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The Fall of Ideals

von

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The Fall of Loyality

Bald waren sie in Longview angekommen, einem nobleren Wohnort auf Yuma, der mit allerlei Sicherheitspersonal und -kontrollen versehen war. Fireball hatte Jesse darüber aufgeklärt, dass viele Prominente hier wohnten, weil sie hier einen Zufluchtsort vor lästigen Reportern und Neugierigen fanden.

„Ziemlich groß, deine Hütte“, bemerkte Jesse, als er hinter Fireball eintrat. Wie die Gegend vermuten ließ, bot das Haus einigen Luxus. „Hätte nicht gedacht, dass du auf so was Wert legst.“

„Es war nicht meine Idee, hierher zu ziehen“, blaffte Fireball. „Hier ist es wie auf dem Friedhof, nicht einmal … ach, vergiss es. Das Kapitel ist eh bald vorbei.“

Jesses Blick blieb an einem Familienfoto hängen und er nahm es in die Hand. Unwillkürlich musste er schmunzeln, als er die beiden Mädchen betrachtete, die dem Fotografen die Zunge herausstreckten und herumalberten. Fireball und seine Frau lachten darüber; damals schienen sie wirklich glücklich gewesen zu sein.

‚Ich war niemals glücklich!’, dachte Jesse neidisch und spürte Missgunst in sich aufsteigen. Er hätte es sein können, wenn sie nicht gewesen wären und genau deswegen hatten sie seine Rache verdient. Er würde seine ehemaligen Feinde nicht einfach töten, sondern sie ganz langsam dahin bringen, wo er selbst gewesen war: nach ganz unten. Fireball war zwar schon annähernd dort angekommen oder zumindest auf dem besten Weg dorthin. Daher musste Jesse sicher sein, dass er ihm gut zuredete, damit er sich ein wenig von seinem Elend erholte, um ihm dann endgültig den Rest zu verpassen; damit sicher war, das er für seinen Untergang verantwortlich war. So wie Colt und Saber Rider. Sie sollten alle am eigenen Leib spüren, wie es war, alles zu verlieren.

Jesse legte den Rahmen weg, mit der Bildseite nach unten, und folgte dem ehemaligen Star Sheriff ins riesige Wohnzimmer. „Wo sind eigentlich deine Frau und deine Kinder?“

Fireball fuhr so plötzlich herum als hätte ihn eine Wespe gestochen.

„Bei ihrem Neuen“, schnaubte er und seine Augen blitzten zornig. „Ich fange sofort mit dem Packen an, damit ich keine Zeit verliere und so schnell wie möglich hier rauskomme.“ Er setzte seinen Weg fort in einen angrenzenden Flur und hob erklärend seine Hand: „Tu dir keinen Zwang an und fühl dich einfach wie …“, er schien nach Worten zu suchen, „…wie sonst auch.“

‚Wie Zuhause wäre wohl etwas unpassend’, dachte Jesse und sah zu, wie Fireball eine Tür öffnete.

„Du kannst später hier pennen. Die Küche ist da“, er deutete vage in Richtung Wohnzimmer. „Nimm dir einfach, was du brauchst. Falls was ist, du findest mich oben.“
 

Das hatte sich Jesse wirklich anders vorgestellt. Fireball räumte fast die ganze Nacht lang in den Kinderzimmern herum und polterte so laut, dass Jesse sich weder auf die Nachforschungen konzentrieren konnte noch Schlaf fand. Nach nur wenigen Stunden Ruhe tobte Fireball weiter wie ein Tornado durch das Haus, packte Kartons, sortierte, telefonierte und warf alte Dinge weg. Papier und Kisten stapelten sich und das Chaos wurde in den nächsten Tagen immer größer und unübersichtlicher. Es war offensichtlich, dass das Haus Fireball nicht gut tat.

Jesse wurde davon und von der Hektik, die der Hausherr verbreitete, ebenso gereizt wie dieser und es fiel ihm schwer, weiterhin geduldig zu bleiben. Eine Auszeit war dringend notwendig, aber er wäre nicht Jesse, wenn er sich eine solche genehmigen würde. Beharrlich forschte er weiter und stieß dabei auf eine interessante Gelegenheit, die ihnen Abwechslung bieten würde.

„Fireball!“, rief Jesse nach dem anderen, der irgendwo im oberen Stockwerk herumfuhrwerkte.

„Was ist?“ Er klang eindeutig schlecht gelaunt.

„Was hältst du davon, wenn wir uns mal eine Pause gönnen und heute Abend ausgehen? Elegant und teuer.“ Jesse freute sich regelrecht, denn es bedeutete endlich ein weiteres Vorankommen in der Suche nach Beweisen. Die ständige Recherchearbeit am Computer und in Zeitungen war auf die Dauer sehr ermüdend und langwierig, da die Informationen sehr versteckt waren. Endlich war Bewegung in die Starre gekommen.

„Warum sollte ich mit dir ausgehen und dann ausgerechnet teuer?“, wollte Fireball wissen und zog eine Augenbraue hoch. Er lehnte am Geländer der Galerie und schaute zu ihm ins Wohnzimmer herunter.

„Weil wir heute Abend ins Margaux gehen; das ist ein Nobelrestaurant. Saber hat einen Termin mit zwei Herren von Rockwell. Sie treffen sich um acht.“

„Du meinst … wir beschatten Saber?“, fragte Fireball skeptisch.

„Du hast es erfasst. Rockwell ist ein Rüstungsunternehmen und ich denke, der Termin könnte verdammt interessant und aufschlussreich werden.“

Fireball presste seine Lippen zusammen. Dass ihm das ganz und gar nicht gefiel, konnte Jesse deutlich erkennen. „Was, wenn er uns erkennt?“, gab er zu bedenken. „Und woher hast du diese Informationen?“

„Ich habe zuverlässige Kontakte“, erklärte Jesse, der seine Informationsquelle natürlich nicht preisgab. Seine Rachemission schien wirklich unter einem guten Stern zu stehen, denn dass er diesen Kontakt hergestellt hatte, war anders nicht zu erklären. Es handelte sich um Vincent Noir, einen von Saber Riders vier Bodyguards, der seit einigen Monaten für Saber arbeitete und auf den er durch Zufall gestoßen war. Obwohl Vincent von Saber nicht schlecht bezahlt wurde, hatte er nichts gegen ein zusätzliches Einkommen, denn er verwettete sein Geld sehr gerne bei Boxkämpfen, Pferderennen, Fußball und allen möglichen anderen Gelegenheiten. Er war chronisch pleite und musste sich immer wieder Geld von seinen Eltern und seiner Schwester leihen, die ihm deshalb schon oft die Hölle heiß gemacht hatten.

Als Jesse Vincent dieses Angebot unterbreitete, war dieser gleich Feuer und Flamme gewesen. Jesse hatte sich ihm gegenüber als Reporter ausgegeben, der einen Kontaktmann brauchte, um die besten Berichte schreiben zu können, damit seiner Karriere nichts mehr im Weg stünde. Vincent ging auf diesen Deal ein und versorgte den vermeintlichen Reporter zuverlässig über die geheimen Vorhaben des Präsidenten. Jesse bezahlte ihn gut und Vincent war sehr verschwiegen, was ihre Zusammenarbeit betraf, ein Umstand, den Jesse sehr zu schätzen wusste.

„Saber wird uns nicht erkennen, wenn wir uns verkleiden und einen Tisch aussuchen, der nicht direkt einsehbar ist. Es gibt viele Pflanzen dort, die uns Sichtschutz geben können“, erklärte Jesse, der die Homepage des Edelrestaurants aufgerufen hatte. „Perücken und Zeug habe ich in meiner Wohnung. Außerdem brauchen wir ein paar unauffällige Abhör- und Aufnahmegeräte.“

„Ist das nicht trotzdem ein zu hohes Risiko?“ Fireball wand sich wie ein Aal.

„Nur, wenn wir als wir selbst dort auftauchen würden“, erwiderte Jesse und lehnte sich zurück, um Fireball besser ansehen zu können, der sichtlich mit sich haderte und überlegte, wie er das vermeiden konnte. Ein gefundenes Fressen für Jesse. Er fühlte sich wie eine Katze, die mit ihrer Maus spielte, bevor sie sie tötete. „Was ist, willst du etwa den Schwanz einziehen wie ein Feigling?“

„Ich muss hier fertig werden“, konterte Fireball wütend. Es war ein schwaches Argument.

„Auf ein paar Stunden mehr oder weniger kommt’s wohl nicht an, oder? Wenn dir das allerdings lieber ist, dann gehe ich alleine. Aber dann wirst du leider eine perfekte Gelegenheit verpassen, live dabei zu sein, wenn Saber seine krummen Geschäfte macht. Es wäre gut, wenn du das endlich mal mit eigenen Augen siehst!“ Zugegebenermaßen, das war sehr hoch gepokert, nur ließ Fireball sich nicht anders aus der Reserve locken.

„Was passiert mit uns, wenn wir auffliegen? Hast du eventuell schon mal daran gedacht, hm? Dir ist es vielleicht egal, aber mir nicht!“ Seine Stimme troff vor Hohn.

„Das wird nicht passieren, glaube mir einfach, so wie ich dir geglaubt habe, dass du hier schnell fertig wirst“, entgegnete Jesse.

„Witzbold.“

„Also bist du doch ein Feigling. Von so was musste ich mich besiegen lassen“, spottete Jesse und widmete sich seinem Laptop.

„Ich bin kein Feigling, verdammt, ich prüfe nur sämtliche Eventualitäten!“, verteidigte sich Fireball.

„Wo ist dann dein Problem? Saber wird uns nicht einmal sehen. Wir tun ihm nichts, wir hören nur zu! Du hast dich auf diese Mission eingelassen, schon vergessen?“, erwiderte Jesse erbost und funkelte Fireball an.

„Schon gut, reg dich ab. Ich bin dabei. Lass uns zu dir fahren, um uns auszurüsten“, sagte Fireball endlich und schien besänftigt.

Jesse nickte zufrieden. „Sehr gut. Ich reserviere uns eben einen Tisch, dann können wir los. Wir sollten später getrennt dort hingehen und es nach einem Geschäftstermin aussehen lassen.“

„Ein Geschäftstermin?“

„Ja, hängt mit unserer Tarnung zusammen. Ich erkläre dir alles unterwegs. Nimm einen Anzug mit.“

„Auf was hab ich mich da nur eingelassen?“, murrte Fireball nicht ganz überzeugt. „Aber damit eins klar ist: du zahlst!“
 


 

„Sie können für heute Feierabend machen, Helen, ich habe noch einen Termin“, verabschiedete Saber seine Sekretärin über die Sprechanlage auf seinem Schreibtisch.

„Danke, Sir! Bis morgen!“, antwortete Helen freundlich und Saber schenkte ihr ein kurzes Lächeln. Auf Helen war Verlass. Sie war nicht nur äußerst loyal und vertraulich, sondern verfügte über eine schnelle Auffassungsgabe und dachte mit, was Saber sehr zu schätzen wusste. Außerdem sah Helen hübsch aus und war repräsentativ, wenn ihre Begleitung zu offiziellen Anlässen erforderlich war.

Manchmal überlegte er, eine Affäre mit ihr zu beginnen, aber für solche Annehmlichkeiten hatte er einfach keine Zeit. Seine Aufgabe war es, sich um das Wohl des Neuen Grenzlandes zu kümmern, nicht um sich selbst. Genau das waren die Worte gewesen, die Sincia ihm damals enttäuscht vorgeworfen hatte, als sie ihn verlassen hatte. Er sei mit seinem Beruf verheiratet, nicht mit ihr, sagte sie, und damit wollte sie nicht mehr leben. Er ließ sie gehen ohne einen Versuch zu unternehmen, sie aufzuhalten, obwohl alles in ihm hinter ihr her rennen wollte. Stattdessen hatte er ihren Vorwurf stumm akzeptiert und blieb gegenüber dem Grenzland loyal. Schon sein Vater hatte ihn mit aller schottischen Strenge zu Ehrlichkeit, Ehrgeiz und vor allem Loyalität erzogen und ihm immer wieder zu verstehen gegeben, dass es das Wichtigste war, für sein eigenes Land zu kämpfen. Daran hatte sich Saber gehalten. Immer.

Auch nach dem Krieg.

Es hatte ihn seine Ehe und seine Freunde gekostet und viele Bekannte und falsche Freunde gebracht. Und Macht.

Saber war längst nicht mehr so ehrlich wie er erzogen worden war, sondern wusste seinen Einfluss geschickt einzusetzen. Anfänglich war er zurückhaltend gewesen, mittlerweile konnte er andere ohne schlechtes Gewissen manipulieren und nach seinen Vorstellungen springen lassen. Selbst wenn er sich unlauterer Mittel bediente, stand er loyal zum Neuen Grenzland und hatte in der Öffentlichkeit und im Privaten ein vorbildliches Image, obwohl er dieses ewige Spiel manchmal leid war, seine Worte immer wohlüberlegt einzusetzen und möglichst vage zu bleiben. Manchmal reizte es ihn sehr, seinen falschen Freunden ins Gesicht zu sagen, was er von ihnen hielt, aber konnte die Folgen davon sehr gut einschätzen und Saber war nicht dazu bereit, seinen Posten zu räumen. Er hatte alles erreicht, was er erreichen wollte. Aber - war es wirklich das, was er sich immer erträumt hatte oder hatte ihm sein Vater das nur immer glauben lassen und seine eigenen Träume auf ihn übertragen? War der Preis, den er dafür gezahlt hatte, zu hoch?

Schon oft hatte Saber sich darüber den Kopf zerbrochen, insbesondere, nachdem Sincia ihn verlassen hatte. Er war nie zu einem Ergebnis gekommen und eine Antwort würde er darauf nicht mehr bekommen, da sein Vater kurz nach dem Sieg über die Outrider verstorben war.
 

Nun gab es andere Aufgaben, an denen Saber arbeiten musste. Diese waren so geheim, dass er sehr spitzfindig sein musste, um sie zu verwirklichen. Er seufzte, als er an seinen bevorstehenden Termin heute Abend im Margaux dachte. Die französische Küche konnte er einfach nicht ausstehen und schon gar nicht in solch edlen Läden. Aber auch dieses „Opfer“ nahm er geflissentlich auf sich. Alles zum Wohle des Neuen Grenzlandes.

Noch einmal überprüfte er seine Unterlagen, insbesondere die Geheimhaltungsvereinbarungen, die seine beiden Gesprächspartner zu Stillschweigen verpflichteten. Die Formulierung hatte er bewusst vage gehalten, so dass diesem Schriftstück keinerlei technische Details oder eine genauere Angelegenheit verraten wurden, die sie besprachen. Sollte sich eine weitere gemeinsame Arbeit ergeben, würde diese unter einem Anschlussvertrag beschrieben werden, den er sorgfältig aufsetzen musste, denn die Tätigkeiten, die er anstrebte, würden mit Steuergeldern finanziert werden. Manchmal erhob sein Gewissen mahnend den Zeigefinger, aber er übersah es geflissentlich.

‚Das ist nur ein kleiner Preis für die Einwohner des Neuen Grenzlandes’, sagte er sich immer und brachte seine innere Stimme damit zum Schweigen.

Saber hatte erkannt, dass man nur durch solche Mittel seine Ziele umsetzen konnte. Er hatte die Macht dazu und schon längst keine Skrupel mehr, die Steuergelder oder sogenannte Spenden für das einzusetzen, was er für richtig hielt.

Seufzend legte er die Blätter in seine schwarze Ledermappe, steckte den Montblanc-Füller hinein und klappte sie zu. Die goldene, historische Tischuhr mit dem schwingenden Pendel zeigte 17 Uhr an. Normalerweise würde er mindestens zwei weitere Stunden im Büro sein, aber nicht heute, er hatte Wichtigeres zu tun, alles andere musste warten.

Saber nahm sein Jackett vom Haken an der Wand, legte es über seinen Arm und griff nach der Aktentasche, in der er die Ledermappe verstaut hatte. Dann verließ er das Büro, wobei ihm zwei seiner in schwarze Anzüge gekleideten Bodyguards folgten. Sie verhielten sich unaufdringlich, waren aber immer in seiner Nähe.
 

Sein Chauffeur quälte sich durch den Feierabendverkehr, der ihm normalerweise wegen der längeren Arbeitszeit des Präsidenten erspart blieb. Nach etwas mehr als einer Stunde erreichten sie endlich sein Anwesen, das von einem hohen, reich verzierten Sicherheitszaun umgeben war. Eine etwa dreihundert Meter lange Einfahrt führte zum Gebäude, das mit einer modernen, dem Adelsstand angemessenen Einrichtung ausgestattet war.

Seit Sincias Auszug wohnte Saber alleine, abgesehen von einem Koch, einem Butler, einem Gärtner und dem Sicherheitspersonal, doch viele Bilder aus ihrer gemeinsamen Zeit waren immer noch an ihrem Platz. Sie dienten Saber als Warnung, sich nicht mit Frauen einzulassen, auch wenn es ihm nicht an Angeboten mangelte. Er spürte am eigenen Leib, dass eine hohe Stellung zu haben attraktiv machte und Frauen sowie einige Männer anzog wie Licht die Motten.

Gedankenverloren blieb er für ein paar Momente vor seinem Lieblingsbild stehen, das Sincia und ihn während ihrer schönsten, sorgenfreiesten Zeit zeigte, kurz nach dem Kriegsende. Sie standen Arm in Arm im Sonnenschein auf einem windigen Gipfel in Schottland, die Haare zerzaust und strahlten vor Glück bis über beide Ohren. Manchmal wünschte er sich diese Zeiten zurück, da damals vieles einfacher und unbeschwerter erschien als heute. Auch seine Teamkollegen vermisste er von Zeit zu Zeit, aber da sie inzwischen ein eigenes Leben fernab der Star Sheriffs führten und er selbst mehr als genug zu tun hatte, meldete er sich nicht bei ihnen. Manchmal erfuhr er einzelne Neuigkeiten über April, wenn er Admiral Eagle traf; Colt dagegen schien wie vom Erdboden verschluckt. Lediglich Fireball schien sein Privatleben in der Öffentlichkeit auszutragen, denn er war derzeit häufiger in der Presse als damals, als sie zusammen im Ramrod geflogen waren. Dennoch rief er ihn nicht an, obwohl es Fireball offensichtlich nicht gut ging. Saber hatte dringendere Geschäfte zu erledigen und ein Rosenkrieg war keine Angelegenheit, in die sich der Präsident des Neuen Grenzlandes einmischen sollte, selbst wenn es sich um einen sehr guten Freund handelte.

„Die Zeiten ändern sich!“, schüttelte er seine trüben Gedanken ab und konzentrierte sich wieder auf das Hier und Jetzt. Er musste sich langsam mal in Schale werfen, wollte er rechtzeitig im Margaux ankommen.
 

Pünktlich betrat er von zwei Bodyguards begleitet das Edelrestaurant, das sich in einem Hochhaus in der Innenstadt von Yuma City befand. Er hatte einen schwarzen Designeranzug ausgewählt, inklusive eines hellgrauen Hemdes mit einem dezenten Muster und dazu eine klassische, royalblaue Krawatte. Sein Haar hatte er ordentlich zurück gegelt, denn er fand, dass es ihm sehr gut stand und seine mächtige Aura verstärkte, die bei solchen Verhandlungen von Vorteil war.

„Guten Abend, Monsieur Président“, begrüßte ihn der zuvorkommende Kellner mit einer leichten Verbeugung. „Darf ich Sie zu Ihrem Platz führen?“ Da es sich nur um eine rhetorische Frage handelte, setzte dieser seine Worte sofort in die Tat um und geleitete Saber zu einem Tisch an der bodentiefen Fensterfront, von wo aus man eine atemberaubende Aussicht über die Hauptstadt des Neuen Grenzlandes hatte. Gedämpftes Licht und ein dicker dunkelbrauner Teppich sorgte für eine vertrauliche Atmosphäre, angenehme leise französische Chansons als Hintergrundmusik machten das Restaurant zu etwas Besonderem. Die Inneneinrichtung war an das berühmte Schloss Versailles angelehnt, jedoch nicht ganz so prunkvoll, sondern etwas zurückhaltender gestaltet.

Der Kellner rückte dem Gast den Stuhl zurecht, damit dieser sich setzen konnte. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“, erkundigte er sich, während die beiden begleitenden Leibwächter unauffällig ein wenig abseits Stellung bezogen. Zwei weitere warteten vor dem Eingang des Restaurants und beäugten die vorbeilaufende Menge und die folgenden Gäste, ob sich darunter jemand Verdächtiges befand.

„Bringen Sie mir einen ’78er Château de Terme“, bat Saber leicht lächelnd. „Die Karte brauche ich erst, wenn meine Gäste anwesend sind.“

„Sehr wohl“, bekundete der Kellner wieder mit einer leichten Verbeugung und entfernte sich, um das Gewünschte zu holen.
 

Von seinem Tisch aus beobachtete Jesse unauffällig Saber Riders Ankunft. Zur Tarnung trug er eine blonde Perücke mit einer Kurzhaarfrisur, dazu einen angeklebten Kinnbart. Eine schmale, eckige Designerbrille mit breitem Rand rundete sein Erscheinungsbild ab. Das kleine Richtmikrophon und das dazugehörige Aufnahmegerät lagen bereit und nun, da er wusste, an welchem Tisch Saber saß, konnte er es endlich in Position bringen. Von seinem Informanten Vincent wusste er, dass Saber entsprechend auf Abhörmaßnahmen vorbereitet war, doch auch dieses Problem war durch Vincent behoben worden, der Stellung in der Nähe einer großen Pflanze bezogen hatte. Sein Informant wusste nicht, wie Jesse aussah, dafür wusste er genau, welche Aufgabe zu erledigen war – nämlich den Störsender zu deaktivieren, den der Präsident mit sich trug. Es war keine große Sache gewesen, denn Vincent hatte, während sie sich auf des Präsidenten Anwesen befanden, einfach die Batterie gegen eine leere ausgetauscht.

Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet Jesse, dass Fireball gleich eintreffen würde. Das Restaurant war schon gut frequentiert und bot genug Ablenkung, dass es unwahrscheinlich war, dass sie von Saber beachtet wurden.

Während er den ehemaligen Anführer des Ramrod-Teams beobachtete, fühlte Jesse sich ähnlich in der Zeit zurückversetzt wie bei dem Zusammentreffen mit Fireball ein paar Tage zuvor. Bevor sich seine Erinnerungen zu seinem Wutanfall steigerten, wurde sein bestellter Weißwein serviert und lenkte ihn ab.

„Mr. Johansson? Ihr Gast, Señor Delgado.“ Der Maître d’ brachte Fireball an seinen Tisch. Wie als ob sie nur geschäftliche Bekannte waren, erhob sich Jesse und reichte Fireball die Hand, um sie kurz zu schütteln. „Guten Abend, Señor. Es freut mich, dass Sie die Zeit finden konnten“, begrüßte Jesse ihn.

Um auf keinen Fall in irgendeiner Form aufzufallen, hatte Fireball eine Perücke mit einer Halbglatze gewählt, deren graumeliertes Haar in einem Kranz bis kurz unter die Ohren fiel. Dazu hatte er ebenfalls an Gesichtsschmuck nicht gespart - ein Vollbart ähnlich dem von Admiral Eagle zu seinen besten Zeiten prangte in seinem Gesicht sowie eine große, randlose Brille, die aus dem vorletzten Jahrhundert zu sein schien. Seine restliche Verkleidung bestand aus einem cremefarbenen Anzug mit weißem Hemd und einem bordeauxroten Seidentuch, das er um seinen Hals geschlungen hatte. Zum Glück waren sie beide vorgewarnt über ihr Aussehen, sonst hätten beide angefangen zu lachen. Da die Lage ernst war, verhielten sie sich professionell.

Fireball trat als Antiquitätenhändler auf und Jesse hatte einige interessante Angebote zusammengestellt, die sie nach und nach an diesem Abend zum Schein durchgehen würden, während sie das Gespräch von Saber belauschten.

„Mister Johansson, es freut mich, Sie zu treffen“, erwiderte er mit einem leichten Akzent und ließ sich auf einen Stuhl gleiten. Jesse wusste, dass Fireball nervös war, weil er seinen ehemaligen Chef belauschte und fürchtete, erkannt zu werden, doch man merkte es ihm nicht an. Er selbst fühlte sich recht sicher in seiner Verkleidung und war entspannt.

Wegen der vielen Pflanzen und Skulpturen, die für die nötige Diskretion sorgten, hatten sie nur eine unzureichende Sicht auf Saber. Jesse sah, dass Fireballs Augen immer wieder in diese Richtung schweiften, als sei er magnetisch von Saber angezogen.

„Señor Delgado“, räusperte Jesse sich, der Fireballs Abdriften bemerkt hatte. „Was möchten Sie trinken? Einen Weißwein vielleicht?“

„Ähm … ja, sehr gerne“, antwortete er blinzelnd und strich etwas verlegen über seine Halbglatze. Jesse gab dem Kellner ein Zeichen, der sofort zur Stelle war. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass Sabers Gäste ankamen, zwei füllige, ältere Herren mit schmierigem Auftreten. Unter dem Tisch stieß Jesse Fireball leicht ans Schienbein und gab ihm mit dem Augen zu verstehen, dass sich am anderen Tisch etwas tat.

Saber Rider begrüßte die beiden Männer freundlich, die einen gehörigen Respekt vor dem Präsidenten hatten, und bedeutete ihnen, Platz zu nehmen.

Wie Jesse und Fireball am Nachmittag schon vermutet hatten, wurde das Geschäftliche auf nach dem Essen verschoben und solange tauschten sie nur oberflächliches Geplänkel über die bevorstehenden Wahlen, verschiedene öffentliche Projekte und die schwächelnde Konjunktur aus.

Es war ein langweiliges Gespräch und sie mussten sich sehr in Geduld üben, ehe es zum interessanten Teil des Abends überging. Jesse war sich im Verlauf des Abends immer unsicherer geworden, ob er auf Fireballs Loyalität ihm gegenüber zählen konnte. Heute Abend würde es sich entscheiden und vielleicht würde er noch in dieser Nacht untertauchen und ganz schnell Plan B weiter ausfeilen müssen.

Nun konzentrierte er sich auf das Gespräch, das mittels eines Miniempfängers, der in einem kleinen Ohrring verborgen war, mithören konnte. Fireball trug einen ebensolchen versteckt in seinem grauen Haarkranz.
 

Jesses Bedenken waren nicht ganz unbegründet, denn im Verlauf des Abends hatte Fireball mehrmals einen inneren Zwiespalt ausgetragen, ob er nicht einfach aufstehen und Saber zur Rede zu stellen sollte.

‚Saber ist immer noch mein Freund’, sagte die eine Seite von Fireballs Gewissen, die sich gegen Jesse auf die von Saber stellte. ‚Ich sollte ihn direkt mit den Vorwürfen konfrontieren so wie früher, als wir keine Geheimnisse voreinander hatten!’

‚Bist du dir sicher, dass er noch dein Freund ist?’, widersprach die andere Seite, die Jesse glaubte. ‚Habt ihr euch in den letzten Jahren überhaupt etwas zu sagen gehabt?’

Sabers Seite schwieg einen Moment, ehe sie klein beigeben musste: ‚Nein. Kaum.’

‚Saber ist jetzt der Präsident des Neuen Grenzlandes! Er hat andere Dinge zu tun als in der Vergangenheit zu leben und alte Freundschaften zu pflegen, sonst würde er sich häufiger melden beziehungsweise sich überhaupt mal melden!’

‚Wahrscheinlich…’, war die niedergeschlagene Antwort. ‚Und ich habe es versäumt, den Kontakt aufrecht zu erhalten. Genauso wie bei Colt und bei April.’

Jesses Seite legte freundschaftlich einen Arm und die Schultern von Sabers Seite.

‚Ach, das ist nicht so schlimm. Jeder hat inzwischen sein eigenes Leben, Freunde kommen und gehen, so ist das nun mal!’, sprach Jesses Seite weise. ‚Wenn den anderen was an deiner Freundschaft gelegen hätte, hätten sie sich ja genauso melden können, das liegt wohl nicht nur an dir!’

Die andere Seite dachte einen Moment darüber nach und nickte schließlich, wenn auch nicht vollständig überzeugt.

‚Außerdem kannst du jetzt nicht einfach dort rübergehen und Saber so eine Ungeheuerlichkeit vorwerfen, im Beisein von anderen!’

‚Da hast du natürlich recht’, musste Sabers Seite zugeben. ‚Aber später könnte ich es vielleicht tun.’

‚Hör dir doch erst einmal an, was heute Abend passiert! Dann kannst du immer noch entscheiden! Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass Jesse noch derselbe ist wie früher. Genauso wenig wie du oder Saber. Gib ihm eine Chance!’

Statt einer Antwort kehrte Fireball in den Raum zurück und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf das Gespräch zwischen Saber und seinen beiden Gästen.
 

„Meine Herren, ich muss Sie bitten, diese Geheimhaltungsvereinbarung zu unterschreiben, bevor wir nun weiterreden“, kam Saber auf sein Vorhaben zu sprechen.

„Selbstverständlich“, antwortete Corey Barkley und griff nach dem Papier in doppelter Ausfertigung, um seine Unterschrift neben die des Präsidenten zu setzen. Sein Kollege James Richman tat es ihm gleich und gab eines zurück.

„Wie können wir Ihnen zu Diensten sein, Mr. President?“

„Wir haben schon einmal vor ein paar Jahren in einer anderen Angelegenheit zusammen gearbeitet, Sie erinnern sich bestimmt“, begann Saber und Barkley nickte. „Daher weiß ich, dass Sie professionell und diskret handeln. Deshalb möchte ich gleich zum Punkt kommen. Es geht um dieses Material, das zerstört werden muss.“ Saber zog ein Blatt aus der Innentasche seines Jacketts und reichte es seine Gäste, die sofort einen Blick darauf warfen. „Laser zeigen keinerlei Wirkung und auch andere Sprengmaterialien kratzen allenfalls nur minimal an der Oberfläche.“

„Ich habe noch nie ein Gestein mit solchen Eigenschaften gesehen“, bemerkte Richman, „fast, als käme es nicht von dieser Welt.“

„Sie brauchen also Sprengköpfe?“, erkundigte sich Barkley konkret.

Saber ärgerte sich über diese Direktheit. Er wollte bewusst vage bleiben.

„Was Sie entwickeln, überlasse ich Ihnen“, erwiderte er. Natürlich wollte er Sprengköpfe haben, sonst hätte er kaum diese Firma als Partner ausgewählt. „Morgen lasse ich Ihnen Proben des Gesteins in ausreichender Menge zukommen, damit Sie mit Ihren Forschungen beginnen können. Prüfen Sie mit Ihren Wissenschaftlern, ob Sie dieses Projekt umsetzen können und lassen Sie mir umgehend eine erste Einschätzung darüber zukommen“, baute Saber seine Forderungen aus. „Wenn diese positiv ausfällt, können wir die Verträge aufsetzen. Es wäre gut, wenn Sie in spätestens zwei Monaten erste Ergebnisse vorweisen könnten.“

„Wir werden alles in unseren Möglichkeiten Stehende tun“, versprach Barkley geschäftstüchtig. „Wir werden Ihnen die ersten Testergebnisse in spätestens fünf Tagen zukommen lassen.“

„Ich erwarte, dass Sie Ihr Team mit der größtmöglichen Sorgfalt auswählen und den Personenkreis beschränken. Auch diese Leute unterliegen selbstverständlich der Geheimhaltung“, erinnerte Saber. Er sprach ruhig und in autoritärem Tonfall. Seine Gäste sollten merken, wer hier das Sagen hatte „Die Namen der Teammitglieder möchten Sie mir mit den Vorergebnissen mitteilen.“ Es konnte wichtig sein, die Namen derer zu kennen, um möglichen Erpressungsversuchen gewappnet zu sein, sollte es einmal dazu kommen.

„Wie Sie wünschen“, nickte nun Richman, der sich ein paar Notizen in sein elektronisches Notizbuch machte.

„Es ist mir ein Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu machen. Ich werde Ihnen die bei unserem Telefonat genannte Summe auf dem üblichen Weg zukommen lassen“, sagte Saber mit einem smarten Lächeln und hob sein Glas, um mit den beiden anzustoßen.

„Ganz unsererseits“, lächelte Richman und hob ebenfalls sein Glas. Danach löste sich die kleine Runde auf und Saber blieb allein zurück.
 

Jesse schaltete das Aufnahmegerät aus und sah zu Fireball, der sich gar nicht wohl fühlte. Zwar konnte Saber die Sprengköpfe für alles mögliche bestellt haben, doch in Friedenszeiten war eine solche Bestellung höchst ungewöhnlich. Am liebsten wäre Fireball aufgestanden und hätte Saber gefragt, was dies sollte, doch jetzt war er erst recht verwirrt. Jesse hatte die Wahrheit gesagt, als er behauptete, dass Saber nicht mehr der gleiche war. Es erschütterte Fireball zutiefst, wie sehr sich sein ehemaliger Teamgefährte und Freund verändert hatte. Konnte Fireball ihn überhaupt noch als Freund bezeichnen? Er war sich nicht mehr sicher.

„Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch“, sagte er gepresst zu Jesse und konnte sich nur schwer auf seine zu spielende Rolle konzentrieren. Seine Stimme zitterte, als er aufstand und ihm zum Abschied die Hand reichte. „Ich werde mir Ihr Angebot durch den Kopf gehen lassen und Ihnen meine Entscheidung mitteilen. Auf Wiedersehen.“ Damit wandte er sich ab, um das Restaurant zu verlassen. Er spürte Jesses besorgte Blicke in seinem Rücken, der am Tisch sitzen blieb. In etwa zehn bis zwanzig Minuten würde er ihm folgen und sie ihn am Brunnen im nahegelegenen Stadtpark treffen, um gemeinsam zurück zu Fireballs Haus zu fahren.
 

Jesse packte seine Unterlagen zusammen und bestellte die Rechnung. Dieser Abend war sehr gut verlaufen und hatte seine Aussagen über Saber gegenüber Fireball bewahrheitet. Zufrieden und mit einem leichten Lächeln auf den Lippen schwenkte Jesse sein Weinglas und beobachtete wie Saber sich nun zum Gehen bereitmachte. Als er sich umwandte und zum Ausgang ging, sah er kurz zu Jesse, dem der Kellner gerade eine schwarze Mappe mit der Rechnung brachte. Jesse erstarrte eine Nanosekunde in seiner Bewegung und sein Herz schien einen Schlag lang auszusetzen, als er den Blick bemerkte, der jedoch nur rein zufälliger Natur war. Dennoch brachte es ihn mehr aus der Fassung als früher, wenn er solche Aufgaben erledigte. Er presste seine Lippen zusammen, als er die Mappe nahm, um den Rechnungsbetrag plus ein großzügiges Trinkgeld hineinzulegen.

Weil er Saber nicht noch näher kommen wollte, wartete er ungeduldig ab, bis dieser inklusive seiner Bodyguards verschwunden war.
 

Statt zu dem verabredeten Brunnen zu gehen, wartete Fireball unten vor dem Eingang des Hochhauses auf Saber. Er war sehr durcheinander und weigerte sich zu glauben, was er da eben gerade gehört hatte. Eine Zigarette rauchend überlegte er, wie er Saber ansprechen sollte. Sollte er einfach, aber zornig sagen: „Hey Saber, ich bin’s Fireball und ich habe dich belauscht. Ich weiß, was du vorhast! Sag mal, spinnst du?“ Oder war es besser ihn mit einem lockeren „Hi Saber! Lange nicht gesehen!“, zu begrüßen und ihn zu einem Drink in einer Bar um die Ecke einzuladen? Dann fiel ihm ein, dass er verkleidet war und Saber ihn höchstwahrscheinlich nicht erkennen würde und so einfach konnte er seine Perücke jetzt nicht loswerden.

Während er über die beste Variante nachdachte, wurde eine schwarze Limousine vorgefahren und Saber erschien plötzlich im Eingang inmitten seiner vier Bodyguards. Fireball erstarrte, als sein ehemaliger Chef scheinbar aus dem Nichts vor ihm auftauchte. Saber wartete bis ihm die Tür geöffnet wurde und wandte seinen Kopf zu Fireball zu, um ihm ein leichtes Lächeln zu schenken. Er erkannte seinen alten Kampfgefährten nicht und hielt seine Reaktion für Überraschung, die viele Leute an den Tag legten, wenn sie plötzlich und unerwartet dem Präsidenten des Neuen Grenzlandes gegenüberstanden.

„Guten Abend“, grüßte Saber und Fireball konnte nur stammelnd erwidern: „Gu … Guten Abend, Mr. President.“ Dann war Saber schon eingestiegen und die Limousine fuhr los.
 

Etwas später erreichte Jesse den Brunnen, der schwach angestrahlt wurde. Er sah den sichtlich mitgenommenen Fireball mit einer Zigarette in der Hand auf dem Rand sitzen und ging gemächlichen Schrittes zu ihm. Fireball sah auf.

„Das kann Saber doch nicht machen!“, sagte Fireball tonlos.

„Er macht es und zwar nicht erst seit gestern. Glaubst du mir endlich?“

Fireball schwieg und senkte seinen Blick wieder auf den Boden zu. Es war offensichtlich, dass er ihm glauben musste, es aber nicht wollte.

„Ich brauche einen Zeugen, der genau das sieht, was ich aufdecken will“, fuhr Jesse nach einer Weile fort. „Einem einzigen glaubt man nicht, selbst wenn die Beweise auf der Hand liegen!“

„Warum hast du mich ausgesucht?“, wollte Fireball abermals wissen, obwohl Jesse ihm diese Frage schon beantwortet hatte.

„Weil du Saber kennst und mich nicht gleich über den Haufen geschossen hast, als ich mich zu erkennen gegeben habe.“

Fireball streifte seine Perücke und den Vollbart ab, steckte beides nachlässig in seine Jackettasche und fuhr sich mit beiden Händen durch das plattgedrückte Haar. „Warum macht er das?“, fragte Fireball, der Saber einfach nicht verstehen konnte.

„Ich hoffte, dass du mir das erklären könntest“, zuckte Jesse mit den Schultern. „Ich bin kein Psychologe und weiß nicht wie er tickt.“

„Das weiß ich allerdings auch nicht mehr“, gab Fireball resignierend zu, schnickte den Zigarettenstummel weg und erhob sich. „Lass uns nach Hause gehen, ich hab genug für heute!“
 


 

In dieser Nacht und der nächsten schlief Fireball kaum und wenn, wurde er von wirren Träumen heimgesucht, die ihn immer wieder aufschrecken ließen. Seine Vergangenheit vermischte sich mit seiner gegenwärtigen Situation, Saber, Colt, April und Jesse erschienen in seinen Träumen und bildeten eine Zukunft, die sich immer wieder neu formte, sobald er danach greifen wollte. Das Ergebnis erschreckte ihn, aber er konnte sich nicht dazu durchringen, die Wahrheit zu akzeptieren, die Jesse aufgedeckt hatte. Das alles zog ihn tiefer in seine Zerrissenheit und er fühlte sich mit einem Mal schrecklich überfordert.

Seine letzte Kraft wurde ihm zwei Tage später geraubt, als er mit Jesse am frühen Nachmittag am eigenen Wohnzimmertisch über dem Analyseblatt des Materials saß, das Gegenstand des Gesprächs zwischen Saber und den beiden Herren von Rockwell gewesen war. Dieses hatte Jesse in der Zwischenzeit über Vincent besorgen können.

„Es handelt sich eindeutig um Limaranithbasalt, einer extrem harten Gesteinsart, härter als Diamant, die nur in der Phantomzone vorkommt“, sagte Jesse gerade, als sich ein Schlüssel im Türschloss bewegte. „Es ist schon interessant, dass Saber sich damit beschäftigt. Er versucht mit Sicherheit, etwas über die Phantomzone herauszufinden und wie man sie am besten vernichten kann! Wir haben wieder ein Beweisstück mehr!“

„Sht!“, unterbrach Fireball Jesse mit finsterem Blick. Ein helles, weibliches Lachen war zu hören, als die Tür aufgeschoben wurde und die Schritte von zwei Personen zu hören waren.

Fireball fühlte wie sich alles in ihm zusammenzog und Zorn aufwallte.

„Ich muss kurz was klären.“ Forsch gebot er Jesse Einhalt, als dieser ebenfalls aufstehen wollte, und ging mit großen Schritten in den Flur.

„Was zum Teufel hast du hier zu suchen?“, fragte Fireball seine Ex-Frau mit schneidend kalter Stimme.

„Oh, Shinji, du … du bist ja hier!“, stellte sie perplex fest.

„Selbstverständlich. Ich wohne schließlich hier. Also?“

„Wir wollten einfach mal nach dir sehen, Shinji“, erwiderte Nicolas Alvarado, ihr neuer Freund, schlagfertig mit einem kumpelhaften Zwinkern. „Die Formel 1 ist nicht mehr dasselbe nach deinem Ausstieg.“

„Haltet mich nicht für blöd! Raus mit der Sprache!“, zischte Fireball scharf.

Sie rollte mit den Augen und strich ihre hellbraunen Haare zurück. „Du bist so schwer von Begriff. Ich bin gekommen, um die Sachen meiner Kinder abzuholen, Möbel, die du nicht mehr brauchst und so weiter. Du bist ja jetzt allein, da brauchst du schließlich nicht mehr so viel.“ Die gespielte Freundlichkeit war nun vollständig aus ihrer Stimme gewichen.

„Du willst was? Sag mal, spinnst du?“

„Keineswegs. Also lass mich vorbei. Es wäre besser gewesen, wenn du nicht zu Hause gewesen wärst.“

„Damit du mich ausrauben kannst?“ Fireball kochte fast über vor Wut. „Du willst dir wohl einiges persönlich unter den Nagel reißen, aber nicht mit mir!“

„Ausrauben ist wohl eine sehr übertriebene Wortwahl“, bemerkte Caroline schnippisch. Die Anwesenheit und Rückendeckung ihres Lovers Nicolas gab ihr entsprechenden Rückhalt. „Meine Kinder brauchen Geld für Kleidung, Spielzeug und die Schule! Ich erinnere dich gerne daran, dass du als ihr Vater Unterhalt zahlen musst!“, rief sie ihm ins Gedächtnis und betrachtete eingehend ihre perfekt lackierten Fingernägel. „Die Presse wird sich jedenfalls sehr dafür interessieren, dass du nicht zahlen willst und dich kein bisschen für sie interessierst.“

„Nun“, äffte Fireball ihren überheblichen Tonfall nach. „Diese kleine Tatsache ist mir nicht entgangen und den Unterhalt werde ich selbstverständlich zahlen. Aber nur für meine Kinder, nicht für dich wie du dir das vorstellst! Und schon gar nicht in Form von Möbeln!“ Seine vor Zorn blitzenden Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Wieso zur Hölle hast du überhaupt noch einen Schlüssel?“

„Aus Sehnsucht nach dir sicherlich nicht“, bemerkte Jesse, der Fireball nie so außer sich erlebt hatte und dieses Schauspiel nicht länger ertragen konnte. Nicolas und Caroline erschraken über sein Erscheinen, und bevor sie reagierte, hatte Jesse ihr den Schlüssel aus der Hand genommen und steckte ihn in seine Hosentasche.

„Hey! Was soll das?“, brauste Caroline auf.

„Nimm deine dreckigen Finger weg!“ Nicolas, der adrett frisierte Lover, holte aus und ging sofort auf Jesse los. Jesse fing den Schlag locker ab und nutzte den Schwung aus, um Nicolas den Arm zu verdrehen.

„Lass mich los, du verdammter...“

„An deiner Stelle würde ich nicht so große Töne spucken!“, riet Jesse und schubste Nicolas zu Caroline, die ihn überrascht abfing und auf ihren Highheels rückwärts stolperte.

„Du wirst mich gleich kennenlernen!“

„Lass gut sein, Schatz. An solchen Leuten machen wir uns nicht die Finger schmutzig.“

„Kluge Entscheidung“, bemerkte Jesse.

„Was fällt Ihnen überhaupt ein, so mit meinem Partner umzugehen?“, fragte Caroline empört, aber Jesse zog es vor, auf diese Frage zu schweigen.

„Weil ihr es provoziert habt!“, verteidigte Fireball Jesse. „Und jetzt verzieht euch!“

„Hikari, das ist der Anfang vom Ende. Solche Typen wie diese Person ziehen dich nur weiter in den Abgrund! Sie werden dein Untergang sein“, zischte Nicolas.

„Nun, im Gegenteil. Ich hole ihn aus dem Abgrund heraus“, widersprach Jesse „Wenn ich mich vorstellen darf - Jason Barista, Mr. Hikaris Anwalt. Sie sollten dieses Haus jetzt besser verlassen, sonst rufe ich die Polizei und erstatte Anzeige. Sie begehen gerade Hausfriedensbruch und wollten meinen Mandanten ausrauben. Ein winziges Detail, das das Gericht bestimmt sehr interessieren wird. Oder die Presse.“ Diese Drohung hatte Jesse so neutral ausgesprochen, als würde er einen Einkaufszettel diktieren, und sie verfehlte ihre Wirkung nicht.

„Sie … Sie wagen es!“, brachte Caroline zornig schnaufend hervor und rang nach Worten.

Jesse blieb kühl und gelassen. „Überlegen Sie gut, was Sie tun, Lady!“, riet er ihr und sah, dass Caroline ihm am liebsten an den Hals gegangen wäre, um ihn mit ihren knallrot lackierten Fingern zu erwürgen oder aufzuschlitzen.

„Sie hören von uns!“, zischte sie und wandte sich brüsk zum Gehen.

„Pass bloß auf, Barista!“, knurrte Nicolas mit dunkel blitzenden Augen, ehe er seiner Freundin folgte.

„Werde ich“, versprach Jesse süffisant und schloss die Tür hinter den beiden. Von draußen war ein zornig aufheulender Motor und quietschende Reifen zu hören.

„Die wärst du los!“ Jesse kam zu Fireball zurück und bemerkte, dass Fireball keine Farbe mehr im Gesicht hatte und am ganzen Körper zitterte. „Hey, was ist los mit dir?“

„Ich glaub, mir ist schlecht“, antwortete er rau und stürmte ins Bad, wo er sich lautstark übergab.

Jesse, der nicht so ganz wusste, was er machen sollte, ging langsam hinterher und wartete vor der Tür. Einige Minuten später hörte er wie der Wasserhahn aufgedreht wurde und Fireball seinen Mund ausspülte. Als er wackelig herauskam, mied er jeglichen Blickkontakt und schlug direkt den Weg zu seinem Schlafzimmer ein.

„Fireball? Was ist los, verdammt?“ So hatte Jesse den ehemaligen Star Sheriff noch nicht erlebt.

„Ich will jetzt alleine sein“, erklärte Fireball, als er an dem Zimmer angekommen war.

„Sicher? Vielleicht ist es besser, wenn ...“

„Lass mich einfach in Ruhe, okay?“, zischte Fireball wütend, trat ein und schloss hinter sich ab.

Jesse blieb irritiert zurück und starrte auf die Tür, die vor ihm zugeschlagen worden war. Einerseits konnte er Fireballs Wunsch nachvollziehen, andererseits hatte er kein gutes Gefühl dabei, ihn ausgerechnet jetzt alleine zu lassen. Dass ihn diese Begegnung mit seiner Ex so aus der Bahn warf, war ziemlich beunruhigend, ebenso wie die Tatsache, dass Fireball sich eingeschlossen hatte. Das hatte Fireball seit Beginn ihrer Zusammenarbeit noch nie getan, obwohl Jesse nicht überrascht gewesen wäre, hätte er es getan.

Ein paar Mal hob Jesse seine Hand, um anzuklopfen, ließ es dann aber sein. Schließlich war Fireball alt genug und er nicht sein Kindermädchen. Außerdem - seit wann machte er sich um sowas Gedanken?

Jesse beschloss, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Frische Luft würde ihm helfen, wieder klar im Kopf zu werden. Er nahm seine Jacke vom Haken, setzte die Sonnenbrille auf und lief durch das weitläufige Wohngebiet der Reichen.

Inzwischen hatten er und Fireball sich besser aneinander gewöhnt und es war entspannter zwischen ihnen geworden. Jesse musste zugeben, dass ihm die gemeinsame Arbeit Spaß machte. Fireball hatte nach ihrem Besuch im Margaux einige gute Ideen beigesteuert und Anmerkungen gebracht, die wieder eine neue Richtung in ihren Nachforschungen ergaben.

Jetzt war Fireball am Ende angekommen und Jesse fühlte sich anders als erwartet – ein Gefühl, das er nicht beschreiben konnte. Eigentlich wollte er immer für diesen Zustand verantwortlich sein, doch nun bereitete es ihm überhaupt keine Freude, den anderen so zu sehen. Lag es daran, dass ihm jemand anderes diese Arbeit abgenommen hatte?

Missmutig kickte Jesse ein kleines Steinchen davon, das auf dem Gehweg lag. Er hatte keinen Blick für die perfekt angelegten Vorgärten und schönen Villen, an denen er vorüber ging. Seine Mission geriet in Gefahr, weil Fireball andere Dinge im Kopf hatte, die ihn von seiner eigentlichen Aufgabe ablenkten und außerdem dermaßen in Mitleidenschaft zogen, dass es schwierig war, ihn aus seiner Lethargie zu reißen.

„Verdammt!“, fluchte Jesse und kickte das Steinchen abermals weiter.

‚Wenn ich ihm heute im Kampf gegenüber stünde, nach allem, was ich inzwischen über ihn weiß, würde ich ihn töten können?’ Die Frage kam plötzlich aus dem Nichts und Jesse war erschrocken darüber. Er schob sie schnell beiseite ohne sie zu beantworten. Einerseits war er nur sich selbst gegenüber immer treu, also musste er die Frage eindeutig mit „Ja“ beantworten. Andererseits war da nun etwas in ihm, das ein Nein ebenfalls nicht mehr ausschloss. Das bewusst zuzugeben brachte Jesse nicht fertig. Stattdessen konzentrierte er sich wieder auf das Wesentliche, nämlich seine Mission. Er brauchte Fireball dafür und das bedeutete nur eines: er musste ihm helfen, seine Scheidung durchzustehen! Wenn man es genau nahm, hatte er damit sogar schon angefangen, nämlich, als er sich in den Streit zwischen Fireball und Caroline einmischte.
 

Fireball lag unterdessen auf seinem Bett und seine Stimmung schwankte zwischen unendlichem Zorn, Hass und Selbstmitleid. Seine Gedanken kreisten immer wieder um die gleichen Themen und machten ihm schwindelig, brachten aber keinen Ausweg. Vielleicht hätte er dem Ganzen ein Ende bereitet, wenn er eine Waffe gehabt hätte. Doch Saber hatte fünf Jahre nach dem Krieg ein generelles Waffenverbot verhängt, was insbesondere für die großen Planeten Yuma und Alamo galt sowie für sämtliche Großstädte. Eine Waffenbesitzkarte konnten nur diejenigen beantragen, die einen Nachweis mit ausführlicher Begründung vorlegen konnten, also hatte Fireball als Rennfahrer keine Chance, an eine solche heranzukommen.
 

Bis zum nächsten Abend kam Fireball nicht aus seinem Schlafzimmer heraus, dann reichte es Jesse und er klopfte energisch gegen die Tür.

„Mach auf, Fireball!“, verlangte er und klopfte noch lauter.

„Lass mich in Ruhe!“

Jesse ließ nicht locker. „Es reicht jetzt mit deinem Selbstmitleid! Komm da raus!“

„Verschwinde!“ Die Stimme wurde zorniger, was Jesse nur mehr anspornte. Er war inzwischen sehr gereizt, weil nichts voran ging und es ihn nervte, ständig an seinen Laptop gefesselt zu sein, um zu recherchieren. „Deine Frau verspottet dich mal wieder im Fernsehen!“

Die Tür aufgerissen und ein zerzauster, wütender Fireball erschien. „Hab ich dir nicht gesagt, dass du dir diesen Schrott nicht reinziehen sollst?“, blaffte er ihn an und rauschte an ihm vorbei ins Wohnzimmer.

„Wäre mir neu, dass ich mir von dir was verbieten lasse“, bemerkte Jesse, der ihm langsam folgte. Fireball stand vor der Couch und sah mit verkniffener Miene zum Bildschirm, wo Caroline den Reportern wieder einmal ihr Leid klagte und sich gekonnt als Opfer darstellte.

„Tja, das ist wohl die Rache für gestern. Scheinbar haben wir einen wunden Punkt getroffen. Willst du das ewig so unkommentiert hinnehmen?“, bohrte Jesse nach und Fireball fuhr herum.

Weil er Shorts trug, war seine Narbe, die sich von der rechten Hüfte bis hinunter zum Sprunggelenk zog und sich über dem Knie teilte, deutlich zu sehen. Es war das erste Mal, dass Jesse einen Eindruck von den Ausmaßen von Fireballs Rennunfall bekam und er wurde an seine eigenen Narben erinnert, die sich komplett über seine linke Körperhälfte zogen. Möglichst unauffällig lenkte Jesse seinen Blick wieder in Fireballs Gesicht, aber die Wahrscheinlichkeit war groß, dass Fireball sein Starren bemerkt hatte.

„Und was soll ich deiner Meinung nach tun, du Schlauberger?“ Er ließ sich auf die Couch fallen und raufte sich die Haare. „Sie hat doch alle Reporter in der Hand!“

Jesse stützte sich auf die Lehne und sah auf Fireball herunter. „Du hast wohl nicht kapiert, dass du mitten im Krieg bist“, stellte er kühl fest, „und du solltest langsam mal anfangen, ihn zu führen!“

„Verdammt, Jesse! Ich kann das nicht! Das ist keine Kriegsart, die ich kenne!“, brauste Fireball auf und wandte seinen Kopf zu Jesse um. „Ich habe weder Lust noch Kraft dazu, mich damit zu beschäftigen! Außerdem hat sie schon alle gegen mich aufgehetzt!“

„Ein Krieg ist keine Frage von Lust oder Kraft! Man hat keine Wahl. Sie wird dich noch mehr kosten, wenn du nicht endlich mal was unternimmst!“

„Ich bin quasi schon fast pleite, Jesse!“, erinnerte Fireball hitzig und funkelte ihn wütend an. „Den letzten Rest wollte ich nicht für irgendwelche sinnlosen Anwälte ausgeben, die eh nichts mehr retten können! Jeder denkt doch, dass sie recht hat und ich der Oberarsch des Neuen Grenzlandes bin! Du weißt gar nicht wie das ist!“

„Nun … ein bisschen vielleicht schon“, grinste Jesse, aber natürlich ließ sich ihre Situation nur bedingt vergleichen. „Aber das tut nichts zur Sache. Ich habe dich immer für jemanden gehalten, der sich nichts bieten lässt und der für Gerechtigkeit einsteht. Hab ich mich etwa getäuscht?“ Jesse sah Fireball spöttisch an, um ihn aus der Reserve zu locken, was wunderbar gelang. Fireball sprang auf und packte Jesse am Kragen und zog ihn an sich heran.

„Du willst mir was von Gerechtigkeit erzählen? Gerade du?“, fauchte er aufgebracht und schüttelte den anderen, was Jesse in Rage brachte.

„Ich habe mich jedenfalls noch nie wie ein Jammerlappen verhalten!“, spottete Jesse dicht vor Fireballs Gesicht und versetzte ihm einen Stoß. Dummerweise hielt er immer noch Jesses Hemd fest, so dass Jesse über die Couchlehne gezogen wurde und kopfüber mit Fireball herunterfiel und auf dem Boden landete. Ein wildes Gerangel entstand, in dem Fäuste flogen und Tritte ausgetauscht wurden.

„Du elender Verräter!“, ließ Fireball seinen Zorn an Jesse aus und rammte ihm seine Faust ins Gesicht. Jesse konnte nicht ausweichen und wollte es auch gar nicht. Er merkte wie sein Mundwinkel aufplatzte und Blut herunter lief, aber das hielt ihn nicht davon ab, Fireball an den Schultern zu packen und ihn auf dem Boden zu fixieren.

„Du Waschlappen! Sich von der eigenen Frau so niedermachen zu lassen, ich glaube das kann keiner außer dir!“ Das hatte gesessen! Fireballs Wut nahm noch größere Ausmaße an, als er sein Knie anhob und Jesse über sich schleuderte. Es krachte laut, als er hart auf dem Rücken aufkam. Blitzschnell nutzte Fireball den Überraschungsmoment aus und kniete über ihm, um ihn weiter mit seinen Fäusten zu bearbeiten. Jesse blockte mit seinem Unterarm ab und rammte ihm seinerseits die Faust in die Seite, was Fireball aufkeuchen ließ und ihm den Atem raubte.

„Du bist eine Seuche, Jesse! Hättest du nicht einfach abkratzen können wie jeder normale andere auch?“

Jesse lachte amüsiert auf. „Du hättest damals wohl besser zielen sollen! Ich gebe dir gerne Nachhilfe!“ Ein weiterer Schlag kam angeflogen und Jesse konnte seinen zwischen Fireballs Knien eingeklemmten Körper nur bedingt zur Seite drehen, so dass er am Oberarm getroffen wurde und aufstöhnte. Der Kampf machte ihm Spaß und er bäumte sich so auf, dass Fireball aus dem Gleichgewicht geriet. Ein Tritt mit dem Knie brachte den ehemaligen Star Sheriff zu Fall und Jesse sprintete davon, um sich eine bessere Position zu suchen, aber Fireball war schneller als gedacht. Er sprang hinter Jesse her und bekam sein Fußgelenk zu fassen, als er gerade über den Couchtisch springen wollte. Mit voller Wucht knallte Jesse auf den Tisch, der unter ihm zerbrach. Zeitungen, die Fernbedienung und eine Glasschale fanden sich unter Jesse, die ihm schmerzhaft in den Magen rammte. Er stöhnte laut, als er sich davon herunterrollte, aber da sprang Fireball schon wieder auf ihn. Diesmal rollte er sich rechtzeitig zur Seite, so dass Fireball nur knapp neben ihm mit lautem Poltern auf den Tischtrümmern einschlug. Beide atmeten schwer, ließen aber nicht locker. Jesse machte einen Hechtsprung über die Couch und kam mit einer Rolle wieder in den Stand, während Fireball seitlich über das Hindernis drüber hockte. Jesse stand jetzt auf einer relativ freien Fläche im Wohnzimmer und erwartete den anderen in Angriffsstellung. Seine Karatekenntnisse waren vielleicht etwas eingerostet, aber er hatte noch ein paar Tricks auf Lager.

„Was ist, Waschlappen, war das schon alles?“, provozierte er schwer atmend weiter. Fireballs Augen funkelten wütend und er taxierte seinen Gegner genauestens, um seine nächste Aktion zu planen. Schrammen zogen sich über seine Wangen und Arme, aber das war nebensächlich. Auch Fireballs Brustkorb hob und senkte sich stark und er gönnte sich ein paar Momente Verschnaufpause.

Jesse schnickte eine schwarze Haarsträhne mit einer Kopfbewegung erfolglos nach hinten und grinste Fireball herausfordernd an.

„Du elender, mieser…“, knurrte Fireball, spannte seine Muskeln an und sprang mit den Füßen voran auf Jesse zu, um ihn umzuwerfen. Diese Technik gab Jesse genug Zeit, sich darauf vorzubereiten und wich mit einer leichten Bewegung aus, so dass Fireball hart auf dem Boden aufkam. Jesse stürzte sich auf ihn und sie wälzten sich mit Tritten und Fäusten schlagend herum, stießen an Schränke, Tische und Stühle und bahnten sich einen Weg durch das Wohnzimmer. Eine halbvertrocknete Topfpflanze ging zu Bruch und einige Weingläser in der Vitrine, als sie mit voller Wucht dagegen knallten. Etwa eine Viertelstunde später ließen ihre Kräfte und die Geschwindigkeit nach, bis sie schließlich beide atemlos und mit allen Vieren von sich gestreckt auf dem Boden liegen bleiben.

„Du bist ganz schön zäh“, keuchte Jesse anerkennend.

„Du aber auch“, meinte Fireball mit einem pfeifenden Unterton, der von seiner Lunge herrührte.

„Warum bist du nicht genauso zäh, wenn es um deine Trennung geht?“ Jesse drehte seinen Kopf zu Fireball, der ziemlich ramponiert aussah. So wie es sich anfühlte sah er selbst nicht besser aus.

Fireball schwieg lange, ehe er schließlich mit einem genervten „Ich weiß es nicht!“, antwortete. Er richtete sich auf, blieb aber am Boden sitzen, als ihn ein Hustenreiz schüttelte und er sich die Rippen hielt. „Ich habe keine Lust, ein gefundenes Fressen für die Presse zu sein“, sagte er schließlich.

„Das bist du eh schon und die haben dich schon fast vernascht. Du musst den Spieß einfach umdrehen, damit sie von dir ablassen. Damit rechnet niemand und du wirst sie eiskalt erwischen.“ Jesse stützte sich ächzend auf die Seite und verzog vor Schmerzen das Gesicht.

„Das sagst du so einfach!“, ätzte Fireball, dem das Gespräch auf die Nerven ging. „Können wir jetzt das Thema wechseln?“

„Gib eine Presseerklärung heraus!“ Jesse stand auf und wischte sich das Blut aus dem Mundwinkel mit dem Handrücken ab. Morgen würden ihm sicherlich alle Knochen weh tun, er konnte es schon spüren. Fireball erging es nicht anders, so vorsichtig wie er sich bewegte.

„Weißt du, was für Fragen die mir dann stellen werden?“, brauste er direkt wieder auf und tippte mit seinem Zeigefinger an die Stirn.

„Ich sagte Presseerklärung nicht -konferenz!“, korrigierte Jesse, was bei Fireball ein Stirnrunzeln hervorrief. „Du trittst einfach ans Mikro, gibst ein Statement ab und verschwindest wieder. Sicherlich werden die versuchen, dich auszuquetschen, aber du kannst sie doch einfach ignorieren. Es zwingt dich ja keiner zum Antworten, aber ich denke, es wäre ein geeigneter Schritt, um in dieser Sache mal voran zu kommen, wenn du nicht völlig untergehen willst.“ Jesse hatte eine am Boden liegende Wodkaflasche entdeckt, die er nun aufhob und kurz betrachtete. „Wie wär's mit einem Drink?“

„Ich kann einen gebrauchen“, nickte Fireball müde. „Was soll ich denen deiner Meinung nach sagen? Ein einfaches „Sie lügt“ werden sie mir wohl kaum abnehmen.“

„Nein, das bestimmt nicht. Du musst schon ein bisschen mehr dazu sagen und das Ganze souverän und selbstbewusst rüberbringen, wenn du Erfolg haben willst.“ In ihrer Verwüstungsschneise fanden sich zwei intakte Gläser, die Jesse einer kurzen Sichtprüfung unterzog, ehe er den Wodka einschenkte.

„Warum willst du mir helfen?“, fragte Fireball skeptisch, als er das Glas annahm, das Jesse ihm reichte.

„Reiner Egoismus. In deinem Zustand kommen wir in unserer Mission nicht voran“, erklärte Jesse, der sich im Schneidersitz zu Fireball setzte und seinen Wodka anhob. „Also müssen wir zuerst dein Problem beseitigen, damit du endlich wieder normal wirst. Darauf trinke ich.“

Fireball war zu erschöpft, um etwas Aufbrausendes zu erwidern. Stattdessen beobachtete er wie sein Gegenüber das Glas leerte, ohne eine Miene zu verziehen, und trank seins schließlich ebenfalls in einem Zug aus. Der Alkohol brannte an seiner aufgeplatzten Lippe, tat aber gleichzeitig irgendwie gut.

„Ich könnte was für deinen Anwalt zusammenschreiben, damit du nicht noch mehr über den Tisch gezogen wirst“, bot Jesse an, während er nachschenkte. „Der scheint ja nicht gerade die hellste Kerze im Leuchter zu sein.“

„Du?“ Fireball verstand gar nichts mehr und das spiegelte sich in seinem verschrammten Gesicht wider. Sein linkes Auge war schon etwas angeschwollen und würde sich bestimmt blau verfärben.

„Ja, ich. Ich kenne mich ganz gut in juristischen Themen aus, weil ich mich früher eine ganze Weile damit beschäftigt habe. Wahrscheinlich müsste ich ein bisschen recherchieren, um wieder reinzukommen, aber das dürfte nicht so lange dauern“, erklärte Jesse schließlich und trank einen Schluck.

„Hab ich was verpasst?“ hakte Fireball mit hochgezogener Augenbraue nach.

Jesse zögerte und schwenkte unentschlossen sein Glas in der Hand. Er hatte nie jemandem davon erzählt und, obwohl es schon lange her war, fiel es ihm immer noch schwer, daran zu denken.

„Erde an Jesse! Warum kennst du dich damit aus?“

„Das tut nichts zur Sache. Ich weiß es einfach.“ Jesse kippte den Wodka abermals herunter und sah Fireball abwartend an.

Fireball unterließ es, weiter nachzubohren, denn wenn Jesse nicht reden wollte, würde er nichts aus ihm herauskriegen. Stattdessen trank er langsam, während er sein Gegenüber forschend betrachtete, und überlegte. 'Carl gehört wirklich nicht zu den Besten. Er ist halt jemand, den ich mir leisten konnte, allerdings glaube ich nicht, dass er noch großes Interesse hat, sich für mich einzusetzen, jetzt, wo er keine Kohle mehr von mir erwarten kann. Jesse ist völlig anders, er war schon immer ehrgeizig und hat noch nie halbe Sachen gemacht. Vielleicht wäre es wirklich eine Chance, irgendwie glimpflich aus der Sache rauszukommen. Obwohl es irgendwie völlig absurd ist, dass sich Jesse mit sowas beschäftigt und dann ausgerechnet für mich. Andererseits – zu verlieren hab ich wohl echt nichts mehr und er scheint es wirklich ernst zu meinen, damit wir endlich weitermachen können. Eigentlich hat er ja sogar recht, wie lächerlich ich bin, dass ich mich so fertigmachen lasse. Das muss endlich ein Ende haben! Mit Carl als Anwalt hab ich jedenfalls schon verloren. Mit Jesse hätte ich ganz vielleicht sogar einen kleinen Lichtblick; selbst wenn er versagt, macht es auch nichts, dann wäre es das gleiche Ergebnis wie mit Carl.'

„Also, was ist? Ja oder nein?“

„Ich wäre wohl bescheuert, wenn ich dein Angebot in den Wind schlage. Also: ja. Bitte mach es.“

„Du wirst es nicht bereuen. Am besten gehe ich sofort an die Arbeit“, meinte Jesse, der sich sogleich geschäftig erhob.

„Warte doch mal!“

„Was ist?“

„Wollen wir heute nicht einfach mal was zusammen trinken? Die Flasche ist gerade mal angebrochen und es wäre schade, sie verkommen zu lassen. Außerdem glaube ich, dass es uns gut tut, wenn wir mal einen Abend an was anderes denken, meinst du nicht auch?“

„Du meinst, dass wir uns besaufen?“, hakte Jesse etwas skeptisch nach.

„Nicht unbedingt. Ich dachte eher an einen entspannten Abend, nachdem wir uns so sportlich betätigt haben“, grinste Fireball mit einem vielsagenden Blick auf die verwüsteten Möbel.

„Wozu soll das gut sein?“

„Um den Kopf mal freizukriegen und zum Abschalten. Komm schon. Was ist schon dabei? Auf ein paar Stunden mehr oder weniger kommt's wohl nicht an. Dir tut eine Pause sicherlich auch mal gut.“

„Ich bin nicht so der Typ für Pausen“, gab Jesse zu, ließ sich aber zögerlich wieder im Schneidersitz inmitten der Trümmer nieder. Fireball nahm Jesse das Glas aus der Hand, füllte es und gab es wieder zurück.

„Kein Wunder, dass du immer so unlocker bist. Du gönnst dir echt keinen Spaß, oder?“

Jesse trank mit leicht säuerlichem Blick einen Schluck und zog es vor, darauf nicht zu antworten.

„Nimm ’s mir nicht krumm, Jesse, ich rede zu viel. Ich brauche das heute Abend einfach mal nach der gestrigen Begegnung. Alleine trinken macht keinen Spaß und du bist halt gerade da. War schon gut, dass du mir diesen Tritt in den Hintern gegeben hast, im wahrsten Sinne.“ Fireball fuhr durch seine Haare und beugte sich nach vorne, um mit Jesse versöhnlich anzustoßen. „Morgen machen wir mit neuer Energie weiter, versprochen. Kanpei!“

„Kanpei“, erwiderte Jesse den Toast nicht ganz überzeugt, trank aber gleichzeitig mit Fireball.

„Wie lange hättest du dich denn noch verkrochen, wenn ich dich nicht rausgelockt hätte?“

„Weiß nicht. Lass uns von was anderem reden, ich hab jetzt keinen Bock, an den ganzen Scheiß zu denken.“

„Verdrängen bringt nichts, aber gut. Deine Entscheidung.“

„Ich brauche einfach Zeit.“ Fireball schenkte nach und sie tranken wieder. Langsam machte sich der Alkohol mit einem leichten Schwindelgefühl bemerkbar.

Als Jesse absetzte, fiel sein Blick auf Fireballs Knie. „Sind das die Reste von deinem Unfall, der im Fernsehen immer erwähnt wird?“

Fireball streckte sein Bein aus und präsentierte die Narben in voller Länge. „Ja, sind sie. Hat ganz schön lange gedauert, bis ich wieder fit war und nochmal so lange, bis ich akzeptieren konnte, dass ich selbst keine Rennen mehr fahren kann.

„Wie ist das passiert?“

„Offiziell konnte nie was gefunden werden. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die Konkurrenz dahinter steckt. Wahrscheinlich wollten sie mich nicht derart ausschalten, sondern nur meinem Erfolgskurs ein bisschen ausbremsen, aber das ist gründlich nach hinten losgegangen. Ich habe einige Wortfetzen und Dialoge gehört, die sehr stark darauf hindeuten, allerdings nichts, was sich als Beweis verwenden ließe. Kann aber genauso gut sein, dass ich mir nur was zurechtspinne und es tatsächlich einfach nur Pech war.“ Fireball zuckte mit den Schultern. „Ich wollte es danach allen zeigen, dass ich nicht unterzukriegen bin. Das ist aber leider ebenso gründlich nach hinten losgegangen. Ich muss wohl endlich einsehen, dass meine Zeiten auf und an der Rennstrecke endgültig vorbei sind und mir einen neuen Job suchen.“

„Ein neuer Job? Was willst du denn machen?“

„Keine Ahnung. Auf jeden Fall irgendwas, wo ich nicht mehr in der Öffentlichkeit stehe. Diese Erkenntnis kam mir gerade“, grinste Fireball und hob zur Erklärung das Glas hoch. „Jetzt weißt du, warum solche Abende manchmal ganz gut sind. Sie bringen neue Ideen.“

„Ich brauche aber keine neuen Ideen“, grinste Jesse zurück, dessen Wangen schon vom Alkohol gerötet waren. Er bemerkte, dass sein dunkelblaues Hemd am Ärmel von der Prügelei eingerissen war und steckte einen Finger durch das Loch. „Das ist wohl auch hinüber, so wie deine Einrichtung.“

Fireball kicherte. „Du kannst ein neues von mir haben. Die Einrichtung ist egal, ich wollte sie eh loswerden. Es hat jedenfalls Spaß gemacht, dich zu vermöbeln, im wahrsten Sinne.“

„Moment mal! Ich hab dich vermöbelt, das ist ja wohl klar!“

„Hast du schon mal in den Spiegel geguckt wie du aussiehst? Dann wüsstest du, dass ich gewonnen hab“, nuschelte Fireball, dem das Sprechen inzwischen schwer fiel, und grinste breit.

„Schau doch selbst mal rein. So wie du aussiehst könntest du sofort in der Geisterbahn anfangen. Du suchst doch einen neuen Job.“ Jesse sprach ebenfalls langsamer, denn auch ihm setzte der Wodka inzwischen deutlich zu.

„Keine schlechte Idee, das merke ich mir. Trotzdem habe ich gewonnen“, zwinkerte Fireball frech.

„Niemals. Wir können das gerne weiter ausfechten!“ Jesse stellte das Glas beiseite und machte Anstalten aufzustehen, allerdings waren seine Bewegungen sehr unkoordiniert.

„Ach, lass mal. Heute nicht mehr. Ich spüre schon jeden Knochen.“

„Jammerlappen!“, erwiderte Jesse, aber die Schärfe in seiner Stimme fehlte. Insgeheim war er froh, dass Fireball auf eine weitere Auseinandersetzung verzichtete, denn diese hätte er sicherlich verloren. Seine Muskeln fühlten sich an wie Pudding.

„Ist mir egal.“

Beide schwiegen eine Weile und tranken vor sich hin. Die Flasche war bereits zu dreiviertel geleert.

„Wie erklärst du die Sauerei dem Makler, wenn der kommt?“

„Mir wird schon was einfallen.“

„Wir können das Haus komplett in Schutt und Asche zerlegen und es deiner Ex abtreten“, schlug Jesse mit vollem Ernst vor, woraufhin Fireball loskicherte. „Im Beisein der gesamten Presse. Die würde Augen machen!“

Jesse kicherte ebenfalls. „Wahrscheinlich nicht nur das. Sie würde einen Auftritt wie gestern hinlegen und damit aller Öffentlichkeit ihr wahres Gesicht zeigen. Damit wäre dein Ruf sofort wiederhergestellt.“

„Eine grandiose Idee. Lass uns darauf anstoßen! Cheers!“

„Cheers!“

Abermals leerten sie ihre Gläser.

„Wie sollen wir das anstellen?“

„Was?“

„Das Haus in Schutt und Asche zu zerlegen?“

„Heute gar nicht. Ich kann keinen Finger mehr rühren.“ Jesse streckte sich und gab der Schwerkraft nach, die ihn nach langem Zerren auf den Boden zwang. Sitzen war ihm zu anstrengend geworden. „Außerdem wird die Versicherung was dagegen haben, das gibt nur zusätzlichen Ärger, den wir nicht brauchen können“, bemerkte er schläfrig.

„Hmhm. Schade, aber du hast wohl recht“, stimmte Fireball zu und starrte eine Weile aus glasigen Augen vor sich hin.

„Sag mal, Jesse? Willst du mir nicht doch verraten, warum du dich in Rechtsdingen auskennst?“

„Weil ich mal Jura studieren wollte“, murmelte Jesse, dessen Lider schwer wurden.

„Du willst mich auf den Arm nehmen“, kicherte Fireball, der sich einen weiteren Schluck einverleibte.

„Keineswegs“, winkte Jesse ab und öffnete seine Augen halb, um sein Gegenüber anzusehen, auch wenn er ihn nur verschwommen sah. „Ich hatte deswegen riesigen Stress mit meinem Vater. Der hat eine verdammt große Firma und plante, dass ich in seine Fußstapfen trete, aber ich wollte lieber studieren und Rechtsanwalt werden.“

„Eine komische Vorstellung“, gluckste Fireball.

„Jedenfalls gab er mir das Geld für die Uni nicht, warf mich raus und enterbte mich. Ich musste also zusehen, wie ich zurechtkam und ging deshalb zu den Star Sheriffs. Das war die einzige Möglichkeit für mich, um vielleicht auf diesem Weg zum Ziel zu kommen. Den Rest kennst du.“

„Wow. Was für eine Überraschung! Der große Jesse Blue hat früher mal einen Traum gehabt!“ Fireball fühlte sich ziemlich überfahren von dieser Information, was nicht zuletzt an seinem inzwischen hohen Alkoholpegel lag. Er angelte nach dem angebrochenen Zigarettenpäckchen auf dem Wohnzimmerregal und schnickte gekonnt eine Kippe aus der Packung, die er direkt in seinen Mundwinkel klemmte.

„Hättest du nicht gedacht, was?“, murmelte Jesse, der auf dem Weg ins Land der Träume war.

„Nein. Aber ich gebe zu, dass ich mich scheinbar in dir getäuscht hab. Willst du es nicht jetzt nochmal versuchen, also, Anwalt zu werden?“

Aber Jesse antwortete nicht mehr, sondern atmete tief und gleichmäßig vor sich hin. Fireball sah ihm zu und dachte über ihn nach, während er die Zigarette in Brand steckte und einen tiefen Zug nahm. Jesse wollte ihm helfen, seine Angelegenheiten zu regeln, was wirklich sehr nett war und in völligem Gegensatz zu seinem üblichen Verhalten passte. Seine Begründung machte allerdings deutlich, dass er nach wie vor die eigenen Ziele verfolgte und gerade deshalb durfte Fireball nicht vergessen, dass Jesse trotz allem ein nicht zu unterschätzender möglicher Feind blieb.

Entschlossen stand Fireball schwankend auf, um das Telefon zu holen.

„Ich will endlich Klarheit!“, sagte er laut, suchte und wählte Sabers Nummer. Sein schlechtes Gewissen wurde vom Alkohol unterdrückt. Als sich die Verbindung aufbaute, setzte er sich auf die Couch.

„Rider. Wer ist da?“

„Hallo Saber. Ich bin's, Fireball. Wir haben uns lange nicht gehört, um nicht zu sagen: verdammt lange. Deshalb wollte ich mich mal melden. Was treibst du so?“ Fireball konnte seine Freude nicht verbergen, Saber sofort erreicht zu haben.

„Fireball?“

„Ja. Erinnerst du dich nicht mehr an mich? Wir haben damals auf Ramrod zusammen gegen die Outrider gekämpft und Nemesis besiegt“

„Doch, natürlich erinnere ich mich, Fireball. Wie könnte ich das je vergessen? Wie könnte das irgendjemand von uns vergessen?“

„Oh ja, natürlich, du hast ja recht. Ich dachte nur, ich melde mich mal wieder um der alten Zeiten willen.“ Fireball lachte, vielleicht ein bisschen zu laut, und zog an seiner Kippe.

„Bist du betrunken?“

„Äh. Nnnein...also, nur ein bisschen“ Fireball wurde es heiß und kalt, direkt so bloßgestellt zu werden.

„Hör mal, ruf mich doch einfach ein andermal an, ja? Vielleicht, wenn du wieder nüchtern bist? Ich habe gleich einen Termin.“

„Äh. Ja, das mache ich. Tut mir unendlich leid, Saber“, stammelte Fireball mit schwerer Zunge.

„Schon gut. Auf bald.“ Saber ließ Fireball keine Zeit mehr für einen Abschiedsgruß, sondern beendete die Verbindung.

Einige Sekunden starrte Fireball das Telefon an, dann ballte er seine Hand darum als ob er es zerquetschen wollte. „ICH IDIOT!“, brüllte er und raufte sich die Haare. „ICH HAB ALLES VERMASSELT!“

Was dachte Saber jetzt von ihm? Er würde ihm nie wieder unter die Augen treten können, dabei hatte er es doch nur gut gemeint. Fireball griff abermals nach der Flasche, um sein Versagen zu ertränken; das machte es allerdings nicht besser.

„Die Chance hab ich wohl gründlich in den Sand gesetzt“, knurrte er, als der letzte Tropfen getrunken war. Zum Glück war Jesse von den paar Drinks ausgeknockt und hatte nichts mitbekommen. Wie hatte Fireball nur vergessen können, dass er hätte aufwachen können? Dann wäre er ganz schön in Erklärungsnot geraten und hätte jetzt ein riesiges Problem.

Das schlechte Gewissen, seinen „Partner“ fast verraten zu haben, meldete sich jetzt umso stärker. Um es wenigstens etwas zu besänftigen, verfrachtete Fireball ihn mit unkoordinierten Bewegungen auf die Couch und deckte ihn zu. Dann ging er selbst ins Bett, in dem Wissen, dass sie beide morgen nicht nur Muskelkater, sondern zusätzlich einen ganz fiesen anderen Kater haben würden.
 


 

„Wach auf, Jesse, und trink das, dann geht’s dir besser.“

Fireball hatte den Abend gut überstanden und war relativ fit. Schon vor einer Weile war er aufgestanden, hatte sämtliche Fenster aufgerissen und ein paar Aspirin eingeworfen. Die kühle, klare Luft tat ihr übriges und nach einer Dusche fühlte sich Fireball richtig frisch und voller Tatendrang.

Jesse schien gar nicht aufstehen zu wollen, und weil das schlechte Gewissen wegen des Anrufs bei Saber Fireball nach wie vor quälte, kümmerte er sich wieder um ihn, um es zum Schweigen zu bringen.

„Komm schon, das ist Aspirin“, grinste Fireball, als er die Decke beiseite zog.

Langsam hob Jesse seine Lider halb und sah den über ihn gebeugten Fireball an, dessen linkes Auge in allen Blautönen leuchtete. Die Schrammen auf seiner Wange waren mit Pflastern beklebt.

„Ich hasse dich! Mach das nie wieder!“, knurrte er mit rauer Stimme, woraufhin Fireball lachte.

„Woher soll ich denn wissen, dass du nichts verträgst? Aber mach dir keine Sorgen, wir kriegen dich schon wieder hin.“ Fireball setzte sich neben Jesse auf die Couch und hielt ihm das Glas hin. „Trink das einfach.“

Vorsichtig zog sich Jesse in eine sitzende Position und stützte seinen dröhnenden Kopf auf seine Knie. Die Helligkeit stach ihm direkt ins Gehirn, weshalb er seine Augen wieder schloss. Er atmete schwer, weil sich ihm noch alles drehte und seine Muskeln laut protestierten.

„Du siehst aus wie der lebende Tod“, bemerkte Fireball, als er ihm das Glas in die Hand drückte. „Wie wäre es, wenn wir beide in der Geisterbahn anheuern?“

„Sehr witzig.“ Jesse wollte den Tag am liebsten überspringen. Er hatte schon lange keinen Kater mehr gehabt, erst recht nicht einen solchen. Obwohl sich ihm alles sträubte, zwang er sich, das Wasser zu trinken.

„Gleich wird es besser, glaube mir“, versprach Fireball, nahm ihm das leere Glas ab und stellte es auf das Tablett am Boden. „Ich hab dir auch Kaffee und Frühstück mitgebracht.“

„Ich kann jetzt nichts essen“, murrte Jesse gequält.

„Es sind 5-Minuten-Nudeln, das ist das Beste nach so einem Abend. Sie sind schön salzig und wirken regelrechte Wunder.“ Fireball gab Jesse seinen Becher und die dazugehörigen Stäbchen, ehe er seine eigene Portion nahm. „Ich hab auch noch nicht gefrühstückt. Also – guten Appetit.“

„Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe, hm?“

„Weil ich versprochen habe, dass wir heute mit neuer Energie weitermachen. Ich bin für deinen Zustand verantwortlich, also sorge ich dafür, dass du wieder auf die Beine kommst. Und jetzt iss, wenigstens ein paar. Oder ich füttere dich!“ Fireball grinste breit.

„D...das ist Erpressung!“

„Ja. Aber nur zu deinem Besten“, erwiderte Fireball ungerührt. „Jetzt iss. Jeder mag 5-Minuten-Nudeln.“

Widerwillig ergab sich Jesse in sein Schicksal und öffnete umständlich den Deckel, so dass der Dampf entwich, und tauchte die Essstäbchen ein. Obwohl sein Kopf kaum einsatzbereit war, wusste er, wie man die Stäbchen hielt und benutzte. Die Nudeln schmeckten tatsächlich und er aß die ganze Portion auf. Ein bisschen Farbe dadurch kehrte in sein Gesicht zurück und er fühlte sich wirklich etwas besser.

„Das war gut“, gab Jesse zu, als er den leeren Becher zurückgab.

„Sag ich doch“, meinte Fireball, der sein Frühstück ebenfalls beendet hatte. „Schließlich bin ich der Experte, was 5-Minuten-Nudeln angeht. Kaffee?“

„Gerne.“

„Kommt sofort. Hier, bitte, einmal Kaffee schwarz.“

„Danke.“

Eine Weile ließ sich Jesse von dem Duft beleben, dann trank er in langsamen Schlucken. Fireball genoss seinen Kaffee ebenfalls schweigend und erhob sich anschließend.

„Ich mache hier mal Klarschiff. Lass dich nicht stören.“

„Hmhm.“

„Wenn du willst, kannst du später draußen auf der Terrasse arbeiten, es ist schönes Wetter und die frische Luft hilft, den Kater zu vertreiben.“

„Klingt gut.“
 

Eine Weile später, als Fireball zu viel Lärm beim Beseitigen der Trümmer machte, verließ Jesse sein Nachtlager und ging ins Bad, um sich frisch zu machen und seine eigenen Schrammen zu versorgen. Danach folgte er Fireballs Vorschlag und setzte sich nach draußen, um an der bevorstehenden Scheidung zu arbeiten.

Fast den ganzen Tag arbeitete er dort und merkte kaum wie die Zeit verging, als ihn eine eilige Nachricht seines Informanten erreichte. Jesse las sie schnell, speicherte sofort seine Arbeit ab und klappte den Computer zu, ehe er nach Fireball suchte. Das Wohnzimmer war fast schon leer geräumt; nur noch wenige Teile standen an der Wand und einige Glassplitter lagen auf dem Boden.

„Fireball, wo bist du?“

„Hier! Was gibt's?“ Fireball kam schnaufend und verschwitzt aus dem Flur.

„Saber trifft sich wieder mit jemandem, diesmal in der Oper. Das sollten wir uns auf keinen Fall entgehen lassen.“

„Saber? Mit wem denn?“, wollte Fireball wissen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er war alles andere als begeistert, Saber nach dem gestrigen vermasselten Anruf zu sehen und daran erinnert zu werden.

„Ich weiß nur, dass es sich wieder um jemanden aus der Rüstungsindustrie handelt. Das ist höchst verdächtig und deshalb müssen wir unbedingt dorthin. Wir haben nur noch eine knappe Stunde. Mein Informant hat alles vorbereitet und die Tickets besorgt.“

„Muss ich unbedingt mit?“

„Selbstverständlich musst du mit! Darum geht es doch, dass du mit eigenen Augen siehst und hörst, was sie zu besprechen haben. Unsere Beweisführung muss hieb- und stichfest sein.“

„Aber ich hab hier noch so viel zu tun.“ Vielsagend sah sich Fireball um und wand sich abermals wie ein Aal.

Jesse runzelte argwöhnisch seine Stirn. „Ich dachte, wir hätten eine Abmachung?“

„Ja, haben wir“, gab Fireball wenig begeistert zu. Er musste aufpassen, dass Jesse keinen Verdacht schöpfte und das Telefonat vielleicht doch herauskam. Fireball wusste, dass er kein guter Lügner war.

„Wie waren doch gleich deine Worte? Auf ein paar Stunden mehr oder weniger kommt's nicht an?“

„Ist ja schon gut, ich komme ja mit. Bin halt kein großer Opern-Fan“, versuchte er sich mit einem schiefen Grinsen herauszureden.

„Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Mein Fall ist es auch nicht gerade, aber hier geht’s um Größeres.“

„Ich nehme mir einfach Ohrenstöpsel mit, dann werde ich es schon überleben – hoffe ich. Wie maskieren wir uns diesmal?“

„Vor allem solltest du mal eben unter die Dusche springen und unbedingt dein blaues Auge überschminken, und ich meine Kratzer, sonst ziehen wir unnötig Aufmerksamkeit auf uns. In der Oper selbst ist die Beleuchtung zum Glück eher gedämpft. Diesmal müssen wir mit wenigen Mitteln auskommen. Und jetzt Beeilung! Wir haben nicht mehr viel Zeit.“
 

Eine Viertelstunde vor Beginn kamen Jesse und Fireball ziemlich abgehetzt beim Opernhaus an, einem alten Marmorgebäude, das auf einem freien Platz mitten in der Innenstadt errichtet worden war und von allen Seiten bläulich beleuchtet wurde. Kunstvolle Säulen und Statuen gaben ihm den Stil einer altgriechischen Tempelanlage.

Die Stufen zum Eingang waren mit einem roten Teppich ausgelegt, die die vielen edel gekleideten Besucher hinauf stiegen.

Jesse und Fireball waren dem Anlass entsprechend in schwarze Anzüge gekleidet. Fireball hatte sein Haar mit viel Gel zurückgekämmt und einen falschen Bart angeklebt, während Jesse sein Haar zusammengebunden und eine eckige Brille mit breitem Rand aufgesetzt hatte. Es war äußerst riskant, musste heute aber ausreichen. Nebeneinander gingen sie zum Eingang, als plötzlich Saber in Begleitung eines älteren Herrn von der Seite auftauchte, mit dem er sich angeregt unterhielt.

Jesse reagierte prompt und zog Fireball hinter eine Säule. „Wir müssen die Mission sofort abbrechen.“

„Was ist los, wieso denn auf einmal? Saber ist doch da und seine Begleitung auch.“

„Es geht nicht“, erklärte Jesse fahrig, während er möglichst unauffällig hinter der Säule hervorlugte, um die beiden Männer zu beobachten. Jesse biss die Zähne zusammen, aber der innere Druck wurde zu groß und er gab ihm schließlich nach. „Der Mann neben Saber ist mein Vater. Ich kann da einfach nicht reingehen. Was, wenn er mich sieht und erkennt?“

„Dein Vater?“, wiederholte Fireball überrascht und betrachtete Sabers Begleitung genauer. Der Mann war ungefähr Ende 60, annähernd gleich groß wie sein Begleiter, mit strenger Frisur. Seine Augen waren stechend blau und seine Haltung war die eines Anführers, der es gewohnt war, dass ihm Respekt und Ansehen entgegengebracht wurden.

„Hä? Das ist doch Dr. Maverick, der Eigentümer von Maverick Laser Technologies“, stellte Fireball fest und sah Jesse irritiert an.

„Ich dachte, er hätte die Firma nach Kriegsende verkauft, weil es nicht mehr so gut lief“, bemerkte Jesse mehr zu sich, der die Augen nicht von seinem Vater lassen konnte, den er seit dem Streit nicht mehr gesehen hatte.

„Aber“, setzte Fireball erneut an, „hat Maverick nicht Ramrods Schnellfeuerkanonen und den Blaster hergestellt?“ Er wollte es nicht glauben, was er da gerade erfahren hatte. „Dann … bist du der Sohn von Dr. Maverick?“, brachte er schließlich heraus. Fireball brauchte einfach eine Bestätigung, damit er sich sicher sein konnte, dass er es richtig begriffen hatte.

„So ist es“, antwortete Jesse schlicht und beobachtete wie die beiden Männer im Eingang verschwanden. Als sie außer Sichtweite waren, sah er zu Fireball, der ihn immer noch entgeistert anstarrte.

„Lass uns gehen. Ich will weg von hier.“

„Jetzt wird mir einiges klar“, bemerkte Fireball fest, der Jesse folgte.

„Was wird dir klar?“, wollte Jesse mit einem warnenden Seitenblick wissen. Seine Laune war auf einen Tiefpunkt gesunken, weil die Begegnung die alten Geschichten, die er seit Jahren verdrängt hatte, wieder ans Tageslicht brachten.

„Warum du so bist. Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen, deinen Vater mal persönlich zu treffen, und zwar zu Ramrods Abschiedsfest ein Jahr nach Kriegsende. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, weil er uns dermaßen herablassend und arrogant behandelt hatte, dass man sich dafür schämen musste.“

„Du meinst, ich bin genauso wie er“, stellte Jesse finster fest.

„Zumindest warst du es mal, das musst du zugeben. Jetzt bist du es eher nicht mehr. Was ich aber eigentlich meinte, ist, dass du als Kind mit so einem Vater wohl nicht besonders viel zu lachen hattest. Darf ich mal raten? Dein Vater hat sich als eine Art Herrscher der Familie gestehen und ein strenges Regime geführt. Dass es euch nicht Geld fehlte ist klar, immerhin ist Maverick ein traditionsreiches und erfolgreiches Unternehmen. Du solltest bestimmt sein würdiger Nachfolger werden, um den Fortbestand der Firma zu sichern und deshalb hat er akribisch genau darüber bestimmt, was du zu tun und zu lassen hattest. Ich vermute mal, dass du nicht viele Freunde hattest, nicht draußen spielen und Unsinn treiben durftest, aber dafür stundenlang lernen musstest, vielleicht sogar mit Privatlehrern oder in einem teuren Internat und wehe du warst nicht der Beste. Ich kann mir sogar vorstellen, dass dein Vater sogar schon eine Verabredung getroffen hat, wen du später einmal hättest heiraten sollen. Stimmt's oder hab ich recht?“

„So ungefähr“, antwortete Jesse missmutig, der nicht zugeben wollte, wie nah Fireball an der Wahrheit dran war. Obwohl es lange her war, tat es weh, das alles zu hören.

„Das war sicher ein Schlag ins Gesicht, als du ihm gesagt hast, dass du lieber Anwalt werden wolltest, anstatt in seine Fußstapfen zu treten. Bei seiner Art wundert es mich nicht, dass er dich enterbt hat. Aber du hast das Richtige gemacht. An deiner Stelle hätte ich genauso entschieden.“

„Gebracht hat es letzten Endes nichts. Vielleicht war ich damals meinem Vater wirklich zu ähnlich und deswegen bin ich trotz meiner hervorragenden Leistungen bei den Star Sheriffs auf keinen grünen Zweig gekommen. Aber was hilft es, der Vergangenheit hinterher zu trauern?“

„Nichts. Man kann sie nur akzeptieren, aber manchmal fällt das halt schwer; ich spreche aus Erfahrung“, zwinkerte Fireball und stieß Jesse freundschaftlich mit dem Ellenbogen in die Seite. „Hast du denn keine Geschwister, die die Firma hätten leiten können?“

„Nein, nicht dass ich wüsste“, antwortete Jesse. Er zog die Tickets aus der Innentasche seines Jacketts, um sie in den nächsten Mülleimer zu werfen, als Fireball ihn aufhielt.

„Wollen wir nicht doch reingehen? Saber könnte dich und mich genauso erkennen.“

„Nein. Sei froh, so kommst du um die Arien herum.“

„Stimmt. Aber es interessiert mich jetzt schon sehr, was Saber mit deinem Daddy zu schaffen hat.“

„Mich auch, aber heute ist nicht der richtige Zeitpunkt, das herauszufinden. Es war keine gute Idee, so unvorbereitet herzukommen. Das Risiko ist einfach zu groß.“

„Wahrscheinlich hast du recht,“ meinte Fireball und kratzte sich an seinem falschen Bart, wobei er Jesse ratlos ansah. „Meinst du, dein Kontaktmann kann Infos abgreifen und sie dir zuschicken?“

„Diesmal nicht, weil er nicht dabei ist“, antwortete Jesse und ließ die Tickets in den Mülleimer fallen, ehe er seine Hände in den Hosentaschen vergrub.

„Hm“, brummte Fireball geknickt, der die Hände ebenfalls in die Taschen gesteckt hatte und mit gesenktem Kopf neben Jesse her trottete. Plötzlich fiel ihm etwas ein und er sah seinen Nebenmann an. „Hey! Wieso heißt du Blue mit Nachnamen, wenn dein Vater Maverick heißt? Heißt du am Ende auch gar nicht Jesse?“

„Weil ich mit meinem Vater nichts mehr zu tun haben wollte. General White Hawk half mir, meinen Namen zu ändern. Er ist der Einzige, der über meine Herkunft Bescheid weiß. Naja, und jetzt halt auch du.“

„Und wie heißt du richtig?“

„Bleib einfach bei Jesse und lass es gut sein“, meinte Jesse und gab einem Taxi ein Zeichen, damit es anhielt. „Du hast mit deiner Vergangenheit abgeschlossen und ich mit meiner. Nutzen wir den Abend lieber, um weiterzuarbeiten.“
 


 

Mit angespanntem Gesicht trat Fireball in ein weißes, kurzärmeliges Hemd und Bluejeans gekleidet vor die unzähligen Mikrofone. Seine Ankündigung, eine Presseerklärung abgeben zu wollen, hatte einen Aufruhr in der Medienwelt verursacht und heute waren so viele Reporter und Mikrofone da, dass er sie kaum überblicken konnte. Neben den einschlägigen Sportmagazinen und TV–Sendern hatten sich auch allerlei Klatschreporter eingefunden, die alle etwas von der riesigen Torte abhaben wollten, die er ihnen bot.

Obwohl Fireball schon unzählige Interviews in seinem Leben gegeben hatte, war er heute sehr nervös. Daran änderte nichts, dass er seinen Auftritt gestern etliche Male mit Jesse durchgegangen war, der eine nie geahnte Geduld aufgebracht hatte.

Im Raum wurde es still, nur das leichte Rascheln von Notizblättern und das dauernde Klicken von zig Spiegelreflexkameras war zu hören, als alle gespannt darauf warteten, was Fireball ihnen zu sagen hatte.

„Guten Tag zusammen“, begrüßte Fireball die anwesenden Reporter, während er seinen Blick über sie gleiten ließ. Dass er sich alles andere als souverän und überzeugend fühlte, merkte man seiner Stimme nicht an.

„Ich möchte Sie nicht lange aufhalten und gleich zu dem Thema kommen, weswegen Sie sich hier eingefunden haben. In den letzten Monaten habe ich mich nicht zur Trennung von meiner Frau geäußert, weil ich dies selbst erst einmal verarbeiten musste. Außerdem kam die Auflösung meines Teams erschwerend hinzu wie Ihnen sicherlich bekannt ist. Nun aber haben die Anfeindungen gegen mich einen Höhepunkt erreicht, bei dem ich nicht weiter tatenlos zusehen kann.“ Ein Raunen ging durch die Menge und Fireballs Augen funkelten ein wenig herausfordernder. Die Presse konnte ein Freund sein und gleichzeitig der größte Feind.

„Daher möchte ich jetzt zu den mir wichtigsten, falsch dargestellten Tatsachen Stellung nehmen. Erstens. Entgegen aller Behauptungen sind mir meine beiden Töchter Fiona und Alyssa das Liebste und Teuerste auf der Welt und ich würde mich freuen, wenn ich Zeit mit ihnen verbringen könnte. Leider werden sie mir vorenthalten und ich kann derzeit nichts dagegen tun. Daher muss eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden. Zweitens. Eine Trennung hat immer zwei Seiten. Bisher wurde nur Carolines Seite gehört und vermarktet, die so nicht ganz der Wahrheit entspricht. Fakt ist, dass sie mich verlassen hat - und nicht umgekehrt -, da sie es vorzieht, mit Nicolas Alvarado zusammen zu sein. Die herannahende Insolvenz meines Teams erleichterte ihre Entscheidung, da ich ihr den finanziellen Rückhalt nicht mehr bieten kann. Diese Tatsache hat sie Ihnen gegenüber wahrscheinlich nicht erwähnt. Drittens. Ich weiß, dass ich eine Person des öffentlichen Interesses bin und respektiere Ihre Arbeit. Dennoch bitte ich ebenfalls um Respekt und Zurückhaltung, wenn es um eine persönliche Angelegenheit dieses Ausmaßes geht. Bisher haben Sie alle immer die gewünschten Informationen bekommen und daran hat sich von meiner Seite aus nichts geändert.“ Das aufkommende Gemurmel war etwas peinlich berührt, was Fireball innerlich wohlwollend zur Kenntnis nahm. Er ging allerdings nicht darauf ein, sondern fuhr ohne Pause in seinem Text fort: „Viertens. Mein Team wurde korrekt durch meinen Anwalt aufgelöst und ausbezahlt. Sie können die Unterlagen dazu gerne einsehen, ich habe nichts zu verbergen. Die Gerüchte, dass ich sie hängen lasse, weise ich deshalb entschieden von mir! Ich ziehe mich ab sofort komplett aus der Formel 1 und dem öffentlichen Leben zurück und ich bitte um Ihr Verständnis, dass ich keine weiteren Interviews mehr geben werde. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!“ Fireball sah noch einmal in die Reportermassen und ihm wurde in diesem Moment bewusst, dass dies das letzte Interview seines Lebens gewesen war und er diesen Anblick nie wieder sehen würde. Die Presseleute schienen nicht glauben zu wollen, dass die Erklärung beendet war. Erst als Fireball seine Aufzeichnungen nahm und das Rednerpult verließ, ging der Ansturm los: „Fireball! Was werden Sie in Zukunft tun?“

„Mr. Hikari, wann ist die Scheidung?“

„Werden Sie Ihre Frau verklagen?“

„Auf welchen Tatsachen stützen Sie Ihre Behauptungen?“

„Was machen Sie mit…?“

Die Tür fiel hinter Fireball ins Schloss und dämpfte die Reportermasse zu aufgebrachtem Gemurmel, deren einzelne Fragen er nicht mehr differenzieren konnte. Das Sicherheitspersonal hatte alle Hände voll zu tun, die Informationsgier der Medien zu bewältigen, aber dies war Fireball egal. Tief atmete er durch und steckte seine Aufzeichnungen in seine Gesäßtasche. Jetzt, da dieser Schritt getan war, fühlte er sich erleichtert und frei. Er musste Jesse sogar dafür danken, dass er ihn hierzu gedrängt hatte. Es war wirklich ein erster Schritt in ein neues Leben und zurück zum „alten“ Fireball.

Beschwingt und mit einem leichten Grinsen auf den Lippen machte er sich ohne Umwege auf den Weg zum Dach, wo sein Gleiter geparkt war. Endlich schien sich der Stillstand in seinem Leben aufzulösen und es ging wieder voran, wobei es Fireball sogar ziemlich egal war, in welche Richtung. Hauptsache, es bewegte sich wieder etwas.

Auch der Hausverkauf machte Fortschritte. Die Sachen waren inzwischen alle gepackt und morgen würde ein Transportunternehmen kommen, um sie mitzunehmen und einzulagern. Der Makler wäre ebenfalls anwesend, um Aufnahmen für das Exposé zu machen. Damit würde ein weiterer Teil der riesigen Last von Fireballs Schultern genommen.

Die Scheidung selbst würde noch einmal hart für Fireball werden; dass sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, war nur ein kleines Trostpflaster. Der Termin war schon in drei Tagen angesetzt, denn auf Jesses Anraten hin hatte Fireball um Verschiebung auf einen früheren Zeitpunkt gebeten, die ihm gewährt worden war. Der Richter zeigte vollstes Verständnis dafür, als Fireball seine Gründe dafür anführte, die sich auf die Sorge um seine Kinder stützte, die er vor dem Presserummel schützen wollte. Carl, Fireballs Anwalt, hatte nach einigen Diskussionen seine Ausarbeitungen zur Verfügung gestellt. Während Jesse vermutete, dass Carl bisher gar keine Vorbereitungen getroffen hatte, glaubte Fireball, dass Carl beleidigt darüber war, dass er ihm jemanden zur Seite stellte und ihn überprüfen ließ. Fireball hatte Jesses Decknamen Carl gegenüber nicht erwähnt, doch er hatte ihm ebenfalls klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass er seine uneingeschränkte Mitarbeit wünschte. Carl zögerte, da seine berufliche Qualifikation infrage gestellt wurde, aber die Aussicht, dass Fireball etwas extra zahlen würde, brachte schließlich die Zustimmung. Leider hatte Carl die Akten Fireball erst gestern Abend per Mail zukommen lassen. Sie waren in der Tat sehr schlampig zusammengestellt und nun lag es an Jesse, alles innerhalb kürzester Zeit zu sichten, zu prüfen und einen brauchbaren Vorschlag auszuarbeiten.
 

Während des Fluges zurück zu seinem Haus, wo Jesse über Carls Unterlagen brütete, dachte Fireball wieder einmal viel über seinen neuen Partner nach. Seine Arbeitsweise war schnell und effizient und er wusste genau, wo er ansetzen musste. Fireball wunderte nicht, dass er früher so ein schwieriger Gegner gewesen war und er war sich inzwischen ziemlich sicher, dass Jesses Versagen meistens nicht seine Schuld gewesen war. Es zog ihm kalt den Rücken hinauf, als er sich ausmalte, was gewesen wäre, wenn die Outrider nicht so sehr gegeneinander gearbeitet hätten und sich dadurch immer wieder selbst in die Quere gekommen wären. Hätte das Neue Grenzland den Krieg dann auch zu seinen Gunsten wenden können? Schnell wischte Fireball diese Gedanken beiseite, denn dies war die Vergangenheit und es war zum Glück anders gekommen und er wollte jetzt nicht darüber sinnieren.

Er landete den Gleiter auf seinem Grundstück und betrat das Haus, das er bald los sein würde.
 

Jesse saß konzentriert mit aufgeschlagenen Akten und einem Notizblock am Laptop und sah auf, als Fireball hereinkam. Er bemerkte sofort an Fireballs Auftreten, dass die Veranstaltung ein voller Erfolg gewesen war und er freute sich sehr darüber, weil dies auch sein Erfolg war. Dennoch schenkte er Fireball nur ein leichtes Lächeln.

„Es ist also wie erwartet gut gelaufen“, stellte er fest.

„Ja“, bestätigte Fireball, „und das ist größtenteils dein Verdienst. Ich danke dir dafür und schulde dir was!“

„Mach dich nicht lächerlich“, entgegnete Jesse unwirsch, der Dankesworte nicht gewohnt war und nicht wusste wie er damit umgehen sollte. Nur mit allergrößter Anstrengung konnte er die sich abzeichnende Röte auf seinen Wangen unterdrücken. „Jetzt können wir uns endlich voll und ganz auf unsere Mission konzentrieren.“ Es war ein schlechtes Ablenkungsmanöver und sowohl Jesse als auch Fireball wussten das. Weil Fireball Jesse nicht reizen und ihn auch nicht vorführen wollte, klopfte er ihm nur kurz anerkennend auf die Schulter und ging in die Küche, wo er eins der übrigen Biere aus dem Kühlschrank, die er vor Wochen, als Caroline ausgezogen war, gekauft hatte. Gerne hätte er den gelungenen Presseauftritt ein bisschen gefeiert, aber leider stand Jesse, der einzige Anwesende, mit dem er feiern konnte, unter Zeitdruck. Außerdem schien er nach dem Kater vor zwei Tagen nicht unbedingt in der Stimmung für eine Party zu sein. Deshalb ging Fireball nach oben, um Jesse nicht weiter zu stören.
 

Einige Zeit später hatte sich Fireballs Hochgefühl wieder gelegt und er kam zurück ins Wohnzimmer.

„Wie kommst du voran?“, erkundigte er sich und nahm seinen eigenen Laptop zur Hand, um ihn hochzufahren.

„Es geht“, antwortete Jesse einsilbig ohne seine Aufmerksamkeit vom Monitor zu nehmen. „Ich bin noch dabei, mich in die Gesetzestexte einzulesen und einige Urteile durchzustöbern, das dauert eben.“

„Weißt du, was ich mir überlegt habe?“, fragte Fireball und Jesse sah den anderen nun leicht genervt an, weil er unterbrochen worden war.

„Nein. Was?“

„Wenn Saber wirklich einen Angriff auf die Phantomzone vorhat, dann braucht er einen Dimensionsantrieb.“ Jesses Blick wurde weniger genervt, sondern vielmehr interessiert, was Fireball zum Weiterreden animierte. „Deshalb müsste er theoretisch eine groß angelegte Forschung in dieser Hinsicht betreiben. Ich weiß nur, dass man mit den Phantomgleitern, die nach dem Krieg übrig waren, keine Dimensionssprünge mehr machen konnte. Man vermutete, dass es mit der Zerstörung der Tritonmaterie zusammenhängt, konnte es aber nie überprüfen“, führte Fireball aus und Jesse nickte langsam. Auf diesen Gedanken war er noch gar nicht gekommen, obwohl er selbst einen Gleiter mit dieser Antriebstechnik besaß. Beinahe ein Jahrzehnt nach Kriegsende hatte es gedauert, bis die Outrider eine alternative Energiequelle gefunden hatten, die stark genug war, den Sprung durchzuführen, aber diese wurde für weitaus Wichtigeres eingesetzt als andere Dimensionen heimzusuchen.

„Außerdem sind die Sprache und Symbole der Outrider noch nicht ganz entschlüsselt, was es schwierig machen dürfte, Nachrichtentechnik einzusetzen. Ich denke, wir sollten unsere Spionageaktivitäten auch in diese Richtung ausbreiten.“

„Eine gute Idee“, stimmte Jesse positiv überrascht zu, der sehr angetan von Fireballs plötzlicher Einsatzbereitschaft war. Gab er sich so viel Mühe, weil er ihm geholfen hatte und er ihm etwas zurückgeben wollte? Oder war es etwas anders, das Fireball den letzten Kick gegeben hatte, ihm endgültig zu vertrauen? Jesse konnte es sich nicht erklären und beschloss daher, weiterhin vorsichtig zu bleiben.

„Ich habe vorhin von meinem Kontaktmann eine Nachricht erhalten, dass Outriderschiffe im Sigma-Quadranten gesichtet worden sind. Angeblich stellte es sich als falscher Alarm heraus, aber vor ein paar Wochen kam schon einmal eine solche Falschmeldung, allerdings betraf es damals den Omikron-Sektor. Das sind ein bisschen viele Falschmeldungen für meinen Geschmack.“

„Das sollten wir unbedingt überprüfen“, nickte Fireball, „Was zuerst?“

„Zuerst müssen wir mögliche Kontakte herausfinden. Ich setze meinen Informanten darauf an. Du kannst ja schon einmal nach möglichen Firmen suchen, die eine solche Entwicklungsarbeit leisten könnten. Vielleicht stellen die ein ähnliches Programm auf ihren Homepages vor oder sie haben irgendwelche Ergebnisse veröffentlicht, die nicht unbedingt in direktem Zusammenhang mit dieser Forschung stehen.“

„Ich sehe nach“, meinte Fireball und machte sich sogleich an die Arbeit. Eigentlich hatte er sich die einschlägigen Sport-Feeds ansehen wollen und wie seine heutige Presseerklärung angekommen war, doch das vergaß er über die neuen Aufgaben. Erst viel kam es ihm wieder ihn den Sinn, ließ es dann aber sein, da es ihm nicht mehr so wichtig erschien. Dies war Teil eines Lebensabschnitts, den er nun hinter sich gelassen hatte.

Schweigend arbeiteten die beiden nebeneinander, bis Jesse sich müde über die Augen fuhr und den Laptop ausschaltete.

„Ich mache Feierabend für heute. Wann geht’s morgen früh los?“

„Die Transportfirma kommt gegen neun und holt die Sachen ab.“

„Okay. Dann gute Nacht.“

„Gute Nacht.“ Fireball sah Jesse hinterher und beschloss kurz darauf, ebenfalls ins Bett zu gehen.
 


 

„Ruf mich an, wenn die Möbelpacker fertig sind“, sagte Jesse am nächsten Morgen zu Fireball und reichte ihm einen Zettel mit seiner Handynummer. „Ich brauche Ruhe, um den Rest für morgen fertig zu machen.“ Die vielen Notizzettel stopfte er in die Laptoptasche, die er anschließend über seine Schulter hängte. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, bis zum frühen Nachmittag fertig zu sein, damit Carl - im Gegensatz zu ihm - genug Zeit hatte, sich die Forderungen und die ausführlichen Begründungen durchzulesen und sich gut vorzubereiten. Jesse wollte das Thema morgen unbedingt vom Tisch haben, damit die Mission endlich ohne Störungen und in geregelten Bahnen weitergehen konnte. Gerade Fireballs neue Ansätze brachten viel Arbeit und Recherchen mit sich, die ebenso sorgfältig ausgeführt werden mussten wie die bisherigen Ermittlungen. Sie hatten eine ganze Menge an Indizien zusammengetragen, aber immer noch keinen konkreten Beweis, der Saber ans Messer liefern würde.

„Mach ich“, nickte Fireball und nahm den Zettel entgegen. „Dann bis später“, verabschiedete er ihn, als gerade der LKW der Umzugsfirma eintraf.
 

Für beide wurde es ein arbeitsreicher, aber erfolgreicher Tag. Jesse hatte wie geplant die Unterlagen zu seiner Zufriedenheit fertig gestellt. Kurz darauf rief Fireball an und informierte Jesse, dass die Möbelpacker gerade ihre Arbeit beendet hatten.

„Gleich kommt der Makler und wir machen die Übergabe und erledigen den ganzen Formularkram. Ich denke, in spätestens einer Stunde sind wir damit durch.“

„Ist gut“, verabschiedete sich Jesse und legte auf. Er schob seine Sonnenbrille aus seinem Haar zurück auf die Nase und bestellte einen Kaffee bei der Bedienung. Seit den frühen Morgenstunden hielt er sich in der historischen Bibliothek von Yuma auf und gönnte sich jetzt ein wenig Entspannung im Café des Parks nebenan. Es war nach wie vor ein befremdliches Gefühl für ihn, einfach dazusitzen, die vorbeigehenden Leute zu beobachten und nichts zu tun, aber vielleicht hatte Fireball tatsächlich recht, dass eine Pause ab und zu gut tat und danach neue Inspirationen und Ideen brachte. Wie sollte er das herausfinden, wenn er es nicht selbst ausprobierte?
 

Eine Stunde später rief Fireball an. „Alles erledigt.“

„Sehr gut. Dann sprechen wir jetzt am besten die Verhandlung für morgen durch und danach kannst du die Unterlagen an Carl senden“, erwiderte Jesse, der bei Gericht nicht anwesend sein würde.

„Okay. Ich werde heute Nacht in der Stadt bleiben und mir ein Hotel nehmen. Vielleicht können wir das dort besprechen.“

„Wie du meinst. Welches Hotel?“

„Das Kensington. Kennst du es?“

„Ja, ich weiß, wo es ist. Wann bist du da?“

„Ich mache mich sofort auf den Weg.“

„Gut. Ich auch.“
 

Dort angekommen, buchte Fireball ein Zimmer, dann setzten sie sich in eine ruhigere Ecke der Lounge, um die morgige Scheidung zu besprechen. Jesse erklärte jeden Schritt und die dazugehörigen Begründungen und Gesetzesgrundlagen, und Fireball hörte aufmerksam zu, während er eine Zigarette nach der anderen rauchte. Erst als er alles verstanden hatte, schickte er die Unterlagen an Carl und rief ihn an, um ihm ein weiteres Mal einzuschärfen, dass er sich richtig vorbereiten sollte.

An diesem Abend unterließ er es, Dankesworte an Jesse zu richten. Fireball war in dieser Hinsicht froh, den anderen bei sich zu haben, denn nun stieg die Nervosität in ihm auf. Lieber hätte er zwar Colt bei sich gehabt so wie damals, als er Trauzeuge bei der Hochzeit gewesen war und umgekehrt Fireball bei Colt und Robins, doch seit sein bester Freund und Robin sich getrennt hatten, war der Kontakt immer weniger geworden bis weder er noch Colt sich jemals wieder gemeldet hatten. Fireball merkte einmal mehr, was für ein unzuverlässiger, egoistischer Kerl er seit der Heirat mit Caroline geworden war und er mochte diese Züge an sich gar nicht leiden. So war er nicht! Ihm wurde bewusst wie sehr er Colt vermisste, und auch April und Saber – die alten Zeiten eben, die nie wieder in dieser Form zurückkehren würden. Stattdessen saß er nun hier mit Jesse, dem ehemaligen Feind, der sich zum Positiven geändert zu haben schien. Er musste zugeben, dass er ihm außerordentlich dankbar für seine Hilfe war, obwohl Jesse das nur getan hatte, um in seiner eigenen Mission voranzukommen. Dennoch hatte er es getan – ein Umstand, den Fireball dem anderen in hundert Jahren nicht zugetraut hätte. Scheinbar hatten sich die Zeiten auch hier geändert und die Feinde gleich mit.
 

„Trink nicht so viel!“, ermahnte Jesse Fireball, als dieser ein weiteres Bier bestellen wollte. „Es hat keinen Sinn, wenn du morgen mit einem dicken Kopf bei Gericht auftauchst und nicht bei der Sache bist!“

Fireball lag eine schroffe Bemerkung auf der Zunge, die er im letzten Moment herunterschluckte. Er war es Jesse schuldig, sich zusammenzureißen und die viele Arbeit des anderen nicht wegen eines Bieres zu viel zunichte zu machen. Dabei ging es im Grunde genommen nicht nur um den Respekt Jesses Bemühungen gegenüber, sondern vielmehr um sein eigenes Leben.

„Einen Guavensaft“, bestellte er dann beim Kellner und zeigte Jesse auf diesem Weg, dass er verstanden hatte, worum es ging.

„Bist du dir sicher, dass du alles verstanden hast?“

„Ja, bin ich. Deine Erklärungen waren logisch und nachvollziehbar. Falls Carl versagt, traue ich mir sogar zu, das selbst in die Hand zu nehmen.“

„Gut. Dann bleibt nur noch, auf morgen zu warten.“ Jesse zog einen Geldschein aus seiner Hosentasche und legte ihn auf den Tisch. „Wir treffen uns nach deinem Termin am besten einfach wieder bei mir.“

„Steck das Geld wieder ein, ich zahle“, sagte Fireball. „Das ist das Mindeste, was ich tun kann.“

Jesse überlegte kurz mit unergründbarer Miene, dann nahm er den Schein wieder an sich und stand auf. „Also, bis morgen bei mir.“

„Genau. Bis dann“, nickte Fireball und nahm sein Glas entgegen, das der Kellner ihm reichte. Er schaute Jesse hinterher und seine Gedanken kehrten zurück zu Colt. Dann kam ihm eine Idee.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Yayoi
2013-01-14T19:47:05+00:00 14.01.2013 20:47
Vielen Dank für deinen Kommi! Lass dich einfach überraschen ;)
LG
Von:  Reblaus
2013-01-14T18:28:18+00:00 14.01.2013 19:28
Interessant, was für eine mögliche Wandlung Jesse erleben könnte. Wenn er seinen Gedanken folgen würde , wäre er ja nicht mehr der Fiesling ansich.
Wobei ich Jesses Verhalten nach der Demütigung in der Akademie verstehen kann. Auch , dass er damals nicht zurück konnte , obwohl er es sicher zu manchen Zeiten gerne getan hätte .
Tolle Idee seine Vergangenheit mit dem Namen Maverick in Verbindung zu bringen!
Und Saber scheint ja wirklich krumme Dinger zu drehen! Auf der einen Seite schade, da ich den "reinen" Saber liebe aber klar anders gäbe es keinen Grund eine Story zu schreiben ;-)

Mal sehen ob Fireball und Jesse wirklich zusammen passen! ( und hoffentlich dreht Jesse nicht durch und Fireball hat das Nachsehen)

Lg



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