Zum Inhalt der Seite

Delilah – Die Liebe einer Wölfin

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

31. Kapitel

Zum Abendessen gab es T-Bone-Steaks, Bratkartoffeln, grünen Salat und ein Schweigen, das man für gewöhnlich nur auf Friedhöfen zu hören bekam. Trotzdem war Delilah bei weitem nicht so angespannt, wie sie es erwartet hätte. Immerhin war es als ein Fortschritt anzusehen, dass nun wieder alle an einem Tisch saßen, um das leckere Essen hinunterzuwürgen.

Es glich selbst für sie schon fast einem Wunder, dass James und sie es geschafft hatten, bis zum Abendessen ohne irgendeinen Streit durchzuhalten. Doch sie beide hatten sich wirklich Mühe gegeben, sich während des Kochens nur auf das Wesentliche zu konzentrieren und nicht von ihrer Tätigkeit abzuschweifen, so schwer es manchmal auch gewesen war, da immer noch so viel Unausgesprochenes zwischen ihnen stand.

Doch als zumindest diese kleine Hürde überwunden war, sah Delilah keinen Grund mehr, warum sie mit Dean alleine hätte essen sollen. Also hatte sie für sie alle aufgedeckt und auch die anderen McKenzies zu Tisch gerufen.

Hier saßen sie nun und schwiegen sich gegenseitig an. Irgendwie erinnerte das Delilah stark an das letzte Abendessen, das sie gemeinsam abgehalten hatten. Was darauf gefolgt war, ließ nicht gerade Gutes erahnen, was dieses hier anbelangte.

James und Dean schienen einen stillen Wettbewerb miteinander zu führen, wer am längsten auf seinen Teller starren konnte, denn sie hatten sich noch kein einziges Mal angesehen, obwohl sie sich wie immer gegenübersaßen. Die Spannung zwischen den beiden Brüdern konnte man beinahe mit den Händen packen.

Elija aß wie immer mit stoischer Ruhe am Kopfende des Tisches, während er ab und an seinen Blick über alle Beteiligten schweifen ließ und so unangenehm es ihr auch war, Delilah wich ihm nicht mehr aus, wenn seine Aufmerksamkeit sich für einen Moment auf sie richtete, sondern blickte entschlossen zurück.

Seit dem Gespräch von heute Morgen musste sie hinter ihren Worten stehen, auch wenn es ihr immer noch manchmal schwer fiel, unter seinem berechnenden Blick nicht den Schwanz einzuziehen. Doch wenn sie inzwischen eines über Werwölfe wusste, dann dass sie sich nicht in vielen Dingen von gewöhnlichen Wölfen unterschieden, was die Verhaltensregeln anbelangte. Stärke wurde auch bei ihnen hochangerechnet und wer kleinbeigab durfte sich nicht wundern, wenn man über seinen Kopf hinweg entschied.

Das wollte sie auf keinen Fall. Denn es war schon schwer genug, als Frau unter diesen Männern zu bestehen.

Die Grabesstille wurde mit einem Schlag unterbrochen, als James sich von seinem Stuhl erhob und über den Tisch langte, um an die Salatschüssel zu kommen, die neben Delilah stand.

Gerade wollte sie danach greifen, um sie James zu geben, als ein kaum hörbares Knurren an ihr Ohr drang, während Dean die Hand seines Bruders mit einem Blick fixierte, als überlege er sich gerade, wo genau er am besten seine Zähne hineinschlagen sollte.

Natürlich konnte das auch James nicht entgehen, der zuerst verwirrt und dann merklich gereizt innehielt und zum ersten Mal an diesem Abend seinen Bruder ansah.

"Im Ernst jetzt?"

Das Knurren wurde deutlicher.

Delilah wartete darauf, dass Elija etwas sagte, um das aufkommende Gewitter zu zerschlagen, ehe es überhaupt losbrechen konnte, doch alles was er tat, war zuerst seine beiden Söhne anzusehen und dann sie. Wieder hob sich seine zerfurchte Augenbraue, als wolle er ihr sagen, worauf sie denn noch warte.

Erst da begriff sie, dass er sich nicht einmischen würde und es an ihr lag, wieder für Ruhe zu sorgen.- Eine Freiheit, die er ihr bis vor Kurzem ganz bestimmt noch nicht eingeräumt hätte.

Delilahs Hand legte sich auf Deans Oberschenkel, um ihn zurückzuhalten, bevor er auch nur daran denken konnte, aufzuspringen, um sich mit seinem Bruder anzulegen.

Danach griff sie nach der Salatschüssel, die sie James mit einem freundlichen Lächeln in die Finger drückte.

Er nahm sie dankend an und setzte sich wieder, um sich ein paar grüne Blätter auf seinen Teller zu tun und weiter zu essen. Doch dabei ließ er Dean kein einziges Mal mehr aus den Augen.

Sein Blick sagte mehr als tausend Worte und das Versprechen von Gewalt lag in der Luft.

Warum sich Dean überhaupt so aufführte, wusste Delilah nicht, aber das wollte sie nicht unbedingt bei einer blutigen Prügelei zwischen den Brüdern herausfinden, weshalb sie den beiden einen Köder hinwarf, an dem hoffentlich keiner der beiden vorbeigehen konnte.

"Erklärt mir mal: Was ist noch einmal der Unterschied zwischen einem Zahnriemen und einer Steuerkette?"

Einen Moment lang duellierten sie sich noch mit Blicken, im nächsten sahen sie sie an, als würden sie ernsthaft an ihrem Verstand zweifeln, woraufhin Delilah unschuldig lächelte und mit den Schultern zuckte. "Was? Die Frage lässt mir schon die ganze Zeit keine Ruhe."

Jeder am Tisch wusste, dass sie log, doch nach einer kurzen Pause, konnte sie Deans Finger auf ihrer Hand spüren, die immer noch auf seinem Oberschenkel lag und wie er sie sanft festhielt. Vielleicht das erste Anzeichen dafür, dass er sich wieder halbwegs beruhigte, ehe er ihr zu liebe mit einer weitausschweifenden Erklärung begann, mit der sie auch über die restliche Zeit am Tisch hinwegkamen, ohne dass jemand dabei eine Hand verlor. Allerdings waren sich alle einig, dass der Nachtisch auch bis morgen warten konnte.
 

***
 

"Erklärst du mir, was das beim Abendessen sollte?"

Dean wollte gerade unter ihre gemeinsame Bettdecke schlüpfen, als er innehielt. Kurz streifte sie sein Blick, als wolle er prüfen, in welcher Stimmung sie war, ehe er sich dann mit einem Seufzen ins Kissen fallen ließ. Er hatte ganz bestimmt gehofft, dass sie die Sache bei Tisch einfach fallen lassen würde, doch das konnte Delilah nicht.

Dean zog noch die Decke bis zu seinen Hüften hoch, um es bequemer zu haben, machte aber keinerlei Anstalten, sich ihr zu nähern. Stattdessen starrte er an die Zimmerdecke.

Delilah störte sich nicht daran. Ganz im Gegenteil zog sie von sich aus seinen Arm von der Seite weg und legte ihn sich um die Schultern, nachdem sie dicht an seinen Körper herangerückt war und ihren Kopf auf seiner warmen Brust abgelegt hatte. Sofort zog er sie enger an sich heran, als könnte sein Körper gar nicht anders, egal was sein Kopf ihm sagte.

"Also?", hakte Delilah noch einmal nach, während ihre Hand zärtlich über seinen Bauch strich und sie tief den Duft seiner warmen Haut einsog, der ihr immer noch ein Kribbeln voller Behaglichkeit bescherte.

"Um ehrlich zu sein: Ich habe keinen blassen Schimmer." Wieder stieß er ein Seufzen aus und strich mit seinen Fingerspitzen zart ihren Oberarm auf und ab.

"Irgendwelche Vermutungen?"

"Nicht wirklich."

"Hm…" Nun war es auch an ihr zu seufzen, denn Deans Reaktion heute hatte sie mehr als beunruhigt und sie war sich absolut sicher, dass es nicht das letzte Mal gewesen sein würde, daher sollten sie so schnell wie möglich den Grund dafür herausfinden, bevor noch irgendjemand verletzt wurde. Einmal ganz davon abgesehen, dass sie den Streit zwischen den Brüdern eigentlich beenden, anstatt neu entfachen wollte.

"Du bist doch nicht etwa eifersüchtig auf ihn, oder?" Es war nur eine ihrer Mutmaßungen, obwohl sie sich das nur unschwer vorstellen konnte. Doch Deans Schweigen hatte wohl durchaus etwas zu bedeuten.

"Oder?" Sie richtete sich so weit auf, dass sie ihm ins Gesicht sehen konnte und seine Augen sich auf sie richteten. "Immerhin bin ich hier bei dir und ich habe nicht vor, das zu ändern."

Delilah streichelte ihm durchs Haar und wartete auf eine Antwort.

Eine Weile sah er sie einfach nur an, doch dann wandte Dean den Kopf ab.

"Du hast ihm das Bild gegeben. Das Ultraschallbild meine ich."

"Ja."

"Warum?"

"Weil ich es für richtig halte."

Sein Blick war irgendwie skeptisch, als er sich ihr wieder zuwandte. "Warum?"

Delilah musste nicht lange über ihre Antwort nachdenken, denn sie hielt es immer noch für richtig, was sie getan hatte.

"Auch er wird der Vater des Kindes sein und das nicht erst, wenn es auf der Welt ist, sondern er ist es schon jetzt. Ich will einfach nicht, dass er das Gefühl bekommt, wir würden ihn von etwas ausschließen, auf das auch er ein Anrecht hat und da ich stark bezweifle, dass du ihn bei den Untersuchungen dabei haben willst, wenn du bereits Young am liebsten an die Kehle springen würdest, halte ich es nur für angemessen, dass James wenigstens auf diese Weise das Baby sehen kann."

Delilah strich Dean noch einmal beruhigend durchs Haar und gab ihm dann einen zärtlichen Kuss auf die Lippen, ehe ihr Blick wieder ernst wurde. "Ich habe keine Ahnung, was in ihm vorgeht, aber dein Bruder hat schon genug Sorgen, an denen er zu knabbern hat. Wir sollten es ihm nicht noch schwerer machen."

Dean sah sie an. Sah sie lange an. Und noch ein bisschen länger, bis er sich schließlich ein Stück weit aufrichtete, Delilahs Nacken berührte und seine Stirn gegen ihre Halsbeuge lehnte.

"Das mit dem Bild ist okay. Aber … ich ertrage einfach den Gedanken nicht, dass du mich eines Tages wegen ihm sitzen lassen könntest."

Seine Worte klangen so hart und doch ehrlich, dass es ihr rasendes Herzklopfen bereitete. Instinktiv schlang Delilah ihre Arme um Deans Schultern und drückte ihn noch ein bisschen enger an sich, während sie ihre Wange in sein Haar schmiegte.

"Das werde ich nicht.", hauchte sie nur leise, denn sie kannte sich selbst zu gut, um das mit absoluter Bestimmtheit sagen zu können. Delilah hatte nicht vor, Dean für einen anderen Mann zu verlassen. Niemals, nachdem er sich so um sie kümmerte und er ihr mehr Gefühle entlockte, als kein Mann vor ihm je geschafft hatte. Zumindest keiner der nicht sein Bruder war und genau deshalb – obwohl sie sich selbst dafür verachtete – konnte sie ihm nicht aus ganzem Herzen versprechen, dass es nur ihn für sie gab. Ihr Herz schlug auch für James, wenn auch auf andere, schmerzlichere Weise und genau deshalb durfte sie nicht näher darüber nachdenken.

"Ich möchte hier nicht weg, Dean." Sie küsste seine Schläfe, bevor sie seine Hand von ihrem Nacken nahm und ihr Gesicht gegen seine Handfläche drückte, während sie ihm in die Augen sah. "Nicht weg von dir. Glaubst du mir das?"

Sein Daumen strich über ihre Wange, während er gründlich ihre Gesichtszüge studierte. Im Dämmerlicht der Nacht wirkten seine Augen beinahe schwarz, jedoch alles andere als düster, auch wenn der unbeschwerte Glanz darin schon seit einer ganzen Weile verschwunden war.

Statt zu antworten, nickte er nur.

"Dann glaub mir bitte auch, dass ich im Augenblick nur diese Schwangerschaft so gut wie möglich überstehen möchte und ich mir aus tiefstem Herzen wünsche, dass bis zur Geburt alles zwischen uns Dreien geklärt ist, damit das Baby nicht direkt in diesen Konflikt hineingeboren wird."

Dean schlang seine Arme um sie und zog sie an seine Brust, um sie auf diese Weise nahe bei sich festhalten zu können. "Du hast ja recht, aber…"

"Ich weiß..." Delilah kuschelte sich eng an ihn. "Ich habe dir nicht wirklich einen guten Grund geliefert, mir zu vertrauen, was James angeht. Aber inzwischen hat sich Einiges verändert. Für mich steht jetzt das Wohlergehen unseres Kindes im Vordergrund und allein dafür möchte ich versuchen, irgendwie mit ihm auszukommen."

Irgendwie… Allein das auszusprechen tat ihr weh, wenn sie sich an die Zeit zurück erinnerte, als noch nicht dieses 'Irgendwie' zwischen ihnen gestanden hatte, das sich so sehr nach Biegen und Brechen anhörte. Aber vermutlich war der Wunsch nach einer einfachen Freundschaft schon mehr als naiv. Denn einfach würde das alles niemals sein.

Eine Weile lauschte sie Deans Herzschlag, da das alles war, das Delilah auf ihre Worte hin zu hören bekam. Inzwischen hatte er sich mit ihr zusammen wieder ins Kissen zurück sinken lassen. Doch seine Atmung verriet ihr, dass er nicht einfach so eingeschlafen war, um sich vor dem Gespräch zu drücken. Er schwieg einfach nur.

"Wünscht du dir nicht auch manchmal die Zeit zurück, in der ihr beide noch unzertrennlich gewesen wart? Ihr beide gegen den Rest der Welt?", versuchte es Delilah noch einmal.

Da sie immer noch halb auf seinem Bauch lag, konnte sie sehr deutlich spüren, wie Dean zunächst die Luft anhielt und dann lange ausatmete.

"Ja…"

Ein einfaches kleines Wort und doch schien darin so viel mehr mitzuschwingen als Dean ihr sagen wollte oder vielleicht nicht sagen konnte. Denn was genau in ihm vor ging, wusste sie nicht und so wie sie ihn inzwischen kannte, bezweifelte Delilah stark, dass Dean ihr je einen wirklichen Einblick in sein Gefühlsleben gewähren würde. Dafür war er einfach nicht der Typ.

"Dann hoffe ich, dass du dich daran erinnerst, wenn James mir das nächste Mal näher kommt.", flüsterte sie inzwischen nur noch leise. "Denn dass es sich nicht vermeiden lässt, muss dir klar sein. Schließlich wohnen wir unter einem Dach. Außerdem bringt er mir das Kochen bei. Ich kann ihm also nicht ständig aus dem Weg gehen, selbst wenn ich es wollte." Und das tat sie ganz bestimmt nicht.

"Aber du kannst mir jederzeit sagen, wenn dich was stört." Delilah richtete sich noch einmal auf ihrem Ellenbogen auf, um Dean ins Gesicht sehen zu können, der die ganze Zeit über an die Decke gestarrt hatte. "Okay?"

Als sein Blick sie traf, wurde sie wieder deutlich daran erinnert, warum sie hier bei ihm war und nirgendwo anders. Denn im Gegensatz zu den anderen Männern in ihrem vergangenen Leben, schauten hier zwei Paar Augen zu ihr hoch. Zunächst das offensichtlich menschliche und dann lagen darunter die wilden Augen eines Raubtiers.

Dean mochte sich sonst mit seinen wahren Gefühlen eher zurück halten, aber wenn sein Wolf so präsent war, wie in diesem Augenblick, blieben für gewöhnlich keine Fragen offen. Er musste ihr nicht erst nachdrücklich sagen, dass er sie wollte, begehrte und für sich beanspruchte. Der Wolf sprach seine eigene Sprache und ihre Wölfin verstand sie besser als die Frau, die noch zögerte, genauer hinzuhören.

Statt auf Deans Antwort zu warten, küsste Delilah ihn und beschloss sehr schnell, das Gespräch auf ein andermal zu vertagen, als er ihren Kuss ohne zu zögern erwiderte.

Das alles hatte noch etwas Zeit. Sogar noch gute fünf Monate. Auch wenn sich das nicht besonders lange anhörte.
 

***
 

Die Haustür stand einen Spalt breit offen, als Delilah in ihrem Lieblingspyjama lautlos die Treppe herunter schlich. Normalerweise war das kein Grund zur Beunruhigung. Um zwei Uhr morgens allerdings schon.

Mit angespannten Nerven blieb Delilah am Treppenabsatz stehen und ließ erst einmal ihre Sinne durch das schlafende Haus wandern. Sie konnte nichts Auffälliges hören außer das leise Schnarchen des alten Werwolfs, dessen Zimmer am Ende des Flurs lag. Auch ihre Nase vernahm nichts Ungewöhnliches. Keine fremden Gerüche oder sonst etwas, das sie irgendwie in Alarmbereitschaft versetzt hätte. Dennoch bewegte sie sich nur äußerst vorsichtig auf die Tür zu, um diese noch etwas weiter aufzuziehen.

Sofort fiel die Anspannung von ihr ab, als sie James auf der Verandatreppe sitzen sah.

Er war zu sehr in Gedanken versunken, als dass er sie bemerkt hätte, weshalb Delilah beschloss, ihn vorerst in Ruhe zu lassen, damit sie dem Grund nachgehen konnte, weshalb sie eigentlich zu so später Stunde wieder wach war.

In der Küche angekommen, schaltete sie nur das Licht über dem Herd an, um besser sehen zu können, während sie Milch heiß machte und dann in zwei große Becher leerte. In ihren eigenen Becher schüttete sie eine ganze Menge Kakaopulver, während sie sich bei dem anderen deutlich mäßigte, ehe sie die Dose wieder zurück in den Schrank stellte.

Aus dem Kühlschrank holte sie sich noch ein ganzes Glas mit Rollmöpsen, ehe sie das Licht wieder abdrehte und mit den beiden Bechern in der einen und dem Einmachglas in der anderen Hand die Küche verließ.

James hatte sie inzwischen sicherlich bemerkt und da er nicht zu ihr gekommen war, beschloss Delilah einfach, sich zu ihm zu setzen.

"Hey.", begrüßte sie ihn leise, woraufhin er nur kurz hoch sah und sogar etwas zur Seite rückte, um ihr mehr Platz auf den Stufen zu machen.

"Hi."

"Willst du?" Delilah hielt ihm den Becher mit dem normalen Kakao entgegen. Falls er ihn nicht mochte, wäre das auch kein Problem für sie. Dann müsste sie später eben noch einmal schnell einen Umweg in die Küche und zur Kakaodose machen. Aber verschwenden würde sie ihn garantiert nicht.

"Danke." James legte sein Handy, das er die ganze Zeit in den Händen gehalten hatte, zur Seite und nahm ihr das heiße Getränk ab.

Delilah konnte nur erkennen, dass auf dem Bildschirm eine SMS geöffnet war, ehe das Display erlosch. Was darin stand, hatte sie nicht lesen können, aber es ging sie auch nichts an.

"Bist du wieder wach, oder noch immer?", versuchte sie mit gedämpfter Stimme ein Gespräch zu beginnen, ehe sie vorsichtig an ihrem Becher nippte und der Zuckerstoß ihr einen genießerischen Zug auf die Lippen zauberte. Die sich im Übrigen immer noch nicht ganz von den vielen Küssen, die sie mit Dean ausgetauscht hatte, erholt hatten. Kein Wunder. Da Sex im Moment keine Option war, hatten sie als Ausgleich einen Knutsch-Marathon eingelegt, wie ihn Delilah noch nie erlebt hatte. Aber sie hatte nichts dagegen, das irgendwann zu wiederholen.

"Noch immer. Und du?"

James' Frage brachte sie mit einem Schlag wieder ins Hier und Jetzt zurück, weshalb sie beinahe beschämt den Blick senkte. Sie sollte nicht an solche Dinge denken, während sie mit ihm zusammen heißen Kakao trank. Das war irgendwie … merkwürdig.

"Das Baby hat mich wieder aufgeweckt und nach einem heißen Kakao verlangt." Liebevoll strich sie sich über ihren Bauch, was auch James' Blick dorthin zog, ehe er wieder geradeaus starrte und einen weiteren Schluck von seinem Kakao nahm.

"Du hast ihn ja immer noch. Werden dir meine Shorts nicht langsam zu langweilig?"

Sie wusste sofort, dass er ihren Pyjama meinte und musste lächeln. "Nein, niemals. Ich steh' auf die Pfotenabdrücke."

"Wenn du meinst, aber wenn du mal Abwechslung brauchst, gib Bescheid."

Delilah sah ihn mit gehobener Augenbraue an. "Bietest du mir hier etwa gerade an, deine Unterwäsche zu tragen?"

James verschüttete daraufhin beinahe seinen Kakao, als er abzuwehren versuchte: "Was? Nein, ich-"

Sie konnte sich das Lachen kaum noch verkneifen und auch James begann endlich zu schalten.

"Hey, du verarscht mich hier!"

Delilah legte betroffen ihre Hand aufs Herz, während ihre Augen und ihr Grinsen etwas völlig anderes sagten. "Nein, das würde ich nie wagen." Sie konnte nicht länger an sich halten und begann leise zu lachen.

James stimmte zwar nicht mit ein, aber er stieß sanft mit seiner Schulter gegen die ihre, während auch er sich ein winziges Grinsen nicht verkneifen konnte. "Das ist aber nicht sehr nett von dir."

"Ich habe auch nie behauptet, dass ich nett wäre."

"Stimmt."

Sie wurden wieder ernst und verfielen in Schweigen.

Delilah trank ungefähr die Hälfte ihres Kakaos aus, während sie krampfhaft darüber nachdachte, was sie zu ihm sagen sollte.

Schließlich erinnerte sie sich wieder an das Glas mit den Rollmöpsen und konzentrierte sich erst einmal darauf.

Schon als sie den Deckel abschraubte, drang ihr der säuerliche Geruch der eingelegten Fische in die Nase und ließ ihr das Wasser im Munde schmerzlich zusammenlaufen.

"Das ist widerlich." James sah sie angeekelt an.

"Findest du? Ich könnte mich an den Dingern überfressen und hätte immer noch Lust darauf." Und um ihre Aussage noch zu untermalen, fischte Delilah sich einen Rollmops heraus und biss einfach so davon ab, wobei sie natürlich trotz ihres Verlangens, darauf achtete, nicht das Holzstäbchen mitzuessen. So schlimm war es also auch noch nicht.

"Nein, ich meine die Kombination mit dem Kakao.", versuchte James seine Abneigung zu erklären.

Delilah wedelte mit dem angenagten Rollmops in der Hand und schluckte hastig hinunter. "Schwangere Frau. Da ergibt so manches keinen Sinn, aber ich kann dir sagen, dass gerade die seltsame Kombination das Verlangen ausmacht."

"Das muss ich nicht verstehen, oder?"

"Nicht wirklich."

"Hm…"

Wieder drohte sich die Stille zwischen ihnen beiden breit zu machen, doch dieses Mal hatte Delilah nicht vor, das zuzulassen.

"Ich muss mich übrigens bei dir wegen Dean entschuldigen. Die Sache beim Abendessen war nicht in Ordnung." Nicht gerade der beste Pausenfüller, aber zumindest hatte sie es endlich ausgesprochen.

Delilah hätte James allerdings genauso gut einen Besenstil in den Hintern schieben können, so sehr wie er sich von einem Moment auf den anderen bei ihren Worten verkrampfte. Aber zumindest wich er ihr nicht aus.

"Dean ist ein Idiot."

"Das sind wir doch alle manchmal und in diesem Fall kann ich ihn auch irgendwie verstehen, auch wenn ich es selbst übertrieben fand."

James schnaubte. "War ja klar, dass du ihn verteidigst."

Delilah leckte sich die Finger sauber und schloss dann wieder das Glas mit den Rollmöpsen. Das hier bedurfte ihre volle Aufmerksamkeit.

"Ich verteidige ihn nicht, ich sagte nur, dass ich ihn irgendwie verstehen kann. Das ist ein Unterschied."

James stütze sich auf seine Knie und starrte auf seine Schuhspitzen, womit er sich noch weiter von ihr abwandte. "Wenn du es sagst..."

Delilah kopierte seine Haltung, blickte allerdings in den Sternenhimmel anstatt zu Boden. Sie war sich sehr wohl bewusst, dass sie schon wieder kurz davor waren, zu streiten. Seine ganze Haltung ging auf Abwehr und er war auch gereizt. Das Thema war eindeutig ein wunder Punkt bei James, weshalb Delilah ihre Stimme senkte und versuchte, sie ruhig klingen zu lassen: "Weißt du… Es ist wirklich nicht so, dass ich deinen Bruder verteidige, denn das würde bedeuten, dass er und ich auf einer anderen Seite stehen als du und das tun wir nicht. Es mag dir vielleicht so vorkommen, aber so ist es nicht."

Unvermittelt sprang James auf und entfernte sich ein paar Schritte von der Veranda. Es sah vielleicht so aus, als würde er sich nur kurz strecken und die Beine vertreten, doch die Art, wie er seinen Nacken rieb, kam ihr sehr bekannt vor. Dean tat das auch immer, wenn er ziemlich angespannt war.

Mit dem Rücken zu ihr blieb James schließlich stehen und blickte nun ebenfalls zum Sternenhimmel hinauf. Vielleicht sah er aber auch den schmalen Sichelmond an, der inzwischen wieder im Begriff war, unterzugehen. Sie wusste es nicht.

Da Delilah schon genug gesagt hatte, blieb ihr nichts anderes übrig, als James' Rücken zu betrachten und darauf zu warten, ob er noch etwas auf ihre Worte hin erwidern würde. Vielleicht lief er aber auch ein weiteres Mal davor davon, was die ganze Angelegenheit mit Sicherheit nicht leichter machen würde.

Der Kakao in ihrem Becher wurde langsam kalt und die Rollmöpse in ihrem Glas begannen in der lauen Abendluft bestimmt schon zu schwitzen, während Minute um Minute verging, in denen sowohl James wie auch Delilah sich keinen Millimeterweit vom Fleck bewegten. Ihre Hoffnung auf eine Besserung der Umstände oder was auch immer, schwand zusehends. Vielleicht sollte sie sich auch langsam damit abfinden, dass sie nichts tun konnte.

"Ich vermisse ihn…"

Delilah straffte sich und begann sich wieder zu konzentrieren, da sie glaubte, sich verhört zu haben. Aber James hatte es ja auch nur geflüstert.

Mit heftig klopfendem Herzen wartete sie ab, ob noch etwas kommen würde.

Tatsächlich ließ James langsam seine Arme sinken, die er bis dahin in seinem Nacken verschlungen hatte und drehte sich zu ihr um. In seinen schwarzen Augen schienen sich die Sterne widerzuspiegeln.

"Ich vermisse ihn wirklich.", bekräftigte er noch einmal das Flüstern von vorhin. "Ich vermisse den Spaß, die Blödeleien, dass der eine den Satz des anderen beendet. Ich vermisse es, mit ihm zu raufen, ihn aufzuziehen und mit ihm gemeinsam etwas auszuhecken. Die offenen Gespräche und das bequeme Schweigen. Das unerschütterliche Vertrauen zwischen uns und dass ich mich immer auf ihn verlassen konnte, egal um was es ging. Aber was ich vor allem vermisse, ist … mein Bruder."

Sein Blick bannte sie. Allerdings hätte Delilah im Augenblick ohnehin nicht gewusst, wie man atmet.

In James' schwarzen Augen spiegelten sich nicht die Sterne wider, sondern es war das schwache Licht des Mondes, das sich in der Feuchtigkeit brach, die er schließlich fortwischte, als er sich so fest übers Gesicht rieb, als wolle er sich neue Gesichtszüge verpassen. Der darauffolgende Fluch war deftig und sehr kreativ, allerdings nichts zu dem Aufstampfen seines Fußes, der Schotter und Erde ein Stück weit weg schleuderte. Die seit Tagen angestaute Wut und gewiss auch Verzweiflung brach sich auf diese Weise in ihm Bahn und doch schien es nur eine kleine Erschütterung zu sein, während das zerstörerische Erdbeben noch auf sich warten ließ. Aber es begann bereits in ihm zu toben.

Delilah konnte nicht länger tatenlos sitzen bleiben, also sprang sie auf ihre Füße und ging allen Warnungen zum Trotz direkt auf James zu.

Die Wölfin in ihrem Kopf plusterte sich auf und knurrte angespannt, wusste sie doch um die Gefahr, in die sie sich womöglich begab, aber sie wich auch nicht davor zurück und Delilah tat das ebenfalls nicht.

So sehr sich James von ihnen allen in letzter Zeit abgesondert hatte, er war immer noch ein Mitglied der Familie, einer der Väter ihres Kindes und somit ein Teil ihres verrückten kleinen Wolfsrudels. Man achtete aufeinander, selbst wenn es um den selbsternannten Einzelgänger ging, dessen Worte sie davon überzeugt hatten, dass er diese Rolle eigentlich gar nicht wollte. Woher diese plötzliche Erkenntnis kam, wusste Delilah nicht. Sie wusste nur, dass es stimmte.

"James…"

Er fuhr herum und sein aufgebrachter Wolf starrte sie hinter den menschlichen Augen hervor an.

Delilah hob besänftigend die Hände und kam Schritt für Schritt näher, während sie jede seiner Bewegungen analysierte, so gering sie auch sein mochte, denn sie würde nicht noch einmal blind das Leben ihres Kindes riskieren.

Er fixierte sie. Sein Atem überschlug sich beinahe und sein Körper bebte, als stünde er kurz vor der Verwandlung.

Da er sich sonst nicht rührte, wagte Delilah es, die letzten Schritte zu überwinden und ohne zu zögern, ihre Hände auf James' Gesicht zu legen. Sie zwang ihn dazu, ihr in die Augen zu sehen, während sie beruhigend auf ihn einredete.

Schon als sie Kontakt mit seiner Haut aufnahm, schien sich etwas in der aufgeladenen Atmosphäre zu ändern. Das Beben seines Körpers ließ etwas nach und auch sein Brustkorb schien nicht mehr jeden Augenblick unter seinen heftigen Atemstöße zu bersten.

"James, es ist gut. Alles in Ordnung. Wir kriegen das schon wieder auf die Reihe." Sie streichelte ihm durchs Haar und über die Wange, bis er mit einem schweren Seufzen die Augen schloss und sich der Wolf in ihm endgültig wieder weiter in den Hintergrund schob. Was blieb war ein schwaches Zittern von der nachlassenden Anspannung und das Gefühl, als wäre noch mehr in ihm gebrochen, als Delilah angenommen hatte.

Als der Sturm endgültig vorbei war, entzog er sich ihren Berührungen und ging zwei Schritte zurück.

"Gar nichts ist in Ordnung.", flüsterte er kaum hörbar, den Blick starr auf den Boden gerichtet. "Also versuch bitte nicht, so zu tun, als wäre es so. Denn das macht es nur noch schlimmer."

Er marschierte an ihr vorbei zurück zum Haus.

"James, warte!" Delilah wollte ihn zurück halten, doch ein kurzer Blick aus seinen Augen und sie blieb wie angewurzelt stehen.

"Wir sehen uns morgen.", war alles, was er noch zu sagen hatte, ehe er sein Handy von der Veranda fischte und im Haus verschwand.

Delilah starrte auf ihre Hände, die James berührt und ihn wieder beruhigt hatten. Die sich jetzt so leer und nutzlos anfühlten, obwohl sie ihr Gesicht darin vergrub.

Sie wusste einfach nicht mehr, was sie tun sollte.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück