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Trust Issues

Russia/America
von

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Trust Issues

"Vertraust du mir?"
 

Das war eine Frage, die man pauschal mit "Nein!" oder "Willst du mich verarschen?!" beantworten müsste. Zumindest wenn es Braginski war, der sie ihm stellte. Alfred hatte diese Frage oft von ihm gehört, zu oft und in zu vielen negativen Situationen, um anders als misstrauisch zu reagieren. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, als er dem anderen Mann das Gesicht zuwandte. Der weiße Schal flatterte in der Frühlingsbrise, wirkte beinahe wie eine weiße Flagge, die man hisste, um einem Gegner zu zeigen, dass man unbewaffnet war und aufgab. Wie lächerlich dieser Gedanke Alfred erschien. Immerhin war Braginski niemals unbewaffnet gewesen ...
 

Er fühlte sich einsam und alleine, verlassen und verloren. Warum waren sie hierher gekommen? Warum hatte Arthur diese dumme Idee gehabt, ausgerechnet dieses gottverlassene Land aufzusuchen? Wo war Arthur überhaupt? Fröstelnd zog er die Jacke enger um sich. Wahrscheinlich war Arthur irgendwo in einer warmen Stube bei einer noch wärmeren Tasse Tee - der Gedanke ließ ihn aufseufzen, auch wenn er sich aus Tee eigentlich nichts machte -, während er selbst hier draußen herumirrte. Er hatte sich nicht verlaufen, natürlich nicht. Er war zu toll, um zu verlaufen, zu erwachsen und klug und gewitzt. Das sagte zumindest Arthur immer.

... aber Arthur war nicht hier, und ihm blieb nichts anderes übrig, als weiter durch diese verfluchte Eiswüste zu wandern und zu hoffen, dass ihn jemand fand.
 

Einige Zeit später hatte er sich damit abgefunden, dass er erfrieren würde. Er würde hier sterben und zu einem Eiszapfen werden und dann würde Arthur sich Sorgen machen und nach ihm suchen und sich dann auch verlaufen und ...
 

Er weinte. Erst leise, mit der Zeit aber lauter. Verzweifelte Tränen liefen ihm über die Wangen, nur um sofort zu Eis zu erstarren. Seine Finger, seine Hände, sein ganzer Körper fror so sehr, dass es vor Schmerzen brannte. Die Beine hatte er eng an die Brust gezogen, den Rücken gegen einen Baumstamm gelehnt, um sich ein wenig vor dem tosenden Wind zu schützen. Vergeblich. Natürlich. Aber was sollte er schon machen?
 

Er wusste nicht, wie lange er dort verharrte, bis er die langsamen, gleichmäßig näher kommenden Schritte hörte. Er wusste nur, dass er zusammenzuckte und sich mit steifen, schmerzenden Gliedern enger an den Baumstamm drückte, dahinter unsicher hervorlugte und verwirrt den Kopf schieflegte, als er sah, wer da auf ihn zu kam.
 

Ein Junge stapfte durch den Schnee, nicht älter als er selbst, aber doch ganz anders von seinem Auftreten und Aussehen her. Er war eingewickelt in einen dicken Fellmantel, hatte eine Mütze auf dem Kopf, die seine Ohren bedeckte, und trug einen langen, weißen Schal um den Hals, der im eisigen Wind flatterte. Und offensichtlich hatte er Alfred entdeckt, denn er lächelte ihm zu. "Wer bist du denn?", fragte er mit kindlich hoher Stimme und sah ihn neugierig an.
 

"... Alfred."
 

"Warum weinst du, Alfred?"
 

Er druckste ein wenig herum, ehe er zugab, dass er sich verlaufen hatte und den Weg zu seinem großen Bruder nicht mehr fand, woraufhin der Junge nickte und ihm die Hand entgegenstreckte. Verwirrt blinzelte Alfred zu ihm hoch.
 

"Vertraust du mir?"
 

"... wieso?"
 

"Weil wir dann zusammen nach deinem Zuhause suchen können."
 

Noch zögerte Alfred einen Moment - immerhin sollte er ja nicht mit Fremden mitgehen -, ehe er nickte und nach der Hand griff, sich auf die Beine helfen ließ. "Danke", sagte er und bedankte sich dann noch einmal, als der Junge seinen Schal abnahm und ihn um Alfreds Hals wickelte. "Wie heißt du?"
 

"Ich bin Ivan."
 

"Hast du keine Angst, dass du dich verläufst?"
 

Ivan lachte. "Ich kenne mich hier aus."
 

"Aber ... es ist doch gefährlich, so ganz allein."
 

Wieder lachte Ivan, nur lag dieses Mal kein Funken Humor in seiner Stimme. "Ich bin nie allein." In seinen violetten Augen lag ein seltsamer Ausdruck - und einen Augenblick lang glaubte Alfred, hinter ihm eine schemenhafte Gestalt zu erkennen.
 

Alfred schwieg noch immer, auch, als Braginski langsam näher kam. Vertrauen. Er hatte ihm vertraut. Früher einmal. Er hatte ihm nur geschadet. Mit steinernem Blick nach vorn zupfte er einige Grashalme aus. "Eigentlich hast du kein Vertrauen verdient."
 

"Eigentlich?"
 

Eigentlich ... immerhin hatte es auch schöne Zeiten gegeben, auch wenn sie kurz gewesen waren.
 

"Vertraust du mir?", fragte Ivan zärtlich und strich ihm über die Wange. Sie waren inzwischen erwachsen geworden und hatten sich zu Freunden entwickelt, zu Gefährten, zu Liebhabern. Es war eine Zeit, in der sie eigentlich Feinde sein sollten. Feinde in einem Krieg, den ihre Chefs miteinander austrugen. Feinde in einem Krieg, der sie nichts anging, so sagte zumindest Ivan immer wieder. Und Alfred fand dass er damit Recht hatte.
 

"Ja", sagte er und zog den Anderen zu sich, bis sich ihre Lippen berührten. Er legte ihm die Arme um den Hals und küsste ihn lächelnd, voller Liebe und Vertrauen, streifte seine Lippen immer wieder mit den eigenen.
 

Natürlich dauerte es nicht lange, bis ihre Kleider vergessen und unordentlich neben dem Bett lagen, bis große, starke Hände Alfreds Körper mit den Fingern nachzeichneten, besitzergreifend und gierig reizten und streichelten. Es dauerte auch nicht lange, bis die Finger tiefer wanderten.
 

"Vertraust du mir?", fragte Ivan noch einmal und als Alfred nickte, leuchteten seine violetten Augen voller Glück.
 

Es war eine wunderbare Zeit gewesen, die aber viel zu schnell vorüberging, denn schon im ersten Morgengrauen fand Alfred heraus, dass Russland immer mit einer Pistole unter dem Kissen schlief und dass Russlands Loyalität nur Russland galt. Und dass sie dem Krieg doch nicht so fern waren, wie er gehofft hatte.
 

Der Gedanke daran war noch immer schmerzlich, und Alfred musste für einen Moment die Augen schließen, um nicht von alten Gefühlen übermannt zu werden. Es war eine alte Geschichte, nicht mehr und nicht weniger. Die Geschichte, wie aus Ivan Russland und wie ein Freund zu einem Feind geworden war. Eine Geschichte, die so nie in den Geschichtsbüchern stehen würde.
 

Und jetzt waren sie wieder hier. In dem Land, in dem sich Alfred einst verlaufen und verloren hatte. Vielleicht waren sie sogar am selben Ort, das konnte er nicht genau sagen. Er wusste nur, dass der ewige Winter in Russland offenbar vorübergezogen war und einem milden Frühling Platz gemacht hatte. Ob er das als ein Zeichen sehen sollte, vermochte er nicht zu sagen.
 

"Nein", sagte er schließlich und sah aus dem Augenwinkel, wie Braginski zusammenzuckte. "Das alte Vertrauen ist weg." Langsam stand er auf und ging zu dem anderen Mann, der ihn noch immer wie gebannt anstarrte. In den violetten Augen lagen eine alte Sehnsucht, ein alter Schmerz, als er Alfred ins Gesicht sah. Schmerz, der sich in Neugier und dann in Hoffnung verwandelte, als Alfred ihn zögernd anlächelte. "Aber neues Vertrauen kann man sich verdienen."
 

Er wandte Braginski den Rücken zu und sah lange Richtung Horizont, ehe er sagte: "Aber bild dir nichts darauf ein. Das tu ich nur, weil heute so ein schöner Tag ist ... "



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2012-04-20T14:11:57+00:00 20.04.2012 16:11
Das war echt eine tolle Story.
Die Flashbacks kursiv zu schreiben war eine gute Idee. Ist klar und nicht zu aufwendig, als wenn da eine große Überschrift "Flashback" stehen würde.
Es gefiel mir auch, dass der Stil in beiden Teilen ein wenig anders war. So hat es wirklich wie 2 Welten gewirkt.
Und Ivan war ein netter Charakter, und hat selbst in dieser kurzen Geschichte ein Entwicklung vollzogen.
Von:  Grau
2012-04-19T16:17:41+00:00 19.04.2012 18:17
Das. War wundervoll. So wundervoll das ich am liebsten eine lange reihe von noch längeren Keyboardsmashes hier reinkleistern würd um so alles auszudrücken was ich ausdrücken will aber... Das. War. Wundervoll.
Obwohl es sich zuerst seltsam angefühlt hat, mal wieder eine FF auf Deutsch zu lesen... ich konnte schnell nicht mehr aufhören. :D
Sowas passiert mir selten.
Die Perspektive, die Wortwahl.. die Charakterisierung, das Thema. Alles an dieser FF gefällt mir. Das ist noch viel seltener. Die Stimmung, und keine Ahnung, irgendein seltsames.. Gefühl.. das während dem Lesen auf einmal da war... es hat einfach alles gepasst.
...so viel zu konstruktiver Kritik und sinnvollen Kommentaren.
Danke, dass du diese FF geschrieben hast. :D


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