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Limerance

The initial thrill of falling in love
von

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Finifugal

- Shunning the end of something -
 

07. April

15:00
 

Seit knapp einer Woche sind Chris und Robert ausgezogen. Obwohl sie erst seit einem halben Jahr bei uns gewohnt haben, ist es irgendwie seltsam ohne die beiden. Die meisten würden sagen, dass sie das gemeinsame Abendessen oder den Streit um das Badezimmer vermissen, aber es ist anders. Ich vermisse nicht die Musik, die durch die Wand schallt, oder dass wir zusammen zur Bushaltestelle laufen. Was mir fehlt, ist die bloße Gewissheit, dass er, Chris, da ist, dass ich mehrere Stunden des Tages nur wenige Meter von ihm entfernt verbringe.

Wir haben kaum miteinander gesprochen, seit er mich im Krankenhaus besucht hat. Nur das Notwendigste – und selbst das wirkte irgendwie gezwungen, als würden wir nach einem Drehplan handeln und könnten unsren Text nicht. Lucy hat die Schule verlassen und macht irgendeine Therapie. Was mit Dennis passiert ist, weiß ich nicht genau und ich habe ihn auch nicht mehr gesehen, aber in der Schule halten sich die verrücktesten Gerüchte. Weiß der Geier, ob irgendeins von ihnen wahr ist. Ehrlich gesagt, will ich mit der ganzen Scheiße einfach nur abschließen.

Robert und meine Mutter haben zwar davon gesprochen, noch in Kontakt zu bleiben, aber ehrlich gesagt glaube ich das nicht. Robert war einer von vielen, nichts als ein kleiner Abschnitt im Leben meiner Mutter, die inzwischen wieder zum Alltag zurückgekehrt ist.

Ich bewundere sie dafür, dass es ihr so einfach fällt. Vielleicht werde ich ja irgendwann genauso – irgendwann sind mir alle, die nicht zur Familie oder den engsten Freunden gehören, egal. Objektiv gesehen, ist das eine ziemlich traurige Vorstellung, aber wenn ich sehe, wie gut es ihr geht und wie mies mir … Hm.

Übermorgen ist mein Geburtstag. Chris und ich haben des Öfteren darüber geredet, er wollte ein Fest für mich veranstalten, aber ich habe widersprochen. Wer sollte auch kommen? Sam. Chris. Unsre Eltern.

Nein, ich brauche nicht noch einen Grund, um traurig, wütend, verzweifelt, schlecht gelaunt, einsam, unglücklich zu werden.

Aber der Gedanke, dass sich Chris Mühen für mich machen würde, hat mir damals schon gefallen.
 

17:00
 

Statt betrübt auf dem Bett zu liegen, helfe ich meiner Mutter beim Abendessen. Pfannkuchen. Die erste Mahlzeit, die ich heute zu mir nehmen werde. Es ist unglaublich, wie wenig Hunger ich habe und wie zugeschnürt meine Kehle auch jetzt ist. Trotzdem will ich ihr nicht noch mehr Sorgen bereiten, darum gebe ich mir Mühe, zumindest so zu tun, als wäre alles normal. Schließlich kann so etwas jedem mal passieren, es passiert dauernd, immer, hier, in Neuseeland, China, Afghanistan, in Büchern, in Filmen… Am liebsten würde ich mir die Pfanne gegen den Kopf schlagen und spüren, wie das heiße Öl meine Haut verbrennt.
 

17:20
 

„Übermorgen ist dein Geburtstag“, sagt meine Mutter, als wir am Esstisch sitzen.

Ich seufze und sie verdreht die Augen.

„Ich weiß, dass du keine große Party willst, aber Chris hat mich neulich mal angesprochen…“

„Mama!“, falle ich ihr ins Wort, „das hat sich alles schon geklärt, okay? Denk einfach nicht weiter darüber nach. Schenk mir den gleichen Gutschein wie jedes Jahr, oder von mir aus auch Geld für den Führerschein und backe Pfannkuchen. Mehr will ich doch gar nicht!“

Warum machen alle immer so ein Drama um ihren Geburtstag? Seit ich mich geoutet habe, weiß die Familie noch weniger, was sie mir schenken soll – nicht, dass es davor viel besser gewesen wäre – aber dieses Jahr ist wohl Geld am besten. Anfang August will ich mit dem Führerschein anfangen und ich weiß jetzt schon, dass ich bis dahin kein Geld verdienen werde. Ich gehe nämlich nicht arbeiten und habe es in nächster Zeit auch nicht vor. Meinetwegen klingt das jetzt egoistisch, aber jeder, der sich mal bei McDonalds beworben hat und aufgrund seiner Sexualität abgelehnt wurde, wird mich verstehen.

„Nochmal Pfannkuchen?“, fragt sie und betrachtet den, der auf ihrem Teller liegt, skeptisch.

„Es gibt jedes Jahr Pfannkuchen“, erinnere ich sie. Wenn es nach mir ginge, würde es die Dinger auch jeden Tag geben. „Wir hätten heute ja was anderes machen können.“

„Wie du willst“, sagt sie und verzieht das Gesicht.

Ich erwidere den Blick und antworte in der gleichen Tonlage: „Danke.“
 

18:10
 

Meine Mutter ist nie da, wenn man sie mal braucht. Das Telefon klingelt ununterbrochen und ich bin mir sicher: Irgendjemand hat die Lautstärke manipuliert, denn ich höre es selbst durch das dicken Kissen, den ich mir über den Kopf presse.

„Mama, Telefon!“, rufe ich, so laut ich kann, aber es hilft nichts.

Stöhnend werfe ich das Kissen weg, schwinge meine Beine aus dem Bett und schlurfe genervt zu dem beknackten Teil.

„Ja?“, brumme ich unfreundlich. Wehe, das ist jetzt nichts Wichtiges!

„Julius?“

Mein Herz bleibt stehen.
 

18:12
 

„Bist du da?“, erklingt seine Stimme aus dem Hörer und ich bemerke den leicht belustigten Unterton ohne Schwierigkeiten sofort.

„Ja.“

„Hast du kurz Zeit?“

„Ja.“ Immer.

„Gut.“ Er räuspert sich. „Es geht um deinen Geburtstag…“

„Nein“, rufe ich und halte den Hörer von meinem Ohr weg.

Ich weiß, es ist eigentlich total bescheuert, aber plötzlich zittere ich und würde am liebsten auflegen. Ich habe keine Ahnung, warum ich es nicht einfach mache – wenn er anruft, nur weil er denkt, er sei es mir meines Geburtstags wegen schuldig, soll er mich lieber weiterhin ignorieren. Ich will kein Mitleid, keine aus schlechtem Gewissen geäußerten Worte…

„Julius!“, brüllt er.

Langsam führe ich den Hörer wieder zu meinem Ohr.

„Ja.“ Meine Stimme klingt neutraler als ich dachte. Cool.

„Verdammt noch mal, lass das!“, blafft er mich genervt an.

Ich bin kurz davor, wieder Ja zu sagen, halte aber in der Bewegung inne und nicke stattdessen. Was er natürlich nicht sehen kann. Mein Gott, bin ich blöd.

„Magst du Pfannkuchen mit Ahornsirup oder Erdbeermarmelade lieber?“

„Beides“, antworte ich automatisch, bevor ich die Frage richtig erfasse. Hat er mich gerade ernsthaft nach meinen Pfannkuchenvorlieben gefragt? Was zum Teufel soll das jetzt?

„Okay. Wir sind dann so gegen 17 Uhr da.“

Äh?

„Ähm, was?“ Ich glaube, ich habe irgendwas verpasst.

„Na, übermorgen.“

Übermorgen…

„Oh.“

Er schnaubt amüsiert. „Mann, ich hab dir doch gesagt, dass wir deinen Geburtstag feiern werden.“

Ich beiße mir auf die Zunge, weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll und konzentriere mich deshalb auf die unwichtigen Sachen.

„Ähm, ja, das solltet ihr vielleicht noch meiner Mutter sagen…“

„Weiß sie schon. Sie war ja eben hier. Papa und sie teilen sich die Kocharbeit.“

Ich habe definitiv irgendwas verpasst.

„Warte, langsam. Ich komme nicht mehr mit.“ Untertreibung des Jahrhunderts. Ich bin verwirrt wie nie zuvor.

„Mein Vater hat deine Mutter ins Kino eingeladen. Heute Abend. Weil sein Auto mal wieder kaputt ist, hat sie ihn abgeholt. Da sind wir irgendwie auf deinen Geburtstag gekommen“, sagt er langsam und betont jedes Wort einzeln, als würde er mit einem Kleinkind reden.

Aber ich verstehe es immer noch nicht.

„Was hat dein Vater mit meiner Mutter zu tun?“

Chris seufzt entnervt.

„Himmel, Julius, mach einen Schritt nach rechts und komm von deiner Leitung runter! Anscheinend ist es ihnen doch etwas ernster und sie wollen es nochmal miteinander versuchen.“

„Zieht ihr dann wieder hier ein?“

Will ich die Antwort wissen?

„Weiß ich nicht.“

Aber wenn ich die plötzliche Anspannung in seiner Stimme richtig deute…
 

18:17
 

„Es wird doch normal, oder? Also, übermorgen. Mit uns beiden“, frage ich langsam und durchbreche damit die Stille.

„Ich weiß nicht…“, entgegnet er zögernd. „Ich gebe mir Mühe, mich so dir gegenüber zu verhalten, als wäre nichts gewesen, aber… nun ja, es ist eben doch etwas gewesen.“

Ich schlucke. Mein Mund ist plötzlich so trocken.

„Schon okay“, sage ich heiser. „Ich komme damit klar.“

„Sicher?“ Sehr überzeugt wirkt er nicht. Ich auch nicht. Außerdem habe ich keine Ahnung, wo diese Worte herkommen.

„Sicher“, antworte ich dennoch bestimmt und wenn ich es mir lange genug einrede, glaube ich es bestimmt irgendwann.

„Okay“, gibt er nach, „Ich vertraue dir da einfach mal.“

Ich lache kurz auf. „Wehe, die Pfannkuchen schmecken nicht!“
 

18:19
 

Ich bin glücklich. Chris schafft es so leicht, die verschiedensten Gefühle in mir hervorzurufen, eigentlich ist es unfair, dass das nicht auch umgekehrt gilt. Aber ich bin der Letzte, der jemanden dazu zwingen würde, seine sexuelle Ausrichtung zu ändern – vor allem, weil ich weiß, dass das schlichtweg unmöglich ist. Entweder ich akzeptiere es und lebe damit, oder ich gehe daran zugrunde und muss es trotzdem akzeptieren. Ich bin nicht naiv, wirklich nicht und ich weiß, dass es noch eine ganze Weile verdammt weh tun wird, aber irgendwann werde ich damit umgehen können. Das muss ich mir nicht einreden, das weiß ich einfach. Keine Ahnung, woher, aber ich bin mir sicher. Und ein bisschen Optimismus hat wohl noch niemandem geschadet, oder?
 

18:20
 

„Dann sehen wir uns übermorgen?“, frage ich sicherheitshalber noch einmal nach. Nicht, dass das doch nur ein Traum war.

„Ja“, bestätigt er. „Ich freue mich drauf.“

„Ich auch.“

Das ist das erste Mal, dass ich mich auf einen Geburtstag freue. Ein Blick in den Spiegel zeigt mir, dass ich von einem Ohr zum anderen grinse und jetzt lasse ich den Lachanfall einfach raus.
 

18:25
 

Es ist unglaublich, was dieser Chris mit mir anrichtet. In nicht einmal zehn Minuten hat er den Großteil meiner Weltanschauung einfach auf den Kopf gestellt! Und meine Mutter scheint auf eine feste Beziehung aus zu sein! Was wohl als nächstes passiert?

Vor mich hin summend räume ich mein Zimmer auf. In der letzten Woche habe ich es ganz schön vernachlässigt – und den Rest der Welt ebenso – aber irgendwann reicht es wirklich.

Das Leben ist eben voller Überraschungen. Chris ist eine davon und egal, wie es mit uns weitergeht – ich bin dankbar, dass es ihn gibt.
 

ENDE
 

So... das war's. Ziemlich offen, das Ende, ich weiß... Aber im Gegensatz zu dem Schrott, der davor als letztes Kapitel gedacht war, bin ich sogar einigermaßen zufrieden. Meine Beta auch. Bei der möchte ich mich auch gleich mal bedanken, weil sie einfach wunderbare Arbeit geleistet hat! Also, viele lieben Dank, Lilith Iryna! (:

Außerdem ein grooooßes Dakeschön an alle Reviewer, ich habe mich über jedes Einzelne so wahnsinnig gefreut - auch wenn ich es vor allem zum Ende hin nicht mehr geschafft habe, alle zu beantworten. Ich habe aber jedes Wort verschlungen und werde es (hoffentlich) auch weiterhin machen.

Dankedankedanke!
 

~ San ~



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  YuikoChan
2012-07-19T16:51:41+00:00 19.07.2012 18:51
Ich kann mich da Marubis Meinung nur anschließen!
Gerade jetzt wird es erst richtig spannend. Der Stein hat angefangen zu Rollen und man bekommt Hoffnung das Chris doch Gefühle für Julius entwickelt. Wenn ja, wo soll so eine sonderbare Beziehung hinführen? Kann vor allen Chris damit umgehen?
Ich sehe noch sehr viel mehr Potenzial in der Geschichte und wäre traurig, wenn sie hiermit enden würde.
Von:  alateya
2012-07-19T14:24:24+00:00 19.07.2012 16:24
Eine mutige Entscheidung ein offenes Ende zu lassen. So hat der Leser noch Gelegenheit seine Fantasie spielen zu lassen. Wenn du eine Fortsetzung schreibst, werde ich die mit Sicherheit auch lesen. Dein Stil gefällt mir.
Danke für diese schöne Erzählung.

Liebe Grüße
alateya
Von:  Isilein12
2012-07-19T14:13:29+00:00 19.07.2012 16:13
Ohh schade -.- ich hätte wirklich gern noch erfahren wie es mit den beiden weiter geht erstrecht jetzt das mit dem geburtstag.... naja

lässt du diesen ff jetzt komplett liegen oder hast du schon überleget noch eine fortsetzung zu machen ??

naja in jedemfall war der FF aber eht klasse und hab ihn auch sehr gerne gelesen ^^


glg Lay
Von:  Marubis
2012-07-19T14:04:36+00:00 19.07.2012 16:04
öhm
soll das jetzt das Ende gewesen sein?
ziemlich schwach
das ist ja mitten drin aufgehört
die Story hatte doch gerade erst angefangen vorran zu gehen und interessant zu werden
naja...
kann man nichts machen


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