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The Fall of Ideals

von

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The Fall of Amity

Jesse schob seine Sonnenbrille in sein inzwischen schulterlanges, schwarzes Haar zurück, nahm seine Tasche aus seinem alten, aber zuverlässigen Gleiter, und machte sich auf den Weg in die Ankunftshalle des Dakota-Raumflughafens. Er trug enge, dunkle Jeans und ein tailliertes Hemd wie die meisten modebewussten Männer im Neuen Grenzland.

Endlich würde sich sein Wunsch nach Rache erfüllen.
 

Er bahnte sich seinen Weg durch die Menschenmassen und war froh, wenn er das hektische Treiben auf dem intergalaktischen Raumflughafen hinter sich lassen konnte. Obwohl er schon vor fast einem Jahr von der Phantomzone in die menschliche Dimension geflohen war, hatte er sich noch nicht wieder komplett eingewöhnt und vieles war ihm nach wie vor fremd.

Als er ein Bistro passierte, bemerkte er einmal mehr, wie sehr er den Duft von frisch gebrühtem Kaffee vermisst hatte. Es war ein Geruch, den er fest mit dieser Dimension und den Menschen verband; fast fühlte es sich so an, als käme er nach Hause, aber nur fast. Ein Zuhause gab es für ihn schon lange nicht mehr. Es gab nur die Rache, die ihn antrieb, und das Ziel lag klar vor ihm.
 

In den ersten Monaten seiner Rückkehr hatte Jesse sich in zwielichtigen Gegenden außerhalb jeglicher Gesetzbarkeit aufgehalten, wo er inmitten der vielen undurchsichtigen Gestalten nicht auffiel. Dort war es am einfachsten, wieder in dieser Dimension Fuß zu fassen. Schon damals, nach seiner Kündigung beim Kavallerie-Oberkommando, war es ihm gelungen, in diesem Moloch unterzutauchen und seinen Verfolgern zu entkommen. Damals war er in dieser Stadt an die Outrider geraten, jetzt sollte sie sein Portal zurück ins Neue Grenzland sein.

Jesse nahm alle möglichen frag- und unwürdigen Jobs an, um sich die zum Überleben notwendigen Finanzen zu verschaffen. Er lebte äußerst sparsam, denn er wollte nicht ewig in diesem Drecksloch sein Dasein fristen, das sich kaum von den Gegebenheiten zuletzt in der Phantomzone unterschied.

Irgendwann war er an einen Typen geraten, mit dem er eine kurze Zeit zusammen arbeitete, bis dieser vor seinen Augen erschossen wurde. Jesse überlegte nicht lange und nahm dessen Identität an, die seine Fahrkarte heraus aus dieser Hölle war.

In seinem neuen Job als Privatdetektiv besaß er sogar ein eigenes Haus in einem Vorort von Yuma City - wenn auch nur angemietet - und baute sein Geschäft aus. Doch hier, in der Metropole des Neuen Grenzlandes, wurde er immer wieder an das Kavallerie-Oberkommando und die Star Sheriffs erinnert und irgendwann blitzte ein kleiner Funke nach Rache in Jesse auf, der sich schnell zu einem Flächenbrand entwickelte und seine ganzen Gedanken einnahm. Anfangs wehrte er sich dagegen, denn er wollte die Vergangenheit endlich hinter sich lassen und ein normales Leben führen. Egal wie sehr er sich bemühte, es gelang ihm nicht, die Flammen zu löschen. Sie zerrten ständig an ihm und fraßen ihn von innen heraus auf. Überreizt gab er schließlich seinem nervenzerstörenden Drang nach und arbeitete wochenlang Tag und Nacht an einem Plan und den Vorbereitungen, den er ab heute endlich in die Tat umsetzte.
 

Auf einem der vielen Flachbildschirme am Flughafen lief gerade die Vorschau für den in drei Tagen stattfindenden Dakota Grand Prix, dem ersten Ziel seiner Reise.

Ein leichtes Lächeln der Vorfreude stahl sich auf seine Miene und seine Schritte wurden ausladender, als er auf die Leihwagenshops am Ende des langen, gläsernen Gangs zusteuerte. Er wählte zielstrebig Yuma Car Rent aus und mietete einen kleinen Jeep, der für seine Zwecke völlig ausreichte.

Eine Stunde später parkte er vor einem Hotel und begab sich zur Rezeption, um einzuchecken. Es war keine Fünf-Sterne-Unterkunft, sondern ein schlichteres, etwas außerhalb der Innenstadt gelegenes Hotel. Jesse musste Vorsicht walten lassen: Zwar hatte ihn bisher niemand erkannt, trotzdem fühlte er sich immer beobachtet, wenn er sich in der Öffentlichkeit bewegte.

„Jason Barista“, sagte er zu dem jungen Mann hinter dem Tresen, „ich habe ein Zimmer gebucht.“

„Herzlich willkommen in unserem Hause, Mr. Barista“, begrüßte dieser ihn höflich und legte ihm ein Notepad vor. „Dürfte ich Sie bitten, Ihre Daten zu überprüfen und zu unterschreiben?“

„Natürlich.“

Wenige Momente darauf hielt er eine Schlüsselkarte in den Händen und ging auf sein Zimmer im dritten Stock. Der Raum war klein und zweckmäßig eingerichtet, aber bot alles, was Jesse brauchte.

Er stellte seine Tasche auf der niedrigen Kommode ab und betrachtete sich im Spiegel, der darüber hing. Seine blauen Augen waren genauso kalt und unnachgiebig wie damals. Sein schmales Gesicht mit den hohen Wangenknochen wies ein paar verblasste Narben auf und einige, sich ankündigende Falten.

„Er wird dich trotzdem erkennen, Jesse!“, sagte er zu seinem Spiegelbild und wandte sich ab. Es war nicht mehr nötig, unkenntlich zu sein. Soweit er herausgefunden hatte, war er für tot erklärt worden, die Akte „Jesse Blue“ schon bald nach dem letzten Gefecht geschlossen worden, und er war aus dem Gedächtnis der meisten Menschen verschwunden. Daher drohte ihm nicht sonderlich viel Gefahr hier in der menschlichen Dimension, allerdings hatte er nicht vor, deshalb leichtsinnig zu werden.

Vier würden ihn allerdings niemals vergessen, dessen war er sich sicher.

Wegen ihnen war er hier.
 

Jesse griff nach der Karte und machte sich auf den Weg, seinen alten Widersacher Fireball zu treffen. Er wusste, wo er zu finden war.
 

Etwas später stand Jesse in einer großen Halle und betrachtete den in Jeans und weißes Hemd gekleideten Shinji „Fireball“ Hikari, der gerade ein Interview gab.

‚Er hat sich kaum verändert’, stellte er fest. ‚Aber auch an ihm haben die Jahre ihre Spuren hinterlassen.’ Nach mehr als dreizehn Jahren fühlte es sich seltsam an, seinen ehemaligen Feind nur ein paar Meter live und in Farbe von sich entfernt stehen zu sehen und seine Stimme zu hören; sein Blick wurde regelrecht magnetisch angezogen. Wellen des Hasses stiegen in ihm auf und Jesse ballte die Hand in seiner Hosentasche zur Faust.

‚Einmal habe ich dich gefangen und du hast nicht mal mit der Wimper gezuckt, als ich dich erschießen lassen wollte. Zugegeben, das hat mich wirklich beeindruckt. Diesmal wirst du nicht so leicht davonkommen, das verspreche ich dir!' Jesse wandte sich abrupt ab, als ihm schwindelig wurde. Er brauchte dringend einen Moment Abstand. Mit so einer heftigen Reaktion seinerseits auf das tatsächliche Wiedersehen mit seinem Feind hatte er nicht gerechnet, und er durfte auf keinen Fall die Kontrolle verlieren. Wenn das geschah, wäre sein Vorhaben schon gescheitert, ehe es überhaupt richtig angefangen hatte. In ein paar Schritten Entfernung lehnte er sich sich bemüht teilnahmslos gegen eine Säule, um das Reportergedränge aus sicherer Entfernung zu betrachten und sich zu beruhigen. Er musste Fireball, der inzwischen einen eigenen Formel 1-Rennstall besaß, wie Jesse schon bald nach seiner Rückkehr nach Yuma aus den Nachrichten erfahren hatte, abfangen und ihn persönlich sprechen, und dazu brauchte er unbedingt einen kühlen Kopf.

Etliche Male hatte er hin- und herüberlegt, wie er den Kontakt herstellen sollte. Er hätte ihn anrufen können oder eine E-Mail schreiben, aber das war nicht sicher genug. E-Mails konnten gelöscht und Briefe weggeworfen werden. Und via Hypercom – diese Möglichkeit schied von vornherein aus. Fireball hätte ein solches Gespräch wahrscheinlich einfach als schlechten Scherz abgetan.

Ein persönliches Treffen war der einzige Weg, der die Chance bot, seinen Plan umzusetzen. Jesse war bereit, alles auf diese eine Karte zu setzen, um danach endlich seinen Frieden zu finden.

Plötzlich brach ein Tumult in der Reportermasse aus.

„HEY! ICH HAB WAS GEFRAGT!“, brüllte einer der Reporter.

„WARTEN SIE! WIR SIND NOCH NICHT FERTIG!

„SIE FEIGLING!“

Jesse sah Fireball wutentbrannt davon stapfen, dicht gefolgt von den aufgebrachten Journalisten.

‚Verdammt! Er darf mir nicht entkommen!’ Jesse nahm sofort die Verfolgung auf. Niemand beachtete ihn, da sich der Großteil der Aufmerksamkeit auf die Presseleute fokussierte.

Er eilte durch einen Nebenausgang hinaus und sah Fireballs Schopf mit der gleichen Frisur, die er vermutlich schon seit seiner Geburt trug, in einem Taxi verschwinden. Seine Haare standen schlimmer ab als zu Beginn des Interviews.

'Mist!' Jesse rannte zu seinem Jeep und verfolgte es, während die Medienbluthunde fluchend und ratlos hinter dem Taxi herstarrten. Zum Glück war er schon immer ein hartnäckiger Jäger gewesen, der sich nicht so leicht abschütteln ließ.

Die Fahrt führte quer durch Dakota City hinein ins Stadtzentrum und endete vor dem Sheraton Hotel. Während Fireball zahlte und anschließend im Eingang verschwand, parkte Jesse schnell und folgte ihm. Nach wie vor war Fireball eine Berühmtheit im Formel 1 – Zirkus, aber hier in diesem Edelhotel schienen sich auf den ersten Blick keine Reporter aufzuhalten.

Jesses Herzschlag beschleunigte sich und er biss die Zähne zusammen. Würde alles wie geplant verlaufen? Wie würde er reagieren, wenn sie sich gegenüber standen? Unzählige Male hatte er sich diese Situation ausgemalt und keine der durchspielten Varianten ähnelte dem Szenario, in dem er sich jetzt befand.

Kaum betrat er das Hotel, sah er Fireball vor dem Fahrstuhl stehen, dessen Türen sich gerade öffneten.

'Jetzt oder nie!' Jesse passte den Moment so ab, dass er gerade so durch den Spalt schlüpfen konnte. Fireball drehte sich von dem Lärm erschrocken um und wurde augenblicklich aschfahl im Gesicht, als er sich dem schlimmsten Geist aus seiner Vergangenheit gegenüber fand.

„Jesse!“, zischte er feindselig und seine Hand schnellte an seine Hüfte, um den Blaster zu greifen, den er schon lange nicht mehr trug.

„Hallo Fireball“, begrüßte Jesse ihn wie einen alten Freund, darum bemüht, den üblichen Spott aus seiner Stimme herauszuhalten und sich nicht anmerken zu lassen, wie aufgeregt er selbst war.

Fireballs Hand zuckte zum Notrufknopf, aber Jesse war schneller und hielt Fireball am Handgelenk fest.

„Du willst mich doch wohl nicht vom Hotelpersonal rauswerfen lassen?“, amüsierte er sich und fand dadurch zu seiner Selbstsicherheit zurück. „Früher hättest du das höchstpersönlich erledigt!“

„Kannst du gerne haben!“ Fireball, dem seine vorige Aktion scheinbar etwas peinlich war, ballte seine Hand zur Faust und zielte auf Jesses Wange, die er mit voller Wucht traf. Jesse fing sich an der verspiegelten Wand ab und stieß sich sofort wieder ab. Fireball hatte schon sein Handy gezückt und war im Begriff, eine Taste zu drücken, als Jesse erneut das Handgelenk zu fassen bekam und den Arm auf den Rücken verdrehte. Mit der freien Hand nahm er das Telefon und drängte Fireball gegen die Wand, um ihm die Bewegungsfreiheit zu nehmen und weitere Angriffe zu unterbinden.

„Hör zu, Fireball. Können wir das für einen Augenblick mal sein lassen? Ich muss dringend mit dir reden!“

„Du willst reden?“, giftete Fireball Jesses Spiegelbild an. „Irgendwie kann ich nicht glauben!“

Jesse seufzte ergeben und lockerte vorsichtig seinen Griff. Sofort riss Fireball sich los und fuhr wütend zu ihm herum.

„Was soll das, verdammt?“, zischte er.

„Wirklich, Fireball, es ist so wie ich sage. Ich bin unbewaffnet und brauche ein paar Minuten deiner Zeit.“ Er hielt beide Hände nach oben, so dass Fireball sich davon überzeugen konnte.

„Sind dir die Gesprächspartner ausgegangen, dass du auf ein Kaffeekränzchen vorbei schaust oder was?“ Fireball zog seine Augenbrauen skeptisch zusammen und durchbohrte ihn mit seinen Blicken.

„Wenn du es so ausdrücken willst, von mir aus. Es gibt einfach nicht sonderlich viele, denen ich mich anvertrauen kann.“

„Anvertrauen?“, wiederholte Fireball ungläubig und beobachtete Jesse, als der Fahrstuhl seine Fahrt verlangsamte und eine Entscheidung forderte. Die Tür glitt nach dem sanften Anhalten auf und für einen Moment bewegte sich keiner der beiden, fixierte aber den jeweils anderen.

„Dafür bin ich wohl der Falsche“, entschied Fireball stur und wollte den Lift verlassen, doch Jesse blockierte ihm mit seinem ausgestreckten Arm den Weg. Wollte Fireball wirklich einfach so gehen und ihn ignorieren? Das war keine normale Reaktion, die er von einem Star Sheriffs erwartet hätte.

„Du bist genau der Richtige dafür. Es gibt niemanden sonst. Fireball, ich bitte dich nur um fünf Minuten“, wiederholte er eindringlich ohne Fireball anzusehen. Jesse bat nie, und Fireball wusste das ebenfalls.

Mit zusammengekniffenen Augen sah er Jesse an, als könne er ihn durchschauen. „Ich hab Besseres zu tun als dir, einem Verräter, zuzuhören! Nenne mir einen Grund, was ich davon hätte, hm? Einen verdammt guten Grund!“

„Hier geht es um Größeres und Wichtigeres als um ein Kaffeekränzchen, bei dem wir über unsere Vergangenheit plaudern. Was hast du schon zu verlieren?“, war Jesses Gegenfrage, wobei er den dunklen Blick so ruhig wie möglich erwiderte. Die verletzenden Worte prallten einfach an ihm ab.

„Danke, kein Interesse. Die Vergangenheit ist für mich abgeschlossen. Und jetzt lass mich vorbei!“ Fireball schob den Arm weg, aber Jesse stellte sich ihm wieder in den Weg.

„Ich muss darauf bestehen. Es geht um die Sicherheit des Neuen Grenzlandes.“

„Damit hab ich nichts mehr zu tun. Die Star Sheriffs sind dafür verantwortlich, solltest du das vergessen haben. Geh zu ihnen, wenn du ein Problem hast.“

„Das kann ich nicht, und besonders nicht in diesem Fall.“ Jesse sah sich um. „Können wir die Details vielleicht woanders besprechen?“

„Bist du taub, oder was? Ich sagte, dass ich nichts damit zu tun habe!“

„Und ich sage, dass du das hast! Du wirst es verstehen, wenn du mich erklären lässt. Höre mir wenigstens zu. Nichts weiter will ich von dir. Was ist schon dabei?“

Jesse sah Fireball unnachgiebig an, was diesen zögern und überlegen ließ.

„Mal angenommen, ich gehe darauf ein … Woher weiß ich, dass das keine Falle ist oder du mir irgendwelche Märchen auftischst?“ Fireball sprach die Frage aus, mit der Jesse ebenfalls gerechnet hatte.

„Woher weiß ich, dass du nicht sofort das Oberkommando rufst, um mich zu verhaften?“, entgegnete Jesse und hielt kurz das Handy hoch. Er beugte sich ein wenig nach vorne. „Fünf Minuten“, wiederholte er eindringlich. „Ohne Star Sheriffs, Outrider, Kopfgeldjäger und unbewaffnet. Und keine Märchen.“

Fireball antwortete nicht sofort und forschte intensiv nach verräterischen Anzeichen in Jesses Miene. Endlich hatte er seine Prüfung beendet und nahm sein Handy aus Jesses Hand, was er diesmal widerstandslos zuließ.

„Ich habe kapiert, dass du nicht lockerlässt, bis wir unser Gespräch haben, ob freiwillig oder nicht. Da ich aber keine Lust darauf habe, gekidnappt zu werden-“

„Ich würde nie...“

„Still, Jesse!“, unterbrach Fireball ihn mit einer forschen Handbewegung. „Ich werde dir zuhören. Aber nicht jetzt, ich habe gerade anderes zu tun. Sei um 21 Uhr im Finnegan’s, dann reden wir! Keine Outrider, Star Sheriffs oder sonst wer. Nur wir beide. Für fünf Minuten!“ Er schob Jesse beiseite und verließ den Lift, ohne sich noch einmal umzudrehen.
 

Kaum war die Fahrstuhltür geschlossen, merkte Jesse, dass ihm die Knie weich wurden und er ärgerte sich darüber. Es war ein Zeichen von Schwäche, und er, Jesse Blue, würde nie wieder schwach sein! Die Erinnerungen an die grausamen Jahre nach dem Krieg, als er schwach geewesen war, hatte er tief in seiner Seele vergraben.

Hastig betätigte den Knopf, fuhr hinunter in die Lobby und verließ das Hotel mit großen, festen Schritten.
 

Fireball erging es nicht anders. Die Begegnung mit dem tot geglaubten Jesse Blue hatte ihn zutiefst erschüttert. Er hatte wahrlich schon genug andere Sorgen und jetzt tauchte dieser Verräter auf, von dem jeder dachte, er sei zusammen mit seinen Outrider-Freunden auf ewig verschwunden!

‚Verdammt! Warum hab ich mich überhaupt auf ihn eingelassen!’, verfluchte er sich selbst und holte sein Handy hervor. Er ging seine Kontakte durch, fand Saber und legte seinen vor Aufregung zitternden Finger auf die Anruftaste, drückte sie aber nicht. ‚Was soll ich nur tun? Ich hab eigentlich schon genug andere Probleme mit dem Rennstall … aber verdammt, was will Jesse ausgerechnet von mir? Der sollte doch tot sein … und ist es nicht. Verdammt! Das kann nichts Gutes bedeuten, da bin ich mir sicher! Andererseits … er war schon irgendwie komisch, völlig untypisch für ihn. Was könnte er nur wollen - ausgerechnet von mir? Ich soll genau der Richtige sein. Der Richtige für was?’

Fireball legte sein Handy beiseite und ging zur Minibar, wo er sich einen Whisky einschenkte, den er in einem Zug hinunterkippte. Den zweiten trank er langsamer und stellte sich an die bodentiefen Fenster, um die Aussicht über Dakota City zu genießen. Weit in der Ferne hinter der flirrenden Hitze befand sich die Rennstrecke, die jetzt sein Leben war und gleichzeitig seine größten Probleme beinhaltete.

Gedankenverloren zündete er sich eine Zigarette an, die er aus seiner Hemdtasche gezogen hatte, versank in Erinnerungen an alte Zeiten und sann über sein aktuelles Leben nach.

‚Es scheint ihm wirklich wichtig zu sein, mit mir zu sprechen. Was sorgt er sich auf einmal um die Sicherheit des Neuen Grenzlandes? Sowas von ihm zu hören klingt sehr dubios und absurd! Ob er was plant? Neugierig macht mich das schon und vielleicht bringt micht das Treffen mal auf andere Gedanken, anstelle des ganzen Mists, mit dem ich mich hier beschäftigen muss? Eigentlich hat er recht und es ist wohl wirklich nichts dabei, wenn ich mir einfach mal anhöre, was er zu sagen hat. Wir haben sogar einen Waffenstillstand. Falls ich merke, dass er ein falsches Spiel treibt, wüsste ich wahrscheinlich sogar, was er vorhat und kann ihm Saber und die Star Sheriffs auf den Hals hetzen, damit die sich um das Problem kümmern. Oder … selbst wenn er mich entführen wollte, ist es mir eigentlich auch egal, dann würden sich meine Probleme in Luft auflösen.'

Fireball nahm einen weiteren Zug und lächelte leise vor sich hin. 'Kein schlechter Gedanke.'
 


 

Das Finnegan’s befand sich mitten im Vergnügungsviertel von Dakota City. Jesse hatte Glück und fand einen Parkplatz in einer Seitenstraße in der Nähe des Pubs, so dass seine Fluchtmöglichkeiten nicht sonderlich eingeschränkt waren, sollten sie notwendig werden. Unzählige Menschen waren auf den Straßen unterwegs, um in Diskos, Restaurants, Kneipen oder eine der vielen Spielhöllen zu gehen. Jesse fühlte sich in diesen Massen nicht sonderlich wohl und er studierte die Passanten. Waren hier vielleicht schon Star Sheriffs undercover unterwegs? Oder Kopfgeldjäger?

Auch die Hausdächer checkte er soweit ihm möglich war, und prägte sich die Straßen ein. Ein seltsames Gefühl des Ausgeliefertseins überkam ihn, und bevor die Paranoia Überhand nehmen konnte, trat Jesse in die irische Kneipe.

Laute folkloristische Musik schlug ihm entgegen. Hier drin war es noch voller als draußen auf der Straße.

Es war bereits kurz nach neun, also sollte der Rennfahrer schon hier sein. Die Gäste schienen sich ebenso wenig um seine Anwesenheit zu kümmern wie die Leute auf der Straße wie Jesse erleichtert feststellte. Dennoch blieb er wachsam, während er nach seiner Verabredung suchte. Er drängte sich weiter in den Laden hinein und erspähte den ehemaligen Star Sheriff an einem Tisch in der hinteren Ecke, ein halb ausgetrunkenes Bier vor sich und seine Hand grüßend gehoben. Nur daran erkannte Jesse die Person als Fireball, der seine Haare unter einer Baseballkappe versteckte und ein weites, grasgrünes Kapuzensweatshirt trug. Seine Augen lagen im Dunklen. Erst jetzt dämmerte es Jesse, warum er so verkleidet war und er grinste schief.

Fireball hob sein Glas und deutete erst darauf, dann auf die Theke, womit er ihn daran erinnerte, dass in einem irischen Pub nach alter Tradition immer noch Selbstbedienung war. Das hatte Jesse nach so langer Zeit einfach vergessen.
 

Nicht viel später setzte sich Jesse mit zwei frisch gezapfen Bieren zu Fireball an den Tisch und schob ihm eins davon zu. Ein Zeichen, dass er es ernst mit dem Waffenstillstand meinte.

Ihm wäre es lieber gewesen, sie hätten sich direkt am Ausgang platziert, aber er stellte fest, dass er sogar von hier aus alles gut sehen hatte. Außerdem gab es ein Hintertürchen, aber Fireball schien sich an ihre Abmachung gehalten zu haben und keine Vorkehrungen zu seiner Festnahme getroffen zu haben. Das beruhigte ihn etwas.

„Auf alte Zeiten!“ Jesse hob das Glas und Fireball stieß seins lässig dagegen.

„Also, was willst du mir anvertrauen?“, kam Fireball sofort ohne Umschweife zum Thema, nachdem er einen Schluck getrunken hatte. „Sorry, aber dass ausgerechnet du von sowas sprichst, halte ich für einen schlechten Scherz.“ Er taxierte ihn genau, während er ein Zigarettenpäckchen hervorholte und sich eine davon anzündete.

„Du rauchst?“

„Offensichtlich. Willst du mir jetzt einen Vortrag darüber halten wie gesundheitsschädlich das ist? Denk dran – deine Zeit läuft“, erwiderte Fireball kühl und deutete auf eine imaginäre Armbanduhr.

„Keineswegs, ich bin doch nicht dein Kindermädchen“, schmunzelte Jesse und hob abwehrend eine Hand. Dass Fireball noch nicht lange rauchte, bemerkte er an den nicht sehr routinierten Bewegungen, wie er das Feuerzeug nahm und den Rauch einatmete. Er sah sehr abgespannt aus und Jesse kannte seit seinen Recherchen den Grund dafür. Ebenfalls wusste er, dass Fireball aufgrund eines Rennunfalls nicht mehr selbst fahren konnte und daher ein eigenes Team gegründet hatte. Das hatte es einfach gemacht ihn zu finden. Darüber hinaus rechnete Jesse sich bei ihm die besten Chancen aus, dass er ihm zuhören würde. Colt dagegen hätte ihn mit Sicherheit und ohne mit der Wimper zu zucken sofort ins Jenseits befördert. Und Saber schied aufgrund der Umstände von vorneherein aus, genauso wie April, die Saber immer schon zu nahe stand und die ohnehin nicht Teil seiner Pläne war. Diverse Möglichkeiten hatte er durchgespielt und jetzt hing alles davon ab, wie gut die Zahnräder seines Plans ineinander griffen.

„Ich will nur, dass du mir zuhörst“, sagte Jesse und senkte seine Stimme auf ein vertrauliches Level, um unerwünschte Mithörer auszuschließen. „Lassen wir die alten Zeiten mal beiseite. Inzwischen bin ich wieder hier im Neuen Grenzland gelandet, im Untergrund natürlich, wie du dir bestimmt denken kannst.“

„Wo auch sonst?“, nickte Fireball, unterbrach aber nicht weiter.

„Ich bin jetzt ein Detektiv und mit den Aufträgen, die ich kriege, halte ich mich einigermaßen über Wasser und verfolge damit meine wahre Absicht. Ich beobachte die Tätigkeiten der Outrider und der Star Sheriffs, um es nicht noch einmal zu einem Krieg kommen zu lassen.“

„Warum solltest du das tun? Bist du etwa unter die Weltverbesserer gegangen?“ Fireball hob zynisch eine Augenbraue.

„Wenn du es so nennen willst, von mir aus. Ich weiß, dass du mir nicht einfach so glauben wirst und dass es schwierig wird, dich zu überzeugen.“

„Quasi unmöglich, aber versuche es ruhig“, lächelte Fireball spöttisch abwartend.

„Als ihr Nemesis besiegt habt, war ich nicht mehr gerne gesehen in der Phantomzone. Und-“

„Ein tragisches Schicksal, mir kommen die Tränen.“

Jesse überging die Provokation, indem er innerlich auf Durchzug schaltete und fuhr in seiner Geschichte fort, die er Fireball auftischen wollte: „-sie machten mich für die Niederlage und das folgende Elend verantwortlich. Ich war schwer verletzt und habe … überlegt. Jedenfalls wollte ich nicht mehr bei den Outridern bleiben. Sie hatten immense Verluste erlitten, an denen sie bis heute zu nagen haben. Natürlich brauchten sie einen Verantwortlichen, und dafür sollte ich herhalten. Sie wollten mir ans Leder, also musste ich untertauchen, und das geht nun mal nach wie vor am besten hier im Neuen Grenzland.“

„Soweit so gut, Jesse, das ist ja alles sehr rührend. Deine fünf Minuten sind gleich um, also komm besser zum Punkt. Was willst du von mir?“ Fireball nahm einen letzten tiefen Zug aus seiner Kippe und drückte sie dann im Aschenbecher aus.

„Ganz einfach: ich brauche deine Hilfe. Ich bin auf etwas gestoßen und es sieht verdammt danach aus, dass das Neue Grenzland dabei ist, einen neuen Krieg anzuzetteln - mit Saber Rider als Anführer.“

„WAS?“ Fireball sprang aufgebracht hoch, packte Jesse am Kragen und drohte ihm mit der Faust. „Das würde Saber niemals tun! Bist du nur hergekommen, um mich zu verarschen?“

„Nein. Dazu ist die Lage zu ernst“, erwiderte Jesse mit zusammengebissenen Zähnen und festem Blick. Langsam, aber bestimmt zog er Fireballs Hand weg und rutschte von seinem Stuhl auf die Eckbank zu Fireball heran, wobei er ihn dazu drängte, sich wieder zu setzen. Die Musik war zwar laut genug, aber eine handgreifliche Auseinandersetzung würde einige Aufmerksamkeit auf sie ziehen, worauf Jesse keinen Wert legte.

„Hör endlich auf, von dem großen, ehrenhaften Helden Saber Rider zu träumen! Diese Zeiten sind vorbei!“

„Niemals!“, widersprach Fireball heftig und seine Augen blitzten wütend, aber er ließ das Hemd los und senkte seine Stimme. „Er ist der Präsident des Neuen Grenzlandes! Sein Ziel ist es, das Neue Grenzland zu schützen und nicht, neue Gebiete zu erobern! Und die Outrider sind von uns geschlagen worden. Sie waren jetzt schon dreizehn Jahre lang ruhig, sie werden sicher nicht noch einmal angreifen!“

Angesichts dieser Naivität musste Jesse unwillkürlich lächeln. „Du solltest es eigentlich besser wissen, Fireball. Die Outrider sind sogar schon einmal nach fünfzehn Jahren wiedergekehrt und haben den Menschen das Leben schwergemacht. Warum sollte Saber kein Interesse daran haben, das Neue Grenzland dimensionsübergreifend zu vergrößern? Imperialismus war schon immer ein gutes Geschäft.“

„Weil Saber sowas nicht machen würde! Es ist nicht sein Stil!“

„Würdest du dafür deine Hand ins Feuer legen? Saber hat sich mit den Jahren verändert, so wie du, so wie ich!“

„Sag du mir einen Grund, warum er das tun sollte!“

„Ich kenne seine Gründe nicht. Aber ich habe genug Beweise, die sehr dafür sprechen.“ Jesse griff in seine Hosentasche und legte einen kleinen USB-Stick auf den Tisch, den er zu dem ehemaligen Star Sheriff schob.

„Was soll das sein?“

„Sieh dir diese Unterlagen an und denke mal nicht daran, wer ich bin oder war. Du kannst die Daten alle von den öffentlichen Sendern, Zeitungen und im Internet abrufen und überprüfen. Ich habe die jeweiligen Quellen angegeben.“ Jesse erkannte den inneren Zwiespalt, der in Fireball tobte und entschied, dass es Zeit war, zu gehen. Der Köder war ausgelegt, Fireball musste ihn nur schlucken; das war der kritische Teil seines Plans.

„Ich melde mich morgen Nachmittag bei dir. So lange betrachte ich unseren Waffenstillstand als verlängert.“ Unschlüssig, ob er wirklich gehen sollte, da Fireball keinerlei Reaktion zeigte, sondern nur mit verkniffener Miene den Stick betrachtete, nahm Jesse einen weiteren Schluck seines Bieres. Schließlich erhob er sich, es war alles gesagt, was gesagt werden musste und außerdem waren die fünf Minuten vorbei.

„Gib mir bis Sonntag. Sonntag nach dem Rennen“, erwiderte Fireball und nahm die Daten an sich.

„Gut. Dann also bis Sonntag.“
 


 

Während Fireball sich um seinen Grand Prix kümmern musste und hoffentlich die Daten auf dem USB-Stick lesen würde, blieb Jesse nichts anderes übrig, als die Zeit bis Sonntag abzusitzen. Zwei Tage boten genug Gelegenheit, in denen er sich allerlei neue Szenarien ausmalen konnte.

‚Was wird Fireball mit dem Stick machen? Wird er ihn lesen? Überprüfen? Ihn gleich wegwerfen? Oder die Star Sheriffs alarmieren?’ Selbst als er sich an die hoteleigene Bar setzte, um die lauten Gedanken zum Schweigen zu bringen, verfolgten sie ihn auch hier und die Nacht wurde ebenfalls nicht besser. Immer wieder schreckte er hoch, weil er dachte, jemand käme, um ihn zu verhaften. Darunter mischten sich die Alpträume, die ihn lange nach dem Krieg begleitet und erst mit der Zeit nachgelassen hatten. Aber Jesse hatte dem ehemaligen Star Sheriff weder seinen Decknamen noch seinen genauen Aufenthaltsort verraten, was eine gewisse Sicherheit versprach. Er musste sich selbst eingestehen, dass er langsam paranoid wurde und die Umsetzung seines Plans schon jetzt stärker als gedacht an seinen Nerven zerrte. Oder war er einfach mehr aus der Übung als er je für möglich gehalten hatte? Überschätzte er sich selbst?
 

Nach einer wenig erholsamen Nacht und einer halbwegs erfrischenden Dusche am Morgen konnte er seine Pläne nicht weiter vorantreiben. Schon früher hatte er Warten gehasst und das hatte sich auch nach all den Jahren nicht geändert. Seine Gedanken hielten nicht still und daher beschloss Jesse, sich ein wenig die Beine zu vertreten.

Als er aus dem Hotel trat, setzte er seine Sonnenbrille auf und lief ohne Ziel drauflos. Er kam an einem Kiosk vorbei, der einige Zeitungsständer vor seinen Laden gestellt hatte. Ein Titelbild mit der dazugehörigen Schlagzeile stach ihm direkt ins Auge, da sie Fireball betraf. Neugierig trat er näher und nahm die VIPs Inside heraus, ein typisches Klatschmagazin, das die großen und kleinen Probleme der Stars in der Öffentlichkeit breittrat.

‚Na sieh mal einer an!’, dachte er amüsiert, zahlte und steckte das zusammengerollte Heft in seine Gesäßtasche. Nicht viel weiter fand er einen geeigneten Platz, um die Zeitschrift in Ruhe zu lesen: ein Café, das dazu einlud, an einem der verschnörkelten weißen Tische und Stühle unter freiem Himmel Platz zu nehmen und die Sonne zu genießen. Aufgrund des Rennens waren die Wettersatelliten bis morgen noch auf Sonnenschein programmiert, da so mehr Besucher an die Rennstrecke gelockt wurden.

Kurzentschlossen setzte er sich an einen freien Tisch. Irgendwo gemütlich einen Kaffee zu trinken gehörte nicht zu der Art von Vergnügen, das er sich sonst gönnte. Vergnügen lenkten vom Ziel ab, machten nachlässig und unkonzentriert. Da er zum Nichtstun verdammt war, machte Jesse heute eine große Ausnahme.

Die meisten Getränke, die auf der Karte standen, sagten ihm nichts, denn sie trugen irgendwelche Fantasienamen und ließen nicht erkennen, was sich dahinter verbarg.

„Was darf ich dir bringen, Süßer?“, flirtete die hübsche Kellnerin mit der flippigen Kurzhaarfrisur, die vielleicht eine Studentin war und sich nebenher etwas verdiente. Zu einer anderen Zeit wäre Jesse auf ihre Avancen eingegangen, aber jetzt wollte er die Zeitschrift lesen, die ihn brennend interessierte.

„Einfach einen Kaffee. Schwarz, bitte.“

„Schlechter Tag, hm?“, stellte sie Augen zwinkernd fest, legte ihren Kopf schief und tippte die Bestellung in ihr Pad ein.

„So ist es“, antwortete er schlicht, blieb aber kurz an ihrem Namensschild hängen, auf dem in verschnörkelter Schrift „Shari“ zu lesen war.

„Es ist viel zu schön, um schlecht gelaunt zu sein“, meinte sie grinsend und eilte federnd hinein, um das Gewünschte zu holen.

Jesse schaute ihr kurz irritiert nach und griff nach seiner Zeitschrift, um das Titelbild ausführlicher zu betrachten: ‚Alles über den Hikari-Rosenkrieg – Das Ende zwischen Caroline und Shinji’, prangte passend in roter Schrift über der Seite. Dazu gab es eine schlecht arrangierte Collage von Fireball und seiner Frau, zusammengestellt aus unterschiedlichen Fotos, auf denen sie mit zur Story passenden Mienen abgebildet waren - Fireball brüllend und zornig gestikulierend, seine Frau traurig mit ihren beiden Töchter im Arm. Damit war klar, wer der Böse war.

Jesse wusste zwar, dass Fireball verheiratet war, mit einer hübschen Frau namens Caroline, und dass er zwei Töchter hatte; neu für ihn war, dass seine Ehe kurz vor dem Aus war. Das hatte keine der Sportzeitschriften erwähnt, die er für seine Pläne zu Rate gezogen hatte. Er verspürte einen Anflug von Ärger, dass ein einfaches Klatschmagazin so viele wichtige Informationen - wenn auch sehr einseitig und übertrieben - enthielt, die er dringend benötigt hätte! Mit diesem Wissen hätte er sein Vorhaben ganz anders planen können. Wieso war er nicht auf diese Idee gekommen?

Jesse wischte seinen Unmut beiseite und betrachtete Caroline eingehender. Sie war außergewöhnlich schön, mit hellbraunen, modern geschnittenen Haaren und dunklen Augen. Die beiden Töchter waren vier und sieben Jahre alt, wie Jesse wusste, und auf dem Bild schmiegten sie sich mit traurigen Gesichtern an ihre Mutter. Ihre Namen hatte er allerdings vergessen.

„Der Hikari ist ein Arsch!“, stellte die Kellnerin fest, die Jesse gerade die Bestellung brachte und dabei einen Blick auf das Heft geworfen hatte. „Lässt einfach seine Frau alles machen und kümmert sich kein bisschen um seine beiden Mädchen! Hauptsache sein Formel 1–Team bleibt im Rennen, wobei die von Anfang an nur Versager waren und noch nicht mal einen einzigen Grand Prix gewonnen haben!“ Schwungvoll stellte sie die Tasse ab und verschüttete dabei die Hälfte.

„Glaubst du etwa alles, was diese Zeitungen schreiben?“

Shari sah ihn eine Sekunde verwirrt an und setzte ein zuckersüßes Lächeln auf. „Nein, aber es macht Spaß über andere zu lästern, gerade wenn sie auf dem Titelblatt sind. Solltest du auch mal versuchen, Schnuckiputz!“ Mit einem Zwinkern ließ sie ihn wieder allein, denn ein anderer Gast verlangte nach ihrer Aufmerksamkeit. Jesse schüttelte innerlich den Kopf und musste unwillkürlich grinsen, als er sich wieder den Seiten widmete.

‚Wenn mein Plan geglückt ist, komme ich wieder hierher‘, nahm er sich vor, schlug endlich die Seite über den Rosenkrieg auf und begann zu lesen. Lange brauchte er nicht, doch der Artikel beinhaltete neue Informationen, die weitere Recherche und ein Umdisponieren seines Vorhabens verlangten. Die Zeitschrift umriss in groben Zügen Carolines und Fireballs Kennenlernphase bis zur Hochzeit und der Geburt der ersten Tochter, Fiona, und schilderte anschließend ausführlicher den weiteren Verlauf der Beziehung. Caroline war früher einmal Model gewesen und schließlich als Boxenluder auf den Rennstrecken gelandet, wo sich die beiden zum ersten Mal trafen. Zu der Zeit war Fireball selbst noch Rennen gefahren bis er einen schlimmen Unfall gehabt hatte, bei dem er sich komplizierte Brüche und Verbrennungen an den Beinen zugezogen hatte. Die Unfallursache konnte bis heute nicht nachgewiesen werden und blieb im Verborgenen. Das Magazin lobte Caroline in den Himmel, weil sie sich während seiner Genesung rührend um ihn gekümmert hatte. Fireball und Caroline verliebten sich, heirateten und bekamen Fiona. Nach der Geburt ihrer zweiten Tochter, Alyssa, kehrte Fireball mit neuer Hoffnung in den Rennzirkus zurück, aber nicht als Fahrer, sondern mit einem eigenen Team, in das viele Sportler und Sponsoren ihre Hoffnungen legten. Aber das Hikari-Team war nicht mit Glück gesegnet und versagte immer wieder. Mal war es der Motor, mal ein generell zu langsames Auto, mal die Fahrer selbst, die ihre Leistungen nicht erbrachten. Die Pechsträhne riss einfach nicht ab und deshalb stand Fireball heute kurz vor der Pleite. Seine Frau warf ihm vor, ihr Geld aus dem Fenster zu werfen und sich nicht um die Familie zu kümmern. Vor ein paar Wochen hatte sie die Scheidung eingereicht. Selbstverständlich schlug die Zeitschrift in die gleiche Kerbe und stellte Fireball als undankbaren Egoisten dar.

‚Interessant…’
 


 

Als das Rennen am Sonntag bei schönstem Sommerwetter auf Hochtouren lief, fuhr Jesse zum Sheraton Hotel, um dort auf Fireball zu warten. Er selbst hatte schon ausgecheckt, denn später würde er diesen Planeten sowieso verlassen. Dann würde sich zeigen, ob der Köder erfolgreich war oder ob er auf Plan B ausweichen musste.

In der hoteleigenen Bar ließ sich Jesse am Tresen nieder. Da ganz Dakota vom Formel 1-Fieber befallen war, wurde das Rennen auch hier auf einem Flachbildschirm übertragen. Die Lautstärke war nicht aufdringlich, so dass Unterhaltungen möglich waren. Die Bar wurde vornehmlich von Reicheren und Businessleuten eingenommen, weshalb Jesse für heute ein etwas edleres Outfit ausgewählt hatte, bestehend aus einer dunklen, teuren Jeans, einem weißen Hemd und schwarzem Sakko. Seine Haare hatte er zurückgekämmt und zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. So konnte er sich unauffällig unter die anderen Gäste mischen und fiel nicht weiter auf. Er ließ sich einen Kaffee bringen und wartete auf das Ende des Rennens, das nicht mehr lange dauern konnte.

„Wo ist denn das Hikari-Team?“, erkundigte er sich beim Barkeeper, als er Fireballs Namen nirgends in den eingeblendeten Zeiten entdecken konnte.

„Der ist raus“, kommentierte einer der Männer an den Tischen hinter Jesse, der dessen Frage gehört hatte. Jesse drehte sich auf seinem Barhocker um und sah auf den älteren Mann herab, dem gegenüber ein etwa gleichaltriger saß.

„Wie das denn?“

„Ehrlich gesagt wundert mich das nicht. Wie hätte er denn gewinnen sollen? Seine Motoren sind Schrott und seine Fahrer woanders besser aufgehoben, wenn Sie mich fragen!“, fachsimpelte der Erste. „Ich ärgere mich nur um mein damals investiertes Geld, dabei hatte ich mir anfangs so viel von seinem Team versprochen.“

„Seine Motoren sind ausgefallen, der eine in Runde zwölf, der andere vor ungefähr zehn Minuten“, fügte der andere hinzu. „Heute hatte er von den Sponsoren seine letzte Chance bekommen; die hat er wohl vergeigt.“

„Hikari war außer sich vor Wut. Ich möchte nicht wissen, welche Worte in der Box gefallen sind“, kicherte der Erste.

„Besonders nett werden sie wohl nicht gewesen sein“, grinste Jesse. „Naja, was soll‘s. Ich hatte Geld auf Hikari gewettet, jetzt habe ich wohl verloren.“ Jesse zuckte mit den Schultern und wandte sich ab, denn er wollte keine tiefgründigen Sport- und Investitionsthemen diskutieren. Wenigstens würde er nicht mehr lange auf Fireball warten müssen, jetzt, wo das Team ausgefallen war.

Er angelte sich eine der herumliegenden Tageszeitungen, die Dakota Post, um die Zeit bis dahin zu überbrücken. Dabei behielt er den Eingang aus den Augenwinkeln unter Beobachtung, um den ehemaligen Star Sheriff nicht zu verpassen.
 

Zwei Stunden und drei Tassen Kaffee später, als Jesse gerade einen Artikel über Saber Rider las, der als Präsident des Neuen Grenzlandes mit Sitz in Yuma ein neues Studienzentrum der Star Sheriffs auf dem eisigen Planeten Horist eröffnete, trat Fireball in die Lobby; sein Gesicht sprach Bände.

Eilig legte Jesse einen Geldschein auf den Tresen. Er wartete nicht auf das Wechselgeld, sondern ging gleich zu dem Ankömmling, der vor dem Fahrstuhl stand.

„Hast du dir die Daten angesehen?“

Fireball musterte ihn mit einem langen, müden Blick. Sein zerknittertes Hemd und Jackett spiegelten komplett den Zustand wider, in dem er sich befand.

„Ja, hab ich“, antwortete er und atmete tief durch, wobei er sich durch sein Haar strich. „Gib mir noch ’ne Stunde und warte einfach hier.“ Auch in seiner Stimme war die Erschöpfung zu hören. „Keine Angst, ich hole schon nicht die 7. Kavallerie“, fügte er hinzu, bevor er in den Lift stieg, und Jesse stehen ließ. Dem blieb nichts anderes übrig, als sich wieder an die Bar zu setzen und zu warten.
 

Oben angekommen war Fireballs erster Griff der zur Zigarette und zur wieder aufgefüllten Whiskyflasche. Wieder starrte er aus dem bodentiefen Fenster in die Ferne wie schon zwei Tage zuvor.

‚Jetzt ist es endgültig, ich hab alles verloren - meine Frau, meine Kinder und jetzt auch noch mein Team. Und dabei habe ich alles getan, um uns ein schönes Leben zu ermöglichen. Übrig bleibt ein Haufen voller Schrott.’ Er nahm einen tiefen Zug und atmete den Rauch langsam durch die Nase wieder aus, als sein Blick zu Jesses USB-Stick glitt, der auf dem Tisch lag. Gestern Abend hatte er sich die darauf befindlichen Daten bis spät in die Nacht angeschaut und selbst im Netz recherchiert, anstatt eine Strategie für das heutige Rennen auszuarbeiten.

‚Selbst wenn ich mich um die Strategie gekümmert hätte, hätte es am Ausgang des heutigen Rennens nichts geändert, wenn wir mal ehrlich sind!’, dachte er bei sich. ‚Erst recht hätte es mir weder Caroline oder meine Kinder wiedergebracht! Was soll ich also noch hier?’ Fireball stellte das leere Glas auf den Tisch und nahm den kleinen Speicher in seine Hand.

‚Dass Saber zu so etwas in der Lage sein soll … oder ist es doch nur eine Finte von Jesse? Andererseits sind die Daten nachprüfbar, wenn man sucht und in die Details geht … Soll ich ihm wirklich vertrauen?’ Er legte den Stick wieder beiseite, schenkte Whisky nach und schaltete den Fernseher ein. Gerade lief ein Interview mit Caroline, die über sein heutiges Versagen herzog und in neuerliches Gejammer über sein Verhalten ihr und ihren Kindern gegenüber ausbrach. Hastig wechselte Fireball den Sender und bemerkte wie sich ihm alles zuschnürte.

Was sie der Presse erzählte entsprach in keinerlei Hinsicht der Wahrheit, doch hatte sie die Reporter mit ihrem hübschen Äußeren und ihrem schauspielerischen Talent, auf das er selbst auch hereingefallen war, so beeinflusst, dass sie ihr an ihren sinnlichen Lippen hingen und ihr einfach alles glaubten. Klatsch war immer gut fürs Geschäft, die Leute wollten Dramen hören und sie war sich nicht zu schade, sich dafür herzugeben. Als ihre Trennung noch frisch war, hatte er dies beobachtet und nicht weiter kommentiert, aber ihre Lügengeschichten wurden immer dreister, und sein Nervenkostüm immer dünner, je feindlicher sich die Medien ihm gegenüber verhielten.

Nicht einmal mit anwaltlicher Hilfe konnte er gegen ihr Auftreten ankommen und ihm taten seine beiden Mädchen leid, die Caroline ihm vorenthielt und gegen ihn verwendete. Er hielt es für besser, sich vor der Presse nicht zu ihrer Beziehung zu äußern, was diese nicht davon abhielt, ihm falsche Worte und Verdächtigungen in den Mund zu legen. Der Flut der Verleumdungen gegen ihn konnte er nicht mehr Herr werden. Machtlos stand er dem gegenüber wie sein Ruf in den Schmutz gezogen wurde. Der jüngste Champion aller Zeiten und einstiger Held des Neuen Grenzlandes am Ende seiner glanzvollen Karriere. Ein Versager. Ein Lügner. Ein elender Egoist – alles Schlagzeilen, die auf diversen Magazinen prangten. Wenn die Titel schon solche Lügen verbreiteten, was stand dann erst in den Artikeln selbst?

Fireball wurde übel und schwindelig, wie schon etliche Male zuvor seit ihr Rosenkrieg öffentlich eskalierte. Sorgen, Streit und Schlafmangel bescherten ihm seit Monaten ein Stresslevel, der ihn immer tiefer in eine Dauergereiztheit zog. Nach der heutigen Niederlage fühlte sich Fireball ausgebrannt, leer und elend. Vorhin hatte er obendrein herausgefunden, dass Caroline einen neuen Lover am Start hatte - ausgerechnet Nicolas Alvarado, den Spitzenfahrer des Führungsteams. Dieser Typ gab ihr genug Prestige, Ruhm, Aufmerksamkeit und Sicherheit, was er ihr seit seinem Unfall vor ein paar Jahren nicht mehr in dem ihr vorschwebenden Umfang hatte bieten können. Auch das hatte sie ihm vor ein paar Wochen einmal ins Gesicht geschrien; nur vor der Presse vermied sie solche Aussagen tunlichst!

Seine Hand zitterte stark, als er ein weiteres Glas mit Whisky füllte und er seinen Zorn zu ertränken versuchte.

Die Scheidung lief auf die Zielgerade zu und „Dank“ Caroline konnte jeder Einwohner der Vereinten Planeten daran teilhaben. Kaum stellte sie eine neue Forderung, erschien am nächsten Tag ein riesiger Bericht in sämtlichen Klatschblättern und in den meistbesuchten Onlineseiten, wofür sie bestimmt ein hübsches Sümmchen kassierte. Sie wollte ihn fertig machen und er hatte keine Kraft mehr, dagegen zu halten. Die Kinder waren ihr das beste Druckmittel, das sie schamlos einsetzte, denn sie wusste genau wie viel ihm Fiona und Alyssa bedeuteten. Leider spielte Caroline die Mädchen gegen ihn aus und deshalb wollten sie ihn weder sehen noch mit ihm telefonieren. Wie hatte er sich nur so in ihr täuschen können?

Wieder glitt sein Blick zu dem kleinen Teil auf dem Tisch.

‚Vielleicht sind Jesses Daten echt, vielleicht ist es nur einer seiner hinterhältigen Pläne. Es will einfach nicht in meinen Kopf, dass Saber einen Krieg plant. Das ist total absurd!‘ Fireball trat an den Tisch, nahm den Stick abermals in die Hand und drehte ihn nachdenklich hin und her.

‚Andererseits scheint was dran zu sein … oder zumindest ist irgendwas oberfaul. Es könnte eine gute Idee sein, mich an Jesse zu hängen, ihm auf die Finger zu schauen und so vielleicht herauszufinden, was er vor hat. Außerdem hab ich gerade eh nichts Besseres vor und es ist bestimmt eine gute Abwechslung, mal wieder was anderes zu sehen und zu tun. Zu verlieren habe ich schließlich nichts, ist ja nichts mehr übrig von meinem Leben.‘ Fireball stieß ein verächtliches Schnauben aus und legte den Datenträger wieder beiseite. ‚Könnte fast ein bisschen witzig sein. Schon einmal wurde ich von der Rennstrecke geholt, um für das Wohl des Neuen Grenzlands zu kämpfen. Man sagt ja, dass sich Geschichten wiederholen; ob das bei mir auch zutrifft?‘

Ein weiteres Mal schenkte er sein Glas voll und trat wieder ans Fenster, um zur Rennstrecke in der Ferne zu schauen. Neuer Zorn wallte in ihm hoch und er wollte nichts sehnlicher, als sein zerstörtes Leben hinter sich zu lassen.

„Komm schon, früher hast du dir nie irgendwelche Action entgehen lassen! Auf ins Vergnügen!“, prostete er seinem schwachen Spiegelbild im Fenster zu und trank den Whisky in einem Zug.

Jetzt, wo er sich entschieden hatte, wollte er keine Zeit mehr verlieren.

Nach einer Dusche zog er eine dunkle Cargohose und ein Sweatshirt an und packte seine Sachen. Den USB-Stick steckte er in die Hosentasche und ging nach unten in die Bar.

„Lass uns von diesem elenden Planeten abhauen und woanders quatschen“, forderte er Jesse auf.

„Du kommst mit?“, fragte Jesse überrascht, fast schon entsetzt, nach.

„Was anderes macht wohl keinen Sinn, oder hast du ein Problem damit?“

„Äh … nein, natürlich nicht“, wiegelte Jesse ab und überlegte fieberhaft. Das sah sein Plan eigentlich nicht vor, aber Fireball, schien fest entschlossen. Würde er einen Rückzieher machen, wenn er ihm das auszureden versuchte? Höchstwahrscheinlich. Er könnte misstrauisch werden; nicht, dass er das jetzt schon nicht wäre, aber so hätte Jesse eine gewisse Kontrolle über ihn und sein Plan wäre nicht gefährdet. Jesse musste einsehen, dass ihm zumindest für den Moment nichts anderes übrig blieb als Fireball mitzunehmen, was ihm ziemliche Bauchschmerzen bereitete.

„Was ist?“, hakte Fireball stirnrunzelnd nach.

„Ich gehe davon aus, dass sich unser Waffenstillstand auf unbestimmte Zeit verlängert“, versuchte Jesse so unbekümmert wie möglich zu reden, ohne dass Fireball spürte, wie unangenehm ihm seine Begleitung war.

„Klarokowski. Ich werde dich schon nicht in eine Falle locken und ich habe niemandem von deiner Rückkehr erzählt, keine 7. Kavallerie gerufen und auch keine Kopfgeldjäger oder sonst wen. Mach dir also nicht ins Hemd deswegen.“

„Es ist wohl kein Geheimnis, dass ich genauso skeptisch dir gegenüber bin wie du mir. Deswegen wirst du mir die Frage gestatten, woher dein Sinneswandel kommt?“

„Ich habe meine Gründe und die möchte ich lieber für mich behalten. So gut kennen wir uns jetzt auch wieder nicht, dass ich dir alles erzähle. Wir werden uns schon irgendwie ein bisschen gegenseitig vertrauen müssen, wenn wir zusammenarbeiten wollen. Ich für meinen Teil werde mich bemühen. Meinst du, du kannst das auch?“

„Natürlich“, log Jesse schnell, der wusste, dass er ein Problem damit haben würde, schließlich hatte er jahrelang niemandem mehr außer sich selbst vertraut, aber das konnte er Fireball schlecht auf die Nase binden. „Lass uns gehen. Mein Auto steht draußen.“ Er legte einen Schein auf den Tresen, dann verließ er das Hotel gemeinsam mit dem ehemaligen Star Sheriff. Fireball setzte sich auf die Beifahrerseite, nachdem er sein Gepäck in den Kofferraum gestellt hatte.

„Wie geht’s jetzt weiter?“

Eine gute Frage. Wie um alles in der Welt sollte er einen neuen Stützpunkt aus dem Ärmel zaubern, er war doch kein Zauberer! Er biss sich auf die Zähne und musste sich regelrecht dazu zwingen, die Antwort zu geben.

„Am besten fliegen wir zu meinem Haus, besprechen die Fakten und dann denken wir über das weitere Vorgehen nach.“ Jesse wurde fast schlecht, bei der Vorstellung, den ehemaligen Star Sheriff bei sich zu Hause zu haben.

„Du hast ein Haus? Woher denn?“

„Ich bin eben nicht so der WG-Typ“, versuchte er locker zu wirken. „Ich habe es von einem Bekannten übernommen. Es ist in einem Vorort von Yuma City.“

„Ausgerechnet auf Yuma! Ein Wunder, dass dich noch keiner geschnappt hat, obwohl du dich öffentlich zeigst.“

„Ich habe gehört, dass ich tot bin, schätze, das ist die beste Tarnung, die es gibt, oder?“ Jesse rang sich ein schiefes Grinsen ab.

„Da hast du wohl recht“, gab Fireball ebenfalls grinsend zu. „Seit wann bist du überhaupt zurück im Grenzland?“

„Schon ein paar Jahre“, log Jesse. „Ehrlich gesagt wäre es lieber gewesen, alleine zu arbeiten. Allerdings sind diese Tatsachen, auf die ich gestoßen bin, mehr als beunruhigend. Je mehr ich nachforsche, umso mehr kommt ans Tageslicht. Ich brauche jemanden, der das alles mit analysieren kann und einen weiteren Zeugen, der hoffentlich auf dasselbe Ergebnis kommt. Deshalb habe ich dich kontaktiert.“

„Du hättest ebenso Colt oder April ansprechen können. Oder einen anonymen Hinweis an den Geheimdienst senden. Oder an eine renommierte Zeitung. Es gibt hunderte Möglichkeiten.“

„Was glaubst du, wie ernst anonyme Hinweise genommen werden? Gerade in so einer prekären Angelegenheit? Selbst wenn, würden sie direkt an den Geheimdienst gemeldet werden, der direkt Saber untersteht. Es wäre ziemlich sinnlos, diesen Weg einzuschlagen, dazu ist die Situation zu gefährlich. Hätte ich eine offizielleren Weg eingeschlagen, hätte ich meinen Namen nennen müssen und wäre mit Sicherheit überprüft und beschattet worden. Selbst mit meiner neuen Identität wäre ich schneller vorm Kriegsgericht gelandet als du bis drei zählen kannst, und Saber könnte so weitermachen wie bisher.

Was Colt angeht. Ich habe darüber nachgedacht und auch nach ihm gesucht, konnte aber seinen Aufenthaltsort nicht ausfindig machen. Ein Treffen mit ihm wäre aussichtslos gewesen, zumal ich nicht glaube, dass er mir überhaupt zugehört, sondern mich gleich über den Haufen geschossen hätte. Und April … sie will ich nicht mit in diese Angelegenheit hineinziehen. Du warst nicht nur am einfachsten zu finden, sondern du bist auch der Einzige, bei dem überhaupt die kleinste Chance bestand, dass er zuhören und sich die Daten ansehen würde.“

„Verstehe…“ Fireball nickte. „Wahrscheinlich wäre ich auch auf diese Überlegungen gekommen. Ich kann trotzdem nicht glauben, dass Saber einen neuen Krieg planen soll.“

„Ich finde es auch seltsam, aber du musst zugeben, dass seine geheimen Aktionen nur diesen einen Schluss zulassen. Ich werde dir alles zeigen, was ich bisher herausgefunden habe und bin schon sehr gespannt, deine Meinung dazu zu hören.“
 

Sie kamen am Raumhafen an und kaum eine halbe Stunde später startete Jesse seinen Gleiter in Richtung Yuma. Jesse bemerkte, dass Fireball gedankenversunken aus dem Fenster sah und er nicht mehr der Optimist zu sein schien, der er früher war. Die privaten Gründe, wegen denen er mit ihm kam und die er ihm nicht verraten hatte, waren genau die, die in sämtlichen Klatschzeitungen breitgetreten wurden. Jesses Überlegungen waren goldrichtig gewesen. Sein Plan lief ganz gut an und schien unter einem guten Stern zu stehen.
 


 

Am nächsten Morgen landete Jesse den Gleiter vor seinem Bungalow. Sie waren in Fortuna Hills, einem weitläufigen Vorort von Yuma City angekommen.

„Jason Barista, Detektiv“, las Fireball auf dem Namensschild neben der Haustür, als Jesse den Code eingab, um die Tür zu öffnen. „Wie bist du denn auf den Namen gekommen? Ich hätte wetten können, dass du dich jetzt Jesse Black nennst, passend zu deiner neuen Haarfarbe.“

„Sehr witzig, Fireball, wirklich. Bist du etwa unter die Clowns gegangen? Wenn man eine neue ID braucht, fragt man nicht lange, sondern nimmt, was man kriegen kann“, antwortete Jesse kurz angebunden, stellte seine Reisetasche im Flur ab und schaltete das Licht ein.

„Schon gut, reg dich ab. Hab ganz vergessen, dass man in der Phantomzone keine Späße versteht.“

Fireball bekam einen ersten Eindruck von Jesses jetzigem Leben. Die Einrichtung war spartanisch, aber durchaus geschmackvoll. Ein paar Bilder hingen an der Wand, Fotos von berühmten modernen Hochhäusern, die eine architektonische Meisterleistung waren. Interessierte sich Jesse wirklich für so etwas?

‚Schon komisch, bei ihm zu Hause zu sein’, dachte er, als er Jesse ins Wohnzimmer folgte, das zum Arbeitszimmer umfunktioniert worden war. Ein moderner, weißer Schreibtisch mit einem schwarzen Ledersessel dahinter und zwei Stühlen davor nahm die Mitte des Raumes ein, der mit hellem Laminat ausgelegt war. Ein passender weißer Aktenschrank stand in einer Ecke, daneben war ein großes Whiteboard angebracht, auf dem alte Notizen und ein paar Fahndungsfotos angepinnt waren.

An der dem Schreibtisch gegenüberliegenden Wand war ein Flachfernseher befestigt. Eine Couch und ein kleiner Tisch fanden ebenfalls Platz in dem Raum, von dem aus man in den Garten gelangen konnte. Fireball sah, dass das Gras und die Sträucher dringend geschnitten werden mussten, aber so sehr er sich auch anstrengte, er konnte sich Jesse bei diesen Tätigkeiten nicht vorstellen. Er merkte, dass sich seine Lippen unwillkürlich kräuselten, als er es dennoch tat.

„Unterhalten wir uns“, schlug Jesse vor, als er seinen Laptop auf den Schreibtisch stellte, auf dem ein paar Notizen seines letzten Falles lagen. „Übrigens wäre es mir sehr recht, wenn du mich in der Öffentlichkeit mit meinem Decknamen anreden würdest.“

„Geht in Ordnung, Mr. Barista“, erwiderte Fireball abwinkend, der ins Wohnzimmer gefolgt war und sich dort umsah. „Sag mal, hast du vielleicht einen Kaffee?“

Jesse funkelte ihn kurz an und überlegte, ob Fireball ihn abermals wegen seines neuen Namens auf den Arm nehmen wollte. Der schien diesmal allerdings nichts dergleichen beabsichtigt zu haben, denn er schaute sich interessiert im Zimmer um. Deshalb antwortete Jesse so ruhig wie möglich: „Nebenan in der Küche. Pulver ist im Kühlschrank, die Maschine steht auf der Arbeitsfläche.“

Fireball runzelte die Stirn, dann ging ihm ein Licht auf. Wie konnte er so dreist sein und von Jesse verlangen, ihn zu bedienen? Das war ja geradezu lächerlich und er konnte sich wohl schon geehrt fühlen, dass er ihm im Pub ein Bier serviert hatte. Fireball schmunzelte und ging in die Küche, die klein und schmal war, aber alles beinhaltete, was man brauchte, und setzte den Muntermacher auf. ‚Na, dann will ich aber mal nicht so sein und koche einen für ihn mit. Den kann er sicher gut gebrauchen. Obwohl er sich nichts anmerken lässt, muss er nach dem langen Flug verdammt müde sein.

Wer hätte schon gedacht, dass ich mal bei Jesse zu Hause zu sein würde und seine Schränke nach Tassen und Löffeln durchwühle? Wenn ich das Colt oder Saber erzähle, halten die mich glatt für verrückt.’
 

„Also, woher hast du all diese Informationen?“, fragte Fireball, als er mit zwei dampfenden Tassen zurückkehrte und sich auf einen der beiden Stühle setzte. Während des Flugs von Dakota nach Yuma hatte zumindest er ein wenig geschlafen und fühlte sich einigermaßen ausgeruht. Jetzt wollte er ein paar Antworten. Er schob Jesse eine der beiden Tassen zu, was diesen zu überraschen schien, doch er nahm sie und lehnte sich in seinen Sessel zurück.

„Ich hab sie nach und nach gesammelt. Alles fing mit einem meiner Fälle an, bei dem ich auf Unregelmäßigkeiten gestoßen bin. Eine Mandantin wollte, dass ich ihren Mann beschatte, weil sie glaubte, dass er sie betrügt. Das Übliche halt“, erklärte Jesse Schulter zuckend. „Das sind die meisten meiner Aufträge. Also beschattete ich ihn und es stellte sich heraus, dass er keine Affäre hatte, sondern sich regelmäßig mit Saber Rider traf. Ihr Mann ist ein Forscher der Gentechnik, der Saber regelmäßig neue Ergebnisse lieferte. Dr. Philipp Chang, vielleicht sagt dir der Name sogar was?“

„Nie gehört“, verneinte Fireball. „Wer soll das sein?“

„Offiziell ein renommierter Wissenschaftler, der Heilmittel für diverse neuronale Erbkrankheiten erfunden hat. Jetzt arbeitete er an geheimen Forschungen zur Herstellung von genetisch veränderten Nahrungsmitteln und deren Auswirkungen. Dafür hat er ein Schweigegeld in oberer sechsstelliger Höhe erhalten und zwar jährlich.“

„Schweigegeld? Wie hast du das herausgefunden?“

„Sie hat mir das Geld gezeigt, das er in bar in seinem Tresor hatte. Glaub' mir, Changs Verdienst ist zwar nicht schlecht, aber das Geld in seinem Tresor war ein Vielfaches davon. Sie wunderte sich, woher es kam und ich forschte weiter. Die Nummern auf den Geldscheinen führten auf Umwegen zu Saber und das hat mich dazu veranlasst, ihn weiter unter die Lupe zu nehmen. Also grub ich weiter und stieß auf eine Ader, die sich immer weiter verzweigte und Ausmaße annahm, die selbst ich niemals erahnen konnte.

Saber hat einige seltsame, geheime Dinge am Laufen und er achtet penibel darauf, dass seine Geschäftspartner nichts voneinander wissen. Teilweise nutzt er seine Kontakte, um sich in der Öffentlichkeit beliebt zu machen und lenkt so von seinen dunklen Machenschaften ab.“

„Zum Beispiel?“, unterbrach Fireball und zündete eine Zigarette an. Erst dann bemerkte er, dass er sich wie zu Hause aufführte und sah Jesse fast entschuldigend an. „Darf ich?“

Als Antwort schob Jesse ihm einen Aschenbecher hin, den er aus seiner Schreibtischschublade gezogen hatte.

„Du hast davon gehört, dass die letzte Kyrilliummine geschlossen worden ist, weil sie angeblich einsturzgefährdet und das Mineral giftig ist?“

„Klar. Da gibt doch jetzt ein Naturschutzprojekt, wenn ich nicht irre.“

„Richtig, und auch das hat Saber initiiert. Das nennt man wirkungsvolle Public Relations. Seltsamerweise lässt sich nicht eindeutig nachweisen, dass Kyrillium wirklich giftig ist. Es gibt Anhaltspunkte dafür, die genauso gut von anderen Staubpartikeln im Untertagebau herrühren könnten. Früher wurde dieses Erz zur Herstellung von hochwirkungsvollen Solarzellen hergestellt, also für zivile Zwecke. Mittlerweile braucht man es nicht mehr, da es effizientere Methoden zur Stromgewinnung gibt. Was aber kaum einer weiß, wenn Kyrillium in einem bestimmten Verhältnis mit anderen Seltenen Erden vermischt wird, dann erhält man ein hochexplosives Gemisch, dass schon in kleinen Mengen ganze Städte auslöschen kann.“

„Und weiter?“

„Der Abbau wird still und heimlich fortgeführt, das Gebiet um die Mine ist weiträumig abgesperrt und wird bewacht! Warum macht Saber das, wenn er keinen Krieg führen will?“

„Vielleicht will er das Material einfach nur vernichten, damit niemand gefährdet wird?“, vermutete Fireball.

„Könnte sein. Es finden sich allerdings nirgends Aufzeichnungen darüber, wohin das Erz gebracht wird oder dass es beseitigt wird, sollte dein Vorschlag zutreffen. Die Spuren verlaufen ins Nichts wie ein Fluss, der plötzlich versickert. Stattdessen gibt es an anderer Stelle Aktivitäten für einen erhöhten Kauf von Seltenen Erden. Glaubst du etwa an Zufälle?“ Jesse schien keine Antwort von ihm zu erwarten und redete weiter. Er führte weitere Beobachtungspunkte auf und schaltete später seinen Rechner ein, um alles zu belegen. Fireball hörte größtenteils schweigend zu.
 

„Ich brauch mal ’ne Pause“, sagte er ein paar Stunden später. Sein Kopf rauchte von den vielen Informationen und er war nicht mehr in der Lage, Jesse bei seinen komplexen Ausführungen noch weiter zu folgen. Deshalb stand er auf, um in den Garten zu gehen und einen Moment Ruhe zu finden.

Jesse streckte sich auf seinem Stuhl aus und beobachtete Fireball mit einem leichten, spöttischen Grinsen. Sein Plan schien wirklich zu funktionieren und seine detaillierten Vorbereitungen zahlten sich ebenfalls aus, obwohl diese Dinge, die er über Saber herausgefunden hatte, nicht erfunden waren. Das spielte ihm gerade wunderbar in die Hände.

‚Fireball, im Grunde bist du wohl immer noch so naiv wie damals’, sagte er in Gedanken zu ihm, während er ihm zuschaute, wie er im Garten auf und ab ging und dabei eine Kippe nach der anderen rauchte. ‚Ich muss mich wohl bei deiner Ex bedanken, dass sie dir wegen eurer Trennung die Entscheidung, dich mir anzuschließen, erleichtert hat! Dieses Mal werde ich derjenige sein, der euch alle am Ende besiegt!’

Jesse streckte sich und stand auf, um seine Tasche auszuräumen und sich auch ein wenig Ruhe zu gönnen. Nach dem stundenlangen Monolog war seine Stimme heiser geworden und es war nach dem langen Flug doppelt anstrengend für ihn gewesen, sich an alle Einzelheiten zu erinnern. Aber Fehler durften ihm nicht passieren. Das Netz, das er wob, musste stabil sein.
 

Nichts ahnend von Jesses dunklen Plänen, versuchte Fireball, Herr seiner Gedanken zu werden und alles unter einen Hut zu bringen.

‚Ja, es war meine Idee, mit ihm zu gehen!’, rief er sich in Erinnerung. Er fühlte sich wieder seltsam schwindelig, zwang sich aber, weiter seine Spuren durch das hohe Gras zu ziehen. ‚Aber alle von Jesses Daten waren nachprüfbar, so wie er gesagt hat. Auch wenn ich es nicht wahr haben will, die Zeichen lassen sich nicht leugnen und es könnte wirklich sein, dass Saber einen Krieg vorbereitet. Am besten und einfachsten wäre es, wenn ich ihn einfach anrufe und frage. Andererseits wäre er dann gewarnt, wie Jesse schon gesagt hat. Verdammt, ich weiß einfach nicht, was ich tun soll!’ Beinahe wütend zog er jetzt seine Kreise. ‚Vielleicht ist es wieder einmal nicht unbedingt eine meiner besten Ideen oder ich war mal wieder zu vorschnell mit meiner Entscheidung. Statt mir hier Gedanken um so etwas zu machen, sollte ich mich lieber darum kümmern, die Scheidung hinter mich zu kriegen und meine beiden Kinder zu sehen! Sollen sich doch die Star Sheriffs um Jesse kümmern’, mahnte er sich und strich fahrig durch seine Haare. ‚Aber welche Möglichkeiten hab ich schon? Caro hetzt Fiona und Alyssa gegen mich auf und die beiden scheinen mich inzwischen regelrecht zu hassen.’ Als er sie letztes Mal besuchen wollte, hatten die beiden sich eng an ihre Mama gepresst und sie fest umklammert. Klar und deutlich hatten sie ihm zu verstehen gegeben, was sie von ihm hielten und dass sie ihn nie wieder sehen wollten.

Fireball seufzte resigniert. ‚Wäre ich damals nur bei den Star Sheriffs geblieben. Dann wäre ich heute vielleicht selbst Captain eines Schiffes und säße jetzt nicht in dieser verdammten Zwickmühle.’ Er ging in die Hocke und pflückte einen längeren Halm ab, den er nachdenklich in seinen Fingern drehte. ‚Ich sollte zusehen, dass ich endlich mein Leben auf die Reihe kriege und einen Schlussstrich unter den ganzen Rennzirkus ziehen, mit allem, was damit zu tun hat! Aber mal angenommen, Jesse hat recht und das Neue Grenzland ist tatsächlich in Gefahr? Davor kann ich wohl schlecht die Augen verschließen und mich nur um meine egoistischen Angelegenheiten kümmern, die im Vergleich dazu eher belanglos erscheinen. In was hab ich mich da nur wieder hineinbugsiert?'

Fireball sah hinüber zum Haus, wo Jesse hinter dem Schreibtisch saß und arbeitete.

'Ob ich beides unter einen Hut kriegen kann? Es wäre absolut verantwortungslos von mir, ließe ich Jesse aus den Augen. Ich muss einfach bei ihm bleiben und ihn beobachten. Solange Saber nicht in Gefahr ist und Jesse ihn nicht ins offene Messer laufen lassen will, passiert ja nichts und ich kann eigentlich getrost mitmachen, als Erinnerung an alte Zeiten. Schade nur, dass ich mit ihm auf Tour bin und nicht mit meinem alten Team. Die würden sich an meiner Stelle ihrer Verantwortung bewusst sein, also warum mache ich mir überhaupt so einen Kopf?' Fireball erhob sich und warf zornig den Halm beiseite.

'Ich muss einfach beides schaffen! Zeit, einige Dinge zu klären.'
 

„Jesse“, rief er, als er mit entschlossenen Schritten ins Haus zurückkehrte.

„Was ist?“, sah Jesse von seinem Laptop auf.

„Erstmal will ich ein paar Antworten.“

„Ich habe schon darauf gewartet“, erwiderte Jesse amüsiert und lehnte sich entspannt zurück, als Fireball sich setzte.

„Wenn unsere Partnerschaft“, Fireball machte bei dem Wort Anführungszeichen in der Luft, „funktionieren soll, denke ich, habe ich das Recht dazu, ob es dir schmeckt oder nicht. Es versteht sich von selbst, dass ich ehrliche Antworten erwarte.“

„Wie sagtest du doch gleich? Wir werden uns schon irgendwie ein bisschen gegenseitig vertrauen müssen, wenn wir zusammenarbeiten wollen? Du hast deine Geheimnisse und ich darf keine haben oder wie stellst du dir das vor? Aber gut, von mir aus, ich bin also auf dem Prüfstand. Du sollst sehen, dass ich deines Vertrauens würdig bin. Was willst du wissen?“

„Zuerst will ich wissen, wie du entkommen bist. Wir alle dachten, du wärst tot!“ Das war etwas, was Fireball brennend interessierte. Immer wieder hatte er über Jesses Schicksal nachgedacht. Er war der Meinung, dass er den Tod verdient hatte, und trotzdem hatte er sich Szenarien ausgemalt, wie es gewesen wäre, wenn Jesse damals nicht übergelaufen wäre. Ob der Krieg dann viel früher beendet gewesen wäre? Wäre Jesse Teil einer Star Sheriff-Elite-Einheit geworden oder sogar ins Ramrod-Team geholt worden? Fragen, die wohl auf ewig unbeantwortet blieben.

Unwillkürlich fuhr Jesses rechte Hand an seine linke Seite und für nicht mal eine Sekunde sah Fireball Schmerzen auf dem Gesicht seines Gegenübers.

„Ich war nie tot“, knurrte Jesse. „Vielleicht freut es dich aber zu hören, dass ich schlimmste Verbrennungen und Verletzungen davongetragen habe. Die Mönche von Moai haben mich gefunden und wieder hergerichtet, weiß der Teufel warum.“

Selbst wenn Jesse mit Absicht verschwieg wie lange seine Heilung gedauert hatte, konnte sich Fireball ungefähr ausmalen, was er durchgemacht haben musste. Er fragte sich, wie schlimm die Spuren waren, die er davongetragen hatte und die bestimmt heute noch zu sehen waren. Fireball schluckte trocken und fixierte Jesse wieder.

„Glaube es oder lass es - es liegt mir fern, mich über deine Verletzungen zu freuen. Wir haben getan, was getan werden musste, nachdem der Waffenstillstand gebrochen und ein Frieden unmöglich geworden war. Das weißt du genauso gut wie ich. Aber wir sitzen hier nicht zusammen, um die alten Geschichten aufzuwärmen, sondern um einen neuen Krieg zu verhindern, falls sich deine mysteriösen Andeutungen als wahr erweisen. Kann ich also weitermachen?“

Jesse schien Fireballs Äußerung nicht zu schmecken, vertiefte die Diskussion aber nicht und machte er nur eine kurze Handbewegung, um seine Zustimmung zu signalisieren.

„Die Phantomzone existiert also noch“, fuhr Fireball fort, worauf sein Gegenüber nickte. „Wie bist du von dort geflohen?“

„Mit einem alten Gleiter, den ich heimlich auf Vordermann gebracht habe, damit mir der Dimensionssprung gelang. Ich glaube, Saber forscht an einem Antrieb, mit dem er solche Sprünge machen kann. Bisher war nur noch nichts zu finden.“

„Dazu später“, winkte Fireball ab. „Ich bin noch nicht fertig. Wie sieht es in der Phantomzone aus?“

„Es ist dunkel, kalt und karg.“

„Weiche mir nicht aus!“, zischte er verärgert. „Was machen die Outrider? Rüsten sie auf? Planen sie etwas? Können sie in unsere Dimension springen? Wer hat überlebt? Nemesis? Wer noch? Solche Sachen will ich wissen! Lass deine Spielereien oder ich bin gleich wieder weg. Du hast mich um Hilfe gebeten, nicht umgekehrt!“

„Schon gut, schon gut!“, lenkte Jesse ein, „alte Gewohnheiten legt man nicht so schnell ab.“ Er fuhr sich durch die Haare und wirkte etwas betroffen dabei, wie Fireball zufrieden feststellte.

„Die Tritonmaterie ist komplett zerstört und es herrscht totales Chaos. Du kannst dir bestimmt denken, dass ich das anfangs nicht verfolgen konnte. Als ich die Phantomzone endlich verließ, war sie noch in der Wiederaufbauphase. Sie haben wenig Energie, wenig Nahrung, kaum Technik, dafür umso mehr Machtkämpfe und Krankheiten. Ich habe nicht den Eindruck gehabt, dass die Outrider soweit sind, schon wieder ans Aufrüsten zu denken, falls sie das überhaupt jemals tun werden. Sie haben selbst so viele Jahre nach dem Krieg zu viele eigene Probleme, mit denen sie sich beschäftigen. Im Prinzip geht es ums nackte Überleben.“

„Kein Wunder, dass du da abgehauen bist. Klingt ja nicht gerade rosig. Gibt es einen Nachfolger für Nemesis?“

„Sogar einige. Dark war einer von ihnen, Calibos und Orat. Es gab andere dazwischen, die sich nicht so lange halten konnten, und ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wer es jetzt ist.“

Fireball beugte sich vor und betrachtete Jesse eindringlich. „Springst du nicht manchmal zurück, um nachzusehen?“

„Wenn du wissen willst, ob ich ein Spion bin: nein. Ich habe mit der Phantomzone abgeschlossen. Wie du schon festgestellt hast, lebt es sich hier angenehmer als dort.“

„Das hat dich damals auch nicht davon abgehalten, überzulaufen!“, bemerkte Fireball trocken.

„Du kennst die Gründe dafür genau!“, erwiderte Jesse im selben Tonfall und hielt dem bohrenden Blick stand.

„Ich verstehe dein Interesse nicht, den Krieg, den Saber angeblich plant, zu verhindern. Vielleicht hast du die Güte, es mir zu erklären?“

„Ein Krieg im Leben ist genug, findest du nicht, Fireball? Oder sehnst du dich etwa danach? Ich für meinen Teil möchte so etwas nicht noch einmal erleben und das meine ich verdammt ernst!“, antwortete Jesse nachdrücklich und beugte sich nun nach vorne, um ihn zu mustern. „Sind deine Fragen jetzt beantwortet?“

Fireball forschte in Jesses Augen, konnte aber keine Spur von Unwahrheit darin erkennen.

„Fürs Erste bin ich zufrieden“, bestätigte er und stieß einen kleinen, erschöpften Seufzer aus. Jesse schien seiner Sache sehr sicher zu sein und hatte souverän jede einzelne Antwort gegeben.

„Gut. Wenn wir schon dabei sind, will ich auch ein paar Antworten von dir.“

„Okay, von mir aus. Das ist nur fair.“

„Ich war überrascht, als ich erfahren habe, dass du wieder in deinen alten Job zurückgekehrt bist. Wie kommt‘s, dass du nach allem, was gewesen war, und als Held des Neuen Grenzlands den Star Sheriffs den Rücken gekehrt hast?“

Fireball spürte wie sich seine Augen zusammenzogen. War das nur eine Testfrage, um ihn auf die Probe zu stellen? Schließlich war dies ein offenes Geheimnis und so ziemlich jeder kannte diesen Teil seiner Vergangenheit, denn sein Leben stieß eben als jener Held des Ramrod-Teams auf großes öffentliches Interesse und es war ein Leichtes für Jesse, seine Geschichte zu überprüfen. Deshalb konnte Fireball nur mit der Wahrheit antworten.

„Caroline, meine Frau, bat mich damals darum. Sie hatte Angst, mich zu verlieren, wenn es wieder Krieg gäbe. Da wir andere Pläne hatten, stimmte ich zu, denn ich wollte nicht, dass meine Kinder ohne ihren Vater aufwuchsen, so wie ich.“ Er schluckte hart und bemerkte wieder den Druck in seiner Brust, wie häufig in letzter Zeit, seitdem der Rosenkrieg ausgebrochen war. „Nach dem letzten Gefecht hatten wir alle uns eine Auszeit genommen“, erzählte Fireball, und Jesse wusste, dass das „Wir“, das Fireball jetzt benutzte, ihn, Saber, Colt und April umfasste, nicht Fireball und Caroline.

„Als nach einiger Zeit wieder Normalität im Neuen Grenzland eingekehrt war und die Star Sheriffs nicht mehr so dringend gebraucht wurden, nahm ich wieder an Rennen teil, weil mir die Action fehlte. Trotzdem war ich aber immer noch Teil der Star Sheriffs und fühlte mich auch so, bis Caroline mich vor die Wahl stellte. Hätte ich gewusst, dass sie nur meinen Ruhm und mein Geld wollte, hätte ich damals anders entschieden! Jetzt zeigt sie ihr wahres Gesicht!“ Obwohl Fireball leise sprach, konnte Jesse den Zorn in seiner Stimme bemerken. Fireball war blass und presste seine Fingernägel in die Handballen, was Jesse zu einem Stirnrunzeln verleitete. „Glaube mir, wenn ich könnte, würde ich den Krieg mit der Phantomzone gegen den tauschen, den ich jetzt führe.“

„Ich habe immer gedacht, du würdest mit April zusammen sein“, bemerkte Jesse leichthin.

„April?“, wiederholte Fireball verblüfft und winkte ab. „Weißt du, wenn man Tag und Nacht zusammenhängt, dann sieht man manchmal Dinge, die unter normalen Umständen gar nicht dagewesen wären. So war es auch bei uns; wir passten nicht zusammen und das haben wir zum Glück relativ schnell gemerkt. Also ließen wir es wieder sein“, antwortete Fireball ehrlich. „Wie stehst du inzwischen zu ihr? Bist du etwa immer noch in sie verknallt?“ Ein wenig Farbe kehrte in sein Gesicht zurück, als er Jesse breit angrinste.

Jesse grinste zurück: „Ach, sie war nur eine Schwärmerei aus verletztem Stolz, weil ich sie nicht haben konnte. Nichts weiter, ich bin schon lange über sie weg.“

„Hast du eine neue Freundin?“

„Nicht, dass es dich was angehen würde, aber nein. Außerdem stelle ich jetzt die Fragen.“

„Jaja, schon okay“, wiegelte Fireball ab.

„Wo wir schon beim Thema sind, wird deine Frau dich nicht suchen?“

„Sie ist froh, wenn sie über mich herziehen kann und meinen Kindern und sämtlichen Reportern Lügengeschichten über mich erzählen kann“, antwortete Fireball mit unterdrücktem Zorn in der Stimme. „Es ist höchst unwahrscheinlich, dass sie mich suchen wird.“

„Ich verlasse mich auf deine Einschätzung. Was ist mit deinen Fans und den Reportern? Besteht die Gefahr, dass sie dir auflauern oder dich verfolgen?“

Fireball schnaubte verärgert. „Als Fans würde ich die Leute, die an meiner Person interessiert sind, nicht mehr bezeichnen. Ich betrachte sie inzwischen als meine neuen Feinde. Man muss selbstverständlich damit rechnen, dass sie immer auf ein Foto aus sind, schließlich verdienen sie ihr Geld damit. Ist das ein Problem für dich?“

„Ich weiß eben gerne, auf was ich mich einstellen muss.“

„Deswegen ziehe ich mich oftmals etwas anders an, wenn ich mich in der Öffentlichkeit aufhalte und keinen Bock auf Paparazzi oder Interviews habe. Meine Tarnung sozusagen. Ich bin inzwischen ziemlich gut darin, im Gegensatz zu dir. Mit deinen schwarzen Haaren erkennt man dich trotzdem.“

„Schon vergessen – ich bin tot. Ich muss mich nicht tarnen, ich will einfach nicht auffallen“, knurrte Jesse.

„Das sind ja ganz neue Töne von dir. Früher musstest du immer im Mittelpunkt stehen“, provozierte Fireball Jesse.

„Das wird mir langsam zu doof“, schnaubte Jesse und ging in die Küche, wo er sich ein Glas Wasser einschenkte. Wieso fiel es ihm so schwer, so gelassen zu bleiben wie früher, als er über allen Dingen stehen und lästige Fragen einfach so an ihm abprallten lassen konnte? Er hörte, dass Fireball ihm folgte und trank genervt einen Schluck.

„Hör zu Jesse, ich hab es nicht so gemeint. Ich will dir nicht zu nahe treten, aber ich will eben wissen, woran ich bei dir bin. Die Vergangenheit kann ich nicht so einfach vergessen. Ich bin jedenfalls nicht grundlos mit dir mitgekommen und will mit eigenen Augen sehen, ob das stimmt, was du über Saber herausgefunden hast. Deshalb höre ich dir zu und versuche, dir zu vertrauen, obwohl es mir zugegebenermaßen nicht leicht fällt. Aber vielleicht ändert sich das ja mit der Zeit.“ Fireball fuhr sich verlegten durch seine Haare und fixierte Jesse, der sich inzwischen zu ihm umgedreht hatte.

„Im Moment verläuft mein Leben jedenfalls nicht gerade so wie ich mir das vorstelle und ich muss dringend einige Dinge geradebiegen. Dinge, die ich die ich nicht auf die lange Bank schieben kann.“

„Zum Beispiel?“, unterbrach Jesse und lehnte sich möglichst lässig an die Küchenzeile, um seine innere Anspannung zu überspielen. Fireball war trotz seiner aktuellen Situation so ehrlich und offen zu ihm, dass es fast lächerlich war. Er vertraute ihm, einem Ex-Verräter, mehr als seiner einstigen großen Liebe.

„Allem voran meine Scheidung“, antwortete Fireball missmutig. „Deshalb will ich so schnell wie möglich mein Haus verkaufen und meine Habseligkeiten dort wegholen. Es gehört zwar mir, aber ich will es am besten noch vor dem Gerichtstermin loswerden, von mir aus für einen Interconti, damit sie nichts davon hat! Wenn ich den ganzen Mist hinter mir habe, will ich da sowieso nicht mehr wohnen.“ Seine Augen blitzten zornig, als er das sagte.

„Willst du mir damit etwa sagen, dass du schon wieder aussteigen willst, wo du gerade erst Hals über Kopf mitgekommen bist?“ Jesses Blick veränderte sich zu einer dunklen Warnung.

„Nein. Aber vielleicht gibt es eine Möglichkeit, dass ich beides unter einen Hut bringen kann. Was denkst du?“

„Das geht nicht!“

„Wieso denn nicht? Was spricht dagegen?“

„Wir müssen intensive Recherchen und verdeckte Ermittlungen durchführen, sonst kommt uns Saber vielleicht zuvor, sonst war alles umsonst! Hast du überhaupt eine Vorstellung davon, wieviel Zeit das in Anspruch nimmt?“

„Nein, hab ich nicht“, gab Fireball zu. „Spricht was dagegen, wenn ich die Daten von meinem Haus aus sammle? Was für Daten sind das?“

„Du wüsstest gar nicht, wie du vorgehen und nach was du suchen musst“, bemerkte Jesse sauer.

„Dann zeig es mir oder komm einfach mit!“, schlug Fireball vor. „Sollte doch egal sein, von wo aus wir das machen, oder?“

„Mitkommen?“, wiederholte Jesse perplex.

„Ja, mitkommen. Wenn ich dich vorhin als du mir alles erklärt hast, richtig verstanden habe, wird das meiste doch eh per Computer erledigt, stimmt's?“

„Ja, das ist richtig“, gab Jesse schließlich unwirsch zu. „Könnte funktionieren.“

„Siehst du!“, sagte Fireball erleichtert.

„Wann?“

„So bald wie möglich, damit ich schnell fertig bin. Dazu muss ich nur einige Dinge klären, nur erreiche ich heute niemanden mehr“, stellte Fireball mit einem Blick auf seine Uhr fest. „Spricht was dagegen, wenn ich meinen Laptop an dein Netz hänge?“

„Nein. Meine Leitungen sind sicher, dafür habe ich gesorgt.“
 

Während Fireball seinen Computer holte und aufbaute, griff sich Jesse einen Apfel aus der Obstschale, die auf dem Wohnzimmertisch stand. Seit er wieder hier in der menschlichen Dimension war, verspürte er einen immensen Appetit auf Vitamine und ernährte sich fast nur noch davon. In der Phantomzone gab es dagegen nur synthetische Nährstoffe, die den Körper zwar am Leben erhielten, ihn aber krank und blass erscheinen ließen. Um natürliche Vitamine anzubauen, wie sie in der menschlichen Dimension vorkamen, reichte die dortige Sonnenkraft nicht aus und die künstlichen Sonnen in den Gewächshäusern waren aufgrund des Energiemangels nur ein ungenügender Ersatz. Da auch die Körper der Outrider diese Wirkstoffe zum Leben benötigten, waren chemische Varianten erfunden und hergestellt worden, die als Ersatz dienten, bis man vielleicht eines Tages wieder zu den natürlichen Lebensmitteln zurückkehren konnte.

Aus einer Laune heraus und vielleicht ein bisschen aus Reue, um die angespannte Stimmung zu lockern, nahm Jesse einen weiteren Apfel und hielt ihn Fireball hin: „Falls du Hunger hast.“

„Danke. Den hab ich tatsächlich“, antwortete Fireball überrascht, der auf dem Boden halb unter dem Schreibtisch kniete, um das Stromkabel anzuschließen. Als er fertig war und wieder aufstand, nahm er den Apfel an. „Wollen wir eventuell ‘ne Pizza bestellen?“

„Wir können auch in die Stadt fahren.“

„Ehrlich gesagt mag ich lieber hier bleiben, ich bin inzwischen ziemlich müde“, gestand Fireball, nahm einen Bissen und sah zur Couch. „Kann ich später dort schlafen?“

„Im Nebenraum steht ein Bett, das kannst du nehmen“, erwiderte Jesse und ging in die Küche, um nach einer Karte von einem Pizzalieferanten zu suchen. Irgendwo musste eine sein, die noch übrig war als Jason Barista hier wohnte, aber er fand sie nicht. Die Vorstellung, einen ehemaligen Feind in seinem Haus zu beherbergen, bereitete ihm Bauchschmerzen; rausschmeißen konnte er ihn aber auch schlecht, daher schob Jesse seine Bedenken diesbezüglich rigoros beiseite.

„Du kannst gleich mal testen, ob dein Laptop funktioniert, wir müssen online bestellen“, schlug er vor, als er in den Arbeitsbereich zurückkehrte. „Ich hab keine Karte.“

„Okay“, meinte Fireball und erhob sich vom Boden, um den Rechner zu starten.
 

Bizarr wurde es für Jesses Geschmack ein paar Momente später, als sie nebeneinander sitzend auf den Bildschirm schauten, um ihr Essen auszuwählen. Er war sich sicher, dass es Fireball ähnlich ging. Auch wenn inzwischen mehr als dreizehn Jahre vergangen waren und sich die Zeiten geändert hatten, stand immer noch die Vergangenheit zwischen ihnen und ließ sich nicht so einfach überspielen. Fireball hatte schon im Vorfeld erkannt, dass sie ihre gegenseitige Skepsis ablegen und sich vertrauen mussten, sollte ihre Kooperation funktionieren. Obwohl Jesse das gehört und ihm zugestimmt hatte, wurde ihm erst jetzt richtig bewusst, dass Fireball während ihrer Zusammenarbeit einige private Dinge über ihn erfahren würde, wie zum Beispiel, was er aß oder ob er Langschläfer war oder gerne Musik hörte; eigentlich nichts Weltbewegendes, nur dass da plötzlich jemand in sein Privatleben und fast schon seine Intimsphäre eindrang, die er nach allem, was er in der Phantomzone durchgemacht hatte, lieber nur für sich gehabt hätte.

Umgekehrt würde er ebenso einiges über Fireball erfahren. Aber nun hatte Jesse den Stein ins Rollen gebracht und es gab keinen Weg mehr, ihn aufzuhalten, außer er ließe von seinen Racheplänen ab; das hatte er allerdings nicht vor.

‚Wird sich wohl nicht vermeiden lassen, dass wir uns besser kennenlernen’, dachte er und sein Blick fiel auf seine Hand, die ziemlich verkrampft aussah, so wie er sich fühlte. Jahrelang hatte er sein Leben mit niemandem geteilt und nun würde er mit Fireball gemeinsam zu Abend essen. An sich war es nichts Schlimmes, doch Jesse konnte eine gewisse Scheu nicht leugnen. Vielleicht bemerkte Fireball seine Befangenheit, vielleicht nicht. Jedenfalls klang er ganz locker, als er ihn ansah: „Heute nehme ich eine Pizza Fuoco. Und du?“

‚Was ist schon dabei, wenn er weiß, was ich gerne esse? Ich kann mich wohl schlecht in die Küche zurückziehen, um alleine zu essen?’ Jesse starrte auf die verschiedenen Gerichte, die auf dem Monitor abgebildet waren.

„Wie wäre es mit Nudeln? Die sehen lecker aus!“, schlug Fireball vor. Erriet er etwa, was in ihm vorging?

„Ich nehme nur diesen Salat“, erwiderte Jesse beiläufig und deutete auf das Bild auf dem Monitor. In seinen eigenen Ohren klang seine Stimme gestresst und seine Hand zitterte leicht, als er sie ausstreckte. „Sonst nichts.“

„Okay.“ Fireball wählte die Speisen aus, ließ sich die Adresse von Jesse sagen und schickte die Bestellung los. Dann streckte sich Fireball auf seinem Stuhl aus.

„Ich spüre die Müdigkeit in allen Knochen. Nach dem Essen schlafe ich bestimmt sofort ein. Wo kann ich mich denn aufs Ohr hauen?“

„Komm mit.“ Jesse ging voran in den Flur, von dem aus drei weitere Türen abzweigten. „Hier ist das Bad, das hier ist mein Schlafzimmer und den Raum kannst du dir nehmen.“ Er öffnete die Tür und ließ Fireball eintreten, der seine Tasche geschultert hatte. „Bettzeug ist im Schrank, bediene dich einfach.“

„Danke“, sagte Fireball und grinste ihn an und Jesse merkte ebenfalls, dass sich seine Mundwinkel kräuselten. Die Situation war zu komisch. Aber da er sich unwohl fühlte, ließ er Fireball unter dem Vorwand allein, dass ihm etwas eingefallen war.
 

Der Lieferservice brachte ihr Essen pünktlich und sie aßen schweigend. Danach rauchte Fireball draußen eine Zigarette und genoss die frische Abendluft.

„Hast du was dagegen, wenn ich unter die Dusche springe?“, fragte er, als er ins Wohnzimmer zurückkehrte.

„Mach nur“, winkte Jesse ab und sah kurz von seinem Rechner auf. Fireball zögerte einen Moment und wirkte unschlüssig. „Dann bis morgen“, verabschiedete er sich und verließ den Raum, ehe Jesse etwas erwidern konnte. Hatte er etwa gezögert, weil er nicht wusste, ob er ihm eine gute Nacht wünschen sollte? Unwillkürlich musste er bei dieser Vorstellung lächeln. Fireball hätte auch einfach ohne Grußfloskel gehen können. Aber vielleicht war ihm das eine zuviel und das andere zu wenig. Sein „Dann bis morgen“ war die perfekte Mischung, fand Jesse. Auch er war müde und seine Augen brannten von der Recherchearbeit und auch er würde sich irgendwann hinlegen müssen. Trotz sorgfältiger Planung war ihm nicht in den Sinn gekommen, dass die Möglichkeit bestand, dass Fireball unter dem gleichen Dach wie er schlafen würde. Jahrelang hatte er allein gelebt und er war es nicht gewohnt, jemanden in seiner Nähe zu haben. Selbst wenn er seine Tür abschließen würde, fühlte er sich unsicher, beobachtet und bedroht, dessen war er sich sicher. Im Moment war Jesse dazu nicht bereit, dieses Risiko einzugehen und holte sich einen weiteren, starken Kaffee, um weiterzuarbeiten.
 


 

Es war schon fast neun Uhr, als Fireball am nächsten Morgen aufwachte und mit zerzausten Haaren, in Schlafshirt und Shorts in die Küche ging. Trotz der vielen Informationen hatte er wie ein Stein geschlafen und fühlte sich ausgeruht und gut gelaunt.

Im Haus war es ruhig, nur von draußen drang schwacher, entfernter Straßenlärm herein. Die Sonne erhellte die Räume und er setzte einen Kaffee auf. Solange die Maschine lief, griff er nach seinen Zigaretten, um im Garten eine zu rauchen. Als er das Wohnzimmer betrat, bemerkte er Jesse, der mitten auf seiner Tastatur eingeschlafen war.

‚Sieh mal einer an, du kannst ja richtig unschuldig aussehen’, stellte er schmunzelnd fest und lehnte sich in den Türrahmen, um für einen Moment die ruhigen Atemzüge des anderen zu beobachten. ‚Wahrscheinlich ist es dir unangenehm, wenn du wüsstest, dass ich dich so sehe’, mutmaßte Fireball. ‚Du bist hart zu dir selbst wie zu anderen. Ich vermute, du wolltest die ganze Nacht wach bleiben, weil du Angst hast, dass ich die Star Sheriffs rufe und dich verhaften lasse, während du im Land der Träume weilst. Aber du wirst dich wohl daran gewöhnen, solange unsere Zusammenarbeit besteht. Schön zu sehen, dass auch du nur ein Mensch bist, der Grenzen hat.’ Fireball überlegte wie er sich verhalten sollte. Ihn mit einem flapsigen Spruch á la Colt zu wecken würde die zarten Spinnweben des Vertrauens, die sich gerade bildeten, sofort zerreißen und das wollte er nicht. Plötzlich zischte und brodelte es in der Küche. Fireball bekam einen riesigen Schreck, aber es war nur die Kaffeemaschine, die diese Geräusche von sich gab. Als Jesse sich regte, wandte er sich sofort ab und kehrte kurze Zeit später mit einer Tasse in der Hand zurück.

„Morgen. Kaffee ist gerade fertig geworden“, sagte er beiläufig und ging hinaus in Garten, um endlich seine morgendliche Zigarette zu rauchen. Er merkte, dass Jesse ihm erschrocken hinterher starrte. Heute Nacht würde er wohl im Bett schlafen, denn diese Übernachtungsposition hatte ihm sicherlich einen verspannten Nacken beschert und die Tastatur war als Kopfkissen bestimmt auch nicht der Renner.
 

Jesses Herzschlag beruhigte sich schnell, als er sah, dass Fireball in Schlafklamotten und barfuß herumlief, als wäre es das normalste der Welt. Er fühlte sich scheinbar schon wie zu Hause. Gerädert strich Jesse sein Haar zurück, stand auf und streckte sich. Vielleicht hatte er sich einfach nur zu viele Gedanken gemacht, dass Fireball ihn im Schlaf überwältigen konnte? Was dachte sein „Gast“ jetzt von ihm? Der war jedenfalls ausgeruht.

Leicht verstimmt über sich selbst und seine Paranoia ging er ins Badezimmer, um sich mit einer Dusche zu erfrischen und die peinlichen Tastaturabdrücke auf seiner Wange zu glätten. Danach würde der Tag hoffentlich anders aussehen.
 

Als er eine halbe Stunde später besser gelaunt und einigermaßen wach ins Wohnzimmer zurückkehrte, fand er Fireball telefonierend vor. Scheinbar war es ein längeres, wichtiges Gespräch, denn Fireball saß am Schreibtisch und er hatte einen Notizblock vor sich liegen, auf dem er einiges aufgeschrieben hatte. Weil Jesse im Moment keine Eile hatte, nahm er sich einen Apfel sowie seinen inzwischen ausgekühlten Kaffee und setzte sich auf die Couch. Er schaltete den Fernseher an, um ein wenig herumzuzappen. Beim Durchschalten der Kanäle, bekam Jesse fast nur die gleichen Berichte über Fireball und sein desaströses Ende im Formel 1-Zirkus, das im Moment Thema Nummer Eins auf allen Sendern war. Selbstverständlich wurden auch Interviews mit den anderen Teams und seiner angehenden Exfrau gezeigt. Jesse sah es sich an.

„Lass mich ausreden, Carl!“, hörte Jesse Fireball sagen. Er klang gereizt. „Ich möchte, dass du das Team für mich auflöst. Ich steige komplett aus dem Rennzirkus aus. Die Wagen können verschrottet werden, sie taugen eh nichts. Saul und Lee sind mit sofortiger Wirkung freigestellt. Stell ihnen eine Kündigung in meinem Namen aus und zahle ihnen ihr Gehalt. Sie können sich was anderes suchen, wobei ich meinen Hintern drauf verwetten könnte, dass Saul eh schon mit dem Harrison-Team angebandelt hat.“ Fireball schwieg einen Moment und Jesse sah aus dem Augenwinkel, dass er einen Haken auf dem Notizblatt machte.

„Mach einfach wie du denkst“, gab Fireball seinem Anwalt freie Hand und krallte seine Finger in seine Haare, die schlimmer als sonst abstanden. Jesse bemerkte, dass er zu ihm hinüber sah und innehielt.

„Was? Moment!“, sagte Fireball er zu seinem Gesprächspartner, ehe er mit forschen Schritten zu ihm kam. „Kannst du den Schrott nicht ausmachen!“, herrschte er ihn an und schaltete im gleichen Moment den TV mit einem kräftigen Schlag auf die Fernbedienung ab. „Die erzählen eh nicht die Wahrheit! Wenn du unbedingt was wissen willst, frag gefälligst mich!“ Er blitzte Jesse wütend und warnend an, dass dieser ja nicht wagen sollte, noch einmal so ein Programm anzuschalten. Erst als Jesse mit einem angedeuteten Schulterzucken reagiert hatte, hob Fireball sein Handy wieder ans Ohr und konzentrierte sich wieder auf sein Gespräch.

„Was hast du eben gesagt, Carl?“ Sein Tonfall war sehr angespannt, und Jesse fiel auf, wie blass Fireball wieder geworden war und dass seine Hände zitterten, als er nach dem Kugelschreiber griff. Er nahm Fireballs Ausbruch gelassen und teilweise amüsiert hin, kaute langsam seinen Apfel, während er dem Telefonat lauschte. Er hoffte, dass Fireballs Nerven nicht noch mehr mit ihm durchgehen würden, im Moment schienen sie nicht gerade belastbar zu sein.

„Ja, auch die Mechaniker und die Konstrukteure. Alle!“, bestätigte Fireball abermals wütend. „Von mir aus können sie was neues gründen, wenn sie unbedingt wollen, das ist mir so was von egal! Nur sollen sie mich aus allem raushalten, klar?“ Wieder folgte ein längeres Schweigen, in dem Carl einiges erklärte. „Setz einfach was auf, wovon du meinst, dass es richtig ist und schick es mir“, bat Fireball müde und verabschiedete sich, nur, um gleich mit dem nächsten zu telefonieren. Diesmal war es ein Makler und das Gespräch dauerte nicht ganz so lange. Fireball vereinbarte einen Besichtigungstermin und atmete ein paar Momente tief durch, nachdem er aufgelegt hatte.

„Ich muss für ein paar Tage weg“, erklärte er ohne aufzusehen.

„War nicht zu überhören und außerdem hast du gestern schon solche Andeutungen gemacht“, erwiderte Jesse. „Da hast du allerdings nicht von ein paar Tagen gesprochen.“

Fireball fixierte ihn einen Moment lang. „Es ist nur so, dass ich dieses … Elend endlich abschließen will. Was denkst du denn wie schnell man ein Haus ausräumen kann? Außerdem warst du einverstanden, dass wir die Recherchen von überall durchführen können und dass du mitkommst, oder hast du das schon wieder vergessen?“

„Richtig, das war ich“, entgegnete Jesse und trat zu ihm. „Aber man kann auch eine Firma beauftragen, die machen sowas, dann hat man selbst keine Arbeit damit.“

„Meinst du, ich hab Lust darauf, dass wildfremde Leute mein Haus ausräumen nach allem, was in derzeit in der Presse los ist? Das wäre ein gefundenes Fressen für die! Außerdem würde Caroline sofort auf der Matte stehen und das zu verhindern wissen. Das ist nicht Sinn der Sache!“

„Hab's schon kapiert. Je schneller du das hinbekommst, umso besser. Es gibt noch etliche Beweise zu finden und auszuwerten, ehe das alles an die Presse geht. Wir dürfen keine Zeit zu verlieren, sonst ist der Krieg schneller da als wir fertig sind!“

„Ich bin nicht dein Sklave, Jesse!“, bemerkte Fireball mit unterschwelligem Zorn, woraufhin Jesse amüsiert lächelte.

„Reizende Vorstellung, aber das hat niemand behauptet. Ich dachte nur, dass du es ernst meinst, als du mitgekommen bist! Aber scheinbar habe ich mich getäuscht und du bist nichts weiter als ein Heuchler!“ Jesses Stimme troff vor Sarkasmus und er merkte, dass er Fireball an der richtigen Stelle getroffen hatte, denn dessen Lippen pressten sich zu einer schmalen Linie zusammen und seine Hand krampfte sich um den Kugelschreiber.

„Ich muss es einfach tun!“, presste Fireball nach ein paar Momenten hervor. „Entweder du kommst mit oder du bleibst hier, deine Entscheidung!“

Jesse biss seine Backenzähne aufeinander. Fireball war in dieser Hinsicht verdammt stur und würde keinen Millimeter davon abrücken.

„Dein Haus ist hoffentlich nicht von Reportermassen umstellt“, sprach Jesse seine einzige Sorge aus.

„Ich kann dich beruhigen. In dieses Wohngebiet kommt man nur mit vorheriger Anmeldung oder in Begleitung. Reporter und Fans haben da keine Chance.“

„Na gut. Mir bleibt eh nichts anderes übrig, als dich beim Wort zu nehmen. Dann lass uns keine Zeit verlieren. Je eher wir dort sind und du anfangen kannst, umso besser!“

The Fall of Loyality

Bald waren sie in Longview angekommen, einem nobleren Wohnort auf Yuma, der mit allerlei Sicherheitspersonal und -kontrollen versehen war. Fireball hatte Jesse darüber aufgeklärt, dass viele Prominente hier wohnten, weil sie hier einen Zufluchtsort vor lästigen Reportern und Neugierigen fanden.

„Ziemlich groß, deine Hütte“, bemerkte Jesse, als er hinter Fireball eintrat. Wie die Gegend vermuten ließ, bot das Haus einigen Luxus. „Hätte nicht gedacht, dass du auf so was Wert legst.“

„Es war nicht meine Idee, hierher zu ziehen“, blaffte Fireball. „Hier ist es wie auf dem Friedhof, nicht einmal … ach, vergiss es. Das Kapitel ist eh bald vorbei.“

Jesses Blick blieb an einem Familienfoto hängen und er nahm es in die Hand. Unwillkürlich musste er schmunzeln, als er die beiden Mädchen betrachtete, die dem Fotografen die Zunge herausstreckten und herumalberten. Fireball und seine Frau lachten darüber; damals schienen sie wirklich glücklich gewesen zu sein.

‚Ich war niemals glücklich!’, dachte Jesse neidisch und spürte Missgunst in sich aufsteigen. Er hätte es sein können, wenn sie nicht gewesen wären und genau deswegen hatten sie seine Rache verdient. Er würde seine ehemaligen Feinde nicht einfach töten, sondern sie ganz langsam dahin bringen, wo er selbst gewesen war: nach ganz unten. Fireball war zwar schon annähernd dort angekommen oder zumindest auf dem besten Weg dorthin. Daher musste Jesse sicher sein, dass er ihm gut zuredete, damit er sich ein wenig von seinem Elend erholte, um ihm dann endgültig den Rest zu verpassen; damit sicher war, das er für seinen Untergang verantwortlich war. So wie Colt und Saber Rider. Sie sollten alle am eigenen Leib spüren, wie es war, alles zu verlieren.

Jesse legte den Rahmen weg, mit der Bildseite nach unten, und folgte dem ehemaligen Star Sheriff ins riesige Wohnzimmer. „Wo sind eigentlich deine Frau und deine Kinder?“

Fireball fuhr so plötzlich herum als hätte ihn eine Wespe gestochen.

„Bei ihrem Neuen“, schnaubte er und seine Augen blitzten zornig. „Ich fange sofort mit dem Packen an, damit ich keine Zeit verliere und so schnell wie möglich hier rauskomme.“ Er setzte seinen Weg fort in einen angrenzenden Flur und hob erklärend seine Hand: „Tu dir keinen Zwang an und fühl dich einfach wie …“, er schien nach Worten zu suchen, „…wie sonst auch.“

‚Wie Zuhause wäre wohl etwas unpassend’, dachte Jesse und sah zu, wie Fireball eine Tür öffnete.

„Du kannst später hier pennen. Die Küche ist da“, er deutete vage in Richtung Wohnzimmer. „Nimm dir einfach, was du brauchst. Falls was ist, du findest mich oben.“
 

Das hatte sich Jesse wirklich anders vorgestellt. Fireball räumte fast die ganze Nacht lang in den Kinderzimmern herum und polterte so laut, dass Jesse sich weder auf die Nachforschungen konzentrieren konnte noch Schlaf fand. Nach nur wenigen Stunden Ruhe tobte Fireball weiter wie ein Tornado durch das Haus, packte Kartons, sortierte, telefonierte und warf alte Dinge weg. Papier und Kisten stapelten sich und das Chaos wurde in den nächsten Tagen immer größer und unübersichtlicher. Es war offensichtlich, dass das Haus Fireball nicht gut tat.

Jesse wurde davon und von der Hektik, die der Hausherr verbreitete, ebenso gereizt wie dieser und es fiel ihm schwer, weiterhin geduldig zu bleiben. Eine Auszeit war dringend notwendig, aber er wäre nicht Jesse, wenn er sich eine solche genehmigen würde. Beharrlich forschte er weiter und stieß dabei auf eine interessante Gelegenheit, die ihnen Abwechslung bieten würde.

„Fireball!“, rief Jesse nach dem anderen, der irgendwo im oberen Stockwerk herumfuhrwerkte.

„Was ist?“ Er klang eindeutig schlecht gelaunt.

„Was hältst du davon, wenn wir uns mal eine Pause gönnen und heute Abend ausgehen? Elegant und teuer.“ Jesse freute sich regelrecht, denn es bedeutete endlich ein weiteres Vorankommen in der Suche nach Beweisen. Die ständige Recherchearbeit am Computer und in Zeitungen war auf die Dauer sehr ermüdend und langwierig, da die Informationen sehr versteckt waren. Endlich war Bewegung in die Starre gekommen.

„Warum sollte ich mit dir ausgehen und dann ausgerechnet teuer?“, wollte Fireball wissen und zog eine Augenbraue hoch. Er lehnte am Geländer der Galerie und schaute zu ihm ins Wohnzimmer herunter.

„Weil wir heute Abend ins Margaux gehen; das ist ein Nobelrestaurant. Saber hat einen Termin mit zwei Herren von Rockwell. Sie treffen sich um acht.“

„Du meinst … wir beschatten Saber?“, fragte Fireball skeptisch.

„Du hast es erfasst. Rockwell ist ein Rüstungsunternehmen und ich denke, der Termin könnte verdammt interessant und aufschlussreich werden.“

Fireball presste seine Lippen zusammen. Dass ihm das ganz und gar nicht gefiel, konnte Jesse deutlich erkennen. „Was, wenn er uns erkennt?“, gab er zu bedenken. „Und woher hast du diese Informationen?“

„Ich habe zuverlässige Kontakte“, erklärte Jesse, der seine Informationsquelle natürlich nicht preisgab. Seine Rachemission schien wirklich unter einem guten Stern zu stehen, denn dass er diesen Kontakt hergestellt hatte, war anders nicht zu erklären. Es handelte sich um Vincent Noir, einen von Saber Riders vier Bodyguards, der seit einigen Monaten für Saber arbeitete und auf den er durch Zufall gestoßen war. Obwohl Vincent von Saber nicht schlecht bezahlt wurde, hatte er nichts gegen ein zusätzliches Einkommen, denn er verwettete sein Geld sehr gerne bei Boxkämpfen, Pferderennen, Fußball und allen möglichen anderen Gelegenheiten. Er war chronisch pleite und musste sich immer wieder Geld von seinen Eltern und seiner Schwester leihen, die ihm deshalb schon oft die Hölle heiß gemacht hatten.

Als Jesse Vincent dieses Angebot unterbreitete, war dieser gleich Feuer und Flamme gewesen. Jesse hatte sich ihm gegenüber als Reporter ausgegeben, der einen Kontaktmann brauchte, um die besten Berichte schreiben zu können, damit seiner Karriere nichts mehr im Weg stünde. Vincent ging auf diesen Deal ein und versorgte den vermeintlichen Reporter zuverlässig über die geheimen Vorhaben des Präsidenten. Jesse bezahlte ihn gut und Vincent war sehr verschwiegen, was ihre Zusammenarbeit betraf, ein Umstand, den Jesse sehr zu schätzen wusste.

„Saber wird uns nicht erkennen, wenn wir uns verkleiden und einen Tisch aussuchen, der nicht direkt einsehbar ist. Es gibt viele Pflanzen dort, die uns Sichtschutz geben können“, erklärte Jesse, der die Homepage des Edelrestaurants aufgerufen hatte. „Perücken und Zeug habe ich in meiner Wohnung. Außerdem brauchen wir ein paar unauffällige Abhör- und Aufnahmegeräte.“

„Ist das nicht trotzdem ein zu hohes Risiko?“ Fireball wand sich wie ein Aal.

„Nur, wenn wir als wir selbst dort auftauchen würden“, erwiderte Jesse und lehnte sich zurück, um Fireball besser ansehen zu können, der sichtlich mit sich haderte und überlegte, wie er das vermeiden konnte. Ein gefundenes Fressen für Jesse. Er fühlte sich wie eine Katze, die mit ihrer Maus spielte, bevor sie sie tötete. „Was ist, willst du etwa den Schwanz einziehen wie ein Feigling?“

„Ich muss hier fertig werden“, konterte Fireball wütend. Es war ein schwaches Argument.

„Auf ein paar Stunden mehr oder weniger kommt’s wohl nicht an, oder? Wenn dir das allerdings lieber ist, dann gehe ich alleine. Aber dann wirst du leider eine perfekte Gelegenheit verpassen, live dabei zu sein, wenn Saber seine krummen Geschäfte macht. Es wäre gut, wenn du das endlich mal mit eigenen Augen siehst!“ Zugegebenermaßen, das war sehr hoch gepokert, nur ließ Fireball sich nicht anders aus der Reserve locken.

„Was passiert mit uns, wenn wir auffliegen? Hast du eventuell schon mal daran gedacht, hm? Dir ist es vielleicht egal, aber mir nicht!“ Seine Stimme troff vor Hohn.

„Das wird nicht passieren, glaube mir einfach, so wie ich dir geglaubt habe, dass du hier schnell fertig wirst“, entgegnete Jesse.

„Witzbold.“

„Also bist du doch ein Feigling. Von so was musste ich mich besiegen lassen“, spottete Jesse und widmete sich seinem Laptop.

„Ich bin kein Feigling, verdammt, ich prüfe nur sämtliche Eventualitäten!“, verteidigte sich Fireball.

„Wo ist dann dein Problem? Saber wird uns nicht einmal sehen. Wir tun ihm nichts, wir hören nur zu! Du hast dich auf diese Mission eingelassen, schon vergessen?“, erwiderte Jesse erbost und funkelte Fireball an.

„Schon gut, reg dich ab. Ich bin dabei. Lass uns zu dir fahren, um uns auszurüsten“, sagte Fireball endlich und schien besänftigt.

Jesse nickte zufrieden. „Sehr gut. Ich reserviere uns eben einen Tisch, dann können wir los. Wir sollten später getrennt dort hingehen und es nach einem Geschäftstermin aussehen lassen.“

„Ein Geschäftstermin?“

„Ja, hängt mit unserer Tarnung zusammen. Ich erkläre dir alles unterwegs. Nimm einen Anzug mit.“

„Auf was hab ich mich da nur eingelassen?“, murrte Fireball nicht ganz überzeugt. „Aber damit eins klar ist: du zahlst!“
 


 

„Sie können für heute Feierabend machen, Helen, ich habe noch einen Termin“, verabschiedete Saber seine Sekretärin über die Sprechanlage auf seinem Schreibtisch.

„Danke, Sir! Bis morgen!“, antwortete Helen freundlich und Saber schenkte ihr ein kurzes Lächeln. Auf Helen war Verlass. Sie war nicht nur äußerst loyal und vertraulich, sondern verfügte über eine schnelle Auffassungsgabe und dachte mit, was Saber sehr zu schätzen wusste. Außerdem sah Helen hübsch aus und war repräsentativ, wenn ihre Begleitung zu offiziellen Anlässen erforderlich war.

Manchmal überlegte er, eine Affäre mit ihr zu beginnen, aber für solche Annehmlichkeiten hatte er einfach keine Zeit. Seine Aufgabe war es, sich um das Wohl des Neuen Grenzlandes zu kümmern, nicht um sich selbst. Genau das waren die Worte gewesen, die Sincia ihm damals enttäuscht vorgeworfen hatte, als sie ihn verlassen hatte. Er sei mit seinem Beruf verheiratet, nicht mit ihr, sagte sie, und damit wollte sie nicht mehr leben. Er ließ sie gehen ohne einen Versuch zu unternehmen, sie aufzuhalten, obwohl alles in ihm hinter ihr her rennen wollte. Stattdessen hatte er ihren Vorwurf stumm akzeptiert und blieb gegenüber dem Grenzland loyal. Schon sein Vater hatte ihn mit aller schottischen Strenge zu Ehrlichkeit, Ehrgeiz und vor allem Loyalität erzogen und ihm immer wieder zu verstehen gegeben, dass es das Wichtigste war, für sein eigenes Land zu kämpfen. Daran hatte sich Saber gehalten. Immer.

Auch nach dem Krieg.

Es hatte ihn seine Ehe und seine Freunde gekostet und viele Bekannte und falsche Freunde gebracht. Und Macht.

Saber war längst nicht mehr so ehrlich wie er erzogen worden war, sondern wusste seinen Einfluss geschickt einzusetzen. Anfänglich war er zurückhaltend gewesen, mittlerweile konnte er andere ohne schlechtes Gewissen manipulieren und nach seinen Vorstellungen springen lassen. Selbst wenn er sich unlauterer Mittel bediente, stand er loyal zum Neuen Grenzland und hatte in der Öffentlichkeit und im Privaten ein vorbildliches Image, obwohl er dieses ewige Spiel manchmal leid war, seine Worte immer wohlüberlegt einzusetzen und möglichst vage zu bleiben. Manchmal reizte es ihn sehr, seinen falschen Freunden ins Gesicht zu sagen, was er von ihnen hielt, aber konnte die Folgen davon sehr gut einschätzen und Saber war nicht dazu bereit, seinen Posten zu räumen. Er hatte alles erreicht, was er erreichen wollte. Aber - war es wirklich das, was er sich immer erträumt hatte oder hatte ihm sein Vater das nur immer glauben lassen und seine eigenen Träume auf ihn übertragen? War der Preis, den er dafür gezahlt hatte, zu hoch?

Schon oft hatte Saber sich darüber den Kopf zerbrochen, insbesondere, nachdem Sincia ihn verlassen hatte. Er war nie zu einem Ergebnis gekommen und eine Antwort würde er darauf nicht mehr bekommen, da sein Vater kurz nach dem Sieg über die Outrider verstorben war.
 

Nun gab es andere Aufgaben, an denen Saber arbeiten musste. Diese waren so geheim, dass er sehr spitzfindig sein musste, um sie zu verwirklichen. Er seufzte, als er an seinen bevorstehenden Termin heute Abend im Margaux dachte. Die französische Küche konnte er einfach nicht ausstehen und schon gar nicht in solch edlen Läden. Aber auch dieses „Opfer“ nahm er geflissentlich auf sich. Alles zum Wohle des Neuen Grenzlandes.

Noch einmal überprüfte er seine Unterlagen, insbesondere die Geheimhaltungsvereinbarungen, die seine beiden Gesprächspartner zu Stillschweigen verpflichteten. Die Formulierung hatte er bewusst vage gehalten, so dass diesem Schriftstück keinerlei technische Details oder eine genauere Angelegenheit verraten wurden, die sie besprachen. Sollte sich eine weitere gemeinsame Arbeit ergeben, würde diese unter einem Anschlussvertrag beschrieben werden, den er sorgfältig aufsetzen musste, denn die Tätigkeiten, die er anstrebte, würden mit Steuergeldern finanziert werden. Manchmal erhob sein Gewissen mahnend den Zeigefinger, aber er übersah es geflissentlich.

‚Das ist nur ein kleiner Preis für die Einwohner des Neuen Grenzlandes’, sagte er sich immer und brachte seine innere Stimme damit zum Schweigen.

Saber hatte erkannt, dass man nur durch solche Mittel seine Ziele umsetzen konnte. Er hatte die Macht dazu und schon längst keine Skrupel mehr, die Steuergelder oder sogenannte Spenden für das einzusetzen, was er für richtig hielt.

Seufzend legte er die Blätter in seine schwarze Ledermappe, steckte den Montblanc-Füller hinein und klappte sie zu. Die goldene, historische Tischuhr mit dem schwingenden Pendel zeigte 17 Uhr an. Normalerweise würde er mindestens zwei weitere Stunden im Büro sein, aber nicht heute, er hatte Wichtigeres zu tun, alles andere musste warten.

Saber nahm sein Jackett vom Haken an der Wand, legte es über seinen Arm und griff nach der Aktentasche, in der er die Ledermappe verstaut hatte. Dann verließ er das Büro, wobei ihm zwei seiner in schwarze Anzüge gekleideten Bodyguards folgten. Sie verhielten sich unaufdringlich, waren aber immer in seiner Nähe.
 

Sein Chauffeur quälte sich durch den Feierabendverkehr, der ihm normalerweise wegen der längeren Arbeitszeit des Präsidenten erspart blieb. Nach etwas mehr als einer Stunde erreichten sie endlich sein Anwesen, das von einem hohen, reich verzierten Sicherheitszaun umgeben war. Eine etwa dreihundert Meter lange Einfahrt führte zum Gebäude, das mit einer modernen, dem Adelsstand angemessenen Einrichtung ausgestattet war.

Seit Sincias Auszug wohnte Saber alleine, abgesehen von einem Koch, einem Butler, einem Gärtner und dem Sicherheitspersonal, doch viele Bilder aus ihrer gemeinsamen Zeit waren immer noch an ihrem Platz. Sie dienten Saber als Warnung, sich nicht mit Frauen einzulassen, auch wenn es ihm nicht an Angeboten mangelte. Er spürte am eigenen Leib, dass eine hohe Stellung zu haben attraktiv machte und Frauen sowie einige Männer anzog wie Licht die Motten.

Gedankenverloren blieb er für ein paar Momente vor seinem Lieblingsbild stehen, das Sincia und ihn während ihrer schönsten, sorgenfreiesten Zeit zeigte, kurz nach dem Kriegsende. Sie standen Arm in Arm im Sonnenschein auf einem windigen Gipfel in Schottland, die Haare zerzaust und strahlten vor Glück bis über beide Ohren. Manchmal wünschte er sich diese Zeiten zurück, da damals vieles einfacher und unbeschwerter erschien als heute. Auch seine Teamkollegen vermisste er von Zeit zu Zeit, aber da sie inzwischen ein eigenes Leben fernab der Star Sheriffs führten und er selbst mehr als genug zu tun hatte, meldete er sich nicht bei ihnen. Manchmal erfuhr er einzelne Neuigkeiten über April, wenn er Admiral Eagle traf; Colt dagegen schien wie vom Erdboden verschluckt. Lediglich Fireball schien sein Privatleben in der Öffentlichkeit auszutragen, denn er war derzeit häufiger in der Presse als damals, als sie zusammen im Ramrod geflogen waren. Dennoch rief er ihn nicht an, obwohl es Fireball offensichtlich nicht gut ging. Saber hatte dringendere Geschäfte zu erledigen und ein Rosenkrieg war keine Angelegenheit, in die sich der Präsident des Neuen Grenzlandes einmischen sollte, selbst wenn es sich um einen sehr guten Freund handelte.

„Die Zeiten ändern sich!“, schüttelte er seine trüben Gedanken ab und konzentrierte sich wieder auf das Hier und Jetzt. Er musste sich langsam mal in Schale werfen, wollte er rechtzeitig im Margaux ankommen.
 

Pünktlich betrat er von zwei Bodyguards begleitet das Edelrestaurant, das sich in einem Hochhaus in der Innenstadt von Yuma City befand. Er hatte einen schwarzen Designeranzug ausgewählt, inklusive eines hellgrauen Hemdes mit einem dezenten Muster und dazu eine klassische, royalblaue Krawatte. Sein Haar hatte er ordentlich zurück gegelt, denn er fand, dass es ihm sehr gut stand und seine mächtige Aura verstärkte, die bei solchen Verhandlungen von Vorteil war.

„Guten Abend, Monsieur Président“, begrüßte ihn der zuvorkommende Kellner mit einer leichten Verbeugung. „Darf ich Sie zu Ihrem Platz führen?“ Da es sich nur um eine rhetorische Frage handelte, setzte dieser seine Worte sofort in die Tat um und geleitete Saber zu einem Tisch an der bodentiefen Fensterfront, von wo aus man eine atemberaubende Aussicht über die Hauptstadt des Neuen Grenzlandes hatte. Gedämpftes Licht und ein dicker dunkelbrauner Teppich sorgte für eine vertrauliche Atmosphäre, angenehme leise französische Chansons als Hintergrundmusik machten das Restaurant zu etwas Besonderem. Die Inneneinrichtung war an das berühmte Schloss Versailles angelehnt, jedoch nicht ganz so prunkvoll, sondern etwas zurückhaltender gestaltet.

Der Kellner rückte dem Gast den Stuhl zurecht, damit dieser sich setzen konnte. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“, erkundigte er sich, während die beiden begleitenden Leibwächter unauffällig ein wenig abseits Stellung bezogen. Zwei weitere warteten vor dem Eingang des Restaurants und beäugten die vorbeilaufende Menge und die folgenden Gäste, ob sich darunter jemand Verdächtiges befand.

„Bringen Sie mir einen ’78er Château de Terme“, bat Saber leicht lächelnd. „Die Karte brauche ich erst, wenn meine Gäste anwesend sind.“

„Sehr wohl“, bekundete der Kellner wieder mit einer leichten Verbeugung und entfernte sich, um das Gewünschte zu holen.
 

Von seinem Tisch aus beobachtete Jesse unauffällig Saber Riders Ankunft. Zur Tarnung trug er eine blonde Perücke mit einer Kurzhaarfrisur, dazu einen angeklebten Kinnbart. Eine schmale, eckige Designerbrille mit breitem Rand rundete sein Erscheinungsbild ab. Das kleine Richtmikrophon und das dazugehörige Aufnahmegerät lagen bereit und nun, da er wusste, an welchem Tisch Saber saß, konnte er es endlich in Position bringen. Von seinem Informanten Vincent wusste er, dass Saber entsprechend auf Abhörmaßnahmen vorbereitet war, doch auch dieses Problem war durch Vincent behoben worden, der Stellung in der Nähe einer großen Pflanze bezogen hatte. Sein Informant wusste nicht, wie Jesse aussah, dafür wusste er genau, welche Aufgabe zu erledigen war – nämlich den Störsender zu deaktivieren, den der Präsident mit sich trug. Es war keine große Sache gewesen, denn Vincent hatte, während sie sich auf des Präsidenten Anwesen befanden, einfach die Batterie gegen eine leere ausgetauscht.

Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet Jesse, dass Fireball gleich eintreffen würde. Das Restaurant war schon gut frequentiert und bot genug Ablenkung, dass es unwahrscheinlich war, dass sie von Saber beachtet wurden.

Während er den ehemaligen Anführer des Ramrod-Teams beobachtete, fühlte Jesse sich ähnlich in der Zeit zurückversetzt wie bei dem Zusammentreffen mit Fireball ein paar Tage zuvor. Bevor sich seine Erinnerungen zu seinem Wutanfall steigerten, wurde sein bestellter Weißwein serviert und lenkte ihn ab.

„Mr. Johansson? Ihr Gast, Señor Delgado.“ Der Maître d’ brachte Fireball an seinen Tisch. Wie als ob sie nur geschäftliche Bekannte waren, erhob sich Jesse und reichte Fireball die Hand, um sie kurz zu schütteln. „Guten Abend, Señor. Es freut mich, dass Sie die Zeit finden konnten“, begrüßte Jesse ihn.

Um auf keinen Fall in irgendeiner Form aufzufallen, hatte Fireball eine Perücke mit einer Halbglatze gewählt, deren graumeliertes Haar in einem Kranz bis kurz unter die Ohren fiel. Dazu hatte er ebenfalls an Gesichtsschmuck nicht gespart - ein Vollbart ähnlich dem von Admiral Eagle zu seinen besten Zeiten prangte in seinem Gesicht sowie eine große, randlose Brille, die aus dem vorletzten Jahrhundert zu sein schien. Seine restliche Verkleidung bestand aus einem cremefarbenen Anzug mit weißem Hemd und einem bordeauxroten Seidentuch, das er um seinen Hals geschlungen hatte. Zum Glück waren sie beide vorgewarnt über ihr Aussehen, sonst hätten beide angefangen zu lachen. Da die Lage ernst war, verhielten sie sich professionell.

Fireball trat als Antiquitätenhändler auf und Jesse hatte einige interessante Angebote zusammengestellt, die sie nach und nach an diesem Abend zum Schein durchgehen würden, während sie das Gespräch von Saber belauschten.

„Mister Johansson, es freut mich, Sie zu treffen“, erwiderte er mit einem leichten Akzent und ließ sich auf einen Stuhl gleiten. Jesse wusste, dass Fireball nervös war, weil er seinen ehemaligen Chef belauschte und fürchtete, erkannt zu werden, doch man merkte es ihm nicht an. Er selbst fühlte sich recht sicher in seiner Verkleidung und war entspannt.

Wegen der vielen Pflanzen und Skulpturen, die für die nötige Diskretion sorgten, hatten sie nur eine unzureichende Sicht auf Saber. Jesse sah, dass Fireballs Augen immer wieder in diese Richtung schweiften, als sei er magnetisch von Saber angezogen.

„Señor Delgado“, räusperte Jesse sich, der Fireballs Abdriften bemerkt hatte. „Was möchten Sie trinken? Einen Weißwein vielleicht?“

„Ähm … ja, sehr gerne“, antwortete er blinzelnd und strich etwas verlegen über seine Halbglatze. Jesse gab dem Kellner ein Zeichen, der sofort zur Stelle war. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass Sabers Gäste ankamen, zwei füllige, ältere Herren mit schmierigem Auftreten. Unter dem Tisch stieß Jesse Fireball leicht ans Schienbein und gab ihm mit dem Augen zu verstehen, dass sich am anderen Tisch etwas tat.

Saber Rider begrüßte die beiden Männer freundlich, die einen gehörigen Respekt vor dem Präsidenten hatten, und bedeutete ihnen, Platz zu nehmen.

Wie Jesse und Fireball am Nachmittag schon vermutet hatten, wurde das Geschäftliche auf nach dem Essen verschoben und solange tauschten sie nur oberflächliches Geplänkel über die bevorstehenden Wahlen, verschiedene öffentliche Projekte und die schwächelnde Konjunktur aus.

Es war ein langweiliges Gespräch und sie mussten sich sehr in Geduld üben, ehe es zum interessanten Teil des Abends überging. Jesse war sich im Verlauf des Abends immer unsicherer geworden, ob er auf Fireballs Loyalität ihm gegenüber zählen konnte. Heute Abend würde es sich entscheiden und vielleicht würde er noch in dieser Nacht untertauchen und ganz schnell Plan B weiter ausfeilen müssen.

Nun konzentrierte er sich auf das Gespräch, das mittels eines Miniempfängers, der in einem kleinen Ohrring verborgen war, mithören konnte. Fireball trug einen ebensolchen versteckt in seinem grauen Haarkranz.
 

Jesses Bedenken waren nicht ganz unbegründet, denn im Verlauf des Abends hatte Fireball mehrmals einen inneren Zwiespalt ausgetragen, ob er nicht einfach aufstehen und Saber zur Rede zu stellen sollte.

‚Saber ist immer noch mein Freund’, sagte die eine Seite von Fireballs Gewissen, die sich gegen Jesse auf die von Saber stellte. ‚Ich sollte ihn direkt mit den Vorwürfen konfrontieren so wie früher, als wir keine Geheimnisse voreinander hatten!’

‚Bist du dir sicher, dass er noch dein Freund ist?’, widersprach die andere Seite, die Jesse glaubte. ‚Habt ihr euch in den letzten Jahren überhaupt etwas zu sagen gehabt?’

Sabers Seite schwieg einen Moment, ehe sie klein beigeben musste: ‚Nein. Kaum.’

‚Saber ist jetzt der Präsident des Neuen Grenzlandes! Er hat andere Dinge zu tun als in der Vergangenheit zu leben und alte Freundschaften zu pflegen, sonst würde er sich häufiger melden beziehungsweise sich überhaupt mal melden!’

‚Wahrscheinlich…’, war die niedergeschlagene Antwort. ‚Und ich habe es versäumt, den Kontakt aufrecht zu erhalten. Genauso wie bei Colt und bei April.’

Jesses Seite legte freundschaftlich einen Arm und die Schultern von Sabers Seite.

‚Ach, das ist nicht so schlimm. Jeder hat inzwischen sein eigenes Leben, Freunde kommen und gehen, so ist das nun mal!’, sprach Jesses Seite weise. ‚Wenn den anderen was an deiner Freundschaft gelegen hätte, hätten sie sich ja genauso melden können, das liegt wohl nicht nur an dir!’

Die andere Seite dachte einen Moment darüber nach und nickte schließlich, wenn auch nicht vollständig überzeugt.

‚Außerdem kannst du jetzt nicht einfach dort rübergehen und Saber so eine Ungeheuerlichkeit vorwerfen, im Beisein von anderen!’

‚Da hast du natürlich recht’, musste Sabers Seite zugeben. ‚Aber später könnte ich es vielleicht tun.’

‚Hör dir doch erst einmal an, was heute Abend passiert! Dann kannst du immer noch entscheiden! Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass Jesse noch derselbe ist wie früher. Genauso wenig wie du oder Saber. Gib ihm eine Chance!’

Statt einer Antwort kehrte Fireball in den Raum zurück und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf das Gespräch zwischen Saber und seinen beiden Gästen.
 

„Meine Herren, ich muss Sie bitten, diese Geheimhaltungsvereinbarung zu unterschreiben, bevor wir nun weiterreden“, kam Saber auf sein Vorhaben zu sprechen.

„Selbstverständlich“, antwortete Corey Barkley und griff nach dem Papier in doppelter Ausfertigung, um seine Unterschrift neben die des Präsidenten zu setzen. Sein Kollege James Richman tat es ihm gleich und gab eines zurück.

„Wie können wir Ihnen zu Diensten sein, Mr. President?“

„Wir haben schon einmal vor ein paar Jahren in einer anderen Angelegenheit zusammen gearbeitet, Sie erinnern sich bestimmt“, begann Saber und Barkley nickte. „Daher weiß ich, dass Sie professionell und diskret handeln. Deshalb möchte ich gleich zum Punkt kommen. Es geht um dieses Material, das zerstört werden muss.“ Saber zog ein Blatt aus der Innentasche seines Jacketts und reichte es seine Gäste, die sofort einen Blick darauf warfen. „Laser zeigen keinerlei Wirkung und auch andere Sprengmaterialien kratzen allenfalls nur minimal an der Oberfläche.“

„Ich habe noch nie ein Gestein mit solchen Eigenschaften gesehen“, bemerkte Richman, „fast, als käme es nicht von dieser Welt.“

„Sie brauchen also Sprengköpfe?“, erkundigte sich Barkley konkret.

Saber ärgerte sich über diese Direktheit. Er wollte bewusst vage bleiben.

„Was Sie entwickeln, überlasse ich Ihnen“, erwiderte er. Natürlich wollte er Sprengköpfe haben, sonst hätte er kaum diese Firma als Partner ausgewählt. „Morgen lasse ich Ihnen Proben des Gesteins in ausreichender Menge zukommen, damit Sie mit Ihren Forschungen beginnen können. Prüfen Sie mit Ihren Wissenschaftlern, ob Sie dieses Projekt umsetzen können und lassen Sie mir umgehend eine erste Einschätzung darüber zukommen“, baute Saber seine Forderungen aus. „Wenn diese positiv ausfällt, können wir die Verträge aufsetzen. Es wäre gut, wenn Sie in spätestens zwei Monaten erste Ergebnisse vorweisen könnten.“

„Wir werden alles in unseren Möglichkeiten Stehende tun“, versprach Barkley geschäftstüchtig. „Wir werden Ihnen die ersten Testergebnisse in spätestens fünf Tagen zukommen lassen.“

„Ich erwarte, dass Sie Ihr Team mit der größtmöglichen Sorgfalt auswählen und den Personenkreis beschränken. Auch diese Leute unterliegen selbstverständlich der Geheimhaltung“, erinnerte Saber. Er sprach ruhig und in autoritärem Tonfall. Seine Gäste sollten merken, wer hier das Sagen hatte „Die Namen der Teammitglieder möchten Sie mir mit den Vorergebnissen mitteilen.“ Es konnte wichtig sein, die Namen derer zu kennen, um möglichen Erpressungsversuchen gewappnet zu sein, sollte es einmal dazu kommen.

„Wie Sie wünschen“, nickte nun Richman, der sich ein paar Notizen in sein elektronisches Notizbuch machte.

„Es ist mir ein Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu machen. Ich werde Ihnen die bei unserem Telefonat genannte Summe auf dem üblichen Weg zukommen lassen“, sagte Saber mit einem smarten Lächeln und hob sein Glas, um mit den beiden anzustoßen.

„Ganz unsererseits“, lächelte Richman und hob ebenfalls sein Glas. Danach löste sich die kleine Runde auf und Saber blieb allein zurück.
 

Jesse schaltete das Aufnahmegerät aus und sah zu Fireball, der sich gar nicht wohl fühlte. Zwar konnte Saber die Sprengköpfe für alles mögliche bestellt haben, doch in Friedenszeiten war eine solche Bestellung höchst ungewöhnlich. Am liebsten wäre Fireball aufgestanden und hätte Saber gefragt, was dies sollte, doch jetzt war er erst recht verwirrt. Jesse hatte die Wahrheit gesagt, als er behauptete, dass Saber nicht mehr der gleiche war. Es erschütterte Fireball zutiefst, wie sehr sich sein ehemaliger Teamgefährte und Freund verändert hatte. Konnte Fireball ihn überhaupt noch als Freund bezeichnen? Er war sich nicht mehr sicher.

„Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch“, sagte er gepresst zu Jesse und konnte sich nur schwer auf seine zu spielende Rolle konzentrieren. Seine Stimme zitterte, als er aufstand und ihm zum Abschied die Hand reichte. „Ich werde mir Ihr Angebot durch den Kopf gehen lassen und Ihnen meine Entscheidung mitteilen. Auf Wiedersehen.“ Damit wandte er sich ab, um das Restaurant zu verlassen. Er spürte Jesses besorgte Blicke in seinem Rücken, der am Tisch sitzen blieb. In etwa zehn bis zwanzig Minuten würde er ihm folgen und sie ihn am Brunnen im nahegelegenen Stadtpark treffen, um gemeinsam zurück zu Fireballs Haus zu fahren.
 

Jesse packte seine Unterlagen zusammen und bestellte die Rechnung. Dieser Abend war sehr gut verlaufen und hatte seine Aussagen über Saber gegenüber Fireball bewahrheitet. Zufrieden und mit einem leichten Lächeln auf den Lippen schwenkte Jesse sein Weinglas und beobachtete wie Saber sich nun zum Gehen bereitmachte. Als er sich umwandte und zum Ausgang ging, sah er kurz zu Jesse, dem der Kellner gerade eine schwarze Mappe mit der Rechnung brachte. Jesse erstarrte eine Nanosekunde in seiner Bewegung und sein Herz schien einen Schlag lang auszusetzen, als er den Blick bemerkte, der jedoch nur rein zufälliger Natur war. Dennoch brachte es ihn mehr aus der Fassung als früher, wenn er solche Aufgaben erledigte. Er presste seine Lippen zusammen, als er die Mappe nahm, um den Rechnungsbetrag plus ein großzügiges Trinkgeld hineinzulegen.

Weil er Saber nicht noch näher kommen wollte, wartete er ungeduldig ab, bis dieser inklusive seiner Bodyguards verschwunden war.
 

Statt zu dem verabredeten Brunnen zu gehen, wartete Fireball unten vor dem Eingang des Hochhauses auf Saber. Er war sehr durcheinander und weigerte sich zu glauben, was er da eben gerade gehört hatte. Eine Zigarette rauchend überlegte er, wie er Saber ansprechen sollte. Sollte er einfach, aber zornig sagen: „Hey Saber, ich bin’s Fireball und ich habe dich belauscht. Ich weiß, was du vorhast! Sag mal, spinnst du?“ Oder war es besser ihn mit einem lockeren „Hi Saber! Lange nicht gesehen!“, zu begrüßen und ihn zu einem Drink in einer Bar um die Ecke einzuladen? Dann fiel ihm ein, dass er verkleidet war und Saber ihn höchstwahrscheinlich nicht erkennen würde und so einfach konnte er seine Perücke jetzt nicht loswerden.

Während er über die beste Variante nachdachte, wurde eine schwarze Limousine vorgefahren und Saber erschien plötzlich im Eingang inmitten seiner vier Bodyguards. Fireball erstarrte, als sein ehemaliger Chef scheinbar aus dem Nichts vor ihm auftauchte. Saber wartete bis ihm die Tür geöffnet wurde und wandte seinen Kopf zu Fireball zu, um ihm ein leichtes Lächeln zu schenken. Er erkannte seinen alten Kampfgefährten nicht und hielt seine Reaktion für Überraschung, die viele Leute an den Tag legten, wenn sie plötzlich und unerwartet dem Präsidenten des Neuen Grenzlandes gegenüberstanden.

„Guten Abend“, grüßte Saber und Fireball konnte nur stammelnd erwidern: „Gu … Guten Abend, Mr. President.“ Dann war Saber schon eingestiegen und die Limousine fuhr los.
 

Etwas später erreichte Jesse den Brunnen, der schwach angestrahlt wurde. Er sah den sichtlich mitgenommenen Fireball mit einer Zigarette in der Hand auf dem Rand sitzen und ging gemächlichen Schrittes zu ihm. Fireball sah auf.

„Das kann Saber doch nicht machen!“, sagte Fireball tonlos.

„Er macht es und zwar nicht erst seit gestern. Glaubst du mir endlich?“

Fireball schwieg und senkte seinen Blick wieder auf den Boden zu. Es war offensichtlich, dass er ihm glauben musste, es aber nicht wollte.

„Ich brauche einen Zeugen, der genau das sieht, was ich aufdecken will“, fuhr Jesse nach einer Weile fort. „Einem einzigen glaubt man nicht, selbst wenn die Beweise auf der Hand liegen!“

„Warum hast du mich ausgesucht?“, wollte Fireball abermals wissen, obwohl Jesse ihm diese Frage schon beantwortet hatte.

„Weil du Saber kennst und mich nicht gleich über den Haufen geschossen hast, als ich mich zu erkennen gegeben habe.“

Fireball streifte seine Perücke und den Vollbart ab, steckte beides nachlässig in seine Jackettasche und fuhr sich mit beiden Händen durch das plattgedrückte Haar. „Warum macht er das?“, fragte Fireball, der Saber einfach nicht verstehen konnte.

„Ich hoffte, dass du mir das erklären könntest“, zuckte Jesse mit den Schultern. „Ich bin kein Psychologe und weiß nicht wie er tickt.“

„Das weiß ich allerdings auch nicht mehr“, gab Fireball resignierend zu, schnickte den Zigarettenstummel weg und erhob sich. „Lass uns nach Hause gehen, ich hab genug für heute!“
 


 

In dieser Nacht und der nächsten schlief Fireball kaum und wenn, wurde er von wirren Träumen heimgesucht, die ihn immer wieder aufschrecken ließen. Seine Vergangenheit vermischte sich mit seiner gegenwärtigen Situation, Saber, Colt, April und Jesse erschienen in seinen Träumen und bildeten eine Zukunft, die sich immer wieder neu formte, sobald er danach greifen wollte. Das Ergebnis erschreckte ihn, aber er konnte sich nicht dazu durchringen, die Wahrheit zu akzeptieren, die Jesse aufgedeckt hatte. Das alles zog ihn tiefer in seine Zerrissenheit und er fühlte sich mit einem Mal schrecklich überfordert.

Seine letzte Kraft wurde ihm zwei Tage später geraubt, als er mit Jesse am frühen Nachmittag am eigenen Wohnzimmertisch über dem Analyseblatt des Materials saß, das Gegenstand des Gesprächs zwischen Saber und den beiden Herren von Rockwell gewesen war. Dieses hatte Jesse in der Zwischenzeit über Vincent besorgen können.

„Es handelt sich eindeutig um Limaranithbasalt, einer extrem harten Gesteinsart, härter als Diamant, die nur in der Phantomzone vorkommt“, sagte Jesse gerade, als sich ein Schlüssel im Türschloss bewegte. „Es ist schon interessant, dass Saber sich damit beschäftigt. Er versucht mit Sicherheit, etwas über die Phantomzone herauszufinden und wie man sie am besten vernichten kann! Wir haben wieder ein Beweisstück mehr!“

„Sht!“, unterbrach Fireball Jesse mit finsterem Blick. Ein helles, weibliches Lachen war zu hören, als die Tür aufgeschoben wurde und die Schritte von zwei Personen zu hören waren.

Fireball fühlte wie sich alles in ihm zusammenzog und Zorn aufwallte.

„Ich muss kurz was klären.“ Forsch gebot er Jesse Einhalt, als dieser ebenfalls aufstehen wollte, und ging mit großen Schritten in den Flur.

„Was zum Teufel hast du hier zu suchen?“, fragte Fireball seine Ex-Frau mit schneidend kalter Stimme.

„Oh, Shinji, du … du bist ja hier!“, stellte sie perplex fest.

„Selbstverständlich. Ich wohne schließlich hier. Also?“

„Wir wollten einfach mal nach dir sehen, Shinji“, erwiderte Nicolas Alvarado, ihr neuer Freund, schlagfertig mit einem kumpelhaften Zwinkern. „Die Formel 1 ist nicht mehr dasselbe nach deinem Ausstieg.“

„Haltet mich nicht für blöd! Raus mit der Sprache!“, zischte Fireball scharf.

Sie rollte mit den Augen und strich ihre hellbraunen Haare zurück. „Du bist so schwer von Begriff. Ich bin gekommen, um die Sachen meiner Kinder abzuholen, Möbel, die du nicht mehr brauchst und so weiter. Du bist ja jetzt allein, da brauchst du schließlich nicht mehr so viel.“ Die gespielte Freundlichkeit war nun vollständig aus ihrer Stimme gewichen.

„Du willst was? Sag mal, spinnst du?“

„Keineswegs. Also lass mich vorbei. Es wäre besser gewesen, wenn du nicht zu Hause gewesen wärst.“

„Damit du mich ausrauben kannst?“ Fireball kochte fast über vor Wut. „Du willst dir wohl einiges persönlich unter den Nagel reißen, aber nicht mit mir!“

„Ausrauben ist wohl eine sehr übertriebene Wortwahl“, bemerkte Caroline schnippisch. Die Anwesenheit und Rückendeckung ihres Lovers Nicolas gab ihr entsprechenden Rückhalt. „Meine Kinder brauchen Geld für Kleidung, Spielzeug und die Schule! Ich erinnere dich gerne daran, dass du als ihr Vater Unterhalt zahlen musst!“, rief sie ihm ins Gedächtnis und betrachtete eingehend ihre perfekt lackierten Fingernägel. „Die Presse wird sich jedenfalls sehr dafür interessieren, dass du nicht zahlen willst und dich kein bisschen für sie interessierst.“

„Nun“, äffte Fireball ihren überheblichen Tonfall nach. „Diese kleine Tatsache ist mir nicht entgangen und den Unterhalt werde ich selbstverständlich zahlen. Aber nur für meine Kinder, nicht für dich wie du dir das vorstellst! Und schon gar nicht in Form von Möbeln!“ Seine vor Zorn blitzenden Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Wieso zur Hölle hast du überhaupt noch einen Schlüssel?“

„Aus Sehnsucht nach dir sicherlich nicht“, bemerkte Jesse, der Fireball nie so außer sich erlebt hatte und dieses Schauspiel nicht länger ertragen konnte. Nicolas und Caroline erschraken über sein Erscheinen, und bevor sie reagierte, hatte Jesse ihr den Schlüssel aus der Hand genommen und steckte ihn in seine Hosentasche.

„Hey! Was soll das?“, brauste Caroline auf.

„Nimm deine dreckigen Finger weg!“ Nicolas, der adrett frisierte Lover, holte aus und ging sofort auf Jesse los. Jesse fing den Schlag locker ab und nutzte den Schwung aus, um Nicolas den Arm zu verdrehen.

„Lass mich los, du verdammter...“

„An deiner Stelle würde ich nicht so große Töne spucken!“, riet Jesse und schubste Nicolas zu Caroline, die ihn überrascht abfing und auf ihren Highheels rückwärts stolperte.

„Du wirst mich gleich kennenlernen!“

„Lass gut sein, Schatz. An solchen Leuten machen wir uns nicht die Finger schmutzig.“

„Kluge Entscheidung“, bemerkte Jesse.

„Was fällt Ihnen überhaupt ein, so mit meinem Partner umzugehen?“, fragte Caroline empört, aber Jesse zog es vor, auf diese Frage zu schweigen.

„Weil ihr es provoziert habt!“, verteidigte Fireball Jesse. „Und jetzt verzieht euch!“

„Hikari, das ist der Anfang vom Ende. Solche Typen wie diese Person ziehen dich nur weiter in den Abgrund! Sie werden dein Untergang sein“, zischte Nicolas.

„Nun, im Gegenteil. Ich hole ihn aus dem Abgrund heraus“, widersprach Jesse „Wenn ich mich vorstellen darf - Jason Barista, Mr. Hikaris Anwalt. Sie sollten dieses Haus jetzt besser verlassen, sonst rufe ich die Polizei und erstatte Anzeige. Sie begehen gerade Hausfriedensbruch und wollten meinen Mandanten ausrauben. Ein winziges Detail, das das Gericht bestimmt sehr interessieren wird. Oder die Presse.“ Diese Drohung hatte Jesse so neutral ausgesprochen, als würde er einen Einkaufszettel diktieren, und sie verfehlte ihre Wirkung nicht.

„Sie … Sie wagen es!“, brachte Caroline zornig schnaufend hervor und rang nach Worten.

Jesse blieb kühl und gelassen. „Überlegen Sie gut, was Sie tun, Lady!“, riet er ihr und sah, dass Caroline ihm am liebsten an den Hals gegangen wäre, um ihn mit ihren knallrot lackierten Fingern zu erwürgen oder aufzuschlitzen.

„Sie hören von uns!“, zischte sie und wandte sich brüsk zum Gehen.

„Pass bloß auf, Barista!“, knurrte Nicolas mit dunkel blitzenden Augen, ehe er seiner Freundin folgte.

„Werde ich“, versprach Jesse süffisant und schloss die Tür hinter den beiden. Von draußen war ein zornig aufheulender Motor und quietschende Reifen zu hören.

„Die wärst du los!“ Jesse kam zu Fireball zurück und bemerkte, dass Fireball keine Farbe mehr im Gesicht hatte und am ganzen Körper zitterte. „Hey, was ist los mit dir?“

„Ich glaub, mir ist schlecht“, antwortete er rau und stürmte ins Bad, wo er sich lautstark übergab.

Jesse, der nicht so ganz wusste, was er machen sollte, ging langsam hinterher und wartete vor der Tür. Einige Minuten später hörte er wie der Wasserhahn aufgedreht wurde und Fireball seinen Mund ausspülte. Als er wackelig herauskam, mied er jeglichen Blickkontakt und schlug direkt den Weg zu seinem Schlafzimmer ein.

„Fireball? Was ist los, verdammt?“ So hatte Jesse den ehemaligen Star Sheriff noch nicht erlebt.

„Ich will jetzt alleine sein“, erklärte Fireball, als er an dem Zimmer angekommen war.

„Sicher? Vielleicht ist es besser, wenn ...“

„Lass mich einfach in Ruhe, okay?“, zischte Fireball wütend, trat ein und schloss hinter sich ab.

Jesse blieb irritiert zurück und starrte auf die Tür, die vor ihm zugeschlagen worden war. Einerseits konnte er Fireballs Wunsch nachvollziehen, andererseits hatte er kein gutes Gefühl dabei, ihn ausgerechnet jetzt alleine zu lassen. Dass ihn diese Begegnung mit seiner Ex so aus der Bahn warf, war ziemlich beunruhigend, ebenso wie die Tatsache, dass Fireball sich eingeschlossen hatte. Das hatte Fireball seit Beginn ihrer Zusammenarbeit noch nie getan, obwohl Jesse nicht überrascht gewesen wäre, hätte er es getan.

Ein paar Mal hob Jesse seine Hand, um anzuklopfen, ließ es dann aber sein. Schließlich war Fireball alt genug und er nicht sein Kindermädchen. Außerdem - seit wann machte er sich um sowas Gedanken?

Jesse beschloss, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Frische Luft würde ihm helfen, wieder klar im Kopf zu werden. Er nahm seine Jacke vom Haken, setzte die Sonnenbrille auf und lief durch das weitläufige Wohngebiet der Reichen.

Inzwischen hatten er und Fireball sich besser aneinander gewöhnt und es war entspannter zwischen ihnen geworden. Jesse musste zugeben, dass ihm die gemeinsame Arbeit Spaß machte. Fireball hatte nach ihrem Besuch im Margaux einige gute Ideen beigesteuert und Anmerkungen gebracht, die wieder eine neue Richtung in ihren Nachforschungen ergaben.

Jetzt war Fireball am Ende angekommen und Jesse fühlte sich anders als erwartet – ein Gefühl, das er nicht beschreiben konnte. Eigentlich wollte er immer für diesen Zustand verantwortlich sein, doch nun bereitete es ihm überhaupt keine Freude, den anderen so zu sehen. Lag es daran, dass ihm jemand anderes diese Arbeit abgenommen hatte?

Missmutig kickte Jesse ein kleines Steinchen davon, das auf dem Gehweg lag. Er hatte keinen Blick für die perfekt angelegten Vorgärten und schönen Villen, an denen er vorüber ging. Seine Mission geriet in Gefahr, weil Fireball andere Dinge im Kopf hatte, die ihn von seiner eigentlichen Aufgabe ablenkten und außerdem dermaßen in Mitleidenschaft zogen, dass es schwierig war, ihn aus seiner Lethargie zu reißen.

„Verdammt!“, fluchte Jesse und kickte das Steinchen abermals weiter.

‚Wenn ich ihm heute im Kampf gegenüber stünde, nach allem, was ich inzwischen über ihn weiß, würde ich ihn töten können?’ Die Frage kam plötzlich aus dem Nichts und Jesse war erschrocken darüber. Er schob sie schnell beiseite ohne sie zu beantworten. Einerseits war er nur sich selbst gegenüber immer treu, also musste er die Frage eindeutig mit „Ja“ beantworten. Andererseits war da nun etwas in ihm, das ein Nein ebenfalls nicht mehr ausschloss. Das bewusst zuzugeben brachte Jesse nicht fertig. Stattdessen konzentrierte er sich wieder auf das Wesentliche, nämlich seine Mission. Er brauchte Fireball dafür und das bedeutete nur eines: er musste ihm helfen, seine Scheidung durchzustehen! Wenn man es genau nahm, hatte er damit sogar schon angefangen, nämlich, als er sich in den Streit zwischen Fireball und Caroline einmischte.
 

Fireball lag unterdessen auf seinem Bett und seine Stimmung schwankte zwischen unendlichem Zorn, Hass und Selbstmitleid. Seine Gedanken kreisten immer wieder um die gleichen Themen und machten ihm schwindelig, brachten aber keinen Ausweg. Vielleicht hätte er dem Ganzen ein Ende bereitet, wenn er eine Waffe gehabt hätte. Doch Saber hatte fünf Jahre nach dem Krieg ein generelles Waffenverbot verhängt, was insbesondere für die großen Planeten Yuma und Alamo galt sowie für sämtliche Großstädte. Eine Waffenbesitzkarte konnten nur diejenigen beantragen, die einen Nachweis mit ausführlicher Begründung vorlegen konnten, also hatte Fireball als Rennfahrer keine Chance, an eine solche heranzukommen.
 

Bis zum nächsten Abend kam Fireball nicht aus seinem Schlafzimmer heraus, dann reichte es Jesse und er klopfte energisch gegen die Tür.

„Mach auf, Fireball!“, verlangte er und klopfte noch lauter.

„Lass mich in Ruhe!“

Jesse ließ nicht locker. „Es reicht jetzt mit deinem Selbstmitleid! Komm da raus!“

„Verschwinde!“ Die Stimme wurde zorniger, was Jesse nur mehr anspornte. Er war inzwischen sehr gereizt, weil nichts voran ging und es ihn nervte, ständig an seinen Laptop gefesselt zu sein, um zu recherchieren. „Deine Frau verspottet dich mal wieder im Fernsehen!“

Die Tür aufgerissen und ein zerzauster, wütender Fireball erschien. „Hab ich dir nicht gesagt, dass du dir diesen Schrott nicht reinziehen sollst?“, blaffte er ihn an und rauschte an ihm vorbei ins Wohnzimmer.

„Wäre mir neu, dass ich mir von dir was verbieten lasse“, bemerkte Jesse, der ihm langsam folgte. Fireball stand vor der Couch und sah mit verkniffener Miene zum Bildschirm, wo Caroline den Reportern wieder einmal ihr Leid klagte und sich gekonnt als Opfer darstellte.

„Tja, das ist wohl die Rache für gestern. Scheinbar haben wir einen wunden Punkt getroffen. Willst du das ewig so unkommentiert hinnehmen?“, bohrte Jesse nach und Fireball fuhr herum.

Weil er Shorts trug, war seine Narbe, die sich von der rechten Hüfte bis hinunter zum Sprunggelenk zog und sich über dem Knie teilte, deutlich zu sehen. Es war das erste Mal, dass Jesse einen Eindruck von den Ausmaßen von Fireballs Rennunfall bekam und er wurde an seine eigenen Narben erinnert, die sich komplett über seine linke Körperhälfte zogen. Möglichst unauffällig lenkte Jesse seinen Blick wieder in Fireballs Gesicht, aber die Wahrscheinlichkeit war groß, dass Fireball sein Starren bemerkt hatte.

„Und was soll ich deiner Meinung nach tun, du Schlauberger?“ Er ließ sich auf die Couch fallen und raufte sich die Haare. „Sie hat doch alle Reporter in der Hand!“

Jesse stützte sich auf die Lehne und sah auf Fireball herunter. „Du hast wohl nicht kapiert, dass du mitten im Krieg bist“, stellte er kühl fest, „und du solltest langsam mal anfangen, ihn zu führen!“

„Verdammt, Jesse! Ich kann das nicht! Das ist keine Kriegsart, die ich kenne!“, brauste Fireball auf und wandte seinen Kopf zu Jesse um. „Ich habe weder Lust noch Kraft dazu, mich damit zu beschäftigen! Außerdem hat sie schon alle gegen mich aufgehetzt!“

„Ein Krieg ist keine Frage von Lust oder Kraft! Man hat keine Wahl. Sie wird dich noch mehr kosten, wenn du nicht endlich mal was unternimmst!“

„Ich bin quasi schon fast pleite, Jesse!“, erinnerte Fireball hitzig und funkelte ihn wütend an. „Den letzten Rest wollte ich nicht für irgendwelche sinnlosen Anwälte ausgeben, die eh nichts mehr retten können! Jeder denkt doch, dass sie recht hat und ich der Oberarsch des Neuen Grenzlandes bin! Du weißt gar nicht wie das ist!“

„Nun … ein bisschen vielleicht schon“, grinste Jesse, aber natürlich ließ sich ihre Situation nur bedingt vergleichen. „Aber das tut nichts zur Sache. Ich habe dich immer für jemanden gehalten, der sich nichts bieten lässt und der für Gerechtigkeit einsteht. Hab ich mich etwa getäuscht?“ Jesse sah Fireball spöttisch an, um ihn aus der Reserve zu locken, was wunderbar gelang. Fireball sprang auf und packte Jesse am Kragen und zog ihn an sich heran.

„Du willst mir was von Gerechtigkeit erzählen? Gerade du?“, fauchte er aufgebracht und schüttelte den anderen, was Jesse in Rage brachte.

„Ich habe mich jedenfalls noch nie wie ein Jammerlappen verhalten!“, spottete Jesse dicht vor Fireballs Gesicht und versetzte ihm einen Stoß. Dummerweise hielt er immer noch Jesses Hemd fest, so dass Jesse über die Couchlehne gezogen wurde und kopfüber mit Fireball herunterfiel und auf dem Boden landete. Ein wildes Gerangel entstand, in dem Fäuste flogen und Tritte ausgetauscht wurden.

„Du elender Verräter!“, ließ Fireball seinen Zorn an Jesse aus und rammte ihm seine Faust ins Gesicht. Jesse konnte nicht ausweichen und wollte es auch gar nicht. Er merkte wie sein Mundwinkel aufplatzte und Blut herunter lief, aber das hielt ihn nicht davon ab, Fireball an den Schultern zu packen und ihn auf dem Boden zu fixieren.

„Du Waschlappen! Sich von der eigenen Frau so niedermachen zu lassen, ich glaube das kann keiner außer dir!“ Das hatte gesessen! Fireballs Wut nahm noch größere Ausmaße an, als er sein Knie anhob und Jesse über sich schleuderte. Es krachte laut, als er hart auf dem Rücken aufkam. Blitzschnell nutzte Fireball den Überraschungsmoment aus und kniete über ihm, um ihn weiter mit seinen Fäusten zu bearbeiten. Jesse blockte mit seinem Unterarm ab und rammte ihm seinerseits die Faust in die Seite, was Fireball aufkeuchen ließ und ihm den Atem raubte.

„Du bist eine Seuche, Jesse! Hättest du nicht einfach abkratzen können wie jeder normale andere auch?“

Jesse lachte amüsiert auf. „Du hättest damals wohl besser zielen sollen! Ich gebe dir gerne Nachhilfe!“ Ein weiterer Schlag kam angeflogen und Jesse konnte seinen zwischen Fireballs Knien eingeklemmten Körper nur bedingt zur Seite drehen, so dass er am Oberarm getroffen wurde und aufstöhnte. Der Kampf machte ihm Spaß und er bäumte sich so auf, dass Fireball aus dem Gleichgewicht geriet. Ein Tritt mit dem Knie brachte den ehemaligen Star Sheriff zu Fall und Jesse sprintete davon, um sich eine bessere Position zu suchen, aber Fireball war schneller als gedacht. Er sprang hinter Jesse her und bekam sein Fußgelenk zu fassen, als er gerade über den Couchtisch springen wollte. Mit voller Wucht knallte Jesse auf den Tisch, der unter ihm zerbrach. Zeitungen, die Fernbedienung und eine Glasschale fanden sich unter Jesse, die ihm schmerzhaft in den Magen rammte. Er stöhnte laut, als er sich davon herunterrollte, aber da sprang Fireball schon wieder auf ihn. Diesmal rollte er sich rechtzeitig zur Seite, so dass Fireball nur knapp neben ihm mit lautem Poltern auf den Tischtrümmern einschlug. Beide atmeten schwer, ließen aber nicht locker. Jesse machte einen Hechtsprung über die Couch und kam mit einer Rolle wieder in den Stand, während Fireball seitlich über das Hindernis drüber hockte. Jesse stand jetzt auf einer relativ freien Fläche im Wohnzimmer und erwartete den anderen in Angriffsstellung. Seine Karatekenntnisse waren vielleicht etwas eingerostet, aber er hatte noch ein paar Tricks auf Lager.

„Was ist, Waschlappen, war das schon alles?“, provozierte er schwer atmend weiter. Fireballs Augen funkelten wütend und er taxierte seinen Gegner genauestens, um seine nächste Aktion zu planen. Schrammen zogen sich über seine Wangen und Arme, aber das war nebensächlich. Auch Fireballs Brustkorb hob und senkte sich stark und er gönnte sich ein paar Momente Verschnaufpause.

Jesse schnickte eine schwarze Haarsträhne mit einer Kopfbewegung erfolglos nach hinten und grinste Fireball herausfordernd an.

„Du elender, mieser…“, knurrte Fireball, spannte seine Muskeln an und sprang mit den Füßen voran auf Jesse zu, um ihn umzuwerfen. Diese Technik gab Jesse genug Zeit, sich darauf vorzubereiten und wich mit einer leichten Bewegung aus, so dass Fireball hart auf dem Boden aufkam. Jesse stürzte sich auf ihn und sie wälzten sich mit Tritten und Fäusten schlagend herum, stießen an Schränke, Tische und Stühle und bahnten sich einen Weg durch das Wohnzimmer. Eine halbvertrocknete Topfpflanze ging zu Bruch und einige Weingläser in der Vitrine, als sie mit voller Wucht dagegen knallten. Etwa eine Viertelstunde später ließen ihre Kräfte und die Geschwindigkeit nach, bis sie schließlich beide atemlos und mit allen Vieren von sich gestreckt auf dem Boden liegen bleiben.

„Du bist ganz schön zäh“, keuchte Jesse anerkennend.

„Du aber auch“, meinte Fireball mit einem pfeifenden Unterton, der von seiner Lunge herrührte.

„Warum bist du nicht genauso zäh, wenn es um deine Trennung geht?“ Jesse drehte seinen Kopf zu Fireball, der ziemlich ramponiert aussah. So wie es sich anfühlte sah er selbst nicht besser aus.

Fireball schwieg lange, ehe er schließlich mit einem genervten „Ich weiß es nicht!“, antwortete. Er richtete sich auf, blieb aber am Boden sitzen, als ihn ein Hustenreiz schüttelte und er sich die Rippen hielt. „Ich habe keine Lust, ein gefundenes Fressen für die Presse zu sein“, sagte er schließlich.

„Das bist du eh schon und die haben dich schon fast vernascht. Du musst den Spieß einfach umdrehen, damit sie von dir ablassen. Damit rechnet niemand und du wirst sie eiskalt erwischen.“ Jesse stützte sich ächzend auf die Seite und verzog vor Schmerzen das Gesicht.

„Das sagst du so einfach!“, ätzte Fireball, dem das Gespräch auf die Nerven ging. „Können wir jetzt das Thema wechseln?“

„Gib eine Presseerklärung heraus!“ Jesse stand auf und wischte sich das Blut aus dem Mundwinkel mit dem Handrücken ab. Morgen würden ihm sicherlich alle Knochen weh tun, er konnte es schon spüren. Fireball erging es nicht anders, so vorsichtig wie er sich bewegte.

„Weißt du, was für Fragen die mir dann stellen werden?“, brauste er direkt wieder auf und tippte mit seinem Zeigefinger an die Stirn.

„Ich sagte Presseerklärung nicht -konferenz!“, korrigierte Jesse, was bei Fireball ein Stirnrunzeln hervorrief. „Du trittst einfach ans Mikro, gibst ein Statement ab und verschwindest wieder. Sicherlich werden die versuchen, dich auszuquetschen, aber du kannst sie doch einfach ignorieren. Es zwingt dich ja keiner zum Antworten, aber ich denke, es wäre ein geeigneter Schritt, um in dieser Sache mal voran zu kommen, wenn du nicht völlig untergehen willst.“ Jesse hatte eine am Boden liegende Wodkaflasche entdeckt, die er nun aufhob und kurz betrachtete. „Wie wär's mit einem Drink?“

„Ich kann einen gebrauchen“, nickte Fireball müde. „Was soll ich denen deiner Meinung nach sagen? Ein einfaches „Sie lügt“ werden sie mir wohl kaum abnehmen.“

„Nein, das bestimmt nicht. Du musst schon ein bisschen mehr dazu sagen und das Ganze souverän und selbstbewusst rüberbringen, wenn du Erfolg haben willst.“ In ihrer Verwüstungsschneise fanden sich zwei intakte Gläser, die Jesse einer kurzen Sichtprüfung unterzog, ehe er den Wodka einschenkte.

„Warum willst du mir helfen?“, fragte Fireball skeptisch, als er das Glas annahm, das Jesse ihm reichte.

„Reiner Egoismus. In deinem Zustand kommen wir in unserer Mission nicht voran“, erklärte Jesse, der sich im Schneidersitz zu Fireball setzte und seinen Wodka anhob. „Also müssen wir zuerst dein Problem beseitigen, damit du endlich wieder normal wirst. Darauf trinke ich.“

Fireball war zu erschöpft, um etwas Aufbrausendes zu erwidern. Stattdessen beobachtete er wie sein Gegenüber das Glas leerte, ohne eine Miene zu verziehen, und trank seins schließlich ebenfalls in einem Zug aus. Der Alkohol brannte an seiner aufgeplatzten Lippe, tat aber gleichzeitig irgendwie gut.

„Ich könnte was für deinen Anwalt zusammenschreiben, damit du nicht noch mehr über den Tisch gezogen wirst“, bot Jesse an, während er nachschenkte. „Der scheint ja nicht gerade die hellste Kerze im Leuchter zu sein.“

„Du?“ Fireball verstand gar nichts mehr und das spiegelte sich in seinem verschrammten Gesicht wider. Sein linkes Auge war schon etwas angeschwollen und würde sich bestimmt blau verfärben.

„Ja, ich. Ich kenne mich ganz gut in juristischen Themen aus, weil ich mich früher eine ganze Weile damit beschäftigt habe. Wahrscheinlich müsste ich ein bisschen recherchieren, um wieder reinzukommen, aber das dürfte nicht so lange dauern“, erklärte Jesse schließlich und trank einen Schluck.

„Hab ich was verpasst?“ hakte Fireball mit hochgezogener Augenbraue nach.

Jesse zögerte und schwenkte unentschlossen sein Glas in der Hand. Er hatte nie jemandem davon erzählt und, obwohl es schon lange her war, fiel es ihm immer noch schwer, daran zu denken.

„Erde an Jesse! Warum kennst du dich damit aus?“

„Das tut nichts zur Sache. Ich weiß es einfach.“ Jesse kippte den Wodka abermals herunter und sah Fireball abwartend an.

Fireball unterließ es, weiter nachzubohren, denn wenn Jesse nicht reden wollte, würde er nichts aus ihm herauskriegen. Stattdessen trank er langsam, während er sein Gegenüber forschend betrachtete, und überlegte. 'Carl gehört wirklich nicht zu den Besten. Er ist halt jemand, den ich mir leisten konnte, allerdings glaube ich nicht, dass er noch großes Interesse hat, sich für mich einzusetzen, jetzt, wo er keine Kohle mehr von mir erwarten kann. Jesse ist völlig anders, er war schon immer ehrgeizig und hat noch nie halbe Sachen gemacht. Vielleicht wäre es wirklich eine Chance, irgendwie glimpflich aus der Sache rauszukommen. Obwohl es irgendwie völlig absurd ist, dass sich Jesse mit sowas beschäftigt und dann ausgerechnet für mich. Andererseits – zu verlieren hab ich wohl echt nichts mehr und er scheint es wirklich ernst zu meinen, damit wir endlich weitermachen können. Eigentlich hat er ja sogar recht, wie lächerlich ich bin, dass ich mich so fertigmachen lasse. Das muss endlich ein Ende haben! Mit Carl als Anwalt hab ich jedenfalls schon verloren. Mit Jesse hätte ich ganz vielleicht sogar einen kleinen Lichtblick; selbst wenn er versagt, macht es auch nichts, dann wäre es das gleiche Ergebnis wie mit Carl.'

„Also, was ist? Ja oder nein?“

„Ich wäre wohl bescheuert, wenn ich dein Angebot in den Wind schlage. Also: ja. Bitte mach es.“

„Du wirst es nicht bereuen. Am besten gehe ich sofort an die Arbeit“, meinte Jesse, der sich sogleich geschäftig erhob.

„Warte doch mal!“

„Was ist?“

„Wollen wir heute nicht einfach mal was zusammen trinken? Die Flasche ist gerade mal angebrochen und es wäre schade, sie verkommen zu lassen. Außerdem glaube ich, dass es uns gut tut, wenn wir mal einen Abend an was anderes denken, meinst du nicht auch?“

„Du meinst, dass wir uns besaufen?“, hakte Jesse etwas skeptisch nach.

„Nicht unbedingt. Ich dachte eher an einen entspannten Abend, nachdem wir uns so sportlich betätigt haben“, grinste Fireball mit einem vielsagenden Blick auf die verwüsteten Möbel.

„Wozu soll das gut sein?“

„Um den Kopf mal freizukriegen und zum Abschalten. Komm schon. Was ist schon dabei? Auf ein paar Stunden mehr oder weniger kommt's wohl nicht an. Dir tut eine Pause sicherlich auch mal gut.“

„Ich bin nicht so der Typ für Pausen“, gab Jesse zu, ließ sich aber zögerlich wieder im Schneidersitz inmitten der Trümmer nieder. Fireball nahm Jesse das Glas aus der Hand, füllte es und gab es wieder zurück.

„Kein Wunder, dass du immer so unlocker bist. Du gönnst dir echt keinen Spaß, oder?“

Jesse trank mit leicht säuerlichem Blick einen Schluck und zog es vor, darauf nicht zu antworten.

„Nimm ’s mir nicht krumm, Jesse, ich rede zu viel. Ich brauche das heute Abend einfach mal nach der gestrigen Begegnung. Alleine trinken macht keinen Spaß und du bist halt gerade da. War schon gut, dass du mir diesen Tritt in den Hintern gegeben hast, im wahrsten Sinne.“ Fireball fuhr durch seine Haare und beugte sich nach vorne, um mit Jesse versöhnlich anzustoßen. „Morgen machen wir mit neuer Energie weiter, versprochen. Kanpei!“

„Kanpei“, erwiderte Jesse den Toast nicht ganz überzeugt, trank aber gleichzeitig mit Fireball.

„Wie lange hättest du dich denn noch verkrochen, wenn ich dich nicht rausgelockt hätte?“

„Weiß nicht. Lass uns von was anderem reden, ich hab jetzt keinen Bock, an den ganzen Scheiß zu denken.“

„Verdrängen bringt nichts, aber gut. Deine Entscheidung.“

„Ich brauche einfach Zeit.“ Fireball schenkte nach und sie tranken wieder. Langsam machte sich der Alkohol mit einem leichten Schwindelgefühl bemerkbar.

Als Jesse absetzte, fiel sein Blick auf Fireballs Knie. „Sind das die Reste von deinem Unfall, der im Fernsehen immer erwähnt wird?“

Fireball streckte sein Bein aus und präsentierte die Narben in voller Länge. „Ja, sind sie. Hat ganz schön lange gedauert, bis ich wieder fit war und nochmal so lange, bis ich akzeptieren konnte, dass ich selbst keine Rennen mehr fahren kann.

„Wie ist das passiert?“

„Offiziell konnte nie was gefunden werden. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die Konkurrenz dahinter steckt. Wahrscheinlich wollten sie mich nicht derart ausschalten, sondern nur meinem Erfolgskurs ein bisschen ausbremsen, aber das ist gründlich nach hinten losgegangen. Ich habe einige Wortfetzen und Dialoge gehört, die sehr stark darauf hindeuten, allerdings nichts, was sich als Beweis verwenden ließe. Kann aber genauso gut sein, dass ich mir nur was zurechtspinne und es tatsächlich einfach nur Pech war.“ Fireball zuckte mit den Schultern. „Ich wollte es danach allen zeigen, dass ich nicht unterzukriegen bin. Das ist aber leider ebenso gründlich nach hinten losgegangen. Ich muss wohl endlich einsehen, dass meine Zeiten auf und an der Rennstrecke endgültig vorbei sind und mir einen neuen Job suchen.“

„Ein neuer Job? Was willst du denn machen?“

„Keine Ahnung. Auf jeden Fall irgendwas, wo ich nicht mehr in der Öffentlichkeit stehe. Diese Erkenntnis kam mir gerade“, grinste Fireball und hob zur Erklärung das Glas hoch. „Jetzt weißt du, warum solche Abende manchmal ganz gut sind. Sie bringen neue Ideen.“

„Ich brauche aber keine neuen Ideen“, grinste Jesse zurück, dessen Wangen schon vom Alkohol gerötet waren. Er bemerkte, dass sein dunkelblaues Hemd am Ärmel von der Prügelei eingerissen war und steckte einen Finger durch das Loch. „Das ist wohl auch hinüber, so wie deine Einrichtung.“

Fireball kicherte. „Du kannst ein neues von mir haben. Die Einrichtung ist egal, ich wollte sie eh loswerden. Es hat jedenfalls Spaß gemacht, dich zu vermöbeln, im wahrsten Sinne.“

„Moment mal! Ich hab dich vermöbelt, das ist ja wohl klar!“

„Hast du schon mal in den Spiegel geguckt wie du aussiehst? Dann wüsstest du, dass ich gewonnen hab“, nuschelte Fireball, dem das Sprechen inzwischen schwer fiel, und grinste breit.

„Schau doch selbst mal rein. So wie du aussiehst könntest du sofort in der Geisterbahn anfangen. Du suchst doch einen neuen Job.“ Jesse sprach ebenfalls langsamer, denn auch ihm setzte der Wodka inzwischen deutlich zu.

„Keine schlechte Idee, das merke ich mir. Trotzdem habe ich gewonnen“, zwinkerte Fireball frech.

„Niemals. Wir können das gerne weiter ausfechten!“ Jesse stellte das Glas beiseite und machte Anstalten aufzustehen, allerdings waren seine Bewegungen sehr unkoordiniert.

„Ach, lass mal. Heute nicht mehr. Ich spüre schon jeden Knochen.“

„Jammerlappen!“, erwiderte Jesse, aber die Schärfe in seiner Stimme fehlte. Insgeheim war er froh, dass Fireball auf eine weitere Auseinandersetzung verzichtete, denn diese hätte er sicherlich verloren. Seine Muskeln fühlten sich an wie Pudding.

„Ist mir egal.“

Beide schwiegen eine Weile und tranken vor sich hin. Die Flasche war bereits zu dreiviertel geleert.

„Wie erklärst du die Sauerei dem Makler, wenn der kommt?“

„Mir wird schon was einfallen.“

„Wir können das Haus komplett in Schutt und Asche zerlegen und es deiner Ex abtreten“, schlug Jesse mit vollem Ernst vor, woraufhin Fireball loskicherte. „Im Beisein der gesamten Presse. Die würde Augen machen!“

Jesse kicherte ebenfalls. „Wahrscheinlich nicht nur das. Sie würde einen Auftritt wie gestern hinlegen und damit aller Öffentlichkeit ihr wahres Gesicht zeigen. Damit wäre dein Ruf sofort wiederhergestellt.“

„Eine grandiose Idee. Lass uns darauf anstoßen! Cheers!“

„Cheers!“

Abermals leerten sie ihre Gläser.

„Wie sollen wir das anstellen?“

„Was?“

„Das Haus in Schutt und Asche zu zerlegen?“

„Heute gar nicht. Ich kann keinen Finger mehr rühren.“ Jesse streckte sich und gab der Schwerkraft nach, die ihn nach langem Zerren auf den Boden zwang. Sitzen war ihm zu anstrengend geworden. „Außerdem wird die Versicherung was dagegen haben, das gibt nur zusätzlichen Ärger, den wir nicht brauchen können“, bemerkte er schläfrig.

„Hmhm. Schade, aber du hast wohl recht“, stimmte Fireball zu und starrte eine Weile aus glasigen Augen vor sich hin.

„Sag mal, Jesse? Willst du mir nicht doch verraten, warum du dich in Rechtsdingen auskennst?“

„Weil ich mal Jura studieren wollte“, murmelte Jesse, dessen Lider schwer wurden.

„Du willst mich auf den Arm nehmen“, kicherte Fireball, der sich einen weiteren Schluck einverleibte.

„Keineswegs“, winkte Jesse ab und öffnete seine Augen halb, um sein Gegenüber anzusehen, auch wenn er ihn nur verschwommen sah. „Ich hatte deswegen riesigen Stress mit meinem Vater. Der hat eine verdammt große Firma und plante, dass ich in seine Fußstapfen trete, aber ich wollte lieber studieren und Rechtsanwalt werden.“

„Eine komische Vorstellung“, gluckste Fireball.

„Jedenfalls gab er mir das Geld für die Uni nicht, warf mich raus und enterbte mich. Ich musste also zusehen, wie ich zurechtkam und ging deshalb zu den Star Sheriffs. Das war die einzige Möglichkeit für mich, um vielleicht auf diesem Weg zum Ziel zu kommen. Den Rest kennst du.“

„Wow. Was für eine Überraschung! Der große Jesse Blue hat früher mal einen Traum gehabt!“ Fireball fühlte sich ziemlich überfahren von dieser Information, was nicht zuletzt an seinem inzwischen hohen Alkoholpegel lag. Er angelte nach dem angebrochenen Zigarettenpäckchen auf dem Wohnzimmerregal und schnickte gekonnt eine Kippe aus der Packung, die er direkt in seinen Mundwinkel klemmte.

„Hättest du nicht gedacht, was?“, murmelte Jesse, der auf dem Weg ins Land der Träume war.

„Nein. Aber ich gebe zu, dass ich mich scheinbar in dir getäuscht hab. Willst du es nicht jetzt nochmal versuchen, also, Anwalt zu werden?“

Aber Jesse antwortete nicht mehr, sondern atmete tief und gleichmäßig vor sich hin. Fireball sah ihm zu und dachte über ihn nach, während er die Zigarette in Brand steckte und einen tiefen Zug nahm. Jesse wollte ihm helfen, seine Angelegenheiten zu regeln, was wirklich sehr nett war und in völligem Gegensatz zu seinem üblichen Verhalten passte. Seine Begründung machte allerdings deutlich, dass er nach wie vor die eigenen Ziele verfolgte und gerade deshalb durfte Fireball nicht vergessen, dass Jesse trotz allem ein nicht zu unterschätzender möglicher Feind blieb.

Entschlossen stand Fireball schwankend auf, um das Telefon zu holen.

„Ich will endlich Klarheit!“, sagte er laut, suchte und wählte Sabers Nummer. Sein schlechtes Gewissen wurde vom Alkohol unterdrückt. Als sich die Verbindung aufbaute, setzte er sich auf die Couch.

„Rider. Wer ist da?“

„Hallo Saber. Ich bin's, Fireball. Wir haben uns lange nicht gehört, um nicht zu sagen: verdammt lange. Deshalb wollte ich mich mal melden. Was treibst du so?“ Fireball konnte seine Freude nicht verbergen, Saber sofort erreicht zu haben.

„Fireball?“

„Ja. Erinnerst du dich nicht mehr an mich? Wir haben damals auf Ramrod zusammen gegen die Outrider gekämpft und Nemesis besiegt“

„Doch, natürlich erinnere ich mich, Fireball. Wie könnte ich das je vergessen? Wie könnte das irgendjemand von uns vergessen?“

„Oh ja, natürlich, du hast ja recht. Ich dachte nur, ich melde mich mal wieder um der alten Zeiten willen.“ Fireball lachte, vielleicht ein bisschen zu laut, und zog an seiner Kippe.

„Bist du betrunken?“

„Äh. Nnnein...also, nur ein bisschen“ Fireball wurde es heiß und kalt, direkt so bloßgestellt zu werden.

„Hör mal, ruf mich doch einfach ein andermal an, ja? Vielleicht, wenn du wieder nüchtern bist? Ich habe gleich einen Termin.“

„Äh. Ja, das mache ich. Tut mir unendlich leid, Saber“, stammelte Fireball mit schwerer Zunge.

„Schon gut. Auf bald.“ Saber ließ Fireball keine Zeit mehr für einen Abschiedsgruß, sondern beendete die Verbindung.

Einige Sekunden starrte Fireball das Telefon an, dann ballte er seine Hand darum als ob er es zerquetschen wollte. „ICH IDIOT!“, brüllte er und raufte sich die Haare. „ICH HAB ALLES VERMASSELT!“

Was dachte Saber jetzt von ihm? Er würde ihm nie wieder unter die Augen treten können, dabei hatte er es doch nur gut gemeint. Fireball griff abermals nach der Flasche, um sein Versagen zu ertränken; das machte es allerdings nicht besser.

„Die Chance hab ich wohl gründlich in den Sand gesetzt“, knurrte er, als der letzte Tropfen getrunken war. Zum Glück war Jesse von den paar Drinks ausgeknockt und hatte nichts mitbekommen. Wie hatte Fireball nur vergessen können, dass er hätte aufwachen können? Dann wäre er ganz schön in Erklärungsnot geraten und hätte jetzt ein riesiges Problem.

Das schlechte Gewissen, seinen „Partner“ fast verraten zu haben, meldete sich jetzt umso stärker. Um es wenigstens etwas zu besänftigen, verfrachtete Fireball ihn mit unkoordinierten Bewegungen auf die Couch und deckte ihn zu. Dann ging er selbst ins Bett, in dem Wissen, dass sie beide morgen nicht nur Muskelkater, sondern zusätzlich einen ganz fiesen anderen Kater haben würden.
 


 

„Wach auf, Jesse, und trink das, dann geht’s dir besser.“

Fireball hatte den Abend gut überstanden und war relativ fit. Schon vor einer Weile war er aufgestanden, hatte sämtliche Fenster aufgerissen und ein paar Aspirin eingeworfen. Die kühle, klare Luft tat ihr übriges und nach einer Dusche fühlte sich Fireball richtig frisch und voller Tatendrang.

Jesse schien gar nicht aufstehen zu wollen, und weil das schlechte Gewissen wegen des Anrufs bei Saber Fireball nach wie vor quälte, kümmerte er sich wieder um ihn, um es zum Schweigen zu bringen.

„Komm schon, das ist Aspirin“, grinste Fireball, als er die Decke beiseite zog.

Langsam hob Jesse seine Lider halb und sah den über ihn gebeugten Fireball an, dessen linkes Auge in allen Blautönen leuchtete. Die Schrammen auf seiner Wange waren mit Pflastern beklebt.

„Ich hasse dich! Mach das nie wieder!“, knurrte er mit rauer Stimme, woraufhin Fireball lachte.

„Woher soll ich denn wissen, dass du nichts verträgst? Aber mach dir keine Sorgen, wir kriegen dich schon wieder hin.“ Fireball setzte sich neben Jesse auf die Couch und hielt ihm das Glas hin. „Trink das einfach.“

Vorsichtig zog sich Jesse in eine sitzende Position und stützte seinen dröhnenden Kopf auf seine Knie. Die Helligkeit stach ihm direkt ins Gehirn, weshalb er seine Augen wieder schloss. Er atmete schwer, weil sich ihm noch alles drehte und seine Muskeln laut protestierten.

„Du siehst aus wie der lebende Tod“, bemerkte Fireball, als er ihm das Glas in die Hand drückte. „Wie wäre es, wenn wir beide in der Geisterbahn anheuern?“

„Sehr witzig.“ Jesse wollte den Tag am liebsten überspringen. Er hatte schon lange keinen Kater mehr gehabt, erst recht nicht einen solchen. Obwohl sich ihm alles sträubte, zwang er sich, das Wasser zu trinken.

„Gleich wird es besser, glaube mir“, versprach Fireball, nahm ihm das leere Glas ab und stellte es auf das Tablett am Boden. „Ich hab dir auch Kaffee und Frühstück mitgebracht.“

„Ich kann jetzt nichts essen“, murrte Jesse gequält.

„Es sind 5-Minuten-Nudeln, das ist das Beste nach so einem Abend. Sie sind schön salzig und wirken regelrechte Wunder.“ Fireball gab Jesse seinen Becher und die dazugehörigen Stäbchen, ehe er seine eigene Portion nahm. „Ich hab auch noch nicht gefrühstückt. Also – guten Appetit.“

„Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe, hm?“

„Weil ich versprochen habe, dass wir heute mit neuer Energie weitermachen. Ich bin für deinen Zustand verantwortlich, also sorge ich dafür, dass du wieder auf die Beine kommst. Und jetzt iss, wenigstens ein paar. Oder ich füttere dich!“ Fireball grinste breit.

„D...das ist Erpressung!“

„Ja. Aber nur zu deinem Besten“, erwiderte Fireball ungerührt. „Jetzt iss. Jeder mag 5-Minuten-Nudeln.“

Widerwillig ergab sich Jesse in sein Schicksal und öffnete umständlich den Deckel, so dass der Dampf entwich, und tauchte die Essstäbchen ein. Obwohl sein Kopf kaum einsatzbereit war, wusste er, wie man die Stäbchen hielt und benutzte. Die Nudeln schmeckten tatsächlich und er aß die ganze Portion auf. Ein bisschen Farbe dadurch kehrte in sein Gesicht zurück und er fühlte sich wirklich etwas besser.

„Das war gut“, gab Jesse zu, als er den leeren Becher zurückgab.

„Sag ich doch“, meinte Fireball, der sein Frühstück ebenfalls beendet hatte. „Schließlich bin ich der Experte, was 5-Minuten-Nudeln angeht. Kaffee?“

„Gerne.“

„Kommt sofort. Hier, bitte, einmal Kaffee schwarz.“

„Danke.“

Eine Weile ließ sich Jesse von dem Duft beleben, dann trank er in langsamen Schlucken. Fireball genoss seinen Kaffee ebenfalls schweigend und erhob sich anschließend.

„Ich mache hier mal Klarschiff. Lass dich nicht stören.“

„Hmhm.“

„Wenn du willst, kannst du später draußen auf der Terrasse arbeiten, es ist schönes Wetter und die frische Luft hilft, den Kater zu vertreiben.“

„Klingt gut.“
 

Eine Weile später, als Fireball zu viel Lärm beim Beseitigen der Trümmer machte, verließ Jesse sein Nachtlager und ging ins Bad, um sich frisch zu machen und seine eigenen Schrammen zu versorgen. Danach folgte er Fireballs Vorschlag und setzte sich nach draußen, um an der bevorstehenden Scheidung zu arbeiten.

Fast den ganzen Tag arbeitete er dort und merkte kaum wie die Zeit verging, als ihn eine eilige Nachricht seines Informanten erreichte. Jesse las sie schnell, speicherte sofort seine Arbeit ab und klappte den Computer zu, ehe er nach Fireball suchte. Das Wohnzimmer war fast schon leer geräumt; nur noch wenige Teile standen an der Wand und einige Glassplitter lagen auf dem Boden.

„Fireball, wo bist du?“

„Hier! Was gibt's?“ Fireball kam schnaufend und verschwitzt aus dem Flur.

„Saber trifft sich wieder mit jemandem, diesmal in der Oper. Das sollten wir uns auf keinen Fall entgehen lassen.“

„Saber? Mit wem denn?“, wollte Fireball wissen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er war alles andere als begeistert, Saber nach dem gestrigen vermasselten Anruf zu sehen und daran erinnert zu werden.

„Ich weiß nur, dass es sich wieder um jemanden aus der Rüstungsindustrie handelt. Das ist höchst verdächtig und deshalb müssen wir unbedingt dorthin. Wir haben nur noch eine knappe Stunde. Mein Informant hat alles vorbereitet und die Tickets besorgt.“

„Muss ich unbedingt mit?“

„Selbstverständlich musst du mit! Darum geht es doch, dass du mit eigenen Augen siehst und hörst, was sie zu besprechen haben. Unsere Beweisführung muss hieb- und stichfest sein.“

„Aber ich hab hier noch so viel zu tun.“ Vielsagend sah sich Fireball um und wand sich abermals wie ein Aal.

Jesse runzelte argwöhnisch seine Stirn. „Ich dachte, wir hätten eine Abmachung?“

„Ja, haben wir“, gab Fireball wenig begeistert zu. Er musste aufpassen, dass Jesse keinen Verdacht schöpfte und das Telefonat vielleicht doch herauskam. Fireball wusste, dass er kein guter Lügner war.

„Wie waren doch gleich deine Worte? Auf ein paar Stunden mehr oder weniger kommt's nicht an?“

„Ist ja schon gut, ich komme ja mit. Bin halt kein großer Opern-Fan“, versuchte er sich mit einem schiefen Grinsen herauszureden.

„Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Mein Fall ist es auch nicht gerade, aber hier geht’s um Größeres.“

„Ich nehme mir einfach Ohrenstöpsel mit, dann werde ich es schon überleben – hoffe ich. Wie maskieren wir uns diesmal?“

„Vor allem solltest du mal eben unter die Dusche springen und unbedingt dein blaues Auge überschminken, und ich meine Kratzer, sonst ziehen wir unnötig Aufmerksamkeit auf uns. In der Oper selbst ist die Beleuchtung zum Glück eher gedämpft. Diesmal müssen wir mit wenigen Mitteln auskommen. Und jetzt Beeilung! Wir haben nicht mehr viel Zeit.“
 

Eine Viertelstunde vor Beginn kamen Jesse und Fireball ziemlich abgehetzt beim Opernhaus an, einem alten Marmorgebäude, das auf einem freien Platz mitten in der Innenstadt errichtet worden war und von allen Seiten bläulich beleuchtet wurde. Kunstvolle Säulen und Statuen gaben ihm den Stil einer altgriechischen Tempelanlage.

Die Stufen zum Eingang waren mit einem roten Teppich ausgelegt, die die vielen edel gekleideten Besucher hinauf stiegen.

Jesse und Fireball waren dem Anlass entsprechend in schwarze Anzüge gekleidet. Fireball hatte sein Haar mit viel Gel zurückgekämmt und einen falschen Bart angeklebt, während Jesse sein Haar zusammengebunden und eine eckige Brille mit breitem Rand aufgesetzt hatte. Es war äußerst riskant, musste heute aber ausreichen. Nebeneinander gingen sie zum Eingang, als plötzlich Saber in Begleitung eines älteren Herrn von der Seite auftauchte, mit dem er sich angeregt unterhielt.

Jesse reagierte prompt und zog Fireball hinter eine Säule. „Wir müssen die Mission sofort abbrechen.“

„Was ist los, wieso denn auf einmal? Saber ist doch da und seine Begleitung auch.“

„Es geht nicht“, erklärte Jesse fahrig, während er möglichst unauffällig hinter der Säule hervorlugte, um die beiden Männer zu beobachten. Jesse biss die Zähne zusammen, aber der innere Druck wurde zu groß und er gab ihm schließlich nach. „Der Mann neben Saber ist mein Vater. Ich kann da einfach nicht reingehen. Was, wenn er mich sieht und erkennt?“

„Dein Vater?“, wiederholte Fireball überrascht und betrachtete Sabers Begleitung genauer. Der Mann war ungefähr Ende 60, annähernd gleich groß wie sein Begleiter, mit strenger Frisur. Seine Augen waren stechend blau und seine Haltung war die eines Anführers, der es gewohnt war, dass ihm Respekt und Ansehen entgegengebracht wurden.

„Hä? Das ist doch Dr. Maverick, der Eigentümer von Maverick Laser Technologies“, stellte Fireball fest und sah Jesse irritiert an.

„Ich dachte, er hätte die Firma nach Kriegsende verkauft, weil es nicht mehr so gut lief“, bemerkte Jesse mehr zu sich, der die Augen nicht von seinem Vater lassen konnte, den er seit dem Streit nicht mehr gesehen hatte.

„Aber“, setzte Fireball erneut an, „hat Maverick nicht Ramrods Schnellfeuerkanonen und den Blaster hergestellt?“ Er wollte es nicht glauben, was er da gerade erfahren hatte. „Dann … bist du der Sohn von Dr. Maverick?“, brachte er schließlich heraus. Fireball brauchte einfach eine Bestätigung, damit er sich sicher sein konnte, dass er es richtig begriffen hatte.

„So ist es“, antwortete Jesse schlicht und beobachtete wie die beiden Männer im Eingang verschwanden. Als sie außer Sichtweite waren, sah er zu Fireball, der ihn immer noch entgeistert anstarrte.

„Lass uns gehen. Ich will weg von hier.“

„Jetzt wird mir einiges klar“, bemerkte Fireball fest, der Jesse folgte.

„Was wird dir klar?“, wollte Jesse mit einem warnenden Seitenblick wissen. Seine Laune war auf einen Tiefpunkt gesunken, weil die Begegnung die alten Geschichten, die er seit Jahren verdrängt hatte, wieder ans Tageslicht brachten.

„Warum du so bist. Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen, deinen Vater mal persönlich zu treffen, und zwar zu Ramrods Abschiedsfest ein Jahr nach Kriegsende. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, weil er uns dermaßen herablassend und arrogant behandelt hatte, dass man sich dafür schämen musste.“

„Du meinst, ich bin genauso wie er“, stellte Jesse finster fest.

„Zumindest warst du es mal, das musst du zugeben. Jetzt bist du es eher nicht mehr. Was ich aber eigentlich meinte, ist, dass du als Kind mit so einem Vater wohl nicht besonders viel zu lachen hattest. Darf ich mal raten? Dein Vater hat sich als eine Art Herrscher der Familie gestehen und ein strenges Regime geführt. Dass es euch nicht Geld fehlte ist klar, immerhin ist Maverick ein traditionsreiches und erfolgreiches Unternehmen. Du solltest bestimmt sein würdiger Nachfolger werden, um den Fortbestand der Firma zu sichern und deshalb hat er akribisch genau darüber bestimmt, was du zu tun und zu lassen hattest. Ich vermute mal, dass du nicht viele Freunde hattest, nicht draußen spielen und Unsinn treiben durftest, aber dafür stundenlang lernen musstest, vielleicht sogar mit Privatlehrern oder in einem teuren Internat und wehe du warst nicht der Beste. Ich kann mir sogar vorstellen, dass dein Vater sogar schon eine Verabredung getroffen hat, wen du später einmal hättest heiraten sollen. Stimmt's oder hab ich recht?“

„So ungefähr“, antwortete Jesse missmutig, der nicht zugeben wollte, wie nah Fireball an der Wahrheit dran war. Obwohl es lange her war, tat es weh, das alles zu hören.

„Das war sicher ein Schlag ins Gesicht, als du ihm gesagt hast, dass du lieber Anwalt werden wolltest, anstatt in seine Fußstapfen zu treten. Bei seiner Art wundert es mich nicht, dass er dich enterbt hat. Aber du hast das Richtige gemacht. An deiner Stelle hätte ich genauso entschieden.“

„Gebracht hat es letzten Endes nichts. Vielleicht war ich damals meinem Vater wirklich zu ähnlich und deswegen bin ich trotz meiner hervorragenden Leistungen bei den Star Sheriffs auf keinen grünen Zweig gekommen. Aber was hilft es, der Vergangenheit hinterher zu trauern?“

„Nichts. Man kann sie nur akzeptieren, aber manchmal fällt das halt schwer; ich spreche aus Erfahrung“, zwinkerte Fireball und stieß Jesse freundschaftlich mit dem Ellenbogen in die Seite. „Hast du denn keine Geschwister, die die Firma hätten leiten können?“

„Nein, nicht dass ich wüsste“, antwortete Jesse. Er zog die Tickets aus der Innentasche seines Jacketts, um sie in den nächsten Mülleimer zu werfen, als Fireball ihn aufhielt.

„Wollen wir nicht doch reingehen? Saber könnte dich und mich genauso erkennen.“

„Nein. Sei froh, so kommst du um die Arien herum.“

„Stimmt. Aber es interessiert mich jetzt schon sehr, was Saber mit deinem Daddy zu schaffen hat.“

„Mich auch, aber heute ist nicht der richtige Zeitpunkt, das herauszufinden. Es war keine gute Idee, so unvorbereitet herzukommen. Das Risiko ist einfach zu groß.“

„Wahrscheinlich hast du recht,“ meinte Fireball und kratzte sich an seinem falschen Bart, wobei er Jesse ratlos ansah. „Meinst du, dein Kontaktmann kann Infos abgreifen und sie dir zuschicken?“

„Diesmal nicht, weil er nicht dabei ist“, antwortete Jesse und ließ die Tickets in den Mülleimer fallen, ehe er seine Hände in den Hosentaschen vergrub.

„Hm“, brummte Fireball geknickt, der die Hände ebenfalls in die Taschen gesteckt hatte und mit gesenktem Kopf neben Jesse her trottete. Plötzlich fiel ihm etwas ein und er sah seinen Nebenmann an. „Hey! Wieso heißt du Blue mit Nachnamen, wenn dein Vater Maverick heißt? Heißt du am Ende auch gar nicht Jesse?“

„Weil ich mit meinem Vater nichts mehr zu tun haben wollte. General White Hawk half mir, meinen Namen zu ändern. Er ist der Einzige, der über meine Herkunft Bescheid weiß. Naja, und jetzt halt auch du.“

„Und wie heißt du richtig?“

„Bleib einfach bei Jesse und lass es gut sein“, meinte Jesse und gab einem Taxi ein Zeichen, damit es anhielt. „Du hast mit deiner Vergangenheit abgeschlossen und ich mit meiner. Nutzen wir den Abend lieber, um weiterzuarbeiten.“
 


 

Mit angespanntem Gesicht trat Fireball in ein weißes, kurzärmeliges Hemd und Bluejeans gekleidet vor die unzähligen Mikrofone. Seine Ankündigung, eine Presseerklärung abgeben zu wollen, hatte einen Aufruhr in der Medienwelt verursacht und heute waren so viele Reporter und Mikrofone da, dass er sie kaum überblicken konnte. Neben den einschlägigen Sportmagazinen und TV–Sendern hatten sich auch allerlei Klatschreporter eingefunden, die alle etwas von der riesigen Torte abhaben wollten, die er ihnen bot.

Obwohl Fireball schon unzählige Interviews in seinem Leben gegeben hatte, war er heute sehr nervös. Daran änderte nichts, dass er seinen Auftritt gestern etliche Male mit Jesse durchgegangen war, der eine nie geahnte Geduld aufgebracht hatte.

Im Raum wurde es still, nur das leichte Rascheln von Notizblättern und das dauernde Klicken von zig Spiegelreflexkameras war zu hören, als alle gespannt darauf warteten, was Fireball ihnen zu sagen hatte.

„Guten Tag zusammen“, begrüßte Fireball die anwesenden Reporter, während er seinen Blick über sie gleiten ließ. Dass er sich alles andere als souverän und überzeugend fühlte, merkte man seiner Stimme nicht an.

„Ich möchte Sie nicht lange aufhalten und gleich zu dem Thema kommen, weswegen Sie sich hier eingefunden haben. In den letzten Monaten habe ich mich nicht zur Trennung von meiner Frau geäußert, weil ich dies selbst erst einmal verarbeiten musste. Außerdem kam die Auflösung meines Teams erschwerend hinzu wie Ihnen sicherlich bekannt ist. Nun aber haben die Anfeindungen gegen mich einen Höhepunkt erreicht, bei dem ich nicht weiter tatenlos zusehen kann.“ Ein Raunen ging durch die Menge und Fireballs Augen funkelten ein wenig herausfordernder. Die Presse konnte ein Freund sein und gleichzeitig der größte Feind.

„Daher möchte ich jetzt zu den mir wichtigsten, falsch dargestellten Tatsachen Stellung nehmen. Erstens. Entgegen aller Behauptungen sind mir meine beiden Töchter Fiona und Alyssa das Liebste und Teuerste auf der Welt und ich würde mich freuen, wenn ich Zeit mit ihnen verbringen könnte. Leider werden sie mir vorenthalten und ich kann derzeit nichts dagegen tun. Daher muss eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden. Zweitens. Eine Trennung hat immer zwei Seiten. Bisher wurde nur Carolines Seite gehört und vermarktet, die so nicht ganz der Wahrheit entspricht. Fakt ist, dass sie mich verlassen hat - und nicht umgekehrt -, da sie es vorzieht, mit Nicolas Alvarado zusammen zu sein. Die herannahende Insolvenz meines Teams erleichterte ihre Entscheidung, da ich ihr den finanziellen Rückhalt nicht mehr bieten kann. Diese Tatsache hat sie Ihnen gegenüber wahrscheinlich nicht erwähnt. Drittens. Ich weiß, dass ich eine Person des öffentlichen Interesses bin und respektiere Ihre Arbeit. Dennoch bitte ich ebenfalls um Respekt und Zurückhaltung, wenn es um eine persönliche Angelegenheit dieses Ausmaßes geht. Bisher haben Sie alle immer die gewünschten Informationen bekommen und daran hat sich von meiner Seite aus nichts geändert.“ Das aufkommende Gemurmel war etwas peinlich berührt, was Fireball innerlich wohlwollend zur Kenntnis nahm. Er ging allerdings nicht darauf ein, sondern fuhr ohne Pause in seinem Text fort: „Viertens. Mein Team wurde korrekt durch meinen Anwalt aufgelöst und ausbezahlt. Sie können die Unterlagen dazu gerne einsehen, ich habe nichts zu verbergen. Die Gerüchte, dass ich sie hängen lasse, weise ich deshalb entschieden von mir! Ich ziehe mich ab sofort komplett aus der Formel 1 und dem öffentlichen Leben zurück und ich bitte um Ihr Verständnis, dass ich keine weiteren Interviews mehr geben werde. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!“ Fireball sah noch einmal in die Reportermassen und ihm wurde in diesem Moment bewusst, dass dies das letzte Interview seines Lebens gewesen war und er diesen Anblick nie wieder sehen würde. Die Presseleute schienen nicht glauben zu wollen, dass die Erklärung beendet war. Erst als Fireball seine Aufzeichnungen nahm und das Rednerpult verließ, ging der Ansturm los: „Fireball! Was werden Sie in Zukunft tun?“

„Mr. Hikari, wann ist die Scheidung?“

„Werden Sie Ihre Frau verklagen?“

„Auf welchen Tatsachen stützen Sie Ihre Behauptungen?“

„Was machen Sie mit…?“

Die Tür fiel hinter Fireball ins Schloss und dämpfte die Reportermasse zu aufgebrachtem Gemurmel, deren einzelne Fragen er nicht mehr differenzieren konnte. Das Sicherheitspersonal hatte alle Hände voll zu tun, die Informationsgier der Medien zu bewältigen, aber dies war Fireball egal. Tief atmete er durch und steckte seine Aufzeichnungen in seine Gesäßtasche. Jetzt, da dieser Schritt getan war, fühlte er sich erleichtert und frei. Er musste Jesse sogar dafür danken, dass er ihn hierzu gedrängt hatte. Es war wirklich ein erster Schritt in ein neues Leben und zurück zum „alten“ Fireball.

Beschwingt und mit einem leichten Grinsen auf den Lippen machte er sich ohne Umwege auf den Weg zum Dach, wo sein Gleiter geparkt war. Endlich schien sich der Stillstand in seinem Leben aufzulösen und es ging wieder voran, wobei es Fireball sogar ziemlich egal war, in welche Richtung. Hauptsache, es bewegte sich wieder etwas.

Auch der Hausverkauf machte Fortschritte. Die Sachen waren inzwischen alle gepackt und morgen würde ein Transportunternehmen kommen, um sie mitzunehmen und einzulagern. Der Makler wäre ebenfalls anwesend, um Aufnahmen für das Exposé zu machen. Damit würde ein weiterer Teil der riesigen Last von Fireballs Schultern genommen.

Die Scheidung selbst würde noch einmal hart für Fireball werden; dass sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, war nur ein kleines Trostpflaster. Der Termin war schon in drei Tagen angesetzt, denn auf Jesses Anraten hin hatte Fireball um Verschiebung auf einen früheren Zeitpunkt gebeten, die ihm gewährt worden war. Der Richter zeigte vollstes Verständnis dafür, als Fireball seine Gründe dafür anführte, die sich auf die Sorge um seine Kinder stützte, die er vor dem Presserummel schützen wollte. Carl, Fireballs Anwalt, hatte nach einigen Diskussionen seine Ausarbeitungen zur Verfügung gestellt. Während Jesse vermutete, dass Carl bisher gar keine Vorbereitungen getroffen hatte, glaubte Fireball, dass Carl beleidigt darüber war, dass er ihm jemanden zur Seite stellte und ihn überprüfen ließ. Fireball hatte Jesses Decknamen Carl gegenüber nicht erwähnt, doch er hatte ihm ebenfalls klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass er seine uneingeschränkte Mitarbeit wünschte. Carl zögerte, da seine berufliche Qualifikation infrage gestellt wurde, aber die Aussicht, dass Fireball etwas extra zahlen würde, brachte schließlich die Zustimmung. Leider hatte Carl die Akten Fireball erst gestern Abend per Mail zukommen lassen. Sie waren in der Tat sehr schlampig zusammengestellt und nun lag es an Jesse, alles innerhalb kürzester Zeit zu sichten, zu prüfen und einen brauchbaren Vorschlag auszuarbeiten.
 

Während des Fluges zurück zu seinem Haus, wo Jesse über Carls Unterlagen brütete, dachte Fireball wieder einmal viel über seinen neuen Partner nach. Seine Arbeitsweise war schnell und effizient und er wusste genau, wo er ansetzen musste. Fireball wunderte nicht, dass er früher so ein schwieriger Gegner gewesen war und er war sich inzwischen ziemlich sicher, dass Jesses Versagen meistens nicht seine Schuld gewesen war. Es zog ihm kalt den Rücken hinauf, als er sich ausmalte, was gewesen wäre, wenn die Outrider nicht so sehr gegeneinander gearbeitet hätten und sich dadurch immer wieder selbst in die Quere gekommen wären. Hätte das Neue Grenzland den Krieg dann auch zu seinen Gunsten wenden können? Schnell wischte Fireball diese Gedanken beiseite, denn dies war die Vergangenheit und es war zum Glück anders gekommen und er wollte jetzt nicht darüber sinnieren.

Er landete den Gleiter auf seinem Grundstück und betrat das Haus, das er bald los sein würde.
 

Jesse saß konzentriert mit aufgeschlagenen Akten und einem Notizblock am Laptop und sah auf, als Fireball hereinkam. Er bemerkte sofort an Fireballs Auftreten, dass die Veranstaltung ein voller Erfolg gewesen war und er freute sich sehr darüber, weil dies auch sein Erfolg war. Dennoch schenkte er Fireball nur ein leichtes Lächeln.

„Es ist also wie erwartet gut gelaufen“, stellte er fest.

„Ja“, bestätigte Fireball, „und das ist größtenteils dein Verdienst. Ich danke dir dafür und schulde dir was!“

„Mach dich nicht lächerlich“, entgegnete Jesse unwirsch, der Dankesworte nicht gewohnt war und nicht wusste wie er damit umgehen sollte. Nur mit allergrößter Anstrengung konnte er die sich abzeichnende Röte auf seinen Wangen unterdrücken. „Jetzt können wir uns endlich voll und ganz auf unsere Mission konzentrieren.“ Es war ein schlechtes Ablenkungsmanöver und sowohl Jesse als auch Fireball wussten das. Weil Fireball Jesse nicht reizen und ihn auch nicht vorführen wollte, klopfte er ihm nur kurz anerkennend auf die Schulter und ging in die Küche, wo er eins der übrigen Biere aus dem Kühlschrank, die er vor Wochen, als Caroline ausgezogen war, gekauft hatte. Gerne hätte er den gelungenen Presseauftritt ein bisschen gefeiert, aber leider stand Jesse, der einzige Anwesende, mit dem er feiern konnte, unter Zeitdruck. Außerdem schien er nach dem Kater vor zwei Tagen nicht unbedingt in der Stimmung für eine Party zu sein. Deshalb ging Fireball nach oben, um Jesse nicht weiter zu stören.
 

Einige Zeit später hatte sich Fireballs Hochgefühl wieder gelegt und er kam zurück ins Wohnzimmer.

„Wie kommst du voran?“, erkundigte er sich und nahm seinen eigenen Laptop zur Hand, um ihn hochzufahren.

„Es geht“, antwortete Jesse einsilbig ohne seine Aufmerksamkeit vom Monitor zu nehmen. „Ich bin noch dabei, mich in die Gesetzestexte einzulesen und einige Urteile durchzustöbern, das dauert eben.“

„Weißt du, was ich mir überlegt habe?“, fragte Fireball und Jesse sah den anderen nun leicht genervt an, weil er unterbrochen worden war.

„Nein. Was?“

„Wenn Saber wirklich einen Angriff auf die Phantomzone vorhat, dann braucht er einen Dimensionsantrieb.“ Jesses Blick wurde weniger genervt, sondern vielmehr interessiert, was Fireball zum Weiterreden animierte. „Deshalb müsste er theoretisch eine groß angelegte Forschung in dieser Hinsicht betreiben. Ich weiß nur, dass man mit den Phantomgleitern, die nach dem Krieg übrig waren, keine Dimensionssprünge mehr machen konnte. Man vermutete, dass es mit der Zerstörung der Tritonmaterie zusammenhängt, konnte es aber nie überprüfen“, führte Fireball aus und Jesse nickte langsam. Auf diesen Gedanken war er noch gar nicht gekommen, obwohl er selbst einen Gleiter mit dieser Antriebstechnik besaß. Beinahe ein Jahrzehnt nach Kriegsende hatte es gedauert, bis die Outrider eine alternative Energiequelle gefunden hatten, die stark genug war, den Sprung durchzuführen, aber diese wurde für weitaus Wichtigeres eingesetzt als andere Dimensionen heimzusuchen.

„Außerdem sind die Sprache und Symbole der Outrider noch nicht ganz entschlüsselt, was es schwierig machen dürfte, Nachrichtentechnik einzusetzen. Ich denke, wir sollten unsere Spionageaktivitäten auch in diese Richtung ausbreiten.“

„Eine gute Idee“, stimmte Jesse positiv überrascht zu, der sehr angetan von Fireballs plötzlicher Einsatzbereitschaft war. Gab er sich so viel Mühe, weil er ihm geholfen hatte und er ihm etwas zurückgeben wollte? Oder war es etwas anders, das Fireball den letzten Kick gegeben hatte, ihm endgültig zu vertrauen? Jesse konnte es sich nicht erklären und beschloss daher, weiterhin vorsichtig zu bleiben.

„Ich habe vorhin von meinem Kontaktmann eine Nachricht erhalten, dass Outriderschiffe im Sigma-Quadranten gesichtet worden sind. Angeblich stellte es sich als falscher Alarm heraus, aber vor ein paar Wochen kam schon einmal eine solche Falschmeldung, allerdings betraf es damals den Omikron-Sektor. Das sind ein bisschen viele Falschmeldungen für meinen Geschmack.“

„Das sollten wir unbedingt überprüfen“, nickte Fireball, „Was zuerst?“

„Zuerst müssen wir mögliche Kontakte herausfinden. Ich setze meinen Informanten darauf an. Du kannst ja schon einmal nach möglichen Firmen suchen, die eine solche Entwicklungsarbeit leisten könnten. Vielleicht stellen die ein ähnliches Programm auf ihren Homepages vor oder sie haben irgendwelche Ergebnisse veröffentlicht, die nicht unbedingt in direktem Zusammenhang mit dieser Forschung stehen.“

„Ich sehe nach“, meinte Fireball und machte sich sogleich an die Arbeit. Eigentlich hatte er sich die einschlägigen Sport-Feeds ansehen wollen und wie seine heutige Presseerklärung angekommen war, doch das vergaß er über die neuen Aufgaben. Erst viel kam es ihm wieder ihn den Sinn, ließ es dann aber sein, da es ihm nicht mehr so wichtig erschien. Dies war Teil eines Lebensabschnitts, den er nun hinter sich gelassen hatte.

Schweigend arbeiteten die beiden nebeneinander, bis Jesse sich müde über die Augen fuhr und den Laptop ausschaltete.

„Ich mache Feierabend für heute. Wann geht’s morgen früh los?“

„Die Transportfirma kommt gegen neun und holt die Sachen ab.“

„Okay. Dann gute Nacht.“

„Gute Nacht.“ Fireball sah Jesse hinterher und beschloss kurz darauf, ebenfalls ins Bett zu gehen.
 


 

„Ruf mich an, wenn die Möbelpacker fertig sind“, sagte Jesse am nächsten Morgen zu Fireball und reichte ihm einen Zettel mit seiner Handynummer. „Ich brauche Ruhe, um den Rest für morgen fertig zu machen.“ Die vielen Notizzettel stopfte er in die Laptoptasche, die er anschließend über seine Schulter hängte. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, bis zum frühen Nachmittag fertig zu sein, damit Carl - im Gegensatz zu ihm - genug Zeit hatte, sich die Forderungen und die ausführlichen Begründungen durchzulesen und sich gut vorzubereiten. Jesse wollte das Thema morgen unbedingt vom Tisch haben, damit die Mission endlich ohne Störungen und in geregelten Bahnen weitergehen konnte. Gerade Fireballs neue Ansätze brachten viel Arbeit und Recherchen mit sich, die ebenso sorgfältig ausgeführt werden mussten wie die bisherigen Ermittlungen. Sie hatten eine ganze Menge an Indizien zusammengetragen, aber immer noch keinen konkreten Beweis, der Saber ans Messer liefern würde.

„Mach ich“, nickte Fireball und nahm den Zettel entgegen. „Dann bis später“, verabschiedete er ihn, als gerade der LKW der Umzugsfirma eintraf.
 

Für beide wurde es ein arbeitsreicher, aber erfolgreicher Tag. Jesse hatte wie geplant die Unterlagen zu seiner Zufriedenheit fertig gestellt. Kurz darauf rief Fireball an und informierte Jesse, dass die Möbelpacker gerade ihre Arbeit beendet hatten.

„Gleich kommt der Makler und wir machen die Übergabe und erledigen den ganzen Formularkram. Ich denke, in spätestens einer Stunde sind wir damit durch.“

„Ist gut“, verabschiedete sich Jesse und legte auf. Er schob seine Sonnenbrille aus seinem Haar zurück auf die Nase und bestellte einen Kaffee bei der Bedienung. Seit den frühen Morgenstunden hielt er sich in der historischen Bibliothek von Yuma auf und gönnte sich jetzt ein wenig Entspannung im Café des Parks nebenan. Es war nach wie vor ein befremdliches Gefühl für ihn, einfach dazusitzen, die vorbeigehenden Leute zu beobachten und nichts zu tun, aber vielleicht hatte Fireball tatsächlich recht, dass eine Pause ab und zu gut tat und danach neue Inspirationen und Ideen brachte. Wie sollte er das herausfinden, wenn er es nicht selbst ausprobierte?
 

Eine Stunde später rief Fireball an. „Alles erledigt.“

„Sehr gut. Dann sprechen wir jetzt am besten die Verhandlung für morgen durch und danach kannst du die Unterlagen an Carl senden“, erwiderte Jesse, der bei Gericht nicht anwesend sein würde.

„Okay. Ich werde heute Nacht in der Stadt bleiben und mir ein Hotel nehmen. Vielleicht können wir das dort besprechen.“

„Wie du meinst. Welches Hotel?“

„Das Kensington. Kennst du es?“

„Ja, ich weiß, wo es ist. Wann bist du da?“

„Ich mache mich sofort auf den Weg.“

„Gut. Ich auch.“
 

Dort angekommen, buchte Fireball ein Zimmer, dann setzten sie sich in eine ruhigere Ecke der Lounge, um die morgige Scheidung zu besprechen. Jesse erklärte jeden Schritt und die dazugehörigen Begründungen und Gesetzesgrundlagen, und Fireball hörte aufmerksam zu, während er eine Zigarette nach der anderen rauchte. Erst als er alles verstanden hatte, schickte er die Unterlagen an Carl und rief ihn an, um ihm ein weiteres Mal einzuschärfen, dass er sich richtig vorbereiten sollte.

An diesem Abend unterließ er es, Dankesworte an Jesse zu richten. Fireball war in dieser Hinsicht froh, den anderen bei sich zu haben, denn nun stieg die Nervosität in ihm auf. Lieber hätte er zwar Colt bei sich gehabt so wie damals, als er Trauzeuge bei der Hochzeit gewesen war und umgekehrt Fireball bei Colt und Robins, doch seit sein bester Freund und Robin sich getrennt hatten, war der Kontakt immer weniger geworden bis weder er noch Colt sich jemals wieder gemeldet hatten. Fireball merkte einmal mehr, was für ein unzuverlässiger, egoistischer Kerl er seit der Heirat mit Caroline geworden war und er mochte diese Züge an sich gar nicht leiden. So war er nicht! Ihm wurde bewusst wie sehr er Colt vermisste, und auch April und Saber – die alten Zeiten eben, die nie wieder in dieser Form zurückkehren würden. Stattdessen saß er nun hier mit Jesse, dem ehemaligen Feind, der sich zum Positiven geändert zu haben schien. Er musste zugeben, dass er ihm außerordentlich dankbar für seine Hilfe war, obwohl Jesse das nur getan hatte, um in seiner eigenen Mission voranzukommen. Dennoch hatte er es getan – ein Umstand, den Fireball dem anderen in hundert Jahren nicht zugetraut hätte. Scheinbar hatten sich die Zeiten auch hier geändert und die Feinde gleich mit.
 

„Trink nicht so viel!“, ermahnte Jesse Fireball, als dieser ein weiteres Bier bestellen wollte. „Es hat keinen Sinn, wenn du morgen mit einem dicken Kopf bei Gericht auftauchst und nicht bei der Sache bist!“

Fireball lag eine schroffe Bemerkung auf der Zunge, die er im letzten Moment herunterschluckte. Er war es Jesse schuldig, sich zusammenzureißen und die viele Arbeit des anderen nicht wegen eines Bieres zu viel zunichte zu machen. Dabei ging es im Grunde genommen nicht nur um den Respekt Jesses Bemühungen gegenüber, sondern vielmehr um sein eigenes Leben.

„Einen Guavensaft“, bestellte er dann beim Kellner und zeigte Jesse auf diesem Weg, dass er verstanden hatte, worum es ging.

„Bist du dir sicher, dass du alles verstanden hast?“

„Ja, bin ich. Deine Erklärungen waren logisch und nachvollziehbar. Falls Carl versagt, traue ich mir sogar zu, das selbst in die Hand zu nehmen.“

„Gut. Dann bleibt nur noch, auf morgen zu warten.“ Jesse zog einen Geldschein aus seiner Hosentasche und legte ihn auf den Tisch. „Wir treffen uns nach deinem Termin am besten einfach wieder bei mir.“

„Steck das Geld wieder ein, ich zahle“, sagte Fireball. „Das ist das Mindeste, was ich tun kann.“

Jesse überlegte kurz mit unergründbarer Miene, dann nahm er den Schein wieder an sich und stand auf. „Also, bis morgen bei mir.“

„Genau. Bis dann“, nickte Fireball und nahm sein Glas entgegen, das der Kellner ihm reichte. Er schaute Jesse hinterher und seine Gedanken kehrten zurück zu Colt. Dann kam ihm eine Idee.

The Fall of Freedom

Jesses Vorbereitungen waren so detailliert gewesen, dass Carl kaum Mühe hatte, Fireballs Forderungen durchzusetzen. Caroline schäumte nach der Verhandlung vor Wut und versah Fireball mit üblen Beschimpfungen, die sofort von der Presse aufgefangen wurden. Er selbst hatte ein kurzes, neutrales Statement abgegeben und sich danach beschwingt und mit frischem Elan auf den Weg zu Jesses Detektivbüro gemacht.

Während des kurzen Fluges beschloss er einmal mehr, Jesse mit aller Kraft zu unterstützen, um ihm auf diesem Weg für seinen Einsatz zu danken. Die Hilfe seitens des ehemaligen Verräters hatte ihn endlich davon überzeugt, dass Jesse die Wahrheit über Sabers Vorhaben sagte und ihm seine Mission ernst war. Letztendlich freute sich Fireball nun richtig auf die kommenden Aufgaben. Ein neues Leben, neue Herausforderungen und die ganze Welt lagen vor ihm und er war mehr als bereit, diese zu betreten.

„Deinem Grinsen nach zu urteilen ist alles wie geplant verlaufen“, stellte Jesse fest, als er ihm die Tür öffnete und ihn hereinließ.

„Bingo! Schade, dass du nicht dabei warst, du hättest sie erleben müssen wie wütend sie war“, meinte Fireball freudestrahlend. Jesse kam ihm etwas lockerer und entspannter vor, seit sie gemeinsam versackt waren. Fireball glaubte außerdem, dass er sich ebenfalls über seinen Erfolg freute, dies aber nicht offen zeigte. Er machte es daran fest, dass Jesse nicht mehr ganz so verkniffen aussah und er fühlte, dass sie durch dieses Erlebnis näher zueinander gerückt waren. Sie hatten etwas, das sie gemeinsam durchgestanden hatten, was sie verband und das Vertrauen zwischen ihnen stärkte.

„Ich kann's mir vorstellen“, winkte Jesse ab, der voraus ins Wohnzimmer ging.

„Die Presse hat jedenfalls ordentlich was geboten bekommen und ich bin endlich nicht länger der Depp der Nation.“

„Herzlichen Glückwunsch. Dann können wir uns jetzt wieder auf unserer eigentlichen Aufgabe widmen.“

„Meinetwegen kann's gerne sofort losgehen“, sagte Fireball, als er sich auf die Lehne des Sessels niederließ, „und ich hab dir direkt einen Vorschlag wegen der Outridersichtungen zu machen. Ich denke, wir sollten jemanden als Scout in den Omikron- und Sigma-Sektor schicken, um die Sache mal zu überprüfen. Da geht doch was nicht mit rechten Dingen zu, meinst du nicht?“

Jesse fasste an sein Kinn und dachte einen Moment nach. „Die Idee ist nicht schlecht“, gab er schließlich zu. „Ein Scout muss zuverlässig, unauffällig und schnell sein. Außerdem sollte er diskret vorgehen und seine Mission geheim halten. Und ich glaube, ich weiß schon, was du mir gleich sagen willst, und ich sage nein!“

„Aber er ist der beste Scout, den ich kenne!“, widersprach Fireball ernüchtert.

„Wenn du Colt engagierst, kann ich mir gleich einen Sarg kaufen!“, zischte Jesse mit blitzenden Augen.

„Jetzt beruhige dich erstmal! Ich will ihm ja gar nichts verraten, sondern uns nur Hilfe holen, damit wir schneller vorankommen!“

„Die Idee ist zwar gut, aber muss es unbedingt Colt sein, verdammt?“

„Ich kenne sonst niemanden, der uns unterstützen könnte und dem ich in diesem Ausmaß vertraue! Außerdem hast du gerade selbst gesagt, dass du niemanden kennst!“ Fireball wurde bestimmter. „Das würde uns einige Wochen Zeit ersparen!“

„Aber ich vertraue ihm nicht!“

„Er wird nichts von dir erfahren, Jesse!“

„Und wie hast du dir das vorgestellt, hm? Da bin ich aber mal gespannt!“ Jesse Stimme troff vor Zynismus, als er sich mit vor der Brust verschränkten Armen auf der Couch zurücklehnte und Fireball herausfordernd ansah. Die gute Laune war dahin.

„Ich rufe ihn einfach an. Ich werde nichts von einem Treffen sagen, falls du denkst, ich bespreche das persönlich“, antwortete Fireball schlicht und er sah Jesse an, dass er ihm tatsächlich ein wenig der Wind aus den Segeln genommen hatte.

„Colt wird sich nicht einfach so ohne Weiteres auf diese Mission einlassen. Er wird irgendetwas dahinter vermuten und Fragen stellen!“

„Jetzt sieh mal keine Gespenster!“, schnaubte Fireball, der wegen Jesses Sturheit langsam richtig wütend wurde. „Ich frage ihn einfach, ob er Lust auf einen Auftrag hat. Es wird kein Wort von dir und unserer Mission fallen!“

Jesse presste seine Lippen zusammen und schwieg.

„Wir können Saber nicht ewig ausspionieren, irgendwann müssen wir mal zu einem Ergebnis kommen!“, drängte Fireball weiter, und Jesses Lippen wurden noch schmaler. Er wusste, dass Fireball recht hatte, aber es schmeckte ihm nicht, dies zugeben zu müssen.

„Wie lange bist du schon dran an deinen Nachforschungen?“, setzte Fireball noch eins drauf. „Ein paar Monate? Und wie lange willst du das weitermachen? Saber holt sich Hilfe von allen möglichen Firmen und Forschern, um sein Vorhaben voranzutreiben. Also sollten wir das auch tun, sonst ist der Krieg schneller da als wir diese Verschwörung aufgedeckt haben!“ Fireball hatte sich in Rage geredet und schoss seine Argumente wie aus einer Schnellfeuerkanone auf Jesse ab.

„Saber stehen ganz andere Möglichkeiten offen!“, konterte Jesse.

„Außerdem hast du mich auch ausgewählt, warum nicht noch einer mehr? Ich wiederhole nochmal - Colt würde nichts erfahren!“

„Mal angenommen, ich ließe mich darauf ein - was genau würdest du ihm erzählen?“, fragte er er Fireball mit dunklem Blick, als er seinen Laptop lauter als sonst zuklappte.

„Ganz einfach. Ich erzähle ihm von den Outridersichtungen in den beiden Sektoren. Ich kenne Colt, er wird von sich aus sofort dorthin fliegen, ehe ich überhaupt etwas vorschlagen kann!“

„Er würde dich fragen, woher du das weißt“, bemerkte Jesse unterkühlt.

„Ich sage ihm einfach, dass ich in einer Kneipe ein Gespräch mitbekommen habe und dass es mich sehr interessiert.“

Jesse nahm zur Kenntnis, dass Fireball seinen besten Freund ihm zuliebe anlügen würde, was ihn fast laut auflachen ließ. Dass die beiden eine besonders innige Freundschaft miteinander verband, war ihm schon damals in der Phantomzone nicht entgangen. Umso erstaunlicher war es, dass kein Kontakt mehr zwischen ihnen bestand. Nach allem, was Jesse während seiner Nachforschungen herausgefunden hatte, betraf das das gesamte ehemalige Ramrod-Team – sie gingen alle ihrer eigenen Wege. Er unterdrückte den Impuls des Auflachens, amüsierte sich aber innerlich und schlug stattdessen seine Beine übereinander. „Ich hoffe nur, dass er dir glaubt.“

„Das wird er“, versicherte Fireball zuversichtlich und überzeugt. „Er ist immer noch mein Freund.“

„Was, wenn er dich fragt, ob du mitkommst?“, bohrte Jesse weiter.

„Es ist unwahrscheinlich, dass er das fragen wird. Als Scout ist er immer alleine unterwegs gewesen und ich bin mir sicher, dass er das weiterhin so hält. Die meisten Dinge ändern sich nie und er mochte es noch nie, wenn man ihn bei seinen Aufgaben stört.“

„Ich werde darüber nachdenken und dich meine Entscheidung wissen lassen.“

„Denk nicht zu lange, Jesse“, gab sich Fireball erst einmal zufrieden.

„Während ich das erledige, kannst du mal die nächsten Termine von Saber checken. Hier ist die Liste, die ich heute früh bekommen habe. Vielleicht ist etwas Auffälliges dabei.“ Jesse erhob sich und drückte ihm einen Stapel Papier in die Hände, der die zu prüfenden Informationen enthielt. „Ich gehe mir die Beine vertreten.“
 

„Ruf ihn an“, gab Jesse am Abend seine Entscheidung nach seiner Rückkehr bekannt.

Fireball, dessen Augen vom vielen Lesen gerötet waren, saß am Wohnzimmertisch und machte sich Notizen. Im ersten Moment verstand er gar nicht, von was Jesse sprach, doch dann fiel der Groschen. „Jetzt gleich?“

„Warum nicht? Je eher, umso besser.“ Jesse ließ sich auf den Sessel fallen und konnte kaum seine gute Laune verbergen. Sein Plan war wieder einmal ins Wanken gebracht worden, aber diese Abweichung war gar nicht so schlecht. Sie spielte ihm genau genommen sogar in die Hände, denn so konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Colt stand sowieso auf seiner Racheliste und wie sollte er leichter an ihn herankommen?

Er sah zu wie Fireball sein Handy aus der Hosentasche zog und anrief, aber niemand nahm ab, obwohl er es lange klingeln ließ.

„Scheinbar ist er unterwegs oder hat sein Telefon irgendwo vergessen“, meinte Fireball als er auflegte. „Ich probiere es später noch einmal.“
 

Aber auch später am Abend und nach etlichen weiteren Versuchen in den nächsten Tagen hatte Colt das Gespräch weder angenommen noch zurückgerufen.

Fireball machte sich zunehmend mehr Sorgen um seinen Freund und spürte, dass Jesse ungeduldig wurde.

„Wenn er sich nachher wieder nicht meldet, wird dieser Ausflug vertagt!“, bestimmte Jesse und Fireball nickte ergeben.

„Ich kann mir nicht erklären, wo er ist oder was da los ist!“, bemerkte er. Jesse gegenüber zugeben, dass er wegen Colts Verschwinden beunruhigt war, konnte er nicht. Er musste es anders angehen, um den anderen dazu zu kriegen, nach ihm zu suchen, und das lieber heute als morgen.

„Vielleicht suchen wir besser doch nach einem anderen Scout“, überlegte er laut.

„Nein“, widersprach Jesse, was Fireball sehr überraschte. „Wir bleiben bei Colt oder fliegen selbst, wenn die Zeit es zulässt. Ich möchte nicht irgendjemand Unbekannten über die Outridersichtungen informieren. Das gefährdet die Mission!“

Jesse nahm die handschriftlichen Notizen, die Fireball verfasst hatte, und las flüchtig darüber.

„Im Moment gibt es nichts, was wir persönlich überwachen müssten. Eine Woche haben wir Zeit, in der könnten wir nach Colt suchen. Um selbst die beiden Sektoren zu überwachen, reicht die Zeit nicht aus.“ Er reichte den Zettel an Fireball weiter, damit er die anstehenden Überwachungsgelegenheiten vor Augen hatte.

„Wenn wir ihn in dieser Zeit nicht finden, dann wird der Ausflug nach Sigma und Omikron vertagt. Die anstehenden Auswertungen und das Abhören der Funkverkehre können wir von unterwegs aus durchführen.“

Fireball war für einen kurzen Moment sprachlos, denn genau das hatte er sich erhofft. Er ließ sich jedoch von seiner inneren Freude nichts anmerken und reagierte gelassen. „Das hört sich sinnvoll an. Aber jetzt willst du wirklich nach ihm suchen, Obwohl du zuerst dagegen warst?“

„Ich bin mir der Gefahr durchaus bewusst“, erwiderte Jesse langsam. „Aber ich denke, dass ich in dem Fall tatsächlich keine andere Wahl habe als dieses Risiko einzugehen. Wenn wir ihm begegnen, solltest du ihm von Sabers Vorhaben erzählen. Dir glaubt er, mir nicht. Ich hoffe nur, dass wir ihn zuerst sehen, damit ich kann in Deckung gehen kann, bevorer mich umzulegen versucht.“

Fireball nickte und presste seine Lippen zusammen. Es war wirklich eine risikoreiche Angelegenheit für Jesse, umso mehr beeindruckte es ihn, dass er dieses eingehen würde, zum Schutz des Neuen Grenzlandes. Das bestärkte abermals seine Meinung, dass Jesse inzwischen eine vertrauenswürdige Person war, und er führte seine Idee weiter aus: „Colt war in den letzten Jahren wieder als Kopfgeldjäger unterwegs. Ich kenne den Namen von ein paar zwielichtigen Bars, in denen er immer mal wieder abgestiegen ist. Vielleicht sollten wir dort mit unserer Suche beginnen.“

„Das scheint mir der beste Anhaltspunkt, den wir haben“, stimmte Jesse zu. „Vielleicht können wir sein Schiff orten. Hat er seins denn noch?“

„Nein. Den Bronco Buster hat er verschrotten müssen, als ein Fluganfänger auf ihm gelandet war.“ Fireball schmunzelte, als er an diese alte Geschichte dachte, die sich vor etwa zehn Jahren ereignet hatte. „Ich weiß noch wie Colt damals getobt hatte! Sein Bronco Buster bedeutete ihm alles und selbstverständlich gab es dieses Modell nicht mehr zu kaufen. Der arme Flugschüler hatte nach Colts Standpauke auf ewig ein schlechtes Gewissen und hatte seinen Flugschein nie gemacht. Colt hatte sich zwar ein anderes Schiff gekauft, aber war überhaupt nicht damit zufrieden gewesen. Dann hatte er es wieder verkauft und der nächste Gleiter folgte und so weiter und so fort. Irgendwann hab ich die Übersicht verloren und kann dir nicht sagen, was für ein Modell Colt heute fliegt. Dementsprechend habe ich auch nicht seine neue Schiffskennung.“

„Wäre auch zu schön gewesen. Ohne die wird es schwierig. Die Zulassungsstelle gibt ohne Genehmigung keine Daten raus und ihr System zu hacken ist zu zeitaufwändig, also haben wir keine Chance, auf diesem Weg etwas herauszufinden.“

„Aber vielleicht weiß jemand in den Bars etwas.“ Fireball fiel noch etwas anderes ein. „Wie sieht’s eigentlich mit Waffen aus? Hast du welche? In diesen Spelunken trägt jeder einen Blaster, so wie Colt mir erzählt hat. Ich glaube, wir würden da ziemlich auffallen, wenn wir ohne reingehen.“

„Ich habe nur zwei alte Phantomblaster“, antwortete Jesse und holte die beiden outriderischen Waffen aus einem Wohnzimmerschrank hervor. Er legte eine auf den Tisch und behielt die andere in der Hand, in der er sie hin und her drehte.

„Ihre Energiezellen funktionieren seit Nemesis’ Zerstörung nicht mehr und einen Ersatz gibt es dafür nicht. Sie taugen maximal dazu, sie jemandem hinterher zu werfen“, meinte er trocken. Eigentlich hätte sie schon längst entsorgen können, trotzdem brachte er es aus irgendwelchen Gründen nicht fertig. Jetzt bekamen sie scheinbar doch noch ihre Daseinsberechtigung.

Fireball kümmerte sich nicht um derartige Fragen und grinste, als er nach dem anderen Blaster langte, um ihn zu begutachten. Es war lange her, seit er eine Waffe in der Hand gehalten hatte, trotzdem fühlte es sich vertraut und gut an und es gab ihm ein Gefühl der Sicherheit. „Vielleicht dienen sie wenigstens zur Abschreckung?“, überlegte er.

„Kann sein. Wohler würde ich mich bei den ganzen schießwütigen Kerlen allerdings mit einem richtigen Blaster fühlen. Nur hab ich keine Ahnung, woher wir den nehmen sollen.“

„Hast du keine Connections, die uns welche besorgen könnten?“

„Leider nein. Es ist eine heikle Angelegenheit geworden. Die Gesetze auf Yuma und Alamo sind so verschärft worden und die Strafen auf unerlaubten Besitz und illegalen Verkauf so hoch, dass man sogar schon schief angeschaut wird, wenn man nur eine Wasserspritzpistole kaufen will. Sogar die Gesetzeslosen fragen ganz genau nach deinen Gründen und stellen ziemlich unangenehme Fragen.“ Jesse zuckte mit den Schultern. Er hatte schon einige Male probiert, an Blaster heranzukommen, war aber jedes Mal gescheitert. Die Waffentechnologie aus der Phantomzone war noch lange nicht wieder soweit. Die Entwicklungen dort konzentrierten sich derzeit auf das nackte Überleben und die Nachfrage nach Rüstungsgütern nicht vorhanden. „Kennst du nicht irgendwen?“

„Nein, nicht mehr. Seit ich mich dem Autorennen zugewendet habe, gab es keinen Grund mehr, weshalb ich die Erlaubnis erhalten sollte, einen Blaster zu führen“, erklärte er und hob die Waffe. „Dann müssen eben erstmal die herhalten. Vielleicht können wir uns ja unterwegs welche besorgen“, meinte er und presste seine Lippen zusammen. Es war kein gutes Gefühl, sich auf zwei nutzlose Attrappen verlassen zu müssen.
 

Etwas später hatten sie die beiden Phantomblaster und ein paar andere Sachen zusammengepackt und machten sich am gleichen Abend mit Jesses Gleiter auf den Weg zur ersten Bar, die sie drei Stunden später erreichten.

Jesse landete neben den anderen Schiffen vor dem Gateways, dessen grüne Leuchtreklame hell erstrahlte. Laute Musik war bereits an ihrem Landeplatz zu hören, obwohl der Eingang gute hundert Meter entfernt war. Am anderen Ende prügelten sich zwei Kerle und die Türsteher feuerten sie an.

„Sieht ja einladend aus“, bemerkte Jesse zynisch, was Fireball mit einem mulmigen Nicken bestätigte. Von außen sah das Gateways aus wie eine Mischung aus Disco, Bar, Puff und Hotel, was es wahrscheinlich auch war. Die parkenden Raumschiffe waren von unterschiedlicher Größe und Art. Manche waren eher fliegende Motorräder, andere fast schon eine Art Luxusliner. Einige waren ramponiert, verbeult und schlecht lackiert, andere schienen frisch aus der Fabrik zu kommen.

Jesse trug eine dunkelblaue Jeans und ein langärmeliges, grau kariertes Holzfällerhemd, während Fireball eine schwarze Cargohose und dazu ein weinrotes T-Shirt mit einem Totenkopf-Aufdruck gewählt hatte. Seine Haare waren mit etwas Wasser zurück gekämmt, doch auf eine aufwändigere Tarnung hatte er verzichtet. Beide hatten ihre Blaster umgeschnallt und machten sich auf den Weg zum Eingang. Da die Türsteher mit der Prügelei beschäftigt waren, traten sie einfach ein, wobei sie von höllischem Lärm in Empfang genommen wurden, was Fireball als eine Mischung aus Speedtechno und Grunge erkannte.

Um sich zu orientieren blieben sie kurz stehen und schauten sich um. Sie standen vor einem metallenen Geländer, der eine Art Balkon war. Rechts von ihnen befand sich eine Garderobe, in der eine ältere, stark geschminkte Frau auf Kundschaft wartete und Fireball zuzwinkerte, der dies nur einseitig lächelnd erwiderte und sich lieber schnell in eine andere Richtung abwandte. Auf der anderen Seite ging eine Treppe herunter und man gelangte zu den Sitz- und Stehgelegenheiten. Stehtische waren in einem Bereich aufgestellt, der sich unmittelbar an die Tanzfläche anschloss. Kleine Gruppen von Sitzgelegenheiten folgten und weiter am Rand gab es abgeteilte Nischen, in denen man wunderbar entweder zwielichtigen Geschäften nachgehen, ungestört herumfummeln oder eine der unzähligen Drogen konsumieren konnte, die hier ebenfalls verkauft wurden. Eine riesige, gut bestückte Bar zog sich über die komplette Längsseite und Fireball zählte auf Anhieb zehn Barkeeper, die dort verschiedene Drinks mixten. Eine große Bühne mit einem Ausleger, der in die Tanzfläche ragte, schloss sich mit einigem Abstand zur Bar an. Dort tanzten derzeit einige leicht bekleidete Frauen und ließen sich Scheine in ihre BHs und Tangas stecken. Das Publikum bestand vorwiegend aus Männern, die sich hier amüsierten und lautstark die Tänzerinnen anfeuerten und ihnen eindeutige Angebote machten. Andere zappelten auf der Tanzfläche zu dem unmöglichen Sound, den es - so vermutete Fireball - wohl nur hier draußen gab.

Jesse stieß ihn leicht mit dem Ellenbogen an und gab ihm mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass die Theke ihr Ziel war. Das hier arbeitende Personal kannte sich vermutlich am besten mit den Gegebenheiten aus.

Kaum dass sie sich auf zwei nebeneinander stehende, freie Barhocker niedergelassen hatten, war schon ein schlanker, etwas zu klein geratener Barkeeper zur Stelle und fragte brüllend, um die Musik zu übertönen, nach ihren Wünschen. Jesse deutete auf den Zapfhahn und bestellte so wortlos ein Bier, während Fireball zurück schreiend einen Energydrink orderte.

Der Kellner verschwand, um das Gewünschte zu holen. Fireball fragte sich, wie um alles in der Welt sie hier nach Colt fragen sollten. Bei dem Lärm konnte man nichts verstehen und er glaubte nicht, dass Jesse über ein Superman-Gehör verfügte.

Als die Getränke kamen, drehte sich Jesse mit dem Rücken zur Bar, um die Leute auf der Tanzfläche und der Bühne zu betrachten. Er hätte auch so sitzen bleiben können, da die Rückseite der Bar verspiegelt war, aber die Regalböden und Flaschen ermöglichten keine freie Sicht.

Er beugte sich zu Fireball. „Halte Ausschau nach Colt, vielleicht ist er ja hier!“

Fireball nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Also tat er es Jesse gleich, nahm seinen Drink und lehnte sich mit dem Rücken an den Tresen. Von hier aus hatte man eine sehr gutes Panorama über die ganze Fläche, da die Bar um drei Stufen erhöht war.

Die anwesenden Typen und Tussis waren alle ebenso unterschiedlich wie die Gleiter draußen auf dem Parkplatz. Manche trugen eine rockige Kluft aus schwarzem, nietenbesetztem Leder und dazu Vollbärte, andere waren beinahe schon zu edel für diesen Laden angezogen und schienen gar nicht hierher zu passen. Wieder andere sahen so jung aus, dass Fireball sich fragte, ob sie nicht schon ins Bett gehörten, während die nächsten eher einen Sarg benötigten. Es wurde geraucht – nicht nur Zigaretten oder Zigarren, sondern auch Pfeifen, Shishas und Joints. Auch andere Drogen – Aufputschmittel, Designerpillen sowie einfaches Aspirin - gingen über den Tresen. Ausnahmslos jeder Gast trug mindestens eine Waffe.

Fireball entdeckte eine fast unscheinbare Tür, die zu einem Hinterzimmer führte. Als jemand herauskam, erhaschte er einen kurzen Blick in den dahinterliegenden Raum, der zumindest einen Billardtisch beherbergte. Fireball vermutete, dass von dort aus noch weitere Räume abzweigten, denn zwielichtige Hinterzimmer gehörten zu solchen Etablissements wie ein guter Rennwagen auf eine Rennstrecke. Genau hier wurden die wirklich wichtigen Geschäfte mit den einflussreichsten Leuten abgeschlossen und der Service in diesen Räumlichkeiten war mit Sicherheit weitaus erstklassiger und weitreichender als im öffentlichen Bereich.

Zum ersten Mal bekam Fireball einen echten Eindruck von Colts Leben als Kopfgeldjäger. Zwar hatte der Cowboy ihm schon häufiger davon erzählt, aber an einem solchen Ort zu sein und das alles hautnah zu erleben, war etwas ganz anderes. Er fragte sich, wie oft Colt wohl schon die hier angebotenen Dienste in Anspruch genommen hatte oder wie oft er in einem Hinterzimmer dieser Art gesessen hatte, aber schüttelte sich kurz darauf, denn eigentlich mochte er sich Colt so gar nicht vorstellen.

„Ich glaube, Colt ist nicht hier“, sagte Fireball nach ein paar Minuten zu Jesse, als er sich das Geschehen und die Leute ausreichend angesehen hatte. In dem diffusen Licht mit den vielen schwenkenden Scheinwerfern und Blitzlichtern war es ohnehin schwierig, etwas oder jemanden allzu genau zu erkennen.

„Vielleicht ist er in einem anderen Zimmer“, bemerkte Jesse und drehte sich wieder zur Bar um, um den kleinen Kellner heranzuwinken.

„Willst du noch was trinken?“, brüllte er seine Frage über den Tresen. Jesse beugte sich etwas nach vorne.

„Nein. Wir suchen jemanden. Er heißt Colt. Weißt du, ob er hier ist?“

Der Barkeeper überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, an so einen einfallsreichen Namen könnte ich mich erinnern“, erwiderte er spöttisch und Fireball, der zugehört hatte, setzte schon zu einer unfreundlichen Erwiderung an, die Jesse mit einer kurzen Geste unterband.

„Aber ich arbeite noch nicht so lange hier, vielleicht weiß Curt was.“ Damit verschwand er, um besagten Curt zu holen und Jesse nahm zufrieden einen Schluck von seinem Bier. Kurz darauf kam der Kellner wieder und winkte die beiden mit sich. Er führte sie zu einer der Nischen, die mit hohen, lederbesetzten Wänden und Sitzbänken umgeben waren, die fast einen geschlossenen Kreis bildeten. So blieb nur ein schmaler Durchgang übrig, um hinein zu gelangen. Ein runder Tisch befand sich in der Mitte.

„Curt wird gleich da sein“, sagte der Kellner und bedeutete ihnen, Platz zu nehmen. Hier war es nicht mehr so ohrenbetäubend wie an der Theke und Unterhaltungen in einer angemessenen Lautstärke waren möglich. „Wollt ihr noch etwas trinken?“

„Nochmal das gleiche“, antwortete Jesse für sich und Fireball bestellte nun ebenfalls ein Bier. Beides wurde kurz darauf gebracht und weitere Minuten später trat Curt an ihren Tisch und setzte sich grußlos.

Curt war ein Schrank von einem Mann, groß, muskulös, hatte sein Haar nach hinten gegelt und seinen Bart als Henriquatre gestylt, der ihm etwas Aristokratisches verlieh. An seinen Fingern steckten klobige, goldene Ringe und eine Rolex zierte sein kräftiges Handgelenk, das vermuten ließ, dass er nicht davor zurückschreckte, seine Muskeln einzusetzen, sollte es nötig sein. Die oberen Knöpfe seines teuren, weißen Hemdes waren offen, so dass jeder sein volles Brusthaar und die dicke, goldene Kette sehen konnte, die er trug. Dem Aufführen nach war es offensichtlich, dass es sich um den Besitzer des Gateways handelte.

„Ihr sucht also Colt?“, stellte er fest und beäugte Fireball und Jesse nacheinander abschätzig. „Verratet mir doch, weshalb?“

„Das ist unsere Sache“, erwiderte Jesse und seine alte Arroganz und Unnahbarkeit brach aus seiner Stimme hervor. Erst jetzt fiel Fireball auf, dass er diesen Ton ihm gegenüber in den letzten Tagen fast gar nicht mehr angeschlagen hatte. „Wir haben nur jemanden gesucht, der uns etwas über Colts Aufenthaltsort sagen kann.“

„Jetzt hör mal zu, Jungchen“, knurrte Curt Jesse an und beugte sich mit blitzenden Augen nach vorne. „Nur, dass wir uns verstehen - ich bin der, der hier die Regeln aufstellt. Das ist mein Laden! “

„Schon gut“, wehrte Jesse ab, der zwar die abwertende Ansprache überging, seinen Tonfall aber nicht änderte. „Wir bevorzugen es, lieber nicht darüber zu sprechen. Es geht um eine alte Angelegenheit, die wir endlich mit ihm klären wollen.“ Jesse tippte bedeutungsvoll gegen seinen Blaster und Curt lehnte sich nun entspannter und leicht amüsiert zurück. Es war offensichtlich, dass er sie für zwei halbe Portionen hielt, die man nicht ernst nehmen musste.

„Die Informationen kosten 500“, sagte er. „Ich hoffe, ihr könnt bezahlen.“

„Wir zahlen erst, wenn uns die Informationen etwas nützen“, mischte sich Fireball ein, und Curt lachte nun laut auf.

„Nun, ihr könnt es auch lassen.“ Curt erhob sich und schnippte mit den Fingern. Wie aus dem Nichts erschienen zwei kahl rasierte, muskelbepackte Sicherheitshooligans, die wie gut dressierte Hunde auf jeden Wink ihres Herrchens warteten. Scheinbar waren sie immer in der Nähe des Barbesitzers und hatten sich außerhalb der Sichtweite der Nischen aufgehalten, aber nah genug, dass sie sofort zur Stelle waren, sollte ihr Arbeitgeber eine Aufgabe für sie bereit haben.

„Die beiden Witzbolde möchten gehen“, gab Curt ihnen zu verstehen und ging die beiden Stufen herunter. „Verarschen könnt ihr jemand anderen, aber nicht mich!“, stellte er klar, bevor er seinen Weg fortsetzte. Er mochte es gar nicht, wenn man ihn wegen irgendwelcher unsinnigen Spielereien aus seinem Büro holte und das sollten die beiden Scherzkekse zu spüren bekommen!

Die beiden Türsteher versperrten den Durchgang und schnappten sich Jesse und Fireball, die aufgrund der Enge keine Möglichkeit zur Gegenwehr hatten. Sie wurden unsanft mit verdrehtem Arm und einer prankenartigen Hand im Nacken zum Ausgang befördert, wo sie einen kräftigen Stoß bekamen, der sie nach vorne stolpern ließ. Fireball konnte sich gerade so abfangen, Jesse landete auf Händen und Knien auf dem Asphalt.

„Lasst euch ja nicht wieder hier blicken!“, schnaubte einer der der beiden und drohte ihnen mit der Faust. „So wie dieser Klugscheißer, den ihr sucht!“

„Colt war hier? Wann?“, fragte Fireball überrascht nach und vergaß für einen Moment seinen Ärger.

„Hast du nicht gehört? Informationen kosten! Ihr wollt nicht zahlen, also verpisst euch!“, mischte sich der andere ein und baute sich bedrohlich vor dem zwei Köpfe kleineren Fireball auf. Jesse hatte sich wieder aufgerappelt und strich sein Haar aus dem Gesicht, ehe er sich neben Fireball stellte.

„Dein Boss hört schlecht zu“, bemerkte er abfällig. „Wir hätten bezahlt, aber nicht im Voraus. Richte ihm das aus!“ Der Glatzkopf stockte einen Moment und man konnte seine Gedankengänge auf seinem dickwangigen Gesicht ablesen. Er überlegte fieberhaft, ob er gerade verarscht wurde und wie er reagieren sollte.

Jesse ließ ihm keine Zeit zum Nachdenken. „Oder wollt ihr euch nebenher etwas dazuverdienen?“, lockte er sie. „Natürlich ist es nicht mehr so viel wie euer Boss verlangt hat, dazu habt ihr etwas zu hart zugegriffen.“ Zur Unterstreichung seiner Worte zog er seine Schultern hoch und drehte seinen Kopf hin und her, um seine malträtierten Muskeln zu lockern. „Wir zahlen 100, mehr nicht.“

„Außer, ihr könnt uns zwei schussbereite Blaster verkaufen. Dann zahlen wir die 500“, ergänzte Fireball und Jesse nickte unmerklich. Nun gerieten die beiden hooliganartigen Kerle noch mehr ins Grübeln.

„Wartet dort hinten“, sagte der Größere der beiden Kahlrasierten und reckte sein Kinn in Richtung der Müllcontainer. „In fünfzehn Minuten sind wir da.“
 

Die beiden hielten ihr Wort und tauchten eine Viertelstunde später am verabredeten Ort auf. Jesse hatte sich gegen eine Wand gelehnt und ein Bein angewinkelt, während Fireball hin und her laufend eine Zigarette rauchte. Der Abend war zwar nicht so verlaufen, wie geplant, aber vielleicht würden sie wenigstens wieder bewaffnet sein.

„Gebt uns das Geld!“, verlangte der Kleinere und Fireball griff in seine Hosentasche, um die Scheine herauszuziehen.

„100 jetzt und ihr zeigt uns die Blaster und gebt uns die Informationen über Colt. Dann bekommt ihr den Rest“, stellte Fireball klar, der den Kippenstummel achtlos beiseite geschnickt hatte, als die Kerle anrückten. Abwartend musterten Jesse und Fireball die beiden, die mit dieser einfachen Aussage schon wieder überfordert waren, doch dann streckte der Kleinere die Hand aus und Fireball reichte ihm einen 100-Continentals-Schein.

„Zeig die Blaster, Jaros!“ Jaros holte wie verlangt die beiden Waffen aus der Innentasche seiner Security-Jacke und gab sie mit dem Griff voran an Fireball und Jesse, die sie fachmännisch begutachteten.

„Munition?“, fragte Jesse und Jaros reichte ihm wortlos nach einem Nicken von seinem Kumpel Buck auch diese. Jesse lud die Waffe und feuerte drei Schuss auf die Müllcontainer ab, wobei seine Miene nichts über seine Kaufabsichten verriet.

Fireball fühlte sich wieder einmal in die Vergangenheit zurückgesetzt, als er Jesse so mit einem Blaster sah. Doch damals hätte er nicht das Magazin entfernt und an ihn weitergereicht, so wie er es jetzt tat. Fireball fing sich schnell wieder und tat es Jesse gleich. Als er seine Schießstunde beendet hatte und zufrieden war, ließ er die Munition wo sie war. „Was könnt ihr uns über Colt verraten?“

„Gebt uns erst das Geld!“, verlangte Buck, und nach einigem absichtlichen Zögern, das Fireball mit Verarsch-mich-nicht-Blicken unterstrich, reichte er ihm die restlichen Scheine. Buck entriss sie ihm regelrecht und verstaute sie sofort in der Innentasche seiner Jacke und war nun bereit, weitere Auskünfte zu geben.

„Curt hat ihn rausgeschmissen, seitdem war er nicht mehr hier. Das war vor zwei Jahren“, verriet er und natürlich konnte er sich denken, dass die beiden wissen wollten, wieso.

„Ich kenne den Grund nicht, aber ich weiß, dass Colt nicht mehr gern gesehen ist. Weder bei Curt noch bei den anderen Gästen. Keine Ahnung wie es in den anderen Bars ist, die er so besucht hat, hier hat er jedenfalls keinen Zutritt mehr. Sollte er es wagen, hier herein zu kommen, würden die meisten anderen Gäste gehen und diesen Verlust kann Curt sich nicht leisten. Deshalb hat er Hausverbot.“

Fireball hatte die Lippen zusammengepresst und konnte sich keinen Reim darauf machen. Colt kam immer mit allen zurecht und war normalerweise sehr beliebt. Das passte gar nicht zu ihm.

„Wisst ihr, wo er sich aufhält?“, mischte sich Jesse ein. „Wir haben da noch eine kleine Rechnung offen.“

„Nein“, antwortete Jaros nun statt Buck. „Wir haben nichtmal von jemandem gehört, der ihn in der letzten Zeit irgendwo gesehen hätte, und dabei kommen hier viele Reisende vorbei.“

„Wir kommen wieder, wenn wir merken, dass ihr uns angelogen habt!“, bemerkte Jesse lässig, zog den Phantomblaster und hielt ihn Buck kurz drohend unter die Nase. Dann zog er sich rückwärtsgehend zurück und Fireball folgte ihm auf die gleiche Weise.
 

„Völlige Pleite“, meinte Fireball frustriert, als sie wieder im All waren.

„Hast du wirklich damit gerechnet, dass wir auf Anhieb Informationen bekommen würden?“, fragte Jesse spöttisch. „Sei froh, dass wir wenigstens zwei funktionierende Blaster haben. Mehr Munition dafür kriegen wir auch noch irgendwo her. Zugegebenermaßen war die Idee wirklich gut.“

Fireball winkte müde ab und konzentrierte sich auf die Navigation. „Die nächste Headhunter-Bar auf unserer Liste ist das Wanted in Dry Gulch“, sagte er, als er den Kurs berechnet und einprogrammiert hatte. „Vielleicht haben wir dort mehr Glück.

Aber weder im Wanted noch im Andromeda / Sacramento und im Wolves Inn / Riverside hatten sie in den nächsten Tagen trotz großzügiger Geldspenden mehr herausfinden können. Barbesitzer, Kopfgeldjäger, Spieler und Huren erzählten ihnen mehr oder weniger die gleiche Story – manche gratis, manche gegen Bezahlung. Colt war wie vom Erdboden verschluckt und niemand scherte sich darum. Der Cowboy war in den Kopfgeldjägerkreisen nicht mehr erwünscht und das hatte man ihm sehr deutlich zu verstehen gegeben.

Es war unwahrscheinlich, dass Colt sich von so etwas beeindrucken und vertreiben ließ, und Fireball überlegte daher besorgt, ob man ihn beseitigt hatte. Jesse glaubte allerdings nicht daran, denn sonst hätten die Kopfgeldjäger davon gewusst und es ihnen mitgeteilt. Daher suchten sie weiter. Es blieben ihnen drei Tage, ehe sie zurück sein mussten, um Sabers nächstes Treffen zu überwachen, bei dem es scheinbar um die Forschung nach einem Dimensionsantrieb ging.

Im Andromeda hatten sie weitere Munition für die neuen Blaster erstehen können und fühlten sich somit etwas besser ausgerüstet und entspannter in den zwielichtigen Kreisen.
 

Jetzt waren sie auf dem Weg zum Santiago, dem vorletzten Ziel ihrer Reise. Sowohl Jesse als auch Fireball waren inzwischen ziemlich bedrückt. Fireball war nicht sehr geduldig, was solche Suchen anging, er wollte immer möglichst schnell zum Ziel gelangen und sei es, er musste mit dem Kopf durch die Wand. Das hatte sich seit seiner Zeit als Star Sheriff nicht geändert. Jesse hingegen sah seine Felle einmal mehr davon schwimmen und fürchtete, seine Pläne schon wieder ändern zu müssen. Außerdem würde er um seine Rache an Colt gebracht werden, sollte der Cowboy unauffindbar bleiben. Ein herber Rückschlag.
 

Das Santiago mutete sehr saloonartig an und wirkte ziemlich heruntergekommen. Es war nicht sonderlich groß und relativ weit abgelegen vom Zentrum des Neuen Grenzlandes. Nur wenige Raumschiffe standen auf dem Parkplatz, als Fireball Jesses Gleiter landete. Wegen des starken Regens beeilten sie sich, ins Innere zu gelangen, wo sie sich an den Tresen setzten und Bier bestellten.

Es war erst früh am Abend und es waren nur wenige Gäste anwesend, von denen die meisten trübe vor ihrem Getränk hingen. Drei Männer spielten Poker und einer schaute gelangweilt der leicht bekleideten Tänzerin zu, die sich sichtlich abmühte, ihm einige Scheine zu entlocken. Zwei weitere Bardamen, eine mit roten, langen Locken, die andere blond, hielten sich in der Nähe des Tresens auf, beäugten das Eintreffen der beiden Fremden und lächelten ihnen kokett zu.

Fireball winkte nun den Wirt heran, einen älteren Mann, dessen Vollbart mehr grau als braun war.

„Wir suchen nach Colt Wilcox. Kennen Sie ihn vielleicht und wissen Sie, wo er sich aufhält?“, fragte er direkt, um keine Zeit zu verschwenden. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass sie hier ebenfalls die gleiche Geschichte hörten.

Ehe der Wirt antworten konnte, mischte sich ein anderer Gast ein, der ebenfalls am Tresen saß. Er hob langsam den Kopf und drehte sich auf seinem Barhocker zu den beiden Fremden um und schnaubte abfällig, als er sich gleichzeitig den Bierschaum aus seinem Schnauzbart wischte.

„Colt? Dieser Schleimer hat sich hier ewig nicht blicken lassen und er bleibt auch besser weg von hier! Wenn ich den noch mal sehe, mache ich kurzen Prozess mit ihm!“ Um seine Worte zu unterstreichen, schaute er grimmig drein und schlug fest mit einer Faust in die andere Handfläche.

„Diego!“ Die rothaarige Bardame, die die Szenerie beobachtete hatte, rief den Kopfgeldjäger zur Ordnung und näherte sich den drei Männern. Ihre Schritte waren forsch und ihr Auftreten sehr selbstbewusst, als sie Diego herausfordernd mit hochgerecktem Kinn ansah. „Du brauchst auch nicht mehr hierher kommen, wenn du weiter so über Colt redest oder ihm etwas antun willst!“

„Schon gut, Liz“, lallte der Zurechtgewiesene und bestellte mit einem Handzeichen ein weiteres Bier. „Der kommt eh nicht wieder und ich kann die Kopfgelder alleine einstreichen!“ Er lachte heiser und zog die Utensilien aus seiner Westentasche, um sich eine Zigarette zu drehen.

Liz verzog ihren Mund und wandte sich schwungvoll zu Fireball und Jesse. Ihre Augen blitzten verächtlich, als sie die beiden skeptisch von oben nach unten musterte.

„Was wollt ihr von Colt?“, verlangte sie mit einem provokanten Unterton zu wissen, und Jesse amüsierte sich über ihr Auftreten. Sie schien Colt jedenfalls besser zu kennen und es sah so aus als würden sie hier endlich mehr herausfinden können.

„Ist er hier?“ Auch Fireball deutete ihr Verhalten so wie Jesse und schöpfte neue Hoffnung.

„Ich will zuerst wissen, was ihr von ihm wollt! Also?“

„Wir suchen ihn, weil wir seine Hilfe brauchen“, erklärte Jesse mit gesenkter Stimme und beschloss intuitiv, hier eine andere Taktik anzuwenden. Sie würden nichts erfahren, blieben sie bei ihrer Geschichte mit der offenen Rechnung, die sie mit Colt zu begleichen hatten. „Können wir vielleicht irgendwohin gehen, wo wir ungestörter sind?“

Liz betrachtete sie abermals abschätzend. Sie waren ordentlich und sauber angezogen, beide in Jeans und Hemd mit Waffengurten um die Hüften.

„Eure Blaster!“, verlangte sie schließlich und streckte die Hände aus. Sie gefiel Jesse, denn sie wusste mit Männern umzugehen, und er überreichte ihr seinen mit einem vergnügten Zwinkern. Die Aussicht, endlich etwas herauszufinden, ließ ihn ein bisschen übermütig werden. Sie nahm ihn ohne auf seine Flirtversuche einzugehen und wandte sich an Fireball, der der Aufforderung ebenso widerstandslos nachkam. Mit einer Kopfbewegung bedeutete sie ihnen zu folgen, während sie die beiden Waffen in ihren breiten Gürtel steckte. Unter den wachsamen Augen des Wirts und Diegos, der akribisch genau zugehört hatte, führte sie sie in den Nebenraum, in dem ein großer, runder Tisch stand, der üblicherweise für Pokerturniere benutzt wurde.

„Also, wer seid ihr?“ Forschend betrachtete sie die beiden Männer, von denen der Kleinere ihr vage bekannt vorkam. Jesse lehnte sich an die Tischkante und stützte sich auf der Platte ab.

„Wir sind alte Freunde von ihm und suchen ihn wegen eines Auftrags, den wir ihm geben wollen“, antwortete er.

Liz glaubte ihm nicht. „Alte Freunde haben sich noch nie für ihn interessiert!“ Sie spuckte diese Worte verächtlich aus und ihre Augen funkelten zornig. „Warum ihr? Und warum jetzt?“

Fireball schluckte und das schlechte Gewissen kam bei diesen Worten wieder hoch, weil er sich jahrelang nicht bei Colt gemeldet hatte. „Ich bin Fireball und war mit Colt früher zusammen auf Ramrod unterwegs. Das ist … Jason Barista, ein … Freund aus dieser Zeit. Wir müssen ihn wirklich dringend finden! Es laufen ein paar Dinge, von denen er wissen sollte. Kannst du uns sagen, wo er ist?“ Fireball hatte beschlossen, seine wahre Identität zu offenbaren und alles auf eine Karte zu setzen. Liz wusste etwas, aber sie wollte ihnen nicht trauen. Der innere Zwiespalt war deutlich auf ihrem Gesicht abzulesen. Scheinbar half Fireballs Bekannheitsgrad, denn nach ein paar weiteren Momenten gab sie ihre äußere, selbstsichere Fassade auf und unendliche Sorge zeichnete sich auf ihrer Miene ab.

„Ja, ich erkenne dich. Colt hat mir von dir und den anderen erzählt“, sagte sie traurig. „Leider weiß ich nicht, wo er ist. Er meldet sich schon seit über einem Jahr nicht mehr auf seiner Com und war noch länger nicht mehr hier“, erzählte sie. „Ich hoffe nicht, dass ihm etwas passiert ist.“ Ihre Worte waren leise, als sie diesen quälenden Gedanken aussprach, und Fireball stellte mit einem Mal fest, dass Liz Colt liebte. Obwohl ihm nicht danach war, versuchte er ein aufmunterndes Lächeln. „Du weißt doch, den kriegt so schnell nichts unter! Colt ist zäh!“ Dass sie seine schrecklichen Gedanken teilte, erschrak ihn sehr. Was wäre, wenn er wirklich nicht mehr lebte?

„Das kann ich bestätigen“, mischte sich Jesse ein und erinnerte sich an unzählige Verfolgungsjagden mit dem Cowboy, in denen sie sich gegenseitig nichts geschenkt hatten. Der endgültige Beweis, wer der Bessere war, stand immer noch aus. „Gibt es denn noch andere Saloons oder Orte, von denen er dir mal erzählt hat?“, hakte er nach, stieß sich vom Tisch ab und stellte sich vor sie.

„Er ist mal hier mal da gewesen, immer auf Tour und ständig auf der Suche nach einem neuen Abenteuer“, antwortete Liz und setzte sich nun auf einen Stuhl. „Er wollte möglichst viele Kopfgelder einstreichen und war immer auf der Jagd, besonders hier draußen, wo es nicht so viele Polizeikräfte gibt. In Sacramento, in Dry Gulch, in Golden und Riverside kriegt man als Kopfgeldjäger die besten Aufträge. Dort war ziemlich oft unterwegs, soweit ich weiß.“

„Da waren wir schon und haben nichts über ihn herausgefunden“, sagte Fireball und man merkte ihm seine Sorge nun ebenfalls an. „Du sagst, du hast das letzte Mal vor über einem Jahr mit ihm gesprochen?“

„Ja, das ist richtig. Damals wollte er unbedingt Butch Calden jagen und das Kopfgeld einstreichen. Butch ist der gefährlichste und hinterlistigste Killer, der sich herumtreibt und meines Wissens ist er nicht mehr gesehen oder erwischt worden. Seitdem habe ich auch von Colt nichts mehr gehört. Er ist wie vom Erdboden verschluckt – und ich habe wirklich Angst um ihn. Was wenn Butch ihn -“ Liz unterbrach sich, bevor sie hysterisch wurde und atmete tief durch.

Fireball nickte und schwieg, und auch Jesse wusste nichts zu sagen. Dabei hatte dieser Besuch hier so hoffnungsvoll angefangen, nun schien sich alles wieder als Niete herauszustellen.

„Colt war immer für einen Spaß aufgelegt und hat das Leben genossen“, erzählte Liz und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. „Aber die anderen Jäger haben ihm das Leben nach seiner Rückkehr zur Hölle gemacht. Als Star Sheriff galt er natürlich als Saubermann und hatte die Welt der Kopfgeldjäger verraten. Sie sahen ihn nicht mehr als einen von ihnen an, sondern als etwas Besseres und musste sich immer wieder Anfeindungen und gemeine Sprüche anhören. Ich denke, dass viele neidisch auf seinen Erfolg und Ruhm waren und ihn deshalb geschnitten haben. Es nahm Ausmaße an, dass sogar er von einigen extremen Jägern gesucht und gejagt wurde, es war eine regelrechte Hasskampagne gegen ihn und es gab nicht einen Kopfgeldjäger, der sich auf seine Seite gestellt hätte. Colt tat das alles leichtfertig ab, ihr wisst ja wie er so ist. Vielleicht hat er den Ernst der Lage erkannt, als sie vor ein paar Jahren seinen Gleiter abgeschossen haben. Er konnte sich gerade noch so bis hierher retten. Ich habe ihn hier versteckt und gesund gepflegt…“ Liz’ Tränen liefen nun frei über ihre Wangen und tropften auf ihr leuchtend bordauxfarbenes, üppiges Barkleid, das ihren Busen hübsch zur Geltung brachte. Ihre langen kupferfarbenen Locken fielen über ihr Dekolleté, als sie sich nach vorne beugte und ihr Gesicht in den Händen vergrub.

Fireball und Jesse sahen sich kurz ratlos an, dann ging Fireball zu ihr, um sie in den Arm zu nehmen, da er mehr Erfahrung und Mitgefühl mit weinenden Frauen hatte als Jesse.

„Er hätte tot sein können!“, schluchzte sie, und Fireball murmelte tröstende Worte und ließ sie weinen.
 

Jesse, der sich fehl am Platze und etwas überfordert vorkam, vereinbarte mit Fireball per Blickkontakt, dass er sich erst einmal zurückzog, bis Liz sich wieder beruhigt hatte. Nebenan im Schankraum setzte er sich wieder an den Tresen und ließ sich einen Whisky geben. Als er ihn in einem Zug leerte, rückte Diego näher.

„Saag maal“, nuschelte er Jesse an. Seine Lider waren halb geschlossen und die dunkelbraunen Augen darunter versuchten ihn zu fixieren, schafften es aber nicht. „Was willschd dhu vonn Golt?“

„Das ist meine Sache!“, erwiderte Jesse kalt und rückte ein Stück ab, um der widerwärtigen Alkoholfahne zu entgehen.

„Hörr dshuu, vielleischd gönnen wir gemeinnnn…same Sache machen und ihn…“, er rülpste kurz, „erledigen.“

„Kein Interesse“, lehnte Jesse ab und bestellte einen weiteren Whisky.

„Du hälssd dich wohl für wasch ganz besondresch, hä?“ Diego wurde plötzlich aggressiv und rammte sein Glas so fest auf den Tresen, dass das Bier herausschwappte. „Wie du hier sidssd mit dei’m schaubren Hemmd unn’ den Whissky ssäuffsd!“

Jesse seufzte tief und ignorierte den betrunkenen Kopfgeldjäger, doch der wurde dadurch nur noch mehr provoziert.

„HEY, DU! Isch reede midd dir!“ Diego wurde lauter, sprang auf und stieß Jesse an der Schulter an, der aber ruhig blieb.

„Diego!“, mischte sich der Barkeeper Luke ein, der gerade die Bestellung brachte. „Komm runter und lass das!“

„Hörst du schlecht? Ich sagte, ich hab kein Interesse. Thema beendet!“, erwiderte Jesse und nahm sein zweites Glas entgegen. Am Rande bemerkte er, dass die anderen Gäste zu ihnen herüber schauten, aber nicht eingriffen. Scheinbar war es ein übliches Szenario, das sich hier abspielte.

Diego schlug Jesse das Glas aus der Hand, als dieser gerade zum Trinken ansetzte. Das Glas polterte über den Tresen und fiel auf der anderen Seite herunter, ohne zu zerbrechen; der Whisky verteilte sich über der Platte und auf dem Boden.

„NIEMAND!“, brüllte er, „NIEMAND IGNORIERT MICH, DIEGO JUAN MARCO DEL FUEGO!“

Luke seufzte resignierend und schon brach ein Tumult in dem Laden aus, als Jesse von seinem Hocker aufsprang und dieser umfiel.

„Ich setz’ 15 auf Diego!“, rief einer.

„40!“, ein anderer und ein dritter: „Mit 20 bin ich dabei!“

„Diego, mach ihn fertig!“

Diegos Augen waren zu schmalen Schlitzen geworden, als er seinen Blaster zog und ihn auf Jesse richtete. Dieser reagierte sofort und führte er einen zielsicheren Kick gegen Diegos Hand aus. Der Blaster flog in hohem Bogen in die Regale und einige Flaschen zerbrachen. Der Kopfgeldjäger brauchte einen Moment, um die Schmerzen in seiner Hand und den verlorenen Blaster in Zusammenhang zu bringen.

Lautes Anfeuern und Grölen ging durch den Laden, weitere Scheine wechselten den Besitzer, aber Jesse bekam davon nichts mit. Er war auf Diego fokussiert, dessen sowieso gerötetes Gesicht ins Dunkelrote wechselte. Mit Gebrüll stürzte er sich auf ihn und versuchte ihn mit einem weit ausgeholten Schwinger seiner rechten Faust zu treffen. Jesse hatte genug Zeit, sich zu ducken und versetzte Diego einen Stoß in die Seite, so dass dieser einige Schritte in die Richtung seines Schlages stolperte und sich verwirrt umsah.

„Lass mich einfach in Ruhe!“, verlangte er, hakte seinen Fuß in eins der Beine des vor ihm liegenden Barhockers ein und kickte ihn gekonnt hoch, so dass er ihn mit seiner Hand zu fassen bekam. Aber weder Diego noch die anderen Gäste wollten, dass der Kampf vorbei war.

„Diego! Lass dir das nicht gefallen!“, feuerten sie ihn an.

„Mach ihn kalt!“

„Gib’ s ihm!“

„Zeig ihm, wer der Boss ist!“

Luke seufzte wieder, hob Diegos Blaster auf und legte ihn beiseite. Es war sinnlos, einen solchen Kampf unterbinden zu wollen, selbst wenn er einen Warnschuss abgeben würde. Die Kopfgeldjäger wollten ihren Spaß und würden ihn sich so oder so nehmen, sollte jemand was dagegen haben. Also ging er aus der Gefahrenzone und beobachtete das ganze Geschehen aus sicherer Entfernung.

Jesse merkte, dass er nicht aus der Nummer rauskommen würde, bis es einen Sieger gab.

„Also gut“, sagte er grinsend und nahm den Hocker fest in beide Hände, ehe er seine Position einschätzte. Die Theke war hinter ihm und gab ihm etwas Deckung. Die anderen Gäste wollten einen Kampf sehen, deshalb war es unwahrscheinlich, dass sie sich einmischten. Natürlich hielten sie zu ihrem Lokalmatador Diego.

Viel Raum bot die Kneipe nicht, Tische und Stühle standen im Weg und Waffen waren nicht in Reichweite.

‚Vielleicht hinter dem Tresen’, überlegte Jesse, seinen Gegner nicht aus den Augen lassend. Dieser schwankte erheblich und griff jetzt nach einer Flasche, die auf dem Tisch neben ihm stand, und warf sie nach ihm. Jesse erkannte zu spät, dass das die Flasche nur ein Ablenkungsmanöver war. Als er das Wurfgeschoss mit dem Hocker abwehrte, rammte Diego ihn mit voller Wucht. Der Aufprall riss ihn von den Füßen und quetschte ihn hart gegen die Tresenkante, so dass ihm die Luft entwich und er den Griff um seinen Schutzschild lösen musste. Fausthiebe prasselten auf seinen Torso ein und ihm blieb nur, den Hocker von oben auf Diegos Rücken krachen zu lassen. Leider bedeutete das für ihn, mehr von seiner Deckung preisgeben zu müssen und weitere Schläge einzustecken. Nebenbei fiel Jesse auf, dass er zwar gut im Training war, aber während des Kampfes nicht mehr den kühlen, analytischen Kopf wie früher behielt. Er reagierte eher instinktiv und konzentrierte sich darauf, möglichst schneller als sein Gegner zu sein.

Diego stöhnte laut auf, als der Hocker auf ihn niedersauste und ließ von seinem Widersacher ab. Jesse schnappte schmerzhaft nach Luft. Schwarze Strähnen hingen ihm ins Gesicht und versperrten ihm die Sicht, doch er hatte keine Zeit, sie zur Seite zu streichen. Stattdessen setzte er zu einem Sprungkick an. Er traf den vornüber gebeugten Diego, der die verletzte Stelle am Rücken zu erreichen versuchte, in die Seite, so dass dieser auf einen Tisch flog, der unter seinem Gewicht zerbrach. Jesse fing sich mit seinen Händen auf dem Boden ab und war gleich wieder auf den Beinen. Die Schmerzen in seinem Rücken blendete er aus, als er langsam zu dem stöhnenden Diego ging und ihn leicht mit dem Fuß anstieß.

„Lässt du mich jetzt in Ruhe?“, fragte er herablassend und ließ sich weder seine Schmerzen anmerken noch, dass er etwas außer Atem war.

„Steh auf, Diego! Los! Steh auf!“, kamen die Anfeuerungsrufe, und der Kopfgeldjäger mühte sich sichtlich ab, wieder auf die Beine zu kommen. Jesse beobachtete diese Versuche amüsiert und machte sich einen Spaß daraus, ihn wieder mit einem leichten Schubs zu Fall zu bringen, was ihm laute Buh-Rufe einbrachte. Selbstverständlich störte sich Jesse nicht daran.

„Sieh ein, dass es vorbei ist!“, schärfte er dem am Boden liegenden Mann ein und ließ schließlich von Diego ab, um einen weiteren Whisky zu ordern. Der Barkeeper hatte inzwischen wieder Position bezogen, da der Kampf vorbei war und kümmerte sich um die Bestellung.

Als Jesse genüsslich das Glas ansetzte, bemerkte er die plötzliche Stille im Raum. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass er den ältesten Fehler der Welt gemacht und seinem Gegner den Rücken zugedreht hatte; diese Erkenntnis kam ein paar Sekunden zu spät. Schon wurde er am Kragen nach hinten gezogen und am Hosenbund gepackt. Der Whisky lief ihm über das Gesicht, als Diego ihn hoch über seinen Kopf hob. In dieser Position gab es für Jesse keine Möglichkeit, seinen Gegner anzugreifen, alle Versuche ihn zu treffen, gingen ins Leere.

„DIEGO!“, schrie Liz aufgebracht, die, durch den Tumult angelockt, gerade hereinstürmte. Jesse wandte seinen Kopf zu ihr und konnte sie und den erschrockenen Fireball neben ihr erkennen. In der nächsten Sekunde flog er über den Tresen und krachte lautstark in die Wandregale. In seinem Sturz riss Jesse sämtliche Flaschen, Gläser und Regalböden mit sich und prallte mit der Schläfe gegen den Zapfhahn und von dort aus weiter auf den Boden, wo er reglos mit dem Gesicht nach unten liegen blieb. Splitter und Alkohol breiteten sich über ihm aus und bedeckten seinen Körper.

Wutentbrannt stapfte Liz zu Diego und gab ihm eine heftige Ohrfeige, dass sein Kopf herumflog.

„Du hirnverbrannter Idiot!“, donnerte sie, und Diego bekam ein schlechtes Gewissen. Die Freude über seinen Triumph versiegte und er senkte beschämt seinen Kopf, als Liz ihn zurechtwies. Immerhin war das Santiago einer der wenigen Saloons, in denen er noch willkommen war; dies wollte er sich nicht verspielen.

Fireball und der Barkeeper waren gleich bei Jesse und schoben schnell die gröbsten Splitter weg, während Liz Diego weiter ausschimpfte und ihn rauswarf. Die anderen Gäste zogen sich nach und nach möglichst unauffällig zu ihren Plätzen zurück, denn sie wussten, dass der Spaß vorbei war und sie wollten der zornigen Liz nicht in die Quere kommen. Verstohlen tauschten sie ihre Einsätze aus.

„Verdammt, Jesse, hörst du mich?“, rief Fireball besorgt und tastete gleichzeitig nach dem Puls. Daran, dass er eigentlich den Decknamen verwenden sollte, dachte Fireball im Moment nicht. Er bemerkte das Blut, das Jesse aus Mund und Nase lief und sich unter seiner zerschnittenen Wange auf dem Boden sammelte. Als er den leichten Aderschlag an Jesses Handgelenk fand, war Fireball etwas erleichtert.

„Jesse?“, rief er den anderen wieder, aber die Reaktion blieb abermals aus.

„Lass mich nach ihm sehen, ich kenne mich aus!“ Liz kam hinter die Theke und ging neben Jesse in die Hocke. Sie betastete ihn vorsichtig, besonders an Genick und am Kopf, ehe sie Fireball und Luke beauftragte, ihn nach oben zu bringen.

„Eve! Bring mir den Scanner, Wasser, Salben und Verbandsmaterial! Und Eis!“, verlangte Liz von der blonden Frau, die vorhin neben ihr am Tresen gesessen hatte.

„Ja, okay!“, antwortete sie und lief sofort los, um den Auftrag zu erfüllen.

Liz eilte voran und stieß die Tür zu einem der Gästezimmer auf und räumte die Bettdecke beiseite, damit Luke und Fireball den Verletzten auf das altmodische Gitterbett legen konnten. Eve trat nur wenige Momente später mit den gewünschten Utensilien ein.

„Ich gehe wieder runter“, verkündete Luke, weil er den Laden nicht länger als notwendig unbeaufsichtigt lassen wollte.

„Danke, Luke“, nickte Liz, als sie die Gummihandschuhe überzog, und machte sich sofort daran, den Bewusstlosen im Schein der Zimmerlampe zu untersuchen. Vorsichtig legte sie ein kühles Tuch auf seine Schläfe, säuberte sein Gesicht und machte sich anschließend daran mit einer Pinzette die Glassplitter aus den Schnittwunden zu entfernen; zwischendurch überprüfte sie die Fortschritte mit ihrem Handscanner.

Fireball stand am Fußende des Bettes und beobachtete die beiden Frauen, die ein eingespieltes Team waren und fast wortlos Hand in Hand arbeiteten.

„Kommt sowas öfter vor?“, fragte er in gedämpftem Tonfall und er beruhigte sich langsam wieder, da die Lage unter Kontrolle war.

„Hin und wieder“, antwortete Liz, während sie Jesses Hemd aufknöpfte, das an einigen Stellen blutgetränkt war. „Diego rastet manchmal aus, wenn er einen zu viel trinkt und auch ein paar andere liefern sich ab und zu mal ein paar Kämpfe.“ Sie strich sich eine Strähne des roten Haares hinters Ohr, die ihr immer wieder ins Gesicht fiel und sie bei der Arbeit störte.

„Aber Diego wirft normalerweise keine Leute durch die Gegend. Ich glaube, er war besonders aufgebracht, weil ihr Colt erwähnt hattet. Er hasst Colt bis aufs Blut.“

„Hat man kaum gemerkt“, schnaubte Fireball zynisch und verstärkte den Griff um das Gitter am Fußende.

„Er kommt wieder und dann wird er bezahlen“, meinte Liz und schob das Hemd auseinander. Erschrocken hielt sie inne, als sie die Narben auf Jesses Körper erblickte und auch Fireball erstarrte. Nur zu gut wusste er, woher diese stammten und sie so zu sehen, rief die alten Erinnerungen wieder hoch. Damals hatte er sich schlimme Vorwürfe gemacht, denn Jesse war der einzige Mensch, den er jemals getötet hatte. Obwohl er ein Verräter und Verbrecher gewesen war, blieb Jesse ein Mensch, und Fireball war lange nicht damit zurecht gekommen, an seinem Tod mit verantwortlich gewesen zu sein. Seine Kollegen wussten nichts von seinen Gewissensbissen und es hatte sich erst gebessert, als er Caroline kennengelernt und sich anderen Dingen zugewendet hatte. Nun traf ihn die Vergangenheit als sei er mit voller Wucht gegen eine Wand gerast. Noch vor ein paar Wochen hatte er sich gefragt, wie schlimm die Spuren waren, die Jesse davongetragen hatte, jetzt sah er sie. Ihm wurde klar, dass Jesse sein Leben lang diese Narben mit sich herumtragen musste und ausnahmslos jeden Tag an das letzte Gefecht erinnert wurde. Wie hielt er diese Qualen aus?

Liz hatte sich schnell wieder gefangen und arbeitete weiter, während Fireball sich von dem Anblick des schmalen, kalkweißen Körpers abwandte und lieber aus dem Fenster sah, obwohl es nur die Regentropfen zu beobachten gab, die an der Scheibe herunterliefen. Fireball hatte seine Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst, sein Blick nach innen gerichtet.

‚Er hat sich davon nie etwas anmerken lassen, sondern spielt immer den arroganten Besserwisser. Aber jetzt, wo ich das sehe, verstehe ich, wieso er immer nur langärmelige Oberteile trägt, egal wie warm es ist. Es muss ihn sehr belasten, immer daran erinnert zu werden, denke ich. Außer Wut hat er nie andere Gefühle gezeigt, und das, obwohl wir schon eine Weile zusammen unterwegs sind. Wahrscheinlich hat er eine Art Schutzmauer um sich herum aufgebaut und das macht ihn so undurchsichtig und schwer einschätzbar. Immerhin ist er nicht mehr ganz so … scheu … - ich glaube, die Beschreibung trifft es ganz gut -, seit wir unsere WG haben, und ich glaube, dass er mir schon irgendwie vertraut. Zu Beginn war er ziemlich verkrampft, obwohl er das immer überspielen wollte. Wenn ich allein an unser erstes gemeinsames Abendessen denke – aber mittlerweile ist das alles normal geworden und er pennt sogar im Gleiter, wenn ich am Steuer bin. Früher wäre das sicher kaum vorstellbar gewesen.“ Fireballs Blick ging zu Jesses Spiegelbild im Fenster.

„Aber diese Narben … Ich muss sehe jeden Tag meine eigenen und werde jeden Tag an meinen Unfall erinnert, den ich nie vergessen kann. Wenn ich daran denke, bin ich oftmals sehr wütend, weil mir meine Zukunft geraubt wurde. Wenn es mir schon so geht – wie muss es dann erst Jesse ergehen? Könnte es nicht sogar sein, dass er zurückgekehrt ist, um sich an uns zu rächen? Allerdings verstehe ich dann nicht, wieso er mir so geholfen hat. Sein gesamtes Verhalten spricht nicht dafür und die Indizien, die wir bisher gesammelt haben, lassen Saber ins Zwielicht rücken, das ist nicht von der Hand zu weisen.

Am liebsten würde ich Saber einfach fragen, nur wie um alles in der Welt soll ich das anstellen? Ich habe es schon einmal vermasselt.’ Fireball seufzte und ließ seinen Kopf gegen die Fensterscheibe sinken. ‚Vielleicht wüsste Colt einen Rat.’ Die Situation überforderte ihn und er wusste nicht mehr, wem er glauben sollte. Es gab nichts, was er Jesse vorwerfen konnte, und alles sprach gegen Saber. Früher hätte er alle Hände und Füße für Saber ins Feuer gelegt, und jetzt hatte sich die Situation grundlegend geändert. Er musste die Überwachungen mit Jesse gemeinsam durchführen und weiter voran treiben, um komplett sicher zu sein. Falls sie sich nicht bewahrheiteten, würde er Jesse sofort festnehmen können. Außerdem kannte er Jesses Decknamen und sein Schiff – das war wiederum eine Tatsache, die für Jesse sprach. Würde er ihm seinen Unterschlupf, seinen Namen und all dies ohne Weiteres preisgeben, wenn er sich seiner Sache nicht sicher wäre?

Wieder seufzte Fireball, er kam einfach nicht weiter und drehte sich andauernd im Kreis. Colt musste mit ins Team, das war sicher!

‚Verdammt, Colt, wo bist du? Warum gehst du nicht ans Telefon?’ Fireball presste in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung seine Zähne zusammen und eine tiefe Furche bildete sich auf seiner Stirn. Er wusste nicht mehr weiter und er hasste diesen Zustand! Ohne Jesse würde er die Überwachung nicht durchführen können, alles verzögerte sich und musste neu geplant werden. Zum ersten Mal bekam er einen Eindruck davon, wie Jesse sich gefühlt hatte, wenn sie damals seine Pläne durchkreuzt hatten.

„Wir sind fertig“, riss Liz ihn aus seinen Gedanken und Fireball wandte sich um. „Er braucht jetzt ein paar Tage Ruhe. Er ist noch einmal glimpflich davongekommen, eine Gehirnerschütterung, ein paar üble Prellungen und kleinere Schnitte, was schon schlimm genug ist.“

Fireball nickte und ging wieder zum Bett hinüber, wo Liz gerade den Kopfverband befestigte und Eis darauf legte.

„Ich danke euch beiden“, sagte er. Unwillkürlich wurde sein Blick wieder von den Verbrennungen angezogen.

„Was ist mit ihm passiert?“, fragte sie und strich vorsichtig über die Narben.

Fireball schluckte. Er konnte ihr nicht die Wahrheit sagen. „Ein Brand“, erklärte er vage und seine Stimme hörte sich fremd an, weil sein Mund plötzlich staubtrocken war.

„Aber nicht nur“, bemerkte sie und drehte seinen linken Arm so, dass man über der zerstörten Haut eine helle Linie erkennen konnte, die sich vom Handgelenk zum Ellenbogen hinauf zog.

Er folgte ihrem Finger und erkannte weitere, ähnliche Linien, die unmöglich von der Explosion der Tritonmaterie stammen konnten.

‚Jesse?’ Er starrte ihn erschrocken an und stellte fest, dass er rein gar nichts über seinen Begleiter wusste. ‚Ist es das, was ich denke?’

„Ich brauche was zu trinken“, sagte Fireball und riss sich von dem Anblick los. Liz deckte Jesse zu und bedeutete Eve, hierzubleiben, ehe sie dem ehemaligen Rennfahrer folgte.
 

Unten war nur noch ein Gast da, mit dem sich Luke gerade unterhielt. Liz ging zielstrebig zur Bar und schenkte ihnen zwei doppelte Whiskys ein. Sie kippte ihren in einem Zug hinunter und goss sich gleich nach, während Fireball nur daran nippte.

„Hey, du musst dir keine Sorgen machen“, tröstete sie ihn. „Er kommt schon durch!“

Fireball nickte. „Wenn er aufwacht, sprecht ihn am besten nicht auf seine Verletzungen an. Ich glaube, dass er das am liebsten vergessen würde.“

„Das glaube ich auch“, stimmte Liz zu und legte als Bestätigung eine Hand auf Fireballs Arm. Fireball trank das Glas leer und Liz schenkte ihm unaufgefordert nach. Er war durcheinander und drehte den Tumbler eine ganze Weile rastlos in seinen Händen hin und her.

„Verdammt, ich muss Colt unbedingt finden!“, platzte es schließlich aus ihm heraus. „Überleg doch bitte noch mal, wo er sein könnte!“ Er griff nach Liz’ Handgelenk und drückte es eindringlich.

„Ich versuche es ja schon die ganze Zeit“, versicherte sie ihm und kam auf die andere Seite der Theke, um sich neben Fireball zu setzen. „Ich weiß, dass Colt immer nur umher geflogen ist und keinen festen Wohnsitz hat“, begann sie. „Manchmal kam er beinahe jede Woche hierher und blieb für ein paar Tage, manchmal dauerte es ein paar Monate, bis er wieder auftauchte. Aber er hat sich immer gemeldet.“

„Du liebst ihn, oder?“, fragte Fireball direkt, und Liz nickte zögerlich. „Aber das würde ich ihm niemals sagen. Er ist jemand, der seine Freiheit braucht und so würde er sich nur gebunden und eingeengt fühlen“, sagte sie leise. „Aber ich bin mit dem zufrieden, was er mir geben will. Solange ich nur weiß, dass es ihm gut geht!“

Fireball nahm einen größeren Schluck aus dem Glas. ‚Genau das hatte Robin nie verstanden und ihn somit aus ihrem Leben vertrieben’, dachte er unwillkürlich, behielt diese Gedanken aber für sich. Über andere Beziehungen zu urteilen konnte er sich nicht anmaßen, er hatte ja selbst keine Ahnung davon, wie er kürzlich eindrucksvoll bewiesen hatte. Daher wechselte er lieber das Thema.

„Weißt du eventuell, was für einen Gleiter inzwischen hat? Vielleicht hast du sogar seine Kennung?“

„Nein. Er hatte mal hier einen beim Kartenspielen gewonnen, aber das war ein altes Teil, den er bald wieder loswerden wollte.“

„Oder weißt du, wo er sich sonst herumtrieb? Welche Aufträge er annehmen wollte?“

„Nein, auch das weiß ich leider nicht. Das letzte, wovon Colt mir erzählt hat, war, dass er hinter Butch Calden her war und ich vermute, dass er mir das nur erzählt hat, weil er wusste, was für ein gefährlicher Typ er ist. Ich habe natürlich versucht, ihm das auszureden, ohne Erfolg. Du weißt ja, wie er ist, wenn er sich einmal was in den Kopf gesetzt hat.“

Liz seufzte und Fireball legte tröstend eine Hand um sie und zog sie leicht an sich. „Vielleicht kann ich Colt finden, wenn ich diesen Calden jage?“, murmelte er, aber sie hörte ihm nicht zu.

„Einmal haben wir hier zusammen gesessen. Colt hatte ein paar zu viel getrunken und ich habe ihn mit nach oben genommen. Damals hat er mir von seinen Träumen erzählt.“ Liz hatte ihren Kopf auf eine Hand gestützt und ein versonnenes Lächeln auf ihren Lippen, als sie an diese Zeit dachte. „Irgendwann will er mal eine große Rinderfarm besitzen. Das Grundstück dazu hat er wohl schon“, erinnerte sie sich und lachte, als sie sich Colt als waschechten Cowboy vorstellte, der unzählige Rinder vor sich hertrieb.

„Ja, diesen Traum hat er schon lange“, bestätigte Fireball und dachte wieder an den Killer, den Colt gejagt hatte. Dann durchzuckte ihn eine Idee. „Na klar! Die Farm seiner Eltern!“, rief er, „Dort haben wir noch nicht gesucht!“ Fireball hielt es nicht mehr auf dem Platz und lief umher. „Warum bin ich nicht schon früher darauf gekommen?“, fragte er sich selbst und raufte sich die Haare, die ohnehin in alle Richtungen abstanden. „Ich muss sofort dahin!“ Er steuerte auf Liz zu und packte sie an den Schultern. „Kann Jesse so lange hier bleiben? Ich will keine Zeit mehr verlieren!“

„Sicher“, antwortete sie und schöpfte neue Hoffnung. „Wenn nur die geringste Möglichkeit besteht, Colt zu finden. Ich will nur wissen, dass es ihm gut geht.“

„Ich fliege sofort los!“, sagte Fireball und gab Liz vor Erleichterung einen Kuss auf die Wange, ehe er nach draußen rannte.

„Warte! Dein Blaster!“, rief sie und rannte ihm hinterher.
 

Kurze Zeit später, als Fireball seinen Blaster an sich genommen und Liz ein paar Klamotten für Jesse gegeben hatte, setzte er Kurs nach Texas. Er wusste, dass die Farm im Hays County, irgendwo abseits der Stadt Dripping Springs gelegen war.

Weil er müde war, schaltete er den Autopiloten ein. Zum Glück hatten Jesse und er sich auf ihrer Reise mit der Steuerung abgewechselt, so konnte er den Outridergleiter inzwischen selbst fliegen und mit den fremdartigen Symbolen umgehen.

Er wusste, dass Jesse ihm wegen seines Alleingangs wahrscheinlich den Kopf abreißen würde, doch er hätte es nicht mehr länger aushalten können und wollte Colt unbedingt finden, zumal seine Sorgen wieder neu geschürt worden waren. Seine letzte Hoffnung bestand darin, Colt auf dem Grundstück seiner verstorbenen Eltern zu finden und er wollte nicht daran denken, falls er seinen alten Freund dort nicht antreffen würde. Dann blieb nur, die Spur des Killers Butch Calden zu verfolgen.
 

Am nächsten Tag traf er um die Mittagszeit in Dripping Springs ein. Er kreiste ein paar Mal über das County und fand die Farm, die verlassen aussah. Das Haupthaus war verfallen, das gesamte Gelände von Gräsern und Büschen überwuchert und die weitläufigen Zäune bedurften einer Reparatur, da sie an vielen Stellen zerbrochen waren. Früher musste es einmal sehr schön hier gewesen sein, mit all den Pferden und Rinderherden auf den Koppeln.

Fireball steuerte den Gleiter auf die nicht ganz so überwucherte Straße, da dort die beste Landemöglichkeit bestand. Ein wenig mulmig fühlte er sich, als er ausstieg und auf das lange Farmhaus zuging. Ein rostiger Briefkasten stand an dem morschen Bretterzaun und man konnte noch ganz verblasst „Wilcox“ darauf lesen.

Ein leichter Schauer lief über Fireballs Rücken, als er den kleinen, staubigen Weg zum Eingang lief. Einen Moment zögerte er, ehe er an die graue, verwitterte Tür klopfte. Kein Geräusch war zu hören, nur leichter Wind blies über das Gelände und wirbelte einige Dreckwolken auf. Nach einem Moment klopfte er abermals und rief laut „Hallo!“ und als wieder keine Antwort kam, ein drittes Mal.

Vorsichtig öffnete er nach kurzem Warten die Tür. Er musste sich einfach vergewissern, ob Colt nicht doch da war. Der Innenraum war dunkel und es roch nach einer ganzen Menge Alkohol, altem Schweiß und Schmutz.

„Was willst du hier?“, fragte Colt kalt und Fireball fuhr zusammen, weil die Farm als verlassen angesehen hatte. In der Dunkelheit erkannte er nichts außer Umrissen, die Stimme würde er allerdings überall erkennen, obwohl sie rauer war als damals. Sie gehörte eindeutig zu Colt.

„Ich habe dich gesucht“, antwortete Fireball perplex von der unfreundlichen, kalten und eindeutig abweisenden Begrüßung.

„Was du nicht sagst?“, spottete der Cowboy. „Jetzt wo du deine Frau los bist, erinnerst du dich an deinen alten Freund Colt, was?“

„Nein, aber…“

„Damals hat es dich einen Dreck geschert, als meine Ehe zu Bruch ging! Du bist ein schöner Freund!“ Fireball merkte jetzt, dass Colt total besoffen war und entspannte sich ein wenig.

„Ich mach erstmal die Fenster auf“, lenkte Fireball ab, den dieser Satz ganz schön getroffen hatte. Wegen der schweren, ekelhaften Luft konnte er hier drinnen kaum atmen oder einen klaren Gedanken fassen.

Als er sich wieder umdrehte, erschrak er, als er seinen alten Freund erblickte. Dieser war völlig heruntergekommen, sein Gesicht erschien alt und war von einem prächtigen Vollbart zugewuchert, Haut und Haar waren genauso staubig-grau wie die Umgebung. Er sah ausgemergelt aus, beinahe krank und seine Jeans sowie sein kariertes Hemd waren zerknittert und fleckig. Fireball erkannte Colt nur an seinen stechend blauen Augen, die ihn feindselig anstarrten. Erst im zweiten Moment bemerkte er den Blaster, der auf ihn gerichtet war und Fireball erstarrte.

„Colt?“ Er verstand seinen Freund nicht, aber er wusste, dass er extrem gefährlich war, egal, ob sich sein Alkoholpegel jenseits von Gut und Böse befand. Unzählige Flaschen Jack Daniels, die sich überall in dem Raum, der so etwas wie das Wohnzimmer war, verteilt waren, ließen darauf schließen, dass Colt sich wahrscheinlich schon monatelang hier einsperrte und vor sich hin siechte; Leben konnte man diesen Zustand nicht mehr nennen.

Fireball war zutiefst bestürzt und Colts Worte ließen ihn sich wie ein Verräter fühlen. Er erkannte Colt nicht mehr wieder. So hätte er sich das Wiedersehen mit seinem besten Freund niemals ausgemalt.

Dieser erhob sich nun schwankend von seiner Sitzgelegenheit und stieß dabei ein paar leere Flaschen um. Fireball blieb reglos am Fenster stehen und beobachtete seine Bewegungen.

„Weißt du, ich bedaure, jemals zu den Star Sheriffs gegangen zu sein!“, nuschelte er, doch sein Zorn war deutlich zu hören, als er auf Fireball zu ging. Er fuchtelte unkontrolliert mit dem Blaster herum.

„Das kannst du nicht ernst meinen, Colt!“, erwiderte Fireball und versuchte ruhig zu bleiben. „Du weißt doch gar nicht, was du redest!“

„Das“, Colt hielt Fireball die Waffe unter die Nase und kam mit seinem Gesicht ganz nahe an ihn heran, so dass ihm eine schwere, übelriechende Fahne entgegen schlug, „weiß ich sehr genau!“

Fireball wurde sauer. Seine und Liz’ Sorgen waren völlig unbegründet gewesen, denn Colt schien es vorzuziehen, sich die Birne zuzusaufen bis er ohnmächtig war. Fest griff er den Lauf, drückte ihn zur Seite und kam mit seinem Gesicht nun näher, auch wenn er sich wie damals bei ihrem ersten Treffen auf die Zehenspitzen stellen musste, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein.

„Was ist dein Problem, Colt?“, verlangte er zu wissen.

„Du bist eins davon!“, klagte er Fireball an und tippte ihm mit dem linken Zeigefinger auf die Brust. Den Blaster ließ er los, so dass er in Fireballs Hand zurückblieb. Stattdessen packte er sein Gegenüber nun am Kragen seines Shirts, um ihn näher zu sich heranzuziehen. Seine zornigen, blauen Augen bohrten sich in Fireballs braune, der wütend zurückfunkelte. Für eine Sekunde war Fireball versucht, Colt den Griff des Blasters für diese beleidigenden Worte einfach über den Schädel zu ziehen. Erst im letzten Moment besann er sich. Colt wusste mit Sicherheit nicht, was er da faselte, auch wenn er erstaunlich gerade redete.

„Von deinem Atem allein wird man ja schon besoffen!“, grinste Fireball, in dem Bemühen, Colt mittels einer anderen Taktik zu beruhigen, während er die Waffe hinter sich auf die Fensterbank legte und sich nicht weiter daran störte, dass Colt ihn am Shirt festhielt. „Warum setzen wir uns nicht und du erzählst mir einfach, was mit dir los ist?“, schlug er vor. Für einen kurzen Moment fragte er sich, ob Colt immer noch so viele Dummheiten machte wie zu ihrer Zeit auf Ramrod.

„Es gibt nichts zu erzählen, mein Freund“, giftete Colt, das Wort Freund spöttisch ausspuckend, und stieß Fireball nun von sich, um zurück zum Tisch zu gehen, wo die halb leere Jackie-Flasche stand. „Am besten verschwindest du gleich wieder von hier! Du weißt ja, wo die Tür ist!“, empfahl er und nahm einen tiefen Schluck.

Für einen Moment erstarrte Fireball in seiner Bewegung, ehe er seine Hände zu Fäusten ballte und vor Zorn zitterte. Dieser Cowboy brachte ihn wirklich zur Weißglut! Mit zwei großen Schritten war er bei ihm und riss ihm die Flasche vom Mund, so dass ein Teil des Getränks über Colts Gesicht lief.

„Ich bin nicht hierhergekommen, um dir beim Saufen zuzuschauen, Colt!“, stellte er etwas lauter fest und knallte die Flasche hart auf den Tisch.

„Nein, das sicher nicht“, grinste Colt und wischte sich mit seinem fleckigen Hemdsärmel trocken. „Aber denk nicht, dass ich nicht weiß, warum du wirklich hier bist. Warst ja in letzter Zeit wieder oft genug in den Nachrichten zu sehen!“ Wieder griff er nach der Flasche und setzte sie geruhsam an.

„Soll heißen?“

„Dass du mal wieder nicht weiter weißt und jemanden brauchst, der deine Probleme für dich löst! Genau dann bist du in den letzten Jahren immer bei mir aufgetaucht!“ Colt nahm einen weiteren Schluck, während Fireball ihn perplex beobachtete. „Ich habe keinen Bock mehr darauf, dich immer wieder aus der Scheiße zu ziehen!“, brüllte Colt.

„So siehst du das also“, presste Fireball hervor.

„Hast du dich mal gefragt wie es mir geht, hä? Hast du dich einmal gemeldet, während bei dir alles in Ordnung war und bei mir alles den Bach herunter ging, hä?“ Colt deutete anklagend mit dem Flaschenhals auf seinen Freund und forderte eine Antwort, doch Fireball presste nur seine Lippen zusammen. Ihn so zu sehen und die Vorwürfe zu hören, schnürte ihm die Kehle zu und es schien, als würde sich Colt nicht helfen lassen wollen, am wenigsten von ihm. Seine Schuldgefühle wichen neuem, aufwallendem Zorn und er kam einen Schritt auf den Cowboy zu.

„Wirf mir keine Sachen vor, die du selbst nicht halten kannst!“, zischte er. „Du verschwindest und tauchst auf wie es dir gefällt, beantwortest weder deine Com noch sonstige Nachrichten und willst mir solche Vorwürfe machen? Dass ich nicht lache!“ Bedeutungsvoll ließ seinen Blick an dem Kopfgeldjäger herunter gleiten, dann wieder hinauf. „Hast du in letzter Zeit überhaupt mal in den Spiegel geschaut? Wie du aussiehst! Es tut mir wirklich in der Seele weh, dich so sehen zu müssen!“

„Dann geh doch! Es zwingt dich niemand, mich anzugucken!“, giftete Colt zurück, packte Fireball wieder einmal am Kragen und zog ihn zur Tür. „Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß und lass mich endlich in Ruhe wie die letzten Jahre auch!“, riet er ihm brüllend und beförderte ihn schwungvoll hinaus.

Fireball stolperte einige Schritte weiter und fuhr zu seinem Freund um. Deutlicher konnte Colt ihm nicht zeigen, dass er hier unerwünscht war. Seltsamerweise legte sich eine kalte Emotionslosigkeit über ihn, so dass er ruhig und gelassen blieb.

„Ich war eigentlich hier, weil ich dir einen Auftrag geben wollte, nicht um meine Probleme zu lösen“, sagte er, sich nun auf das Geschäftliche konzentrierend. „Vielleicht interessiert es dich, dass angeblich Outrider in den beiden Sektoren Omikron und Sigma gesichtet wurden. Aber dir macht es ja scheinbar mehr Spaß, dir das Hirn aus der Birne zu saufen und es gelingt dir sogar ganz gut wie ich feststellen muss.“ Er betrachtete Colt einen Moment bedauernd, bevor er sich abwandte. Ein paar Schritte später blieb er stehen und sah nochmal zurück.

„Colt, es gibt Leute, die sich wirklich um dich Sorgen machen und sich fragen, ob du überhaupt noch am Leben bist. Wenn du irgendwann wieder bei Sinnen bist, melde dich bei Liz, sie ist eine davon.“ Er blickte seinem Freund fest in die Augen, so dass der andere sehen konnte, dass Fireball seine Fehler wirklich bereute und dass es ihn schmerzte, ihn so am Ende zu sehen und nicht helfen zu können. Dann drehte er sich ohne ein Wort des Abschieds um und verließ die Farm endgültig.

The Fall of Love

Colt sah Fireball nach bis dessen Gleiter mit dem Himmelsblau verschmolzen war.

„VERDAMMTER IDIOT!“, brüllte er ihm hinterher, ging mit schweren Schritten nach drinnen und warf die halb verfallene Haustür hinter sich ins Schloss. Mit einem Zug trank er die Flasche leer und warf sie voller Wut in die anderen am Boden. Sie zersprangen in tausend Scherben, aber Colt fühlte sich nicht besser. Also nahm er ein paar andere leere Flaschen und seinen Blaster vom Fensterbrett und ging wieder nach draußen, um sich mit Schießübungen abzulenken. Nacheinander flogen sie in die Luft und Colt traf sie alle, doch auch diese Zerstörungen vermochten nicht, ihn abzukühlen.

Er ließ die Glasscherben, wo sie waren und nahm das nächste Ablenkungsmanöver in Form von alkoholischen Flüssigkeiten in Angriff. Geübt öffnete er eine neue Flasche mit einer Hand und ließ sich auf seine Couch fallen, ehe er einen tiefen, langen Schluck nahm, wobei einiges an seinem Mund vorbei, den Hals hinunter lief und sein Hemd durchnässte. Aber diesmal stellte sich nicht das leichte, wohlige Gefühl wie sonst ein, stattdessen drängte sich ihm die Begegnung mit Fireball auf.

„Dieser verfluchte Rennfahrer!“ Grob wischte mit dem Ärmel über sein Gesicht, trat fest gegen den Tisch und nahm den nächsten Zug. Fireball hatte ihn mit seinen Worten tief getroffen, mehr als er zuzugeben bereit war, und immer wieder tauchte Liz in seinen Gedanken auf, dabei wollte er sich nicht mit diesem … Zeug … beschäftigen. Also stand er wieder auf und streunte ziellos im Haus umher und später auch auf dem ganzen verwahrlosten Grundstück, nur um festzustellen, dass er vor seinen Gedanken einmal mehr nicht weglaufen konnte.

„VERDAMMT!“, brüllte er und trat einen hölzernen Pfosten um, der früher einmal zu einem Weidezaun gehörte. „VERDAMMT! VERDAMMT! VERDAMMT!“ Sein Zorn ließ nicht nach, egal wie sehr Colt tobte. Dazu mischten sich alte Namen und Erinnerungen, die ihn weiter in Rage trieben: wie er zufällig zu den Star Sheriffs gestoßen war, zu dem Team, das einmal die Menschheit vor den Phantomwesen rettete. Er dachte an den Spaß, den er mit seinen Kollegen gehabt hatte, die schnell zu seinen Freunden und schließlich zu seiner Familie geworden waren. Er erinnerte sich daran wie er Fireball damals mehr oder weniger unter seine Fittiche genommen hatte und welchen Unsinn sie gemeinsam verzapft hatten; das brachte ihn direkt zum nächsten Problem – er hatte Fireball immer zur Seite gestanden, wenn es drauf ankam und hatte sich ehrlich für sein Glück gefreut, als er es gefunden hatte. Zur gleichen Zeit ging es mit ihm und Robin bergab und die endgültige Trennung folgte nur wenige Monate später.

„Mach Fireball nicht für deine Entscheidungen verantwortlich!“, meldete sich ein Teil seines Gewissens. „Du warst es doch, der alleine auf nächtliche Touren gegangen und um die Häuser gezogen ist! Dafür kann Fireball nun wirklich nichts!“

„Schnauze!“, erwiderte der andere Teil.

„Du weißt genau, dass ich recht habe! Hast du ihm denn überhaupt ein Sterbenswörtchen von eurer Krise erzählt? Nein, nicht wahr? Niemand trägt die Schuld an deiner Situation außer du selbst! Du hattest alle Trümpfe in der Hand und hast sie nicht eingesetzt!“

„Ich hab Schnauze gesagt!“ Ein langer Zug aus der Flasche folgte, als ob Colt die Stimme seines Gewissens ertränken wollte, was natürlich nicht funktionierte.

„Endlich gibt dir mal jemand einen Arschtritt, damit du aus deinem Selbstmitleid aufwachst. Oder willst du ewig so weitermachen?“, schnaubte das Gewissen.

„Bis mir was Besseres einfällt, schon, du elender Nervtöter! Mir macht’s Spaß!“, erwiderte die andere Seite trotzig. „Und jetzt halt endlich deine vorlaute Klappe!“

„Wie du meinst“, gab sich die Stimme erst einmal geschlagen und Colt betrat schwankend wieder das Wohnhaus und ließ sich etwas unkoordiniert auf die alte Couch nieder.

Einen Moment dauerte es, dann nahm das Karussell wieder an Fahrt auf und brachte diesmal Erinnerungen an sein Leben nach der Zeit als Star Sheriff mit sich. Eigentlich war alles gut mit Robin, so wie man sich eine Bilderbuchehe vorstellte. Aber etwas fehlte. Colt hatte sich immer ein geruhsames Leben gewünscht - zumindest hatte er das immer behauptet und sogar selbst geglaubt - bis er es hatte. Es war schön zu Anfang, erholsam, ruhig und wurde ganz schnell langweilig. Die Action fehlte ihm. Ohne es sich dessen bewusst zu sein, verselbständigte er sich; es fing an mit harmlosen Angelausflügen nachts, dann kamen Wetten dazu und ehe er sich’s versah, war er in die Bars und Saloons zurückgekehrt und atmete wieder die Atmosphäre von Abenteuer und Nervenkitzel. Zuerst waren es nur gelegentliche Besuche, dann blieb er mal über Nacht weg und verfiel schließlich seinem Drang nach Ungebundenheit und Freiheit; das war der Treibstoff, den er zum Leben und für sein Glück brauchte, und auf die er nicht länger verzichten konnte, andererseits würde er ersticken.

Robin, die andere Träume als er hatte, ließ er todunglücklich zurück. Von seinen Freunden, Saber, Fireball und April hörte er hin und wieder etwas – über Kommunikator oder über die Medien, was Saber und Fireball betraf. Er war zufrieden in dieser Zeit und genoss sein neues, altes Leben in vollen Zügen. Bald schon jagte er mit seinem Bronco Buster wieder die gefürchtetsten Verbrecher des Neuen Grenzlandes und strich eine Belohnung nach der anderen dafür ein.

In den Kreisen der Kopfgeldjäger war Colt wieder herzlich aufgenommen worden und ein gern gesehener Gast. Die Stimmung schlug jedoch schnell um, als er wieder zu einer gefährlichen Konkurrenz geworden war. Die anderen Kopfgeldjäger mieden ihn zuerst und warfen ihm scheinbar freundlich gemeinte, herablassende Sprüche an den Kopf. Colt lernte schnell, dass es bitterer Ernst geworden war und er bis aufs Blut gehasst wurde, schlimmer noch als die Verbrecher, die sie alle jagten. Als ehemaliger Star Sheriff und Saubermann hatte er in diesen zwielichtigen Kreisen nichts mehr verloren.

Dann verlor Colt seinen Bronco Buster. An die Geschichte mit dem angeblichen Unfall glaubte er nicht mehr, seit man ihn wenig später mit seinem neuen Schiff während eines lukrativen Auftrags abgeschossen hatte. Noch als er mit seinem Gleiter kämpfte, um der Kollision mit einem Asteroiden zu entgehen, erkannte er die Schiffe anderer Kopfgeldjäger, die an ihm vorbeischossen. Sie hatten sich unbemerkt an seine Fersen geheftet, um ihm die Beute vor der Nase wegzuschnappen und ihn ganz nebenbei zu beseitigen. Unendliche Wut stieg selbst heute noch in ihm auf, wenn diese Bilder vor seinem inneren Auge vorbeizogen und er an das Wrack seines geliebten Bronco Busters denken musste.

Mit Mühe und Not hatte er sich zu Liz geschleppt, die damals bei Luke im Saloon arbeitete, weitab am Rande des Neuen Grenzlandes, aber die nächste menschliche Zivilisation, die von seinen Koordinaten aus in Reichweite war. Halbtot war er dort angekommen und sie hatte sich sofort um ihn gekümmert. Er erinnerte sich noch gut an ihr erschrockenes Gesicht, bevor er zusammengebrochen war.

„Liz“, murmelte er mit halb geschlossenen Lidern und verträumtem, in die Ferne gerichteten Blick. Allein ihren Namen ausgesprochen und gehört zu haben, machte ihm bewusst, dass er sie vermisste, mehr als die anderen Saloongirls, mit denen er sich hin und wieder vergnügt hatte, wie die blonde Helen, den Lockenkopf Lulu oder die rassige Fernanda. Liz war anders – und sie war etwas ganz Besonderes.

Plötzlich war er wieder konzentriert und ballte seine Hand um die Flasche, als er aufsprang.

„Was hast du mit ihr zu schaffen, du verfluchter Trottel?“, knurrte Colt den nicht anwesenden Fireball an, als ihm bewusst wurde, dass er bei Liz gewesen war. Eifersucht brodelte plötzlich in ihm ohne dass er es verhindern konnte. Außerdem war ihm schwindelig und schlecht und er konnte kaum seine Augen offen halten.

„Wenn ich herausfinde, dass du sie auf irgendeine Weise berührt hast, bist du fällig, mein Freund!“, drohte er mit schwerer Zunge, bevor er auf der Couch zusammensackte und reglos in seinem Delirium liegenblieb.
 


 

„Na, geht’s wieder?“, erkundigte sich Liz bei Jesse, als er nach einigen Stunden die Augen aufschlug.

Beim Aufwachen in ein Gesicht zu blicken, noch dazu das einer Frau, war ungewohnt für Jesse und der Schreck ließ ihn wie von der Tarantel gestochen hochfahren. Die Schmerzen jagten ihm direkt in den Kopf und alle Knochen und Muskeln schrien protestierend auf. Stöhnend lehnte Jesse sich nach vorne und stützte seine Stirn auf die Hände.

„Hey, ich bin's doch nur, Liz. Du solltest langsam machen nach deiner Prügelei mit Diego.“ Sie nahm ein kaltes Tuch, das sie ihm in den Nacken legte und strich ihm fürsorglich über den Rücken, damit er sich beruhigte.

Obwohl Jesse es hasste, berührt zu werden, ließ er es geschehen und wehrte sich nicht dagegen, da er ohnehin nicht in der Lage dazu gewesen wäre. Langsam setzte sich sein Denkvermögen wieder in Gang und die Erinnerungen kehrten zurück.

'Diego … richtig.' Vorsichtig, um den Schwindel nicht zu verstärken, drehte Jesse seinen Kopf vorsichtig zu Liz, die er kaum fixieren konnte.

„Diego ist nicht gerade zimperlich mit dir umgegangen, du hast ganz schön was abbekommen“, fasste sie die Geschehnisse zusammen. „Möchtest du vielleicht etwas trinken?“

„Nein“, antwortete Jesse schleppend. „Wie lange war ich weg?“

„Ein paar Stunden. Du hast eine heftige Gehirnerschütterung. Leg dich am besten wieder hin bis Fireball zurück ist.“

Ein neuer Schreck fuhr Jesse in die Knochen. „Zurück? Was meinst du damit?“

„Fireball ist auf dem Weg zu Colt, zumindest hoffen wir das. Er-“

„Was ist er? Etwa alleine? Und mich lässt er einfach so hier?“, brauste Jesse auf und hatte das Gefühl, dass sein Kopf gleich platzte, als sämtliche Alarmglocken in ihm losschrillten.

„Beruhige dich! Fireball meinte es nur gut und wollte keine Zeit verlieren.“

„Er hätte mich mitnehmen können!“

„In deiner Verfassung? Sicherlich nicht!“, erwiderte Liz mit einem tadelnden Blick. „Mit deinem Zustand ist nicht zu spaßen!“

„Mit unserem Vorhaben auch nicht und das sollte er verdammt nochmal wissen! Wie kann er mich einfach so hier aussetzen? Wohin ist er?“

„Zu Colts Elternhaus nach Dripping Springs im Hays County, Texas. Die Idee, dort zu suchen, ist uns gekommen, als wir über Colts Vergangenheit geredet haben. Fireball wollte sich melden, sobald er angekommen ist.“

„Ich muss sofort hinterher! Kannst du mir einen Gleiter leihen?“ Wütend schob Jesse schob die Decke beiseite. Was dachte Fireball sich dabei, einfach auf eigene Faust loszuziehen? Was würde er Colt erzählen, falls er ihn fand? Oder würde er ihn gleich mitbringen und ihn festnehmen? Oder sogar gleich die Star Sheriffs alarmieren? Bei dem Gedanken wurde Jesse regelrecht schlecht. Jegliche Kontrolle war ihm entglitten und sein Plan trieb unaufhaltbar in einem reißenden Strom davon.

„Bleib liegen!“, hielt Liz ihn zurück. „Das geht nicht. Hör zu. Wir haben jetzt mitten in der Nacht. Derzeit herrscht ein elektromagnetischer Sturm und wir sind im Moment vom Rest des Neuen Grenzlands abgeschnitten. Allein deshalb wirst du nirgends hinfliegen können und in deinem Zustand sowieso nicht, du solltest lieber noch ein paar Tage damit warten“, sagte sie streng, aber fürsorglich.

„Was soll das heißen, Magnetsturm? Kann Fireball etwa auch nicht zurück?“

„Nein, nicht so lange der Sturm anhält“, antwortete Liz.

Jesses Panik vervielfältigte sich, als er das hörte. Er saß hier am Ende der Galaxis fest, war ahnungslos, was Fireball trieb und konnte nicht einmal fliehen. Er war ihm völlig ausgeliefert, ein Gefühl, das er abgrundtief hasste. Bitter enttäuscht stützte er sein Gesicht in die Hände und versuchte, sich zu beruhigen. Das Schicksal hatte ihm wieder einmal einen Streich gespielt. Jedes Mal gab er sich so viel Mühe mit seinen Plänen, Vorbereitungen und Strategien und erntete am Ende doch immer nur Niederlagen. Das Denken fiel ihm wegen der zunehmenden Kopfschmerzen unheimlich schwer und er spürte jeden blauen Fleck an seinem Körper. Zwar hatte er schon viel Schlimmeres ausgehalten, aber jetzt zog ihn das alles herunter.

'Vielleicht sollte ich endlich aufhören, gegen mein Schicksal anzukämpfen und einfach aufgeben. Was ich auch mache, alle Mühe ist vergeblich.'

„Du bist gut aufgehoben bei uns, mach dir keine Sorgen. Fireball hat dir ein paar Sachen da gelassen, er kommt also ganz bestimmt zurück. Die Stürme kommen recht häufig bei uns vor, aber lange halten sie meistens nicht an. Ruhe dich doch so lange einfach aus, hm?“

„Kann ich ihn wenigstens anfunken?“

„Du kannst es probieren, aber versprich dir nichts davon. Die Hypercomverbindungen sind ebenfalls gestört.“ Liz holte das Hypercom von der Kommode gegenüber und reichte es Jesse. „Hier, es ist deins. Fireball hat es hier gelassen.“

Überrascht nahm Jesse das Gerät entgegen. Es war tatsächlich seins.

'Was bezweckt er damit? Will er mich damit orten, wenn ich fliehen sollte? Oder hat er eine Wanze eingebaut, damit er mich abhören kann?'

Mit rasendem Puls stellte er die Verbindung her, aber es war wie Liz gesagt hatte – der elektromagnetische Sturm beeinträchtigte den Funkverkehr. Nur Interferenzen kamen herein und ansonsten war nichts zu machen.

„Versuche es später einfach nochmal, vielleicht geht es dann“, meinte Liz zu Jesse, der ihr leid tat. Offensichtlich hatte er einige Strapazen und unschöne Erlebnisse hinter sich, was ihm zu schaffen machte.

„Sag mal, woher hast du eigentlich diese schlimmen Narben?“

Jesse erstarrte und riss die Augen auf. Der dritte Adrenalinimpuls schoss durch sein Blut, als sein Blick auf seinen nackten Arm fiel. Hastig zog er die Decke bis zum Hals, um seinen Körper zu verbergen.

„Hat Fireball mich so gesehen?“, fragte er atemlos nach.

„Ja, natürlich. Er war dabei, als wir dich verarztet haben. Wie ist das passiert?“

„Ich will nicht, dass das irgendwer sieht. Oder dass irgendwer davon weiß.“

„Tut mir leid. Ich kann dich zwar verstehen, aber anders konnten wir die Splitter nicht entfernen und dich verbinden. Das wäre bestimmt nicht in deinem Interesse gewesen, hm?“

„Ich wäre schon wieder aufgewacht!“, erwiderte Jesse hitzig.

„Sicher. Irgendwann oder nie mehr. Das nächste Mal hänge dir einen Zettel um - „Bitte nicht anfassen!“, damit jeder Bescheid weiß!“, erwiderte sie zynisch.

„Das geht niemanden etwas an“, blockte Jesse ab.

„Fireball weiß aber irgendwas. Er sagte etwas von einem Brand. Aber das“, sie packte fest sein Handgelenk, zog den Arm unter der Decke hervor und drehte die Innenfläche des Arms nach oben ins Licht, so dass die eindeutigen Linien zu sehen waren, „kann nicht von einem Feuer stammen. Was soll das? Wolltest du dich etwa umbringen?“

Jesse riss seinen Arm aus ihrem Griff und versteckte ihn wieder unter der Decke. Unerbittlich drängte sie ihn in die Ecke und in seinem Zustand war es schwierig, sich da mit einer wasserdichten Geschichte herauszuwinden oder einfach wegzurennen. Das Blut rauschte laut in seinen Ohren, Bilder von damals erschienen vor seinem inneren Auge und ließen ihn erzittern.

„Was ist passiert?“, fragte Liz noch einmal sanfter nach, wobei sie das Tuch von seinem Nacken nahm und es auffrischte. Sie hoffte, dass es dadurch wie ein normales Gespräch wirkte und ihm das Reden erleichterte.

„Wenn ich Zugang zu einem Blaster gehabt hätte, ja“, gab er nach ein paar Minuten zu, „aber sie ließen mich nicht sterben, weil ich zu wichtig für sie war.“

„Wer sind sie?“

„Eine militante Gruppe, die ihre eigenen Interessen durchsetzen will. Ich war ihr Gefangener, weil sie sich Informationen von mir erhofft haben, die ich ihnen nicht geben konnte.“

„Haben sie dich etwa gefoltert?“, fragte Liz erschrocken, woraufhin Jesse stumm nickte. Er konnte es nicht aussprechen. Die ausgestandenen Qualen bescherten ihm sogar heute manchmal noch Alpträume und allein dass er das überlebt und ausgehalten hatte, war sein Antrieb für seine Rachepläne. Er wollte, dass die Star Sheriffs genauso litten wie er.

„Wegen ihnen suchen wir Colt. Diese Gruppe ist höchstwahrscheinlich wieder aktiv.“ Innerlich atmete er auf, dass ihm diese vage Umschreibung der Outrider eingefallen war, obwohl er die Wahrheit nur ein bisschen verdreht hatte, und deshalb vieles über sich verraten musste; ein Preis, den er nur ungern zahlte, aber in diesem Zustand war es alles, was er fertig brachte.

„Bitte, Liz, erzähle niemandem etwas davon. Ich will nicht, dass noch jemand davon erfährt.“

„Natürlich, ich verspreche es“, nickte sie und drückte seinen Arm. „Es tut mir so leid für dich, dass du das aushalten musstest. Aber vielleicht ist es an der Zeit, mal irgendjemandem davon zu erzählen, um damit abzuschließen statt dich zu verstecken und es in sich reinzufressen, hm?“

Jesse schwieg. Er fühlte sich schuldig, weil sie ihm geholfen und Mitleid mit ihm hatte und er sie trotz allem anlügen musste. Aus irgendeinem Grund war ihm das nicht egal.

„Es ist nur ein gut gemeinter Rat. Fireball würde dir bestimmt zuhören.“ Liz gähnte. „Wenn es dir nichts ausmacht, werde ich mich jetzt hinlegen und Eve als Ablösung zu dir schicken. Du musst dir keine Sorgen machen, dein Geheimnis ist bei mir sicher.“ Aufmunternd klopfte sie ihm auf die Schulter und erhob sich. „Schlafe noch ein bisschen.“

„Danke. Gute Nacht.“ Er sah ihr hinterher und kurz, bevor sie die Tür öffnete, rief er sie.

„Liz?“

„Ja?“

„Warum machst du das alles für mich?“

„Ist doch klar: weil du ein Freund von Colt bist. Für ihn würde ich alles tun und das schließt seine Freunde mit ein. Und jetzt leg dich hin und ruhe dich aus“, zwinkerte sie ihm zu und ging.

Jesse schnürte es fast die Kehle zu. Er legte sich tatsächlich hin, aber der Ärger um Fireball und die Schuldgefühle wegen Liz quälten ihn und ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Er war so angespannt, dass er es bald schon keine Sekunde länger im Bett aushielt. Dass Fireball zurückkommen würde, war sicher, das Wann war ungewiss. Jesse rechnete mit dem Schlimmsten stellte sich darauf ein, dass Fireball die Star Sheriffs im Schlepptau hatte, um ihn festzunehmen. Wenigstens die Peinlichkeit, in einem Bett festgenommen zu werden, wollte er sich ersparen. Deshalb stand er trotz Eves Widersprüchen und gut gemeinten Ratschlägen auf, packte nahm seine Tasche und setzte sich an die Bar, um auf Fireball zu warten.

Die Zeit verging unendlich langsam und das Warten zerrte an seinen Nerven. Hin und wieder versuchte er Fireball über Hypercom zu erreichen, aber entweder war der Sturm noch nicht abgeklungen oder Fireball hatte das Hypercom des Gleiters ausgeschaltet. Das machte die Ungewissheit nicht gerade besser.
 


 

Es war weit nach Mitternacht, als Fireball die Tür aufriss und wütend eintrat – allein, entgegen aller Befürchtungen. Als auch nach ein paar Sekunden keine Star Sheriffs hereinstürmten, um ihn festzunehmen, fiel alle Anspannung von Jesse ab. Sein Racheplan war nicht gescheitert und alle Aufregung unnötig gewesen.
 

Nach dem Wiedersehen mit Colt war Fireball wie in Trance zurück zum Santiago geflogen. Einmal mehr war sein Herz zu Eis erstarrt. Colt so weit unten sehen zu müssen, hatte ihn sehr getroffen und dass er keine Hilfe annehmen wollte, nicht einmal von ihm, setzte dem Ganzen die Krone auf. Der Rauswurf war ein Rückschlag für Fireballs verletztes Gefühlsleben. Immer und immer wieder spielten sich die Szenen vor seinem inneren Auge ab, die neue tiefe Löcher in seine Seele bohrten.

Colt zu suchen und ihn mit einem Auftrag zu betrauen war wohl die blödsinnigste Idee, die er je hatte. Am liebsten wollte er alles vergessen und ungeschehen machen, doch nun hatte er nicht einmal mehr Arbeit, in die er sich stürzen konnte – nur die Mission.
 

Fireball war in der Tür stehengeblieben und sah sich um. Er entdeckte Jesse am Tresen und ihre Blicke trafen sich. Fireball sah, dass Jesse sich verspannte und Mühe hatte, sich aufrecht zu halten. Er spürte regelrecht, dass er in seiner Miene las und sofort wusste, dass das Treffen mit Colt ein Desaster war. Schon immer konnte man ihm seine Gefühle und Gedanken deutlich ansehen, da war jegliche offene Kommunikation unnötig.

Als Jesse in sich zusammensank und sich auf die Zitronenscheibe in seinem Getränk konzentrierte, sprang Liz auf.

„Fireball! Du bist ja schon zurück! Hast du ihn gefunden?“ In ihrer Stimme schwang Hoffnung und Sorge mit, aber auch Stärke. Liz war kein verweichlichtes, verliebtes Mädchen, für das die Welt untergehen würde, sollte ihrem Freund etwas zugestoßen sein. Sie wollte nur die Wahrheit wissen und würde damit umgehen können. Dazu hatte sie schon viel zu viel erlebt und um in dem rauen Klima der Kopfgeldjägerwelt leben zu können, musste sie eine gewisse Durchsetzungskraft und persönliche Stärke mitbringen.

„Ja, habe ich“, antwortete Fireball mit einem dunklen Unterton. „Der werte Herr von und zu ist aber lieber mit sich selbst beschäftigt und will nicht gestört werden.“ Fireball legte seine Hand auf ihre und schaute ihr fest in die Augen. „Ich gebe dir einen Rat, Liz. Du solltest aufhören, dir Sorgen um diesen Trottel zu machen und ihn am besten ganz vergessen. Du verschwendest nur deine Zeit.“

„Was? Aber … was hat er gesagt? Wie geht es ihm?“ Liz‘ Hand krallte sich voller Hoffnung fester um Fireballs.

„Ich kam nicht einmal dazu, ihn das zu fragen, weil er mir unmissverständlich zu verstehen gegeben hat, dass ich unerwünscht bin. Mehr gibt es nicht zu erzählen.“ Bestimmt schob er Liz beiseite und trat zu Jesse. „Jesse, wir gehen!“, befahl er forsch und wartete, dass er aufstand. Fireball wusste, dass Jesse normalerweise nicht so mit sich reden ließ, doch er war gereizt und wollte ihn provozieren, obwohl er deutlich angeschlagen war. Die Stellen seines Gesichts, die nicht von dem Verband verborgen wurden, waren blau-grün, wo er aufgeschlagen war und der Rest war so blass, dass er fast wie ein Gespenst wirkte.

Langsam und - zu Fireballs Bedauern - ohne Widerworte schob Jesse sein Glas von sich und erhob sich wackelig von seinem Platz. Seine Tasche stand fertig gepackt am Boden.

„Fireball, nein! Du kannst ihn nicht mit seiner Kopfverletzung in einen Gleiter setzen!“

„Es wird schon gehen“, versicherte Jesse, der zu ihnen getreten war und Liz' skeptischen, wissenden Blick über sich ergehen ließ.

„Beeil dich, wir müssen zurück“, drängte Fireball.

„Euch Kerle werde ich nie verstehen. Bei einem leichten Schnupfen tut ihr so, als ob ihr gleich sterbt und die wirklich ernstzunehmenden Geschichten ignoriert ihr einfach“, warf sie den beiden vor. „Macht doch einfach, was ihr wollt!“

„Wir haben keine andere Wahl, Liz“, versuchte Jesse sie zu beruhigen, denn ihre und Fireballs laute Stimmen dröhnten in seinem Kopf.

„Ihr seid alt genug zu wissen, was ihr tut“, erwiderte sie, dann sah sie Fireball scharf an. „Aber ich bin es auch und lass dir eins gesagt sein - ich werde Colt niemals vergessen! Irgendwann wird er wieder hierher kommen, da bin ich mir hundertprozentig sicher! Wie kannst du als sein angeblicher Freund überhaupt so etwas sagen?“

„Weil ich wohl nicht mehr zu seinen Freunden zähle!“, knurrte Fireball mit wütend blitzend Augen.

Jesse ließ seine Hand schwer auf Fireballs Schulter fallen, mehr um sich festzuhalten, weil ihm sehr schwindelig war. „Fireball. Lass uns endlich gehen. Das bringt nichts.“

„Wie du meinst.“

Jesse sah wieder zu Liz. Zwar hatte er sich bei ihr im Laufe des Tages für ihre Hilfe bedankt, aber jetzt wusste er nicht, was er sagen sollte. Sie und Eve hatten sich selbstlos um ihn gekümmert und das berührte ihn so tief in seinem Inneren, dass sein Herz schmerzte.

Liz atmete tief durch und beruhigte sich wieder, als sie merkte, dass ihr Gegenüber sich schwer mit dem Verabschieden tat. Freundschaftlich legte sie eine Hand an Jesses heile Wange und lächelte ihm zu. „Pass auf dich auf und gehe gleich zu einem Arzt, wenn ihr angekommen seid.“

Er legte seine Hand über die ihre und drehte seinen Kopf ein wenig.

„Danke für alles und pass auf dich auf“, raunte er in ihre Handfläche und berührte sie flüchtig mit seinen Lippen. Dann verabschiedete er sich auf die gleiche Weise von Eve, die ihm seine Tasche reichte, und ging.

„Warte nicht auf ihn!“, riet Fireball ihr noch einmal eindringlich zum Abschied, ehe er Jesse folgte.

„Und ich warte doch!“, erwiderte Liz mit einem herausfordernden, kalten Lächeln.

Keine Minute später startete das Schiff.
 


 

Jesse war es nur recht, dass Fireball flog, der nach diesem Trip theoretisch hundemüde sein musste, den Gleiter aber hochkonzentriert und rasant steuerte. Er selbst war dazu nicht in der Lage und hatte alle Mühe, die Übelkeit unter Kontrolle zu halten.

Die Ungewissheit nagte an Jesse, solange er nicht wusste, was genau bei dem Treffen mit dem Cowboy passiert war. Ihm brannte es regelrecht unter den Nägeln, ausführlich davon zu erfahren, aber er war zu stolz, danach zu fragen, und Fireball machte keine Anstalten, sich darüber auszulassen. Stattdessen hatte er eine undurchdringliche Mauer um sich herum aufgebaut und grollte vor sich hin wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch.

Fireballs gereizte Stimmung übertrug sich auf Jesse. Immer wieder kreisten die Erlebnisse und seine Fehler in seinen Gedanken und ließen ihn nach wie vor nicht die Ruhe finden, die er dringend benötigte. Je länger der Flug dauerte, umso zorniger wurde er wieder auf den ehemaligen Star Sheriff und sich. Diesmal gab es keine Outridercommander, die Jesse zur Verantwortung ziehen und bestrafen konnte. Wie um alles in der Welt sollte er jetzt an den Cowboy herankommen? Was war überhaupt mit dem verdammten Kuhtreiber los?

Jesse unterdrückte ein Stöhnen, als die Schmerzen und der Schwindel schlimmer wurden und er schloss seine Augen. Vielleicht gelang es ihm, den Flug zu überstehen, indem er sich einfach auf seine Atmung konzentrierte.
 

Fireball flog die weite Strecke nach Fortuna Hills in einem durch und wollte weder eine Pause machen noch den Autopiloten einschalten. Verbissen konzentrierte er sich auf die Steuerung als wollte er vor den Erinnerungen an Colt davonrasen.

Kaum dass sie in Jesses Detektei - ihrem Hauptquartier - angekommen waren, stürzte er sich mit vollem Eifer in die Arbeit, obwohl ihm die Müdigkeit deutlich anzusehen war.

„Morgen haben wir die nächste Chance, etwas über Sabers Pläne herauszufinden“, bemerkte er ohne auf Jesses Zustand Rücksicht zu nehmen. Er kannte den anderen mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass diesem das sowieso nicht recht gewesen wäre, würde er ihn mit Samthandschuhen behandeln. „Kennst du den Namen der Location, wo das Treffen stattfinden soll?“

„Nein, ich muss erst meinen Informanten kontaktieren“, antwortete Jesse gereizt, dem Fireballs Verhalten auf die Nerven ging. Er stürzte sich müde, ohne Sinn und Verstand in die Arbeit und würde unweigerlich Fehler machen und Jesses Pläne gefährden. Das musste Jesse unbedingt verhindern.

„Dann mach’ das am besten gleich, wir haben keine Zeit zu verlieren und müssen Vorbereitungen treffen! Außerdem sollten wir dringend die nächsten Aktionen planen, damit wir die verschwendete Zeit aufholen.“

Das brachte das Fass zum Überlaufen.

„Was ist verdammt noch mal passiert bei Colt?“, explodierte Jesse. „Rück‘ endlich raus mit der Sprache!“

„Das werde ich dir wohl kaum auf die Nase binden! Es geht dich nichts an!“

„Von wegen! Das geht mich sehr wohl etwas an! Wir sind jetzt ein Team, schon vergessen?“

Fireball biss seine Zähne aufeinander und erwiderte einige Momente lang zornig Jesses funkelnden Blick, bevor er sich abwandte und Jesse eine Antwort schuldig blieb.

„Fireball!“, rief Jesse ihm auffordernd hinterher, aber die gewünschte Reaktion blieb aus. Wütend ballte er seine Hand zur Faust, unentschlossen, was er tun sollte und ließ sich erschöpft in den Sessel fallen. Sein eigener Plan brachte inzwischen auch ihn an seine Grenzen. Seine Kopfschmerzen wurden wieder schlimmer und er musste sich schließlich hinlegen, weil sich ihm alles drehte. Einen kurzen Moment lang überlegte er tatsächlich, Liz‘ Rat, zum Arzt zu gehen, zu befolgen, aber dann überkam ihn ein ohnmachtsähnlicher Schlaf.
 

Weil es Jesse nach dem Flug nicht gut ging und er sich wegen der Blessuren im Gesicht eh nicht in der Öffentlichkeit zeigen konnte, beschloss er, das Treffen sausen zu lassen und beauftragte stattdessen Vincent gegen eine großzügige Bezahlung, eine Wanze zu installieren und das Gespräch aufzuzeichnen. Das Risiko, dort mit einer Gehirnerschütterung aufzutauchen mit einem Partner, der sich kaum konzentrieren konnte, wollte er nicht eingehen. Dieses Mal mussten es wieder Aufzeichnungen tun, obwohl Jesse eine persönliche Überwachung bevorzugt hätte.
 

In den nächsten Tagen erholte sich Jesse nur sehr langsam. Er musste zugeben, dass es wirklich klüger gewesen wäre, auf Liz zu hören und in seinem Zustand nicht in den Gleiter zu steigen. Zum Arzt ging er trotzdem nicht, stattdessen ruhte er sich aus und versuchte, wenn der Schwindel nachließ, eine neue Strategie zu entwerfen, was sich wegen der vielen Unbekannten sehr schwierig gestaltete. Er wusste noch immer nicht, was mit Colt passiert war und der gehörte mit zu seinen Plänen. Wie sollte er an ihn herankommen? Auch wenn er zuerst gegen Fireballs Idee gewesen war, Colt zum Teil mit einzuweihen, hatte sie sich im Nachhinein perfekt in sein Vorhaben eingefügt. Nun war das gescheitert und Colt für ihn unerreichbarer denn je.

Fireball ging ihm seit ihrer Rückkehr weitgehend aus dem Weg. Er hatte sich mit unzähligen Blättern Papier und Wissenschaftsmagazinen für weitere Recherchen auf sein Zimmer verzogen, das er nur verließ, wenn er etwas trinken wollte oder ins Bad musste. Mit seiner Arbeitswut wollte er sich von seinen Gedanken ablenken, was ihm kaum gelang.

Was immer während seines Alleingangs passiert war, es war nicht förderlich für seine mentale Stabilität – und auch nicht für Jesses. Dass Liz und Eve sich so vorurteilsfrei um ihn gekümmert hatten, ging Jesse nicht mehr aus dem Kopf und beschäftigte ihn stundenlang. Die Lüge ihr gegenüber lastete schwer auf seinem Gemüt, viel schwerer als die, die er Fireball aufgetischt hatte. Immer wieder driftete er gedanklich von seiner Arbeit ab und ertappte sich erstmals bewusst dabei, dass er sich fragte, was das alles für einen Sinn hatte.

Bevor er diesen Gedanken weiter verfolgen und auf eine womöglich unangenehme Antwort stoßen konnte, kam eine Nachricht von Vincent herein. Diesmal hatte es ziemlich lange gedauert. Sofort machte sich Jesse daran, die E-Mail zu dechiffrieren. Es dauerte eine Weile, bis er den Text schließlich lesen konnte:
 

„Hallo Mr. K. !
 

Das Treffen mit den Herren von RR Engine war schnell vorüber. Es ging um Motoren und deren Leistungen. Scheinbar soll eine neue Fahrzeug- oder Gleiterflotte bestellt werden. Sie sprachen darüber, wie schnell der Prototyp des neuen Motors zusammengebaut und getestet werden kann. Angeblich wäre es in fünf bis sechs Wochen soweit.

Zeichnungen wurden ausgetauscht und mir ist es gelungen, eine Kopie davon zu machen. Diese finden Sie im Anhang, ebenso wie die komplette Audioaufnahme.
 

Ich hoffe, dass Ihnen diese Informationen weiterhelfen und stehe Ihnen wie immer gerne zu Ihrer Verfügung.
 

Ergebenst,

V.
 

PS: Wäre es Ihnen möglich, einen Vorschuss für die nächsten Dienste zu erhalten?
 

Jesse seufzte. ‚Langsam wird er unverschämt!’ Mit einem Klick öffnete er die Anhänge und sah sich die technischen Zeichnungen und Stromlaufpläne an. Obwohl er sich einigermaßen mit Konstruktionszeichnungen auskannte und diese bis zu einem gewissen Grad lesen konnte, konnte er nur Vermutungen anstellen, was darauf abgebildet war. Seiner Meinung nach schien es sich um einen unglaublich großen Antrieb zu handeln, vielleicht ein Triebwerk oder Ähnliches. Sicher war er sich allerdings nicht und auch der Mitschnitt des Gesprächs gab keinen genauen Hinweis auf die Funktion oder Verwendung des Bauteils, das ihm vage bekannt vorkam.

Je länger er grübelte, umso weniger kam er weiter.

‚Am besten erzähle ich Fireball von den neuen Entwicklungen und vielleicht hat er eine Idee, was das für eine Art Motor sein könnte. Er hat sich eh schon wieder zu lange in seinem Zimmer vergraben, wird Zeit, dass er da raus kommt!’
 

Fireball stand mit dem Rücken zu ihm am geöffneten Fenster und rauchte, als Jesse nach einem kurzen Klopfen eintrat.

„Was gibt‘s?“, wollte er wissen, drehte sich um und lehnte sich an die Fensterbank. Er wirkte gleichzeitig erschöpft und unruhig wie Jesse bemerkte. Der Tisch war kaum noch zu sehen, lauter Notizzettel und Aufzeichnungen waren dort und auf dem Bett ausgebreitet, die teilweise zu Boden gefallen oder zerknüllt waren. Es war offensichtlich, dass Fireball immer noch mit den Erlebnissen bei Colt zu kämpfen hatte und dass die Arbeit nicht die gewünschte Ablenkung brachte.

„Saber hat RR Engine gestern mit dem Bau eines Prototyps beauftragt, angeblich ein neuer Motor für Gleiter. Ich hab hier ein paar Zeichnungen, um die es gestern ging“, sagte er und reichte die ausgedruckten Blätter an Fireball weiter. „Was hältst du davon? Sieht nicht gerade wie ein Antrieb aus, oder?“

Nachdem Fireball seine Zigarette im Aschenbecher draußen auf der Fensterbank entsorgt hatte, studierte er interessiert die Dokumente.

„Keine Ahnung, was das sein soll“, sagte er nach ein paar Momenten.

„Ich hoffte, dass du eine Idee hast, weil ich einfach nicht weiter komme“, gab Jesse zu und lehnte sich erschöpft neben ihn. Kurz fiel ihm auf, dass sie früher wohl nie so einträchtig nebeneinander gestanden hätten, aber im Moment war er nicht in der Laune, die alten feindlichen Muster beizubehalten. Teils entnervt, weil er wieder in einer Sackgasse steckte, teils müde presste er seinen Daumen und Zeigefinger auf die Nasenwurzel und strich anschließend durch seine Haare. Dabei berührte er den Verband an seiner Schläfe, die sicher noch eine ganze Weile schmerzte und in allen Farben leuchtete.

„Es sieht aus wie der untere Teil der Tritonmaterie, wie die Turbine“, hörte Jesse Fireball nach einer Weile wie aus großer Ferne sagen und als er zu ihm schaute, sah er, dass die Blätter in Fireballs Händen zitterten. Ihm selbst wurde flau, als er das hörte. Jetzt wusste er, weshalb ihm dieser Teil so bekannt vorkam.

„Es stimmt!“, sagte Jesse erschüttert und nahm ein Blatt der Zeichnungen an sich, um sich die Ähnlichkeit zu Nemesis‘ ehemaligem Gehäuse vor Augen zu führen. Wie hatte er diese Offensichtlichkeit nur übersehen können? Oder hatte er das alles so gut verdrängt?

„…ein Nachbau?“, murmelte er. Dieser vielleicht absurde Gedanke jagte ihm einen eisigen Schauer den Rücken hinunter, und auch Fireball ließ er nicht kalt, der seine Zähne zusammen gebissen hatte Jesse entsetzt anstarrte.

„Wenn das wirklich wahr sein sollte…“

Die Tritonmaterie – der Name war unweigerlich auf ewig mit dem letzten Gefecht verbunden. Ihn zu hören rief bei beiden die alten, unheilvollen Erinnerungen hervor, die sie gut in den Abgründen ihrer Seele eingesperrt hatten. Nun wurden sie mit voller Kraft an die Oberfläche gerissen und tauchten wie ein hässliches Seeungeheuer vor ihnen auf. In diesem Moment konnten beide das Grauen und die Agonie im Gesicht des anderen lesen, die sie im letzten Gefecht empfunden hatten und die nach all diesen Jahren immer noch so stark waren. Es war zu spät, diese Gefühle voreinander zu verbergen und sie teilten sie in diesen langen Sekunden der Erinnerung an die endgültige Vernichtung der Tritonmaterie. Das Bild, wie Jesse von dem Feuersturm erfasst worden war, brannte lebendig vor Fireballs Augen.

Langsam und ohne seinen Blick von Jesse zu lösen, legte Fireball seine zittrige Hand auf Jesses linken Unterarm, der wie immer seit ihrem Wiedersehen, von einem langärmeligen Shirt verdeckt war. Er merkte wie Jesse sich unter seiner Berührung verspannte und sah, dass sich seine Finger in das Papier krallten und er ahnte, dass Jesse es hasste, angefasst zu werden. Fireball wollte endlich alles darüber wissen und schob erbarmungslos den dünnen, schwarzen Pullover ein Stück zurück, um das zerstörte Gewebe freizulegen.

„Ich habe deine Narben gesehen“, sagte er rau, wobei er an seine eigenen am Bein und die damit verbundene schmerzhafte Zeit zurück dachte. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er wieder seine alte Stärke wiedererlangt hatte. Wie musste es dann erst Jesse ergangen sein?

„Wie lange?“

Panik trat in Jesses Augen und sein Atem stockte, als er sich unerbittlich in eine Ecke gedrängt fühlte. Die Papiere segelten achtlos zu Boden, als Jesse seinen Arm an sich reißen und fliehen wollte, aber Fireball hatte das geahnt und versperrte ihm den Weg und hielt ihn so fest, dass sich seine Fingernägel in dessen Haut bohrten. In der Schutzmauer, die Jesse lange und sorgfältig um sich herum aufgetürmt hatte, war ein Stein zerbrochen und Fireball würde nicht nachlassen, ehe er jeden einzelnen herausgerissen und den wahren Jesse freigelegt hatte. Mit einem stechenden Blick verlangte er nach der Antwort. „Sag schon!“

Jesse bebte innerlich und starrte Fireball gelähmt an. Die Finger schlossen sich wie ein Schraubstock um seinen Arm und er war unfähig, sich zu rühren wie ein Reh, das im Scheinwerferlicht sein letztes Stündlein nahen sah.

„Fast zehn Jahre“, antwortete Jesse schließlich mit brüchiger Stimme. „Ich wünschte mir oft, dass ich beim letzten Gefecht umgekommen wäre, und das denke ich sogar heute noch“, gestand er.

„Was?“ Unbewusst lockerte Fireball bei dieser Aussage seinen Griff und Jesse nutzte die Gelegenheit, seinen Arm wieder an sich zu ziehen und ihn mit dem Shirt zu bedecken. Diesmal ließ Fireball ihn gewähren.

Jesses Stimme klang belegt als er aus einem Impuls heraus, Liz' Rat folgte und fortfuhr: „Ich erwachte irgendwann und dachte, ich wäre in der Hölle, weil das Feuer immer noch auf meiner Haut zu brennen schien. Zeit existierte nicht mehr für mich, Schmerzen waren meine neue Maßeinheit, die ich in Perioden unterschiedlicher Stärke oder Dunkelheit einteilte. Irgendwann kapierte ich, dass ich bei den Mönchen war und sie erklärten mir, dass ich Gattlers Gefangener war. Sie hassten mich und ließen mich spüren, dass ich ihnen tot lieber war als lebendig und für Gattler galt das genauso. Er machte keinen Hehl daraus, aber er sagte mir auch, dass er mich brauchte, um seinen Rachefeldzug gegen das Neue Grenzland zu planen. Deshalb stand ich unter seinem ganz persönlichen Schutz und er hatte die Mönche damit beauftragt, sich um mich zu kümmern und mich zu heilen. Sie hielten sich im Großen und Ganzen daran, aber die Schmerzen waren so unerträglich, dass ich sie mehrfach angefleht habe, mich zu töten, aber sie taten es nicht weil Gattler es ihnen verboten und ihnen selbst mit harten Strafen gedroht hatte, sollte ich das Zeitliche segnen. Gattler wollte alle Informationen über die Menschen, insbesondere der Star Sheriffs, deren Denkweise, deren Strategien und Technik, die ich ihm liefern sollte. Allerdings ging ihm meine Heilung viel zu langsam voran und-“

„Und dann hast du es selbst versucht oder was haben die Schnitte zu bedeuten?“, unterbrach Fireball ihn scharf.

Jesses wurde noch blasser als er ohnehin schon war und ließ sich wieder gegen die Fensterbank sinken, weil er befürchtete, dass seine Beine gleich unter ihm nachgaben. Trocken schluckte er und verschränkte seine Arme vor der Brust, weil ihm plötzlich eiskalt war.

„Es ist nicht so wie du denkst.“

„Sondern?“, bohrte Fireball weiter.

„Ganz anders.“

„Hat Gattler dir das angetan? Oder was verdammt nochmal ist es, dass es dich heute noch nicht loslässt? Ist das der Grund für deine Alpträume?“

„Woher weißt du davon?“, fragte er schockiert, als Fireball ein weiteres seiner sicher geglaubten Geheimnisse enthüllte.

„Ich bin nachts oft wach und wenn ich ins Wohnzimmer gehe, habe ich dich schon mehrmals gehört. Manchmal habe ich vor deiner Tür gestanden und überlegt, nach dir zu sehen, weil du dich wirklich schlimm anhörst. Aber ehrlich gesagt wusste ich nicht, wie ich dir gegenüber damit umgehen sollte und habe deshalb bisher nichts gesagt. Jetzt will ich es wissen, und zwar alles! Jesse, was ist es, das dich verfolgt? Was haben die mit dir gemacht?“

„Was kümmert es dich? Können wir jetzt bitte das Thema wechseln?“, herrschte Jesse ihn plötzlich an und verließ seinen Platz, aber Fireball hielt ihn abermals entschlossen auf und sah ihn mit blitzenden Augen an.

„Glaubst du wirklich, es lässt mich kalt, zu wissen, dass es dir schlecht geht, nach allem, was du für mich getan hast?“, konterte Fireball wütend. „Falls du das von mir denkst, hast du einen völlig falschen Eindruck von mir. Endlich zeigst du mir, dass du auch nur ein Mensch bist, der seine Grenzen hat, wie jeder von uns. Lass mich dir zuhören und dir auch helfen, falls ich das überhaupt kann. Ich will es gerne versuchen, aber dazu musst du mir sagen, was dann passiert ist. Sag mir die Wahrheit, Jesse.“

Jesse sträubte sich dagegen und ein innerer Zwiespalt tobte in ihm. Er konnte Fireball doch unmöglich erzählen, dass diese sadistischen Mönche immer wieder seine Arme aufgeschnitten hatten, bis er fast verblutet war. Kurz bevor er wirklich starb, heilten sie ihn wieder und das Spiel begann von neuem. Gattler wusste davon nichts, denn die Mönche planten ihrerseits die Übernahme der Macht. Einmal hatte Jesse Gattler sogar davon erzählt, aber der glaubte ihm nicht. Ein paar Wochen später war Gattler tot, vergiftet, und der nächste Thronfolger trat in Erscheiung. Jesse kam vom Regen in die Traufe und bei dem darauffolgenden wieder von der Traufe in den Regen. Nichts änderte sich mit den neuen Herrschern, sie alle wollten blutige Rache an den Menschen üben und ihren eigenen Bedürfnissen gerecht werden; die Mönche und mit ihnen die Schmerzen blieben die einzige Konstante. Jesse war all die schrecklichen Jahre in Gefangenschaft ihr Spielball, den sie auf alle möglichen Arten traten, bis er zerstört war. Das und die lange Zeit der Einsamkeit hatten ihre Spuren hinterlassen. Fireball war Jesses erster sozialer Kontakt, der nicht nur an der Oberfläche kratzte, sondern tief in seine Gedanken und Erlebnisse vordrang, und ein Teil von ihm wollte das alles endlich loswerden. Sein Angebot, ihm zuzuhören und zu helfen, war das eines echten Freundes und war der Auslöser, der Jesses Schutzmauer endgültig einstürzen ließ.

Fireball lehnte sich wieder an die Fensterbank und Jesse ließ es zu, dass er ihn neben sich zog.

„Wolltest du dich wirklich umbringen?“, fragte Fireball noch einmal mitfühlend nach, aber Jesse schüttelte den Kopf.

„Die Wahrheit ist, ich hatte nicht den Mut dazu. Was, wenn es nicht funktioniert? Dann müsste ich wieder alle Schmerzen und Qualen durchstehen und das kann ich nicht noch einmal. Davor habe ich die größte Angst, nicht vor dem Tod.“

Fireball nickte stumm und bedrückt, als er seine eigenen Schlüsse zog. Er bedauerte es, Jesse so bedrängt zu haben und sah auf seine Füße.

„Zehn Jahre warst du also gefangen und hast das ausgehalten?“, murmelte er betreten.

„Vielleicht sogar länger, vielleicht kürzer ich weiß es nicht genau, weil ich die Tage, Wochen und Monate nicht auseinander halten konnte. Es fühlte sich nach einer Ewigkeit an. Nach Gattler folgten andere, aber meine Gefangenschaft blieb. Gattler wurde vergiftet, danach übernahm Calibos die Herrschaft, aber wegen der vielen unlösbaren Probleme wie Ressourcenknappheit, Kälte und Krankheiten konnte er sich nicht lange halten. Das Leben in der Phantomzone war hart, eine öffentliche Ordnung nur rudimentär vorhanden und jeder war sich selbst der Nächste. Morde, Plünderungen und Raub waren an der Tagesordnung, und es schien fast als würden die Outrider sich selbst ausrotten. Die Phantomzone versank in Anarchie, zumindest war es das, was ich aus den Unterhaltungen heraushörte oder erzählt bekam. Jeder, der gerade auf dem Thron saß, musste mit aller Härte durchgreifen, und die Aussicht auf einen neuen Krieg gegen die Menschen war das einzige Ziel, das sie alle gemeinsam hatten und durch das sie lenkbar waren. Deshalb war ich auch für Calibos wichtig, um die Rachepläne weiter voran zu treiben. Das gleiche galt für Dark, der Calibos entthronte, und schließlich auch für Orat. Orat war der erste, der alles besser im Griff hatte. Er schaffte ein System, fand neue Nahrungsmittel und Wasser und schickte erste, kleine Schiffe auf die Suche nach einem neuen Planeten. Er wurde von vielen bewundert und respektiert, obwohl er ziemlich abergläubisch war. Trotzdem schien vielen dieser seltsame Glaube zu helfen, vielleicht weil er ihnen eine Richtung vorgab. Orat war ziemlich beliebt und wurde fast schon vergöttert.

Wie bei allen zuvor, war ich auch Orats Gefangener und bei ihm kam ich nach der ganzen Zeit erstmals wieder raus.“ Jesse hielt einen Moment inne und dachte an das Gefühl, als er nach den ganzen Jahren erstmals wieder Berge und Wolken sah, auch wenn es kalter, zerrütteter Felsen und bedrohlich-dunkler Himmel war. Fast war es das schönste, was er je gesehen hatte.

„Orat ließ mich unter strenger Aufsicht an verschiedenen Bauprojekten arbeiten, weil sie jede einzelne Kraft brauchten. Die Mönche waren damit überhaupt nicht einverstanden und ließen sich an mir aus so oft es ging. Dann starb Orat plötzlich an einer seltsamen Seuche und Jean-Claude trat die Nachfolge an. Er behandelte mich völlig anders, ließ mich frei und gab mir ein eigenes Zimmer. Erst nach und nach gewöhnte ich mich daran, dass ich mich unbeaufsichtigt überall hin begeben durfte, schloss aber keine Kontakte zu anderen Outridern, auch wenn ich ihnen zwischenzeitlich egal geworden war und nicht mehr befürchten musste, hinterrücks abgestochen zu werden. Nur Jean besuchte mich ab und zu und bat mich, mit anzupacken, was ich auch tat. Aber endlich war es mir möglich, heimlich einen Gleiter vorbereiten und wieder hierher zurückzukehren. Ich glaubte wirklich, dass ich hier alles vergessen kann. Mittlerweile musste ich einsehen, dass es nicht funktioniert.“

„Wir alle werden dies niemals vergessen, egal wie sehr wir uns das wünschen“, erwiderte Fireball bewegt und bestürzt zugleich. „Es ist ein Teil unseres Lebens und wird es bis an unser Ende sein. Dich verfolgen die Alpträume nach all den Jahren und - ehrlich gesagt, wache auch ich hin und wieder auf, besonders dann, wenn sich das Ereignis jährt und alle Sender und Zeitungen die Geschichtsbücher herausholen. Du siehst, du bist nicht allein damit, und ich vermute stark, dass es bei Saber, Colt und April nicht anders ist. Wir haben uns allerdings nie darüber ausgetauscht. Nur du weißt davon.“

Als Fireball Jesse dieses Geheimnis offenbarte, legte sich das unangenehme Gefühl, völlig nackt vor ihm zu stehen und durchleuchtet zu werden. Obwohl er seine Schwächen preisgegeben hatte, fühlte sich Jesse von Fireball respektiert und er merkte wie sich die Bande des Vertrauens zwischen ihnen weiter verstärkten. Fireball war längst nicht so naiv und unbesonnen, wofür er ihn immer gehalten hatte, auch er hatte seine Päckchen zu tragen und verbarg mehr in sich als er nach außen zeigte.

„Ich werde es niemandem erzählen“, versprach Jesse unbehaglich, da er nicht wusste, wie er mit diesem Geständnis umgehen sollte.

„Von mir erfährt ebenfalls niemand etwas“, nickte Fireball dankbar. „Sie planen also wirklich einen Angriff?“

„Zumindest hatten sie das vor, nach dem, was ich weiß und völlig ausschließen kann man das nie“, antwortete Jesse, der froh darüber war, dass Fireball wohl keine Antwort erwartete und das Gespräch wieder eine andere Richtung nahm. „Jean-Claude ist sehr undurchsichtig und ich weiß nicht einmal, ob er überhaupt noch auf dem Thron sitzt. Es gab Widerstandsbewegungen gegen ihn und einige Anschläge. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sie in den nächsten Jahren einen Angriff wagen. Als ich ging war die Technik noch nicht wieder soweit hergestellt und die Ressourcen so knapp als dass man das hätte riskieren können.“

„Du könntest zurückspringen und nachsehen“, deutete Fireball an, aber Jesse schüttelte leicht den Kopf. „Dazu bräuchte ich die Sprungkoordinaten, die man nicht so ohne Weiteres berechnen kann. Es gab für mich nur einen einzigen Sprung hierher in diese Dimension, mit dem Wissen, dass ich nicht wieder in die Phantomzone zurückkehren kann, weil es die Tritonmaterie nicht mehr gibt. Sie war der Schlüssel zu allem, denn von ihr ging der Leitstrahl aus, den man zur Navigation braucht.“

„Verstehe.“ Fireball sah nachdenklich wieder auf die Zeichnungen. „Ich weiß nicht, ob Saber dazu fähig wäre, die Tritonmaterie nachzubauen“, antwortete er schließlich auf Jesses Frage von vorhin. „Aber nach allem, was ich bisher gesehen habe und ihm vorher nicht zugetraut habe, können wir es einfach nicht ausschließen, so absurd und unvorstellbar das auch sein mag.“

„Wir brauchen unbedingt eine weitere Einschätzung der Zeichnungen. Irgendjemand, dem wir vertrauen können und der sich mit so was auskennt. Kennst du so jemanden?“

„Ich werde darüber nachdenken, während ich die Daten aus der Flugüberwachung von Omikron und Sigma durchgehe“, erwiderte Fireball und stieß sich von der Fensterbank ab, um eine weitere Zigarette aus dem Päckchen zu holen, das auf dem Tisch lag.

Jesse nahm dies als Anlass, zu gehen und näherte sich langsam der Tür. Er fühlte sich seltsam leer, weil er erstmals jemandem von dieser Zeit erzählt hatte und wusste nicht so ganz, damit umzugehen. Was bedeutete es, dass Fireball nun davon wusste? Hatte er mit diesem Wissen jetzt Macht über ihn?

Er wusste schon jetzt, dass heute wieder eine der Nächte sein würde, in denen ihn die Dämonen der Vergangenheit jagten.

Als Jesse das Feuerzeug schnippen hörte, drehte er sich wieder um. Wenn sie schon dabei waren, Geheimnisse auszutauschen, wollte Jesse ebenfalls eines lüften.

„Du hast deine Antworten bekommen und jetzt möchte ich etwas von dir wissen. Sag mir, was bei Colt passiert ist“, forderte er ihn auf. Jesse sah, dass Fireball nun verspannte und einen tiefen Zug nahm. Es war offensichtlich, dass er Zeit schindete, um eine Schutzhülle um sich herum aufzubauen. Seine Augen waren dunkel und kalt, als er Jesse anschaute.

„Colt hat mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, was für ein widerwärtiger, unselbständiger, heuchlerischer, egoistischer und unzuverlässiger Freund ich für ihn bin und dass ich ihm nie wieder unter die Augen treten soll“, antwortete er schließlich. Seine Worte waren bitter und schonungslos ehrlich. Jedes einzelne Adjektiv verletzte Fireball so als werfe jemand mit einem Messer auf ihn.

Langsam ließ er sich auf die Couch gleiten und nahm einen weiteren Zug, wobei Jesse ein neuerliches, leichtes Zittern seiner Hand bemerkte, das Fireballs inneren Aufruhr erahnen ließ.

„Er hockt da auf seiner Farm und säuft sich zu Tode“, erzählte Fireball weiter, jetzt stockend und mit belegter Stimme, „und niemand kann ihn davon abhalten, nicht einmal ich! Colt hat so verdammt recht, was meine Freundschaft angeht! Er hat mir seinen Blaster unter die Nase gehalten und mich hochkant rausgeworfen.“ Das Zittern war jetzt schon ein Beben, als Fireball erneut an der Kippe zog und sich durch die Haare strich. „Es ist ein Scheiß-Gefühl als Freund versagt zu haben und den besten Freund zu verlieren“, fuhr er fort und aus seiner Stimme sprach jetzt unendliche Einsamkeit. „So etwas wünsche ich nicht mal meinem ärgsten Feind, nicht einmal dir, als wir noch Feinde waren!“

„Man gewöhnt sich dran“, erwiderte Jesse tonlos.

„Bitte ... geh jetzt.“

Jesse ging und schloss die Türe hinter sich. Auf keinen Fall wollte er dabei sein, wenn Fireball in Tränen ausbrach, schnürte es ihm doch selbst fast die Kehle zu. Wie in Trance ging er in sein Schlafzimmer und legte sich hin.

‚Was ist gerade passiert?’

Er versuchte einen Antwort darauf zu finden, aber verirrte sich immer tiefer in dem Labyrinth aus Intrigen, Tatsachen, seinen eigenen Zielen und dem menschlichen Verhalten.

‚Kann ich meinen Plan überhaupt unter diesen Umständen ausführen? Aber wenn ich ihn fallen lasse … was bleibt mir dann noch?’
 


 

Colt erwachte erst am übernächsten Tag. Sein Magen knurrte laut, aber er hatte keinen Kater und fühlte sich zum ersten Mal seit einer scheinbaren Ewigkeit wieder gut und zu neuen Taten bereit.

Sein erster Weg führte ins Bad, wo er sich erleichterte. Dann wusch er seine Hände und Gesicht und als er wieder nach oben kam, blieb er an seinem Spiegelbild hängen. Prüfend betrachtete er sich und diesmal sah er über kein einziges Detail seines verwahrlosten Ichs hinweg und verschloss sich nicht vor dem, was er sah.

„Fireball hat recht gehabt, ich sehe echt richtig scheiße aus!“, gestand er sich schließlich ein und griff kurzerhand nach dem Rasierschaum, um mit der Generalüberholung zu beginnen.

Frisch rasiert, geduscht und mit sauberen Klamotten im alten Colt-Stil stand er etwas später im Wohnzimmer und betrachtete die chaotische Flaschenlandschaft, die sich über die ganze Räumlichkeit erstreckte. Er erkannte sich selbst nicht mehr, als er daran dachte, dass er die alle in sich hinein geschüttet hatte.

„Damit ist jetzt Schluss!“, nahm er sich selbst vor und sog ein letztes Mal alle Einzelheiten seines Elternhauses in sich auf. Dann drehte er sich um und ging entschlossenen Schrittes zur Scheune, in der sein jetziger Gleiter namens Phoenix geparkt war. Er war ein kleines bisschen geräumiger als der Bronco Buster, verfügte über mehr Leistung und ein umfangreicheres Waffenarsenal. Darüberhinaus verbrauchte er weniger Gyrolen und Dank neuer Technologie waren sowohl Reichweite als auch Reisegeschwindigkeit höher. Trotz der besseren technischen Details und des höheren Komforts vermisste Colt sein altes Schiff. Ein Nachbau kam für ihn aber nicht infrage, da es niemals dasselbe sein würde, obwohl er es sich ohne Probleme hätte leisten können.
 

Kurze Zeit später erhob sich der schwarz-orange Phoenix in den Himmel und sein Pilot fühlte sich bereit für neue Taten. Obwohl Colt Fireballs Rat aus Trotz eigentlich lieber nicht befolgen wollte, war die Sehnsucht nach Liz stärker und deshalb führte sein erster Weg ins Santiago – zu ihr.

„Ich will nur nachsehen, ob es Liz gut geht und ob du sie nicht irgendwie verführt und ins Unglück gestürzt hast!“, überzeugte er sich selbst mit dieser schlecht konstruierten Argumentation. „Dann werde ich denen allen schon zeigen, dass man mich nicht so einfach abservieren kann! Bereitet euch schon mal darauf vor - Colt ist wieder am Start und mischt den Laden auf!“
 

Nach einigen Stunden erreichte Colt das Santiago erschöpft. Hitzewallungen wechselten sich mit Kälteschauern ab, die durch seinen Körper jagten und ein erstes Anzeichen des Entzugs waren. Das Zittern seiner Hände übersah er geflissentlich, als er seine Hand auf den Türgriff legte.

So stürmisch wie der Wind, der ihm fast die Kleider vom Leib riss, überkamen ihn alte Erinnerungen. Vielleicht hätte er mit Robin ein schönes Leben haben können, vielleicht wäre er inzwischen schon Vater und hätte selbst einen Sohn, mit dem er Fischen und Reiten gehen konnte. Aber damals war er einfach nicht bereit für das alles gewesen, obwohl er sich eine Familie insgeheim schon immer gewünscht hatte. Damals sah er den einzigen Ausweg darin, alles zurückzulassen und von jetzt auf gleich zu verschwinden; mit dieser Entscheidung musste er leben, denn ungeschehen machen konnte er nichts. Erst mit dem Wissen von heute konnte er Robins damalige Bemühungen verstehen und schätzen, auch wenn es ihr nichts mehr brachte. Manchmal fragte er sich, wie es ihr ging und ob sie wieder geheiratet hatte, oder ob sie sich auf immer und ewig allen Männern verwehrte. Anrufen würde er sie allerdings nicht.

Schließlich straffte er sich und sein Blick wurde entschlossen, als er endlich eintrat.
 

Wie immer saßen nur wenige Gestalten im Saloon und hingen müde vor ihren Getränken, während die Saloongirls ein wenig zu dem alten Klavier tanzten und ihre weiten Röcke schwingen ließen.

Einige Köpfe hoben sich interessiert, als eine Böe hereinfuhr, aber Colt hatte nur Augen für eine - Liz. Sie stand wie gebannt hinter dem Tresen und merkte gar nicht, dass ihr das Bier, das sie gerade zapfte, über die Hand lief.

„Colt!“ Wie hypnotisiert stellte sie das Glas beiseite, wischte sich gedankenverloren die Flüssigkeit an ihrem kobaltblauen Kleid ab und eilte zu dem schief grinsenden Cowboy, den sie so vermisst hatte. Er kam ihr entgegen und als sie sich in der Mitte des Weges trafen, hob er sie kurzerhand hoch und küsste sie stürmisch. Sie wehrte sich nicht, sondern schmiegte sich verlangend an ihn, so dass er sie ohne weitere Worte und ohne sie abzusetzen hinauf in den ersten Stock trug, wo sich ihr Zimmer befand. Er kannte den Weg noch ganz genau.

Obwohl ihm der Alkoholentzug schwer zusetzte und er Kopfschmerzen hatte, beflügelte ihn Liz’ Anwesenheit umso mehr und viel mehr als er jemals hatte zugeben wollen. Jetzt sah er alles klar und deutlich vor sich, was ihm schon längst hätte bewusst sein sollen.

Im Zimmer legte er sie sanft auf das Bett und nahm sich alle Zeit, ihr stundenlang in ihre strahlenden Augen zu sehen und durch ihr langes Haar zu streicheln. Sie redeten nicht, und das war auch nicht nötig. Sie verstanden sich ohne Worte, denn es gab nichts, was jetzt gesagt werden musste. Liz war diejenige, die nach einer ganzen Weile nach Colts Lippen suchte. Nach und nach wurden ihre Küsse leidenschaftlicher und inniger und ihre Hände suchten ihren Weg unter die Kleidung. Colt grinste Liz schelmisch an, als er die Schnur über ihrem Dekolleté löste und sie erwiderte sein Grinsen auf die gleiche Weise. Als würde er ein Geschenk auspacken entblätterte er seine Freundin, die sich wohlig räkelte und ihm so alle Vorzüge ihres Körpers präsentierte. Bald schon lag auch Colts Kleidung achtlos neben dem Bett.
 

Viel später hielt Colt seine Liz in den Armen und betrachtete ihr hübsches Gesicht, während er mit ihren feuerroten Locken spielte. Sie schlief tief und fest mit einem seligen Lächeln auf den Lippen.

„Ich will dich“, murmelte er zufrieden in ihr dichtes Haar und ließ seine Augen über ihren Busen, ihren flachen Bauch und ihre Hüften hinunter zu ihrem Po und schließlich zu ihren Beinen wandern. Sie war nicht schlank, aber auch nicht dick, und ihre Rundungen, waren genau da, wo eine Frau sie haben sollte. Er erinnerte sich daran, wie sie gemeinsam Karten gezockt und um die Wette gesoffen hatten. Oder wie sie eigenhändig die Raufbolde, die es zu wild trieben, vor die Tür gesetzt hatte. Wie oft hatte sie für ihn auf der Bühne getanzt und ihm verführerische Blicke zugeworfen? Oder war um ihn herumgeschwänzelt, während sie die Kneipe mit schmutzigen Liedern unterhielt?

‚Damals hab ich das nicht gecheckt, dass mehr hinter deiner Schäkerei steckte’, dachte er und amüsierte sich über seine Blindheit. ‚Nicht Blindheit … es gab einfach zu viele, die zu süß waren’, korrigierte er sich. ‚Aber jetzt … wird alles anders!’ Er gab ihr einen leichten Kuss auf das feuerrote Haar und verweilte dort, um ihren lieblichen Geruch in sich aufzunehmen.

„Meine Liz“, murmelte er zufrieden, aber der nächste ungebetene Gast stand schon vor der Tür und klopfte an. „Bitte hilf mir, das durchzustehen.“

Jetzt, wo die Erschöpfung und Müdigkeit einsetzte, spürte er deutlich, dass die Schreie nach Alkohol in ihm lauter wurden. Das Zittern war stärker geworden und er fühlte sich hundeelend. Wie einfach wäre es, zu ihrem Schrank zu gehen und einen tiefen Schluck aus der nächsten Flasche zu nehmen – egal, was es war, Hauptsache es enthielt genug Prozente. Unsicher sah er zum Schrank, worin er die erlösende, bernsteinfarbene Flüssigkeit wusste. Es wäre so einfach! Aber ein weiterer Blick zu ihr gab ihm wieder Kraft, der Versuchung zu widerstehen.

„Nur für dich höre ich mit dem Saufen auf, aber bitte hilf mir dabei“, versprach er ihr murmelnd und zog sie kurz in seine Arme ohne sie zu wecken. Es musste jetzt sein, lange genug hatte er seinen Kummer in Alkohol ertränkt und sich dabei fast selbst verloren. Er wollte keine Zeit mehr für so etwas vergeuden.

Colt bemerkte, wie sein Körper langsam zu verkrampfte und sein Kreislauf verrückt zu spielen begann. Ehe er völlig die Kontrolle verlor, stand er auf und nahm das Magazin aus seinem Blaster. Beides legte er außer Reichweite ins Badezimmer, ehe er wieder zu Liz ins Bett zurückkehrte. Das Karussell drehte sich immer schneller und er stöhnte leise auf.

„Colt?“, fragte Liz besorgt. Von den Geräuschen und der plötzlich fehlenden Wärme war sie aufgewacht. Ihre Stimme war zwar noch etwas rau vom Schlafen, aber sie war sofort voll konzentriert.

„Colt? Was ist mit dir?“ Mit einer fließenden Bewegung schaltete sie das kleine Licht auf dem Nachttisch neben dem Bett an und sah die Schweißperlen, die auf seiner Stirn glitzerten. Sein Gesicht dagegen war aschfahl.

„Das kann nur die Liebe sein.“ Colts Grinsen sollte Zuversicht ausstrahlen, wurde aber von Schmerzen und Krämpfen überlagert, so dass er nur eine elende Fratze zustande brachte.

„Colt!“ Liz schrak zusammen, aber sie war sofort im Bilde, was ihren Liebsten quälte. Sie griff nach seiner Hand und drückte sie fest, während ihre andere nach seiner Temperatur fühlte und dann durch sein lockiges Haar strich.

„Ich bin bei dir“, versprach sie leise, küsste ihn kurz auf die Stirn und eilte davon, um ein feuchtes Tuch zu holen.
 


 

Erst dachte sie, dass Colt seinen Entzug so durchstehen konnte, doch in den nächsten Stunden verschlechterte sich sein Zustand so sehr, dass Liz einen Arzt bestellte, der Colt sofort in eine Klinik einwies. Wie hätte sie auch ahnen können, wie schlimm seine Sucht war?

Da sie selbst einen Pilotenschein hatte, packte sie eilig ein paar Sachen zusammen und flog mit Colts Phoenix hinterher. Sie selbst kannte sich mit Entzugserscheinungen nicht aus und, obwohl sie wusste, wie sehr Colt Krankenhäuser hasste, konnte sie darauf keine Rücksicht nehmen.
 

Colt wurde von Fieber überfallen, das sich bald wieder in Schüttelfrost kehrte, von wilden Träumen hin zu einem fast totenähnlichen Schlaf, von Schreien über leises Gemurmel und Stöhnen hin zu völliger Stille. Immer wieder musste er sich übergeben, obwohl er nichts mehr in seinem Magen hatte. Seine Haut war blasser geworden als sie ohnehin schon war.

Liz machte sich unendliche Sorgen um ihren Liebsten und wachte an seiner Seite. Sie ging der betreuenden Schwester zur Hand und wusch ihm den Schweiß von der Stirn oder legte mehr Decken über ihn, wenn er fror.

„Er ist in guten Händen, Miss“, beruhigte die Krankenschwester Liz, die am nächsten Morgen ziemlich müde und erschöpft aussah. „Ruhen Sie sich ein bisschen aus und gehen Sie etwas essen, hm?“

Liz überlegte, dann nickte sie, wenigstens um kurz selbst etwas zu frühstücken und sich ein wenig frisch zu machen. Die Ärzte und Schwestern konnten ihn besser versorgen als sie, aber sie spürte deutlich, dass sie Colt nicht mehr allein lassen wollte.

‚Fireball hat zwar gesagt, dass es nicht lohne, sich um ihn Sorgen zu machen’, erinnerte sie sich an die Worte von Colts Freund, während sie zuschaute, wie der billige Kaffee aus dem Automaten in den Plastikbecher floss. ‚Aber Colt ist zu mir gekommen und das beweist das Gegenteil. Er ist es immer wert und ich hatte recht!’ Sie schloss ihre Hände um den Becher und trat zum Fenster, um hinaus in den kleinen Park zu sehen. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie die aufgehende Sonne betrachtete.

‚Es war die richtige Entscheidung gewesen, nicht zu ihm zu fliegen, sondern darauf zu hoffen, dass er den Weg zu mir findet. Jetzt ist Colt aus freien Stücken zu mir zurück gekommen. Ich glaube, bald wird alles gut.’ Sie fühlte sich im Moment glücklich, beschwingt und gleichzeitig ruhig, obwohl sie sehr müde war und es sicher einige Tage dauern würde, bis Colt wieder auf den Beinen war. Sie war bereit, alles für ihn zu tun und auf sich zu nehmen, denn gehen lassen wollte sie ihn nicht mehr und sie war sich sicher, dass diesmal alles anders zwischen ihnen beiden sein würde.
 

Sechs Tage später wachte Colt erschöpft auf. Er spürte die Hand, die in seiner lag und sah Liz, die mit dem Oberkörper auf seinem Bett lag und schlief.

Alles tat ihm weh, als er sich aufrichtete, um ihr über die Haare zu streichen.

„Danke, Babe“, sagte er und seine Stimme war rau und kratzig und er hatte einen wahnsinnigen Durst.

Liz regte sich und hob ihren Kopf, als sie merkte, dass Colt wach war und strahlte ihn an.

„Du hast es geschafft“, sagte sie glücklich.

„Das Schlimmste ist überstanden. Dank dir“, erwiderte Colt und rückte zu ihr heran, um sie fest in seine Arme zu schließen. Er fühlte sich zwar schwach, aber gut und nach einer Flasche Wasser, was zu essen und einer Dusche würde die Welt gleich noch mal anders aussehen.

„Ich hatte Angst um dich“, flüsterte Liz an Colts Schulter und strich ihm leicht über den Rücken, wo sie jeden einzelnen seiner Knochen spüren konnte. Er hatte in den letzten Tagen wegen der fehlenden Nahrung sehr viel Gewicht verloren sah furchtbar aus. Aber seine Haut war längst nicht mehr so grau wie zuvor und auch seine Haare hatten etwas mehr von ihrer alten Farbe zurück gewonnen.

Colt nahm ihr Gesicht in seine Hände und sah tief in ihre blauen Augen. „Alles wird gut“, versprach er und besiegelte sein Versprechen mit einem innigen Kuss. Liz glaubte ihm und spürte dieselbe Zuversicht von ihm ausgehen wie sie sie auch in sich trug, seit Colt vor ein paar Tagen zu ihr zurückgekehrt war.

„Du könntest eine Dusche vertragen“, zwinkerte sie und strich durch sein lockiges, zerzaustes Haar, woraufhin Colt unschuldig grinste.

„Dann lass uns am besten von hier verschwinden“, antwortete er vergnügt und machte sich daran, aufzustehen, wobei Liz ihn daran hinderte.

„Erst, wenn der Doktor dich gesehen hat“, bestimmte sie, da sie sich besser fühlte, wenn Colt ein paar Instruktionen von dem Arzt erhielt. Sie hatte zwar oft mit dem zuständigen Mediziner gesprochen, dennoch hielt sie es für besser, wenn der Patient dies mit seinen eigenen Ohren zu hören bekam. „Ich hole ihn.“ Ehe Colt Widerspruch einlegen konnte, war Liz aus der Tür hinaus.
 

Einen halben Tag dauerten die Bluttests, ein ausgiebiger Check und ein intensives Gespräch, bei dem der Arzt ihm erklärte, worauf er in Zukunft zu achten hatte, dann durfte Colt endlich gehen. Dies alles zerrte sehr an seinen Nerven, aber immerhin hatte er die Zwischenzeit nutzen können, um etwas zu essen und zu trinken sowie eine ausführliche Dusche zu nehmen.
 

Weil Colt zu schwach auf den Beinen war, führte ihr Weg direkt in Liz’ Hotelzimmer, das sie sich bei ihrer Ankunft genommen hatte, obwohl sie die meiste Zeit im Krankenhaus gewesen war. Im Zimmer nahm er sie fest in seine Arme und hielt sie minutenlang fest, was ihr einmal mehr bewies, wie sehr er sie brauchte - und umgekehrt.

Immer wieder küsste und berührte Colt sie, als ob er all seine Versäumnisse nachholen wollte. Schließlich umfasste er Liz’ Gesicht und sah in ihre hübschen Augen.

„Endlich sind wir allein“, stellte er mit einem Blick auf das gemütliche Bett fest. Kurzerhand zog er Liz mit sich, lehnte sich an das Kopfteil und stopfte ein Kissen in seinen Rücken. Liz lehnte ihren Kopf auf seine Schulter und Colt spielte mit ihren Haaren. Immer wieder wickelte er eine ihrer roten Locken um seinen Zeigefinger und ließ sie wieder aufspringen.

„Liz? Erzählst du mir, was passiert ist?“

„Was genau willst du denn wissen, Cowboy? Es ist einfach so viel passiert in den letzten Jahren, Monaten und Tagen. Wo soll ich am besten anfangen?“

„Fang am besten erst einmal damit an, was Fireball von dir wollte.“

Liz malte mit ihrem Zeigefinger unsichtbare Linien auf Colts Brust, während sie sich ihre Begegnung in Erinnerung rief. „Er war zusammen mit einem Freund da, der wohl auch ein alter Bekannter von dir ist, und beide haben nach dir gesucht. Sie schienen sehr besorgt, weil sie dich einfach nicht finden konnten und ihnen die Ideen und die Zeit ausgingen.“

„Haben sie gesagt, was sie von mir wollten?“

„Nein, leider nicht. Nur, dass es um irgendeinen wichtigen Auftrag ging. Sie waren schon eine Weile unterwegs und haben auch in anderen Saloons nach dir Ausschau gehalten, nur wussten die Kopfgeldjäger dort ebenso wenig, wo du dich rumtreibst.

Wahrscheinlich hast du ihnen irgendwann einmal von uns erzählt, jedenfalls kamen sie auf ihrer Suche ins Santiago und es kam zu einer Schlägerei. Diego hatte mal wieder zuviel getrunken und sich mit deinem Freund angelegt, du kennst ihn ja. Ich weiß gar nicht mal, worum es in diesem Streit ging. Jedenfalls sah es nicht gut aus für Diego, und du weißt ja wie schlecht er verlieren kann. Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen und hat ihn einmal quer über den Tresen in die Regale geworfen.

Sicher kannst du dir vorstellen, dass ich Diego nach dieser Aktion rausgeworfen habe und dann haben Eve und ich uns um deinen Freund gekümmert.“

„Ist Fireball was passiert?“, fragte Colt erschrocken.

„Nein, ihm nicht. Aber Jason. Fireball und ich waren gerade nebenan“, antwortete Liz.

„Nebenan?“

„Nicht, was du denkst, Colt!“ Liz boxte ihn auf den Oberarm. „Wir haben uns nur über dich unterhalten. Ist Fireball denn überhaupt noch dein Freund? Er war ganz schön sauer, als er von deiner Farm zurückkam und er riet mir, dass ich mir lieber keine Sorgen um dich machen sollte, du seist es nicht wert. Er würde seine Zeit jedenfalls nicht mehr damit verschwenden.“

„Ja, Babe, er ist es noch“, versicherte Colt. „Ich war wohl ziemlich … naja … unfair … ehrlich … direkt … ihm gegenüber. Das biege ich so schnell wie möglich wieder gerade. Aber sag mal, wer ist Jason?“

„Ein Freund von dir, so wie Fireball sagte. Bariston oder so ähnlich ist sein Nachname. Kennst du ihn nicht?“

Colt kratzte sich am Kinn und überlegte einen Moment und schüttelte dann langsam den Kopf. „Nein, sagt mir nix“, musste er zugeben und grinste. „Mein Gedächtnis ist halt nicht mehr das jüngste! Erzähl weiter, was ist danach passiert?“

Liz gab ihm einen leichten Schubs und grinste zurück. „Du bist wirklich unmöglich“, beschwerte sie sich, fuhr aber mit ihrem Bericht fort. „Später, als Jason verarztet war, habe ich mich mit Fireball unterhalten und irgendwie sind wir auf deine Farm gekommen. Ich kann dir gar nicht mehr sagen wie … und dann ist er sofort losgeflogen, als ob der Teufel persönlich hinter ihm her gewesen wäre.“

„Ja ... Fireball … er ist eben eine echte Rennsemmel“, murmelte Colt und lächelte leicht. „Er hatte schon recht mit dem, was er mir an den Kopf geworfen hat. Und obwohl ich so gemein zu ihm war, war er es, der mir den Tipp gegeben hat, dass ich mal bei dir vorbeischauen sollte.“ Liebevoll schaute er Liz an und ließ seine Hand tiefer gleiten, so dass sie auf ihrem Rücken lag. „Ich werde ihn suchen und mich bei ihm entschuldigen und bedanken! Ich frage mich nur, was Fireball und dieser mysteriöse Jason von mir wollten. Sie haben echt nichts gesagt?“

„Nein, gar nichts“, versicherte Liz. „Jason war nur etwas … hm … schüchtern? … unsicher? … als er sich bei mir bedankt hat. Und so niedlich, als er sich von mir verabschiedet hat. Stell dir vor, er hat mir einen kleinen Handkuss gegeben.“ Liz kicherte, als sie sich daran erinnerte.

„Ich kenne keine schüchternen, unsicheren Typen und schon gar keine, die Handküsse verteilen. Keine Ahnung, mit wem sich Fireball da rumtreibt“, grinste Colt und verschränkte seine Arme hinter dem Kopf. „Aber wenn er das nochmal macht, kriegt er es mit mir zu tun!“

„Ach Colt, sei doch nicht so!“, schmunzelte sie und richtete sich auf, um Colt besser ansehen zu können. „Er war nicht wirklich schüchtern, nur in solchen Dingen eben. Ach ja, Fireball hat den anderen meistens Jesse genannt, fast so, als wäre das sein Name. Vielleicht kommt dir das bekannt vor?“

„Jesse? Ich kenne keinen Jesse“, Colt wurde es heiß und kalt und er hatte das unheimliche Gefühl eines Déjà-vus, dass sich ihm alle Nackenhaare aufstellten, „außer …Jesse Blue“, beendete er den Satz tonlos. Er fuhr hoch, packte Liz an beiden Armen und sah sie erschrocken an. „Wie sah er aus?“

„Colt? Was ist denn auf einmal los? Du machst mir Angst!“ Liz versuchte sich aus seiner festen Umklammerung zu lösen, woraufhin Colt tatsächlich losließ. Aber das Grauen in seinen Augen blieb.

„Wie sah er aus? Jesse?“, wiederholte er seine Frage drängend.

„Groß, ziemlich dünn … halblange, schwarze Haare, blaue Augen.“ Liz stotterte ein wenig, weil Colts Verhalten sie irritierte und beunruhigte. Sie kannte ihn immer als coolen, lässigen Typen, der sich durch nichts aus dem Trott bringen ließ und immer die Fäden in der Hand zu haben schien. Jetzt runzelte Colt seine Stirn, weil diese Beschreibung nicht so ganz seiner Vermutung entsprach.

„Hat er dir etwas getan?“

„Nein, nichts. Er war ganz normal, nett, vielleicht etwas reserviert, und unauffällig“, antwortete sie und als sie bemerkte, dass Colt sich ein wenig entspannte, wurde sie auch wieder ruhiger. „Kämpfen konnte er allerdings sehr gut, Diego hatte keine Chance gegen ihn. Außerdem hat er schlimme Narben am Körper“, fügte sie hinzu, „von einem Feuer. Ein Wunder, dass er überlebt hat.“

Colts Hände spannten sich wieder um Liz’ Oberarme und er zog zischend die Luft ein. Er zitterte. „Narben? Von einem Brand? Was hat er noch gesagt oder gemacht? Sag mir alles über ihn, jede Kleinigkeit ist wichtig!“

„Jesse war es jedenfalls sehr unangenehm, dass ihn jemand so gesehen hat, besonders Fireball. Er sagte, dass er früher in Gefangenschaft einer militanten Gruppe gewesen sei, die irgendwas gegen das Neue Grenzland plant und Informationen von ihm wollte. Sie haben ihn scheinbar gefoltert und nach dem, was ich gesehen habe, glaube ich ihm und auch, dass er dem ein Ende bereiten wollte. Es könnte sein, dass die wieder aktiv sind und deshalb waren die beiden auf der Suche nach dir. Colt, er machte wirklich einen netten Eindruck auf mich und Fireball schien ihm auch zu vertrauen.“

„Militante Gruppe … Es sind einfach zu viele Anzeichen, die dafür sprechen, dass er es sein könnte“, murmelte er und presste seine Zähne aufeinander, während sein Blick ins Leere abdriftete.

‚Das kann ich nicht außer Acht lassen. Was, wenn diese Narben nicht von einem normalen Feuer sind, sondern vielmehr von einem Inferno wie dem im letzten Gefecht? Das war eine regelrechte Hölle, der wir entkommen sind. Kann es sein, dass Jesse es auch irgendwie geschafft hat? Würde mich nicht wundern, wenn der Kerl neun Leben wie eine Katze hat. Aber wenn er es wirklich ist, was macht er hier und wieso zum Teufel ist er mit Fireball unterwegs? Meint er mit der militanten Gruppe vielleicht die Outrider? Hat Fireball nicht sogar irgendwas von Outridern im Sigma-Sektor angedeutet, als er bei mir war? Weiß Saber davon? Ich könnte…’

„Colt?“ Liz unterbrach die Gedankenflut.

Irritiert blinzelte er ein paar Mal und kam in die Wirklichkeit zurück. Mit einem Mal sah er alles ganz klar vor sich, wurde ruhig und strich ihr liebevoll durch das Haar. Das altbekannte Vibrieren erfasste seine Nerven, wie früher, wenn sein Instinkt einen großen Fang witterte.

Sie seufzte und schloss ihre Augen. „Ich weiß, was jetzt kommt“, sagte sie resignierend.

„Babe, nur noch dieses eine Mal“, flüsterte Colt und küsste fest ihren Mund, ehe er nah ihres Gesichts weiter sprach. „Ich muss einfach sicher sein, dass die Geister der Vergangenheit nicht zurück gekehrt sind und wieder in unserem Leben herumspuken.“

„Du kannst Fireball einfach anrufen und fragen, wer dieser Jason-Jesse ist“, schlug sie vor und ihre Augen funkelten kämpferisch. „Du kannst jetzt nicht gehen und mich schon wieder alleine lassen, das ist nicht fair! Nicht, nachdem du gerade wieder gesund geworden bist! Das lasse ich nicht zu!“, brauste sie auf, aber Colt legte ihr liebevoll seinen Finger auf ihre Lippen und schüttelte leicht den Kopf. Sie starrte ihn wütend an.

„Ich muss erst sichergehen, dass meine Vermutung stimmt“, erklärte er, „und glaube mir Liz, ich bete, dass sie nicht zutrifft.“ Wieder küsste er sie und erhob sich dann, um seinen Blaster umzuschnallen, der auf dem Sideboard lag. Sie sah ihm mit versteinerter Miene zu.

„Mein Schiff steht im Parkhaus, nehme ich an?“, fragte er geschäftig und plante im Geiste schon die nächsten Schritte, als er seinen abgetragenen Stetson aufsetzte.

„Nein, ich hab es extra im Halteverbot geparkt“, erwiderte sie bissig und verschränkte ihre Arme. „Verdammt Colt, merkst du denn nicht, was du mir bedeutest? Ich liebe dich! Du solltest in deinem Zustand nicht auf irgendeine bescheuerte Geisterjagd gehen!“ Nur mühsam konnte sie ihre Tränen unterdrücken. Sie war niemand, der nah am Wasser gebaut hatte, doch in den letzten Tagen hatte ihr Nervenkostüm stark gelitten, was sich jetzt bemerkbar machte. Dass sie Colt schon wieder so schnell verlieren sollte, kaum dass sie ihn gerettet hatte, war zu viel für sie.

Als er das hörte, ging er langsam zu ihr und hockte sich vor sie. Er nahm ihre Hände in seine und sah sie ernst an.

„Nur noch dieses eine Mal, Babe“, sagte er leise. Es war keine Bitte, kein Drängen, vielmehr eine Feststellung. „Mir ist es verdammt ernst mit dir, aber genauso ernst ist das, was sich da vielleicht gerade abspielt. Es ist möglich, dass alles ein Hirngespinst ist, aber ich kann die Andeutungen nicht ignorieren, nicht in dieser Sache. Es gibt zu viele Übereinstimmungen, die kein Zufall sein können. Wenn wirklich Jesse Blue dahintersteckt, kann uns Schlimmes bevorstehen, wahrscheinlich sogar ein neuer Krieg. Erst wenn ich Gewissheit habe, dass es nicht so ist, kann ich beruhigt sein.“ Er streichelte mit seinen Daumen über ihre Handoberflächen und lächelte zuversichtlich. „Das ändert aber nichts an meinen Gefühlen für dich, denke immer daran! Endlich weiß ich, dass wir zusammen gehören.“ Er küsste sie lange und innig und merkte, dass sie in seinen Kuss einstieg. Erst als sie beide kaum noch Luft bekamen, lösten sie ihre Lippen und Colt machte sich auf den Weg.

„Colt!“, rief sie ihm halb verärgert, halb versöhnt hinterher, und er drehte sich um und winkte ihr.

„Ich liebe dich auch!“, rief er, als er den Hotelflur entlang rannte und gleich um die nächste Ecke bog.

Wenige Minuten später startete der orange-schwarze Phoenix in den Himmel und die Geisterjagd begann.
 


 

„Die einzige, die mir eingefallen ist und uns weiterhelfen könnte, ist April“, sagte Fireball, als er spät am nächsten Morgen in die Küche trat, wo Jesse sich gerade ein Glas Wasser einschenkte. Sie beide umgingen geflissentlich das, was gestern zwischen ihnen vorgefallen war und blieben auf der geschäftlichen Ebene. Aber etwas hatte sich zwischen ihnen verändert.

„April?“ Dass Fireball sie erwähnte, schmeckte Jesse überhaupt nicht. Die alte Eifersucht erwachte aus ihrem jahrelangen Schlaf und bahnte sich ihren Weg direkt in sein Herz. Dabei hatte Jesse bisher geglaubt, er sei über sie hinweg und musste überrascht zugeben, dass er sich das nur eingeredet hatte. Energisch kämpfte er gegen das Gefühl an und zwang sich, so objektiv wie möglich über Fireballs Vorschlag nachzudenken.

‚Sie war in meinen Plänen nicht vorgesehen und ich möchte sie nicht reinziehen. Allerdings ist Fireballs Vorschlag vielleicht gar nicht mal schlecht. April kennt sich mit solchen Zeichnungen aus und kann bestimmt sagen, wie das Teil funktioniert und wozu man es benutzen kann. Wir kennen sie, was das potentielle Risiko eher einschätzbar macht, als wenn wir die Zeichnungen irgendjemand völlig Fremdem zeigen, den wir erst finden müssen. Dadurch kämen wir wahrscheinlich viel schneller zu einem Ergebnis. Außerdem – wenn wir sie nur deswegen fragen, heißt es ja noch lange nicht, dass sie Teil meines Plans wird.’

„Wie hast du dir das vorgestellt?“, hakte Jesse nach und nahm einen weiteren Schluck, um seine säuerlichen Miene zu verbergen.

„Ich dachte, dass ich sie entweder anrufe und frage, ob sie mich treffen mag oder ich schaue einfach mal so bei ihr vorbei“, antwortete Fireball. „Nach dem Erlebnis mit Colt bin ich mir allerdings nicht so sicher, ob das so eine gute Idee ist.“

„Ach was, sie wird bestimmt abnehmen, wenn sie deine Nummer sieht, nicht so wie Colt“, meinte Jesse und versuchte, möglichst leichtfertig zu klingen. Wenn sein Plan Realität werden sollte, musste er alles daran setzen, dass Fireball April traf und seine Eifersucht irgendwie im Zaum halten. Seine Rache hatte oberste Priorität und Jesse hatte sich geschworen, seine ganze Energie in diesen Plan zu investieren, egal, was es ihn kostete. Es war sein letzter Versuch, und der musste endlich gelingen!

Fireball nahm sich ebenfalls ein Glas und setzte sich rittlings auf einen Küchenstuhl. „Ich weiß nur nicht, was ich ihr sagen soll“, gestand er etwas peinlich berührt und fuhr nervös durch seine Haare. „Wir haben uns so lange nicht mehr gesprochen und irgendwie … ach, ich weiß auch nicht.“

„Ich dachte, ihr seid die besten Freunde, wo ist also das Problem?“, bemerkte Jesse verächtlich.

„Danke für dein ausuferndes Verständnis, Jesse“, schnaubte Fireball im gleichen Tonfall. „Ich hab ja ganz vergessen, dass du keine Freunde hast und deshalb gar nicht kapieren kannst, dass so etwas ein bisschen schwierig sein könnte!“ Er rammte sein Glas auf den Küchentisch und stampfte wütend davon.

„Fireball! So war das nicht gemeint!“

„Mach deinen Scheiß alleine!“, brüllte Fireball zurück, dann flog die Haustüre geräuschvoll ins Schloss.

„Ein klassisches Eigentor“, murmelte Jesse und massierte vorsichtig seine Schläfen. Er ärgerte sich, weil seine Gedanken einfach aus ihm rausgeplatzt waren und er das nicht ungeschehen machen konnte. Hatte er das Vertrauen zwischen ihnen damit wieder zerstört?

‚Nimm dich zusammen, Jesse! Dein Plan ist alles, was zählt, vergiss das nicht!’, ermahnte er sich immer wieder, aber es half nichts. Zu sehr schmerzte die Verletzung und die von Alpträumen durchsetzte Nacht beeinträchtigte seine Konzentration. Wenn er nicht aufpasste, würde seine allerletzte Möglichkeit der Rache dem Untergang geweiht sein.

„Hoffentlich beruhigt er sich wieder“, überlegte er, als er sich wieder an seinen Schreibtisch setzte, um die etlichen abgefangenen Emailverkehre und Überwachungsbänder der von Saber beauftragten Firmen und Politiker zu begutachten.
 

Fireball zündete sich eine Zigarette an und ging mit zornigen Schritten die Straße entlang. Er musste sich abreagieren und bewegen.

„Ich werde einfach nicht schlau aus Jesse, manchmal ist er richtig nett, manchmal so großkotzig und arrogant wie damals. Was will der überhaupt?“ Ein tiefer Zug aus seiner Kippe beruhigte ihn schon einmal ein bisschen.

‚Ich weiß immer noch nicht, ob das alles wahr ist, was wir herausfinden. Eigentlich will ich das alles nicht glauben und trotzdem… Was ist nur aus uns allen geworden? Saber, Colt, mir … und auch Jesse? Wir alle sind nicht mehr die gleichen wie früher, das steht fest. Aber wie sehr haben wir uns verändert und wohin? Wer steht jetzt auf welcher Seite? Damals war das eindeutig, aber jetzt kann ich für niemanden mehr guten Gewissens meine Hand ins Feuer legen.’ Diese Erkenntnis machte Fireball traurig und er zog schnell sein Handy aus der Hosentasche. Während er mit gesenktem Haupt weiterlief, blätterte er sein Adressbuch durch und wich ohne aufzuschauen hin und wieder den Straßenlaternen aus. Als die Zigarette abgebrannt war, zündete er die nächste an.

'Die meisten von denen kann ich wohl löschen', dachte er als er die gespeicherten Namen las. ,Echte Freunde sind das wohl nie gewesen. Am besten mache ich das sofort.'

Nach und nach leerte sich die Kontaktliste und nur vier Nummern blieben zurück: Colt, Saber, April und Jesse. Als er auf den kläglichen Rest seiner Freundesliste sah, lachte er spöttisch auf. 'Ich werfe ihm vor, dass er keine Freunde hat und stehe selbst kaum besser da. Aber sind das wirklich alles meine Freunde? Was Jesse angeht, weiß ich es einfach nicht, obwohl vieles dafür spricht, dass wir irgendwie sowas wie Freunde geworden sind. Bei Colt, Saber und April wünschte ich mir von ganzem Herzen, dass sie es noch sind.' Fireball seufzte auf, als sein Name bei dem Cowboy hängen blieb. ‚Es tut mir leid, was ich über ihn gesagt habe, natürlich ist er genauso viel wert, so wie jeder andere und ich mache mir selbst ja auch Sorgen um ihn. Ich sollte jemanden zu ihm schicken, der nach ihm sieht. Saber kann ich wohl schlecht darum bitten, als Präsident hat er Besseres zu tun. Außerdem, wer weiß, was er nach meinem überaus peinlichen Anruf vor ein paar Wochen überhaupt von mir denkt. Das vergesse ich am besten ganz schnell wieder. Ob April das tun würde? Oder ihn wenigstens anruft, um ihm die Leviten zu lesen? Zumindest würde er sie nicht gleich hochkant rausschmeißen, so wie mich’, stellte er fest und suchte entschlossen Aprils Nummer. ‚Zumindest in dem Punkt hat Jesse recht – wir waren sehr gute Freunde und von meiner Seite aus hat sich daran nichts geändert! Es sollte mir wirklich leicht fallen, ein Gespräch mit April zu führen!’ Bevor er es sich anders überlegte, drückte er auf „Wählen“ und hörte kurz darauf das Klingelzeichen, während er nach geeigneten Worten suchte, das Gespräch zu beginnen. Es kam aber alles ganz anders.

„Fireball? Bist du es wirklich?“ Aprils Stimme klang fröhlich-überrascht.

„Ja, man sollte es kaum glauben, aber ich bin’s wirklich“, lachte Fireball und gleichzeitig fiel ihm ein großer Stein vom Herzen. „Ich wollte mich mal wieder melden, nach so langer Zeit.“

„Das ist schön!“, sagte sie. „Wie geht’s dir? Bist du auf Yuma oder wo treibst du dich gerade rum?“

„Zufällig bin ich tatsächlich gerade auf Yuma“, antwortete er, „und ich dachte, vielleicht könnten wir uns einfach mal treffen? Ich würde dich wirklich gerne wiedersehen. Bist du auch hier?“

„Ja, ich wohne immer noch in Yuma-City und bin zu Hause. Komm doch einfach vorbei, ja? Ich würde mich sehr freuen. Meine Wohnung ist in der Millennium-Siedlung, Andromeda Alley 14.“

„Im Handumdrehen bin ich da!“, versprach Fireball gut gelaunt. „Ich freue mich schon. Bis später!“

Er legte auf, warf den Rest seiner Kippe achtlos beiseite und eilte beschwingten Schrittes zurück zu Jesses Haus. Genauso schwungvoll wie er es vor gut zwei Stunden verlassen hatte trat er nun wieder ein, nur mit um ein Vielfaches besserer Laune.

„Jesse, heute musst du alleine weitermachen, ich treffe mich gleich mich mit April.“

„Ich hoffe, du vergisst nicht, sie nach den Zeichnungen zu fragen“, erwiderte Jesse und verschluckte einen weiteren Kommentar darüber, dass er schon die ganze Zeit alleine arbeitete. Obwohl er sich alle Mühe gab, neutral zu klingen, hörte er selbst ganz deutlich, dass seine Stimme um einige Grade kühler als vorhin war, doch Fireball bemerkte das in seiner Hochlaune zum Glück nicht.

„Keine Sorge“, antwortete er, zwinkerte ihm vergnügt zu und war schon auf dem Weg in sein Zimmer, um frische Kleidung herauszusuchen und anschließend im Bad zu verschwinden.

Die Eifersucht flammte wieder in Jesse auf, und weil er sie nicht beherrschen konnte, fasste er kurzerhand einen Entschluss. Mit einer Miniwanze bewaffnet wartete er, bis Fireball unter der Dusche stand und das Wasser rauschte. Einen ganz kleinen Spalt weit öffnete er die Tür und hörte, dass Fireball fröhlich vor sich hin pfiff. So gut gelaunt hatte er ihn seit ihrem Wiedersehen nicht erlebt, und es nervte Jesse bis aufs Blut. Wie gerne würde er mit ihm die Plätze tauschen, was leider nicht möglich war. Aber er musste einfach wissen, was die beiden besprachen; so etwas wie bei Colt würde ihm nicht noch einmal passieren. Diesmal wusste Jesse von Fireballs Alleingang und konnte entsprechende Maßnahmen ergreifen. Zwar glaubte Jesse nicht, dass Fireball ihm ein Märchen über Colt erzählt hatte, aber bei einem Treffen mit April spielten ganz andere entscheidende Dinge eine Rolle.

Die frischen Klamotten lagen auf dem Badewannenrand und Fireball stand mit dem Rücken zu ihm. Noch eine Weile wartete Jesse, bis Fireball eingeschäumt und das Bad in Nebel eingehüllt war. Als er die Dusche wieder anstellte, schlich Jesse schnell und leise hinein und befestigte die Wanze unter dem Kragen des dunkelgrünen Hemds, das Fireball herausgesucht hatte. Ein paar Sekunden später stand er wieder unbemerkt im Flur und atmete tief durch, um seinen rasenden Puls herunterzukühlen.
 

Fireball brauchte doppelt so lange im Bad wie sonst. Als er sich schließlich um die Mittagszeit nichtsahnend verabschiedete, saß Jesse an der Arbeit. Er hatte die Wanze aktiviert und konnte jedes Wort verfolgen.

„Es könnte spät werden. Warte nicht auf mich“, scherzte Fireball, als er das bestellte Taxi herankommen sah.

„Denk lieber an die Informationen!“, erwiderte Jesse beherrscht, aber innerlich brodelnd. Ihm war kein bisschen nach Witzen dieser Art zumute. Warten gehörte darüber hinaus nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen, aber diesmal konnte er heimlich mithören, was die Zeit erheblich verkürzte.

Gebannt lauschte er also auf Fireballs Ankunft bei Ramrods ehemaliger Navigatorin. Er hatte mitbekommen, dass sein Partner unterwegs ein paar Blumen und eine Flasche Champagner kaufte, ehe er schließlich sein Ziel erreichte.
 

Die Millennium-Siedlung war erst vor knapp zwei Jahren auf einem ehemaligen Industriegelände errichtet worden und sehr begehrt. Wohlhabende Familien und Geschäftsleute bevorzugten diese Wohngegend, da sie ruhig und dennoch zentral gelegen war und ein außergewöhnliches Flair bot.

Aprils Appartement befand sich im oberen Stockwerk eines fünfstöckigen Hauses, das am Rande einer ausgedehnten, schummrig beleuchteten Parkanlage stand, die zur Siedlung gehörte.

Fireball zahlte das Taxi, rückte seine Kleidung zurecht und klingelte schließlich.

„Hi Fireball“, begrüßte sie ihn via Sprechanlage und betätigte den Türöffner, „ich wohne ganz oben.“

Er fuhr mit dem Lift und malte sich aus wie April wohl aussehen würde. Immer wenn er an sie dachte, sah er sie in ihrem roten Overall mit dem blauen Hüfttuch vor sich und ihren langen, blonden Haaren.

‚Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Fünf Jahre? Oder eher sechs?’, überlegte er, während sich ein angenehmes Kribbeln der Vorfreude in ihm breitmachte. Nur noch wenige Momente trennten sie voneinander.

Sie wartete bereits in ihrer Eingangstüre auf ihn, ein leichtes, vielleicht etwas unsicher wirkendes Lächeln auf ihren Lippen.

„Hallo Fireball“, sagte sie und sie schlossen sich lange und fest in ihre Arme.

„Schön, dich zu sehen, April“, hauchte er bewegt in ihre Haare und legte nacheinander den Strauß und die Flasche auf die Kommode im Flur, ohne die Umarmung zu lösen. Es war ein Gefühl als ob er nach Hause kommen würde.

„April?“ Nach ein paar Momenten spürte er, dass sein Hemd auf der Höhe seines Schlüsselbeins nass wurde und ihm dämmerte es, dass sie weinte. Alarmiert hielt er sie von sich weg, um ihr in die Augen zu schauen.

„Was ist los, Kleines?“, fragte er besorgt, aber sie schüttelte nur den Kopf und rang sich ein Lächeln ab. „Ich bin nur so froh, dich zu sehen“, erklärte sie und wischte so gut es ging ihre Tränen weg.

Fireball glaubte ihr nicht und betrachtete sie genauer. Sie sah fertig aus, auch wenn sie sich Mühe gegeben hatte, dies unter etwas Make-up zu verbergen. Ihre langen blonden Haare hatte sie lose zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie trug nicht mehr den roten Overall wie damals, sondern ein einfaches weißes Top und dazu eine verwaschene Jeans. Trotzdem sah sie seiner Meinung nach einfach umwerfend aus.

„Komm rein“, lenkte sie ab und zog ihn mit sich.

Gerne ließ er sich von ihr ins Wohnzimmer führen, das sehr groß und geräumig war. Von dort führte eine Tür auf die weitläufige Dachterrasse, von der aus man eine wunderschöne Aussicht über die Skyline von Yuma City hatte. Weit im Hintergrund sah Fireball den Yuma Tower und die anderen namhaften Hochhäuser und auf der anderen Seite lag der Raumhafen, was an dem dichten Flugverkehr zu erkennen war.

„Nachts hat man bestimmt einen tollen Ausblick, wenn die ganzen Lichter an sind“, sagte er und drehte sich vor der breiten Glasfront zu ihr um. „Seit wann wohnst du hier?“

„In dieser Wohnung erst seit gut ein paar Monaten, aber auf Yuma schon immer. Ich mag Yuma und kann mir nicht vorstellen, woanders zu leben. Aber jetzt erzähl mal, wie geht es dir?“ Es war ein schlecht getarntes Ablenkungsmanöver, das Fireball sofort durchschaute.

„Das sollte ich wohl eher dich fragen“, bemerkte er ernst und wischte den Rest einer Träne von ihrer Wange. „Du musst mir nichts vormachen, Süße. Was ist los?“

Sofort schossen neue Tränen in ihre Augen, die sie zu unterdrücken versuchte, was ihr aber nicht gelang. Fireball schloss sie erneut in ihre Arme und strich ihr beruhigend über den Rücken.

„Sag mir was los ist, dann kann ich dir vielleicht helfen“, murmelte er und küsste sie auf ihren Schopf.

Die Antwort kam vom Nebenzimmer, als plötzlich ein Baby zu weinen anfing. Fireball sah verwundert auf, und einige Puzzlestückchen fügten sich schon zusammen. April löste sich von ihm und ging nach nebenan, wo das Kinderbett stand. Fireball folgte langsam und sah zu wie sie das Kind auf den Arm nahm, um es zu wiegen.

„Nicht weinen“, versuchte sie es zu beruhigen und kam zu Fireball, der sie gebannt beobachtete.

„Du bist also Mama geworden“, stellte er überflüssigerweise fest, „und es ist noch gar nicht so lange her.“ Vorsichtig streckte er seine Hand aus und strich mit seinem Zeigefinger über die kleine Hand des Babys, das lauthals weinte.

„Fireball, darf ich dir Colin vorstellen? Er ist jetzt fast fünf Monate alt“, antwortete sie schniefend.

„Hallo Colin“, antwortete Fireball fasziniert und perplex. „Du hast aber ein ganz hübsches Stimmchen und wirst bestimmt mal Rocksänger oder so etwas“, lachte er und April lachte auch etwas.

„Tut mir leid, dass ich davon nichts wusste, sonst hätte ich dir schon früher gratuliert“, sagte Fireball und beugte sich zu ihr hinunter, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben.

„Ich habe keine Karten geschickt“, sagte sie und schon wieder flossen die Tränen. „Er schreit die ganze Zeit, von morgens bis abends und nachts und ich weiß einfach nicht, was er hat. Auch die Hebamme und der Kinderarzt wissen nicht mehr weiter und raten mir, einfach abzuwarten. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchstehen kann.“

„Solange du musst“, antwortete Fireball zwinkernd. „Irgendwann werden sie ruhig, glaub mir. Bei Fiona, meiner ältesten Tochter, war es genauso und ich weiß, dass das kein Zuckerschlecken ist. Darf ich ihn mal nehmen?“

„Klar darfst du.“ Sie reichte ihm den Jungen und sah zu, wie er ihn geübt in seine Arme nahm und ungeachtet des Schreiens mit ihm scherzte. Colin wurde nach einer Zeit tatsächlich ruhiger und lachte, etwas, was sie nur sehr schwer nach stundenlangem Herumlaufen, Wiegen und krampfhaftem Bespaßen bewerkstelligen konnte.

„Gehen wir ins Wohnzimmer“, schlug Fireball vor und legte einen Arm um sie, um sich mit ihr auf die Couch zu setzen. Colin schlief schon bald erschöpft vom Weinen auf Fireballs Arm ein und April lehnte auf der anderen Seite abgekämpft an seiner Schulter.

„Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen“, brach es aus ihr nach einer Weile des Schweigens hervor und Fireball hörte Wehmut und Bedauern, die tief in ihrer Seele brannten.

„Was ist passiert?“, wiederholte er seine Frage und drückte sie fest an sich. Nie hatte er April so verzweifelt und überfordert gesehen, nicht einmal damals, als ihr Vater von den Outridern entführt worden war. Sie war immer eine starke Frau, doch jetzt schien es, als hätte sie ihre Reserven aufgebraucht.

„Ich … es tut mir leid, dass ich dich so vollheule“, sagte sie stockend, da sie nicht wusste, wo sie anfangen sollte. „Wir haben uns so lange nicht gesehen und ich habe nichts Besseres zu tun-“

„Das ist schon okay“, unterbrach Fireball sie, „auch wenn wir uns lange nicht gesehen haben, ändert das nichts zwischen uns. Es ist alles noch so wie früher.“

„Früher...“, wiederholte sie und wischte über ihr Gesicht, „ich wäre lieber auf dem Schlachtfeld als Mama zu sein!“

„April! Weißt du, was du da sagst?“ Fireball war erschrocken über diese Aussage und legte Colin vorsichtig auf die Couch, so dass er nicht aufwachte. „Wir haben für den Frieden gekämpft und du willst mir jetzt allen Ernstes erzählen, dass du dir den Krieg zurückwünschst? Das kann ich nicht glauben!“

„Es ist aber so!“ Herausfordernd sah sie ihn aus ihren nassen, leicht geröteten Augen an. Sollte er sie nur vom Gegenteil überzeugen, sie hatte die besseren Argumente!

„Bei den Outridern wusste man wenigstens, woran man war. Sie waren die Bösen, ihnen durfte man nicht vertrauen! Wir hatten uns, wir hatten Ramrod und wir konnten uns aufeinander verlassen und waren immer füreinander da, egal was war! Aber heute…“

„…sind wir auch füreinander da“, fiel Fireball ihr ins Wort. „Es stimmt, dass es nicht mehr so einfach ist, weil wir nicht mehr jeden Tag zusammen sind. Aber jetzt bin ich hier und wenn Colt oder Saber das wüssten, würden sie auch nicht zögern, dir zu helfen, da bin ich mir ganz sicher! Aber…“ Fireball stockte, als ihm eine wichtige Frage einfiel: „Wo ist Colins Vater? Und wer ist sein Vater?“

Seine Frage verstärkte ihr Weinen wieder und er zog sie wieder an sich heran.

„Was ist mit ihm, April? Hilft er dir und dem Kleinen nicht?“

‚Vielleicht ist er gestorben?’

April brauchte ein paar Momente, ehe sie antwortete. „Dieser miese, hinterhältige Lügner“, zischte sie voller Hass und wischte sich genervt die Nässe von den Wangen. Sie wollte nicht seinetwegen weinen, aber aufhalten konnte sie die Tränenflut nicht.

„Er ist mit meiner besten Freundin Alex durchgebrannt, obwohl er sich angeblich darauf freute, Vater zu werden. Colin war nicht geplant, aber eine Abtreibung kam für mich niemals infrage. Alles schien gut, aber ich habe nicht einmal ansatzweise etwas geahnt. Wie auch, ich hing während der Schwangerschaft fast nur über der Kloschüssel und war mit mir selbst beschäftigt. Und er? Er erzählte mir, dass er viel zu tun hätte und spät nach Hause kommen würde. Die Wahrheit war, dass er sich in diversen Clubs und Hotels mit ihr vergnügte, anstatt für mich da zu sein. Wieso hat er das gemacht? Ich habe ihn doch so geliebt und alles für ihn gemacht.“ Ihr Schluchzen wurde wieder heftiger und Fireball schloss seine Arme fester um sie.

„Oh April, das tut mir so leid für dich“, tröstete er sie, wissend, dass es dafür keine passenden Worte gab. Er spürte unbändige Wut in sich aufsteigen, wusste er doch ganz genau wie April sich fühlte.

„Als ich bei Alex zu Besuch war, habe ich seinen Verlobungsring bei ihr unter der Couch gefunden. Mir war etwas heruntergefallen und als ich es aufheben wollte, fand ich ihn. Er hatte ihn angeblich verloren, was schon schlimm genug war und du kannst dir vielleicht vorstellen, was in mir vorging, als ich ihn an so einem Ort gefunden habe – bei meiner besten Freundin, die ihn nur gelegentlich sah und ihn angeblich nicht leiden konnte.“

„Oh ja, das weiß ich nur zu gut“, antwortete Fireball, der sich an den Moment erinnerte, als er die Affäre seiner Frau entdeckt hatte. „Erst hast du dich gefühlt, als würde dein Herz zu Eis erstarren und dann ist es in tausend Scherben zerbrochen. Richtig?“

„Das beschreibt es ziemlich gut“, schniefte April. „Natürlich habe ich sie sofort damit konfrontiert und sie verstrickte sich schnell in Widersprüche und hat schließlich alles gestanden. Sie trafen sich schon seit über einem Jahr. Ich kam mir so blöd vor, dass ich überhaupt nichts gemerkt habe und wie ein verliebter Teenager alles durch die rosarote Brille gesehen habe. Wie dumm ich doch bin! Eine hochgeschätzte Wissenschaftlerin und Heldin des Neuen Grenzlandes kapiert die einfachsten Dinge des Lebens nicht.“

„Du bist weder blöd noch dumm, Süße, rede dir das nicht ein“, widersprach Fireball entschieden und strich ihr wieder tröstend über das Haar. Er fühlte so sehr mit ihr und wünschte, er könnte einen Teil ihres Leids auf sich nehmen. „Glaub mir, Kleines, das kann jedem von uns passieren, Held hin oder her. Hast du ihn zur Rede gestellt?“

„Nein, dazu kam es leider nicht. Still und heimlich hat er seine Koffer gepackt, als ich nicht zu Hause war und blockt seitdem jeglichen Kontaktversuch ab.“

„Was für ein Feigling!“, knurrte Fireball und zwinkerte ihr aufmunternd zu, damit sie nicht so traurig war. „Bestimmt wusste er, dass er gegen deinen Dampfhammer keine Chance gehabt hätte.“

April lächelte ein bisschen. „Der hat zu recht die Hosen voll! Ich bin so verdammt sauer und wenn er mir irgendwo begegnen sollte, kann ich für nichts garantieren!“

„So kenne ich meine April!“

„Ach, Fire. Wenn es nur so einfach wäre“, seufzte sie traurig. „Als er weg war, hätte mich niemand im ganzen Neuen Grenzland dazu gebracht, weiter in unserer Wohnung zu leben und deshalb hab ich sofort meine Koffer gepackt. Ein paar Tage bin ich bei meinem Vater geblieben, aber ich konnte seine besorgten Blicke nicht ertragen und ich glaube, dass er auch ganz schön überfordert mit allem war. Er ist zwar für mich da und hilft, wo er kann, aber wenn meine Mutter noch leben würde, wäre es einfach was anderes. Das war einen Monat, bevor Colin zur Welt kam und ich bin so froh, dass Daddy mir beim Umzug geholfen hat und das, obwohl er ein vielbeschäftigter Mann ist.“

„Dein Vater würde alles für dich tun“, sagte Fireball, der selbst an seine beiden Mädchen denken musste und sich vornahm, sie nach all dem anzurufen. Bis dahin waren die erhitzten Gemüter sicherlich ein bisschen beruhigt und er konnte einen neuen Start wagen.

„Leider sind nicht alle Väter so“, widersprach April bitter. „Als Colin geboren war, habe ich seinem Vater natürlich eine Nachricht geschickt, aber es kam keine einzige Reaktion. Deshalb habe ich bei seinen Eltern angerufen, die ja auch irgendwie davon erfahren sollten, aber die haben mir klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass sie mich für eine Schlampe halten und daran zweifeln, dass das Kind überhaupt von ihm ist. Ich würde jedenfalls keinen Cent von ihnen kriegen.“ Aprils Stimme erstickte in Tränen, als sie sich an dieses demütigende Gespräch erinnerte und Fireball zog sie wieder an sich und strich ihr sanft durch das Haar.

„Du weißt, dass es nicht so ist und du kennst die Wahrheit. Das kann dir keiner nehmen oder dir irgendwas anderes einreden!“ Obwohl es sonst nicht seine Art war, verspürte er das große Bedürfnis, diesen widerwärtigen, feigen Typen bei Nacht mit einem Baseballschläger zu besuchen.

„Alles, woran ich denken kann, wenn ich Colin sehe, ist sein Vater“, gestand sie schluchzend, „und ich hasse ihn! Aber ich will Colin nicht hassen, obwohl er nur schreit! Er ist doch auch mein Sohn! Fireball, ich kann einfach nicht mehr!“

„April …“
 

Jesse schaltete ab. Er konnte es nicht mehr ertragen, dem Gespräch zuzuhören, denn April war diejenige, die er am allerwenigsten so zerstört sehen wollte, denn sie hatte es nicht verdient. Gleichzeitig war er erleichtert, dass Fireball bei ihr war, der ihr – so musste er neidlos anerkennen – eine starke Schulter zum Anlehnen bot.

‚Jetzt bist du Mutter und ich freue mich für dich auf der einen Seite, aber den Kerl, der die wundervollste Frau im Universum, sitzengelassen hat, dem würde ich gerne mal persönlich begegnen’, sagte Jesse im Stillen zu ihr. ‚Ich hätte dich niemals verlassen und ich hätte mir irgendwann vielleicht selbst mal Kinder gewünscht. Aber das wird weder mit dir noch mit einer anderen etwas werden … mit diesen Narben würde mich eh keine wollen“, stellte er fest und stützte müde seinen Kopf in seine Hand, als er alle seine Fehler erkannte und zutiefst bereute.

‚Ich habe die schlimmsten Torturen in der Phantomzone durchgestanden und mein ganzes Leben meiner Rache an den Star Sheriffs gewidmet, um ihnen das anzutun, was ich wegen ihnen ertragen musste! Das war mein einziger Lebensinhalt und das, was mich antrieb; ich wollte euch alles nehmen, was euch lieb und teuer ist. Und wozu habe ich die ganze Zeit hart dafür gearbeitet und gekämpft? Nur, um feststellen zu müssen, dass ihr das alles selbst schon erledigt habt! Selbst dieser Triumph scheint mir nicht vergönnt und ich muss mit der bitteren Erkenntnis fertig werden, dass ich mein gesamtes Leben verschwendet habe und wieder einmal auf der Seite der Verlierer stehe.’ Er hielt einen Moment inne und ging hinaus in den Garten, um die vielen Sterne am Himmel zu betrachten und einen Zwischenstand zu ziehen, wie weit er mit seiner bisherigen Mission vorangekommen war. Über den Bergen von Yuma blitzte ab und zu ein Wetterleuchten auf, Boten eines fernen Gewitters.

‚Fireball und Colt, ihr seid schon da, wo ich euch haben wollte und du leider auch, April, obwohl ich dir das niemals gewünscht habe. Nur Saber stellt mich wie immer vor große Rätsel. Ich hätte nie gedacht, dass es mich nicht glücklich macht, die berühmten Star Sheriffs von einst so weit unten zu sehen. Ihr wart immer das strahlende Licht, das ich auslöschen wollte, aber jetzt gibt es mir weder ein gutes Gefühl noch bringt es irgendeine Art von Freude mit sich, nicht einmal Schadenfreude. Dabei war es doch das, was ich mir immer ausgemalt habe und trotzdem fühle ich mich leinfach nur eer.

Woran liegt es wohl, dass ich immer aufs falsche Pferd setze? Hätte ich damals mit Trista durchbrennen und eine Familie gründen sollen? Hätte mich das glücklich gemacht? Ich hätte mir viele Qualen erspart, wenn mich damals nach dem letzten Gefecht jemand beseitigt hätte. Aber sogar das blieb mir verwehrt.’ Er ließ sich auf den Boden nieder und lehnte sich an die Hauswand. Die Fliesen der Terrasse waren noch warm von der nachmittäglichen Sonne, trotzdem fror Jesse, als er an die langen, einsamen und schmerzvollen Nächte in der Phantomzone dachte. Ihm fiel auf, dass er sich jetzt ebenfalls einsam fühlte und wie sehr er den Kontakt mit anderen Menschen und deren Nähe brauchte. Er konnte nicht mehr die Augen davor verschließen, dass sein eigener Plan ihn durch die Anwesenheit und Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Rennfahrer in den letzten Wochen verändert hatte. Nach Jahren war Fireball der erste, der ihm zuhörte und seine Gedanken mit ihm teilte und sich sogar um ihn sorgte, wenn es ihm schlecht ging. Bei Liz hatte er dieses Gefühl zum ersten Mal bewusst erlebt und dass auch Fireball so handelte – bei ihm – bewegte Jesses kaltes Herz und taute es auf.

‚Und jetzt, Jesse?’, fragte er sich. ‚Wie geht es jetzt weiter?’

„Ich darf mir nicht von meinem Selbstmitleid mein Ziel vernebeln lassen! Wenn ich jetzt aufgebe, verrate ich mich selbst und das ist das Letzte, was passieren darf. Ich kann nur weitermachen, selbst wenn es aussichtslos scheint’, antwortete er sich selbst nach einer Weile und ballte entschlossen seine Hände zur Faust. „Es gibt noch einen, der auf seinem hohen Ross sitzt und der hat allem Anschein nach mächtig Dreck am Stecken!“

The Fall of Lies

„Wach auf, Jesse!“ Fireball rüttelte Jesse eindringlich, der nach einer weiteren langen Nacht voller Alpträume auf der Couch eingeschlafen war. „Ich habe neue Informationen!“

Inzwischen erschrak Jesse nicht mehr, wenn Fireball ihn weckte, trotzdem war er sofort hellwach und setzte sich im gleichen Atemzug auf.

„Was für Informationen?“

Fireball ließ sich auf den frei gewordenen Platz nieder, wo Sekunden vorher Jesses Beine ausgestreckt waren. Jesse bemerkte, dass Fireball ziemlich übermüdet aussah und seine Kleidung unordentlich war. Bevor sich Jesse in weitere Mutmaßungen über Fireballs Zustand verlor, entfaltete dieser umständlich das inzwischen zerknitterte Blatt mit der Zeichnung, das er aus seiner Hosentasche gezogen hatte.

„Es handelt sich tatsächlich um die Weiterentwicklung eines Hyperantriebs“, platzte er mit der Neuigkeit heraus, kaum dass das Papier ausgebreitet auf dem Tisch lag. „Scheinbar wurde schon länger daran gearbeitet, aber erst jetzt sind die Testergebnisse wohl so vielversprechend, dass demnächst die Massenproduktion beginnen soll.“

„Massenproduktion? Bist du sicher?“, hakte Jesse nach und verengte seine Augen. Etwas schmeckte ihm nicht an der ganzen Sache, aber er wusste nicht genau, was.

„Glaubst du mir etwa nicht?“, erwiderte Fireball leicht gereizt. Sein Blick traf den von Jesse, den die Gegenfrage auf dem falschen Fuß erwischt hatte. „Ich habe die Infos aus erster Hand!“

„Natürlich glaube ich dir! Ich frage mich nur, ob du vorsichtig genug warst, um an die Informationen heranzukommen, wenn du verstehst, was ich meine. Immerhin handelt es sich hierbei um sehr heikles Material, das den höchsten Geheimhaltungsstufen unterliegt!“

„Ich habe April nichts erzählt, beruhigt dich das?“, erwiderte Fireball säuerlich. „Ich bin kein Anfänger!“

„Wie hast du's gemacht?“, bohrte Jesse weiter, ungeachtet, dass er seinen Mitspieler damit noch mehr verärgerte. ‚Ich hätte besser mithören sollen’, fiel ihm ein, verärgert über seine eigene Gefühlswelt, die ihm übel mitspielte, aber bedauerlicherweise war es zu spät. Da er keinen Mitschnitt verfasst hatte, blieb ihm nur übrig, Fireball zur Rede zu stellen. ‚Wer hätte ahnen können, dass er nach diesem Wiedersehen tatsächlich daran denkt, die Informationen zu beschaffen?’

„Du willst es wohl genau wissen, was?“ Fireball schien es zu genießen, dass er am längeren Hebel saß. Vielleicht wollte er auch einfach einen Moment spüren lassen, dass er über ihn triumphierte, weil er die eindeutig besseren Karten bei April hatte, oder weshalb lehnte er sich gemütlich nach hinten und lächelte so selbstgefällig?

„Also gut, wenn du eine Märchenstunde haben willst, sollst du sie bekommen. Wie du dir sicher denken kannst, hatten wir nach den ganzen Jahren, in den wir uns nicht gesehen haben, sehr viel nachzuholen und zu bereden. April … geht es gerade nicht besonders gut. Sie...“ Fireball unterbrach sich und überlegte, wieviel er Jesse erzählen sollte, der ihn mit versteinerter Miene abwartend anschaute.

„Sie hat private Probleme. Außerdem ist sie Mama geworden, was die ganze Sache nicht gerade vereinfacht.“

„Verstehe“, sagte Jesse gedämpft. Egal, was er zu Fireball zu Beginn ihrer Mission gesagt hatten, er liebte April noch immer, das spürte er ganz deutlich, und im gleichen Zug wurde er wieder an sein verschwendetes Leben erinnert. Dass April für immer in unerreichbarer Ferne für ihn sein würde, wusste er allerdings auch.

„Junge oder Mädchen?“

„Junge.“ Fireball machte eine wegwerfende Handbewegung, da er nicht nicht wollte, dass Jesse zuviele Details erfuhr. Auf diese Weise wollte Fireball sie wie ein Bodyguard vor Jesse abschotten und beschützen, denn im Unterbewusstsein war er sich der Konkurrenz von damals deutlich bewusst.

„Jedenfalls haben wir uns sehr lange über Dies und Jenes unterhalten und darüber, was wir gerade so machen, also sie und ich. Sie wusste ziemlich genau über meine familiäre Situation Bescheid und ich habe ihr gesagt, dass ich im Moment als Detektiv unterwegs bin und auf Dinge gestoßen bin, die nicht so recht zusammenpassen wollen. Dann hab ich ihr die Zeichnung gezeigt.“

„Ist sie nicht argwöhnisch oder neugierig geworden, weshalb du dich auf einmal in anderer Leute Angelegenheiten mischst und als Amateur dann ausgerechnet auf so eine super-geheime Sache stößt?“

„Jeder hätte danach gefragt, oder?“

„Was hast du ihr erzählt?“

„Ich wollte sie nicht anlügen“, sagte Fireball und Jesse wurde leichenblass vor Schreck. „Deshalb habe ich ihr gesagt wie es ist, nämlich, dass ich nach dem ganzen Mist in meinem Leben einfach auf andere Gedanken kommen musste und deswegen einen Job als Detektiv angenommen habe. Ich habe ihr gesagt, dass ich sehr wahrscheinlich auf einen Fall von Industriespionage gestoßen bin, und sie hat mir geglaubt und mich gebeten, vorsichtig zu sein. Als ich es ihr versprochen habe, hat sie die Zeichnung angeschaut und mir gesagt, dass sie sogar an dem Antrieb mitgearbeitet hat, bevor sie schwanger wurde. Es handelte sich um ein Projekt für die Erforschung fremder Dimensionen, um neue Lebensräume zu erschließen. Sie erzählte mir, dass ein Testgelände eingerichtet werden sollte, um die Sprünge zu erforschen und durchzuführen. Das würde zumindest für die Outridersichtungen sprechen, von denen wir gehört haben.“

„Es könnte so oder so sein, es gibt immer keine stichhaltigen Beweise!“, stellte Jesse missmutig fest. Der Schreck saß ihm immer noch in den Knochen und es passte ihm gar nicht, sich auf Fireballs Einschätzung verlassen zu müssen. Umso mehr drängte die Zeit, endlich Ergebnisse zu bekommen. „Wir müssen diesen Antrieb in Aktion sehen und die Sprungkoordinaten besorgen, damit können wir ihn überführen!“, beschloss er und ballte seine Hand zur Faust. „Wie bist du inzwischen mit April verblieben?“

„Ich habe ihr versprochen zu helfen, soweit mir das möglich ist“, antwortete Fireball und fuhr sich durch sein länger gewordenes, strubbeliges Haar. „Sie weiß, dass ich diesen Auftrag zu Ende bringen möchte, und dass viel auf dem Spiel steht. Deswegen sollten wir uns lieber beeilen, die fehlenden Informationen zu bekommen. Ich möchte sie nicht länger alleine lassen als nötig.“

Jesse nickte langsam. Er hätte alles dafür gegeben, ihr zur Seite stehen zu dürfen.

„Je eher, desto besser. Schließlich spielt die Zeit gegen uns und vielleicht ist der neue Krieg schon da, bevor wir die letzten Puzzlestückchen sammeln konnten.“

„Manchmal wünschte ich, ich könnte Saber einfach fragen, was er vorhat“, gestand Fireball. „Täte ich es, würde er wahrscheinlich alles leugnen, oder eine entsprechende Erklärung haben. Eine vertrackte Situation ist das!“ Deutlich konnte man den Unmut in seiner Stimme heraushören und dass es ihm unangenehm war, gegen seinen ehemaligen Chef zu ermitteln. „Was wirst du eigentlich machen, wenn die Mission beendet ist?“ Fireball drehte seinen Kopf und sah seinen Nebenmann erwartungsvoll an.

„Darüber habe ich mir, ehrlich gesagt, noch keine Gedanken gemacht“, antwortete Jesse überrascht. „Das entscheide ich wohl, wenn es soweit ist. Außerdem hängt alles von dem Ergebnis ab - und davon, ob du mich verrätst.“ Er grinste schief. „Wir wissen beide, dass du mich in der Hand hast, nur du kennst meinen Decknamen und mein Aussehen. Mir ist bewusst, welches Risiko ich damit eingegangen bin, mich dir zu zeigen, aber es war es wert, wenn sich die Anzeichen dessen, was Saber vorhaben könnte, bewahrheiten und wir dies verhindern.“

„Wenn sich alles als wahr herausstellen sollte, wirst du also nicht die Lorbeeren einstreichen?“, fragte Fireball verblüfft.

„Nein, wie könnte ich? Wenn ich das täte, wäre ich wohl schneller hinter Gittern als Saber und der würde sich bestimmt irgendwie herauswinden. Ich würde ein hübsches Sümmchen darauf verwetten, dass er auf so ziemlich alle Eventualitäten vorbereitet ist und daher werde ich den Lorbeerkranz in eigenem Interesse anderen überlassen müssen, ich stehe nicht darauf, gesiebte Luft zu atmen.“

Ein leichtes Grinsen stahl ich auf Fireballs Gesicht. „Du überraschst mich immer wieder. Manchmal erwische ich mich dabei, zu denken, dass du kein so übler Kerl bist wie ich dich immer in Erinnerung hatte!“, sagte er. „Schade, dass du damals die Seiten gewechselt hast.“

„Die Vergangenheit kann man nicht ändern, leider.“ Jesse seufzte bedauernd auf und beugte sich wieder über das Blatt, um das Thema nicht vertiefen zu müssen. „Sag mal, hat April zufällig verraten, wo die Prototypen gebaut werden oder wo das Testgelände ist?“

Einen kurzen Moment überlegte der ehemalige Star Sheriff, ob er weiter im Damals bohren sollte, ließ es dann aber sein und antwortete stattdessen auf die aktuelle Frage: „Nein, hat sie nicht. Sie erwähnte nur, dass ausgebildete Ingenieure die Konstruktionen im Auftrag des Kavallerie-Oberkommandos durchgeführt haben und nur die Loyalsten und Besten dafür ausgewählt worden sind. Sie hat nebenbei bemerkt, dass nur drei Leute mit dieser Arbeit betraut waren. Die Outridersichtungen im Omikron-Sektor klingen für meinen Geschmack jedenfalls sehr verdächtig. Ich denke, dass wir die Gegend mal genauer unter die Lupe nehmen sollten, oder was meinst du?“

„Das ist die heißeste Spur, die wir haben“, stimmte Jesse zu. „Sieht so aus, dass wir wieder auf Reisen gehen.“

„Also los!“
 


 

Der Abflug der beiden blieb nicht unbemerkt.

„Es ist tatsächlich diese miese kleine Ratte! Und Fireball macht gemeinsame Sache mit ihm!“

Colt warf sein Ultrazoom-Fernglas auf den Pilotensitz und aktivierte die Sensoren, um den Kurs des Schiffs aufzuzeichnen. Dass er ihnen folgen würde war so klar wie das Wasser in den oberbayrischen Bergseen, für die er so schwärmte.

Als Kopfgeldjäger war es für ihn ein Leichtes gewesen, Fireballs Aufenthaltsort ausfindig zu machen und die Spur aufzunehmen.

„Der Kerl hat tatsächlich mehr Leben wie eine Katze!“ Colt spürte wie heißer Zorn in ihm aufkochte und sein Blut in Wallung geriet.

‚Liz sagte, dass Fireball und ein ‚gemeinsamer Freund aus alten Tagen’ mich suchten. Ich frage mich wirklich, was das für ein Auftrag war, für den sie mich brauchten. Fireball hat zwar was gesagt, aber ich kann mich dummerweise nicht richtig erinnern, aber ich werde es herausfinden! Eines steht mal fest: wenn Jesse wieder auftaucht, kann das nichts Gutes bedeuten! Und so wie es aussieht, werde ich dich wieder einmal aus dem Schlamassel ziehen, Fire! Keine Ahnung, ob du in diesem Leben überhaupt noch einmal lernst, auf eigenen Füßen zu stehen!’ Eigentlich hatte Colt sich bei seinem besten Freund entschuldigen wollen, doch nun musste das warten. Erst einmal musste Klarheit in die Angelegenheit gebracht werden.

‚Colt, jetzt mal langsam!’, hielt er sich zurück. ‚Würde Fireball wirklich einfach so gemeinsame Sache mit diesem Verräter machen? Oder steckt vielmehr ein ausgereifter Plan von Jesse dahinter? Der hat ihm bestimmt irgendwas erzählt und ihn um den Finger gewickelt und Fireball ist, naiv wie er nun mal ist, darauf reingefallen.'
 

In ausreichend großem Abstand folgte Colt den beiden, gerade so, dass er sie nicht verlor und selbst nicht gesehen wurde. Er wusste, dass die Reichweite der ursprünglich eingebauten Sensoren dieses Schiffstyps nicht besonders hoch war und so heruntergekommen, wie es aussah, waren sie niemals modernisiert worden. Trotzdem wollte der Cowboy kein Risiko eingehen und hielt den Abstand so, dass er nicht entdeckt würde.

Hochkonzentriert jagte Colt dem schwarzen Gleiter hinterher und konnte keinen Anhaltspunkt finden, wohin die Reise führte.

Zwar war er als Kopfgeldjäger einiges gewohnt, doch diese Verfolgungsjagd strengte ihn sehr an. Da Fireball und Jesse sich scheinbar am Steuer abwechselten und nur zum Tanken anhielten, fiel Colt ein Stückweit zurück. Nur wegen seiner moderneren Gerätschaften konnte er den Kurs des anderen Schiffs über weite Strecken aufzeichnen und berechnen. Weil der Phoenix schneller war als das fast schon museumsreife Schiff der beiden, bereitete es ihm keine nennenswerten Schwierigkeiten, den Vorsprung aufzuholen und an ihnen dranzubleiben. Mit seinem Bronco Buster wäre das nicht möglich gewesen.

Unterwegs machte er deshalb Rast in einem Motel, in dem er sich außer etwas zu Essen auch ein paar Stunden Schlaf gönnte. Obendrein entschloss er sich dazu, zwei wichtige Telefonate zu führen.

„Das ganze stinkt so sehr zum Himmel, da sind meine Socken nichts dagegen!“, murmelte er, während er die erste Verbindung herstellte und auf Antwort wartete.
 

Nach ein paar Minuten war das Gespräch erledigt und er wusste, dass er das Richtige getan hatte. Jetzt war seine Aufgabe, den beiden weiterhin auf den Fersen zu bleiben und Meldungen über die aktuelle Position durchzugeben. Außerdem bekam Colt einen Verdacht genannt, dass das Ziel der Reise der Omikron-Sektor sein könnte, was mit dem derzeitigen Kursverlauf perfekt übereinstimmte.

Er wählte die zweite Nummer; Liz musste einiges erfahren.
 


 

Saber Rider runzelte die Stirn, nachdem das Telefonat mit Colt beendet war, und strich nachdenklich über seinen Musketierbart. Colts Anruf hatte beunruhigende Neuigkeiten ergeben. Zwar wusste Saber, dass Jesse wieder in die menschliche Dimension zurückgekehrt war, allerdings hatte er ihn bisher weder ausfindig machen können noch die Gründe seiner Rückkehr erfahren. Es war möglich, dass Jesse einfach nur vor all den schrecklichen Erlebnissen in der Phantomzone, von denen Jean-Claude ihm berichtet hatte, geflohen war, ebenso wie dass er hinterhältige oder gar kriegerische Absichten hegte. Er war der Einzige, der Saber bei der Durchführung seiner Pläne gefährlich werden konnte, und dieses Wissen lag ihm die ganze Zeit über schwer im Magen. Deshalb wäre es ihm lieber gewesen, ihn von Anfang an unter seiner persönlichen Beobachtung - und damit unter Kontrolle - zu haben.

Als er ein paar Jahre zuvor erfahren hatte, dass der ehemals vielversprechende Kadett das Gefecht gegen die Outrider überlebt hatte, war er zunächst überrascht gewesen, doch tief in seinem Inneren hatte er immer damit gerechnet. Jesse war zäh wie Unkraut, das immer wieder kam, egal wie sehr man es auszurotten versuchte.

Ein paar Minuten später stellte er eine Verbindung her und Jean-Claude erschien auf dem Schirm.

„Er ist aufgetaucht“, sagte Saber direkt, ohne sich mit einer Begrüßungsfloskel aufzuhalten.

„Endlich“, nickte Jean. Es war unnötig zu erwähnen, von wem die Rede war. „Wo?“

„In Fortuna Hills. Jetzt ist er auf dem Weg zum Omikron-Sektor, und zwar zusammen mit Fireball.“

„Mit Fireball?“

Saber nickte. „Es kann nichts Gutes bedeuten, wenn sich einer meiner ehemaligen Teamkollegen mit Jesse zusammengetan hat, und dass sie auf den Weg zu unserem Testgelände sind, gefällt mir ganz und gar nicht. Irgendwas muss er ihm erzählt haben.“

„Wie hast du ihn aufgespürt?“

„Colt war es, der ihn gefunden hat. Scheinbar hat es etwas mit Fireball zu tun, wir hatten keine Zeit, uns über die Details auszutauschen. Ich habe Colt den Auftrag gegeben, die beiden gefangen zu nehmen und zum Red-Wing-Gefängnis zu bringen. Mittlerweile ist es zwar stillgelegt, aber die Zellen funktionieren und werden für unsere Zwecke ausreichen. Ich werde dorthin aufbrechen, wenn Colt sich gemeldet hat und du solltest dich dann auch auf den Weg machen.“

„Du willst sie also zur Rede stellen.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, die Jean-Claude da traf. „Hast du bedacht, dass du unser Geheimnis verrätst, wenn ich mich zeige?“

„Vielleicht muss ich nichts verraten, aber ehrlich gesagt halte ich es für unwahrscheinlich. Jesse weiß irgendwas, da bin ich absolut sicher und man darf ihn nicht unterschätzen. Für den Fall der Fälle will ich auf alles vorbereitet sein. Ich werde mir die beiden persönlich vorknöpfen und mir anhören, was sie zu sagen haben. Insbesondere auf Fireballs Erklärung bin ich sehr gespannt.“

„Sofern Colt die beiden fängt.“

„Ich habe vollstes Vertrauen in Colts Fähigkeiten, auch wenn er vielleicht ein bisschen aus der Übung ist. Ich rechne mit einer umgehenden Festnahme und bin sicher, er wird diesen Auftrag mit Bravour meistern.“

„Jedenfalls dürfte er nicht gerade begeistert sein, wenn ich auf einmal vor ihm auftauche. Falls ich mich zeigen muss, sorge bitte dafür, dass er keinen Blaster in der Nähe hat, ich bin nicht lebensmüde.“

„Mach dir deswegen keine Sorgen, ich werde ihn im Griff haben. Ich melde mich wieder, Jean.“ Saber beendete das Gespräch und lehnte sich nach hinten, die Arme hinter dem Kopf verschränkt.

‚Ich hoffe, dass ich recht behalte und ihn wirklich im Griff habe, falls er Jean sieht’, dachte Saber bei sich. Seine Gedanken führten ihn an die Anfänge von Jeans und seiner Zusammenarbeit vor ein paar Jahren.

‚Damals hatte Jean mir einen Funkspruch über Hypertransmitter gesendet, auf höchst vertraulicher Ebene und mich um ein persönliches Treffen gebeten. Nur er und ich, ohne Waffen, ohne Bodyguards, weit abseits des Zentrums.

Irgendwie hatte ich schon immer eine vage Ahnung, dass die Outrider weiterhin in ihrer Dimension existierten, aber dass eine Rückkehr während meiner Amtszeit passierte, sollte wohl ein schlechter Scherz sein.

Natürlich traute ich Jean nicht, und wir einigten uns darauf, dass ich ihm die Koordinaten des Treffens kurz vorher sende und ich meine Waffen behielt, als Zeichen dafür, dass er wirklich in friedlicher Absicht kam und es ihm ernst war.

Den Treffpunkt hatte ich sehr sorgfältig ausgewählt und ihm die Koordinaten so kurzfristig mitgeteilt, dass er auf keinen Fall irgendeine Art Hinterhalt vorbereiten konnte. Dann beobachtete ich ihn und ließ ihn lange Zeit warten, was er sehr geduldig mit erhobenen Händen tat. Es war eine Prüfung, die ich ihm auferlegte und die er erst mit Bravour bestehen musste, ehe ich mich ihm zeigte. Entgegen aller Befürchtungen hielt er sich an unsere Verabredung und war allein gekommen, trug keine einzige Waffe bei sich und auch sein Gleiter war ein ziviles Modell, was mir mehrere Scans bestätigten.

Schließlich ließ ich Steed aus dem Versteck treten und flog zu Jean hinüber. Als ich vor ihm landete, richtete ich mein Schwert auf ihn und er sah zu mir auf.

„Danke, dass du gekommen bist, Saber“, sagte er und ich weiß noch, wie sehr ich von seinem skelettartigen Anblick erschrocken war. Trotzdem er sehr schwach auf mich wirkte, machte er nach wie vor keine Anstalten, seine Hände zu senken, er hatte sich mir völlig ausgeliefert.

„Was hast du so Wichtiges mit mir zu besprechen, Jean?“, wollte ich wissen.

„Ich bin hier als der amtierende König der Phantomzone und ich bitte dich darum, unser Leben zu retten“, war seine Antwort, während der er mir die ganze Zeit über in die Augen sah. „Unsere Nahrungsmittel und Energievorräte gehen uns aus. Krankheiten wüten in der Bevölkerung und wenn uns niemand hilft, werden wir bald aussterben.“

Ich weiß noch, dass mein Schwert kurz erzitterte, als er diese Bitte mit diesen schlichten, beinahe emotionslosen Worten vortrug und ich schloss meine Finger fester um den Griff. Zorn wallte in mir auf, der mit dem Gefühl, helfen zu wollen, kollidierte. Jean ahnte wahrscheinlich, was in mir vorging, aber er nutzte diese Schwäche, die uns Menschen eigen ist, nicht aus, um auf mich einzureden, sondern er schwieg, bis ich mich gesammelt hatte.

„Warum sollte ich dem zustimmen, Jean-Claude? Ihr habt unsere Dimension überfallen und etliche Menschen getötet. Schon einmal sind wir auf ein Friedensangebot hereingefallen und jetzt kommst du nach all den Jahren hierher und bittest im Namen aller Outrider um euer Leben? Ist das ein weiterer, perfider Plan, das Mitleid der Menschen zu erregen und anschließend das Neue Grenzland zu erobern?“

„Nein, Saber. Ich kann dir nicht vorwerfen, dass du so denkst, denn das, was du sagst, entspricht der Wahrheit und ich kann sie nicht ungeschehen machen. Alles, worum ich dich bitten kann ist, mich anzuhören. Wirst du das tun?“

„Deswegen bin ich hier. Wir Menschen halten nichts von unnötigen Kriegen, aber wenn wir unser eigenes Leben verteidigen, tun wir dies ohne zu zögern.“

„Ich weiß und ich versichere dir, ich bin nicht hier, um einen neuen Krieg zu beginnen. Die Zeiten haben sich geändert. Es gab genug Kriege und Machtwechsel in unserer Dimension und die Phantomwesen wie du sie kennst, gibt es nicht mehr. Nach Jahren der Unruhe, von Krankheiten und fehlender Energie und Nahrung hat endlich ein Umdenken in der Bevölkerung stattgefunden. Sie fürchten schlichtweg um ihr Leben. Ich als ihr Anführer weiß nun nach etlichen Fehlschlägen keinen anderen Weg mehr als unsere ehemaligen Feinde um Hilfe zu bitten. Hier bin ich nun in friedlicher Absicht und bitte im Namen meines Volkes um Unterstützung. Niemand aus meiner Dimension weiß davon, dass ich diesen Weg gehe.“

In diesem Moment war ich jedoch sehr verunsichert, denn Jeans ausgemergelter Körper sprach seine ganz eigene Sprache. Trotz seiner offensichtlichen Unterlegenheit strahlte er die Stärke und die Würde eines wahren Anführers aus. Alles, was er tat, wirkte authentisch und aufrichtig. Sein Blick bat weder um Vergebung für das Vergangene noch hatte er etwas Flehendes an sich. Jean tat einfach das, was er tun musste und nutzte den letzten Weg, um sein Volk vor dem drohenden Untergang zu retten. Er setzte sein eigenes Leben aufs Spiel, um das seiner Leute zu retten.

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich ihn betrachtete und über seine Worte sinnierte, das Schwert auf ihn gerichtet. Wie sollte ich nur herausfinden, ob er die Wahrheit sprach und ich seinen Worten Glauben schenken konnte?

Admiral Eagles Worte erschienen in meinen Erinnerungen. Damals, kurz nachdem wir ihn aus den Fängen der Outrider befreit hatten, sagte er, dass es nicht darauf ankäme, wer den Krieg angefangen hat, und immerhin war dieser Krieg schon sehr lange her. Einen weiteren wollte weder Mensch noch Outrider erleben, dessen war und dessen bin ich mir sicher. Konnte ich also die angefragte Hilfe verwehren?

Langsam ließ ich mich von Steed hinunter gleiten und trat vor Jean. Ich legte ihm die Klinge meines Schwertes auf die Schulter und ich sah, wie seine Arme vor Anstrengung zitterten.

„Beweise mir, dass ich dir glauben kann“, verlangte ich und Jean senkte seinen Blick.

„Du weißt, dass es nur einen Weg gibt, dir die Wahrheit zu zeigen“, erwiderte er, „Folge mir in die Phantomzone! Ich garantiere für deine Sicherheit, und mein Wort muss dir genügen.“

Ihm und auch mir war klar, dass nur ich allein diese Entscheidung treffen konnte, ob ich ihm vertrauen wollte oder nicht. Damit hing das Schicksal eines ganzen Volkes von meinem Wohlwollen ab, das wurde mir in diesem Moment sehr deutlich bewusst. Obwohl ich seit meiner Zeit als Star Sheriff die Outrider hasste, war es gleichzeitig meine Pflicht als Präsident des Neuen Grenzlandes den Frieden nachhaltig zu sichern. Hier bot sich eine Chance, die ich nicht verleugnen durfte.

„Lass mich darüber nachdenken“, sagte ich und zog mein Schwert zurück. „Du kannst deine Arme herunternehmen.“

Jean tat, was ich ihm sagte und blieb regungslos stehen, so lange bis ich das Für und Wider abgewogen hatte.

Ich würde mit ihm gehen und hatte einige Vorbereitungen getroffen, falls ich nicht zurückkehren würde: Funksprüche, Hinweise darauf, was geschehen war, einen detaillierten Bericht, die ich alle verschlüsselt absetzte und die in drei Tagen - sollte ich bis dahin nicht wieder im Neuen Grenzland sein - vertrauten Personen meiner Wahl zugestellt würden. Unter diesen befanden sich auch April, Colt und Fireball, meine ehemaligen Teamgefährten.

„Zeig es mir“, verlangte ich von Jean, als ich wieder bei ihm war. Er sah mich dankbar an und ich erkannte den kleinen Hoffnungsschimmer, der kurz in seinen Augen aufglomm. Diese Regung zeigte mir, dass womöglich auch die Outrider etwas Menschlichkeit in sich trugen.
 

Er hielt sein Wort und zeigte mir den Weg in seine Dimension. Niemand wusste von seinem Vorhaben und er hatte eine beachtliche Menge Energie verschwendet, um in das Neue Grenzland zu gelangen und mit mir zu sprechen.

Ich tarnte mich als einer von ihnen und reiste mit ihm durch die wenigen, verstreuten Outridersiedlungen, die zwischen spitzen Felsen auf unfruchtbarem Boden errichtet worden waren. Überall wurde Jean von den Bewohnern begrüßt, fast schon angebetet, verbreitete Hoffnung und sprach aufmunternde Worte. Er zeigte mir die outriderischen Friedhöfe und zeigte mir ihre Gewächshäuser, in denen Pflanzen unter schwachem, künstlichem Licht gezüchtet wurden. Sie sahen allesamt ungesund aus und es wunderte mich nicht, weshalb die Outrider von Krankheiten heimgesucht wurden, die ihre Zahl weiter dezimierten.

Jean erzählte mir, was nach dem Kriegsende passiert war und welche Wechsel es auf dem Thron gegeben hatte. Intrigen und Machtspielereien waren an der Tagesordnung, denn jeder wollte Nemesis’ Nachfolge antreten, um Rache am Neuen Grenzland zu üben. Deshalb hatte man auch Jesse am Leben erhalten, denn obwohl sie ihn hassten, setzten die zahlreichen Anführer ihre Hoffnung in ihn, dass sie mit seinem Wissen über die Menschen einen Sieg über unsere Dimension erringen würden. Fieberhaft wurde an Neuentwicklungen von Waffen und Hyperjumpern gearbeitet, Unmengen an Rohstoffen und Energie darauf verschwendet.

Jean gestand, dass er es war, der eine Rebellion gegen die Machthaber angezettelt und den letzten Herrscher – Orat – vergiftet und so vom Thron beseitigt hatte, denn auch Orat verfolgte nur ein einziges Ziel und benutzte seinen Aberglauben dafür, die Outrider nach seinen Wünschen zu lenken.

Er erzählte mir, dass er bereits durch seine Reden und diesen Anschlag das Vertrauen vieler gewonnen hatte, und daher sofort als neuer Anführer angesehen worden war. In dieser Position begann er damit, einen Plan zu entwickeln, wie die Phantomzone wieder aufgebaut werden konnte.

Es machte ihn traurig zu sehen, dass sie trotz ihrer Bemühungen immer weniger wurden. Es kamen keine Kinder nach und die, die es bis hierher geschafft hatten, waren unterernährt und würden früher oder später von ihrem schwachen Immunsystem dahingerafft.

Damals hatte Jean-Claude mir angeboten, dass er Jesse auslieferte, ich lehnte jedoch ab, da ich ihn in der Phantomzone unter Jeans Kontrolle für besser aufgehoben hielt. Mit dem heutigen Wissen hätte ich wohl besser anders entschieden.
 

Jean und ich schlossen einen Vertrag, in dem ich die Unterstützung des Neuen Grenzlandes zusagte und er mich über jegliche Vorhaben der Phantomzone informierte und von kriegerischen Handlungen Abstand nahm. Meine Unterstützung bezog sich auf humanitäre Hilfe aller Art und es waren viele Neuentwicklungen und Forschungen nötig, um diese gewährleisten zu können.

Da es in der Phantomzone an Energie mangelte und Jean deshalb nur höchst selten in das Neue Grenzland springen konnte, beschränkte sich unser Kontakt vorwiegend auf die Hypercomebene, wo ich einige streng codierte Kanäle eingerichtet habe. Andere Projekte erforderten viel Zeit und eine geschickte Vertragsgestaltung meinerseits, und manchmal waren Bestechungsgelder ein einfacher Weg, Stillschweigen zu erkaufen. Ich lernte, damit umzugehen, und tat es in dem besten Gewissen, das Neue Grenzland vor weiteren Kriegen mit den Outridern zu schützen.

Leider macht Jesse Jean und mir jetzt das Leben schwer und ich bete inständig, dass Colt es schafft, ihn zu fangen. Wir können es uns nicht leisten, dass irgendetwas davon ans Tageslicht kommt.’
 


 

„Sieh mal einer an, da ist die geheime Basis“, flüsterte Fireball, der neben Jesse im Schutz einer Felswand lauerte und auf das in einem Tal eingelassene Gebäude herunterblickte, das aus einem etwas höheren Verwaltungstrakt, einem kleinen Tower und drei großen Hangars bestand.

Zwei startende Gleiter hatten die Lage der Basis verraten, die sich auf ihrem Monitor durch keinerlei Kennung vom Boden des Planeten abzeichnete. Gerade noch rechtzeitig konnten Fireball und Jesse mit ihrem Schiff im benachbarten Tal Deckung suchen und parkten es kurzerhand unter einem Felsvorsprung. Nun waren sie mit ihren Jetpacks unterwegs, um die fehlenden Beweise zu sichern.

Jesse checkte die Lage über ein Fernglas und reichte es an Fireball weiter, als er fertig war und sich mit dem Rücken gegen die Wand lehnte.

„Es gibt einen Hochspannungszaun und diverse Kameras. Wird also nicht leicht, ungesehen dort hinein zu gelangen, selbst wenn wir den Zaun überfliegen können. Dafür habe ich keine Selbstschussanlagen gesehen. Auf den Hangardächern befinden sich Sonnenkollektoren, eins der Tore ist offen, aber ich kann keine weiteren Gleiter sehen.“

„Mein Scan von vorhin zeigt, dass die Personaldecke hier nicht sonderlich hoch ist“, gab Fireball zu bedenken, während er nun selbst die Gegend sondierte. „Es gibt nur eine Besatzung von zehn Leuten, und mindestens zwei davon sind gerade losgeflogen. Wie groß ist also die Wahrscheinlichkeit, dass sie an irgendwelchen Überwachungsmonitoren hängen?“

„Wir sollten wenigstens den Schutz der Dunkelheit abwarten“, schlug Jesse vor, dem bewusst war, dass sie ein Risiko eingehen mussten, um an die Informationen heranzukommen, „und in der Nähe der Hangars über den Zaun fliegen, damit wir nicht quer über das Gelände müssen.“

„Versteht sich von selbst“, stimmte Fireball zu und legte das Fernglas beiseite.
 

Ein paar Stunden später wurde es endlich dunkel. Solange hatten sie die Basis abwechselnd beobachtet, aber nichts war inzwischen passiert. Weder waren die Gleiter zurückgekehrt noch hatte sich einer der Mitarbeiter auf dem Gelände gezeigt, so dass es vermeintlich verlassen erschien. Lediglich das offenstehende Hangartor war geschlossen worden.

Die beiden verließen ihre Aussichtsplattform und eilten zu Fuß im Schatten der Felsen hinunter ins Tal auf die andere Seite, damit sie sich nicht durch die Antriebe ihrer Jetpacks verrieten. Sie verständigten sich durch Handzeichen und eilten präzise wie die Ninjas voran und erst als sie eine geeignete Stelle gefunden hatten, zündeten sie ihre Jetpacks für einen kurzen Moment, um auf die andere Seite des Hochspannungszauns zu kommen. Nebeneinander drückten sie sich an eine der Mauern, verharrten kurz, aber es blieb ruhig.

Da die Hangartore geschlossen waren, mussten sie einen anderen Eingang finden. Leise, aber zügig rannten sie an der Außenmauer entlang, bis Fireball eine Feuertreppe fand. Ohne lange zu überlegen stieg er hinauf und Jesse folgte ihm, wo sie unter den Sonnenkollektoren Deckung suchten. Hier oben gab es zwar keine Kameras, wie Jesse feststellte, aber vom Verwaltungsgebäude aus hatte man eine gute Aussicht auf das Dach. Auch wenn kein Licht in dem höheren Gebäude zu sehen war, war nicht ausgeschlossen, dass ein Mitarbeiter dort am Fenster stand und hinausschaute.

„Dort ist einer der Lichtschächte offen!“, flüsterte Fireball und deutete auf eine Stelle ein paar Meter weiter. Tatsächlich hatte er gerade ihren Eingang gefunden.

Vorsichtig spähten sie hinunter in die schwach beleuchtete Halle und konnten drei teilweise auseinandergenommene Gleiter sehen. Personen schienen nicht anwesend zu sein, was Jesse mittels der Nachtsichtfunktion des Fernglases überprüfte und Fireball signalisierte, dass alles in Ordnung war.

Nacheinander stürzten sie in den Schacht und zündeten wieder nur kurz ihre Jetpacks, um leise auf dem 25 Meter tieferen Boden aufzusetzen. Es war nichts zu hören.

Vorsichtig näherten sie sich dem ersten Schiff, dessen Antrieb komplett demontiert war. Die einzelnen Dichtungsringe, Verbindungsstücke und Schrauben lagen fein säuberlich aufgereiht auf einem der Tische und auf dem Boden. Daneben stand das Herzstück des Antriebs.

„Wie auf der Zeichnung“, flüsterte Fireball fasziniert und trat zu dem Gehäuse, das ihn um fast zwei Meter überragte.

„Sie verwenden herkömmliche Jetantriebe und modifizieren sie nach den Plänen“, stellte Jesse leise fest, der zu Fireball getreten war. Er berührte das Turbinenrad, das als Kranz um den ganzen Block befestigt war und stieß es ein wenig an. Trotz der Masse war es leichtgängig und drehte sich ein paar Schaufeln weiter.

„Die Motoren der Hyperjumper sind nicht so komplex aufgebaut. Sichern wir diese Beweise und suchen dann im Büro nach den Aufzeichnungen der Testsprünge.“

Fireball nickte und Jesse zückte seine flache Kamera, um einige Nahaufnahmen zu schießen. Die Schlinge um Sabers Hals zog sich ein Stück weiter zu.

Als die Fotos wenige Momente später geschossen waren, eilten sie leise zum Ausgang, der sie in den angeschlossenen Verwaltungstrakt führen würde. An der Wand hielten sie inne und lauschten nach sich nähernden Schritten, aber nach wie vor war es still. Es war beinahe unheimlich, dass alles so ruhig war.

Vorsichtig lugte Fireball um die Ecke und sah direkt in den Lauf eines Blasters.

„Hier ist Endstation!“

Ehe Fireball reagieren konnte, wurde er zurückgedrängt, und ein gezielter Schuss entsorgte Jesses Waffe, noch bevor er sie vollständig gezogen hatte.

„Colt - natürlich“, stellte Jesse spöttisch fest und rieb seine Hand, die von dem Rückschlag ein wenig taub geworden war. Kein anderer außer Fireball konnte den Cowboy hierher gerufen haben und genau deshalb war er so scharf darauf gewesen, ihn zu finden. Und er, Jesse, war dieser blödsinnigen Mitleidsnummer völlig auf den Leim gegangen!

Innerlich spottete er über sich selbst, dass er so weich geworden war und fühlte sich verraten, obwohl er sich Fireballs Loyalität bis vor ein paar Tagen nie zu hundert Prozent sicher gewesen war. Erst seit ihrem innigen Gespräch hatte er dem Star Sheriff mehr vertraut, umso bitterer schmeckte jetzt der Verrat.

Colt hielt zwei Blaster auf sie gerichtet und sah Fireball ernst an. „Wieso arbeitest du mit dem zusammen? Sag mal, tickst du noch ganz richtig?“

„Colt, es ist nicht so wie du denkst! Hier geht so einiges vor sich, was nicht wirklich witzig ist! Wenn du mir damals zugehört hättest, dann-“

„Das kannst du deiner Großmutter erzählen, Fireball, ich glaube dir kein Wort. Sich auf die Seite von Überläufern zu stellen ist überhaupt nicht witzig, vor allem, wenn man selbst ein ehemaliger Star Sheriff ist! Und jetzt halt die Klappe und nehmt die Hände hoch!“

„Spart euch eure billige Amateur-Schauspielerei!“, ging Jesse dazwischen und zog blitzschnell Fireballs Blaster aus dessen Holster. Da er rechts neben ihm stand, musste er die Waffe, um keine Zeit zu verlieren, mit der linken Hand ziehen. Noch im Ziehen gab einen groben Schuss in Colts Richtung ab, stieß Fireball gegen ihn und zündete seinen Jetpack. Er würde sich definitiv nicht gefangen nehmen lassen!

„JESSE!“, brüllte Colt ihm hinterher und sprintete los, ehe er selbst seinen Jetpack zündete, um die Verfolgungsjagd zu starten. Er feuerte aus beiden Blastern, aber weil Jesse immer wieder Haken schlug, verfehlten ihn die Strahlen bei weitem. Es war offensichtlich, dass er auf das Hallendach wollte, um von dort aus zu fliehen. Daher war es einfach für Colt, ihm den Weg abzuschneiden, er musste sich nur vor der Luke postieren. Auch Jesse erkannte das und änderte seine Taktik. Er musste einen Frontalangriff wagen. Es war ein reines Footballspiel, das zwischen den beiden Kontrahenten entstand, wobei der Raumgewinn mit Laserstrahlen erobert und verteidigt wurde.

Fireball, wurde es zu bunt. Er hob den dritten Blaster vom Boden auf, in der Hoffnung, dass er noch funktionierte, und startete ebenfalls.

„Hör uns endlich mal zu, Colt!“, brüllte Fireball zornig und schickte einen Laserstrahl zwischen die beiden Kämpfer. Diese Ablenkung brachte den entscheidenden Vorteil. Sowohl Colt als auch Jesse mussten dem Querschläger ausweichen. Danach war Colt schneller am Abzug und erwischte Jesse am Oberarm, so dass dieser reflexartig den Blaster fallen ließ.

„Scheint so, als sei nach Jahrzehnten endlich entschieden, wer der Bessere von uns beiden ist, Verräter!“, schenkte er seinem Gegner einen triumphierenden, kalten Blick.

„Du hattest nur Glück, Kuhtreiber, und darauf kann man sich nichts einbilden!“, spottete Jesse und drückte seine Hand auf die getroffene Stelle. Sein Raumanzug war versengt und er konnte das Blut spüren, das an seinem Arm herunterlief. Einige Tropfen fielen schon auf den Boden.

„Runter mit dir!“, verlangte Colt und wedelte mit seinem Blaster. „Und du auch!“, wandte er sich an Fireball, von dem er keine Gefahr befürchtete.

„Es wird euch eh nichts mehr bringen, wenn ihr mich habt“, grinste Jesse, der der Aufforderung nachkam und sich geschlagen gab. „Alles wird ans Tageslicht kommen, dafür habe ich gesorgt.“

„Schnauze!“, forderte Colt, und beobachtete jede von Jesses Bewegungen genauestens, ehe er ebenfalls auf dem Boden aufsetzte.

„Colt, jetzt hör uns endlich mal zu!“, brauste Fireball auf, als er gelandet war. „Weißt du überhaupt, was du hier siehst?“

„Das gilt auch für dich, mein Freund“, zischte Colt und warf Fireball ein Paar elektromagnetischer Handschellen zu, nachdem er einen Blaster weggesteckt hatte. „Fessle ihn!“

Ungeschickt fing Fireball die Schellen mit links auf. „Verdammt nochmal, Colt! Interessiert dich denn gar nicht, was hier los ist?“

„Ich weiß genau, was hier gespielt wird und ich habe nicht vor, mir von Typen wie euch ein Märchen erzählen zu lassen. Aus dem Alter bin ich raus. Mach schon!“

Unter Colts kalt blitzenden Augen erkannte Fireball, dass es gerade keinen Sinn hatte, mit ihm zu diskutieren und er steckte seinen Blaster weg. Vielleicht würde er später zuhören, wenn sich die Gemüter ein bisschen beruhigt hatten. Mit einem gemurmelten „Tut mir leid“, legte er Jesse hinterrücks die Eisen an.

„Spar dir deine Heuchelei“, erwiderte Jesse emotionslos und ließ die Prozedur über sich ergehen, ohne eine Miene zu verziehen.

Fireball presste seine Lippen zusammen und wurde sich bewusst, in welcher Zwickmühle er sich befand. Er fühlte sich unendlich mies – er hatte Colt enttäuscht und Jesse auch.

„Gut. Und jetzt gib mir deinen Blaster!“, verlangte Colt.

„Colt…?“

„Ich meine es ernst, Fireball! Her damit!“

Fireball zögerte einen Moment, aber da Colts Mund sich nicht zu einem Grinsen verzog, reichte er ihm schließlich seine Waffe. Er sah zu wie Colt sie sofort in seinen Gürtel steckte, ließ sich ebenfalls fesseln und ersparte sich jeden weiteren Versuch, Colt von ihrer Unschuld überzeugen zu wollen. In diesem Moment konnte er den Abgrund, der zwischen ihm und seinem alten Freund klaffte, ganz deutlich fühlen und er presste verärgert seine Zähne aufeinander.
 

Rennende Schritte näherten sich und Colt sah kurz auf.

„Mr. Wilcox! Ist alles okay?“ Zwei der Angestellten der Basis kamen in den Hangar gerannt und schalteten von der Nachtbeleuchtung auf volle Beleuchtung um.

„Ich hab alles unter Kontrolle! Bleiben Sie dort stehen und halten Sie sich aus der Angelegenheit heraus!“, wies er die beiden Männer an, ehe sie sich ihnen weiter näherten. „Befolgen Sie die Instruktionen, die ich Ihnen vorhin gegeben habe!“

„Wir haben Schüsse registriert, deshalb sind wir hier“, erklärte einer der beiden und trat einen Schritt vor, den Blaster gezückt.

„Wie ich schon sagte, die Show ist vorbei. Gehen Sie zurück auf Ihre Posten und überlassen Sie mir den Rest! Sofort!“

„Wie Sie meinen.“ Zögernd wichen die beiden Wachen zurück und überließen Colt das Feld.

„Was wird hier gespielt, Colt?“ Fireball verstand überhaupt nichts mehr.

„Das werdet ihr schon sehen. Und jetzt los! Bewegt euch!“ Um seinen Worten mehr Druck zu verleihen, stieß er die Mündungsrohre der Blaster in Fireballs und Jesses Rücken. Während Fireball fieberhaft überlegte, wie sie aus diesem Schlamassel herauskommen konnten, hatte Jesse ein selbstgefälliges Lächeln aufgesetzt. Er hatte seinen Kopf gesenkt, wobei seine schwarzen Strähnen ihm ins Gesicht hingen und seinen Blick verdeckten, so dass Fireball nicht erkennen konnte, was in ihm vorging.
 

„Wohin bringst du uns?“, setzte Fireball noch einmal neu an, als sie im Phoenix saßen.

„Lass es gut sein, Fireball, du kannst deine Schauspielerei sein lassen“, sagte Jesse. Er hatte zwar verloren, aber nur zu einem Teil. Die Lunte brannte und Sabers Machenschaften würden ans Tageslicht kommen, ob er erwischt worden war oder nicht. So konnte er wenigstens einen kleinen Sieg davontragen, selbst wenn ihm der große Coup nicht gelungen war.

„Wie meinst du das?“, zischte Fireball ihn wütend an.

„Du hast ihn doch hergelockt, deshalb-“

„Haltet die Klappe, alle beide! Ich will von keinem von euch beiden irgendwas hören, klar?“, ging Colt dazwischen, als er sein Schiff startete. Er hatte seine Gefangenen durch ein codiertes, versenkbares Gitter hinter sich eingesperrt, das er eigens für seine Zeiten als Kopfgeldjäger hatte nachrüsten lassen. Schon einige Male hatte es ihm treue Dienste geleistet.

„Von mir aus, Cowboy, die Wahrheit verträgst du sowieso nicht“, erwiderte Jesse und lehnte sich zurück, so gut es mit den Fesseln ging. Der Flug würde verdammt ungemütlich werden, aber er würde die Zähne zusammenbeißen und seine Schmerzen nicht zeigen, um Colts Triumpf nicht zu noch mehr zu schmücken.

„Als ob du jemals die Wahrheit gesagt hättest, Jesse“, höhnte Colt und gab vollen Schub. Er wollte nicht mehr Zeit als nötig verlieren, die beiden im Red-Wing-Gefängnis abzuliefern. Kaum waren sie aus dem Orbit, setzte er eine verschlüsselte Meldung an Saber ab.

„Colt, wie lange geht der Flug?“, mischte sich Fireball ein, der noch nicht aufgeben wollte. „Wenn es lange dauert, verblutet Jesse vielleicht.“

„Wäre nicht schade um ihn, oder?“, antwortete Colt kühl. „Aber du hast recht, sonst wird mein schönes Schiff total versaut.“ Er nahm einen Erste-Hilfe-Pack aus einem kleinen Fach in der Seite und schob es durch das Gitter zu Fireball. „Wenn dir so viel an ihm liegt, kannst du dich um ihn kümmern. Ich sage dir trotzdem nicht, wohin wir fliegen, das wirst du schon sehen.“

„Verbindlichsten Dank. Allerdings-“ Bevor Fireball ihn darauf aufmerksam machen konnte, dass er noch gefesselt war, sprangen seine Handschellen mit einem leisen Klacken auf.

„Ich hab immer gedacht, dein Blut sei schwarz wie deine Seele“, bemerkte Colt trocken zu Jesse.

„Deine Scherze waren schon immer schlecht gewesen, Kuhtreiber! Wie ich sehe, hat sich das mit den Jahren nicht gebessert. Erwarte jetzt nicht von mir, dass ich vor Dankbarkeit im Boden versinke.“

„Bestimmt nicht. Mir geht es einzig und allein um mein Schiff. Ich werde dir die Rechnung für die Reinigung schicken.“

„Tu das“, grinste Jesse und merkte, dass Fireball sich daran machte, Teile seines Raumanzugs abzulösen, um die Wunde versorgen zu können.

„Wie bescheuert muss ich eigentlich sein, dass ich das mache?“, knurrte Fireball zornig mehr zu sich, als er den dünnen schwarzen Stoff des Shirts zerriss, das Jesse drunter trug. „Nach allem, was wir durchgemacht haben, hab ich nichts Besseres verdient, als dass du mich einen Lügner nennst? Du hast nie kapiert, was Freundschaft ausmacht und ich habe gedacht, dass wir das zumindest ein bisschen geworden sind! Ich habe dir wirklich geglaubt und vertraut! Ich bin so verdammt sauer!“ Fireball verknotete den Verband fester als beabsichtigt und sah nach oben. Ihre Blicke trafen sich, und Jesse erkannte die bittere Enttäuschung in Fireballs Augen. In diesem Moment war er sich nicht mehr sicher, ob er tatsächlich verraten worden war und er Fireball Unrecht tat.

Fireball wandte sich ab und schaute hinaus ins All. Jesse sah in die andere Richtung und ein unwohles Gefühl beschwerte sein Herz.
 

Während des Fluges herrschte eisige Stille. So gerne Fireball Colt alles erklären wollte, so wusste er, dass Colt nicht gewillt war, ihm zuzuhören. Er startete etliche Ansätze einer Erklärung, aber Colt ließ ignorierte ihn vehement.

Jesse dagegen wusste, dass alles, was er sagte, an Colt abprallen würde, daher ließ er es gleich bleiben. Er hatte verloren hatte und er benötigte die Zeit, diese neuerliche Niederlage zu akzeptieren. Das war schon schwierig genug.
 

Obwohl Colt die ganze Zeit über auf Höchstgeschwindigkeit flog, dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis sie endlich am Treffpunkt ankamen. Dunkel und einsam lag der stillgelegte Gefängnistrakt vor ihnen und kurze Zeit später landeten sie.

Colt zog seinen Blaster und ließ das Gitter wieder im Boden verschwinden, ehe er das Verdeck öffnete.

„Aussteigen!“, befahl er, und die beiden kamen der Aufforderung nach.

„Warum hier?“, fragte Fireball sich, als er das alte Gefängnis erkannte. Es ergab in seinen Augen keinen Sinn.

„Es gibt genug Gründe dafür“, sagte Colt unbestimmt und schob die beiden vorwärts zum Eingang.

„Ich schätze, Saber kann uns schlecht unter Aufsicht aller Öffentlichkeit gefangen nehmen. Er würde ziemlich in Erklärungsnot geraten“, meinte Jesse trocken. „Ich vermute, dass wir sehr bald eine Audienz beim Präsidenten des Neuen Grenzlandes haben werden. Dann wirst du schon sehen, was los ist.“

„Was für ein schlaues Kerlchen du bist, Jesse“, spottete Colt und öffnete die Tür mit seiner alten EDM, die Colt aus Gewohnheit stets bei sich trug und die Saber Rider reaktiviert hatte. Automatisch sprang die Beleuchtung an und erhellte die langen, stählernen Flure.

Nach zwei weiteren Schleusen standen sie im Herzen des Gefängnisses, in dem es mindestens 2000 Einzelzellen gab.

„Ihr habt freie Auswahl“, gab sich Colt gespielt großzügig. „Welches Zimmerchen soll’s denn werden?“ Da er darauf nicht wirklich eine Antwort erwartete, schob er seine beiden Gefangenen in die nächsten Zellen, entfernte Jesses Handschellen und schloss ab. Hier im vorderen Bereich des Traktes gab es ein paar herkömmliche Gitterzellen, die mit Magnetschlössern und einem zusätzlichen altmodischen Riegelschloss gesichert waren, falls der Strom ausfallen sollte. Diese Kerker waren früher einmal dafür verwendet worden, Gefangene für ein paar Stunden zu verwahren, die in andere Gefängnisse überführt werden mussten oder für ihre Aussage vor Gericht abgeholt wurden.

„Ihr macht euch gut da drin, besonders du, Jesse“, kostete Colt seinen Triumph noch einmal aus, aber Jesse ließ sich nicht provozieren.

„Colt!“ Fireball umfasste zornig die Gitterstäbe, so dass seine Knöchel weiß hervortraten. „Jetzt hör mir doch endlich zu! Du hast ja keine Ahnung, was hier gespielt wird!“

Der Angesprochene trat nahe an Fireball heran, so dass sich ihre Gesichter fast berührten. „Du scheinbar auch nicht!“ In Colts Stimme klang Bedauern mit, weil Fireball scheinbar noch immer nichts verstand. „Schade, dass du dich mit ihm eingelassen hast. Ich bin wirklich sehr auf deine Erklärung gespannt und hoffe für dich, dass sie verflucht gut ist!“ Dann trat er zurück und überließ die beiden sich selbst.

„Du hast ja keine Ahnung! Saber steckt dahinter!“, brüllte Fireball ihm hinterher, aber Colt ließ sich davon nicht aufhalten.

„Verrate mir nur eins, Fireball“, sagte Jesse, als er sich auf den Boden setzte und an die Wand lehnte, da es sonst keine Sitzgelegenheiten gab. Seine Stimme war frei von jeglichen Vorwürfen und sie klang müde. „Wann hast du mich verraten?“

„Wie oft soll ich es noch sagen? Ich habe dich nicht verraten!“, schleuderte er ihm hitzig entgegen. „Ich bin nicht wie du, aber das verstehst du ja nicht! Ja, ich war mehrfach kurz davor, Saber anzurufen, und ja, verdammt, einmal habe ich es sogar getan, aber ich habe nichts erzählt. Ihm nicht und Colt auch nicht!“

„Du brauchst mich nicht anzulügen. Ich habe immer damit gerechnet, dass das passieren wird, obwohl ich wirklich geglaubt habe, dass ich dir vertrauen kann“, sagte Jesse, lachte abermals kurz über seine eigene Dummheit und schloss erschöpft seine Augen.

„Du bist so verblendet und erkennst die Wahrheit nie, Jesse, deswegen wirst du nie Freunde haben!“, giftete Fireball und ließ es dabei bewenden. Er blieb stehen und sah mit vor der Brust verschränkten Armen abwartend in die Richtung, in der Colt verschwunden war.
 

Es verging eine gute Stunde, ehe man draußen einen landenden Gleiter hörte. Kurz darauf erschienen Colt und Saber vor den Zellen.

Saber trug einen Raumanzug, der seinem alten Modell nachempfunden war, Blaster und Schwert an seinen Seiten, und Fireball fühlte sich an frühere Zeiten erinnert; mit dem Unterschied, dass er diesmal scheinbar auf der falschen Seite stand.

„Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns unter solchen Umständen wiedersehen“, sagte Saber und seine Stimme hatte einen strengen Unterton. Er sah von Jesse, der am Boden saß und noch nicht einmal seinen Kopf hob, zu seinem ehemaligen Kollegen, der vor Zorn bebte.

„Ich auch nicht, Saber“, erwiderte der Japaner und umschloss wieder so fest die Gitterstäbe, als wollte er sie gleich auseinanderbiegen. „Was zur Hölle treibst du für ein zwielichtiges Spielchen?“

„Ich hoffte, das könntest du mir erklären, Fireball“, entgegnete Saber ruhig, aber so als spräche er mit seinem Sohn, den er zurechtweisen musste. „Planst du ein Attentat auf mich?“

Diese Anschuldigung nahm Fireball den Wind aus den Segeln und er war einen Moment verwirrt.

„Ein Attentat? Nein, natürlich nicht! Wo denkst du hin?“

„Das frage ich mich bei dir auch“, mischte sich Colt ein, „falls du überhaupt denkst! Mir scheint, diese Fähigkeit ist dir irgendwie abhandengekommen! Wie kannst du dich nur mit dem abgeben? Hast du denn alles vergessen, was er uns angetan hat? Er hat das Neue Grenzland verraten!“

„Ja, verdammt, das weiß ich zu gut!“, brüllte Fireball. „Und jetzt scheint es, als hätten wir einen neuen Verräter!“ Anklagend funkelte er Saber Rider an.

„Weißt du überhaupt, was du da sagst?“, knurrte Colt, war mit einem Schritt bei Fireball und packte ihn durch die Gitterstäbe am Kragen.

„Selbstverständlich weiß ich das, und wenn du endlich mal deine Lauscher aufsperren würdest, würdest du auch anders denken!“ Fireball ließ sich nicht von Colts Aggressivität beeindrucken. Er war sauer auf ihn und es schmerzte ihn, dass ihre Freundschaft einen tiefen Riss bekommen hatte. Colt war schon immer ein Sturkopf gewesen, er selbst ein Hitzkopf und diese Kombination war in dieser Situation höchst explosiv. Diesmal würde Fireball nicht nachgeben, er wusste, was er gesehen hatte, obwohl es an Absurdität kaum zu überbieten war.

„Genug jetzt!“, sprach Saber ein Machtwort, ehe Colt Fireball einen Kinnhaken verpassen würde. „Ich habe euch hierher bringen lassen, weil ich eure Anschuldigungen hören will. Was habt ihr mir vorzuwerfen?“

„Warum an diesem geheimen Ort und nicht im Kavallerie-Oberkommando? Diese Frage solltest du dir auch stellen, Cowboy. Allem Anschein nach hat Saber die Hosen gestrichen voll, dass was an die Öffentlichkeit dringt. Oder er möchte selbst steuern, ob und was von unseren Ergebnissen bekannt wird. Das nennt man im Übrigen Zensur, falls du schon mal davon gehört hast, Kuhtreiber.“

„Du mieser-“

„Spar dir deinen Sarkasmus, Jesse“, unterbrach Saber, der sich nicht provozieren ließ „Ich könnte dich gleich vor sämtliche Gerichte meiner Wahl stellen, wenn dir das lieber ist. Stattdessen habe ich mich für diese Variante entschieden, denn immerhin habe ich ein Volk zu führen und die Auswirkungen zu berücksichtigen, die durch deine - zugegebenermaßen unerwünschte - Rückkehr ausgelöst würden.“

„Und welche Auswirkungen hat dein Verhalten, Saber?“, mischte sich Fireball zornig ein. „Du planst einen Krieg gegen die Phantomzone! Deine ganzen heimlichen Forschungsaufträge sprechen eine eindeutige Sprache! Ist dir dein Amt zu Kopf gestiegen oder was soll das?“

„Du wagst es!“ Erneut packte Colt Fireball am Kragen, um zuzuschlagen, da ging die Tür auf und er wurde abgelenkt.

„Ganz so ist es nicht!“

„Jean-Claude!“, stellte Colt mit eisiger Stimme fest, ließ von Fireball ab und wollte seinen Blaster ziehen. Aber Saber hatte schon sein Schwert gezogen und es mit der flachen Seite auf Colts Arm gelegt, um ihn davon abzuhalten.

„Stopp!“, befahl er harsch. „Keiner schießt!“

„Siehst du jetzt, was ich meine“, zischte Fireball zu Colt, der seine Backenzähne fest zusammenpresste.

„Was macht diese Ratte hier?“, verlangte Colt von Saber zu wissen. Seine Hand hielt er in der Nähe des Blasters und er fixierte Jean-Claude, der sich nicht rührte.

„Ich habe ihn nach deinem Anruf hierher bestellt“, antwortete Saber schlicht.

„Tut mir leid, Saber, ich konnte nicht länger warten und einfach nur zuhören“, erklärte Jean-Claude, der neben Saber getreten war und keine Anstalten machte, seine Waffe zu ziehen. Er sah von Colt zu Fireball und zu Jesse, die ihn böse, misstrauisch und überrascht anschauten. „Guten Tag, die Herren.“

„Du klagst mich an, mit Jesse zusammenzuarbeiten, und was macht Saber?“, giftete Fireball in Colts Richtung. „Was wird hier gespielt, verdammt?“ Ihm wurde es zu viel und er musste seinem aufwallenden Zorn Luft machen, indem er mit der Faust gegen die Gitterstäbe schlug, so dass ein hohler Klang durch die Gänge hallte.

Jesse erhob sich vom Boden und kam neugierig nach vorne. Dieses Spiel hatte eine ganz neue Wendung angenommen. „Das würde mich allerdings auch sehr interessieren“, sagte er überrascht.

„Colt?“ Saber versuchte Colts Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

„Wenn du nur mit der Wimper zuckst, schieße ich dich über den Haufen“, zischte Colt und ließ seinen alten Feind nicht eine Sekunde lang aus den Augen.

„Niemand erschießt hier irgendwen! Ihr legt jetzt sofort eure Blaster weg. Werft sie dort rüber“, wies Saber beide an. Er nahm das Schwert ein Stück zurück, blieb aber angespannt. In diesem Moment vertraute er dem hinter ihm stehenden Jean mehr als Colt, der unberechenbar war, was seinen Hass auf diesen Outrider anging.

Er hörte wie Jeans Blaster über den Boden zur gegenüberliegenden Zelle schlidderte. Colt zögerte und Saber sah, wie es hinter seiner Stirn rumorte. Er machte sich auf alles gefasst und würde Colt im Zweifelsfall mit dem Schwert die Waffe aus der Hand schlagen.

'Mach schon, Cowboy!', drängte er ihn in Gedanken und sah wie Colts Augen vor Wut dunkler wurden. Unbändiger Hass und Enttäuschung waren darin zu erkennen, aber Saber hielt dagegen. Er unterließ es, Colt mit Worten umzustimmen, ihr Gefecht beschränkte sich auf ihre Blicke.

„Du hast besser eine verdammt gute Erklärung oder ich vergesse mich!“, knurrte Colt, als er den Blaster wegwarf.

„Ich wusste, auf dich ist Verlass, mein Bester.“ Saber fiel ein großer Stein vom Herzen und der von Jean war wahrscheinlich sogar noch größer.

„Der Fairness halber solltest du deine Waffen ebenfalls ablegen, Saber“, bemerkte Jesse kühl.

„Gerade du sprichst von Fairness, Überläufer! Du weißt nicht mal, was das ist!“, zischte Colt, der Jesse insgeheim zustimmte, sich aber lieber die Zunge abbiss als dies offen zuzugeben. Saber legte seinen Blaster und das Schwert ebenfalls auf den Boden und kickte beides zu den anderen. Er brauchte keine Waffen als Zeichen seiner Autorität.

„Damit sollte der Fairness Genüge getan sein.“

„Spuck 's schon aus!“ Colt verschränkte seine Arme und funkelte Saber herausfordernd an.

„Es ist so wie Jean sagt - wir haben tatsächlich eine Übereinkunft zur Kollaboration“, ließ Saber die Katze aus dem Sack, „allerdings nicht so wie ihr vielleicht denkt. Es handelt sich um humanitäre Hilfe, die das Überleben der Outrider sichert. Jean-Claude bat mich darum.“

„Humanitäre Hilfe?“, wiederholte Jesse überrascht.

„Für die Outrider?“ Fireball glaubte sich verhört zu haben.

„Bist du noch ganz bei Sinnen?“ Colt ballte seine Hand zur Faust und zitterte vor Wut.

„Das ist Verrat!“ Fireballs Stimme hatte einen anklagenden Unterton.

„Du hast darum gebeten? Ihn?“, wandte Jesse sich verwirrt an den Outrider.

„So ist es. Welche Wahl blieb mir schon?“ Jean-Claude zuckte mit den Schultern und sah Jesse ernst an. „Ohne fremde Hilfe wären wir untergegangen. Du weißt selbst, dass die Lage in unserer Dimension äußerst kritisch ist. Nach den unzähligen Machtwechseln und Kriegen sind unsere Ressourcen soweit aufgebraucht oder zerstört, dass ein Überleben unserer Rasse nur eine Frage der Zeit ist. Wäre Saber nicht gewesen, wären wir jetzt wahrscheinlich schon ausgestorben.“

„Das ist ein Trick! Eine Falle!“, warf Colt sich wütend dazwischen. „Sie werden uns wieder angreifen, wenn sie genug Energie haben! Wie kannst du nur so dumm sein und einem Outrider glauben, Saber!“ Er konnte es nicht fassen, wie Saber nach all ihren Erlebnissen und Reinfällen so unglaublich unbedarft und naiv sein konnte.

„Diesmal nicht, Colt“, erwiderte Saber ruhig. „Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Jean lügt nicht.“

„Du hast … was?“

„Saber, heißt das etwa, dass du in der Phantomzone warst?“ Fireball traute sich gar nicht, die Unglaublichkeit dieser Worte auszusprechen. Seine Hände zitterten, als er die Gitter fester umklammerte.

„Es war ein Risiko, aber ich musste mich persönlich von der Situation vor Ort überzeugen. Das ist unerlässlich, um eine Entscheidung eines solchen Ausmaßes treffen zu können.“ Dachten die beiden wirklich, dass er den Outridern gegenüber so vertrauenselig war? Sie sollten ihn eigentlich besser kennen.

„Mit dem kleinen Zusatz, dass du sie ohne die Einwohner des Neuen Grenzlandes getroffen hast“, merkte Fireball kalt an und seine Augen funkelten zornig. „Ich glaube nicht, dass du noch sonderlich viele Wähler hättest, wüssten sie, was du getan hast!“

„Das hat sich bald erübrigt“, mischte sich Jesse ein und lächelte dunkel. „Vor unserem Abflug habe ich Nachrichten an alle großen Sender abgesetzt, die ihnen zugestellt werden, sollten wir bis heute nicht zurück sein. Verabschiede dich schon einmal von deinem Posten, Saber!“

„Verabschiede du dich von deinen einfältigen Träumen, Mr. Jason Barista“, erwiderte Saber ebenso kühl lächelnd. „Es war ein Kinderspiel, deinen E-Mail-Account zu hacken und die Nachrichten abzufangen, nachdem Colt dich gefunden und mir deinen Decknamen verraten hat. Selbstverständlich auch die, die du mit gewöhnlicher Post verschickt hast.“

„Nein! Das … das kann nicht sein!“ Entsetzt starrte Jesse Saber an, der einen Schritt näher kam und mit leicht angehobenen Mundwinkeln seinen Triumpf auskostete. Es brauchte schon etwas mehr, um ihn hinters Licht zu führen. Saber trat an das Gitter heran und sah auf Jesse herunter. „Nebenbei - Vincent habe ich vor ein paar Tagen entlassen.“

Jesse fühlte sich, als ob ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wurde und er umfasste das Zellengitter fest. Sein mühsam errichtetes Kartenhaus stürzte komplett in sich zusammen und übrig blieb – nichts. seine Pläne waren gescheitert, bei Fireball, bei Colt und jetzt zum Schluss bei Saber. Jesse senkte seinen Kopf und lehnte ihn niedergeschlagen an die kalten Stäbe. Er musste wohl endlich einsehen, dass er immer auf der Seite der Verlierer stand. Diese Erkenntnis schmeckte am bittersten von allen.

„Was für Nachrichten waren das, Jesse?“, wollte Jean wissen.

„Ist doch auch egal.“

„Nein, es ist nicht egal. Sag schon!“

Jesse spürte wie sich Wut in ihm breit machte und er sah Jean-Claude zornig an, der hinter Saber stand. Er hatte ja keine Ahnung, wieviel Arbeit das alles gewesen war, wie lange er dafür gekämpft hatte!

„Es waren Beweise, dass Saber einen neuerlichen Krieg gegen die Outrider plant; Statistiken über die Abbaumenge in der angeblich stillgelegten Kyrilliummine, Zeichnungen für einen neuartigen Hyperantrieb und zum Nachbau der Tritonmaterie, und das ist nur ein kleiner Teil davon. Wir haben Dokumente über Schmiergelder gesammelt, Geheimhaltungsvereinbarungen, fingierte Verträge und so weiter und so fort. Das alles sind die Puzzlestückchen zu einem großen Gesamtbild.“

„Leider mit einer falschen Interpretation. Trotzdem bewundere ich deine Hartnäckigkeit und Fantasie, mit der du deine Idee verfolgt hast“, merkte Saber an und wandte sich ab, um zur Nachbarzelle zu gehen. “Schade nur, dass Jesse dich aufs Glatteis führen konnte, Fireball. Ich bin sehr enttäuscht von dir.“

„Genau wie ich von dir, Saber! Als Freund und als Präsident. Du planst zwar keinen Krieg, aber wie um alles in der Welt kannst du so eine wichtige Entscheidung alleine treffen? Ich meine, ohne die Öffentlichkeit darüber zu informieren?“ Fireball gab sich gar nicht die Mühe, seine Wut zu verbergen.

„Ich hätte garantiert nicht zugestimmt“, knurrte Colt mit vor der Brust verschränkten Armen.

Saber wurde wütend über die Vorwürfe seiner Freunde. Sie kapierten solche Sachen einfach nicht, sie waren stur und nicht in der Lage, in diesen Ausmaßen zu denken.

„Ich allein trage die Verantwortung dafür. Wahrscheinlich könnt ihr euch nicht einmal ansatzweise vorstellen, was das für Konsequenzen auf das tägliche Leben haben würde, wenn das herauskäme. Das kann nur jemand verstehen, der an der Spitze eines Volkes steht.“

„So überheblich habe ich dich noch nie reden hören, Saber!“ Fireball ließ sich nicht beeindrucken, aber innerlich kochte er vor Wut. „Hast du mit dem Königreich Jarr gesprochen? Oder mit einem anderen Oberhaupt von einem der Vereinigten Planeten? Wie zur Hölle kannst du dir anmaßen, alleine über diese Dinge zu entscheiden?“ Er schrie jetzt regelrecht.

„Weil ich der Präsident des gesamten Neuen Grenzlandes bin! Das befugt mich dazu“, brüllte Saber zurück und brach ab. Er hatte die Kontrolle verloren, das war sonst nicht seine Art.

„Totaler Fall von Größenwahn“, kommentierte Jesse.

„Das ist sonst wohl eher deine Spezialität“, erwiderte Colt abfällig, ohne den Blick von Saber abzuwenden. Dann trat er einen Schritt auf ihn zu und brachte Saber dazu, ihm in die Augen zu sehen. „Du hast den Outridern, unseren Feinden, wirklich Kyrillium gegeben? Einfach so?“ Die unausgesproche Frage „Bist du noch ganz dicht?“, die im Raum schwebte, war unüberhörbar.

„Das hab ich dir zu erklären versucht, aber du wolltest ja nicht zuhören!“, zischte Fireball in die Richtung des Cowboys, der aber nur genervt abwinkte. Er wollte die Antwort von Saber persönlich hören.

„Es ist wie Fireball gesagt hat“, bestätigte dieser jetzt wieder ruhig und zeigte ein leichtes Stirnrunzeln. Auf einmal fühlte er sich, als säße er auf der Anklagebank, aber soweit durfte er es nicht kommen lassen. Er war der Präsident des Neuen Grenzlandes!

„Es ist unsere menschliche Pflicht, angefragte Hilfe zu gewähren! Habt ihr das etwa vergessen?“ Verdammt, er erklärte sich! Kam das einem Schuldeingeständnis gleich?

„Deine verfluchte Pflicht als Präsident ist es, unsere Dimension zu beschützen und nicht die Feinde einzuladen!“, brüllte Colt los. „Hast du den Verstand verloren? Weißt du verdammt noch mal nicht mehr, was die uns angetan haben?“ Angreifend deutete er auf Jean-Claude.

„Keineswegs, Colt“, antwortete Saber beherrscht. „Die Zeiten haben sich geändert und die Vergangenheit ist vorbei.“

„Die Schuld liegt bei mir“, mischte sich Jean-Claude ein, der sich unterstützend neben Saber stellte. „Auch ich habe als Anführer eine Entscheidung ohne das Wissen meines Volkes getroffen, weil ich mir nicht mehr zu helfen wusste.“

„Dann krepiert doch einfach! Das würde uns einiges erleichtern!“, schrie Colt aufgebracht.

„Colt!“, maßregelte Fireball den Kopfgeldjäger, was ihm einen vernichtenden Blick einbrachte.

„In der Phantomzone haben wir die andere Seite der Medaille“, sagte Jesse nachdenklich, der sich mit verschränkten Armen an die Wand gelehnt hatte. „Jean wird von allen bewundert und als Retter verehrt, weil er sich für sein Volk einsetzt und nicht für egoistische, machtgetriebene Zwecke.“

„Und das kannst du beurteilen, Verräter? Ha, dass ich nicht lache!“, warf Colt spöttisch ein, „Du würdest doch am liebsten selbst den Thron unter deinem Hintern haben, oder?“

„Die Zeiten sind längst vorbei“, winkte Jesse ab. „Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass jeder Outrider uneingeschränkt zu Jeans Entscheidung steht, ob er nun davon weiß oder nicht. Hier im Neuen Grenzland würden massive Proteste ausbrechen, wenn nicht, Schlimmeres, und Saber müsste um sein Leben fürchten.“

„Und was heißt das? Wie geht es jetzt weiter?“, fragte Fireball in die Runde, aber er sah nur in ratlose Gesichter.

„Ich werde die Hilfeleistungen auf keinen Fall unterlassen, einschränken oder aussetzen“, verkündete Saber angriffslustig, womit er Jean eine Wiederholung seiner Bitte ersparte. „Wenn du es mit deinem Gewissen vereinbaren kannst, ein Volk auszurotten, dann kämpfe gegen mich, Colt!“

„Für was hältst du mich, einen Mörder?“

„Jetzt haltet mal die Pferde still, alle beide!“, dämpfte Fireball den herausfordernden Ton des Präsidenten, ehe es zu einem unvorhersehbaren Tumult kam. „Wir sollten einen kühlen Kopf bewahren.“

„Das kommt ausgerechnet von dir“, merkte Colt hitzig an.

„Fireball hat recht, wir sollten uns alle wieder beruhigen“, mahnte Saber. „Niemand verspürt den Wunsch zu sterben, weder du, Colt, noch Fireball, oder Jean, Jesse oder ich. Erst recht will niemand so elendig vor sich hin krepieren wie es bei den Outridern gerade der Fall ist – anders kann man diesen Zustand nicht beschreiben. Wenn ihr das mit eigenen Augen sehen könntet, würdet ihr wahrscheinlich anders darüber denken!“

Jesse lief bei Sabers drastischen Worten ein eisiger Schauer über den Rücken, als sich einige lose Fäden offener Fragen wie von selbst zusammenfügten. Wäre Saber nicht gewesen, hätte auch ihn dieses grausame Schicksal ereilt. Ohne Sabers Einsatz hätte es nicht die Ersatzteile gegeben, die Jesse für die Instandsetzung seines Gleiters benötigte und auch er hatte von den Hilfslieferungen profitiert, was nichts anderes bedeutete, als dass er nicht nur Jean-Claude sein Leben verdankte, sondern auch seinem ehemaligen Feind Saber Rider. Jesse konnte nicht anders als Saber für seine Aufopferungsbereitschaft, Menschlichkeit und seine Weitsichtigkeit zu bewundern, und er fühlte sich miserabel und schlecht, weil er nur an seine niederen, abgrundtiefen Rachepläne im Fokus hatte, eine rein egoistische Sicht. Dass Saber trotz der Vergangenheit so großmütig war, zeigte Jesse deutlich, dass er selbst scheinbar jegliche Menschlichkeit in sich verloren hatte, obwohl er wieder hierher zurück gekehrt war, um ein Leben als Mensch zu führen. Saber hatte seine Träume einfältig genannt und Jesse musste ihm ehrlicherweise zustimmen. Dieser Widerspruch und diese ironische Erkenntnis ließ seinen letzten innigen Wunsch, Saber von seinem Amt zu entheben und ihm alles Wichtige zu nehmen, schlagartig zu einem Nichts in sich zusammen schrumpfen. Einige Outrider hatten ihm übel mitgespielt, aber Jean-Claude hatte ihn gerettet und versucht, ihm ein möglichst normales Leben zu ermöglichen. Unwillkürlich dachte er an Liz, die ebenso gütig war wie Saber und Jean. Er wollte nicht, dass Jean-Claude starb.

„Es ist nur eine Idee...“, murmelte er.

„Was für eine Idee?“, hakte Jean-Claude nach, der bei ihm an der Zelle stand.

„Eine Möglichkeit wäre, das Hilfegesuch nachzuholen. Man müsste die Vertreter aller Planeten zusammenzurufen und du müsstest dein Anliegen öffentlich vortragen“, sagte Jesse zögerlich in das betretene Schweigen hinein. „Allerdings haben alle-“

„Du spuckst ganz schön große Töne da drin, Überläufer!“, unterbrach Colt wütend. „Du meinst, du kommst dann dort raus, was? Dass ich nicht lache! Da mach ich nicht mit!“

„Bitte, Colt!“ Jean stellte sich zwischen Jesse und Colt. „Wir werden später entscheiden, was mit Jesse geschieht, jetzt steht das nicht zur Debatte!“

„Sehr richtig.“ Saber strich nachdenklich durch seinen Bart. Die Angelegenheit war hochkomplex und nicht einfach zu lösen. Ja, er musste zugeben, dass Fireball recht hatte mit seinen Vorwürfen. Andererseits hatte er sich strafbar gemacht, indem er ihm, dem Präsidenten, nachspionierte. Das war Landesverrat, und Fireball war somit wie Jesse als Staatsfeind zu betrachten.

‚Aber steht es mir überhaupt zu, darüber zu urteilen, wo ich unsere Dimension auch in gewisser Weise hintergangen habe? Man kann es nicht anders als Amtsmissbrauch nennen, obwohl ich in den besten Absichten gehandelt habe. Wahrscheinlich ist es nur eine Frage der Zeit, ehe jemand irgendetwas heraus bekommt und mich damit verrät oder erpresst.’ Er sah in die Runde. Jesse lehnte in Gedanken versunken an der Wand, die Arme verschränkt und ein Bein über das andere geschlagen. Fireball umklammerte das Zellengitter und biss sich auf die Zähne, während er fieberhaft nach einer Lösung suchte. Colt hatte die Fäuste so fest geballt, dass sie zitterten, und fixierte Jean-Claude, der wiederum den Cowboy anfunkelte.

'Mit diesem Wissen kann ich keinen von ihnen einfach so gehen und die Angelegenheit auf sich beruhen lassen. Früher wäre Fireball für mich durchs Feuer gegangen, aber würde er das heute noch genauso tun? Wir haben uns als Freunde voneinander entfernt und unsere eigenen Leben gelebt. Vielleicht ist er noch so loyal wie früher, aber auf ein Vielleicht kann ich mich in meiner Situation nicht verlassen. Jesse ist nur ein Halm im Wind, ein unkalkulierbarer Risikofaktor und man weiß nie, welche Pläne er als nächstes schmiedet oder auf welche Seite er sich stellt. Wenn ich mein Amt verliere, kann ich die Hilfe nicht mehr gewähren und die Outrider wären dem Untergang geweiht. Diese Last will ich nicht auf meinen Schultern tragen und kann sie nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, und ich glaube, Fireball und Colt sind ebenso wenig bereit dazu. Colt wäre es wahrscheinlich am liebsten, wenn die Outrider niemals aufgetaucht wären. So wären sie sich selbst überlassen gewesen, und er müsste sich nicht mit diesen schwierigen Gedanken auseinandersetzen. Wenn ich Colt gehen ließe, würde er sofort wieder Jagd auf sie machen und wir hätten irgendwann einen neuen Krieg... '

„Die Bitte wiederholen?“, unterbrach Jean-Claude Sabers Nachdenken. Er fühlte sich nicht wohl mit Jesses Idee, aber er verstand das Problem, in dem Saber steckte, und das in letzter Konsequenz nur, weil Jesse überlebt hatte und einen Rachefeldzug plante.

'Das mache ich auf keinen Fall! Wie hätte ich ahnen können, dass es ihm mit diesen schlechten technischen Voraussetzungen gelingt, zu fliehen? Was wäre, wenn seine Pläne geglückt wären? Ich könnte...' Jean-Claudes Blick glitt zu den Waffen, die auf der anderen Seite des Ganges auf dem Boden lagen. Einen Moment lang ruhten seine Augen auf seinem Blaster, dann schloss er sie.

'Nein! Ich sollte mich schämen, solch abtrünnigen Gedanken auch nur für einen Bruchteil einer Sekunde in Erwägung gezogen zu haben. Saber vertraut mir, ich vertraue ihm. Ich darf ihm nicht den geringsten Anlass geben, mir zu misstrauen und ich muss vor allem an mein Volk denken und an die zukünftigen Generationen. Es darf kein neuer Krieg ausbrechen!' Jean-Claude schluckte trocken. 'Ich habe Fehler gemacht, indem ich Jesse falsch eingeschätzt und zu kurzsichtig gedacht habe. Warum soll er für meine Fehler büßen müssen? Aber Colt wird auf keinen Fall zulassen, dass Saber die Unterstützung weiter durchführt; er hasst uns nach wie vor.
 

„So kommen wir nicht weiter“, stellte Saber entschlossen fest und riss Jean-Claude aus seiner Gedankenflut. „Wir brauchten ein Schiedsgericht!“

„Wie meinst du das?“, fragten Colt und Fireball gleichzeitig.

„Das ist eine heikle Angelegenheit, Saber“, bemerkte Jean-Claude eindringlich. „Wir können nicht noch mehr Mitwisser gebrauchen.“

„Ich weiß. Aber wir fünf werden uns nicht über die weitere Vorgehensweise einigen können. Daher müssen wir diese Entscheidung in die Hände anderer legen. Damit es fair ausgeht, werden es zwei Personen sein, eine aus der Phantomzone, eine aus unserer Dimension, und egal wie das Ergebnis aussieht, wir werden uns alle daran gebunden fühlen.“

„Das ist ein hinterhältiger Kuhhandel!“, knurrte Colt.

„Mit Kühen kennst du dich doch aus, Kuhtreiber. Oder hast du eine bessere Idee?“, sagte Jesse kühl. „Wenn wir keine Lösung finden, glaubst du nicht ernsthaft, dass du einfach so davonmarschieren könntest wie bisher? Dann wärst du dümmer als ich dich bisher gehalten habe. Denk doch mal nach! Saber und du wärt Feinde, das gleiche gilt für Fireball, und von mir brauchen wir erst gar nicht zu reden!“

„Du übertreibst!“, schnaubte Colt, aber sein Spott war nicht ganz so scharf wie üblicherweise. Dass Saber nicht widersprach sagte ihm alles, was er wissen musste. Er hatte vorhin deutlich gemacht, dass er die Outrider sogar gegen seine alten Freunde verteidigen würde und sogar sein eigenes Leben dafür einsetzte. Ein Wahnsinn, der seinen Hass schürte und ihn gleichzeitig zum Nachdenken brachte.

„Ich möchte nicht, dass irgendwer wegen uns eingesperrt oder gejagt wird“, beschwichtigte Jean-Claude die erhitzten Gemüter, „deshalb ist es zwingend notwendig, dass wir eine Lösung finden, mit der wir alle leben können, und zwar miteinander und in Frieden. Wir Outrider wünschen uns nichts sehnlicher als das.“

„Das gleiche wünschen sich die Menschen“, erwiderte Saber, der Colt fixierte, und die Art wie er das aussprach, machte deutlich, dass nichts an seinem Standpunkt über die Hilfe für die Outrider ändern würde.

„Es gibt wohl keinen Zweifel, dass wir alle dem zustimmen. Trotzdem sitzen wir allesamt ganz schön in der Tinte“, motzte Fireball unzufrieden. „Aber wer könnte überhaupt so ein Schiedsrichter sein? Wir können nicht einfach so irgendwen X-beliebigen fragen, sondern es muss jemand sein, dem wir vertrauen!“

„Das versteht sich von selbst“, nickte Saber, dem nicht daran gelegen war, dass irgendetwas von dieser geheimen Verschwörung an die breite Masse gelangte. Sie saßen vielleicht nicht nur ganz schön in der Tinte, wie Fireball das ausdrückte, sondern wahrscheinlich sogar gemeinsam in einem Boot, wenn sie irgendwie eine Lösung finden könnten. Sie brauchten Personen mit Fähigkeiten zum logischen und globalem Denken und Analysieren, mit Verständnis für Gerechtigkeit und einem gewissen Feingefühl und Geschick für die Situation – und jemandem, dem sie bedingungslos vertrauten.

„Jean? Ich hoffe, du hast jemanden, dem du diese Aufgabe übertragen kannst. Bring denjenigen hierher. Ich werde April kontaktieren.“
 


 

Freudig überrascht nahm April das Hypercomgespräch an. „Hallo Saber!“

„Guten Morgen, April. Ich hoffe, ich rufe nicht ungelegen an“ Saber lächelte ihr auf dem kleinen Monitor entgegen.

„Nein, ganz im Gegenteil. Du hast einen guten Zeitpunkt erwischt, Colin schläft endlich mal, nachdem er mich die ganze Nacht auf Trab gehalten hat und ich genieße solange die Ruhe. Schön, dass du dich mal meldest, ich habe immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich dich anrufen wollte, schließlich hast du als Präsident so viel zu tun.“

„Ja, die Zeiten haben sich geändert, für alle von uns.“

„Leider“, stimmte April zu und setzte sich auf die Couch, wo sie Colins Stoffhäschen in die Hand nahm und nachdenklich betrachtete. „Vor ein paar Tagen war Fireball bei mir. Witzig, nicht? Erst hört man jahrelang nichts voneinander und dann innerhalb von einer Woche gleich von zwei Exkollegen auf einmal. Mich würde es nicht wundern, wenn Colt auch noch auftaucht.“

„Das ist er schon“, sagte Saber und April merkte, dass das Gespräch eine andere Richtung einahm und ernster wurde. „Bist du allein?“

Obwohl sie die Antwort kannte, sah sich April in ihrer Wohnung um. Ein nervöses Kribbeln breitete sich in ihr aus. „Ich bin allein. Saber, was ist los? Ist alles Ordnung mit dir?“

„Ich brauche dringend deine Hilfe, April. Kannst du zu mir kommen?“

„Meine Hilfe?“ April war durcheinander. „Wofür? Was ist passiert?“ Ihr Blick fiel wieder auf das Stofftier in ihrer Hand. „Und Colin?“

„Ich weiß, dass ich sehr viel von dir verlange, April, aber du bist in diesem Fall die Einzige, der ich vertrauen kann. Es wäre gut, wenn du deinen Sohn für ein paar Tage zu einer Freundin geben könntest. Wenn es nicht nötig wäre, würde ich dich nicht darum bitten.“

„Das klingt für mich eher so, als ob ich gar keine andere Wahl hätte“, stellte April fest, die ein bisschen überfordert war. „Was ist es, wenn dir nicht einmal deine Beraterstäbe helfen können?“

Saber schaute April ernst an und sie merkte, dass sich ihre Finger fest um das Hypercom verspannten.

„Du wirst es verstehen und genauso sehen, wenn ich es dir gleich erkläre. Das hier ist eine maximal verschlüsselte Verbindung und ich weiß, dass ich mich hundertprozentig auf dich verlassen kann, dass du mit niemandem darüber sprichst.“

„Du kannst dich so wie früher auf mich verlassen, Saber“, versprach April und sah Saber leicht nicken.

„Danke. Ich habe nie daran gezweifelt.“ Er schenkte ihr abermals eines seiner selten gewordenen Lächeln. „Es geht um die Outrider, um Fireball und Jesse Blue. Leider musste ich Fireball inhaftieren lassen, denn er arbeitete gemeinsam mit Jesse Blue an einer Intrige gegen mich. Colt hat die beiden gefangen. Allerdings ist es nicht ganz so einfach, denn es geht um mehr als es den Anschein hat und es würde zu lange dauern, dir alles über Hypercom zu erklären. Es wäre besser, wenn wir das in einem persönlichen Gespräch klären könnten.“

'Fireball inhaftiert? Mit Jesse? Und Colt hat dabei geholfen?' April wurde bei diesen haarsträubenden Informationen ganz schwindelig.

„Wo ist Colt?“

„Ich bin hier“, hörte sie seine Stimme im Hintergrund und kurz darauf wie er sich neben Saber ins Bild schob. Er sah sehr mitgenommen aus und verägert. Sein angeborerer Optimismus schien völlig von ihm gewichen zu sein, und trotzdem tat es gut, ihn wieder zu sehen. „Es wäre wirklich gut, wenn du herkommen würdest, Prinzessin.“

April schwieg, dann nickte sie nach einem Moment. „Natürlich. Ich werde kommen.“

„Danke und ich weiß das sehr zu schätzen“, antwortete Saber. „Ich übermittle dir die Koordinaten und reaktiviere deine EDM. Erinnerst du dich noch an unseren Geheimcode, damals auf der Akademie?“

„Sicher.“

„Gut. Diesen brauchst du, um die Daten zu entschlüsseln.“

„Ich mache mich so schnell wie möglich auf den Weg.“
 

Nachdem sie aufgelegt hatte, sackte April bestürzt in ihre Couch. Es kam nicht alle Tage vor, dass der Präsident des Neuen Grenzlandes einen um Hilfe fragte, erst recht nicht in einer solchen Angelegenheit.

'Fireball intregiert mit Jesse gegen Saber? Warum macht er das? Woher kommt Jesse so plötzlich? Warum sind die Outrider nicht vernichtet, wir haben ihren Planeten doch damals zerstört! Wird es einen neuen Krieg geben?' April erschauderte bei dem Gedanken, obwohl sie erst kürzlich Fireball gegenüber behauptet hatte, sie würde sich die alten Zeiten zurück wünschen. Angesichts der nicht mehr ganz so abwegigen Bedrohung eines dritten Phantomkriegs war sie sich dessen nicht mehr so sicher.

Ihr Hypercom piepte abermals, als Saber die Koordinaten sendete. Sofort machte sie sich daran, die Daten zu entschlüsseln und erfuhr nach ein paar Minuten das Ziel ihrer Reise. Dann packte sie hastig ein paar Sachen für Colin zusammen, weckte ihn, was ihr ein neuerliches Schreikonzert bescherte und brachte ihn zu ihrem Vater, damit er sich während ihrer Abwesenheit um ihn kümmerte. Sie konnte ihm nicht einmal erklären, warum sie für ein paar Tage fort musste, aber sie las in seinem Gesicht genau, dass er befürchtete, sie würde sich einfach aus dem Staub machen. Konnte sie ihm das wirklich verübeln, so etwas von ihr zu denken, wo sie ihn quasi mit ihrem plärrenden Sohn alleine ließ und sich auf eine Reise begab, deren Ziel sie nicht nennen durfte?

Kaum saß sie am Steuer ihres Silver Comet verflogen die trübinnigen Gedanken und sie spürte den alten Drang nach Abenteuern in sich und genoss dieses Gefühl eine Zeitlang, bis die Sorgen während des langen Fluges zum Red-Wing-Gefängnis wieder in den Vordergrund rückten.
 


 

Mitten in der Nacht landete April. Sie war froh, dass sie endlich am Ziel angekommen war und endlich erfahren würde, was passiert war. Die letzten Stunden waren ihre Mutmaßungen immer abstruser geworden. War sie einem Scherz erlegen? Oder war Saber entführt worden und hatte ihr etwas zwischen den Zeilen mitzuteilen versucht? War es eine Falle? Etliche Male hatte sie die Koordinaten neu entschlüsselt, um zu prüfen, ob sie etwas übersehen hatte – aber das Ergebnis war jedes Mal das gleiche. Dann musste sie an Colts Ausdruck denken und sie wusste, dass es keine Falle war. Er scherzte mit so etwas nicht und er inhaftierte Fireball nicht einfach so zum Spaß.

Trotzdem war es besser, vorsichtig zu sein. Ihre Scans hatten nichts Verdächtiges angezeigt und sie erkannte Sabers Schiff, was vor dem stillgelegten Gefängnis geparkt war. Das andere war ihr unbekannt, aber als sie die Kennung überprüfte und Colts Namen auf dem Display angezeigt bekam, fühlte sie sich beruhigt.

Ihre EDM gab den Zugang zu dem riesigen Gebäudekomplex frei und sie beschloss, zuerst zu den Zellen zu gehen. Sie wollte es mit eigenen Augen sehen und insbesondere Jesse wollte sie gegenüber treten, ohne dass sie jemand dabei beobachtete. Dass sie deshalb so angespannt, beinahe aufgeregt war, überraschte sie ein wenig. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie einfach nicht wusste, was sie erwartete, zumindest redete sie sich das ein.

Alles war ruhig und das Licht gedämpft, als sie leise eintrat und nach ihnen suchte. Zuerst sah sie Fireball, der sich am Boden auf der Seite zusammengerollt und tief und fest schlief. Es tat ihr weh, in eingesperrt zu sehen und sie fühlte sich von ihm hintergangen. Sie hatte ihm geholfen und er hatte ihr nicht einmal ein Sterbenswörtchen von Jesse erzählt, nicht einmal die kleinste Andeutung gemacht. Sie spürte, wie Ärger in ihr aufkam, als sie an seine dubiosen Erklärungen dachte, er sei auf einen Fall von Industriespionage gestoßen; sie hatte ihm geglaubt, dabei war es nichts als eine dreiste Lüge! Andererseits war er so hilfsbereit und einfühlsam wie damals, wenn es ihr schlecht ging.

Sie wagte kaum, ihren Blick in die Zelle nebenan zu lenken. Jesse lehnte in einer Ecke, ein Bein angezogen, das andere ausgestreckt. Sein Kinn war zur Brust gesunken, und er schien zu schlafen, wie sie erleichtert feststellte. Fasziniert betrachtete April den ehemaligen Kadetten, der sein Haar schwarz gefärbt hatte, und ihr Atem beschleunigte sich. Nie hätte sie sich ausgemalt, ihren alten Feind noch einmal wiederzusehen.

„Ich habe gedacht, du seist tot.“ Ihre Stimme war nur ein heiseres Flüstern.

Die Worte zerschnitten die Stille und Jesse, der seit jeher einen leichten Schlaf gehabt hatte, schreckte hoch. Stahlblaue Augen trafen auf meeresblaue und für einen Moment schien die Zeit stillzustehen.

Jesse fing sich als erster und vergewisserte sich, dass sein Zellennachbar schlief und richtete seine Sicht wieder nach vorne. Sie stand immer noch da in ihrem weißen Raumanzug. Es war also kein Traum.

Lautlos kam er auf die Füße und näherte sich ihr zögerlich.

„Du bist es tatsächlich“, flüsterte sie, wobei sie jede seiner Bewegungen verfolgte.

„Ja“, nickte er, ihre Erscheinung voll in sich aufnehmend. Wie schön sie war, fast wie ein Engel! Und nun stand sie keinen Meter von ihm entfernt und war trotzdem so unerreichbar für ihn wie seit jeher.

Eigentlich hatte sie ihn nur ansehen wollen, ohne dass jemand anderes dabei war, aber nun war er wach und stand vor ihr. April wusste nicht, was sie sagen sollte und Jesse schien es ähnlich zu gehen.

„Es ist schön, dich zu sehen“, sagte er schließlich leise. Sie meinte, seine Sehnsucht nach ihr in seinen Augen zu erkennen. Nach all den Jahren!

Sie blinzelte und unterbrach damit den intensiven Blickkontakt. Ein paar Sekunden brauchte sie, um sich zu sammeln, und sah deshalb zur Seite auf seinen Arm.

„Was ist mit dir passiert?“, lenkte sie ab. Ihre Stimme blieb ein Flüstern, denn sie wollte diesen Moment zwischen ihnen nicht zerstören.

„Es ist nichts Schlimmes, ich bin es nicht wert, dass du dir wegen mir Sorgen machst, April.“

„Aber du siehst furchtbar aus.“

„Und du wunderschön.“

„Ach Jesse“, seufzte sie, als er damit bestätigte, dass sie seine Augen richtig gedeutet hatte. Sie fühlte sich gerührt, weil es wohl niemanden im ganzen Neuen Grenzland gab, der so lange solche starken Gefühle für sie empfand wie Jesse. Sie war sich sicher, dass er ihr den Himmel zu Füßen legen würde, stünde es in seiner Macht, und trotzdem liebte sie ihn nicht – und wahrscheinlich niemanden mehr, denn sie glaubte nicht, dass sie sich je wieder einem anderen Menschen würde hingeben können.

„Wenn du mir schon ausweichst, sagst du mir wenigstens, weshalb du hierher zurückgekehrt bist?“

Jesse zögerte einen Moment, aber er wollte ihr nichts vormachen und die Zeit der Lügen war jetzt sowieso vorbei. Leise antwortete er: „Zuerst wollte ich einfach nur weg aus der Phantomzone. Als ich hier etwas etabliert war und mich mit anderen Dingen als dem nackten Überleben beschäftigen konnte, wurde mein Wunsch nach Rache immer stärker und ich konnte dem Drang schließlich nicht mehr widerstehen. Du musst mir glauben, ich wollte niemanden töten, sondern euch nur das nehmen, was ihr in eurem Leben bisher erreicht habt und euch am wichtigsten war. Aber dann musste ich feststellen, dass ihr alle bereits da wart, wo ich euch haben wollte – am Boden. Mein lange ausgearbeiteter Plan war also dahin.“ Er kam einen kleinen Schritt näher und beugte sich etwas vor.

„Für dich habe ich das allerdings nicht gewünscht, denn dir würde ich niemals etwas tun. Nur Saber werde ich scheinbar nie besiegen können, aber das ist jetzt egal. Ich bin es leid, davonzulaufen und gebe auf. Die Konsequenzen werde ich tragen, ich bin bereit dazu, denn ich habe nichts zu verlieren, weil ich in meinem Leben nichts besessen habe außer meiner Rache. Aber du, liebste April, du hast es nicht verdient, von einem so verantwortungslosen Kerl verlassen zu werden.“

April schluckte trocken und konnte nicht verhindern, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten, als sie daran erinnert wurde.

„Woher weißt du davon?“, presste sie erstickt hervor. Sollte Fireball auch darüber mit Jesse geredet haben? Das wollte sie nicht glauben.

„Ich habe Fireball verwanzt, als er dich besucht hat, und bis zu einem gewissen Teil mitgehört. Ich konnte es nicht ertragen, ihn bei dir zu wissen“, gestand er ihr und beobachtete ihr Mienenspiel, das zwischen Wut und Traurigkeit hin und her pendelte. Aber sie sagte nichts, weil sie unschlüssig war.

„Ich mag es nicht, wenn du traurig bist“, fuhr er fort und sah zu, wie sie ihre Tränen trocknete. „Liebe kann man nicht erzwingen, das hast du einmal vor langer Zeit zu mir gesagt. Vielleicht solltest du dir deine Worte selbst zu Herzen nehmen. Diesen einen Rat kann ich dir geben. Verschwende deine kostbare Zeit nicht mit Rachegedanken und Zorn.“

„Jesse…?“ Unsicher sah sie zu ihm auf und trat einen Schritt näher.

„Ich habe mein ganzes Leben damit verschwendet. Wie du siehst, hat es sich nicht gelohnt.“

„Hätte es sich gelohnt, wenn du Erfolg gehabt hättest?“

„So habe ich das noch gar nicht betrachtet“, gestand er überrascht und überlegte kurz. „Nein“, antwortete er schließlich. „Es macht mich nicht glücklich, euch so zu sehen. Ich habe mein Leben sinnlos vergeudet und ich habe bis heute gebraucht, das zu erkennen. Diese Erfahrung möchte ich dir ersparen. Dein Sohn braucht dich und du hast Freunde an deiner Seite, die dir helfen.“ Er nickte in Richtung Nebenzelle, wo Fireball schlief, und April ließ ihren Blick auf ihm ruhen, während sie über Jesses Worte nachdachte. Sie erinnerte sich nicht daran, dass er jemals unaufrichtig zu ihr gewesen war.

„April“, riss er sie aus ihren Gedanken und sie lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder zu ihm. Er hielt ihr seine Hand durch die Gitterstäbe hin und sie ergriff sie. Sie brauchten keine Worte zu wechseln, sie konnten diese gegenseitig in ihren Augen ablesen. Diese Geste beinhaltete alles, was zwischen ihnen gestanden hatte und geklärt werden musste: Entschuldigungen für Gewesenes, Versprechen, Frieden, Freundschaft und Wahrheit für die Zukunft. Es war ein Ende und ein Neubeginn.

Dann hob er ihre Hand zu seinen Lippen. Es war der einzige Kuss, den er von ihr bekommen würde. Noch immer liebte er sie von ganzem Herzen, aber er hatte akzeptiert, dass er sie niemals die Seine nennen würde. Dies war die einzige Möglichkeit, seine Gefühle auszudrücken.

„Lass deine dreckigen Finger von ihr!“ Colt hatte seinen Blaster durch die Gitterstäbe geschoben und stieß seinen Blaster gegen Jesses Schläfe, während seine eiskalten Augen ihn zusätzlich durchbohrten. April und er hatten ihn nicht kommen gehört, so vertieft waren sie in ihr vertrauliches Gespräch.

„Was machst du hier und warum hörst du ihm überhaupt zu?“, herrschte er April an. „Aus seinem Mund kommen nur Lügen!“

„Ich denke, diese Zeiten haben sich gerade geändert“, erklärte sie Colt, den Blickkontakt zu Jesse aufrechterhaltend, während dieser in aller Ruhe seinen Handkuss beendete. Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, dann entzog sie ihm ihre Hand.

„Über was habt ihr geredet, hm?“ Colt drückte das Blasterrohr fester an Jesses Kopf und packte ihn am Handgelenk, um ihn mit einem schnellen Ruck an die Stäbe zu ziehen, dass es laut durch die Gänge schallte. Er war so unendlich sauer!

„Colt! Lass ihn los! Er hat mir nichts getan!“

„Das geht dich nichts an, Kuhtreiber!“ Jesse unterdrückte ein schmerzerfülltes Keuchen, grinste stattdessen triumphierend und wehrte sich nicht gegen den Cowboy. April hatte ihm gerade das schönste Geschenk seines Lebens gemacht, alles andere war unwichtig.

„Colt!? Colt! Was soll das?“ Fireball war von dem Lärm aufgewacht und stand nun an der Zwischenwand.

„Wenn du sie noch einmal mit deinen dreckigen Fingern berührst, bist du tot, das schwöre ich dir!“ Colt sprach dicht an Jesses Gesicht, das an das Gitter gepresst war, und zischte die Worte zwischen seinen Zähnen hindurch.

„Du kannst das gerne gleich erledigen, nur solltest du dafür deinen Blaster entsichern“, konnte sich Jesse nicht verkneifen. Keine Hundertstelsekunde später war das Klicken der Sicherung zu hören.

„NEIN!“ Fireball rüttelte an den Stäben, konnte jedoch nichts tun. „TU ES NICHT, COLT!“, brüllte er.

„Hör auf, Colt“, sagte April ruhig, aber bestimmt und legte ihre Hand unter den Blaster, um das Mündungsrohr nach oben zu drücken. „Ich habe Jesse nur gefragt, warum er zurückgekehrt ist, darüber haben wir uns unterhalten.“

„Was ist hier los?“ Saber kam in den Zellentrakt gestürzt, woraufhin Colt Jesse losließ, der nach hinten stolperte und sich seine Wange rieb. Forschend sah er einen nach dem anderen an.

„Ich bin endlich angekommen“, überspielte April die Situation und ging freudig auf Saber zu, um ihn zu begrüßen. „Schön, dich zu sehen, trotz der außergewöhnlichen Umstände. Wir haben uns schon hallo gesagt.“

„Ah … ja … das ist gut“, sagte Saber skeptisch und sah mit einer hochgezogenen Augenbraue kurz zu den anderen dreien hinüber. „Magst du dich etwas von dem langen Flug ausruhen? Es war sicher anstrengend.“

„Gern“, antwortete sie und ließ sich von Saber in die Aufenthaltsräume bringen, wo er einen Tee aufgesetzt hatte.

„Wir sprechen uns noch, Jesse!“, versprach Colt Unheil verkündend, ehe er seinen gesicherten Blaster wieder einsteckte und den beiden Blonden folgte.

„Idiot!“, zischte Fireball, ehe er sich wieder hinlegte, wobei unklar blieb, ob er Colt oder Jesse damit meinte.
 

Nebenan schenkte Saber April gerade eine Tasse englischen Tees ein und stellte diese vor sie. Die Lebensmittel hatte er aus seinem Gleiter hereingeholt, da es hier im Gefängnis seit der Stilllegung keine mehr gab.

„Danke, dass du so schnell kommen konntest“, sagte er und ließ sich ihr gegenüber auf den Stuhl fallen, gerade als Colt eintrat.

„Na, wenn Mr. President ruft“, zwinkerte April und sah zu Colt, der sich auf den Stuhl neben ihr fallen ließ. „Ich bin froh, dich endlich mal wieder zu sehen, Cowboy!“ Sacht legte sie ihre Hand auf seine.

„Das bin ich auch, Prinzessin“, erwiderte er, „aber was zum Teufel sollte das eben mit Jesse?“

„Ich war neugierig, nichts weiter. Er war wach, als ich dort ankam, also haben wir uns ein bisschen unterhalten, nichts weiter“, erklärte sie seufzend. Sie wusste, dass Colt es gut gemeint hatte und sich nur um sie sorgte. „Aber jetzt spannt mich nicht länger auf die Folter, erzählt mir lieber, weshalb ich hier bin!“

„Wir warten auf Jean-Claude und seine Vertrauensperson“, sagte Saber, dem der Themenwechsel ganz recht war.

„Jean-Claude? Etwa der Jean-Claude, der Pierre und mich entführt und mit dem Colt sich damals duelliert hat?“ Sie sah mit hochgezogener Augenbraue von Saber zu Colt und wieder zurück.

„Mir passt das überhaupt nicht, das kannst du mir glauben!“, knurrte Colt, der Saber mit einem dunklen Blick bedachte.

„In was bin ich hier reingeraten, Saber?“

„In eine ziemlich verzwickte Situation. Am besten warten wir solange, bis alle wieder da sind, dann werden wir alle Fakten auf den Tisch legen.“

„Verzwickt ist verdammt stark untertrieben“, bemerkte Colt säuerlich.

„Die ich für dich lösen soll“, fügte April hinzu. Sie war irgendwie schon ein bisschen stolz darauf, dass Saber trotz Unmengen an Beratern ausgerechnet sie ausgewählt hatte, gleichzeitig war sie beunruhigt, weil sie nicht wusste, ob sie seine hohen Erwartungen würde erfüllen können.

„Nicht du allein. Es gibt niemanden, dem ich in dieser Frage mehr vertraue als dir und ich bin dir äußerst dankbar dafür, dass du dich so schnell auf den weiten Weg gemacht hast.“

April nickte nachdenklich und schwieg.

„Und wie geht es dir, April?“, unterbrach Colt nach einer Weile die unangenehme Stille.

„Ich komme zurecht“, antwortete sie und betrachtete die Wirbel in der Tasse, die sie durch das Rühren hervorrief. Eigentlich wollte sie nicht darüber sprechen, aber vor ihr saßen ihre besten Freunde, vor denen sie nie etwas verschwiegen hatte. Dennoch tat es weh, diese Geschichte wieder zu erzählen. Immerhin wusste Saber annähernd bescheid, er hatte ihr eine Karte zur Geburt ihres Sohnes geschickt.

„Naja, ich habe mich in den falschen Kerl verliebt und er ist mit meiner besten Freundin durchgebrannt. Dummerweise war ich zu der Zeit schwanger von ihm und ich habe noch so meinen Schwierigkeiten damit“, erzählte sie die Kurzfassung in einem Atemzug.

„Warum hast du nie etwas gesagt?“, fragte Saber überrascht mit einer Spur Enttäuschung in der Stimme. „Ich hätte bei dir vorbei geschaut!“ Aber April schüttelte nur den Kopf und versuchte, die erneut aufsteigenden Tränen zurückzudrängen.

„Oh Süße, das tut mir leid“, sagte Colt zerknirscht und sah dabei so niedlich aus, dass April sogar wieder grinsen musste. Er drückte ihre Hand. „Wie heißt die kleine April denn?“

„Sie ist ein Junge und heißt Colin“, antwortete sie, „und er ist ein Schreihals. Fireball meint, dass er mal ein Rockstar wird. Aber jetzt erzähl du, Cowboy, was hast du so getrieben in der letzten Zeit? Von unseren beiden Berühmtheiten hört man ja immer mal wieder was in der Presse.“

„Sagen wir mal, ich habe so eine Art Kur gemacht, nachdem ich keine Lust mehr auf das Kopfgeldjägerdasein hatte. Selbstfindung und so weiter, ihr wisst schon“, grinste er und zog seinen Hut tiefer ins Gesicht, weil es ihm im Nachhinein selbst peinlich war.

„Colt“, schmollte sie gespielt, weil es unschwer zu erraten war, dass Colt etwas verbarg. „Du warst noch nie der Typ für irgendwelchen esoterischen Kram. Raus damit! Was hast du gemacht? Oder ich frage Fireball und Jesse, die scheinen es genauer zu wissen. Fireball wollte es mir nicht erzählen, als er bei mir war, aber er hat sich sehr große Sorgen um dich gemacht. Also?“

„Schon gut, schon gut, was soll ich sagen? Es lief nicht so wie ich mir das vorgestellt hatte und ich war fast schon…“ Colt hielt inne und seine Augen verfinsterten sich, als Jean-Claude eintrat.

„Wir sind zurück“, sagte der Outrider und legte seinen Helm beiseite. Seine Begleitung tat es ihm gleich.

„Hallo Jean, hallo…“, sagte Saber und verstummte, als er das dunkelbraune, lange Haar sah, das sich über den blauen Raumanzug legte. „Lilly“, schluckte er und sein Mund war plötzlich so trocken wie der Sand auf Crimson Desert. Ihre Anwesenheit irritierte ihn, hatte er doch jahrelang nicht mehr an die outriderische Astromineralogin gedacht, der er einst nähergekommen war. Er hielt sie für tot, aber das konnte er ihr wohl unmöglich zur Begrüßung sagen!

„Hallo“, erwiderte sie, und Saber spürte ihre Befangenheit, als sie jeden einzelnen ansah.

Auch April fühlte sich unbehaglich in Anwesenheit der beiden Outrider. Früher hatte sie nie auf normale Weise mit ihnen gesprochen oder ihnen besonders nahe gegenüber gestanden.

„Hallo“, grüßte sie zurück und Colt schwieg beharrlich.

„Dann brauche ich euch nicht mehr vorzustellen“, stellte Jean-Claude leicht überrascht fest und sah Lilly fragend an.

„Nein“, sagte sie, „Wir sind uns früher schon einmal begegnet. Unser Abschied war allerdings sehr … äh … flammend.“

Saber zog die Augenbraue hoch und merkte, dass sich seine Mundwinkel unwillkürlich kräuselten. Unverfänglicher und treffender hätte man die damalige Situation nicht beschreiben können. Er war froh, sie zu sehen und dass Jean-Claude sie für diese Aufgabe ausgewählt hatte, weil sie ihm nicht unbekannt war und er ihren Intellekt einschätzen konnte. Man sah ihr die harten Zeiten in der Phantomzone an, denn sie war ebenso schmal und blass wie Jean-Claude und Jesse, dass es erstaunlich war, dass sie trotz der widrigen Umstände alle drei einen starken Lebenswillen in sich trugen.

„Möchtet ihr euch erst etwas ausruhen, bevor wir anfangen?“

„Ehrlich gesagt, möchte ich jetzt lieber gleich wissen, was eigentlich los ist. Was ist die verzwickte Situation, die es zu lösen gilt?“

„Mir geht es genauso“, stimmte Lilly April zu. „Jean sagte mir, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Warum ausgerechnet ich?“

„Weil ihr beiden diejenigen seid, die uns am nächsten stehen und denen wir am meisten vertrauen“, erklärte Jean.

„So ist es“, bestätigte Saber. „Obwohl wir unter uns sind, möchte ich daran erinnern, dass dieses Treffen der höchsten Geheimhaltungsstufe unterliegt und als Staatsgeheimnis zu betrachten ist.“

„Staatsgeheimnis.“ April presste ihre Lippen zusammen, als ihr bewusst wurde, welch große Verantwortung ihr übertragen worden war. Sie sah zu der Outriderin hinüber, die sich ebenfalls versteift hatte. Scheinbar war auch ihr in diesem Moment die Tragweite ihrer Aufgabe klar geworden.

'Lilly und ich sind diejenigen, denen sie am meisten vertrauen – das heißt, am meisten in den jeweiligen Dimensionen. Das bedeutet, dass wir gar nicht ablehnen können, selbst wenn wir es wollten; keiner außer uns in der ganzen Galaxis kann das erfüllen, was sie sich von uns erhoffen. Selbst wenn wir versagen, war das die beste Chance, die sie haben. Aber … was ist mit mir? Ich soll mit einem Outrider zusammen arbeiten, mit einem Feind?'

April musterte Lilly möglichst unauffällig. Sie war extrem dünn und sah sehr ungesund aus, aber ihre Augen waren wachsam und intelligent. Wahrscheinlich ging es ihr ähnlich in dieser Situation.

'Saber glaubt, dass ich dieser Aufgabe gewachsen bin und er hat schon immer mehr Fähigkeiten in mir gesehen als ich selbst und ich habe ihn und mich noch nie enttäuscht, seit wir uns auf der Akademie kennengelernt haben. Es gibt keinen Grund, nervös zu sein, auch nicht in Gegenwart zweier Outrider. Sie sehen so aus, als würde sie der kleinste Windhauch davonwehen und selbst wenn sie irgendwas tun sollten, Colt wäre schneller. Es gibt also wirklich keinen Grund, nervös zu sein. Daddy hat immer an das Gute geglaubt und er hat mich gelehrt, es ebenso zu tun. Kann ich das überhaupt, selbst wenn ich wollte?'

Saber schenkte ihr ein zuversichtliches Nicken, als sie zu ihm sah, was sie bestärkte, ihre Vorurteile abzuwerfen und die Initiative zu ergreifen.

'Noch ein Neuanfang', dachte sie und reichte der Outriderin ihre Hand.

„Also dann, Lilly, auf gute Zusammenarbeit!“

Lilly wirkte ein bisschen erschrocken, doch dann ergriff sie die entgegengestreckte Hand.

„Auf gute Zusammenarbeit, April“, erwiderte sie das Versprechen lächelnd und ihr kühler Händedruck war zwar etwas zurückhaltend, aber verbindlich.

„Am besten fangen wir gleich an, ich will endlich erfahren, was los ist. Wir setzen uns einfach hier an den Tisch. Im Zellentrakt ist es zu ungemütlich und ziemlich kalt und wir müssen ja nicht auf irgendeine Etikette achten.“

„Einverstanden. Ich hole Fireball und Jesse“, nickte Saber, der sich gleich auf den Weg zu den beiden Insassen machte.
 

Die Stille im Raum war unerträglich. Colt schwieg stur vor sich hin und sie wusste nicht, über was sie mit Outridern reden sollte. Über das Wetter etwa?

Sie atmete erleichtert auf, als Saber keine Minute später, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, mit Fireball und Jesse in den Aufenthaltsraum zurückkehrte.

Die Tatsache, dass Jesse keine Fesseln trug, ließ Colt noch griesgrämiger dreinschauen, der mit verschränkten Armen und übereinandergeschlagenen Beinen auf der Eckbank saß. Fireball ließ sich von der finsteren Miene nicht beeindrucken und rutschte neben ihn.

„Lasst uns bitte zuerst die Fakten zusammentragen, damit April und ich endlich wissen, was passiert ist“, sagte Lilly, nachdem alle saßen. „Jeder von uns erzählt, wie er in diese“, Lilly suchte nach einem passenden Wort, „Geschichte hineingeraten ist. Magst du anfangen, Saber? Du und Jean werdet wohl am meisten dazu beitragen können.“

„Sehr gerne“, erwiderte Saber. „Ich möchte jedoch vorschlagen, dass Jean zuerst spricht, denn in der Phantomzone nahm alles seinen Lauf.“

„Wo sonst“, knurrte Colt bissig.

„Okay, ich habe nichts dagegen“, stimmte April zu. „Es wäre ganz gut, wenn du ein bisschen was über die Phantomzone erklärst und was sich seit dem letzten Gefecht zugetragen hat. Damit wir anderen uns ein Bild davon machen können.“

„Natürlich“, nickte der Outrider und sammelte sich kurz, um den Einstieg zu finden.

„Wie ihr euch sicher vorstellen könnt, herrschte nach eurem Sieg Chaos in der Phantomzone. Alle festen Strukturen waren zerstört und es gab keinen Anführer mehr, der allen ein Ziel gab und die Leute lenkte. Viele der ehemals hochrangigen Commander, die überlebt hatten, versuchten, Nemesis’ Thronfolger zu werden. Darunter waren Dark, Calibos, Mohawk und Orat, um nur einige zu nennen. Jeder Einzelne von ihnen hatte das Ziel, sofort in einen neuen Krieg zu ziehen und das Neue Grenzland endgültig zu erobern und selbst an der Macht zu stehen.

Da es aber kaum Energie gab und auch sonst kaum Ressourcen vorhanden waren, konnte das nicht gut gehen. Unter den Führenden herrschte Neid, Missgunst und Hass, und nicht wenige von ihnen wurden hinterrücks ermordet, damit ein anderer an die Macht kam. Alle waren nur auf Rache aus und bei der Umsetzung sollte Jesse ihnen helfen. Sie hielten ihn entgegen seinem Willen am Leben und-“

„Das geht niemanden etwas an, Jean!“

„Ich denke schon, Jesse“, widersprach April. „Lilly und ich können unsere Aufgabe nicht erfüllen, wenn uns Fakten vorenthalten werden. Vielleicht sind gerade die scheinbaren Nebensächlichkeiten wichtig, das musst du doch verstehen. Deshalb müssen wir über alles und jeden die ganze Wahrheit hören.“ Dass Jesse das nicht gefiel, war offensichtlich, aber darauf konnte April keine Rücksicht nehmen. Ihre Blicke kreuzten und verfingen sich in einem stummen Dialog. Sie dachte an ihr gemeinsames Versprechen, das sie mit einem Händedruck besiegelt hatten. Obwohl es nie gut zwischen ihnen stand, hatten sie sich niemals angelogen oder etwas verschwiegen und das sollte auch jetzt nicht der Fall sein. Jesse schien zu verstehen, denn er nickte leicht als Zeichen seiner Zustimmung, und unterbrach den Blickkontakt.

„Bitte sprich weiter, Jean-Claude.“

„Ich wusste es lange Zeit selbst nicht, bis ich mich entschloss, dem Wahnsinn ein Ende zu bereiten und mich selbst an die Spitze gestellt habe, indem ich Orat vergiftete.“

„Offiziell hieß es, dass Orat an einer Seuche starb“, warf Lilly überrascht ein.

„Ich bin nicht stolz darauf, aber ich musste etwas ändern und das langfristig. Selbstverständlich bin ich mir der Absurdität bewusst, dass ich genauso einen gewaltsamen Machtwechsel herbeigeführt habe wie meine Vorgänger und mich zumindest dadurch in keinster Weise von ihnen unterscheide. Allerdings bin ich anders und ich denke anders als andere Outrider, was mir schon früher zur Last gelegt wurde. Ihr würdet es wahrscheinlich als 'menschlich' bezeichnen und -“

„Menschlich? DU? Ich bitte dich, jetzt werde nicht albern!“

„Colt, bitte!“ April fühlte sich von Jean-Claude genauso beleidigt wie Colt, aber sie gab sich Mühe, das nicht zu zeigen. Sie musste erst einmal neutral bleiben und später urteilen, auch wenn es ihr schwer fiel. Sie nickte Jean-Claude abermals zu und versuchte möglichst nichts von ihrem Ärger auf ihrem Gesicht zu zeigen.

Entweder übersah Jean das, um die angespannte Stimmung nicht noch mehr aufzuheizen, oder es funktionierte wirklich, jedenfalls fuhr er fort als ob niemals eine Unterbrechung stattgefunden hatte: „Mit dieser Lüge wollte ich ein Zeichen setzen, dass sich ab jetzt etwas verändert, dass ich etwas verändern kann. Ich wollte nicht auf diese Art sterben und erst recht nicht zusehen wie meine Freunde, meine Familie und mein ganzes Volk einer nach dem anderen gingen.“

„Pah. Freunde und Familie“, schnaubte Colt abfällig, „Als ob ihr wisst, was das ist!“

„Ich fürchte, ihr habt ein völlig falsches Bild von uns. Ich habe meine Schwester und meinen ungeborenen Neffen durch eine heimtückische Krankheit verloren, die sie besiegt hätte, wenn nur genug Nahrung verfügbar gewesen wäre!“, erwiderte Jean-Claude zornig, woraufhin Colt betroffen schwieg. Er erinnerte sich an Annabelle, mit der sich damals hätte mehr vorstellen können, wenn sie kein Feind gewesen wäre.

„Wir Outrider empfinden ebenso Gefühle wie ihr Menschen. Annabelles Tod war der Grund, durch den ich endlich aufwachte und die Sache selbst in die Hand nahm. Die komplette Führungsebene war verdorben und ich habe sie wie ein krankes, vor sich hin wucherndes Gewebe ausgemerzt und würde es jederzeit wieder tun. Ich hatte genug Leute um mich herum, die ebenso dachten und die bereit waren, diesen Putsch mit mir zusammen durchzuziehen. Unser Plan gelang und als ich an der Spitze stand, änderte ich einiges. Alle Energie, die für die Herstellung von Waffen eingesetzt wurde, steckte ich in den Anbau von Nahrungsmitteln und die Herstellung von Medikamenten. Selbstverständlich hatte ich mir damit nicht nur Freunde gemacht, aber ich war mir bewusst, dass dies passieren würde und ich war bereit diesen Weg zu gehen und den Widerstand mit aller Gewalt einzudämmen. Allerdings tötete ich die Aufrührer nicht, sondern ließ sie unter Aufsicht Häuser und Hütten bauen oder auf den wenigen Feldern arbeiten. Wir brauchten jede Kraft, die uns zur Verfügung stand und brauchen sie noch heute.

Dann fand ich heraus , dass meine Vorgänger Jesse Blue am Leben gehalten hatten, um ihn als Strategen und Entwickler für eine neue Generation von Waffen und Kampfschiffen einzusetzen. Er weigerte sich, aber man ließ ihm keine Wahl.“

„Und jetzt kommst du zurück, um dich an uns zu rächen? Ganz schön armselig“, schnaubte Colt in Jesses Richtung, der ihn geflissentlich überhörte.

„Was heißt das, man ließ ihm keine Wahl?“, wollte April wissen.

„Ich spreche von Folter“, präzisierte Jean-Claude seine Andeutungen. „Seine Wächter boten mir ihre Dienste an, denn sie gingen davon aus, dass ich ebenso an einem neuen Krieg interessiert war. Erst dadurch wurde ich auf Jesse aufmerksam. Ich wollte mich später um ihn kümmern, aber als sie mir ihre vielen Protokolle und Aufzeichnungen überreichten, aus denen hervorging, mit welchen schrecklichen Mitteln sie Jesse zwangen, für sie zu arbeiten, entschloss ich mich, sofort zu handeln. Die Wächter gingen überaus grausam und brutal vor und ich konnte es nicht zulassen, dass er noch länger unter ihnen litt“, sagte er, sparte jedoch detaillierte Beschreibungen aus. „Jesse war ein Wrack, als ich ihn befreite, und-“

„Es reicht jetzt, Jean. Bitte!“, unterbrach Jesse ihn blass, der zum ersten Mal etwas über Jeans Beweggründe erfuhr und deshalb von der Erzählung so eingenommen war. Jetzt konnte er es nicht mehr ertragen und er fühlte sich als bekäme er keine Luft mehr. Damit gab er allen am Tisch preis, dass er genauso wenig emotionslos und kalt war wie man bisher von den Outridern glaubte. Bis eben hatte Jesse nicht gewusst, dass Aufzeichnungen und ausführliche Protokolle über ihn existierten und dass jemand diese gesehen hatte, wie er in seinen schwächsten, unwürdigsten Momenten um den Tod gefleht hatte. Dieses dunkle Kapitel hatte er tief in seinen Erinnerungen vergraben, in der Hoffnung, es nie wieder öffnen zu müssen.

„Ist das wahr, Jesse?“, fragte April erschrocken, aber Jesse saß nur versteinert da, seine Lippen zu einer schmalen Linie gepresst.

„Deshalb…?“ Jetzt verstand Fireball, was es mit den Schnitten auf sich hatte und sogar Colt verkniff sich jeglichen Kommentar.

„Kannst du einfach von was anderem reden, Jean?“

„Wenn es nicht erforderlich ist, dass wir der Sache weiter auf den Grund gehen?“

„Dazu besteht im Moment keine Notwendigkeit“, sagte April, die ihre Augen nicht von Jesse lösen konnte, der auf der Eckbank zusammengesunken war, die Arme schützend vor seiner Brust verschränkt und sich unübersehbar an einen anderen Ort wünschte.

„Bitte mach einfach weiter, Jean“, bat Lilly, die mit den Notizen kaum nachkam.

„Okay. Also … was alle meine Vorgänger nicht beachtet hatten, waren die Zivilisten, die einen Großteil der Bevölkerung ausmachen, deren einzigste Sorgen ums nackte Überleben gingen, nicht um einen neuen Krieg. Es gab nur notdürftige Unterkünfte, wenige Nahrungsmittel und auf unserem Planeten ist es sehr kalt. Viele starben an Unterernährung und Krankheiten und die Zahl unserer Überlebenden sank beständig. Ich selbst wollte ebenfalls nicht sterben und half fernab des Machtzentrums über viele Jahre am Wiederaufbau.“

„Jean-Claude, der heilige Samariter. Irgendwie kaufe ich dir die Nummer nicht ab.“

„Nun, Colt, alter Freund, das ist deine Sache. Du hattest das Glück und warst auf der Seite der Gewinner. Aber ich bereue nichts. Es waren harte Zeiten, die wir durchgestanden haben und trotzdem möchte ich sie nicht missen! Nur dadurch konnten wir Outrider lernen, was Mitgefühl und Anteilnahme bedeuten und ein neues Gedankengut finden, das uns Hoffnung gibt. Und ich glaube, dass darin der Schlüssel für unseren Überlebenswillen liegt. Aus diesem Grund habe ich mich nach meiner Machtübernahme und nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen, Saber Rider zu kontaktieren, denn mir war klar geworden, dass wir ohne fremde Hilfe dem Untergang geweiht waren.“ Jean-Claude suchte den Blick seines Nebenmanns, der der unausgesprochenen Aufforderung nachkam.

„Natürlich war ich war damals genauso überrascht und skeptisch wie ihr heute, aber ich habe mir sein Anliegen angehört und überprüft, denn ich musste sicher sein, dass er die Wahrheit sagte.“

„Was heißt das, 'überprüft'? Du warst doch wohl nicht in der Phantomzone?“, hakte April nach.

„Selbstverständlich war ich dort. Wie hätte ich mir sonst ein glaubwürdiges Bild von der Lage machen können?“, antwortete Saber. „Ich musste es mit eigenen Augen sehen und mir fiel es schwer, das alles zu verstehen. Ich weiß nicht mehr wie lange, aber ihr dürft mir glauben, dass ich mir sehr genau überlegte, ob ich die Hilfe gewähren sollte, um die Jean-Claude mich gebeten hatte.“

„Was hat dich schließlich dazu bewogen, es zu tun, Saber?“ Lillys Stimme war ein wenig sanfter geworden, als sie mit ihrem Nebenmann sprach.

„Die Pflicht, Hilfe zu gewähren, wenn man darum gebeten wird“, antwortete er. „Ganz besonders, wenn es sich um humanitäre Hilfe handelt und es darum geht, ob eine Rasse vor dem Aussterben ist, selbst wenn wir einst Krieg gegeneinander geführt haben.“

„Aber wie zur Hölle kannst du dir anmaßen, das alleine zu entscheiden?“, wiederholte Colt seine Frage von vorhin, und Saber gab die gleiche Antwort, diesmal mit einem schärferen Unterton.

„Weil es meine verdammte Pflicht als Präsident des Neuen Grenzlandes ist, den Frieden zu sichern und zu helfen! Ich habe mich bewusst dafür entschieden, es auf diese Weise zu tun, weil der Widerstand in der Bevölkerung sehr groß sein würde. Ich halte es für zu früh, die Einwohner darüber in Kenntnis zu setzen.“

„Oder weil du insgeheim andere Pläne verfolgst? Du hast große Macht und manchmal steigt einem diese zu Kopf“, streute Jesse seine Bedenken ein, der Saber einfach auf die Probe stellen musste, falls niemand anderes auf den Gedanken kommen würde, dass er vielleicht doch ein falsches Spiel spielte. „Ich habe gesehen wie du dich mit deinen Geschäftspartnern gibst. Du bestichst und nimmst selbst Bestechungsgelder an wie es dir gerade passt. Du bist ein Heuchler! Ein ehrenhafter Präsident ist anders!“

„Gerade du sprichst von Ehre, Jesse“, lächelte Saber nachsichtig. „Du warst nie in so einer verantwortungsvollen Position und verfügst daher nicht über die Fähigkeit, darüber zu urteilen. Deshalb lass dir gesagt sein, dass man manchmal alte Vorsätze über Bord werfen muss zugunsten anderer, wichtigerer und gemeinschaftlicher Interessen. Ich habe durch mein Verhalten niemandem geschadet, stattdessen aber die Sicherheit im Neuen Grenzland und das Überleben der Outrider ermöglicht. Auch du hast davon profitiert.“

„Und nebenbei hast du unser Vertrauen missbraucht!“, fügte Fireball dunkel hinzu.

April war blass geworden, als sie Sabers Geständnis hörte. Sie fühlte sich für den Moment überfahren von diesen Informationen und auch davon, dass nun eine andere Seite von Saber ans Tageslicht kam, wo sie immer behauptet hatte, ihren langen Weggefährten in- und auswendig zu kennen. Außerdem wurde ihr jetzt, wo sich die Puzzlestückchen nach und nach zusammensetzen, noch deutlicher bewusst, welches Gewicht auf ihren und Lillys Schultern lastete. Für Lilly galt seitens der Phantomzone mit Sicherheit dasselbe. Ihre Blicke trafen sich für einen Moment und sie sah den Schreck darüber in ihren Augen, doch dann nickte ihr die Outriderin entschlossen zu.

„Saber hat kein Interesse daran, die Phantomzone zu übernehmen“, stellte Jean-Claude sich an Sabers Seite. „Er ist absolut loyal gegenüber eurer Dimension. Machtgedanken sind ihm fremd und ich wünschte, es würde mehr Menschen und Outrider wie ihn geben. Ich habe im Laufe unserer Zusammenarbeit festgestellt, dass wir uns in dieser Hinsicht sehr ähnlich sind.“

„Saber?“, wandte Lilly sich an den Präsidenten, „Würdest du uns einen Überblick geben, welche Maßnahmen du eingeleitet hast, um unserer Dimension zu helfen?“

„Ihr könnt gerne meine Aufzeichnungen haben“, bot Jesse zuvorkommend an, „Nur für den Fall, dass Saber etwas vergisst. Sie sind sehr umfangreich.“

„Vielleicht kommen wir drauf zurück“, nickte April und griff wieder nach ihrem Stift, um die nächsten Notizen zu machen. „Also, Saber?“

„Angefangen hat es mit Kleinigkeiten“, startete Saber, der sich tatsächlich etwas zurückerinnern musste. „Es ging darum, die Wasserversorgung zu stabilisieren, daher habe ich die Stilllegung eines Staudamms vorangetrieben und–“

„Etwa die des Hooverdamms?“, schaltete sich Fireball ein, der sich daran gut erinnerte. Es war ein Highlight, den im 20. Jahrhundert so berühmten Damm einzureißen, da er inzwischen veraltet war und zu brechen drohte; zumindest war das die offizielle Begründung gewesen.

„Genau die“, bestätigte Saber. „Die ganze Technik, die Turbinen, Schraubenpumpen und Rohrleitungen wurden nach und nach in die Phantomzone gebracht. Es dauerte lange, da es zwar noch Schiffe mit Hyperantrieb gibt, aber keinen Leitstrahl mehr, der notwendig ist, um den Dimensionssprung durchzuführen. Daher ist man auf das Schwarze Loch angewiesen, das sich im Omikron-Sektor befindet und einen natürlichen Tunnel zwischen unseren Dimensionen bildet.“

„Deswegen hast du dort die Basis für die Entwicklung des Hyperantriebs errichtet“, stellte Fireball fest.

„Richtig“, bestätigte er. „Das ist das neueste Projekt, da es ziemlich lange gedauert hatte, einen Antrieb zu entwickeln, der die nötige Energie aufbringen kann, um den Sprung durchzuführen. Kyrillium ist dafür von entscheidender Bedeutung. Auch der Nachbau einer Art Tritonmaterie ist in Arbeit, die allerdings entsprechende Sicherungsmaßnahmen hat, damit sie nicht noch einmal die Kontrolle übernimmt.

Die Hilfe beschränkt sich allerdings nicht nur auf den technischen Bereich, sondern es wurden auch neue Nahrungsmittel, Medikamente, Impfstoffe und dergleichen hergestellt, die bis heute nur bedingt zum Einsatz kommen, weil die Anatomie der Outrider nicht vollständig erforscht ist. Daher wirken die meisten Medikamente nicht richtig, was ich sehr bedauere. Auch Jean-Claudes Mediziner konnten bisher keine Verbesserung der Wirkstoffe erzielen und darum nimmt die Zahl der Outrider immer weiter ab. Im Rahmen dessen wurden regelmäßige Voralith-Lieferungen ins Leben gerufen. Das ist ein Mineral, auf dem man Nahrungsmittel anbauen kann und das vielleicht sogar für die Energiegewinnung eingesetzt werden könnte. Daran wird derzeit intensiv geforscht. Hier in unserer Dimension ist Voralith recht nutzlos, denn es benötigt eine gewisse kalte Bodentemperatur, um seine volle Wirkung zu zeigen.“

„Du bist ein sehr großes Risiko für uns eingegangen“, stellte Lilly ergriffen fest. Sie war überwältigt von dieser Aussage, dankbar, aber auch traurig, denn Saber hatte deshalb sicherlich auf vieles in seinem Leben verzichten müssen.

„Ich musste es tun, denn ich hätte das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können“, erklärte er schlicht. „Natürlich habe ich die Risiken abgewogen und meine Verträge und Geschäftspartner sehr vorsichtig ausgewählt. Das dauerte seine Zeit, aber es hat sich gelohnt. Ich würde es immer wieder tun.“

Lilly lächelte gerührt und ließ zu, dass ihre Blicke sich kurz ineinander verfingen, ehe sie sich losriss. „Jesse, erklärst du uns jetzt, wie du in die Zusammenhänge passt?“, forderte sie den nächsten in der Reihe auf.

„Und bitte sei so ehrlich wie du es mir gegenüber immer warst“, fügte April hinzu.

„Dir kann ich keinen Wunsch abschlagen, liebste April“, sagte er mit einem kleinen Lächeln. „Die Zeit der Lügen ist vorbei.“

„Na, das ist ja herzerweichend“, spottete Colt und rückte seinen Hut zurecht. „Da bin ich aber mal gespannt auf die Märchenstunde, bin ich da.“

„Glaube es oder lass es, mir egal, Cowboy“, erwiderte Jesse und wandte sich an seinen Nebenmann. „Es tut mir leid, Fireball, aber deine Zweifel waren von Anfang an berechtigt. Als ich dich aufgesucht habe, wollte ich tatsächlich nichts als Rache für damals, ich wollte euer Leben zerstören, deins, Colts und Sabers.“

„Ich wusste es, du miese kleine Ratte!“ Colt war mit geballter Faust aufgesprungen und langte über Fireball hinweg nach Jesse, um ihm eins zu verpassen.

„Colt!“, riefen April und Saber scharf, was den Cowboy tatsächlich innehalten ließ. Beruhigend legte April ihm eine Hand auf die bebende Faust, als Fireball keine Anstalten machte, ihn zurückzuhalten. „Das kannst du nachher mit ihm klären, lass uns erstmal hören, was er zu sagen hat.“

„Darauf kannst du Gift nehmen, dass ich das tun werde!“, spuckte er in Jesses Richtung, setzte sich aber fürs Erste wieder. Fireball neben ihm hatte seine Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst und starrte auf den Tisch vor sich, während Saber diese Offenbarung gelassen hinnahm. Durch Jean-Claude wusste er schon länger von Jesses Verschwinden und hatte so eine Erklärung erwartet.

„Du wolltest uns wirklich umbringen?“, fragte Fireball fast tonlos und trotzdem war der immense Zorn in seiner Stimme deutlich zu hören. Er war maßlos enttäuscht und wütend auf sich selbst, dass er Jesse auf den Leim gegangen war.

„Nein, das wollte ich nicht. Es wäre zu einfach gewesen, zu schnell für all das, was ich wegen euch durchstehen musste. Ich wollte euch eurer Lebensumstände berauben, euren Luxus nehmen, euer Ansehen, alles, was ihr euch vorstellen könnt.“

Colt sprang erneut auf, die Hand zur Faust geballt. „Ich werde dir schon zeigen, was für angenehme Lebensumstände du bisher hattest!“

„Warum hast du es dann nicht getan?“, fragte Fireball im gleichen Tonfall und zog Colt mit einem Ruck auf seinen Platz herunter. Das war jetzt eine Sache zwischen Jesse und ihm – und zwar eine sehr persönliche, in die sich niemand einzumischen hatte.

„Weil ihr das selbst schon erledigt habt, zumindest du und Colt“, antwortete Jesse und sah von Fireball zu Colt. „Ich weiß Bescheid über das, was mit dir los ist, Cowboy!“

„Nur ein Wort und…!“ Colt funkelte ihn wütend an, aber Jesse winkte träge ab und ging nicht weiter auf ihn ein. Stattdessen sah er zu Saber.

„Das ist die reine Wahrheit. Ich hoffte, danach endlich meinen Frieden zu finden, alles zu vergessen und komplett neu anzufangen, aber jetzt, nach langer und sorgfältiger Vorbereitung ist mir ein großer Teil meiner Rache verwehrt geblieben. Nur einer blieb übrig, und das bist du, Saber. Ich konnte während meiner Ausarbeitung nicht herausfinden, was du mit deinem Verhalten bezweckst, aber ich kam irgendwann zu dem Schluss, dass es zweitrangig war und keinen Einfluss auf mein Vorhaben hatte. Das Ergebnis war alles, was mich interessierte. Ich musste nur genug Beweismaterial sammeln, die Daten aufbereiten und alles an die Presse und diverse andere Einrichtungen übermitteln. Die Nachricht, dass sich Mr. President mit Bestechung und sonstigen, nicht gerade legalen Mitteln bedient, um seine geheimen Pläne umzusetzen, wäre eingeschlagen wie eine Bombe. Du wärst ziemlich schnell von deinem hohen Ross gefallen – und diesmal gäbe es keinen Steed, der dich wieder auffängt.“

„Ausgerechnet du sprichst von legalen Mitteln“, konnte Colt sich den bissigen Kommentar nicht ersparen. „Bestechung und Spionage gehören meines Wissens nach auch nicht zu dieser Kategorie!“

„Richtig, aber ich bin nicht der Präsident des Neuen Grenzlandes und habe keinen Eid auf die Verfassung geschworen“, zuckte Jesse mit den Schultern.

„Mich würde interessieren, woher du das Geld für deine Pläne hast“, mischte sich Saber ein, der sich kein bisschen anmerken ließ, ob es ihn beunruhigte, dass er Jesses Plänen so knapp entkommen war. „Du brauchtest eine Menge, wenn ich mir allein schon Vincents Spielschulden ansehe. Also, wie hast du deinen Plan finanziert?“

„Sieht dir ähnlich, dass du das fragst“, schnaubte Jesse unzufrieden. „Ob du es glaubst oder nicht, es war mein eigenes Geld, welches ich dafür investierte, und keine Steuergelder!“

„Woher hast du es?“ Jean-Claude konnte die Überraschung nicht aus seiner Stimme heraushalten, als er das fragte.

„Wer ist Vincent?“, fragte Lilly.

„Das tut nichts zur Sache, Jean“, wiegelte Jesse ab, wurde jedoch von Fireball unterbrochen.

„Ich kann mir schon vorstellen, woher er es hat“, bemerkte dieser mit einem dunklen, triumphvollen Blick. „Ihr müsst nämlich wissen, dass er der Sohn von Dr. James Maverick ist, demjenigen, dessen Firma Ramrods Triebwerke hergestellt hat“, ließ er die Katze aus dem Sack. „Wahrscheinlich hat er noch ein altes Taschengeldkonto oder so etwas übrig, auf das er zugreifen kann.“

Jesse lächelte nachsichtig, als er sich zurücklehnte, denn es war offensichtlich, dass Fireball das nur gesagt hatte, um ihm für seinen Verrat eins auszuwischen. Sollten sie das ruhig glauben, es stimmte nicht. Es gab keinen Grund dafür, anzunehmen, dass sein Vater nach all den Jahren, ein Konto für ihn bereithalten sollte. Selbst wenn - wie hätte Jesse darauf zugreifen können ohne sich und seinen Aufenthaltsort zu verraten und sofort gefangen zu werden?

„Also stimmen die Gerüchte, die damals im Ausbildungszentrum über dich herumgingen?“, fragte April.

„Welche Gerüchte?“, wiederholte Jesse überrascht.

„Sag bloß, du hast das nicht mitbekommen? Fast an jeder Ecke wurde herumerzählt, dass du der Sohn reicher Eltern bist und seinen Namen geändert hat, um das geheimzuhalten, damit du nicht bevorzugt behandelt wirst. Überall hieß es, du wärest etwas ganz Besonderes, der neue Überflieger, der schon bald ein eigenes Schiff erhalten sollte. Es gingen die abenteuerlichsten Geschichten herum. Hat dir wirklich niemand was erzählt?“

„Nein, niemand. Was immer sie erzählt haben, nichts davon stimmt.“

„Das würde ich so nicht sagen. Ich habe die Gerüchte ebenfalls gehört. Die wahre Geschichte steht in einem verschlüsselten Teil deiner Personalakte“, sagte Saber und fixierte Jesse. „General White Hawk hat diesen Teil verfasst und wie du dir bestimmt denken kannst, habe ich ihn gelesen. Also, was ist jetzt, Kayne Maverick? Wie bist du an soviel Geld gekommen?“

„Es gibt wohl nichts, was du nicht über mich weißt“, gab Jesse wütend zurück, der es hasste, dass Saber alle seine Geheimnisse kannte. Er war ihm immer einen Schritt voraus und so hatte er niemals eine Chance, gegen ihn anzukommen.

„Eine Sache gibt es“, lächelte Saber schmal, „und ich würde wirklich gerne wissen, wie du soviel Geld zusammen bekommen hast. Aus der Phantomzone kannst du es nicht haben, dort gibt es keine Intercontinentals.“

„Mir hast du nichtmal deinen echten Namen verraten, als ich dich danach gefragt habe“, warf Fireball ihm mit verschränkten Armen vor, der sehr schwer an dem Gehörten zu kauen hatte. „Dabei war es scheinbar ein offenes Geheimnis.“

„Weil mir mein jetztiger Name lieber ist und ich den alten einfach nicht mehr hören will“, gab Jesse gereizt zu und atmete tief durch. „Also gut. Ich will dich ja nicht dumm sterben lassen, Saber. Die Wahrheit ist, dass ich nach meiner Flucht aus der Phantomzone an einem ziemlich üblen Ort gelandet bin, wo der lange Arm des Gesetzes nicht hinreicht. Dort hatte ich schon einmal angefangen und kannte mich aus, dachte ich.“ Jesse verschwieg, dass er damals, nach seiner Kündigung bei den Star Sheriffs, an dem gleichen Ort gewesen war, und so, wie er von dort in die Phantomzone geraten war, hoffte er, dass dies der Weg zurück für ihn sein würde.

„Ehrlich gesagt war es dort nur unwesentlich besser als in der Phantomzone und ich habe mich mit den übelsten Jobs durchgeschlagen, die du dir vorstellen kannst. Sie waren nicht schön, aber ertragreich, sogar sehr ertragreich. Schmuggel wurde immer gut bezahlt, Drogen ebenfalls und wenn man einen Konvoi begleitet hatte, ging gerne mal ein bisschen was von der Ladung verloren, die man dann auf dem Schwarzmarkt verscherbeln konnte. Du glaubst auch nicht, wieviel Geld man mit billigen Taschenspielertricks machen kann, oder durch Zählen beim Black Jack, wenn man des Zählens mächtig ist. Illegale Wetten, Raub, Überfälle, Mord, ich schreckte vor nichts zurück und als ich Jason Barista, einen Detektiv, traf, war er mein Ticket aus diesem Moloch. Wir arbeiteten eine Weile zusammen und als er bei einem Auftrag das Zeitliche segnete - nicht durch mich, will ich anmerken - nahm ich seine Identität und sein Geld und kam nach Yuma, um endlich ein normales Leben zu führen.“

„Du und ein normales Leben? Du machst wohl Witze?“, schnaubte Colt abfällig.

„So war das also“, nickte Saber zu frieden und strich sich durch seinen Bart. „Ein normales Leben führen zu wollen heißt für mich aber nicht zwangsläufig, dass du Rachegelüste hattest.“

„Stimmt, die hatte ich tatsächlich nicht, zumindest zuerst nicht. Ehrlich gesagt, habe ich gar nicht an euch gedacht, aber hier in Yuma hat man dich und Fireball mehr oder weniger ständig vor den Augen. Ich fühlte mich regelrecht verfolgt und herausgefordert und dann...“

„...hast du dir einen hübschen kleinen Plan zurechtgelegt, dem blöden Fireball was vom Pferd erzählt und die Dinge nahmen ihren Lauf“, bemerkte Fireball angesäuert.

„So war es“, gab Jesse zu, der wenigstens ein bisschen Reue zeigte.

„Warum bist du nicht einfach bei uns in der Phantomzone geblieben? Dein technisches Know-how hat in vielen Bereichen weitergeholfen und du wurdest von uns allen respektiert.“

„Lilly, das magst du vielleicht so sehen“, antwortete er. „Aber nach all dem, was war, konnte ich einfach nicht mehr bleiben.“

„Kannst du ein bisschen deutlicher werden? Andeutungen bringen uns nicht weiter.“

„Das tut nichts mehr zur Sache“, antwortete er nur ausweichend, weil er sonst sein Innerstes hätte offenlegen müssen. Vielleicht konnten Fireball, Jean-Claude und Saber sich diesen Teil über seine Beweggründe zusammenreimen, aber er wollte nicht, dass noch mehr Leute davon erfuhren. Tatsache war, dass Jesse erkennen musste, dass er vor seinen Alpträumen nicht weglaufen konnte und er weder in die eine noch in die andere Welt gehörte, weder vorher noch jetzt. Egal wo, er war immer ein Außenseiter gewesen und würde es bleiben, und die Träume würden ihm folgen, wohin er auch ging.

„Okay, ich frage nicht weiter. Aber erfahre ich dann vielleicht, wer dieser Vincent ist, den Saber vorhin erwähnt hat?“, wiederholte Lilly ihre Frage.

„Wie sah dein Plan letztendlich aus?“, mischte Jean-Claude ein, der sich verantwortlich fühlte und erkannte, dass er Jesse nie hätte in der Phantomzone halten können, egal wie er sich bemühte, die Graumsamkeiten seiner Vorgänger wiedergutzumachen.

„Vincent ist … war einer von Sabers Bodyguards. Ich habe ihn in einem Wettbüro kennengelernt, eigentlich mehr durch Zufall. Wir standen an einem Tisch, haben irgendein Fußballspiel verfolgt und sind ins Gespräch geraten, irgendein oberflächliches Geplänkel. Erst als er eine kleine Bemerkung in einem Nebensatz fallen ließ, wurde es höchst interessant für mich und es stellte sich heraus, dass er der Schlüssel zu meinem Plan war. Durch ihn hatte ich direkten Zugriff auf Saber und bekam die Informationen aus erster Hand. Vincent war sehr fleißig und kostete eine Menge, aber alles, was er mir schickte, war echt und damit die perfekte Grundlage für meinen Plan. Ich wollte, dass Saber öffentlich in Ungnade fiel und seinen Posten räumen musste, und ich wollte Fireballs Rennteam zerstören.“

„Und was wolltest du mit mir machen, du kleine Ratte?“ Colt blitzte ihn mit kalten Augen an und Jesse erwiderte diesen Blick einen Moment lang.

„Dir wollte ich einen oder mehrere Morde anhängen und dich hinter Gitter bringen, wo du dein Leben lang eingesperrt gewesen wärst.“

„Jetzt bist du derjenige, der in dieses Vergnügen kommt“, zischte Colt.

„Wäre dein Plan geglückt und ich meines Postens enthoben, wärst du verantwortlich für den Tod der Outrider“, fügte Saber ruhig hinzu, wobei er ihn mit seinen Augen fixierte. Jesse fühlte einen Stich in seinem Herzen und schluckte hart. Diese Erkenntnis erdrückte ihn regelrecht und ließ ihn die Lider senken. Leicht nickte er. Jean hatte so ein Schicksal nicht verdient. Er war es, der ihn befreite und sich immer um ihn bemühte, obwohl Jesse ihn immer abweisend behandelt und ihn nie an sich herangelassen hatte.

„Davon hätte ich allerdings nie erfahren, genausowenig wie du, wer dafür verantwortlich ist.“

„Ein Glück, dass es nicht so gekommen ist“, meinte Lilly erleichtert, aber der Schreck darüber war ihr deutlich anzumerken.

„Gibt es noch etwas, das du uns sagen möchtest, Jesse?“, fragte April, ihn Stirn runzelnd ansah.

Jesse überlegte. Er hätte ausführen können, dass ihn durch die Zusammenarbeit mit Fireball nach Jahren der Einsamkeit einiges bewusst geworden war, was er nie wieder rückgängig machen konnte. Seine Rachegedanken waren verpufft und er hatte keinen Antrieb mehr, diese weiter zu verfolgen. Aber was hätten diese Erklärungen schon geändert?

„Nein“, sagte er schließlich.

„Okay. Dann bist du als nächster dran, Fireball“, sagte April.

„Ein neues Märchen also.“ Colt lehnte sich spöttisch grinsend zurück.

„Eins, das du eh nicht kapierst“, konterte Fireball bissig. Trotzdem war er froh, diesen ganzen Mist endlich loszuwerden.

„Jesse fing mich kurz vor meinem letzten Rennen im Fahrstuhl meines Hotels ab“, begann er und schilderte detailliert ihre Begegnung und die Gründe, weshalb er sich ihm schließlich angeschlossen hatte. Da er weder etwas verbergen wollte noch etwas zu verbergen hatte, ließ er nichts aus.

„Saber, es tut mir leid, dass ich dich beschattet habe“, entschuldigte er sich. „Einmal haben wir dich sogar persönlich belauscht.“

„Wann?“ Sabers Tonlage war unterkühlt und er ließ damit durchblicken, dass er Fireballs Tun zutiefst missbilligte.

„Als du dich mit den Herren von Rockwell im Margaux getroffen hat. Jesse und ich saßen ebenfalls dort, allerdings in Verkleidung. Nach dem Dinner hast du mich sogar vor dem Restaurant gegrüßt“, gestand er.

„Du hättest deine Tarnung auffliegen lassen können. Warum hast du es nicht getan?“

„Ich wollte ja!“, bekräftigte Fireball, „aber dann ging alles so schnell und du warst plötzlich weg. Außerdem – ich habe dich einmal angerufen, falls du dich erinnerst.“

„Was?“ Jesses Kopf schnellte herum und seine Augen blitzten aufgebracht.

„Das hab ich dir doch schon gesagt! Hast du wirklich geglaubt, dass ich es nicht versuchen würde? Dann bist du wenigstens genauso blöd wie ich“, spottete Fireball triumphierend, was Jesse mit verkniffener Miene über sich ergehen ließ.

„Ich erinnere mich. Du warst stark betrunken und ein sinnvolles Gespräch wäre unter diesen Umständen wohl kaum möglich gewesen. Warum hast du es nicht an einem anderen Tag nochmal versucht?“

Fireball ließ sich an die Lehne zurücksinken und fuhr sich verlegen durch seine Haare. „Weil ich mit meiner Scheidung beschäftigt war und ehrlich gesagt, war Jesse mir dabei eine sehr große Hilfe.“

„Das ist absurd“, warf Colt ein.

„Inwiefern eine Hilfe?“, hakte April perplex nach.

„Also, das war so...“, begann Fireball und berichtete von seiner unschönen Scheidung, von der die meisten am Tisch durch die Presse erfahren hatten, und wie Jesse ihm dabei geholfen hatte, das durchzustehen. Lange und detailliert erzählte Fireball weiter, wie und warum sie sich entschieden hatten, Colt zu kontaktieren, und der anschließenden Suche nach ihm und wie sie endlich das Santiago erreicht hatten. Er berichtete von seiner Unterhaltung mit Liz, in der sie auf die Idee gekommen waren, dass Colt ihn womöglich auf der Farm seiner Eltern finden würde, dass er Jesse deshalb allein zurückgelassen hatte, und er seinen Freund schließlich dort aufgespürt hatte. Colts erbärmlichen Zustand ließ er jedoch unerwähnt.

Fast eine ganze Stunde brauchte Fireball, bis er seinen Bericht schließlich zu Ende gebracht hatte. Sowohl Lilly als auch April hatten ausgiebige Notizen erstellt und die Outriderin nickte Fireball dankend zu.

„Jetzt fehlt nur dein Bericht, um die letzten Puzzlestückchen an Ort und Stelle zu bringen“, sagte April. „Oder wollen wir eine Pause machen?“

„Keine Pause“, ging Colt dazwischen, ehe jemand etwas antworten konnte. „Ich will nicht noch länger warten.“

„Na dann, nur zu!“

„Ihr habt ja schon gehört, dass Fireball vor ein paar Wochen auf der Farm meiner Eltern auftauchte, wo ich mich gerade aufhielt. Wir haben uns gestritten und ich … äh … ich habe ihn rausgeworfen. Und dann…“

„Gestritten? Ihr beide?“, hakte April besorgt nach. „Warum das denn? Ihr habt euch doch auch ewig nicht gesehen und wart sonst immer einer Meinung.“

„Das tut nichts zur Sache, vielleicht erzähle ich es dir später mal“, wiegelte er ab und fuhr schnell fort, bevor weitere Rückfragen kamen, denn auch Saber sah so aus, als würde er gerne mehr dazu erfahren, und das musste nicht sein, solange Ohren anwesend waren, die das alles nichts anging.

„Jedenfalls hat er mir dazu geraten, meine alte Freundin Liz zu besuchen, was ich schließlich getan habe und durch sie habe ich erfahren, dass Fireball mit „einem alten Freund“ unterwegs ist.“ Er funkelte seinen Nebenmann finster an, als er die Anführungszeichen mit seinen Fingern andeutete. „Sie verriet mir seinen Namen, nämlich Jason Barista und, dass Fireball ihn manchmal Jesse genannt hat. Ich hatte gleich so eine böse Vorahnung, als sie diesen Namen erwähnte und als sie schließlich seine Verbrennungen und Narben erwähnte, war ich mir absolut sicher, dass es sich nur um einen handeln konnte und -“ Er unterbrach sich selbst und wandte sich wütend an Jesse. „Du kannst von Glück sagen, dass ich nicht da war. Nochmal passiert das nicht, dass sie dich verarztet!“

„Colt, lass das mal außer Acht und verrate uns lieber, wie du Jesse schließlich gefunden hast, ja?“, forderte April den Cowboy auf, der es sich nicht nehmen ließ, Jesse einen weiteren bösen Blick zu schicken, den Jesse mit verschränkten Armen ebenso dunkel erwiderte.

„Liz gab mir die Schiffsbeschreibung und die dazugehörige Kennung. Es war keine große Herausforderung, der Fährte zu folgen und sein Rattennest ausfindig zu machen. Und das mitten auf Yuma! Aber ich hab echt nicht schlecht gestaunt, als ich tatsächlich Fireball dort entdeckt habe! Natürlich habe ich sofort Saber informiert und ihm alles erzählt. Der Rest ist einfach, ich hab den Auftrag erhalten, die beiden zu verfolgen und zu fangen. Das habe ich getan und nun sind wir hier“, schloss Colt und Triumph schwang in seiner Stimme mit.

„Weil du mir nicht zugehört hast!“, motzte Fireball und verschränkte seine Arme.

„Danke, Colt“, sagte Lilly, bevor es zu einer weiteren Eskalation kommen konnte. „Ich denke, wir haben alle Fakten gehört, oder?“, vergewisserte sie sich bei April, die recht erschöpft aussah. Ihr Kopf schwirrte und sie brauchte unbedingt eine Pause.

„Und ihr? Habt ihr etwa nichts damit zu tun?“ fragte Colt, „Ich meine, Lilly, hast du wirklich nichts von Jean-Claudes Plänen mitbekommen? Und du, April? Du auch nicht von Sabers? Das kann ich mir irgendwie nicht vorstellen.“

„Nein, Colt“, antwortete die Lilly. „Erst als Jean mich vor ein paar Stunden abgeholt hat, wurde ich in die Geschehnisse eingeweiht. Natürlich habe ich mich über einige Dinge gewundert, aber wenn man kurz vor dem Tod steht, hinterfragt man nicht unbedingt alles. Man nimmt Geschenke an, besonders, wenn sie helfen. Es gibt Wichtigeres zu tun als sich darum Gedanken zu machen.“

„April? Was ist mit dir?“, wandte er sich an die blonde Frau, aber sie schüttelte nur den Kopf.

„Auch wenn Saber und ich noch hin und wieder Kontakt hatten, beschränkte sich das nach und nach immer mehr auf das Berufliche. Wir begegneten uns ab und zu auf Konferenzen oder mal im Hauptquartier. Es war wie mit euch, jeder ging seiner Wege und der Kontakt schlief immer mehr ein. Ich hatte meinen Job in der technischen Abteilung des Kavallerie-Oberkommandos und entwickelte neue Schiffstypen, Antriebe und alles, was gerade benötigt wurde. Vor ein paar Monaten bin ich Mutter geworden und deshalb habe ich mich erst einmal aus dem Berufsleben zurückgezogen.

Dann hat sich Fireball aus heiterem Himmel bei mir gemeldet und wir haben uns getroffen. Er zeigte mir eine Zeichnung, die ich als möglichen Hyperantrieb identifizierte, und berichtete mir, dass er sich sehr große Sorgen um dich macht, Colt. Er bat mich darum, dich dringend anzurufen, weil es dir nicht gut gehen soll, aber ich konnte dich nicht erreichen.“ Colt verengte seine Augen zu Schlitzen, als er seinen Kopf zu Fireball drehte, aber der schaute stur geradeaus und ignorierte ihn.

„Fireball hatte mir nur gesagt, dass er etwas erledigen müsse und versprach zurückzukommen, wenn er fertig war. Obwohl ich ihn mehrfach danach fragte, verriet er nichts, nur, dass er mich da nicht mit hineinziehen wollte und dass ich mir keine Sorgen machen sollte. Naja, den Rest kennt ihr.“ Sie erhob sich und klaubte ihre Notizzettel zusammen. „Wollen wir uns ein bisschen die Beine vertreten und beraten, Lilly? Ich brauche dringend ein bisschen Bewegung.“

„Eine gute Idee“, stimmte sie zu und die beiden Frauen verließen das Gebäude. Für die Männer begann das Warten. Ein angespanntes und unbehagliches Schweigen machte sich breit. Colt hielt es keine Minute mehr an dem Tisch und er zog sich wortlos zurück, während Saber den anderen Tee nachschenkte.
 


 

Lilly und April gingen schweigend ein paar Schritte, in denen jede das Gehörte für sich sortierte. Die kühle, frische Morgenluft tat gut und half, ihre Gedanken zu klären. Über den Bergen zeichneten sich die ersten Verfärbungen des Sonnenaufgangs ab. Alles war ruhig, auch die Adler in den Bergen schienen noch zu schlafen.

„Ich kann Saber verstehen“, durchbrach April schließlich die Stille, „allerdings kann ich auch Colts und Fireballs Vorwurf über seine Handlungsweise verstehen, dass er über so eine Frage alleine entschieden hat.“

„April, wir sind sehr dankbar für Sabers Hilfe. Aber jetzt, wo ich das alles gehört habe, mache ich mir ernsthaft Sorgen um ihn. Was passiert mit ihm, wenn das alles ans Tageslicht kommen sollte? Er könnte sogar in Lebensgefahr schweben und von Extremisten für diesen Verrat umgebracht werden! Vielleicht sogar von … Colt!“ Lilly hielt inne und legte erschrocken ihre Hand auf Aprils Arm. „Das möchte ich auf gar keinen Fall!“

„Colt?“ April war hin und hergerissen und sie spürte Wut in sich aufsteigen. Wie konnte Lilly Colt nur so etwas Böses unterstellen!

„Das würde er nicht tun!“, bemerkte sie kalt. „Saber ist sein Freund!“

„Verstehe mich nicht falsch, April, aber Colt ist … er hasst uns Outrider abgrundtief! Ich halte ihn für unberechenbar und ich bin sicher, dass es noch mehr Leute wie ihn gibt. Er macht mir Angst.“ Sie strich sich verzweifelt durch ihre Haare. „Ich wünschte so sehr, dass ich die Macht dazu hätte, die Zeit zurückzudrehen und alles ungeschehen zu machen. Leider kann ich das nicht. Es tut mir wirklich leid, was mein Volk euch angetan hat, April.“

April atmete tief durch und lauschte in sich, während sie weiterliefen. Lillys Worte waren aufrichtig und ihr Bedauern ehrlich.

‚Das, was sie über Colt gesagt hat, könnte unter sehr extremen Umständen tatsächlich zutreffen’, musste sie zugeben, so schwer es ihr fiel. Sie wusste um seinen unbändigen Hass, den er oft hinter seiner fröhlich-lockeren Fassade versteckte, doch tief in seinem Herzen steckte ein ebenso eiskalter Kopfgeldjäger, der hin und wieder ans Licht kam.

Sie blieb stehen und unterzog Lilly einer eingehenden Sichtprüfung. Die Frau, die vor ihr stand, war keine loyale, berechnende Outriderin, sondern sie war das, was man „vom Leben gezeichnet“ nennen würde. Sie hatte Leid erfahren, nicht nur von anderen, sondern auch an ihrem eigenen Leib. Die Erfahrung, die sie dadurch gesammelt hatte, spiegelte sich in ihren Augen wider. Sie war definitiv nicht mehr dieselbe wie damals, ebenso wenig wie Jean-Claude und Jesse.

Lilly ließ die Musterung über sich ergehen, die ihr zweifellos unangenehm sein musste. Sie schien ihre Gedanken zu spüren und respektierte, dass April Zeit brauchte, um sich zu sortieren.

April wollte helfen, aber sie stand nun erst einmal selbst den Vorurteilen gegenüber, die sie gegenüber ihren ehemaligen Feinden hatte.

‚Aber Saber vertraut ihnen und ich fühle, dass er recht hat. Würde ich ebenso reagieren, wenn ein ganz anderes Volk auf einmal hier stehen und dieselbe Hilfe von uns erbitten würde?’ Sie biss auf ihre Unterlippe und starrte Lilly weiterhin an, ohne sie richtig zu sehen. Ihr Blick war nach innen gerichtet.

‚Nein, ich würde ohne zu zögern zusagen. Ich muss selbst meine Vorurteile besiegen und ihnen einen Teil meines Vertrauens schenken, so wie Saber es tat und mein Vater auch. Ich vertraue Saber und Daddy!’ April entspannte sich und schenkte der Outriderin ein leichtes Lächeln.

„Nein, das darf und wird nicht passieren! Colt wird niemandem von uns etwas antun, aber ich gebe dir recht, dass die Gefahr durch andere nicht von der Hand zu weisen ist“, gab sie schließlich zu. „Wir müssen das irgendwie wieder geradebiegen, solange es nur wir sieben sind, die davon wissen. Für mich steht es ebenso wie für Saber außer Diskussion, ob wir euch helfen oder nicht. Allerdings wird es wirklich schwer, die Bevölkerung von der Richtigkeit davon zu überzeugen.“

„Wirklich? Ich danke dir, April“, sagte Lilly erleichtert und erwiderte das Lächeln, bevor sie wieder ernst wurde. „Es wird Widerstände innerhalb der Bevölkerung geben und sie wird sich spalten. Ich glaube kaum, dass man das verhindern kann.“

„Wahrscheinlich nicht. Wir können in diesem Fall nur auf den gesunden Menschenverstand hoffen“, überlegte April. „Genau deshalb müsst ihr ein offizielles Hilfegesuch an Saber richten, so als ob noch nichts dergleichen geschehen ist. Er ist der Einzige, der das in dieser Situation schaffen kann und deswegen muss er Präsident bleiben. Wir müssen alles bisherige geheim halten und niemand außer uns darf je etwas davon erfahren. Würde alles ans Tageslicht kommen, könnte Saber zum Rücktritt durch ein Misstrauensvotum gezwungen werden und dann wäre der Weg auf eine friedliche Lösung für immer verbaut sein. Dieses Risiko dürfen wir nicht eingehen.“

„Ich bin froh, dass du so darüber denkst, April“, sagte Lilly beruhigt. „Einen neuen Krieg möchte ich nicht noch einmal erleben.“

„Das will keiner, denke ich“, stimmte April zu. „Es liegt an euch zu beweisen, dass ihr wirklich gelernt habt, was Mitgefühl und Anteilnahme bedeuten und zu beweisen, dass wir Menschen euch vertrauen können. Eine Enttäuschung würde in einem neuerlichen Krieg enden.“

„Ich weiß und soweit wird es diesmal nicht kommen“, sagte Lilly überzeugt. „Die Outrider haben sich geändert, und mir ist bewusst, dass wir das durch Worte allein nicht erreichen können. Das wird der schwierigste Teil unserer Arbeit.“

„Sowohl für euch als auch für uns“, fügte April hinzu und lächelte. „Wir denken sehr ähnlich.“

„Vielleicht weil wir beide Wissenschaftlerinnen sind?“ Lilly erwiderte das Lächeln und wurde wieder ernst. „Aber was soll mit Fireball und Jesse geschehen?“

„Die beiden sind das kleinste Problem, denke ich. Ich kenne Fireball; er ist ein herzensguter Mensch. Er hat…“, April unterbrach sich unschlüssig, ehe sie fortfuhr, und legte damit einen weiteren Grundstein des Vertrauens, indem sie Lilly über ihr persönliches Schicksal erzählte. „Ich selbst bin im Moment sehr unglücklich und komme mit meinem Sohn nicht zurecht. Aber seit Fireball bei mir war, fühle ich wieder das Licht in meinem Leben. Er hat es mir neue Hoffnung geschenkt und hilft mir, das durchzustehen und das Geschehene zu akzeptieren. Schon früher war Fireball immer der Sunnyboy in unserem Team und deshalb tut es mir weh, ihn so zu sehen. Sein richtiger, japanischer Name bedeutet 'Licht' und ich hoffe, dass es ein gutes Zeichen für uns alle ist. “

„Ich weiß genau, was du meinst, April“, sagte Lilly und legte erneut ihre Hand auf Aprils Arm.

„Was Jesse angeht, halte ich es für unklug, ihn überhaupt zu erwähnen. Er wird hier im Neuen Grenzland für tot angesehen und das sollte meiner Meinung nach so bleiben. Er kann uns sicher nützliche Dienste leisten, vorausgesetzt, dass er kooperieren will. Wie viele wissen in der Phantomzone von seiner Existenz?

„Fast jeder weiß, dass er lebt“, antwortete Lilly. „Aber er wohnt allein und ziemlich zurückgezogen seit Jean an der Macht ist. Jetzt kann ich mir zumindest erklären, warum er die Nähe anderer meidet. Er war ein Außenseiter seit er zu uns gestoßen war. Sein Verschwinden ist nicht unbemerkt geblieben, aber man hat ihn nicht weiter verfolgt, weil die Energiereserven nicht ausreichten.“

„Verstehe.“ April legte nachdenklich einen Finger an ihre Lippen und verharrte für ein paar Momente in dieser Position. „Ich schätze, wir können jetzt nicht mehr alleine entscheiden, was passieren soll. Wir haben eine Idee und es liegt an den anderen, uns anzuhören und sie mitzutragen. Sollten sie sich weigern, dann …“

„…steht bald ein neuer Krieg bevor“, schloss Lilly tonlos.

The Fall of Frontiers

„Komm schon, Colt! Wir sind spät dran!“, rief Fireball von draußen und hupte.

Trotz der Eile strich Liz noch einmal über Colts frisch rasierte Wange und entfernte nicht sichtbare Staubflocken von seiner Uniformjacke. Sie wollte, dass er perfekt aussah an diesem wichtigen Tag und sie verstand nicht, wie er so lässig sein konnte.

„So siehst du super aus“, beendete sie schließlich zufrieden ihr Zurechtzupfen.

„Ich sehe immer super aus“, spaßte Colt, bevor er nach seinem Hut griff und ihr einen kleinen Kuss aufdrückte. „Also dann bis später, meine süße Hexe.“

„Colt! Der bleibt hier!“ Gerade noch rechtzeitig schnappte Liz den Stetson aus seiner Hand und hängte ihn wieder an den Haken. „Wir haben einen Deal, falls du dich erinnerst“, tadelte sie ihn, konnte aber nicht ganz so streng wirken wie sie sein wollte. Das war so typisch für den Cowboy, aber genau deswegen liebte sie ihn so sehr.

„Du wärst doch enttäuscht gewesen, hätte ich es nicht versucht“, zwinkerte er ihr zu, bevor er zum Auto ging.

„Die Delegation landet in dreißig Minuten“, begrüßte Fireball ihn und gab direkt Gas. Er trug ebenfalls eine Star Sheriff-Uniform und hatte sogar versucht, seine sonst so wirre Frisur unter Kontrolle zu bringen, was ihm halbwegs gelungen war.

„April hat mir gerade gesagt, dass das ganze Yuma-Center schon von tausenden Reportern belagert ist.“

„Das ist ja kein Wunder. Sabers Pressemitteilung über das Hilfegesuch der Outrider ist eingeschlagen wie eine Bombe! Seitdem sind alle im Neuen Grenzland aufgedreht wie ein Bienenschwarm.“

„Und ich schätze, das ist erst der Anfang. Wenn die Friedensverhandlungen erst einmal am Laufen sind, dann wird das Ganze bestimmt noch schlimmer.“

„Dahin müssen wir erst einmal kommen“, erinnerte Colt, der sich an einen Griff festhielt, als Fireball mit quietschenden Reifen eine Kurve nahm. Wie Colt es von dem Rennfahrer gewohnt war, fing er den Wagen geschickt ab und er machte sich keine Sorgen darüber, dass sie unpünktlich sein würden.

„Ich bin froh, dass du dich auch dazu entschieden hast, den Outridern zu helfen, Partner“, sagte Fireball und lächelte ihn an.

„Was blieb mir schon groß für eine Wahl, hm? Gefallen tut es mir allerdings nicht so recht. Ich hoffe nur, dass sie uns diesmal nicht an der Nase herumführen, so wie damals. Und glaub mir, ich werde ein Adlerauge auf die werfen, ganz besonders auf Jean-Claude und Jesse. Diese Typen bleiben mir suspekt und sollte einer von ihnen nur eine falsche Bewegung machen, sind sie fällig.“ Colt fiel es nach wie vor schwer, sich an den Gedanken zu gewöhnen, den Outridern zu helfen. Liz zuliebe wollte er es jedoch versuchen und spielte deswegen mit. Außerdem vertraute er Saber Rider, und Fireball konnte er einfach nicht lange böse sein, so dass ihm nur diese eine Möglichkeit geblieben war.

„Das werden sie nicht, da bin ich sicher.“

„Wir werden sehen“, widersprach Colt, als Fireball das Tempo drosselte, denn sie waren am Raumhafen angekommen. Etliche Reportermassen hatten sich am weithin abgeriegelten Eingang versammelt und versuchten Informationen zu ergattern und Fotos zu schießen. In ganz Yuma City bot sich ein ähnliches Schauspiel und die Reporter schienen sich stündlich exponentiell zu vermehren.

Fireball hielt an dem Kontrollposten an, bevor es auf das Gelände des Yuma-Raumhafen ging, denn alle Fahrzeuge und Insassen wurden auf mögliche Sprengkörper und Waffen überprüft.

Fireball reichte dem Posten ihre Erlaubnis, die sie dazu befähigte, Waffen zu tragen. Trotzdem mussten sie aussteigen, damit jede einzelne Tasche ihrer dunkelblauen Uniformen untersucht werden konnten, dann durften sie endlich passieren.

Ihre Aufgabe war es, die Delegation aus der Phantomzone, die aus Jean-Claude, Lilly und Jesse bestand, in Empfang zu nehmen und mit einem kleinen Gleiter zum Yuma-Center zu bringen, wo die Friedenskonferenz stattfinden würde. Colt wäre zwar lieber in seinem Phoenix dorthin geflogen, aber er hätte nicht alle Personen darin unterbringen können. Darüberhinaus war es eine Prinzipsache, dass er keinen Outrider an Bord seines Schiffes haben wollte, auch wenn er jetzt nach außen hin eine andere Meinung vertrat. Er wusste, dass er das Richtige tat, aber es fiel ihm selbst verdammt schwer, daran zu glauben und die alten Vorurteile abzuwerfen.
 

Auf dem Vorfeld war bereits ein großes Begrüßungskomitee zusammen gekommen, nur auf den sonst bei Staatsbesuchen üblichen roten Teppich hatte man verzichtet.

„Ich glaube, sie haben das ganze Kavallerie-Oberkommando einschließlich aller Kadetten hierher beordert“, stellte Colt bei dem Anblick leise fest. „So viele Star Sheriffs hab ich noch nie auf einem Haufen gesehen.“

„Keine Ahnung, dieses ganze Tamtam und Brimborium hab ich nie kapiert“, murmelte Fireball.

Neben den ganzen Star Sheriffs waren ausgewählte Reporter der größten Zeitungen des Neuen Grenzlandes anwesend, die die Ankunft live übertragen und fotografieren würden. Sämtliche Einwohner der Galaxie richteten in diesem Moment ihre Aufmerksamkeit auf Yuma City und warteten gespannt auf die neuesten Übertragungen aus der Hauptstadt.

„Captain Wilcox, Captain Hikari, wie stehen Sie zu dem Ganzen?“ Immer wieder versuchten die Reporter in ihrer Nähe ihnen irgendwelche Kommentare aus der Nase zu ziehen. Langsam war Colt genervt, aber sein Kollege schien sich nur darüber zu amüsieren.

„Jetzt weißt du mal wie es mir im Rennzirkus erging“, grinste Fireball. „Man bekommt immer wieder die gleichen Fragen gestellt. Ignoriere sie einfach, und wenn du Glück hast, geben sie irgendwann von selbst auf.“

„DA KOMMEN SIE!“, brüllte ein Reporter, der sich etwas weiter weg postiert hatte. Er deutete in den Himmel, und tatsächlich waren die Umrisse eines Gleiters zu sehen, der langsam herab sank. Colt beobachtete den Landeanflug der Delegation genauso gebannt wie alle anderen. Nacheinander stiegen sie aus und Colt sah, dass ihre Gesichter ernst aussahen. Ihre Kleidung war ähnlich förmlich wie ihre eigene und falls sie unsicher waren, ließen sie es sich nicht anmerken.
 

Fireball setzte sich in Bewegung und ging auf sie zu, um sie in Empfang zu nehmen.

„Herzlich willkommen im Neuen Grenzland, Jean-Claude“, begrüßte er sie und reichte ihnen nacheinander die Hand. Colt tat es ihm gleich und bemühte sich, sein Gesicht nicht allzu geringschätzig aussehen zu lassen. „Saber erwartet euch im Yuma-Center und hat uns gebeten, euch dorthin zu bringen.“

„Danke, Fireball“, sagte Jean-Claude schlicht und folgte Fireball mit Lilly zum anderen Gleiter, während Colt mit Jesse die Nachhut bildete.

„Du hast deinen Botschafterumhang vergessen, Jesse“, spottete Colt mit einem freundlichen Lächeln, um für die Kameras die Form zu wahren. Die Reporter würden dies allerdings nicht hören können, da sie einen gewissen Sicherheitsabstand zu ihnen einhalten mussten.

„Er ist nicht mehr in Mode“, konterte Jesse schlagfertig und ein typisches Blue-Grinsen zuckte um seine Mundwinkel. Colt schob es darauf, dass er diese Farce genauso lächerlich fand wie er selbst. Sie würden sich nie ausstehen können, Frieden hin oder her; wenigstens darin waren einer Meinung.

Fireball setzte sich hinter das Steuer, holte die Starterlaubnis und hob in Richtung Yuma-Center ab, nachdem alle auf ihren Plätzen saßen. Alles wurde peinlich genau von den Reportern dokumentiert.

„Ich hoffe, ihr habt eure Waffen zu Hause gelassen“, bemerkte Colt spitz, nachdem sie gestartet waren und sie damit nicht mehr durch die Reporter unter Beobachtung standen.

„So wie es vereinbart war“, bestätigte Jean-Claude ruhig, der derartige Provokationen erwartet hatte.

„Ich hoffe, dass wir hier das Richtige tun“, sagte Colt nur halb zufrieden. Er konnte sich diese Bemerkung nicht verkneifen, zu sehr reizte ihn die Situation an und er musste die Spannung loswerden und sei es nur durch eine solche Unmutsäußerung.

„Colt! Das haben wir doch schon tausendfach durchgekaut“, bemerkte Fireball vorwurfsvoll.

„Schon gut“, ging Jean-Claude dazwischen. „Ich kann verstehen, dass Colt so denkt und er wird bei weitem nicht der Einzige sein. Es liegt jetzt an uns, das Gegenteil zu beweisen. Das wird ein harter Weg, aber wir scheuen uns nicht davor.“

„Leere Worte“, schnaubte Colt.

„Wir werden das Gegenteil beweisen“, versprach Lilly entschlossen, ehe die Situation zu eskalieren drohte. „Es ist uns ernst.“

Jean-Claude war dankbar dafür und lenkte ab, indem er in die Ferne deutete, wo dunkler Rauch zwischen den Hochhäusern aufstieg. „Ich nehme an, dass schon einige Demonstrationen wegen es Treffens stattfinden.“

„Stimmt“, bestätigte Fireball seufzend. „Seit Saber vor einer Woche vor die Presse getreten ist, wird über nichts anderes mehr berichtet. Die alten Geschichten werden aufgewärmt und breitgetreten. Sabers Telefon steht nicht mehr still und die Bevölkerung hat Angst. Es hat schon einige Unruhen gegeben, aber bisher verlief zum Glück alles glimpflich.“ Er steuerte den Gleiter durch die zahlreichen Helikopter, die den Luftraum über Yuma absicherten und landete schließlich auf dem Dach des Yuma-Centers. Bevor er die Türen öffnete, drehte er sich zu den anderen um und lächelte seine Begleiter der Reihe nach an. Ihnen allen stand die Anspannung ins Gesicht geschrieben, jetzt, wo sie nicht unter Beobachtung der Medien standen. Gleich, wenn sie ausstiegen, mussten sie wieder eine professionelle Miene aufsetzen.

„Ich wünsche uns allen, dass unser Vorhaben gelingt“, sagte er.

„Das wünsche ich uns ebenso, Fireball“, nickte Jean-Claude und drückte ihm kurz die Hand.

„Kommt schon, bringen wir es hinter uns“, drängte Colt, dem diese Gespräche zu unrealistisch und fremd waren. Er konnte sich einfach nicht an den Gedanken gewöhnen und trotzdem spielte er das Spiel mit. Immerhin - als er an seine Liz dachte, fiel es ihm sogar ein bisschen leichter.

Nacheinander stiegen sie aus und diesmal ging Colt voraus. Auf dem Dach war ein blauer Teppich ausgerollt, der zum Eingang führte, als Eingeständnis an das Protokoll, das es bei Staatsbesuchen zu beachten galt. Auch hier gab es eine Reihe Militärs, die salutierten, als sie sie passierten. Obwohl sich alle formell anstandslos verhielten, meinte Jesse deutlich den Hass zu spüren, der ihnen entgegengebracht wurde.

‚Das war schon mal ein kleiner Vorgeschmack dessen, was uns noch bevorsteht’, dachte er grimmig und behielt nach außen seine unbeteiligte Fassade.

„Der hat Nerven hier aufzutauchen“, hörte er einen der Star Sheriffs sagen, kaum dass sie das Gebäude betreten hatten. Lilly sah ihn erschrocken an und auch Fireball drehte sich zu ihm um. Sie hatten es also auch gehört. Sein Blick warnte ihn und die anderen, das auf sich beruhen zu lassen und einfach weiterzugehen. Leicht nickte Jesse, presste seine Lippen zusammen und ging weiter. Ihm war zwar bewusst, dass er nichts anderes zu erwarten hatte, trotzdem schmerzte es ihn, dies in der Realität zu spüren. Er war sicher, dass Jean-Claude und Lilly ebenso empfanden.

Vor einer hohen Tür mit zwei Flügeln hielt Colt. „Das ist der Konferenzsaal. Jetzt wird es ernst.“
 

Jean-Claude schluckte trocken und er spürte wie sich seine Anspannung steigerte. Er erinnerte sich an die seine Frage, die er im Red-Wing-Gefängnis gestellt hatte, nachdem April und Lilly ihre Idee vorgebracht hatten.

„Was soll es bringen, wenn ich die Bitte wiederhole?“, hatte er gefragt, woraufhin Saber ihn mit einem undefinierbaren Blick ansah.

„Es ist eine Prüffrage an die Menschheit: Glaubst und vertraust du der Menschheit? Entweder wir schaffen das oder wir scheitern. Wenn wir scheitern, wird die Menschheit auch irgendwann daran zugrunde gehen.“

Nicht nur ihm war es eiskalt den Rücken hinunter gelaufen.
 

„Seid ihr bereit? Dann lassen wir den Spaß beginnen“, sagte Colt und schob die beiden Flügel auf.

Schlagartig wurde es still im Saal und alle Augen richteten sich auf sie.

„Saber, Jean-Claude Cody und seine Delegation aus der Phantomzone sind eingetroffen“, verkündete Colt, obwohl jedem einzelnen Anwesenden klar war, wer hier gerade angekommen war.

„Danke, Colt“, nickte Saber und kam ihnen entgegen.

„Jean-Claude, Lilly, Jesse, ich heiße euch herzlich willkommen auf Planet Yuma“, begrüßte er sie nacheinander in aller Form. Zuvorkommend bot er ihnen Plätze neben seinem an. Colt und Fireball blieben an der Tür stehen, wie sie es mit Saber besprochen hatten. Sie würden nicht aktiv an den Gesprächen teilnehmen, aber sie sollten anwesend sein, so wie April, die ihre Aufgabe als Sabers rechte Hand wahrnahm.

Jesse fühlte die feindlichen Blicke der einzelnen Vertreter der Planeten wie Dolche auf sich, fast wie damals, als er den Waffenstillstand ausgehandelt hatte. In jenen Tagen war er ein anderer Mann gewesen, selbstsicher, egoistisch, fehlgeleitet. Heute hielt er sich selbst für einen besseren Menschen, zu dem er nicht zuletzt wegen seines missglückten Rachefeldzugs geworden war. Vieles hatte ihm die Augen geöffnet und er bedauerte aufrichtig die Fehler, die er in seiner Vergangenheit gemacht hatte.

Er nickte Admiral Eagle und April zu, bevor er sich setzte und sah in die Runde. Kaum ein Gesicht sagte ihm etwas, nur Prinz Roland vom Königreich Jarr hatte er schon einmal auf Bildern gesehen. Wenigstens sah dieser nicht ganz so unfreundlich zu ihnen, eher neugierig und interessiert mit einer gehörigen Portion Skepsis.

„Meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihr zahlreiches Erscheinen angesichts des Hilferufs aus der Phantomzone, der uns vor einer Woche ereilt hat. Zunächst möchte ich Sie bitten, sich unseren Gästen vorzustellen“, forderte Saber den Rat auf. „Admiral Eagle, würden Sie bitte beginnen?“

Nacheinander stellten sich die fünfzehn Vertreter der besiedelten Planeten vor, obwohl man das anhand der vor ihnen aufgestellten Namensschilder erkennen konnte. Die dazugehörigen Wimpel der jeweiligen Planeten steckten in Haltern und Jesse erkannte einige, die neu für ihn waren. Demnach hatte das Neue Grenzland expandiert.

Die Stimmung im Raum waberte vor Anspannung, Feindseligkeit und Neugier, die nur durch das Korsett der Förmlichkeit im Zaum gehalten wurde, das eine solche Sitzung mit so hochkarätigen Landesoberhäuptern mit sich brachte.

„Vielen Dank“, sagte Saber zufrieden und entspannte ein wenig. Das Eröffnungsszenario hatten sie schon einmal ganz gut über die Bühne gebracht. „Ich übergebe nun das Wort an Jean-Claude Cody, der sein Anliegen vortragen wird. Bitte, Jean.“

Jean erhob sich und sah in die Runde. „Meine Damen, meine Herren, zunächst einmal möchte ich Ihnen danken, dass Sie uns hier empfangen haben“, begann er ruhig und Jesse bewunderte seine Souveränität, mit der er die Situation meisterte und sich nicht von den feindlichen Gesichtern aus dem Konzept bringen ließ.

„Mein Name ist Jean-Claude Cody und ich bin zu Ihnen gekommen als der amtierende König der Phantomzone. Meine Begleiter sind Lilly de Winter und Jesse Blue. Mein Anliegen ist recht einfach erklärt“, sagte er und schaute in die Runde. „Bitte retten Sie mein Volk vor dem sicheren Tod.“

„Das ist unverschämt!“, beschwerte Präsident dos Santos vom Planeten Pecos aufgebracht, ein wohlgenährter Mann mit dunklen Augen und wenigen Haaren. „Wie können Sie so eine absurde Forderung stellen!“

„Das sehe ich genauso!“, stimmte die Präsidentin Paylynn von Parge zu, die in ihrem grauen Kostüm konservativ wirkte wie eine unnachgiebige Lehrerin. Ihre schmale Brille und die strenge Frisur trugen dazu bei, diesen Eindruck zu verstärken.

Saber wollte sofort dazwischen gehen, aber Jean-Claude meisterte diese Einwürfe ruhig.

„Ich bitte Sie darum, mein Anliegen erläutern zu dürfen“, bat er. „Nichts weiter wünsche ich mir gegenwärtig von Ihnen.“

„Denken Sie, Sie können ihm dies gewähren?“, hakte Saber nach und als kein Widerspruch kam, nickte er seinem Nebenmann auffordernd zu. Wie zuvor im Red-Wing-Gefängnis gab Jean auch in dieser Runde einen umfassenden Bericht über die Geschehnisse in der Phantomzone und die gegenwärtigen Zustände. Damit sie alle einen Eindruck davon bekamen, hatte er Bildmaterial mitgebracht, das Lilly vorführte.

Nach einer halben Stunde kam er zum Ende.

„Aus diesen Gründen ersuche ich Sie ergebenst um Ihre Hilfe“, schloss er, und im Saal war es still.

„Wieviele Einwohner hat die Phantomzone?“, richtete Roland schließlich das Wort an den Outrider, der nach dem Tod seines Vaters den Thron des Königreichs Jarr bestiegen hatte.

„Wir sind knapp 70.000“, antwortete Jean. „Es werden täglich weniger.“

Jedem im Saal war bewusst, dass das Neue Grenzland eine Einwohnerzahl hatte, die um ein Vielfaches größer war. Allein von dieser Warte aus betrachtet, waren die Outrider nicht als Bedrohung einzustufen. Andererseits konnte auch eine kleine Gruppe im Untergrund einen Krieg vorbereiten. Diese Angst konnte den Menschen keiner nehmen, und Jesse verstand die Skepsis.

„Was ist, wenn sie einen Hinterhalt planen? Wer gibt uns Sicherheit?“, warf Präsident Rutherford aus Dakota ein, ein recht junger Präsident, etwa in Sabers Alter. Er wirkte auf Jesse etwas nervös und schien überfordert mit der Situation, weshalb er wohl auf diese Weise reagierte. „Und wenn wir uns dazu entschließen sollten, wie soll die Form der Hilfe aussehen?“

„Ich denke, wir alle haben gesehen, welche Zustände in der Phantomzone herrschen“, antwortete Saber. „Demnach sollte die Art der Hilfe deutlich geworden sein. Es fehlt an Wasser, Nahrung, Medikamenten und Unterkünften. Eine hundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben, aber ich für meinen Teil möchte meine Vorurteile nicht darüber entscheiden lassen, ob ein Volk ausstirbt.“

Rutherford presste seine Lippen zu einer schmalen Linie und ballte seine Hand zur Faust. Saber musste vorsichtig sein, er machte sich gerade einige Feinde.

„Für mich steht nicht zur Diskussion, ob wir Hilfe gewährleisten oder nicht“, meldete sich Admiral Eagle zu Wort. „In unserer gemeinsamen Verfassung der Vereinten Planeten haben wir alle die Menschenrechte akzeptiert. Diese Charta beinhaltet ebenfalls das Gewähren humanitärer Hilfe. Daran sollten wir uns erinnern!“

„Aber das sind Outrider!“, erinnerte Rutherford mit zornesgeröteten Wangen.

Jesse, der es bis zu einem gewissen Teil gewohnt war, solchem Hass zu begegnen, sah zu Lilly, die mit versteinerter Miene neben ihm saß. Er konnte sehen, dass ihr das alles sehr nahe ging und er tat etwas, was er bis vor ein paar Wochen nicht getan hätte – er strich über ihren Arm und zwinkerte ihr aufmunternd zu. Sie war verwirrt und lächelte unsicher zurück.

„Und was ist mit ihm?“, rief Paylynn dazwischen und deutete anklagend auf Jesse. „Er hat das Neue Grenzland schon einmal verraten! Vielleicht ist es ein neuer Trick!“

„Stellt ihn vors Kriegsgericht!“, verlangte dos Santos.

‚Das hab ich kommen sehen’, dachte Jesse und seufzte innerlich, bevor er sich mit gestrafften Schultern erhob. Natürlich war er auf so etwas vorbereitet.

„Wir sind nicht hier, um über Jesse Blue zu urteilen“, sagte Saber und erhob sich ebenfalls. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und gab ihm damit zu verstehen, dass er diese Angelegenheit klären würde, so wie es sich für den Präsidenten des Neuen Grenzlandes gehörte. Jesse verstand den Wink und würde sich hüten, Sabers Autorität vor allen infrage zu stellen, indem er sich ihm widersetzte; daher ließ er sich wieder auf seinen Platz sinken.

„Wenn wir uns dazu entschließen – und ich möchte hinzufügen, dass sich für mich diese Frage nicht stellt – den Outridern zu helfen, werde ich persönlich für Jesse Blues Überwachung sorgen.“

„Er soll hängen!“, verlangte dos Santos und Saber schenkte ihm einen finsteren Blick.

„Ich möchte daran erinnern, dass der Galgen im Jahr 2035 abgeschafft und verboten wurde, wie die Todesstrafe im Allgemeinen“, fügte Saber neutral hinzu, wofür ihm eine abgrundtiefe Hasswelle des Pecos-Präsidenten entgegen schlug. Doch Saber wäre nicht Saber, wenn er seine Anliegen mit Gewalt durchbringen wollte. Er war ein geschickter Rhetoriker.

„Ich weiß genau wie Sie fühlen“, setzte er an. „Und ich weiß sehr genau, dass wir schon einmal einen Friedensvertrag mit den Outridern eingegangen sind, der schon bald gebrochen wurde. Admiral Eagle war damals dabei, er war in den Fängen der Outrider gewesen und hat einen Einblick in ihre Lebensweise bekommen. Mein Team“, er deutete auf April, die schweigend neben ihrem Vater saß, dann auf Colt und Fireball an der Eingangstür, „hat damals die entscheidende Schlacht siegreich beendet. Wir sind verantwortlich für den Zustand, in dem die zivilisierte Bevölkerung der Outrider heute leben muss. Sie sind hierher gekommen mit einer ehrlichen Bitte um Hilfe, weil sie vom Aussterben bedroht sind. Wer von Ihnen möchte für den Genozid verantwortlich sein, dann melden Sie sich hier und jetzt!“ Saber wählte diese drastischen Worte bewusst, denn die Verhandlungen wurden live übertragen. Sich hier zu melden, bedeutete, sich in aller Öffentlichkeit als Mörder und Gesetzesgegner zu outen. Es war ein geschickter und gefährlicher Schachzug.

„Ach darum geht es, Sie wollen Ihr Gewissen beruhigen“, schnaubte Paylynn.

„Keineswegs. Die Vergangenheit ruht und ist abgeschlossen. Vielmehr stehen wir nun an einem Neuanfang“, antwortete Saber ruhig. „Es liegt an uns, diesen in unser aller Interesse zu gestalten. Sie haben mich als Präsidenten des Neuen Grenzlandes gewählt und mir damit Ihr Vertrauen ausgesprochen. Nun bitte ich Sie darum, mir dieses Vertrauen durch Ihre Taten zu beweisen. Ich bin bereit, den Outridern - unseren ehemaligen Feinden - meine helfende Hand zu reichen. Wenn wir diese Chance nicht ergreifen, lastet entweder die Tatsache, Genozid begangen zu haben auf unser aller Gewissen oder wir werden, sollten die Outrider überleben, mit größter Wahrscheinlichkeit auf einen neuen Krieg zusteuern. Vielleicht nicht in unserer Generation, vielleicht nicht in der unserer Kinder. Aber, eventuell haben ihn schon unsere Enkelkinder? Wer weiß das schon! Selbst, wenn dieses Ereignis nicht eintreten sollte, so würden Generationen mit dieser immerwährenden Angst leben. Soweit darf es nicht kommen und ich bitte Sie alle, Ihre Antwort gründlich zu überdenken und die Auswirkungen auf unsere Zukunft und auf die der Outrider mit einzubeziehen, einschließlich unserer Nachkommen.“ Eindringlich sah er jeden einzelnen am Tisch an. Manche Gesichter zeigten erste Anzeichen von Zustimmung, andere waren trotzig und verkniffen. Wieder andere waren überfordert und unentschlossen.

„Ich denke, Sie müssen sich mit Ihren Parlamenten kurzschließen und wir sollten die Konferenz an dieser Stelle unterbrechen und vertagen. Da diese Entscheidung zwar sorgfältig getroffen werden muss, die Zeit aber ebenfalls drängt, erwarte ich Ihre Ergebnisse morgen Mittag um 12 Uhr. Das ist im Moment alles. Vielen Dank.“

Nacheinander verließen die Ratsmitglieder den Saal, um sich in ihre Räumlichkeiten zurückzuziehen, die man ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Draußen wurden sie von Reportermassen bestürmt, die erste Aussagen und Stimmen der Teilnehmer einfangen wollten, auch wenn sie im Moment allenfalls vage Floskeln zu hören bekommen würden.

König Roland war der Letzte, der sich erhob und nickte Saber anerkennend zu, ehe er den anderen folgte. Zurück blieben Admiral Eagle, das ehemalige Ramrod-Team und die Delegation aus der Phantomzone.

„Eine gute Rede, Saber“, gratulierte Aprils Vater ihm und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.

„Danke, Sir“, sagte er mit einem schmalen Lächeln, das seine Anspannung verriet. „Ich hoffe nur, dass ich sie überzeugen konnte.“

„Tja, das wird sich morgen zeigen“, mischte sich Colt ein, „zumindest hast du ihnen ganz schön ins Gewissen geredet.“

Jean drückte Saber die Hand. Er fand keine passenden Worte, um ihm seinen Dank auszudrücken, aber Saber verstand ihn auch so. Sein Blick fiel auf Lilly, die immer noch still auf ihrem Platz saß.

„Lilly?“, sprach er sie an und sie sah überrascht auf. „Würdest du einen Moment mit mir auf den Balkon gehen?“ Lächelnd hielt er ihr seine Hand hin und sie ergriff sie zögerlich. Obwohl er nur Augen für sie hatte, spürte er, dass die anderen ihnen neugierig hinterher schauten.
 

Leichter Wind umfing sie, als sie hinaus traten und die Aussicht über Yuma genossen. Nur das knatternde Geräusch der Helikopter, die die umliegenden Straßenzüge wegen möglicher Risiken beobachteten, störte den vermeintlichen Frieden ein wenig sowie die in der Nähe aufsteigenden Rauchsäulen. Er blendete die Geräusche aus und konzentrierte sich nur auf sie.

„Verzeih mir, dass ich dir das nicht schon bei unserer letzten Begegnung gesagt habe, aber ich bin wirklich froh, dass du lebst.“ Sanft strich er ihr eine Strähne hinter ihr Ohr und sie ließ es geschehen. „Wie sehr, das ist mir erst bewusst geworden, als Jean dich mitgebracht hat.“

„Es ist oft nicht leicht, Saber“, gab sie zu und schob ihre Brille in ihr Haar zurück, „und besonders heute nicht. Aber ich werde stark sein, so wie du stark für uns bist.“ Sie lehnte sich ein wenig in seine Hand, die immer noch an der gleichen Stelle verweilte. „Ich bewundere dich dafür“, raunte sie und versank in seinen Augen. „Und auch, was du trotz allem für uns riskierst. Du warst schon immer zu gut für diese Welt und …“, sie stockte einen Moment, in dem sie nun ihre Hand an seine Wange legte, „…ich bedaure wirklich sehr, dass ich dich damals betrogen habe. Das wollte ich dir schon immer sagen, und ich bin froh, dass ich endlich die Gelegenheit dazu bekommen habe.“

„Lilly.“ Sabers Mund wurde auf einmal trocken und seine Finger streckten sich in ihr Haar aus. Es gab nur sie und ihn und eine leichte Brise, die durch ihre Haare strich. Er wusste nicht wie es geschah - kam sie einen Schritt näher oder er? – aber schließlich küssten sie sich wie sie es damals schon hätten tun sollen. Worte waren unnötig, er fühlte deutlich, dass ihre Gefühle für ihn echt waren. So etwas konnte man nicht spielen; und ihm war es gleichgültig, dass sie eine Outriderin war.
 


 

In der Nacht hatten die Leitungen und Satelliten für die Hypertransmitter Höchstleistungen vollbringen müssen, doch am anderen Tag war die Entscheidung, die Hilfe zu gewährleisten, mit 13 zu 2 Stimmen angenommen worden. Da die Mehrheit gegeben war, waren die anderen Planeten dazu gezwungen, diese mitzutragen.

„Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen. Wir werden Sie nicht enttäuschen“, sagte Jean-Claude und verbeugte sich tief und demütig vor dem Rat. Er fühlte eine riesige Last von seinen Schultern fallen und merkte erst jetzt, unter welcher immensen Spannung er gestanden hatte.

„Auch ich möchte mich bei Ihnen bedanken“, schloss Saber Rider sich an. „Ich werde sofort veranlassen, dass die ersten Hilfskonvois zusammengestellt werden. Es gilt, keine Zeit zu verlieren.“

„Eine Bedingung stellt der Rat allerdings an Sie“, meldete sich Präsidentin Paylynn zu Wort und Saber hielt inne.

„Bitte, fahren Sie fort“, lud er sie ein und ließ sich nichts von seiner Verärgerung anmerken.

„Ich dulde es nicht, dass ein Kriegsverbrecher frei herumläuft. Er muss vor Gericht gestellt und verurteilt werden!“, verlangte sie.

Jesses Herz klopfte schnell und er bedauerte einmal mehr die Fehler seiner Vergangenheit zutiefst. Allein der Gedanke daran, wieder eingesperrt zu sein, machte ihm Angst und erfüllte ihn mit Entsetzen.

„Auch darüber habe ich mir Gedanken gemacht“, stimmte Saber zu. „Da Jesse Blue für die Mitarbeit unabdingbar ist, werde ich persönlich für ihn bürgen. Damit sollte Ihrer Forderung Genüge getan sein.“

Jesses Kopf schnellte ungläubig zu Saber herum, ebenso wie Colts und Fireballs. Der stand jedoch einfach nur da und sah die Präsidentin von Parge ruhig an.

„Selbst wenn Sie für ihn bürgen, Mr. President, heißt das noch lange nicht, dass wir vor ihm sicher sind.“

Saber biss unmerklich seine Zähne zusammen. Er durfte nicht die Belange des Neuen Grenzlandes und dessen Gesetze außer Acht lassen, aber er brauchte Jesse hier.

‚Im Gefängnis ist er mir viel gefährlicher als hier. Selbst wenn er geschworen hat, dass dieses Geheimnis zwischen uns bleibt, könnte er seine Meinung nach ein paar Jahren ändern. Das Risiko ist zu groß.’ Seine Augen streiften über April, Colt und Fireball, die ihn alle ratlos ansahen.

‚Fireball ist mir eh noch etwas schuldig. Wenn er nicht gewesen wäre, wären wir jetzt nicht in dieser Situation’, dachte er. ‚Und Colt … vielleicht ist es nur zu deinem Besten, alter Junge, auch wenn es dir vielleicht nicht schmeckt. Verzeiht mir, dass ich das nicht vorher mit euch besprechen kann...’

Die beiden merkten, dass irgendetwas in Saber vorging und tauschten ein unbehagliches Stirnrunzeln aus.

„Mit einer permanenten Überwachung sollten auch Sie einverstanden sein, Mrs. Paylynn. Meine beiden hochgeschätzten Kollegen des ehemaligen Ramrod-Teams werden diese Aufgaben übernehmen. Ab sofort wird Jesse Blue dem Kommando von Captain Wilcox und Captain Hikari unterstehen und gleichzeitig in den Dienst der Star Sheriffs, und damit in den Dienst des Friedens, eintreten. Mit dieser Maßnahme sollten Ihre Forderungen umfassend erfüllt sein.“

Paylynn hatte ihre Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Es war offensichtlich, dass ihr das nicht passte, aber sie kam einfach nicht gegen den Präsidenten an und konnte nichts anderes tun als zuzustimmen.

Saber nickte ebenfalls und sah kurz zu Colt und Fireball, die erstarrt waren. Colts Halsschlagader pulsierte, und Fireball sah verwirrt aus, aber April beschwor die beiden mit kleinen Signalen, ruhig zu bleiben.

‚Auf sie ist eben Verlass’, dachte Saber stolz und unterdrückte ein leichtes Lächeln, was die Anwesenden eventuell fehl interpretieren könnten.

„Lassen Sie uns nun bitte auf die Planung der Hilfskonvois übergehen“, lenkte er ab. „Die ersten Schiffe müssen so schnell wie möglich starten, am besten schon morgen.“

„Wir sollten unsererseits eine Delegation mitschicken“, gab König Roland zu bedenken. „Ich möchte mir gerne selbst ein Bild von der Lage vor Ort machen.“

„Jean?“, fragte Saber.

„Diesem Wunsch steht selbstverständlich nichts entgegen“, stimmte der Outrider zu. „Ich werde Ihnen alles zeigen.“

„Ich selbst werde den ersten Konvoi begleiten“, kündete Saber an.
 

Jesse hörte nicht mehr zu. Was war eben passiert? Und was bedeutete das alles? Er hatte jedes einzelne Wort verstanden, und wagte doch nicht, den Inhalt der Worte zu glauben. Sollte er wirklich Glück haben? Nach all den Jahren?

Er sah zu Colt und Fireball, die ebenso verwirrt aussahen wie er sich fühlte.
 


 

Nach der Konferenz hatten sie sich in Sabers Villa eingefunden. Wie am Abend zuvor hatte Saber die Delegation hier untergebracht, da er sie weder zurückschicken noch in einem normalen Hotel unterbringen wollte.

Jesse befand sich in einem Nebenraum und betrachtete sein Spiegelbild. Dünn und blass sah er aus, aber seine Augen strahlten ihm entgegen. Er fand, dass ihm die Uniform der Star Sheriffs ausgesprochen gut stand und er würde sie stets mit Stolz tragen und erfüllen.

Colts Toben drang gedämpft zu ihm. Der Vertrauensvorschuss, den Saber mit seinen Taten in ihn setzte, indem er sich einerseits für ihn verbürgte und ihn zu einem Star Sheriff machte, überwältigte ihn derart, dass er meinte, in seinem Glück ertrinken zu müssen. Nie in seinem Leben war er derart dankbar und befreit gewesen und er wusste nicht, wie er sich Saber jemals für diese Großmütigkeit erkenntlich zeigen konnte. Ihm fielen nicht einmal passende Worte ein, mit denen er ausdrücken konnte, wie sehr er Sabers Tat schätzte.

„Ich bekomme wirklich eine zweite Chance“, stellte er gerührt fest und sah seinem Spiegelbild fest in die Augen. „Dieses Mal“, schwor er sich, „mache ich alles richtig.“

„Jesse?“ Es klopfte und April trat ein. Für einen kurzen Moment war Colts aufgebrachte Stimme deutlicher zu hören.

Lächelnd betrachtete sie ihn in seiner Uniform und kam schließlich näher. „Du siehst gut darin aus, Jesse. Ich gratuliere dir!“, sagte sie, und er war so überwältigt, dass er sie einfach fest umarmte. April ließ es geschehen und freute sich mit ihm und für ihn.

„Du weißt, wieviel mir das bedeutet“, murmelte er in ihr Haar.

„Zumindest ahne ich es. Colt ist mächtig sauer auf Saber. Er wird seine Wut bestimmt an dir auslassen und du wirst ihn immer Captain Colt oder Captain Wilcox nennen müssen“, kicherte sie, als sie sich nach ein paar Momenten von ihm löste.

„Meinst du?“, lachte Jesse auf. „Na, wenn er drauf besteht, mache ich das einfach, Hauptsache, ich muss ihm nicht die Schuhe putzen. Allerdings hätte ich auch noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen.“

„So? Was denn?“

„Er ist einfach so in unsere vertrauliche Unterhaltung damals im Red-Wing-Gefängnis reingeplatzt. Das war ziemlich unhöflich von ihm. Vielleicht sollte ich ihn mal auf einen Drink einladen und ihm ein paar Marnieren beibringen.“

„Jesse! Das ist gemein!“ In Jesses Augen blitzte der Übermut und April konnte nicht anders als zu lachen. Inzwischen wusste sie über Colts vergangene Jahre bescheid und hatte sogar seine Liz kennengelernt.

„Ich weiß“, zwinkerte Jesse. „Colt und ich werden wohl nie gut miteinander auskommen, aber ich verspreche dir, dass ich mich zurückhalten werde. Das ist eine zweite Chance für mich und glaube mir, die lasse ich mir nicht entgehen und werde beweisen, dass ich nicht der bin, für den mich bisher alle gehalten haben. Saber hätte mich genauso gut vor das Kriegsgericht stellen können und ich bin wirklich froh, dass er das nicht getan hat.“

„Du nutzt ihm und uns mehr, wenn du mit anpackst“, zwinkerte sie und verschwieg ihm die wahren Gründe, die hinter Sabers Handeln steckten. Sie hatte seine Strategie durchschaut und beglückwünschte Saber insgeheim dafür. Mit Colt und Fireball in einem Team wurde Jesse gleichzeitig überwacht und war vor Ort von größerem Nutzen für die Sicherung des Friedens als in einer Zelle. Außerdem bekamen sowohl Colt als auch Fireball dadurch eine neue Aufgabe, die den beiden ein neues Ziel in ihrem Leben gab. Gleichzeitig band Saber sie damit alle an sich und sicherte die Wahrung des Geheimnisses, das sie teilten.

Auch April fühlte sich gut. Das Wiedersehen mit ihren Freunden hatte ihr neue Hoffnung geschenkt und sie sah wieder zuversichtlich nach vorne. Saber bot ihr ebenfalls einen Platz an seiner Seite an, den sie ohne zu zögern angenommen hatte.

„Komm, wir gehen zu den anderen. Wir wollen über eure Aufgaben und das Einsatzgebiet sprechen“, sagte April und zog Jesse mit.

Colt durchlöcherte ihn mit einem finsteren Blick, während Fireball ihn in der Crew willkommen hieß. Trotz aller Widrigkeiten wuchsen Fireball, Colt und Jesse mit der Zeit zu einem echten Team zusammen, und Jesse verstand nach all den Jahren endlich, weshalb die Outrider den Krieg niemals hätten gewinnen können.
 

Wie geplant starteten die ersten Konvois unter Aufsicht von Saber, König Roland und einigen Reportern am nächsten Tag in Richtung Phantomzone, um Nahrungsmittel, Medizin und vor allem Wasseraufbereitungsanlagen zu bringen.

Doch schon die nächste Lieferung wurde von Outrider-Gegnern angegriffen und es kamen Leute zu Schaden. Saber verurteilte diese Aktion öffentlich und ließ die nächsten Konvois fortan beschützen, was eine Art Provokation und Bestätigung für die Radikalen darstellte. Das war nur ein kleiner Vorgeschmack dessen, was noch auf sie zukommen würde.
 

Ein weiterer Aufschrei ging durch die Bevölkerung, als Saber Rider ein paar Wochen später seine Verlobung mit der Outriderin Lilly de Winter ankündigte. Er stieß auf Unverständnis und Hass, aber auch auf Bewunderung und Zuspruch. Deutlicher konnte man nicht sehen, dass die Bevölkerung des Neuen Grenzlandes gespalten war.
 

Allen war bewusst, dass nur der Grundstein für einen dauerhaften Frieden und die Völkerverständigung zwischen den beiden Dimensionen gelegt worden war und dass viele Jahrzehnte, wenn nicht sogar ein Jahrhundert ins Land ziehen musste, ehe der Abstand zu dem Phantomkrieg so groß war, dass er für die nachfolgenden Generationen nicht mehr von Belang war, sondern nur ein Kapitel in den Geschichtsbüchern.

Bis dahin war es ein weiter, schwieriger Weg, dessen Grundstein die Star Sheriffs am heutigen Tage legten.
 

ENDE



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Kommentare zu dieser Fanfic (14)
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Von:  Sury
2016-01-05T13:32:04+00:00 05.01.2016 14:32
Ich kann mich meinen Vorrednern, mit Verneigung zu dieser Story, nur anschließen und auch 4 Worte von mir zum besten geben! HAMMER HAMMER HAMMER GIGANTISCH!!!!👏👏👏👏
LG Sury
Von:  Bluey
2015-01-20T15:02:06+00:00 20.01.2015 16:02
hach, ich hab bisher noch nicht einmal Kommitiert und dabei les ich deine Story immer wieder gerne...
Die Entwicklung der Hauptchars ist der Hammer...
Fünf völlig unabhängige Leben und dir gelingt der Spagat, sie alle wieder unter einen Hut zu bekommen- wahnsinnsleistung.

Jesse:
ich liebe ihn und ich wusste die ganze Zeit nicht, find ich seine Pläne nun toll oder abartig und da man bis so fast am Ende nicht weiß, wohin die Reise geht ist es ein ewiges Hin und Her zwischen "Ja super" und "och nö oder?"
Seine gesamte Entwicklung ist super, schlüssig, durchdacht und einfach nur traurig... bis naja, bis zu Ende halt.

Fireball:
der arme Kerl, so hat er sich das bestimmt nicht vorgestellt. zum Glück fängt Jesse mit ihm an und verpasst ihm die richtigen Tritte, um ihn wieder in die Spur zu bekommen. Das geht ja mal gar nicht, was er mit sich machen lässt. Das Leben ist nicht einfach, auch für Sunnyboys nicht.

Colt:
damit hab ich nicht gerechnet. Ich meine, ich les die Story nicht zum ersten Mal, aber ich erinnere mich immer noch an meine Überraschung, den Cowboy so vorzufinden. Und dennoch, deine Erklärung, wie es soweit kommen konnte ist beeindruckend schlüssig und logisch...
und Colt bleibt sich trotzdem die ganze Zeit irgendwie treu. Am Boden, aber nicht am Ende und wieder ist es Jesse, oder besser gesagt, dessen Anwesenheit, die auch Colt rettet

April:
die Arme, aber naja, so spielt das Leben. Sie wird es mit Hilfe ihrer Freunde hinbekommen...

last but not least:
für mich DIE Figur in der Story... ich hab ihn gehasst, geliebt, hinterfragt, hinterhergerätselt... und das alles auf einen Haufen.
Und zum Schluss: der Kerl ist der Wahnsinn. Er bleibt sich treu und hat aber auch Schattenseiten. Und alles ist so unglaublich überzeugend von dir dargestellt.

Eine Meisterleistung, anders kann man es nicht beschreiben!
So, wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich vermutlich noch viel mehr schreiben, aber im Moment fehlt mir die leider!

Ich freu mich auf weitere Werke!
Von: abgemeldet
2013-04-23T17:21:02+00:00 23.04.2013 19:21
Oh? Nur 11 Kommentare? Das find ich wirklich zu wenig für diese Geschichte!

Liebe Yayoi, danke für diese schöne Geschichte. Sie hat mich nun fast einen Monat begleitet und wirklich Spaß gemacht zu lesen. Ich finde du hast die Charaktere wirklich gut getroffen, besonders schön fand ich es, wie du das Innenleben aller Charaktere beleuchtet hast. Dadurch hast du einem Jesse wirklich sehr, sehr nahe gebracht.
Ich mochte aber auch deine Ideen, was aus den Charakteren wird. Und ich LIEBTE die Gedanken von Jesse, dass er ja alle am Boden sehen wollte, dass sie dies aber selbst getan hätten. Ich weiß nicht, da kam einfach Gefühl auf. Wirklich, wirklich toll!
Du hast die Handlung auch wirklich nachvollziehbar und gut dargestellt, wenn auch am Ende etwas zu viel Dialog da war, zumindest für meinen Geschmack. ;) Aber ansonsten... toll!
Außerdem finde ich die Kapiteltitel toll gewählt. Sie passen einfach. Vor allem auch, weil sie Struktur haben. Hach, ich liebe Struktur. :D

Das einzige, was ich bemängeln könnte, wäre, dass sich einige kleine Fehlerchen in der Geschichte finden. Zum Beispiel scheint es, als hättest du die Silbentrennung manuell gemacht, weshalb manche Wörter einen unnötigen Bindestrich zwischendrin haben. Und ab und zu fehlt ein Wort. Aber bei der Länge der Geschichte fallen die Fehler nicht allzu sehr ins Gewicht. ;)

So und zu guter Letzt kommt das wohl größte Lob: Ich hab jetzt irgendwie total Lust, Saber Rider anzuschauen. ;)
Von:  Estel_13
2013-03-12T18:38:47+00:00 12.03.2013 19:38
also dafür das Jesse Rache will, kommt er mir doch sehr freidlich vor. Keine Ahung, irgendwie fehlt mir sein Sarkasmus und Egoismus ;) bin aber trotzdem gespannt wie es weiter geht. Saiber als Kriegstreiber?? wie soll das gehen?
^^

Von:  Yayoi
2013-02-17T10:12:29+00:00 17.02.2013 11:12
Huhu und danke für deinen Kommi!
Also, ich hab das mit dem Ausnüchtern recherchiert und die Rückfälle wird er sicherlich auch immer mal wieder haben. Das wollte ich nur nicht wirklich ausbauen, weil es sonst zu sehr von der eigentlichen Story abgelenkt hätte.
Ansonsten ist deine Erklärung, dass die Medizin schon weiter ist natürlich perfekt! :)

Und was Jesse angeht, da bin ich auch voll und ganz deiner Meinung. Er ist einfach der Beste ♥
Von:  Reblaus
2013-02-17T10:07:50+00:00 17.02.2013 11:07
Hey,
Also wie Du Colts Werdegang schilderst, gefällt mir . Bodenständig , wie er auch ist. Einzig allein , ich glaube , ausnüchtern dauert länger, vorallem dürfte Colt eigentlich Rückfälle haben, indem sein Koerper nach Ethanol verlangt . Aber vielleicht ist da die Medizin im Neuen Grenzland schon weiterentwickelt.

Zu Jesses Verhalten: spitze beschrieben! Er ist eben doch ein Mensch mit allen tiefen und höhen . Im Anime wird das eher verkannt, dass er sich t
Antwort von:  Reblaus
17.02.2013 11:13
Total menschlich verhaellt. Da wird immer nur die Gute Seite als menschlich dargestellt.

Diesen Knackpunkt nimmst Du Dir ja dann auch noch gleich weiter vor bei April. Ihre Gefühle sind nachvollziehbar ( normal) , aber anscheinend hat sie es bislang noch gut getroffen (Fireballs Erfahrung dürfte mehr weh tun, da seine Kinder aktiv beeinflusst werden).
Von:  Reblaus
2013-02-13T20:27:44+00:00 13.02.2013 21:27
Ein klasse Kapitel!
Da gibt es rein gar nix zu meckern, muss wohl auch der Grund sein , warum hier noch kein Kommentar steht.

Das Colt so reagiert , ist recht naheliegend: er gehoert weder der Partei offizielle Ordnungshüter an, noch kann er sich im Untergrund bewegen. Ein Ausgestoßener, ohne Weg und Ziel.
Jesse wird sich freuen, oder auch ärgern, wenn er davon erfährt . Hoffentlich wird er wieder gesund!
Von:  Yayoi
2013-01-14T19:47:05+00:00 14.01.2013 20:47
Vielen Dank für deinen Kommi! Lass dich einfach überraschen ;)
LG
Von:  Reblaus
2013-01-14T18:28:18+00:00 14.01.2013 19:28
Interessant, was für eine mögliche Wandlung Jesse erleben könnte. Wenn er seinen Gedanken folgen würde , wäre er ja nicht mehr der Fiesling ansich.
Wobei ich Jesses Verhalten nach der Demütigung in der Akademie verstehen kann. Auch , dass er damals nicht zurück konnte , obwohl er es sicher zu manchen Zeiten gerne getan hätte .
Tolle Idee seine Vergangenheit mit dem Namen Maverick in Verbindung zu bringen!
Und Saber scheint ja wirklich krumme Dinger zu drehen! Auf der einen Seite schade, da ich den "reinen" Saber liebe aber klar anders gäbe es keinen Grund eine Story zu schreiben ;-)

Mal sehen ob Fireball und Jesse wirklich zusammen passen! ( und hoffentlich dreht Jesse nicht durch und Fireball hat das Nachsehen)

Lg

Von:  Reblaus
2013-01-03T14:48:39+00:00 03.01.2013 15:48
Jetzt nehme ich mir mal kurz Zeit! Muss sein ;-) , ich mag die Ff gerne!

Also vorsichtig wäre ich schon bei Jesse, bisher hat er immer etwas ausgeheckt und Shinji ist derzeit an einem Punkt an dem er weiteren Aerger nicht gebrauchen kann. Ich aber es gut nachvollziehbar , dass man dann gerade sich etwas anderes sucht um abzuschliessen. Ich hoffe mal das das kein Reinfall wird ;-)

Lg Reblaus


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