streifen. Es roch nach Schnee, bald würde der Winter über uns hereinbrechen – vielleicht schon heute Nacht. Ich hatte kein Problem mit dem Winter, auch wenn er mir meine Arbeit erschwerte. Jedes Jahr zur Zeit des ersten Schnees überkamen mich alte Erinnerungen, immer die gleichen. Aber auch in diesem Jahr würde ich sie wohl nicht einordnen können. Vielleicht sollte es meinen ganz eigenen Fluch darstellen. Die Tatsache, dass ich mich an beinahe nichts aus meiner Kindheit erinnern konnte, belastete mich – denn meine ganze Existenz begann mit einer brennenden Stadt mitten im Winter.

Ich schüttelte den Kopf, schob meine trägen Gedanken beiseite – und tatsächlich legte sich in diesem Moment die erste Schneeflocke auf mein Gesicht. Ich blickte auf zum Himmel und sah die weißen Flocken langsam hernieder fallen, während der mit Sternen besetzte Himmel einen mysteriösen Glanz zeigte.

„Willst du mir mit deinem friedlichen Anblick irgendetwas sagen?“, wisperte ich in die kalte Luft und atmete tief ein und aus. Die Ruhe um mich herum nahm mich völlig ein, der Anblick der Stadt, die langsam in dieses reine Weiß gehüllt wurde, bannte mich. Winter – eine Zeit, in der ich nur zu gern reglos am Fenster stand und hinaus starrte.
 

Am nächsten Tag lief ich eiligst vom Bahnhof nach Hause, ich wollte meine Ausrüstung zurecht legen. Da nun über allem eine dicke Schneeschicht lag, musste ich mir meine anderen Sachen raus suchen, mit denen ich nicht über den Boden laufen musste. Es dauerte nicht lange, da kam ich an dem Haus an und schloss die Tür auf, ehe ich das Treppenhaus hinauf lief. Im sechsten Stock angekommen, trat ich zu meiner Wohnungstür, öffnete sie und trat ein, während die dunkle Tür wieder hinter mir ins Schloss fiel.

Schnell hatte ich mich meiner Schulsachen, meiner Jacke und meiner Schuhe entledigt und betrat mein Schlafzimmer, wo ich mich vor meinen Schrank hockte und das unterste Schubfach öffnete, diverse Hosen herausnahm und schließlich den zweiten Boden entfernte. Mein Blick fiel auf einen nachtschwarzen Stoff, der im Licht grün schimmerte.

Diese Kleidung war etwas dicker als die, die ich für gewöhnlich während den Aufträgen trug, aber ebenso elastisch und anschmiegsam. Vorsichtig zog ich Oberteil, Hose, Handschuhe und Schal heraus, legte sie neben mich auf den Boden und installierte anschließend wieder den zweiten Boden in der Schublade, ehe ich meine Straßenkleidung wieder ordentlich darin verstaute und sie schloss. Dann ergriff ich erneut meine Winterkleidung und stand auf, trat hinüber zu meinem Bett und ließ dort wieder alles fallen. Im Anschluss drehte ich mich um und berührte die eingebaute zweite Wand an drei verschiedenen Stelle, woraufhin sich eine versteckte Tür öffnete und ein Arsenal an Waffen und Ausrüstung Preis gab.

Ich ließ meinen Blick über den Inhalt wandern, griff dann nach einem Kletterhaken und meinem von Knife verlängerten Surujin. Weiterhin holte ich Caltrops und sieben Haftbomben heraus, ehe ich die Tür schloss und sie sich wieder unbemerkt in die Wand eingliederte. Auch diese Sachen warf ich auf mein Bett, trat dann neben meine Tür und öffnete auch dort ein Geheimfach, aus welchem ich einen einzelnen Schlagring, mein Blasrohr und die dazugehörigen Giftpfeile und außerdem etwa vierzehn Wurfmesser holte – bis heute überlegte ich jedes mal, warum ich den Schlagring immer zu meinen Wurfgeschossen packte.

Nachdem ich dieses Geheimfach geschlossen und ein weiteres geöffnet hatte, zog ich aus diesem noch zwei kleine Rauchbomben und eine Lockpfeife, mit der ich Tierlaute nachahmen konnte um von mir abzulenken – ein kleines Hilfsmittel, dass mir im Winter immer wieder half. Auch dieses Fach ließ ich wieder in der Wand verschwinden und legte im Anschluss die Dinge zu den anderen auf mein nun überladenes Bett.

„So, jetzt nur noch Tür abschließen, die Gifte zusammenmischen und duschen gehen. Oh, meine Dolche darf ich natürlich auch nicht vergessen!“, sagte ich mir, nachdem ich alles überprüft hatte. Mehr oder minder zufrieden ging ich also meine Wohnungstür verschließen, ehe ich in der Küche anfing, aus Kräutern und diversem anderen Zeugs ein paar Gifte zu mischen, die ich wie immer in meine Kristallfläschchen füllte. Nachdem ich auch damit fertig war und alles in mein Zimmer gebracht hatte, legte ich mir sieben Dolche auf den Schreibtisch, ebenso meine Schnallen. Erst als ich mir völlig sicher war, alles bereit gelegt zu haben, ging ich ins Bad, suchte mir zwei Handtücher heraus und entledigte mich meiner Kleidung, damit ich unter die Dusche springen konnte.

Etwa 50 Minuten und eine gründliche Reinigung meiner Haare und meines Körpers samt Trocknung später stand ich bereits wieder in meinem Zimmer und machte mich daran, in meine Kleidung für den Auftrag zu schlüpfen. Ein Blick auf meinen Wecker verriet mir, dass es kurz vor sieben Uhr abends war – ich hatte also gut eine Stunde um vor Knifes Tür aufzukreuzen und mir diesen Bastard von Helferlein anzusehen. Mit schnellen Handgriff hatte ich die Kleidung übergestreift und ordentlich verschlossen, dann schnallte ich mir die Riemen um und befestigte wie immer Blasrohr, Pfeile, Gifte, Haft- und Rauchbomben, Wurfmesser und auch vier Dolche daran, ebenso den Wurfhaken und das Surujin. Die Caltrops füllte ich in eine kleine Tasche, die ich fest verschloss und mir um mein linkes Bein band. Im Anschluss versteckte ich je einen Dolch an meinen Unterarmen. Ich zog mir meine warmen Handschuhe über – sie rechten bis zu meinen Ellbogen und waren an den Handflächen geöffnet und Dehnbar, damit meine Dolche trotz allem hervor schnellen konnten – und anschließend meine Stiefel, in dem rechten versteckte ich zuletzt noch meinen letzten Dolch. Den Schlagring nahm ich in die rechte Hand – er war nur für den Notfall gedacht und würde hoffentlich niemals in Aktion treten müssen. Nun fehlte nur noch die Lockpfeife, die ich neben meinem Blasrohr befestigte.

Prüfend betrachtete ich meine Ausrüstung im Spiegel – hatte ich alles dabei? Zufrieden nickte ich, dann warf ich erneut einen Blick auf die Uhr, kurz vor halb acht. Wieder nickte ich, griff dann nach dem schwarzen Tuch auf meinem Schreibtisch, welches ich mir über Mund und Nase zog, anschließend band ich meine Haare zusammen, legte den dunklen Schal um Hals und Schultern und schlüpfte schlussendlich in meinen nachtschwarzen Umhang. Dann trat ich zu meinem Fenster und öffnete es. Draußen war es bereits dunkel geworden, allerdings waren noch ein paar Leute unterwegs, weshalb ich mit Bedacht vorgehen musste.

Leise und vorsichtig kletterte ich auf das Fensterbrett und schloss anschließend alles, dann sah ich mich um. Die Häuser hier eigneten sich nicht zum klettern, daher würde ich mich wohl doch fallen lassen müssen. Ich seufzte innerlich, sprang aber schließlich doch hinunter. Mit viel Glück konnte ich mich auf dem Boden zur Seite abrollen, ohne mich dabei zu verletzen – und ein weiterer Zufall ließ gerade niemanden in der Nähe auf mich achten.

Schnell war ich wieder auf den Beinen und schlich mich unbemerkt in eine dunkle Gasse, die ich wenige Minuten später bereits wieder hinter mir ließ. Ich brauchte etwa 20 Minuten um unbemerkt zu dem Trampelpfad zu gelangen, der mich zu Knifes Hütte führte. Dort angekommen öffnete ich die schwere Tür und trat ein.

„Soju, bist du das?“, hörte ich den alten Mann fragen und verdrehte kurz die Augen.

„Wer wohl sonst.“, erwiderte ich.

Na mal sehen, wen ich heute ganz aus Versehen in Stücke reißen werde …

Mit kaltem Blick trat ich ins Wohnzimmer – und augenblicklich fielen Hass und Zorn von mir ab und machten einer überraschten Freude Platz. Sofort riss ich das Tuch von meinem Gesicht.

„Pin!“
 


 

Soju Kana: „Ich werde diesen Job mit Bravour beenden – und wenn ich vorher alle Kritiker umbringen muss!“

Kapitel 13

Kapitel 13
 

Mit schnellen Schritten war ich auf die zierliche Gestalt vor mir zugegangen und hatte sie in meine Arme geschlossen, ein Kichern entrann ihren Lippen. Dann sah ich sie an. Pin hatte kurzes violettes Haar mit einer magentafarbenen Strähne im Pony, dazu dunkle blaugrüne Augen und einen offenherzigen Blick. Ein breites Lächeln zierte ihr blasses Gesicht mit den schmalen Lippen. Ihr rechtes Ohr hatte sie mit allerlei Ringen geschmückt, so, wie ich es von ihr kannte. Musternd sah ich an ihr herab – sie trug wie ich dunkle und wetterfeste Kleidung, hatte bis auf ein langes Schwert beinahe die gleiche Ausrüstung wie ich dabei. Ich schmunzelte.

„Pin …“, murmelte ich. Sie war eine gute Freundin von mir, jemand, der das gleiche Leben lebte wie ich. Aber im Gegensatz zu mir tarnte sich die 17jährige nicht als Schülerin, sondern lebte auch am Tage die Hetzjagd mit der Garde voll aus – denn als Trickbetrügerin war sie schwer beliebt bei den Gesetzeshütern. Ihr eigentlicher Name war Kayla Merphis und als Assassine trug sie den Titel Feuerzunge, da überall, wo sie auftauchte irgendetwas in die Luft gesprengt wurde. Den Namen Pin hatte sie von mir bekommen, schließlich war sie sehr geübt in ihrem Fach als Betrügerin und hatte bisher jegliches Konto und jedes Handy geknackt.

„Hey, Soju – ich habe gehört du willst nicht mit mir auf Streifzug gehen?“, sprach sie mit weicher Stimme. Ich schluckte, zog dann eine Augenbraue hoch.

„Wer hat das behauptet?“, erwiderte ich – und wir beide begannen zu lachen.

„Weißt du, Soju, es ist schade dass wir uns so selten sehen – du solltest näher zur Hauptstadt ziehen!“

„Nein danke, meine Liebe, ich mag meine kleine Stadt ganz gerne.“

„Hm, wenn du meinst! Komm, wir sollten uns den Aufbau des Gebäudes mal ansehen und einen Plan erstellen – mit schön viel Krawall!“
 

Eine Stunde später rollte ich bereits den Plan des Gebäudes zusammen und verstaute ihn in der kleinen Tasche, die Pin immer mit sich trug. Die Schultern kreisend wandte ich mich dann Berthellyo und Knife zu, die gerade ins Zimmer kamen und uns etwas Trinken brachten. Dankend nahmen Pin und ich die Gläser Wasser entgegen und nippten kurz daran.

„Wir sollten uns dann langsam auf den Weg machen, Soju.“, meinte Pin kurz darauf, ich nickte jedoch nur stumm und reichte Knife das Glas zurück, ehe ich an ihm und Berthellyo vorbei in den Flur trat und dann zur Haustür schritt. Ich warf noch einmal meine Haare zurück, ehe ich dort nach meinen Stiefeln griff und sie schnell und lautlos überzog, sofort schmiegte sich der weiche Stoff an meine Füße und Beine. Im Anschluss drehte ich mich um und beobachtete, wie Pin sich ihre kleine Tasche umband. Ich tat es ihr mit der meinigen nach, die ich vor etwa 50 Minuten abgenommen hatte, weil sie mich im Sitzen einfach störte. Anschließend betrachtete ich die Trickbetrügerin, während sie ihre Stiefel anzog – sie waren so etwas wie ein Markenzeichen von ihr, da jedes paar Stiefel, dass sie zu den Einsätzen trug, eine rote Sohle aufwies, ebenso hatten viele ihrer Schuhe hohe Hacken – noch immer war es mir schleierhaft, wie sie damit rennen und springen konnte oder gar wie sie es schaffte, unbemerkt vom Tatort zu verschwinden. Um diese Gedanken zu vertreiben schüttelte ich sachte den Kopf, überprüfte dann das Band in meinen Haaren und zog schließlich das schwarze Tuch wieder über Mund und Nase, ehe ich mir den Schal umwarf und in den Umhang schlüpfte – so, wie es auch Pin tat. Als wir beide fertig waren überprüften wir beide noch einmal mit schnellen und geübten Handgriffen, ob wir alles hatte, ehe wir einander zunickte und Knife und Berthellyo mit einem Handwink zeigten, dass wir uns auf den Weg machten – jetzt würde so schnell keiner mehr von uns reden.
 

Eine halbe Stunde später hatten wir bereits die Stadt verlassen und ich betrat gerade ein größeres Waldgebiet, in dem sich Pin zu mir gesellte – da ich schneller leif als sie hatten wir abgemacht, dass sie die Stadt durch das West- und ich durch das Südtor verließ, damit man länger brauchte um gegebenenfalls herauszufinden, dass wir dieses Mal zu zweit unterwegs waren. In der Stadt und auf weiten Ebenen war es unvermeidbar, dass man unsere Fußspuren entdeckte – im Wald aber konnten wir uns umso besser verstecken. Durch ein Nicken verständigte ich mich mit Pin, die daraufhin ihren Wurfhaken griff und sich mit diesem in die Baumkronen beförderte, während ich dies mit einem einfachen Sprung tat. Mir fiel auf, dass die meisten noch ihr buntes Laub vom Herbst trugen, der Winter war unvorbereitet eingetroffen.

Mit einem weiteren Sprung befand ich mich auch schon in der Krone des nächsten Baumes – so lief das die nächsten 20 Minuten ab, ehe ich mich dazu entschloss, doch lieber auf dem Boden zu laufen. Pin sah mich verwirrt und entsetzt zugleich ein, ehe sie sich auf einen Ast direkt über mir setzte.

„Was machst du denn?“, wisperte sie.

„Ich laufe lieber.“ erwiderte ich.

„Aber wir hatten doch gesagt …“

Ich schnitt ihr das Wort ab.

„Mach dir keine Sorgen, ich nehme einen Umweg durch die umliegenden Dörfer – wir treffen uns dann beim Anwesen!“, erklärte ich schnell und wandte mich ab, ehe ich losrannte ohne Pins Antwort abzuwarten. Ich wusste, dass es ihr wohl nicht sonderlich gefiel, dass ich jetzt entgegen unserer Abmachung handelte, aber ich sprang einfach nicht gerne in den Baumkronen herum, seit Lexis mich mehrfach aus ihnen herausgeschleudert hatte. Ein kalter Schauer überkam mich, der nichts mit dem eisigen Wind um den kalten Schneeflocken zu tun hatte. Es dauerte nicht lange, da erreichte ich auch schon das erste der umliegenden Dörfer, eine einzige Wache durchstreifte gerade die unebenen Wege, aber ich umging diese indem ich meinen Weg auf den Dächern fortsetzte – natürlich bekam ich oft zu spüren, dass schnelles Laufen auf vereisten und dazu noch schrägen Dächern keine gute Idee war, aber ich war stur und davon ließ ich mich nicht abbringen. Wieder überkam mich ein kalter Schauer, ich erinnerte mich in diesen Momenten immer daran, wie ich vor Jahren aus einem Lager fliehen musste. Damals erst habe ich bemerkt, wie schnell ich werden konnte – es hatte mir oft das Leben gerettet. Ich hatte dabei gelernt, dass die Beine meine effektivste Waffe waren – und die einzige Möglichkeit zu fliehen, wenn es hart auf hart kam. Es war hart mir das einzugestehen, aber ich war während meinen Aufträgen sehr oft in Situationen gewesen, in denen im ersten Moment eine Flucht das einzige war, woran ich denken konnte. Aber anders als bei den anderen Assassinen war das nicht zu meiner Anfangszeit als Meuchler, sondern kam erst nach ein paar Jahren, in denen ich erstmals realisierte, welchen Weg ich gewählt hatte.

Heute aber war ich ruhiger, in jeder Situation, selbst dann, wenn Gardisten nur wenige Meter entfernt von meinem Tatort lauerten. Ich hatte keine Angst mehr gefasst zu werden, sie konnten mich nicht so quälen, wie ich es bereits durchlebt hatte und ich wusste auch, dass ich in jedem Fall schweigen würde, was die Organisation betraf. Ich hatte gelernt, dass Schweigen die einzige Möglichkeit war, mir wichtige Leute zu schützen – denn Menschen die Informationen hatten, bekamen Macht und wenn sie Macht bekamen, würden sie diese auch nutzen, egal ob sie dabei über unschuldige Leichen gehen mussten oder nicht.

Leise schlich sich bei diesem Gedanken Zorn in mein Hirn – ein Gefühl, das man auf der Jagd nicht spüren sollte, da man unvorsichtig wurde und an Sorgfalt verlor. Ich unterdrückte also das Pulsieren in meiner Schläfe, erstickte den Keim der Wut noch während des Wachstums – dann konzentrierte ich mich wieder auf die Aufgabe, die ich diese Nacht hatte und bemerkte, dass ich bereits das nächste Dorf erreichte. Dieses Mal waren die Straßen leer, alles schlief, weshalb ich unbemerkt über den Hauptweg an das andere Ende des Dorfes gelangt – wo Pin zu diesem Zeitpunkt wohl war? Ich warf einen kurzen Blick umher, ehe ich einen Fuß in die nächste Ebene setzte und auf das nächste Dorf zuhielt, dass man bereits erkennen konnte – ein kalte Hauch des Windes zog über meinen Körper und durchdrangen sogar den Stoff meiner Kleidung. Ein leichtes Zittern erreichte meine Knie, aber es endete so schnell wie es gekommen war.

Fast 40 Minuten später hatte ich die Dörfer hinter mir gelassen und erreichte ein neues Waldgebiet, das am Fuß eines Mittelgebirges seinen Platz hatte. Es führte nur ein Weg durch diesen Wald und hinauf in die Berge – am Punkt, wo der Wald endete, wartete Pin auf mich. Als ich bei ihr ankam, hielt ich an und atmete ein paar mal tief durch.

„Wie lange bist du schon hier?“, fragte ich sie. Sie lächelte – das sah ich, weil sie sich anders als ich nicht mit einem Tuch, sondern mit einer violetten Maske verhüllte.

„Zwei oder drei Minuten vielleicht.“, antwortete sie mir Wahrheitsgemäß – erleichtert atmete ich auf, ich hasste es, jemanden warten zu lassen oder zu bemerken, dass ich langsamer wurde.

„Wollen wir?“, fragte sie dann, ich nickte zur Antwort – gemeinsam liefen wir den Weg in die Berge entlang. Der unebene Pfad schlängelte sich um, über und durch die Hügel, allerdings nie so, dass das Laufen anstrengend wurde. Da wir nicht rannten sondern eher vorsichtig über den Boden schlichen, war auch Pin noch völlig bei Kräften.

Eine Viertel Stunde verging, ehe wir ein Tunnelsystem erreichten, dass wir binnen einer halben Stunde durchquert hatten und dass uns direkt zu dem Anwesen führte, zu dem wir wollten. Da wir oberhalb dessen standen, konnten wir alles gut erkennen – das Hauptgebäude, die drei Lagerhäuser, das Gästehaus, die vier Wachtürme und das Waffenlager. Das ganze Anwesen war von einer hell gestrichenen Mauer umgeben, auf der man Problemlos laufen konnte da sie mindestens zwei Meter breit war. Und was noch effektiver für uns war: die Mauer führte nur vier Meter vom ersten Lagerhaus entfernt entlang, wenn wir also unbemerkt darauf Platz gefunden hatten, würde unserem Vorhaben nichts mehr dazwischenkommen!
 


 

Soju: „Gruppenarbeit is' nich' so mein Ding.“

Pin: „Hör auf zu trödeln, ich will mein Geld haben! ... losloslos!!!“

Kapitel 14

Kapitel 14
 

Mein Blick schweifte kurz über das Gelände und erfasste die Wachen in den Türmen und die, die sonst noch erkenntlich waren. Aufgrund des Geländeplans von Pin wusste ich, wo ich Geheimgänge finden konnte und wo sich unsere Zielperson über Nacht in der Regel aufhielt. Weiterhin waren mir von einem ehemaligen Auftrag einige Wachen bekannt, die vor allem im und um das Haupthaus patrouillierten und deren Waffenarsenal noch immer in meinem Gedächtnis verankert war. Insgesamt dürften es sieben Leute sein, einer davon patrouillierte an der von uns gesehen rechten Seite des Haupthauses, zwei im zweiten Stock dessen und eine weitere im Untergeschoss. Ein weiterer Posten war auf dem Wachturm zum Haupthaus hin eingesetzt und die letzten beiden, die ich kannte, streiften vor uns auf dem Gelände des Gästehauses umher.

Von den sieben Wächtern abgesehen, wusste ich, dass, bis auf die in den Türmen, alle Wachen mit einem Katana und einem Wakizashi ausgerüstet waren. Ich konnte außerdem sehen, dass die insgesamt fünf Torwachen und auch die zwei vor dem Eingang des Haupthauses mit einer Gleve kämpften. Die Hüter in den Türmen hatten überwiegend Langbögen, wie ich aus meiner Erfahrung wusste. Aber vereinzelt wurden auch Pistolen, Schrotflinten und Armbrüste eingesetzt. Auch Blendgranaten waren manchmal in Benutzung – aber wenn ich mich nicht entdecken ließ, würden sie sie nicht gegen mich einsetzen können, nicht wahr?

„Soju?“, wisperte Pin und ich blickte zu ihr hinüber, sie hatte sich bereits einige Meter von mir entfernt und ihren Platz eingenommen.

„Können wir loslegen?“, fragte sie leise und mit verheißungsvollem Lächeln. Ich nickte knapp und trat an den Rand des Felsvorsprungs, ergriff zwei meiner Dolche und breitete die Arme aus, nachdem ich meinen Umhang abgelegt hatte. Meine Aufgabe war es nun, die Wachen vor dem Gelände und auf den Türmen auszuschalten – Pin würde solange hier oben warten und ein paar Bomben platzieren, die uns im Notfall der Verfolger entledigen würden.

Noch einmal atmete ich tief durch, ehe ich all meine Muskeln anspannte und mich nach vorn fallen ließ. Ich wusste, dass es sich nur um Sekundenbruchteile handelte, doch in diesem Moment legte ich Soju ab und hüllte mich in alles, was Kaltkrähe ausmachte – meine Augen schlossen sich, mein Pulsschlag wurde so ruhig wie lange Zeit nicht mehr. Ich spürte, wie der kühle Zugwind über meinen Körper fuhr – bis ich in das eisige Wasser des Flusses eintauchte. Mein Fall hinein wurde von dem Getöse der Wassermassen gedämpft, sodass sich keine Wache zu mir umdrehen würde. Noch unter der Oberfläche öffnete ich meine Augen und schwamm zu dem Weg, der einige Meter von mir entfernt an einem Großteil der Mauer um das Gelände herum führte. Dort angekommen, tauchte ich auf und sah über den Weg hinweg – die Wache, die hier auf und ab ging, war gerade um die Ecke verschwunden. Leise atmend wartete ich und zählte.

Eins – zwei – drei – vier – fünf – sechs – sieben – acht – neun – da bog sie wieder um die Ecke und trat in mein Blickfeld.Langsam tauchte ich ein wenig ab, sodass nur noch meine Augen über dem Wasser waren.

Wieder wartete ich und als ich Schritte über mir hörte, die erst stockten und sich dann wieder langsam entfernten, zog ich mich beinahe geräuschlos aus dem Wasser, schnellte zu dem Posten und durchtrennte mit einer geübten Drehung vor diesen dessen Kehle. Der Wachmann – er trug hochgeschlossene, dunkle Kleidung, Schwerter, einen Dolch, feste Stiefel, einen gestutzten Bart und eine Glatze – klappte mit aufgerissenen Augen zusammen und verblutete, ohne ein Geräusch von sich geben zu können. Ich steckte einen Dolche weg und ergriff erst die Waffen, anschließend ein Bein der Wache und zog den erschlafften Körper dicht an die Mauer in einem toten Winkel zwischen den Türmen, sodass niemand auf ihnen etwas erkennen konnte. Die Klingen legte ich auf den Körper rauf und schnallte sie mittels des Gürtels des Toten am Körper fest, dann drehte ich mich um und lief zu der Ecke, um die der Wachmann verschwunden war. Leise und bedacht drückte ich mich mit dem Rücken an die Mauer, ehe ich vorsichtig um die Ecke sah. Etwas entfernt von mir standen zwei Torwachen und diese starrten ununterbrochen geradeaus. Ich überlegte, wie ich vorgehen sollte und entschied mich, zu warten – irgendwann musste auffallen, dass die Patrouille nicht kam und dann würde zuerst die erste und nach einigen Minuten die zweite Torwache nachsehen kommen.

Um nicht überrascht zu werden, lauschte ich aufmerksam, während ich meinen Kopf einzog. Ein kurzer Blick streifte über meine Kleidung – sie war dank Knife völlig trocken, selbst an meinem Schal perlte das Wasser völlig ab. Lediglich meine Haare tropften, aber das würde bald enden.

Aus meinen Gedanken gerissen horchte ich auf – die Torwachen begannen zu flüstern. Dann kam die erste näher. Ich trat einen Schritt von der Ecke zurück – und zog den Wachmann zu mir, drückte ihn an die Mauer, hielt ihm den Mund zu und durchstach das erschrockene Herz. Der Körper erschlaffte und sank nieder, ich zog ihn möglichst leise einige Meter zurück und nahm dann wieder meinen Platz an der Ecke ein. Dieses Mal musste ich nicht lange warten, denn schon kam die nächste Wache und trat mit aufgeschlitzter Kehle in den Tod. Ich machte mich daran, auch diese beiden Leichen zum toten Winkel zwischen den Wachtürmen zu schaffen, schnallte die Waffen fest und überprüfte noch einmal alles.

Nachdem ich dies erledigt hatte, gab ich Pin ein Zeichen, die daraufhin das am Rand des Weges von mir geworfene Wurfseil fing und festhielt, damit ich unbemerkt zu ihr hochklettern konnte. Oben auf dem Vorsprung angekommen, räufelte ich mein Werkzeug wieder auf und befestigte es an meiner Hüfte, ehe ich mein Haar auswrang und mir von Pin ein beinahe durchsichtiges und sehr dünnes, feines Seil geben ließ, das ich an einem mit Widerhaken ausgestatteten Wurfmesser befestigte. Ich trat näher zu Pin an den Rand und zielte auf den Wachturm in unserer Nähe. Nachdem ich das Messer geworfen und damit das Seil an der Turmspitze befestigt hatte, spannte ich es und machte er zusammen mit Pin an der Felswand hinter uns fest. Dann nahm ich meinen Schal ab, legte ihn mehrmals zusammen und warf ihn anschließend so über das Seil, dass ich zum Turm herunterrutschen konnte.

Möglichst leise setzte ich meine Füße auf das hölzerne Dach – wie kam man eigentlich dazu, einen Wachturm aus Holz bauen zu lassen? Wie unsinnig! - und trat an den Rand. Mit einer schnellen Bewegung versteckte ich mein Haar in meinem Oberteil, damit sie nicht herausrutschten. Ich ging auf die Knie und hielt mich am Rand fest, dann zog ich mich soweit hinunter, dass ich die vier Wächter sehen konnte, die hier Ausschau hielten Keiner von ihnen bemerkte mich und just in diesem Moment drehten sie mir sogar alle den Rücken zu. Ich wartete und zählte für jede Drehung sieben Sekunden – genug Zeit, um alle vier umzubringen! Als sie sich von mir abwandten, landete ich still im Turm, rammte dem ersten Wächter meinen Dolch in den Rücken, dem zweiten, dem dritten und dem vierten und z mich wieder auf das Dach . Gerade rechtzeitig, um nicht gesehen zu werden, bevor alle vier in sich zusammensanken.. Ich liebte Körperstellen, die von Opfern bei einem Dolchstoß nicht bemerkt wurden! Wieder ließ ich mich in den Turm herab und lehnte eine Leiche nach der anderen an die vier Turmpfähler, damit es für die Wachen der anderen Türme unscheinbar wirkte – sogar auf die richtige Stellung der Waffen achtete ich. Ich kletterte wieder aufs Dach und zeigte Pin, dass die Luft rein war, woraufhin auch sie mittels ihres Schals zu mir auf das Dach sauste. Sie landete leise neben mir und warf sich den Schal wieder um die Schultern, ehe sie mir wieder ein Lächeln schenkte und im Turm verschwand, nachdem sie mir ein neues Seil reichte. Ich griff währenddessen nach dem nächsten Wurfmesser und befestigte das Seil daran, beides verschnürte ich fest miteinander und zielte dieses Mal auf den Wachturm an der Ecke, an der ich die drei Wachen ausgeschaltet hatte.

Als das Messer fest im Dach des zweiten Turms verankert war, befestigte ich das andere Ende des Seils an einem Turmpfeiler. Dann wartete ich und sah in den Himmel. Als sich dunkle Wolken über den kleinen Teil Mond, der zu sehen war, schoben, atmete ich kurz durch, richtete mich auf und tat einen ersten, wackeligen Schritt auf das Seil. Da es eine beinahe gerade Linie zwischen den Türmen bildete, blieb mir keine andere Wahl als zu laufen.

„Kaltkrähe, nicht trödeln!“, hörte ich Pin wispern und nickte leichte, ohne dass sie es sehen konnte. Mein zweiter Fuß fand Platz auf dem Seil, dann ein weiterer Schritt und ein tiefer Atemzug – ehe ich losrannte! Das Seil unter meinen schnellen Schritten wackelte verdächtig und ich hatte Probleme, mich darauf gerade zuhalten. Als es aber zu brenzlig wurde, sprang ich nach vorn – und erreichte mit einem nicht gerade leisen Aufprall das Dach. Vorsichtig duckte ich mich und hielt den Atem an, währen unter mir die Posten leise zu tuscheln begannen – ehe sie meine Ankunft als Hirngespinst abtaten. Erleichtert blies ich die Luft aus und befestigte noch einmal ordentlich meine Haare, ehe ich wieder in den Turm hinunterblickte. Erneut drehten mir alle den Rücken zu. Innerhalb weniger Minuten das dritte Mal, dass ich Glück hatte – ich sollte daran arbeiten, mich nicht darauf zu verlassen.

Ich schüttelte sachte den Kopf, bevor ich wieder zu zählen begann – hier waren es acht Sekunden. Geübt ließ ich mich in den Turm sinken und erstach die vier Wächter, bevor ich auch diese gegen die Pfosten lehnte und Pin das Zeichen gab – sie hatte gute Augen, weshalb ich mir ihrer Erkenntnis sicher sein konnte. Sie löste das Seil und verschnürte es mit einem ihrer Wurfmesser, welches sie am Dach neben dem meinem befestigte. Ich kletterte wieder hinauf, zog das Seil hoch und löste es von Pins Messer, bevor ich dieses zurückwarf. Ich wusste, dass sie den Verlust von Waffen genauso ungern hatte, wie ich – ich konnte ihre Silhouette sehen, als sie sich erneut auf das Dach schwang, um ihr Eigentum zu holen. Ich wandte mich dessen ab und richtete meine Aufmerksamkeit auf den dritten Wachturm. Solange ich mit diesem beschäftigt war, würde Pin die Wachen auf dem Hof ausschalten, dann würden wir uns gemeinsam um die Torwachen zwischen den Türmen kümmern.

Ich atmete ruhig und sah hinunter, nahe dem Wachturm patrouillierten zwei Leute, die ständig in Bewegung waren – solange diese mich nicht bemerkten, würde ich unversehrt beim anderen Turm ankommen.

Wieder spannte ich das Seil zwischen beiden Türmen, dieses Mal aber würde ich nicht hinüber laufen. Vorsichtig trat ich wieder hinauf, ehe ich mich hinunterbeugte und es mit den Händen ergriff. Leise und möglichst beherrscht ließ ich mich hängen und kroch dann vorsichtig hinüber, ich war mir sicher, dass ich einen kläglichen Anblick bot, aber so kam ich wenigstens geräuschlos auf dem Dach des dritten Turms an. Ich streckte mich einmal kurz und lockerte meine Schultermuskulatur, befestigte erneut meine Haare und ergriff einen Dolch, bevor ich wieder auf die Knie ging und jeden Zeitabstand zwischen den Drehungen der Wachposten zählte. Sofort fiel mir auf, dass diese hier wohl sonst nicht zusammenarbeiteten, denn während zwei Leute sich alle sieben Sekunden umwandten, tat es einer nach zehn Sekunden und der vierte – er sah sehr jung aus und wirkte auch ziemlich nervös – wackelte in unregelmäßigen Abständen hin und her.

Fuck!

Aber eigentlich konnte ich das auch nutzen – der Jungspund musste nur noch nervöser werden und schon wäre er einfach zu beeindrucken! Ich schlich zu der Ecke, unter der der Jüngling seine vermutlich erste Nachtwache hielt. Leise klopfte ich mit der Klinge auf das Holz, hörte, wie der Junge unter mir immer unruhiger wurde – Angst quoll in ihm auf, die anderen schienen das Geräusch nicht zu vernehmen, regten sich nicht.

Armer Junge – gleich ist es vorbei!

Ich stockte kurz und lauschte.

„H-hört ihr das denn nicht?“, wisperte der Neuling weinerlich.

„Hör auf solchen Müll zu labern, Merre!“

„M-Merre?“

„'türlich, Merre – so wie du immer umherhüpfst! Und jetzt halt Ausschau!“

Ich stutzte - „Merre“, das war ein anderes Wort für Maulwurfsgrillen. Ein Begriff, den ich in dieser Gegend selten hörte. Aber gut, so falsch war er wohl nicht – ich klopfte wieder, nachdem „Merre“ sich beruhigt hatte, genoss die neu aufquellende Angst, die bereits in Panik umschlug. Er wurde hektisch, ich hörte, wie er sich immer wieder hektisch umdrehte und dauernd gegen den Turmpfeiler kam.

„Jetzt sei endlich ruhig!“, fauchte einer der anderen – die Stimme klang alt, vermutlich war es der, der sich mit dem umdrehen Zeit ließ.

Ein alter Hase also – auch gut, der wird sich kaum um die anderen kümmern!

Ich klopfte weiter, konnte ein Wimmern des Jungen vernehmen und dann, wie einer der anderen Männer ihm eine Ohrfeige verpasste, die ihn in die Knie zwang.

Armer Kerl – aber sei's drum!

Die Männer schimpften mit ihm – in der Zeit schlich ich zur nächsten Ecke und wartete, bis es ruhig wurde, ehe ich hier klopfte – dieses Mal aber lauter, sodass alle ein leises Pochen vernehmen konnten.

„Was? Was ist das?“, wisperte einer der Männer, der vermutlich Älteste gebot ihm Ruhe. Merre aber nutzte diesen Moment, um ihnen zu sagen, dass er genau dieses Geräusch gehört hatte. Unter mir wurde Geflüster laut, allem Anschein nach wurden auch die anderen langsam nervös. Dann hörte ich, wie einer sagte, er würde auf dem Dach nachsehen – gut so! Ich hörte das klappern der Ausrüstung und sah dann die Hände, die sich am Dachrand festhielten, ehe der Wachposten sich selbst hochzog und schnaufend auf das Dach kam. Er atmete erst tief durch, bevor er aufsah – und die Augen aufriss, als ich ihm meinen Dolch in die Kehle rammte und dabei sein Genick brach. Ich hielt den Körper fest und wartete kurz – es dauerte nicht lange, da fragte Merre, ob alles in Ordnung wäre. Ich trat näher an den Rand und verlagerte mein Gewicht etwas – ehe ich unter großer Anstrengung den Leichnam zurück in den Turm warf! Erschrocken wichen die drei Wachen zurück, ich hörte, wie Merre zu Boden sank, der Älteste etwas zurückwich und der dritte Wachmann sich zum Toten kniete.

„Hey, was ist mit dir?!“

In dem Moment, in dem alle drei Wachen aus dem Turm in meine Richtung blickte, ließ ich mich gerade in den Turm fallen und durchtrennte die Halsschlagader des dritten Posten, Merre fiel bei diesem Anblick bewusstlos zur Seite – nur der Älteste blieb ruhig und zog seinerseits einen Dolch.

„Soso, ein Meuchler also?“, fragte er leise und von sich überzeugt – ich war mir sicher, er würde keinen Alarm machen, das sprach gegen seine Ehre.

„Nein, nicht „ein Meuchler“ - der Meuchler!“, erwiderte ich kalt und sprang auf den Posten zu. Ich parierte seinen Dolch und entrann seinem anderen Arm, ehe ich meine Klinge unter seine Rüstung in seine Bauchhöhle stach und zurückwich. Entsetzt sah er an sich herunter, bevor er mich milde anblickte.

„Welch Schande – ermordet, so offensichtlich und dann noch von einem Schatten.“, wisperte er und sank nieder – er versuchte nicht einmal, sich ein weiteres Mal aufzurichten. Ich trat zu ihm und blickte kurz in die lebensmüden Augen – ich erkannte, dass er seinem Herren nur widerwillig gedient hatte und lange auf den Tod vorbereitet war.

„Du solltest dir nicht einreden, dass du gegen mich kämpfen wolltest, alter Mann. Der Tod erlöst dich – darauf hast du doch gewartet.“

„Vielleicht – aber nicht so.“

„Man kann sich nicht aussuche, durch wessen Hand man stirbt – aber ableben werden alle auf die gleiche Weise. Ruhe in Frieden.“, flüsterte ich zum Abschied, ehe ich die zwei anderen Leichen aufrichtete und an die Pfeiler lehnte, bevor ich es auch mit dem Leichnam des alten Mannes tat. Lediglich Merre ließ ich auf dem Boden liegen. Ich sah ihn mir etwas genauer an, nahm ihm den Helm ab und erblickte kurze braune Haare und ein sehr junges, kreidebleiches Gesicht – er konnte nicht älter sein als ich, vermutlich hatte er gerade sechzehn oder siebzehn Jahre von dieser Welt gesehen. Kurzerhand richtete ich mich auf und blickte aus dem Turm herunter – Pin wartete im Schatten meines zweiten Wachturms und sah mir entgegen. Ich nickte deutlich, ehe ich auf das Dach stieg und mich auf die Mauer unter dem Turm fallen ließ. Mit leisen, aber schnellen Schritten eilte ich zu den Torwachen und postierte mich über einer der beiden. Ich sah, wie Pin aus dem Schatten eilte – und ließ mich auf den Wachen unter mir fallen, brach ihm mit einer geübten Drehung das Genick und drehte mich zum anderen um, dem gerade die Kehle aufgeschlitzt wurde.

„Hast dir aber Zeit gelassen.“, flüsterte Pin grinsend, ich nickte und klopfte mir den Staub von der Kleidung.

„Hab noch ein Schwätzchen mit einem Todgeweihten gehalten.“, erklärte ich dann.

„Wenn man sonst keine Freunde hat.“, erwiderte Pin und verschwand in den Schatten, bevor ich nach ihr greifen konnte. Egal, jetzt war nicht die Zeit, mich mit ihren Scherzen zu beschäftigen. Ich sah mich kurz um, ehe ich wieder auf die Mauer kletterte. Pin kam wieder aus den Schatten und verschwand dann zwischen den kleinen Lagern im Hof. Ich eilte den Weg zum Turm zurück, lief an dem vorbei um die Ecke und duckte mich dann. Ich blickte geradewegs auf zwei weitere Torwachen, die noch einige Meter von mir entfernt waren. Einer von ihnen aber patrouillierte in meine Richtung – und auf den wartete ich. Sobald er direkt neben mir war, ließ ich mich hinter ihn fallen und schlitzte ihm anschließend die Kehle auf, sodass er zu Boden ging und ich ihn etwas weiter in den Schatten zog. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Pin den anderen Posten ausschaltete und sich dann in eine Ecke zurückzog.

Ich lief zurück zum zweiten Turm, wandte mich dem dritten zu und nahm Anlauf, bevor ich mich mit Kraft vom Boden abstieß und auf dem Dach landete. Ich wusste bis heute nicht, woher ich diese Fähigkeiten hatte, aber ich war stolz darauf, das als einziger zu können. Ich zupfte an dem Seil, bis es sich vom zweiten Turm löste, dann räufelte ich es auf. Es war zu kurz, um es für den vierten Turm zu benutzen, aber ich wollte es Pin geben. Wieder ließ ich mich vom Turm fallen. Ich kletterte auf die Mauer und sprang dann auf der anderen Seite wieder herunter, hockte mich dann in eine dunkle Ecke und wartete auf die nächste Patrouille. Es dauerte nicht lange, da kam der Wachposten auf mich zu. Ich sprang auf und rammte ihm meinen Dolch in den Hals, bevor ich ihn in die Ecke zerrte und dort sterben ließ. Dann lief ich hinter dem Haupthaus entlang zur anderen Seite, wo ich den nächsten Wachposten ausschaltete. Ich lief den Weg anschließend wieder zurück und sprang über die Mauer, um Pin zu zeigen, dass sie kommen konnte. Sie eilte zu mir und wir kletterten wieder zurück. Dann schlichen wir zusammen zu dem letzten Wachmann, den ich getötet hatte und sie zeigte mir den Geheimgang, von dem sie bei unserer Absprache geredet hatte.

„Der führt uns direkt in das Haus – wir tauchen direkt hinter einem Wächter auf, der erst erledigt werden muss, bevor wir weiterkönnen. Das werden allerdings drei weitere sehen können – um die kümmerst du dich. Vergiss nicht, sie dürfen keinen laut von sich geben!“, erklärte sie noch einmal kurz – ich nickte.

„Keine Sorge, Pin – ich renne schnell genug, um jeden frühzeitig zu erwischen.“
 


 

Soju Kaná: „Manche hassen deklarierte Schurken, manch andere solche, die klare Gedanken fassen können – mich hassen beide Sorten Mensch!“



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Kommentare zu dieser Fanfic (8)

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Von:  JessMizukiro
2013-02-16T17:43:25+00:00 16.02.2013 18:43
Also ich schreibe auch einmal hier meine Meinung, aber du weißt das ich Soju liebe! xD
In diesen Dingen sind wir usn aj sehr ähnlich, einen Kopf teilen wir uns ja sowieso ;)

Also ich beteuere auch hier noch einmal, das ich diese Geschichte gebannt bis zum Ende verfolgen werde und mich auf die weiteren Kapitel wie bescheuert freue! ^^

Also, mach weiter so, wir schreiben, zeichnen und teilen uns wieder ein Hirn ;)
Also bis dann ^^

Yours Jess :D
Von:  Chiisette
2013-01-02T10:16:41+00:00 02.01.2013 11:16
Hi, so jetzt hab ich auch mal die ersten Kapitel deiner FF gelesen :-D Ich muss sagen bis jetzt finde ich sie echt gut, besonders hat mir Kapitel 7 gefallen, den Kampf hast du wirklich toll beschrieben :-D Was ich allerdings noch nicht ganz herausgefunden habe ist, in welcher Zeit bzw. Welt das ganze spielt XD Da bin ich noch etwas unschlüssig >_<
Aber alles in allem bis jetzt wirklich tolle FF :-D

Lg Chiisette
Von:  Chidorikun93
2012-07-15T21:55:50+00:00 15.07.2012 23:55
schön beschrieben

ist zwar n kurzes kappi, aber interessant ^^

MfG: Chido ^^
Von:  distinctive
2012-07-14T19:49:44+00:00 14.07.2012 21:49
OK, da werde ich mich einmal von Kapitel zu Kapitel durcharbeiten!

Der Prolog hat bei mir Interesse am Charakter geweckt, das find ich mal sehr gut.
Aber manche Formulierungen sind etwas unverständlich, weil holprig. Ich weiß nicht wie wichtig dir das ist, aber ich versuch mal etwas klarere Sätze zu entwerfen.

#######################
Das flüssige Rot spritzte hoch, bedeckte meine Haare, mein Gesicht.
#######################

---> Da find ich "flüssig" etwas überflüssig (oh, die Ironie!), denn sonst könnte es ja nicht spritzen. Vielleicht das "warme Rot" stattdessen? <---


#######################
Langsam wandelte sich die Wärme vom Rot zu Kälte, es lief langsam über meine Wangen, meine Arme, bis es schließlich herunter tropfte und mit leisem Geräusch den Boden aus dunklem, versifften Stein berührte.
#######################

---> Meiner Meinung nach ist das ein Fall von Redundanz und Wortwiederholung… das heißt, dass man zu viele Wörter verwendet und der Satz etwas holprig wirkt.

Meine Deutsch Lehrerin hätte da bloß eine Welle gemacht und A für Ausdrucksfehler hingeschrieben (ich habe sie dafür gehasst, weil ich nie wusste, was sie will XD).

Aber ich versuch mal ein paar Vorschläge zu geben.

Ich nehme an, dass du nicht das Wort Blut schreiben willst: z.B. „Allmählich erkaltete die rote Flüssigkeit und lief langsam über meine Wangen, meine Arme,…“

Und

„… mit einem leisen Geräusch...“

Alternativ zu „versifft“ kanns du auch „verschmutzt“ schreiben, da das vielleicht nicht jeder versteht^^

Dann mal weiter im Text. <---


#######################
Meine Hand fuhr zurück, versteckte die verschmierte Klinge in meiner Kleidung. Dann wandten sich meine Füße um und führten mich unbemerkt fort von dem schlaffen Körper, dessen letzten Atem ich in mich aufgenommen hatte. Der Tod … Es gab nichts normaleres als den Tod – mein Begleiter auf Lebenszeit.
#######################

---> Intuitiv klingt mir dieser Absatz zu distanziert für eine Ich-Form.

Der klingt ja so, als ob dein Char nicht Herr seines eigenen Körpers ist. Oder vielleicht ist das auch deine Absicht (z.B. wenn dein Chara alles total kalt und distanziert betrachtet, als wäre er ein dritter Beobachter). Wenn das zustimmt, mein Lob, hast du super ausgeführt ^^ Obwohl die Ich-Form dafür normalerweise etwas ungünstig ist, gibt sie deinem Text aber doch eine sehr gute Dynamik.

Wenn nicht:
z.B. „Ich zog meine Hand zurück, versteckte die verschmierte Klinge in meiner Kleidung.“

„Dann wandten sich meine Füße um.“ Hm… wenn das nicht eine fixierte Metapher ist klingt das reichlich komisch.

Z.B. „Dann wandte sich mein Körper ab.“ (wenn du distanziert bleiben willst, siehe meine Theorie etwas weiter oben)
Oder: „Dann drehte ich mich um.“

„…dessen letzten Atemzug…“

„mein ewiger Begleiter.“ Ist aber Geschmackssache. <---

OK, vielleicht kannst etwas damit anfangen. Ich liebe es irre Texte zu analysieren und zu zerlegen und finde sogar in den guten Texten einiges, wie man merkt^^“

Von:  Chidorikun93
2012-07-05T19:56:43+00:00 05.07.2012 21:56
blut, blut, bluuuuuuut!!! yay
und alles schön beschrieben ^^

klasse kappi ^^

MfG: Chido ^^
Von:  Chidorikun93
2012-06-19T14:58:22+00:00 19.06.2012 16:58
fesselnd....

MfG: Chido ^^
Von:  Chidorikun93
2012-06-18T14:23:41+00:00 18.06.2012 16:23
arme tara...
aber in der situation hätt ich wahrscheinlich ähnlich gehandelt ^^

vor wut etwas in stücke reißen... armes nächstes opfer XD

MfG: Chido ^^
Von:  Chidorikun93
2012-06-16T19:15:24+00:00 16.06.2012 21:15
uiuiui, interessant ^^

MfG: Chido ^^


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