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Shinigami Haken Kyoukai desu - Shinigami Dispatch Society

von

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Zwischen Freud und Leid

Die Glöckchen über der Tür verkündeten die Ankunft von Lily und Nakatsu in dem kleinen Café am Ende der Einkaufsstraße.

Aus einem hinteren Raum kam ein älterer Mann geeilt. Sein graues Haar stand wirr vom Kopf ab. Es sah aus, als hätte er sie sich gerauft und sein Hemdkragen war verschwitzt.

„Hallo und willkommen“, sagte er. „Sucht euch einen Tisch. Es wird gleich jemand kommen.“

Nakatsu bemerkte, dass mehrere Kunden an jeweils einem Tisch saßen und ungeduldig auf ihre Bestellungen warteten, während ein blonder junger Mann hinter der Theke stand und Eisbecher zubereitete. Er hatte ihnen den Rücken zugewandt und war ganz in seiner Arbeit vertieft.

Lily winkte ihn zu einer ruhigen Ecke, wo sie sich niederließen.

„Was macht dein Ohr?“, fragte sie und schaute auf das gerötete und geschwollene Ohr.

„Tut halt weh“, antwortete er und berührte vorsichtig die Stelle, die er sich vor weniger als einer Stunde hatte durchstechen lassen. Das Metall in seinem Ohrknorpel fühlte sich warm an und es schmerzte, wenn er es berührte. Nachher würde er es anständig desinfizieren, wie es der Piercer gesagt hatte. Trotz der Schmerzen erfüllte es ihn mit Stolz, diesen Schritt getan zu haben, und es fühlte sich wahrlich gut an.

Aus dem Augenwinkel konnte Nakatsu sehen, wie der ältere Mann den Jüngeren zu sich winkte.

„Der Tiefkühler ist kaputt. Ich muss einen Ersatz organisieren. Halte du hier die Stellung“, sagte er und noch ehe der junge Mann antworten konnte, war er aus dem Café verschwunden. Ein leises Summen kam aus den hinteren Räumen.

Lily zog sich die Getränkekarte heran und Nakatsu spähte mit hinein.

„Weißt du, was du willst?“, fragte er.

„Etwas Kühles. Vielleicht einen Saft oder eine Limo.“

„Wie wäre es mit…?“ Noch ehe er seine Frage zu Ende stellen konnte, wurde er vom blonden Kellner unterbrochen.

„Hallo, was darf es denn sein? Unser Eis ist im Moment im Angebot. Der Tiefkühler gibt gerade den Geist auf und wir müssen es loswerden, ehe es schmilzt.“ Er warf ihnen beiden einen flüchtigen Blick zu und zückte schnell Stift und Zettel aus seiner Schürze.

„Ich nehme eine kalte Limo“, sagte Lily und legte die Karte zur Seite.

Der junge Mann notierte es sich und wandte den Kopf zu Nakatsu.

„Ich ebenfalls.“

„Kommt sofort.“ Er drehte sich schwungvoll auf dem Absatz um und ging wieder hinter die Theke. Die Gläser klapperten zwischen den Gesprächsfetzen der anderen Gäste.

„Mr. Spears sah vorhin ganz schön fertig aus, oder?“, fing Lily plötzlich an.

„Oh ja. Aber die Durchsage war der Renner.“

Sie kicherte. „Zum Glück erfährt das niemand aus der Society.“

Er nickte und musste grinsen.

Der junge blonde Kellner kam mit einem Tablett in der Hand auf ihren Tisch zu. Darauf standen mehrere Getränke.

Mit einem gekonnten Handgriff teilte er die Untersetzter aus.

„Bitte sehr. Zwei Limos. Kalt.“ Zuerst kam Nakatsus Getränk und dann Lilys.

Ihre Blicke kreuzten sich und man konnte deutlich sehen, dass er sie das erste Mal richtig ansah, anstatt nur seine Arbeit zu machen und nicht auf die Gäste zu achten.

Sein Kiefer klappte nach unten und seine Augen weiteten sich, während er noch immer das Glas mit ihrem Getränk in der Hand hielt.

„Ähm…entschuldige bitte…“, fing er an und richtete sich auf. Er stellte das Glas vor ihr hin und schüttelte den Kopf.

Nakatsu zog die Stirn in Falten. Was war denn jetzt los? Nachdenklich sah er zu Lily. Aber auch sie schaute den Kellner genauso verblüfft an, wie er sie.

„Micha?“, fragte sie verwirrt. „Bist du es, Micha?“

„Lily?“, fragte er und stellte das Tablett auf den Tisch. „Oh mein Gott, du bist es!“

Lily sprang vom Platz auf und rannte um den Tisch. Ohne zu zögern warf sie sich in die Arme des Mannes.

Er drückte sie eng an sich und sie erwiderte diese Umarmung genauso innig.

„Ich hab dich so vermisst!“, stieß sie aus, sah ihn an und drückte ihn wieder an sich.

„Wie lange ist es her? Zwei Jahre bestimmt.“

Verwirrt und sichtlich überfordert mit der Situation schaute Nakatsu zwischen Lily und dem Mann, der Micha hieß, hin und her.

„Kann mir mal einer erklären, was hier los ist?“, fragte er laut genug für die Beiden, aber sie achteten nicht wirklich auf seine Worte.

„Wo warst du nur?“, fragte sie.

„Hier und dort. Überall eigentlich. Und du? Du bist jetzt ernsthaft Shinigami in Ausbildung?“

Stolz nickte sie.

„Ich gratuliere dir, meine Liebe!“

„Entschuldigen Sie! Aber würden Sie uns bitte unsere Bestellung bringen?“, fragte ein Kunde am anderen Ende des Cafés.

„Ich komme sofort!“, rief er zurück und ließ Lily los. „Ich komme gleich wieder.“

Mit einem strahlenden Lächeln nickte sie und setzte sich wieder.

„Wer war das? Was geht hier vor, Lil?“

„Oh mein Gott…ich kann es kaum glauben…“, brachte sie hervor und trank schnell etwas von ihrer kalten Limo.

„Wer ist der Kerl?“

„Micha. Ich meine, eigentlich Michael. Wir kennen uns schon ein Leben lang und haben uns jetzt zwei Jahre nicht gesehen. Er ist…“

„…ein sehr guter Freund“, beendete Michael ihren Satz. „Meine Süße, willst du zur Feier des Tages ein Eis? Geht aufs Haus. Ich lade dich ein.“

„Das klingt toll.“ Verschwörerisch zwinkerte sie ihm zu und er grinste sie frech an.

„Aber ich glaube, deinem Freund gefällt es nicht.“

Lily sah Nakatsu überrascht an, als hätte sie vergessen, dass er auch noch dort war.

„Oh tut mir leid, Micha. Das ist Nakatsu. Aber er ist nicht mein Freund. Also…“ Ihr Gesicht rötete sich. „Nicht in dem Sinne. Wir sind bloß gute Freunde!“

Verschwörerisch grinste er sie an. „Wer weiß. Oder gibt es jemand anderen?“

Nakatsus Herz setzte aus.

Es war schon schlimm genug, dass er scheinbar nicht ihr bester Freund war, sondern jemand anderes, worüber sie nicht ein Wort verloren hatte. Aber der Gedanke, sie könnte in jemand anderen verliebt sein, schmerzte geradezu in seiner Brust.

Mit einem Seitenblick auf Lily, aber die Augen hauptsächlich auf Michael gerichtet, beobachtete Nakatsu seine angeblich beste Freundin.

Sie wirkte verlegen und nachdenklich. „Nein, es gibt niemand anderen. Ich bin in keinen Mann verliebt!“

„Na gut. Wenn du das sagst“ Ganz überzeugt klang er nicht, aber er zückte erneut Stift und Block. „Na gut. Ich lade euch beide auf ein Eis ein zur Feier des Tages. Was wollte ihr? Wir haben alle möglichen Extras: Erdnüsse, Schokostreusel, Schokolinsen, Kokosraspel, heiße Soßen, Sahne, Erdbeeren, Kirschen, Ananas und vieles mehr.“

„Überrasch mich“, sagte Lily zur Antwort. „Das konntest du schon früher gut.“

Michael nickte und sah zu Nakatsu.

Widerwillig sah er ihn an. „Mich auch“, presste er hervor.

„Na gut. Zweimal Überraschungseis.“ Damit verschwand er hinter der Theke.

Die Glöckchen an der Tür bimmelten und ein Mann mit einem Jungen kam herein.

„Alles in Ordnung, Nakatsu?“, fragte sie besorgt und legte eine Hand auf seine. Sie war kühl vom Glas.

„Wieso hast du ihn nie erwähnt?“, fragte er.

„Weil…“ Leise seufzte sie. „Zwischen Micha und mir ist viel passiert. Ich hatte nicht erwartet ihn wiederzusehen nach all der Zeit. Es ist kompliziert. Ich erkläre es dir lieber später in Ruhe und nicht hier.“

Er nickte und trank einen Schluck. Sein Blick wanderte zur Theke.

Der Mann mit dem Kind stand noch immer dort und plauderte höflich mit Michael.

Wenn er ihn so betrachtete, wirkte er sehr freundlich und offenherzig. Seine Haare waren blond und mehrere Ohrringe hingen in seinen Ohren. Unter dem Hemd zeichneten sich seine Muskeln ab. Er war deutlich älter als Lily und man sah ihm an, dass er viel erlebt hatte.

„Welche Sorte möchtest du, Billy?“, fragte der Mann.

Der Junge presste sein Gesicht an die Scheibe, dann sagte er: „Schokolade.“

Michael nickte, worauf er eine Waffel und den Eisportionierer heraus holte. Er beugte sich ein wenig über die Eisbehälter und befüllte die Waffel mit einer Kugel.

„Ich will Vanille“, sagte Billy plötzlich und Michael hielt inne.

„Vanille und Schokolade? Zwei Kugeln?“, fragte er höflich.

Anscheinend ließ ihn so etwas nicht aus der Ruhe bringen und kratzte nicht an seiner Stimmung. Wahrscheinlich war er daran gewöhnt.

Der Vater schüttelte den Kopf. „Ich hab dir doch gesagt, eine Kugel. Willst du Vanille statt Schokolade?“

Der Junge stampfte mit dem Fuß auf und schüttelte ebenfalls den Kopf. Er wollte wohl beides.

Sein Vater kniete sich vor ihm hin und brauchte einige Minuten, um seinen Sohn zu beruhigen, während Michael seelenruhig wartete.

„Wir nehmen Vanille“, sagte der Mann schließlich.

Freundlich nickte Michael. Er stellte die Waffel zur Seite, nahm eine Frische und befüllte diese mit einer Kugel Vanille. Eine perfekte Kugel Vanilleeis wurde dem Jungen über die Theke gereicht, während Michael kurz an die Kasse trat und das Geld kassierte.

Nach ihnen kamen noch drei weitere Leute dran, die ein Eis bestellten.

„Bist du sauer, Natsu?“, fragte Lily plötzlich.

Er brummte.

„Tut mir leid. Aber Micha ist nicht das, wie es vielleicht für dich aussieht. Er ist weder mein Ex-Freund noch ein bester Freund. Wir sind Freunde.“

„Du willst auch nichts von ihm?“

Lily machte große Augen und fing an zu lachen.

Nakatsu bereute seine Frage sofort und merkte, wie sein Gesicht warm wurde.

„Oh Gott! Nein! Niemals!“, antwortete Lily und musste noch immer leicht lachen.

Eine Woge der Erleichterung überkam ihn. Wenigstens das stand außer Frage.

Michael brachte ihnen beiden jeweils einen gutaussehenden und schmeckenden Eisbecher.

„Ich wohne hier ganz in der Nähe, meine Liebe. Wenn du mich mal besuchen willst, mit oder ohne deinen Freunden, dann kannst du jederzeit vorbeikommen. Ich schreibe dir mal meine Nummer und Adresse auf.“

Lily hielt inne im Essen und beobachtete ihn, wie er etwas auf seinen Block schrieb. Er riss das Blatt ab und schob es ihr zu.

„Danke“, sagte sie und steckte den Zettel in ihre Tasche.

Nakatsu hatte darauf nur einen flüchtigen Blick geworfen. Es war wirklich nur eine Nummer mit Adresse gewesen. Er nahm einen Löffel von dem Eis und starrte aus dem Fenster auf all die Leute, die vorüber liefen.

Michael wuselte zwischen den leeren Tischen umher und reinigte sie mit einem Lappen, während er und Lily sich immer wieder angrinsten. Er reinigte auch die Stühle und Nakatsu fragte sich, ob er es nur tat, um mit Lily Blicke auszutauschen und in ihrer Nähe zu sein, oder ob er es wirklich tat, weil gerade nichts zu tun war und er von seinem Chef nicht beim Schwatzen erwischt werden wollte.

Schließlich bimmelten die Glöckchen erneut und ein paar Kunden kamen herein. Sofort war Michael zur Stelle, um sie zu bedienen.

Nach fast einer Stunde waren die Eisbecher und Getränke geleert. Michaels Chef war wieder zurückgekommen und in den hinteren Teil des Cafés verschwunden, wo er versuchte, den Tiefkühler zu reparieren.

„Wollen wir zurück zur Society?“, fragte Nakatsu und sah zur Theke, wo eine junge Frau Michael ablöste, der nach draußen ging und sich eine Zigarette ansteckte.

Lily nickte und war Michael mit Blicken gefolgt. „Gute Idee. Es ist schon spät. Sicherlich warten Mr. Humphries und Mr. Slingby auf uns.“

„Mr. Spears wollte dich auch noch sprechen“, erinnerte er sie.

„Genau.“ Sie verzog das Gesicht als würde sie zu einer schlimmen Zahnarztbehandlung müssen.

„Wird schon gut gehen“, versuchte er sie aufzumuntern und stand ebenfalls auf.

Gemeinsam verließen sie das Café, nicht aber ohne vorher Michael draußen zu verabschieden.
 

Leben und Tod.

Das war eine Sache über die Alan Humprhies des Öfteren nachdachte. Nicht zuletzt bedingt durch gewisse Umstände.

Ein Shinigami, der den Tod kontrollierte, wird von einer unheilbaren Krankheit heimgesucht. Ein sterbender, unsterblicher Shinigami. Was für eine Ironie.

Wäre es ein Witz, hätte er darüber gelacht. Aber es war eine Tatsache.

Er lebte nun schon so lange damit. Wenn er sich ruhig verhielt und sich nicht überanstrengte, konnte er seinen Todestag hinauszögern.

Nicht zuletzt seinem Vorgesetzten, William T. Spears, hatte er es zu verdanken, dass er in eine ruhigere Abteilung wechseln konnte.

Aber wie war der Tod? Wie war es immer für die Menschen?

Oft genug hatte er sich das gefragt und nun wusste er es.

Er war beängstigend, qualvoll und schmerzhaft. Aber obendrein, und das war das Schlimmste für ihn, einsam.

Beim Einsammeln der Seelen hatte er sich oft genug gewünscht, die Qualen teilen zu können, aber das ging nicht. So sehr er es auch wollte.

Diese Krankheit brachte ihn nur ein wenig näher an die Schmerzen heran, die ein Mensch im Augenblick des Todes fühlte, konnten aber nicht dafür sorgen, dass er sie mit ihnen teilte.

Man wurde nun mal einsam geboren und starb einsam.

Ein Seufzer entfuhr ihm und er ging mit schnelleren Schritten durch die Flure der Society.

Wieder war ein Monat vergangen und wieder ging es zur monatlichen Routineuntersuchung in die Krankenstation.

Sein ehemaliger Mentor und jetziger Arbeitspartner, Eric, würde sich sicherlich darüber aufregen, dass er sich so abhetzte, nur um pünktlich bei seinem Termin zu erscheinen.

Wenn Alan an ihn dachte, wurde ihm ganz schwer ums Herz. Es war rührend, wie er sich um ihn sorgte, als wäre er noch immer sein Schüler. Wahrscheinlich würde Eric nie aus der Mentor Rolle bei ihm heraus kommen. Aber sie waren auch gute Freunde und da war es nur verständlich, dass er sich sorgte.

Wieder seufzte er.

Trödeln und Träumen konnte er sich jetzt nicht erlauben. Er war schon viel zu spät dran, weil noch eine Monatsabrechnung fertig erstellt werden musste. Alan hasste Unpünktlichkeit und besonders dann, wenn er zu spät dran war.

Die monatliche Untersuchung war eine Anordnung aus der oberen Etage. Alan verstand nicht, wieso er alle vier Wochen diese Prozedur über sich ergehen lassen musste. Bisher hatten sich seine Werte nicht gebessert und eine Heilung war auch nicht in Sicht. Weshalb musste er es dann immer und immer wieder über sich ergehen lassen? Obendrein ging der Bericht über seinen Gesundheitszustand nicht an die obersten Shinigami, sondern an den Abteilungsleiter William T. Spears.

Manchmal verstand er die Bürokratie in der Society nicht. Wieso ordneten sie etwas an und überließen es dann jemand anderen?

Alan schüttelte darüber nur den Kopf. Schon lange hatte er es aufgegeben, darin einen Sinn oder Logik zu suchen. Er befolgte die Anweisung und alles blieb friedlich.

Ein erneuter Seufzer entfuhr ihm, bevor er in den Gang einbog, der zur Krankenstation führte.

Sehnsüchtig dachte er an seine Lehrzeit zurück, aber es brachte nichts, alten Zeiten hinterher zu trauern.

Ungehindert schritt er weiter und noch ehe er die Station vollständig erreichte, schlug ihm der Geruch von Desinfektionsmittel entgegen.

Jedes Mal war es unangenehm in der Nase und Alan verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

Aber was sollte er tun? Diese monatliche Prozedur musste sein und so öffnete er die Tür zur Krankenstation.

Es roch noch intensiver nach dem Mittel. Alles war steril und weiß.

Vor zwei Betten waren Vorhänge gezogen worden und hinter einem kam eine Assistentin hervor. Ihr ehemals weißer Kittel war blutverschmiert und in den Händen hielt sie ein blutiges Laken.

Der Geruch von Metall und Salz stieg ihm in die Nase, zusammen mit dem Desinfektionsmittel.

Er verzog angewidert das Gesicht. Da hatte es einen Shinigami hart erwischt, wenn nicht sogar tödlich. Alan war froh, dass der Vorhang ihm den Blick auf den Anblick des Kollegen versperrte.

Die Frau ging ihrer Arbeit nach ohne ihm auch nur einen Blick zu schenken.

Alan sah sich auf der Station nach dem Arzt um, konnte ihn aber nicht entdecken. Er lief durch den Raum. Vielleicht war er ja bei dem Shinigami hinter dem zweiten Vorhang oder in seinem Büro.

„Mr. Humphries“, sagte eine männliche Stimme hinter ihm.

Alan wirbelte herum, entdeckte den Arzt und begrüßte ihn.

„Ich habe unseren monatlichen Termin nicht vergessen, Mr. Humphries.“ Der Arzt trat hinter dem ersten Vorhang ganz hervor und zog sich die Handschuhe aus, die mit Blut gesprenkelt waren. Eine Assistentin befreite ihn von dem Kittel, mit dem er seine Kleidung geschützt hatte. Am Waschbecken reinigte und desinfizierte er seine Hände.

Mit einem Lächeln trat er dann auf Alan zu und reichte ihm die Hand.

„Wie geht es Ihnen seit unserem letzten Termin, Mr. Humphries? Irgendwelche Schwächeanfälle oder Zusammenbrüche?“ Der Arzt führte ihn zu einem freien Bett und sofort kam eine der Helferinnen und zog einen Sichtschutz davor, damit sie ungestört waren. „Bringen Sie mir Mr. Humphries Krankenakte“, wies er die Helferin an.

Alan setzte sich auf das Bett, während sich der Arzt einen Stuhl heran zog und ihn musterte.

„Mir geht es gut“, beantwortete er die Frage des Arztes. „Es gab keinerlei Vorkommnisse.“ Er verschwieg lieber, dass manchmal sein Herz schnell schlug und er das Gefühl hatte, kurz vor einem Anfall zu stehen, denn das hatte nichts mit seiner Krankheit zu tun.

Die junge Frau brachte seine Krankenakte, die mit der Zeit sehr dick geworden war. Allein die vielen Befunde, Schreiben, Notizen und Anweisungen nahmen den Großteil der Akte ein.

Der Arzt nahm den Hefter entgegen, blätterte darin ein wenig herum und suchte nach den letzten Befunden. Kurz überflog er diese.

„Die letzten Ergebnisse waren konstant. Es gab keinerlei Veränderungen, weder bei dem Lungentest noch bei den Blutwerten.“ Der Arzt seufzte und Alan musste unweigerlich mit seufzen. „Gut dann wollen wir mal wieder. Sie kennen ja schon die Prozedur. Einmal den Oberkörper frei machen bitte. Ich bereite in der Zeit alles weiter vor.“

Alan nickte und wurde vom Arzt allein gelassen, der hinter die andere Seite des Vorhanges trat und Anweisungen erteilte, welche Instrumente er brauchte.

Er öffnete sein Jackett und legte es neben sich auf das Bett. Die Bolotie war schnell geöffnet. Ein Grund, warum er sie trug, war, dass er keine Krawatten binden konnte und es wesentlich länger dauerte sie zu öffnen und wieder neu zu binden.

Das weiße Hemd war ebenfalls schnell ausgezogen und zu den anderen Sachen gelegt.

Der Arzt kam mit einer Assistentin wieder und Alan bemerkte, wie sie seinen Oberkörper musterte, als hätte sie so etwas noch nie gesehen. Innerlich verdrehte er die Augen. Manchmal waren diese Helferinnen nur lästig und er glaubte, dass einige unter ihnen die Arbeit nur machten, um halb nackte Männer zu sehen.

„So dann wollen wir mal gucken“, sagte der Arzt und zückte das erste Gerät. „Einmal bitte den Kopf zur Seite drehen.“

Alan tat wie ihm geheißen und der Arzt tupfte sein Ohr mit kaltem Desinfektionsmittel ab. Er stach ihm mit einer kleinen Nadel ins Ohr und führte ein dünnes Plastikglas daran. Ein Tropfen Blut blieb haften und er schob das Glas in ein Gerät. Kurz wartete er und ein Piepton ertönte, während gleichzeitig die Blutwerte angezeigt wurden.

Zufrieden nickte der Arzt und die Helferin klebte ihm einen Pflaster auf die Stelle am Ohr.

„Die Blutwerte sind sehr gut“, kommentierte er und schrieb den Wert auf ein vorgefertigtes Formular, während die Assistentin seine Temperatur maß und dem Arzt durchsagte. „Sehr gut. Temperatur ist auch ok. Dann wollen wir mal den Blutdruck messen und den Puls. Bitte einmal den Arm lang machen und die Hand zur Faust.“

Alan kannte die Prozedur und tat wie ihm geheißen. Der Arzt legte ihm eine Manschette um den Oberarm und schnürte sie fest zu. Er konnte spüren, wie das Blut durch die Adern floss, sowie den Pulsschlag dahinter. Etwas, was ihm jedes Mal einen Schauer über den Rücken jagte.

Mit einem kalten Stethoskop horchte der Arzt nach seinem Puls, wobei er zwei Finger auf seinen Venen hatte, während die Assistentin die Manschette aufpumpte bis es im Arm schmerzte.

„Blutdruck normal und Puls auch“, sprach der Arzt und notierte die Daten. „Dann bitte einmal den Mund weit aufmachen und A sagen.“

Innerlich grauste es Alan vor diesem Holzstiel, aber er öffnete seinen Mund und versuchte seine Stimmbänder dazu zu bringen, den Laut von sich zu geben. Der Stiel war einfach widerlich im Mund und er hatte danach immer ein komisches Gefühl auf der Zunge.

Er fühle sich plötzlich wieder wie ein kleines Kind, das eine schwere Krankheit hatte. Es fehlte nur noch seine Mutter mit einem Teller Hühnersuppe und einem Schal für den Hals.

Unweigerlich leckte er sich über die Lippen, als der Stiel aus seinem Mund heraus war.

Der Arzt brummte zufrieden. „Dann jetzt bitte einmal umdrehen.“

Alan drehte sich ein wenig auf dem Bett herum und der Arzt legte ihm das kühle Stethoskop von eben auf die Haut.

„Bitte tief Luft holen und kräftig ein und ausatmen.“

Alan zog die Luft kräftig ein und atmete wieder aus. Mehrere Male wiederholte er den Vorgang, während das kalte Gerät auf seinem Rücken hin und her wanderte.

„Bitte einmal husten.“

Ein künstliches Husten verließ seinen Hals.

„Bitte noch einmal.“

Erneut hustete er gekünstelt.

„Bitte noch einmal und etwas kräftiger.“

Alan holte tief Luft und versuchte, so kräftig wie möglich zu husten.

„Gut. Danke“ Er räumte das Gerät zur Seite. „Klingt alles gut, so wie es sein soll. Haben Sie gut gegessen heute und gut getrunken?“

„Ja, habe ich.“

„Sehr schön. Dann nehmen wir jetzt wieder etwas Blut ab. Sie kennen das ja.“ Der Arzt versucht freundlich zu grinsen. Vielleicht sollte es auch aufbauend sein, aber Alan kam es irgendwie schadenfroh vor. So als hätte er daran am meisten Spaß, weil er wusste, die meisten mochten keine Spritzen und Nadeln. „Meine Assistentin wird das übernehmen und wir sehen uns dann gleich in zehn Minuten wieder.“

Damit ließ er ihn alleine mit der Helferin, die versuchte nicht allzu offensichtlich auf seinen Oberkörper zu schauen. Sie tat es aus den Augenwinkeln und ihr Gesicht war gerötet.

Alan wandte den Blick ab, während sie ihm eine andere Manschette um den Arm legte und aufpumpte. Automatisch streckte er den Arm aus und ballte die Hand zur Faust. Er wollte nur noch von hier weg und zum Abendessen gehen. Dieser Blick, mit dem die Frau ihn musterte, machte ihn nervös. Er wollte nichts von ihr und es war ihm mehr als unangenehm, wie ein Stück Fleisch begutachtet zu werden.

Kaltes Desinfektionsmittel wurde ihm auf den Arm gesprüht und sie tastete nach der Vene, die deutlich hervortrat.

Er hörte das Knistern der Verpackung von der Spritze und es dauerte auch nicht lange, da erfüllte ein stechender Schmerz seinen Arm.

Flüchtig warf er einen Blick zum Arm und sah dort die Nadel stecken, während die Frau mehrere Ampullen mit seinem Blut befüllte.

„So schon fertig“, sagte sie und zog die Nadel aus der Vene. Sofort legte sie einen Tupfer darauf. „Bitte kurz festdrücken.“

Er drückte den Tupfer auf die Stelle, während sie die Ampullen mit schnellen Handgriffen beschriftete und in einer Box wegbrachte.

Der Arzt kam wieder. „Alles gut überstanden?“

Alan nickte und der Arzt legte ihm einen Mullverband um den Arm. „Sie kennen das ja. Der Arm wird sich etwas schlapp anfühlen und bitte heute nicht mehr belasten.“

„Wie immer“, seufzte Alan und zog sich seine Sachen wieder an.

„Genau. Der Blutbefund wird in den nächsten Tagen vorliegen. Der Bericht wird wie immer zu Mr. Spears geschickt. Sollte etwas nicht stimmen, werden Sie von uns hören.“

Alan nickte und verabschiedete sich.

„Trinken und essen sie jetzt etwas nach der Blutabnahme“, riet der Arzt und verabschiedete ihn.

Mehr als froh darüber, endlich die Station verlassen zu dürfen, machte sich Alan auf den direkten Weg zur Mensa. Eric hatte sicherlich schon Feierabend und wartete auf ihn. Sicherlich wollte er wissen, wie die Untersuchung verlaufen war.

Zum Glück sah niemand den Verband unter seiner Kleidung.

Manchmal war es ihm zu viel, wie Eric sich um ihn sorgte, aber gleichzeitig war er auch froh darüber, jemanden zu haben, mit dem er reden konnte.

Alan hatte das Gefühl, der Geruch der Krankenstation haftete an ihm, aber sicherlich war es nur Einbildung.

Der Duft von frischem Essen schlug ihm aus der Mensa entgegen, als er hinein ging und Eric am üblichen Platz erblickte. Lily und Nakatsu saßen auch dort und unterhielten sich mit seinem Freund.

Alan kam auf den Tisch zu und begrüßte die kleine Gruppe.

„Alan, setzt dich. Ich hab dir schon was zu Essen besorgt.“ Eric wies dabei auf einen Teller mit seiner Lieblingsspeise und einer Flasche Wasser.

Alan nickte dankend und setzte sich auf seinen üblichen Platz. Er begrüßte die beiden Lehrlinge.

Alan musterte beide.

Lily strahlte aus irgendeinem Grund bis über beide Ohren Es freute ihn, denn immerhin hatte sie in letzter Zeit wenig zu lachen gehabt.

Nakatsu sah ein wenig stolz aus.

„Die beiden haben gerade erzählt, dass sie in der Stadt waren“, klärte Eric ihn auf. „Nakatsu hat sich jetzt ein Ohrloch stechen lassen.“

Alan sah Nakatsu genauer an und tatsächlich fiel ihm ein blinkender Ohrring ins Auge, der an seinem geröteten Ohr hing. Nakatsu präsentierte ihn stolz.

„Sehr schön“, sagte er und nahm einen Bissen vom Essen. „Tat es sehr weh?“

Der junge Shinigami zog die Schultern hoch. „Schmerz ist relativ. Solange man keine Träne vergießt und keinen Laut von sich gibt, ist alles gut.“

Lily gab ein belustigtes Geräusch von sich, schaffte es aber, es als Husten zu tarnen.

Alan begegnete ihrem amüsierten Blick.

„Gejammert hat er und ich glaube, ein Tränchen ist auch geflossen“, flüsterte sie ihm leise zu und beugte sich dabei näher über den Tisch. Sie kicherte. „Er war aber tapfer.“

Alan musste mit kichern.

„Was tuschelt ihr zwei denn da?“, fragte Nakatsu plötzlich und musterte sie misstrauisch.

„Nichts“, wehrte Lily ab und setzte eine Unschuldsmiene auf.

„Hast du den Ausflug mit deinem neuen Lover genossen? Reicht dir Knox nicht?“, kam es von einer geifernden Frauenstimme.

Alle verdrehten die Augen, denn sie wussten, von wem die Stimme kam und dass diese Person nur Streit suchte.

Alan suchte Lilys Blick, die nur ungläubig den Kopf schüttelte und ihm mit ihrem Blick zu verstehen gab, dass es sie kalt ließ. Er nickte ihr zu und warf einen Blick zu Nakatsu, der alles andere als ruhig war.

Er sprang wütend von seinem Platz auf.

„Carry, es kann dir doch vollkommen egal sein, mit wem Lily einen Ausflug macht oder mit wem sie zusammen ist! Lass sie und uns einfach in Ruhe!“

„Na sieh mal einer an, wer sich da als heldenhafter Beschützer aufspielen will.“ Ein fieses Lächeln umspielte ihren Mund.

Alan schlug mit den Händen auf den Tisch. Langsam regte diese Frau ihn auf. Bedächtig erhob er sich von seinem Platz.

„Carry“, fing er langsam an und schaute ihr in die Augen. „Merkst du eigentlich, was du anrichtest? Niemanden von uns interessiert deine Meinung zu Lily oder sonst wem! Du bist hier unerwünscht! Verzieh dich! Wir wollen unsere Ruhe!“

Alan wusste, dass man ihm am Tisch anstarrte und er erwiderte unermüdlich Carrys herausfordernden Blick. Sein Herz schlug schnell. Vielleicht zu schnell.

„Alan, setz dich und ruh dich aus. Du weißt, du sollst dich nicht aufregen.“ Eric zog ein wenig an seinem Ärmel und versuchte, ihn zu beruhigen.

„Stimmt ja. Du darfst dich nicht überanstrengen, wegen dieser Sache.“ Ein Lächeln umspielte ihr Gesicht. Es war, als würde sie es darauf anlegen, dass er einen Anfall bekam.

Von einer Sekunde zur anderen erlosch ihr Lächeln und sie zog selbstgefällig die Schultern hoch. „Wie dem auch sei. Ich habe keine Lust, von deinem Freund angemacht zu werden, nur weil du dich aufregst und zusammenbrichst.“

Sie stolzierte davon, während Eric leise knurrte und Alans Herz noch immer am Rasen war.

Er musste sich beruhigen. Tief ein und ausatmen. Er durfte sich von ihr nicht aus der Ruhe bringen lassen.

„Alan? Geht es dir gut?“, fragte Eric besorgt.

Langsam nickte er. „Ja, es geht schon.“

„Mr. Humphries, ist wirklich alles in Ordnung. Sie sehen so blass aus.“ Lily klang besorgt.

Er nickte und setzte sich wieder an den Tisch. „Es ist alles gut.“

„Ich möchte nicht unhöflich sein, aber wovon hat Carry geredet? Sind Sie krank?“, fragte Nakatsu.

Er schüttelte den Kopf. „Macht euch keine Sorgen. Es ist alles gut.“

Lily und Nakatsu nickten. Beide schienen zu verstehen, dass er nicht darüber sprechen wollte.

„Na gut. Wir werden dann mal gehen. Die Hausaufgaben warten noch“, sagte Lily.

Alan wusste, dass ihr der Appetit vergangen war. Sie hatte den Teller noch nicht einmal bis zur Hälfte leer. Aber er nickte ihr zu und verabschiedete sich.

Als die beiden Lehrlinge fort waren, musterte ihn Eric besorgt von der Seite.

„Geht es dir wirklich gut? Brauchst du etwas?“, fragte er.

Alan schüttelte den Kopf und schloss müde die Augen. „Nein. Es geht schon wieder.“

„Wie war der Arzttermin?“

„So wie die Letzten auch. Keine Veränderung.“ Er begann wieder zu essen. Allein schon wegen der Blutabnahme wollte er nicht riskieren, dass er zusammenbrach.

Eric nickte und begann ebenfalls zu essen.

Alan wusste, er machte sich Gedanken, wie man ihm helfen konnte. Aber wenn nicht einmal ein Arzt ihm helfen konnte, war die ganze Sache aussichtslos.

Nachdem er aufgegessen hatte, verabschiedete er sich von Eric und machte sich alleine auf den Weg zu seinem Apartment.

Eric wollte noch eine Runde mit seinem Schüler trainieren gehen, ehe er Feierabend machte.

Nachdenklich verließ er die Society und ging zum Wohngebäude.

Seine Krankheit war wirklich lästig. Nun machten sich auch schon Lily und Nakatsu Sorgen.

Wenn Carry nicht gewesen wäre, hätte er sich nicht aufregen brauchen! Nur wegen ihr hätte er beinahe einen Anfall gehabt. Zum Glück wusste der Arzt nichts davon. Dieser hätte ihn direkt wieder unzähligen Belastungstests ausgesetzt. Darauf konnte er dankend verzichten.

Er ging zum Fahrstuhl und drückte den Knopf. Heute hatte er absolut keine Lust, die unzähligen Treppen zu steigen. Besonders nicht nach dem Geschehenen.

Er seufzte und stieg in den Fahrstuhl.

Vielleicht würde er ins Gemeinschaftsbad gehen und versuchen, sich dort zu entspannen.

Das klang nach einer sehr guten Idee. Sollte er vielleicht noch auf Eric warten, damit sie gemeinsam das Bad genießen konnten?

Müde fuhr er sich durch die Haare und richtete seine Brille.

Die Fahrstuhltür ging auf und sofort kamen ihm laute Geräusche entgegen, noch ehe er gänzlich in den Flur treten konnte.

Es war ein überraschter Frauenschrei und im nächsten Moment war ein Hämmern zu hören.

„Lasst mich rein!“, kam es vom anderen Ende des Flures. „Bitte lasst mich rein! Oder gebt mir meine Sachen wieder! Bitte!“

Schnell trat er in den Flur und sah in die Richtung, aus der die Stimme kam.

Sie kam aus der Richtung der Gemeinschaftsbäder.

Lily stand im Flur und hämmerte auf die Tür zu dem Baderaum ein. Sie zitterte und war aufgelöst, was wenig verwunderlich war, wenn man bedachte, dass sie nur ein Handtuch umgeschlungen hatte.

„Lasst mich rein!“, rief sie erneut und ein Schluchzen entfuhr ihr. Lily sank auf den Boden und hielt das große Handtuch fest.

Alan knurrte und rannte mit wenigen Schritten auf sie zu.

„Miss McNeil, ist alles in Ordnung?“, fragte er und ließ sich neben sie zu Boden sinken. Vorsichtig legte er ihr einen Arm um die Schulter.

Lily mied seinen Blick und vergrub ohne zu zögern das Gesicht an seine Schulter.

„Kommen Sie mit. Ich bring Sie hier weg.“ Er flüsterte nur und zog sein Jackett aus, um es ihr über zu legen. Gemeinsam standen sie auf und Alan brachte sie in sein Apartment, wo sie vor den Blicken der anderen Etagenbewohner geschützt wäre.

„Warten Sie hier. Ich hole Ihnen etwas zum Anziehen.“ Alan verschwand im Schlafzimmer, während die Schülerin noch immer weinend in seinem Wohnzimmer stand.

Sollte Ronald Knox jemals wieder in die Society zurück kommen, würde er sein blaues Wunder erleben! So wütend wie jetzt, war er schon lange nicht mehr.

Er zog eine alte Hose und ein altes Hemd aus dem Schrank. Auf dem Bett lag noch sein Bademantel, den er kurzerhand mitnahm.

„Ich glaub, es wird ein wenig zu groß sein, aber es wird gehen bis ich deine Sachen geholt habe“, erklärt er und mied es, sie genau anzusehen. Aus dem Augenwinkel sah er, dass das Handtuch ein wenig verrutscht war, aber zum Glück noch alles bedeckte. „Gehen Sie ins Bad und ziehen Sie sich was an.“

Alan bemühte sich so ruhig wie möglich zu klingen und so einfühlsam wie es nur ging, um sie nicht merken zu lassen, wie wütend er doch in Wahrheit war. Er legte wieder einen Arm um sie und führte sie ins Badezimmer.

Die Kleidung legte er auf einen freien Platz im Regal und schloss die Tür.

Sobald er die Tür geschlossen hatte, hörte er sie wieder laut schluchzen. Er seufzte.

Carry war eindeutig zu weit gegangen!

Wütend ging er hinaus und klopfte lautstark an der Tür zum Frauenbad.

„Macht sofort die Tür auf!“, rief er wütend.

„Alan, was machst du da?“

Alan hielt inne und drehte sich um.

Eric stand an der Treppe und sah ihn verwirrt an.

Mit knappen Worten schilderte er ihm, was eben passiert war. Sein Freund nickte.

„Kümmere du dich um Miss McNeil. Ich versuche ihre Sachen zu holen und komme nach.“

Widerwillig gab er nach und kehrte zurück in die Wohnung.

Lily war noch im Badezimmer.

Er ging in die Küche und machte eine heiße Tasse Schokolade. Sie würde sicherlich etwas zur Beruhigung brauchen.

Während er noch in der Küche war, hörte Alan, wie das Mädchen aus dem Badezimmer kam.

„Setzten Sie sich. Eric holt Ihnen Ihre Sachen“, rief er ihr zu und trug die Tasse zum Tisch.

Wie er es geahnt hatte, waren ihr die Sachen um einiges zu groß und sie hatte sich zusätzlich den Bademantel angezogen, als würde er ihr zusätzlichen Schutz geben. Ihre Augen waren gerötet. Langsam und verängstigt wie ein scheues Reh setzte sie sich.

„Ich habe Ihnen eine Schokolade gemacht. Es beruhigt die Nerven.“ Alan wusste nicht, was er sagen sollte.

„Danke“, gab sie leise und mit kratziger Stimme zurück.

Alan ließ sich neben ihr auf das Sofa nieder und legte die Arme schützend um sie.

Lily ließ es zu und bettete den Kopf an seiner Schulter.

„Machen Sie sich keine Sorgen. Es wird schon alles wieder gut werden“, versuchte er sie zu beruhigen und strich ihr über die Schulter. „Eric und ich stehen Ihnen zur Seite.“

Lily nickte. „Danke.“

„Nicht dafür. Wo ist eigentlich Mr. Shinamoto? Hätte er Ihnen nicht die Tür für Ihr Zimmer öffnen können?“

„Nein. Er ist im Männerbad.“

„Verstehe.“ Sicherlich würde er auch aus der Haut fahren, wenn er davon erfuhr.

„Es ist fast so, als wäre ich wieder zu Hause und bei meinem Bruder.“

Verwirrt blickte Alan Lily an, die die Augen geschlossen hatte.

„Wenn es mir nicht gut geht, hat mein Bruder mich auch immer in den Arm genommen und eine heiße Tasse Schokolade gemacht“, erklärte sie.

„Dann scheine ich es ja richtig gemacht zu haben“, lachte er und drückte das Mädchen etwas enger an sich.

Sie musste mit lachen, wenn auch nur kurz. „Mr. Humphries, ich weiß nicht, ob ich das durchstehe.“

„Wollen Sie aufhören?“

„Ungern. Aber…“ Sie hielt kurz inne. „Aber bei allem, was hier passiert…ich weiß nicht, ob ich es lange durchstehe.“

„Ich bin sicher, dass sie es schaffen. Sie sind stark.“

Lily brummte und trank etwas von der Schokolade. „Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Fall?“

Alan stutzte kurz über diesen abrupten Themawechsel, konnte es aber nachvollziehen, dass sie nicht drüber sprechen wollte.

„Ja, ich erinnere mich“, begann er. „Ich hatte gerade die Abschlussprüfung bestanden. Eric war nun nicht mehr mein Mentor, sondern mein Partner. William hatte gerade die Abteilung übernommen. Es war für uns alle eine große Veränderung. Zu dieser Zeit gab es in der Menschenwelt Massenmorde. Es waren Menschen, die nicht auf den Listen standen und deren Erinnerungen gestohlen worden waren. Es war also unsere Pflicht, dem nachzukommen. Meist kamen wir zu spät und die Menschen waren bereits tot. Ich erinnere mich, dass wir in einer kleinen Hütte eine Familie gefunden hatten. Zwei kleine Jungen, eine junge Frau und ein älterer Mann. Alle waren auf brutalste Weise umgekommen. In einer Ecke kauerte ein junges Mädchen. Sie hatte überlebt, aber nur aus Glück, weil sie nicht zu Hause gewesen war. Wir sind gegangen, aber sie ist uns gefolgt und obwohl wir uns versteckt hatten auf einem Dach, hatte sie uns entdeckt. Sofort liefen wir weiter. Es wäre eine Katastrophe, würden wir Unschuldige in Gefahr bringen. Aber sie lief uns nach, auch noch nachdem William sie gewarnt hatte.“

„Was passierte mit ihr?“ Lily hatte sich ein wenig versteift und ihre Stimme klang abwesend.

„Sie war dabei umzukehren. Sicherlich wusste sie nicht, wohin. Aber weit ist sie nicht gekommen. Eine Kutsche erwischte sie in voller Fahrt. William wies uns an, ihre Seele zu holen. Er prüfte ihr Todesdatum. Sie stand nicht auf der Liste, aber einfach so sterben lassen, konnten wir sie nicht und da sie nicht auf der Liste stand, konnten wir sie auch nicht streichen. William konnte in ihren Augen die Seele eines Shinigami sehen.“

„Ein Shinigami kann ein Mensch werden?“, fragte Lily verblüfft.

Alan schüttelte den Kopf. „Eigentlich nicht. Es muss etwas in der Seelenabteilung schief gelaufen sein, dass so eine Seele ein Mensch werden konnte. William vermerkte es natürlich, damit es nicht wieder passierte. Nachdem sie ohnmächtig geworden war, wies er mich an, den Seelenschnitt zu machen. Also ihre Seele vom Körper zu trennen. Wir hatten ihren Körper mitgenommen und uns in eine Ecke verzogen, um die Arbeit in Ruhe zu Ende zu führen. Für mich als frisch ausgelernter Shinigami war es nicht leicht, aber ich hab es getan. Ihre Erinnerungen waren sehr traurig und ich muss gestehen, es fiel mir schwer, nicht zu weinen. Als Eric und ich alleine waren, sprachen wir darüber und Eric schaffte es irgendwie, dass ich nicht weinte. Ich bewundere ihn heute noch dafür, dass er es so locker macht.“

„Ich bin aber sicher, dass es der Seele gut getan hat, dass jemand in dem Augenblick bei ihr war.“

„Eine interessante Ansicht. So habe ich das noch nie gesehen.“

Die Tür ging auf und unterbrach beide in ihrem Gespräch.

Eric trat ein und hielt ein Bündel Kleider in der Hand. Mit einem Nicken begrüßte er die beiden.

„Es hat etwas gedauert und war nicht einfach, aber hier habe ich Ihre Kleidung. Ich habe die Taschen kontrolliert. Der Schlüssel für Ihr Apartment ist noch da.“

Lily sprang auf und nahm dankend ihre Kleidung entgegen. Sofort ging sie ins Badezimmer und zog sich die Sachen an.

„Ist alles gut, Alan? Du wirkst so traurig.“ Eric setzt sich neben ihn, wo bis eben Lily gesessen hatte.

„Ja. Es ist alles gut. Ich habe nur gerade Miss McNeil von dem ersten Fall nach meiner Ausbildung erzählt.“

Eric nickte. „Es hat dich damals ganz schön mitgenommen.“

Alan nickte und lehnte sich zurück. Er schloss die Augen. „Es ist nicht fair, was hier passiert.“

„So viel ich gehört habe, hat William heute einen Vortrag über Mobbing gehalten.“

„Aber gebracht hat es gar nichts. Miss McNeil tut mir leid.“

Zwei Arme wurden um ihn gelegt und Alan schmiegte sich an Erics Brust.

Es war vielleicht nicht typisch für zwei männliche Freunde sich so zu benehmen, aber es tat gut, eine starke Schulter zu haben.

„Wenn Ronald zurück kommt, kann er was erleben“, murmelte er.

Eric brummte zustimmend. „Ich verstehe auch nicht, was sich der Kekskrümmel dabei gedacht hat.“

Müde nickte er. Alan konnte hören, wie eine Tür geöffnet wurde, aber seine Augenlider fühlten sich an wie Blei.

Eric flüsterte etwas zu Lily, was er kaum verstand, und im nächsten Moment ging erneut eine Tür auf und wieder zu.

„Schlaf gut, Alan“, hörte er noch Eric sagen, ehe er endgültig ins Land der Träume fiel.
 

Die hellbraune Flüssigkeit in der Tasse war schon kalt. Wie so oft war der Kaffee ausgekühlt, ehe er es schaffte, ihn auszutrinken. Nachdenklich schwenkte William die Tasse und beobachtete, wie die Flüssigkeit kleine Wellen schlug.

Eigentlich hatte er sich vorgenommen, für den heutigen Tag keinen Kaffee mehr zu trinken, aber sein Zwangsmitbewohner hatte seine Nerven überstrapaziert und dafür gesorgt, dass er jetzt erst recht müde war. Dabei stand noch ein wichtiges Gespräch auf seiner mentalen To-Do-Liste.

Maisy hatte es sich auf seinem Schreibtisch bequem gemacht und lag auf den Unterlagen. Genüsslich streckte sie sich. Sie warf ihren Schnurrmotor an. Die Unterlagen unter ihr hatte sie ordentlich durcheinander gebracht.

William strich dem Tier über den fellbesetzten Bauch, was sie nur noch mehr zum Schnurren brachte.

Genervt seufzte er und stand auf. Langsam ging er zur Küchenecke und schüttete den restlichen Inhalt der Tasse in den Ausguss.

Zum Glück hatte er jetzt ein wenig Ruhe vor dem rothaarigen Wirbelwind, aber das, was vor ihm lag, machte die Sache nicht besser.

Es war eigentlich gegen seinen Willen, aber Anweisungen waren Anweisungen. Wenn er dafür ein wenig schauspielern musste, musste er wohl oder übel da durch.

William warf einen Blick auf die Wanduhr. Er hatte noch ein wenig Zeit und würde sie auch nutzen.

Das Gemeinschaftsbad war meist gut belegt von den Männern um diese Zeit. Eine Sache, die ihn an diesem luxuriösen Zimmer störte, es hatte wie alle anderen Zimmer auch nur eine Dusche.

Er wollte sich nicht beschweren, aber manchmal war es schon ein kleines Manko. Besonders, wenn man seine Ruhe wollte.

Zum Glück war dieses Subjekt nicht da, so dass er das Bad nutzen konnte ohne Sorge zu haben, er würde durch die Tür stürmen und ihn belästigen.

Erleichtert seufzte er und kam nicht umhin, darüber freudig zu lächeln.

Laute Geräusche aus dem Flur unterbrachen seine Gedanken.

Was ging denn nun wieder vor? Wer machte denn so einen Lärm?

Langsam ging er zur Tür und öffnete sie leise einen kleinen Spalt breit, um in den Flur zu spähen.

William erkannte einen braunen Haarschopf und einen zierlichen Körper. Es war Alan Humphries. Der Shinigami war aber nicht alleine. Neben ihm kniete Lily McNeil mit nur einem Handtuch bekleidet und seinem Jackett um den Schultern.

Still und leise beobachtete er das Geschehen.

Das Mädchen war aufgelöst.

Hatte sein Vortrag vom Morgen gar keine Wirkung gehabt oder tat sie nur so, um sich an Mr. Humphries ranzumachen?

Leise schloss er wieder die Tür.

Dieses Geschehen konnte er wunderbar in sein späteres Gespräch einbringen.

William ging ins Badezimmer und strich Jess über den Kopf, die seine Beine umspielte.

„Das wird durchaus interessant“, murmelte er zu Jess, die daraufhin mauzte, was wie eine Zustimmung klang.

Er betrachtete sein Spiegelbild und nahm die Brille ab.

Seine Sicht war verschwommen, aber mit der Sehhilfe duschen wollte er nicht.

Er zog seine Kleider aus und trat in die Kabine.

Das Haargel wusch er mit Duschgel heraus.

Verschwommen erkannte er einen schwarzen Fleck auf dem Boden, der in eine Ecke des Bades ging. Nur wenige Sekunden später hörte er ein Schaben und Kratzen. Maisy grub mal wieder die Katzentoilette um und würde mit den Kügelchen das Apartment verschönern. Allein der Platz vor der Katzentoilette war übersät mit Kügelchen.

Manchmal hatte er das Gefühl, mit dem ganzen Streu wieder die ganze Box befüllen zu können. An die Haaren, die sie teilweise verloren, wollte er gar nicht erst denken.

Der schwarze Katzenschwanz schaute aus der Box heraus und wieder war ein Schaben zu hören. Einen Augenblick später kam Maisy heraus und schien zu überlegen, wohin sie gehen sollte.

Sie entschied sich zur Toilettenecke zu gehen und beobachte fasziniert das Toilettenpapier. Der Schwanz zuckte hin und her. Ihre Pfote hob sich und sie tippte gegen das herunter hängende Ende. Ihre Krallen fuhren heraus und zogen an das Papier.

„Maisy! Aus!“, rief William und schaute die schwarze Katze böse an.

Maisy wandte den Kopf sowie sie ihn aus unschuldigen Augen anguckte, während ihr Schwanz noch immer zuckte. Sie richtete sich erneut auf und zog an dem Papier.

Genervt seufzte William und trat aus der Dusche. Er zog ein frisches Handtuch aus dem Regal und wickelte es sich um.

Sofort sprang Maisy auf und rannte zur Tür. William wusste, dass sich Maisy bewusst war, dass sie etwas falsch gemacht hatte, weshalb sie ihren unschuldigsten Blick aufsetzte.

William grummelte leise und wickelte das Papier wieder auf, während Jess herein kam und es sich im Waschbecken bequem machte

Mit ruhig duschen war es nun vorbei. William fuhr sich durch die nassen Haare und trocknete sich ab. Er zog eine frische Hose an und rieb mit dem Handtuch über die nassen Haare, von denen noch vereinzelte Wassertropfen fielen.

Mit einem Mal klopfte es an seiner Tür und William schreckte ein wenig auf.

Hatte er tatsächlich so lange unter der Dusche gestanden?

Er zog sich sein Hemd über, ließ es aber ein wenig offen. Diesen Umstand konnte er sich vielleicht bei dem Gespräch zu Nutze machen.

William nahm Jess aus dem Waschbecken und scheuchte sie aus dem Badezimmer.

„Herein! Es ist offen!“, rief er und schloss die Tür zum Badezimmer.

Er hörte wie die Tür aufging und Miss McNeil nach ihm rief.

„Ich komme schon“, sagte er zur Antwort und nahm seine Brille, die er in seine Hemdtasche steckte. Das Handtuch lag um seine Schultern.

Es konnte losgehen. William schluckte hart und atmete tief durch. Dann trat er hinaus.

Lily McNeil stand in dem Wohnzimmer, während Jess und Maisy sie umschwärmten und mit Mauzen zum Streicheln aufforderten. Sam saß auf dem Käfig und sie strich ihm übers Fell.

Leise räusperte er sich.

„Wie ich sehe, haben Sie meine Haustiere entdeckt.“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

Das Mädchen sah auf und William konnte auch ohne Brille erkennen, dass sie geweint hatte. Als sie ihn ansah, rötete sich ihr Gesicht und sie sah schnell zu Boden.

„Tut mir leid, ich glaube, ich habe mich im Zimmer geirrt.“ Sie blickte beschämt zu Boden und ging an ihm vorbei.

„Bleiben Sie stehen, Miss McNeil. Sie sind schon richtig.“ Er rieb sich noch einmal über die nassen Haare, die ihm wirr ins Gesicht fielen und setzte seine Brille auf.

Miss McNeil blieb stehen und drehte sich wieder zu ihm um.

„Sie wollten mich sprechen, Mr. Spears.“

Er nickte und konnte sehen, wie sie nervös und unsicher die Hände knetete.

„Mr. Spears, ich bin nur gekommen, um Sie zu fragen, ob…ob wir das Gespräch nicht morgen führen könnten. Ich fühle mich nicht sonderlich gut.“

Skeptisch hob er eine Augenbraue und ging zum Hasenkäfig. Er nahm Sam vom Käfig hoch und öffnete diesen, um den Hasen wieder hinein zu lassen. Irgendwie hatte Sam es wieder geschafft, sich aus dem Käfig zu befreien.

„Wenn Sie schon gekommen sind, um mir das zu sagen, können wir auch das Gespräch führen. Sie machen auf mich auch nicht den Eindruck, als ginge es Ihnen sehr schlecht. Setzten Sie sich also. Es wird auch nicht lange dauern.“ Er ging zu seinem Schreibtisch. Jess hatte es sich auf seinem Stuhl bequem gemacht und er scheuchte sie hinunter. William wies auf einen freien Stuhl für Miss McNeil und setzte sich selbst.

Sie folgte seiner Aufforderung und setzte sich auf den Stuhl. Sofort sprang ihr Jess auf den Schoss, welche sie sofort streichelte. Es schien sie ein wenig von ihrer Nervosität abzulenken. Sie blickte auf die Schreibtischplatte als hätte sie Mühe, ihn nicht anzustarren.

„Möchten Sie etwas trinken?“, bot er an, doch sie schüttelte nur den Kopf.

„Nein, vielen Dank.“

Sie wirkte auf dem Stuhl ziemlich eingeschüchtert, fast schon unschuldig. William musterte sie genau. War das vielleicht ihre Masche, wie sie Ronald Knox rumgekriegt hatte?

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und versuchte ihren Blick einzufangen.

„Wie ich bereits sagte, geht es um Ihre letzte Hausaufgabe.“

„Ist…ist sie so schlecht ausgefallen?“

William winkte ab und wies sie zur Ruhe. „Es geht auch um Ihre Mitarbeit im Unterricht. Sie sind ziemlich unkonzentriert und Ihre Mitarbeit hat enorm nachgelassen. Diese Unstimmigkeiten in der Klasse mit Ihnen sind auch nicht gerade förderlich für Ihre Akte. Ich fürchte, wenn es so weiter geht und Ihre Leistungen weiter sinken, werden Sie nicht zur Abschlussprüfung zugelassen.“

Sie blickte auf. Angst und Ungläubigkeit spiegelten sich in ihren Augen.

„Ich denke, ich muss nicht erwähnen, dass Ihr Mentor Ronald Knox suspendiert worden ist wegen Ihrem Verhalten und den Gerüchten, die bereits lautstark im Umlauf sind.“

Ihr Körper verkrampfte sich und sie hatte aufgehört Jess zu streicheln.

„Das sind die Fakten und Tatsachen“, sagte er und stand langsam auf. „Wir müssen uns also etwas einfallen lassen, wie wir diese Probleme lösen können, wenn Sie nicht von der Society ausgeschlossen werden wollen.“

„Was kann ich tun? Soll ich ein paar Hausarbeiten mehr abgeben oder Vorträge halten? Soll ich in der Society extra Aufgaben übernehmen?“

Jess sprang von ihrem Schoss herunter und ihre Hände gruben sich in ihre Hose.

William ging um den Schreibtisch herum und lehnte sich gegen diesen. Für einen kurzen Moment war er auf ihren Haarscheitel konzentriert, während sie auf ihren Schoß blickte.

William schüttelte den Kopf und beugte sich zu ihr herunter.

„Ich hätte da eine bessere Idee“, sagte er leise in ihr Ohr. Mit den Fingern strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, so dass gleichzeitig ihre Halsbeuge frei war. „Für ein paar Gefälligkeiten wäre ich bereit, Ihre Noten zu verbessern und bestimmte Einträge in Ihrer Akte verschwinden zu lassen.“

„Was?“ Sie drehte ihren Kopf zu ihm herum und sah ihn verwirrt, aber auch panisch an. „Wie meinen Sie das?“

War sie tatsächlich so naiv oder tat sie nur so? War die naive Tour ihre Masche?

William konnte in ihrem Blick sehen, dass sie eine Ahnung hatte, was er meinte. Er biss die Zähne zusammen.

Er packte sie am Handgelenk und zog sie hoch. Sein Arm legte sich um sie und seine Hand wanderte zu ihrem Gesäß.

„Mr. Spears…“, setzte sie ängstlich an und zitterte.

„Wehr dich nicht, meine Kleine. Hab keine Angst, ich weiß genau, was ich tu.“ Seine Stimme war leiser geworden und glich nun einem Flüstern.

Lily riss sich von ihm los und er drängte sie rückwärts durch den Raum, bis sie an eine Tür stieß. Langsam öffnete sie diese und schlüpfte schnell hindurch. Bevor sie diese aber schließen konnte, drückte er mit der Hand dagegen.

Sie waren nun in seinem Schlafzimmer.

Das Mädchen ging immer noch rückwärts von ihm fort. Sie ahnte nicht, dass sie direkt auf das Bett zusteuerte.

William drängte sie immer weiter rückwärts, bis sie über die Bettkante stolperte und im Bett landete.

Wenn er sie so musterte, musste er zugeben, dass sie gar nicht so unattraktiv war.

Sie rutschte auf dem Bett nach hinten.

Langsam kroch er zu ihr auf. Den Blick unaufhörlich auf sie gerichtet.

„Ich werde dir schon zeigen, wo es lang geht. Du hast sowieso keine Chance gegen mich.“ Er kroch höher und war nun über ihr. „Deine naive Masche ist sehr niedlich. Kriegst du so die Männer ins Bett?“

„Bitte…bitte nicht…“, flüsterte sie und rollte sich unter ihm zusammen.

„Was hast du denn, mein Kätzchen? Ich dachte, du bist nicht so ängstlich.“ William beugte sich ein wenig tiefer und berührte ihren Hals vorsichtig mit seinen Lippen. Mit der Zunge fuhr er ihre Halsbeuge nach.

Williams Herz schlug schnell. So etwas hatte er noch nie getan, um an einen Bericht zu kommen, aber er musste zugeben, dass ihn irgendwo Verlangen packte.

„Mr. Spears…“ Ihre Stimme klang zittrig.

„Was ist?“, hauchte er in ihr Ohr und biss leicht hinein.

„Hören Sie auf damit!“ Sie drückte ihn von sich und sah zur Seite. Tränen standen ihr in den Augen. Ihre Hände gruben sich in seine Schultern und zitterten. „Warum tun Sie das? Sie haben doch nichts davon!“

William stutzte und musste lächeln. Seine Schultern bebten und er musste lachen. Er rutschte von Lily herunter.

„Es tut mir leid. Sie sind in Ordnung, Miss McNeil.“ Er rückte seine Brille zurecht. „Ich musste das tun. Die Obersten wollten wissen, ob was dran wäre an den Gerüchten.“

William half ihr sich aufzusetzen und wischte ihr mit dem Daumen ein paar Tränen aus dem Gesicht, die aber immer wieder nach liefen.

Es machte sie anscheinend wirklich fertig, dass solche Gerüchte im Umlauf waren. Innerlich schüttelte William den Kopf.

Es tat ihm wirklich leid. Aber Befehl war Befehl. Er hatte es rausfinden müssen und diese Art und Weise war der beste Weg gewesen.

„Beruhigen Sie sich“, sagte er und legte ihr einen Arm um die Schulter.

„Es geht schon.“ Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und schniefte. „Sie haben nur Ihre Arbeit getan. Ich versteh schon.“

William nickte und schenkte ihr ein Lächeln.

Sie schaute ihn dabei an, als wäre er ein Alien.

Jess kam durch die Tür und sprang wieder auf ihren Schoß.

„Jess mag Sie anscheinend.“

Sie nickte. „So heißt sie also. Ich hätte nicht geglaubt, dass Sie ein Tierfreund sind.“

„Das denkt kaum jemand von mir“, antwortete er. „Aber so ist es eben, wenn man der Chef einer ganzen Abteilung ist.“

Lily nickte. „Wie heißt die andere Katze?“

„Maisy heißt sie“, erklärte er. „Sam war der Hase auf dem Käfig und Emily war im Käfig.“

Sie nickte und schniefte immer wieder.

„WILL!“, schrillte es laut durch die Wohnung und William hörte, wie die Tür aufgestoßen wurde.

William zuckte zusammen bei der schrillen Stimme. Grelle Sutcliffe war zurück.

„Will, wo bist du?“, rief es durch die Wohnung fröhlich und kurz darauf stand das Subjekt in seinem Schlafzimmer.

Stumm blickte er zwischen Lily und William hin und her. Seine Augenbraue zuckte.

„Was zum…“, begann er und sein Blick verfinsterte sich. „William, was hast du mit Lily getan?!“

Seine Stimme war schrill geworden, so dass es im Ohr wehtat.

Natürlich war sich William bewusste, wie es für den Shinigami aussah.

Grelle trat auf ihn zu und packte ihn am Kragen des Hemdes. „Sag schon! Was hast du getan?!“

Jess sprang mit einem Murren von Lilys Schoß.

„Mr. Sutcliffe, beruhigen Sie sich. Es ist nichts passiert. Mir ist nur schwindlig geworden bei dem Gespräch und Mr. Spears hat mich in sein Bett gelegt.“

Grelle hielt in seiner Tat inne und starrte Miss McNeil an. Langsam löste sich der Griff.

Lily stand auf. „Ich werde dann gehen. Bis morgen.“

Mit gesenktem Kopf ging sie aus dem Zimmer und verließ sein Apartment.

Grelle sah ihr verwirrt nach, aber auch William musste gestehen, dass diese gefasste Haltung ihn überraschte. Auch diese schnelle Lüge, damit Grelle ihn nicht weiter anschrie, überraschte ihn sehr.

Er hatte eher damit gerechnet, dass sie es ihm übel nehmen oder weiter weinen würde.

Diese Frau war wirklich merkwürdig. Aber er hatte eh kein Interesse und musste Frauen nicht verstehen.

Dennoch blieb das schlechte Gefühl für den Rest des Abends. Sein Gewissen redete ihm ein, dass er sie sehr verletzt hatte. William hatte keine Ahnung, wie er es wieder gut machen sollte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  AkaiOkami
2013-09-03T14:53:13+00:00 03.09.2013 16:53
Das ist mein allerliebstes Lieblings Kapitel, *hust hust* nicht zuletzt wegen der stelle wo Lily Bei William ist *hust* uns d außerdem hab ich auch Katzen, Kaninchen und Fische *~* Ich find die Idee echt toll das Will ein Tierfreund ist XD
Von:  fahnm
2013-04-11T22:59:17+00:00 12.04.2013 00:59
Spitzen Kapi^^
Von:  Akai_Hana
2013-04-10T15:22:40+00:00 10.04.2013 17:22
Erst einmal, bevor ich etwas zum Kapitel sage: JUHU!!!Ein BRANDNEUES Kapitel ist da!
Und es ist so schön lang ^w^~
*räusper* Ähh... naja >\\>"
Es ist wieder ein sehr gut und abwechslungsreiches Kapitel
Super find ich auch, dass du Alans Krankheit mit einbezogen hast
Wobei das Kapitel mich etwas fertig gemacht
Aber nicht von der Länge oder des Inhalts her, sondern wegen meiner Freundin, die gerade neben mir sitz und mich böse an starrt ^^"
Sie hat mich jede Mal gefragt, wer,zum Beispiel Alan ist und andere komische Fragen gestellt
Und sie hat mich am meisten mit William und Lily aufgezogen, weil er angeblich doch nicht so ein toller, wie sie sagte, "Bürohengst" ist -w-*
Antwort von:  Frigg
10.04.2013 17:23
Kennt deine Freundin BB nicht? Wenn nicht, soll sie die FF mal komplett lesen ;)


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