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The darkest thrill

NaruSasu
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Es tut mir so leid, es tut mir sooo leid!
Für alle, die keinen Plan mehr haben, was bisher überhaupt passiert ist: Sasuke und Naruto wohnen seit ca einem halben Jahr zusammen, ihre musikalische Kooperation macht Fortschritte, aber es ist immer noch ein ziemliches Auf und Ab.
Das ist so das Wesentliche und irgendwie traurig, dass man es so knapp zusammenfassen kann... aber gut, hier das super verspätete Kapitel: Komplett anzeigen

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Hatful of hollow

Es ist verdammt kalt, weil es Winter ist und zwar richtiger Winter, mit meterhohen Schneedecken und endlos fallenden Temperaturen und prinzipiell allem, worauf in London niemand vorbereitet ist, besonders nach einem so heißen Sommer (aber auch sonst nicht). Am allerwenigsten Narutos und Sasukes Vermieter, der es verpasst hat, rechtzeitig den Öltank aufzufüllen, weshalb schon seit ein paar Tagen die gesamten Heizkörper des Hauses nur auf der Minimalstufe stehen. Von gemütlicher Adventszeit fehlt jede Spur und zur Abwechslung ist Naruto froh darüber, dass er nur wenig Zeit zu Hause verbringt und sich sonst meistens in kuschelig warmen Räumlichkeiten aufhält, die sich nicht so sehr nach Bodensatz der Gesellschaft anfühlen.

 

"Es ist kalt", stellt Naruto zähneklappernd zum gefühlten fünften Mal innerhalb der letzten Stunde fest und vergräbt sich tiefer in seinen verwaschenen Hoodie. Aus den Augenwinkeln wirft ihm Sasuke einen Blick zu, der mit der Zimmertemperatur konkurrieren kann.

 

"Ach."

 

Man kann seinen Atem sehen, eine trübe, weiße Rauchwolke, und das sollte nicht sein, nicht in einer Wohnung, aber vielleicht bildet es sich Naruto auch nur ein.

 

"Schade, dass du kein Mädchen bist, Sasuke. Dann wüsste ich nämlich, wie uns ganz schnell warm wird."

 

Dabei wackelt er anzüglich mit den Augenbrauen und grinst Sasuke an, der unbeeindruckt zurückschaut.

 

"Du würdest deine Freundin mit mir betrügen?"

 

"Das war doch nur hypothetisch! Außerdem—wenn du ein Mädchen wärst, wären wir beide sowieso zusammen."

 

"In deinen Träumen vielleicht."

 

Naruto seufzt und schließt seine Hände um eine Tasse Tee, die inzwischen nur noch lauwarm ist und nicht viel gegen seine kalten Fingerspitzen tut. Während er an der übersüßten Flüssigkeit nippt, schielt er prüfend zu Sasuke herüber.

 

"Ja, wahrscheinlich ...", gibt er zu. "Du wärst bestimmt heiß als Frau. Ich meine, du bist auch jetzt heiß, aber halt ... ein Kerl."

 

Irritiert blinzelt Sasuke ihn an und Naruto fragt sich, ob er irgendwas falsches gesagt oder sich nicht klar ausgedrückt hat.

 

"... Versuchst du gerade, mich anzugraben?"

 

"Haha, oh Gott, nein. Mein Herz gehört einzig und allein Hinata!", lacht Naruto ein bisschen zu laut und ein bisschen zu überschwänglich, denn so lustig war es eigentlich gar nicht, aber der Gedanke ist so abstrus und Sasuke soll auf keinen Fall irgendwas missverstehen. Das sind schließlich nur Scherze, die er macht, weil er eine unerschöpfliche Faszination daran findet, Reaktionen jeglicher Art aus Sasuke herauszukitzeln, aber er denkt nicht wirklich so über ihn. Und das ist gut, überlegt Naruto, während er seine Tasse zur Spüle stellt, wo sich inzwischen ganze Türme an Geschirr stapeln, die vergeblich auf den Abwasch warten. Ihm tut die unglückselige Person schon jetzt leid, die eines Tages ihr Herz an Sasuke verlieren wird, denn es übersteigt seine Vorstellungskraft, sich auszumalen, wie eine gesunde, liebevolle Beziehung mit Sasuke aussehen soll, falls das überhaupt irgendwie möglich ist. Vielleicht in einem Paralleluniversum oder so, aber wahrscheinlich nicht mal das.

 

Sasuke verschwindet irgendwann in sein Zimmer, um schlafen zu gehen (oder einfach nur seine Ruhe zu haben, wer weiß das schon) und lässt Naruto mit seinem bevorstehenden Kältetod alleine, der verzweifelt versucht, sich damit abzufinden, dass es einfach nicht wärmer wird, egal wie eng er seine Bettdecke um sich herum schnürt. Es ist nicht kalt genug, dass er Angst haben muss, nicht mehr aufzuwachen, aber kalt genug, um gar nicht erst einschlafen zu können. Das geht so nicht, Naruto muss morgens früh raus und er braucht seinen Schönheitsschlaf, also kratzt er all seinen Mut zusammen und schleicht mit Kissen und Decke bepackt zu Sasukes Zimmer herüber. Einen Moment verweilt er dort und geht in seinem Kopf alle Worst-Case-Szenarios durch, die ihm auf die Schnelle einfallen, bevor er die Türklinke behutsam herunterdrückt und den finsteren Raum betritt.

 

"Hey Sasuke", flüstert er und rüttelt vorsichtig an dessen Schulter, jederzeit bereit, zu seiner eigenen Sicherheit zurückzuspringen und aus dem Zimmer flüchten zu müssen, sollte Sasukes Reaktion nicht ganz so positiv ausfallen.

 

"Was willst du?", dringt aber nur die schläfrig vernuschelte Antwort unter einer hochgezogenen Bettdecke hervor.

 

"Ich frier mir drüben den Arsch ab und kann nicht schlafen. Bei dir ist es wärmer", klagt Naruto sein Leid und es ist gut, dass Sasuke zu müde ist, um zu diskutieren und einfach nur ein Stück zur Seite rückt. Bevor er es sich anders überlegen kann, klettert Naruto dankbar neben ihn auf die Matratze und kuschelt sich in seine mitgebrachte Decke. Sasukes Bett ist groß genug, um eine angemessene Distanz zu wahren, aber die Wärme eines Körpers nur eine halbe Armlänge entfernt wirkt trotzdem Wunder für seine eingefrorenen Zehenspitzen und es dauert nicht lange, bis er tief und fest schläft.

 

 

 

Als Naruto in der Stille des frühen Morgens die Augen öffnet und außer Sasukes Hinterkopf kaum etwas sehen kann, braucht er nicht lange, um zu bemerken, dass er so nicht eingeschlafen ist. Schwarze Haare kitzeln seine Nasenspitze und unter seinem Arm spürt er einen Brustkorb, der sich gleichmäßig auf und ab bewegt.

 

Sasukes kantiger, harter Körper ist ein großer Unterschied zu all den anderen Erfahrungen, die er in einem Bett gemacht hat—bisher war da entweder gar nichts neben ihm oder weibliche Rundungen, aber nicht das. Unauffällig versucht er, ein bisschen Distanz zwischen ihn und Sasuke zu bringen. Es ist nicht so, dass es ihn stören würde—Sasuke ist wunderbar warm und Gott, er ist schon viel zu lange nicht mehr mit jemandem im Arm aufgewacht, aber wer weiß schon, wie Sasuke reagieren würde, und das Risiko ist es nicht wert. Gut, dass Naruto vor ihm aufstehen muss und seine innere Uhr so zuverlässig funktioniert, denn in ein paar Minuten wird sein Wecker anfangen zu klingeln, den er gestern Nacht nicht mit umgesiedelt hat, und auch wenn Sasuke normalerweise einen tiefen Schlaf hat, möchte er es lieber nicht darauf ankommen lassen.

 

Vorsichtig rollt er vom Bett, tappst aus dem Zimmer und fühlt sich dabei wie ein One-Night-Stand, der verschwunden sein will, bevor der andere aufwacht und es unangenehm wird. Was völlig absurd ist, denn Naruto hatte noch nie einen One-Night-Stand und es ist nur Sasuke, dem er im Schlaf ein bisschen zu nahe gekommen ist, aber das passiert immer mal wieder und ist kein Grund, die Nerven zu verlieren.

 

Auf dem Weg zur U-Bahn hat er den Vorfall schon so gut wie vergessen und denkt den ganzen Tag nicht mehr daran, bis er abends neben Sasuke sitzt, beschäftigt durch den Pappbecher Instant-Ramen, den er gedankenverloren in sich hineinschaufelt, und sein Mitbewohner auf einmal den Kopf hebt, um ihm mit unleserlicher Miene in die Augen zu sehen.

 

"Du klammerst nachts", murmelt er nur und wendet sich dann wieder seinem eigenen Essen zu, ohne ein weiteres Wort darüber zu verlieren. Naruto starrt ein paar Sekunden, weil er nicht wirklich weiß, was er mit dieser Situation anstellen soll.

 

"Oh. Okay", sagt er dann schließlich viel zu spät für eine so lahme Antwort und klingt dabei in etwa so ratlos wie er sich fühlt. Die unangenehme Stimmung, die sich den Rest des Abends über sie legt, hält Naruto aber auch nicht davon ab, später wieder bei Sasuke anzuklopfen. (Und wieder und wieder).

 

Ein paar Tage danach hat sich das Problem mit den Heizungen zwar längst gelöst und es gibt eigentlich keinen Grund mehr, dieses Arrangement weiterzuführen, aber so können Kosten gespart werden, das ist doch was, und Naruto hat sowieso nicht vor zu gehen, bis Sasuke ihn aus seinem Bett wirft. Denn dort ist es viel bequemer als auf seiner kleinen, durchgelegenen Matratze und das macht als Begründung ausreichend Sinn, jedenfalls in Narutos Kopf, jedenfalls wenn er nicht zu viel darüber nachdenkt. Sasuke sagt nichts dazu und lässt ihn gewähren, er besteht inzwischen nur darauf, dass Naruto am anderen Ende des Bettes liegt, um sich nicht noch einmal mitten in der Nacht in einer einseitigen Umarmung wiederzufinden. Naruto hält nicht viel davon, Kopf an Fuß zu schlafen. Er hat das ein paar Mal angedeutet, versucht, Alternativen vorzuschlagen, aber es funktioniert nicht ganz, verdüstert nur Sasukes Gesichtszüge und färbt seine Stimme dunkler und unverständlicher als sonst. Sasuke scheint den Gedanken nicht zu mögen, denkt wohl, dass es ein bisschen merkwürdig ist, ein bisschen schwul, nichts, was normale Freunde machen. Naruto findet, dass sie sich ansonsten auch nicht wie normale Freunde verhalten und sieht seinen Punkt nicht.

 

 

 

Das geht eine Weile lang gut, eigentlich viel zu lange für ihre Verhältnisse und Naruto rechnet schon jeden Tag damit, dass irgendetwas passiert und Sasukes Laune umschlägt, aber als es dann endlich so weit ist, wird er vom Sturm überrascht.

 

Es ist Heiligabend und das erste Weihnachtsfest, das er nicht mit seiner Familie verbringt; zum einen weil er sich nicht ganz sicher ist, ob die Zugfahrt und Geschenke und das alles in seinem Monatsbudget überhaupt noch drin sind, und zum anderen aus Solidarität zu Sasuke, weil er sonst ganz alleine sein müsste, wie jedes Jahr, und irgendwie tut das Naruto leid, auch wenn Sasuke immer wieder betont, dass es eine bewusste Entscheidung ist und er sich sogar darauf freut, für ein paar Tage Ruhe zu haben. Nur wird das nicht passieren, solange Naruto einen Samariterkomplex hat und Sasuke als sowas wie sein ganz persönliches Resozialisierungsprojekt ansieht, auch wenn er die Entscheidung im Nachhinein ein bisschen bereut. Morgen ist er zwar zum traditionellen Christmas Dinner bei Hinatas Eltern eingeladen, aber heute gibt es nur die stets angenehme Gesellschaft von Sasuke und viele trostlose Stunden zum Überbrücken. Auf Geschenke wurde einvernehmlich verzichtet, das kostet nur Geld, das sie nicht haben, aber um trotzdem für ein bisschen Weihnachtsstimmung zu sorgen (soviel Sasuke zulässt), hat sich Naruto ein Plastikpflänzchen besorgt und es mit Lichterketten und Lametta behängt, was am Ende ein bisschen danach aussieht als hätte er es einfach aus der nächstbesten Mülltonne gefischt. Sasuke macht aus seiner Verachtung für das Ding keinen Hehl und Naruto musste schon mehrere Pläne zur Entsorgung vereiteln, aber gerade herrscht so etwas wie Waffenstillstand, obwohl Naruto trotzdem immer ein Auge auf seinen improvisierten Weihnachtsbaum behält.

Das Abendessen fällt gewohnt schmucklos aus; Naruto hatte etwas festlicheres geplant, dem Anlass entsprechend, aber keiner von beiden kann kochen und am Ende bestellen sie sich einfach Pizza.

 

Sasuke zieht sich ziemlich bald in sein Zimmer zurück und auch wenn es durchaus vorkommt, dass Naruto seine Privatsphäre respektiert, ist heute nicht so ein Tag. Denn im Fernsehen laufen nur die alljährlichen Weihnachtsspielfilme, die er schon öfter gesehen hat als für irgendjemanden gut sein kann, Hinata antwortet seit einer halben Stunde nicht mehr auf seine SMS und wenn er um die Zeit Gitarre spielt, beschweren sich wieder die Nachbarn. Deshalb folgt er seinem Mitbewohner auf der Suche nach etwas Unterhaltung, aber Sasuke ist unkommunikativ wie eh und je.

 

Er sitzt mit angezogenen Beinen direkt unter dem Fenster, was Naruto ein bisschen seltsam findet, weil das wahrscheinlich der kälteste Platz im ganzen Zimmer ist. Deshalb trägt er auch seine Jacke—über einem Kapuzenpulli über einem Sweatshirt über einem T-Shirt. Dabei könnte er genauso gut zu Naruto in die andere Ecke des Raumes kommen und sich unter die warme Steppdecke kauern.

In seinen Händen hält er eine zusammengefaltete Ausgabe des Guardians, den Naruto gestern auf seinem Heimweg von der Uni aus irgendeinem Briefkasten gezogen hat, weil Sasuke die kostenlosen Zeitungen zu unintellektuell findet. Vielleicht ist das auch der Grund, wieso er am Fenster sitzt; er versucht zu lesen und nutzt dafür das schwache Licht von der Straße. Denn die Glühbirne in diesem Zimmer funktioniert schon seit ein paar Tagen nicht mehr und niemand hatte bisher Lust, sie auszutauschen.

 

"Und, was gibt es Neues in der Welt?", hört sich Naruto irgendwann fragen, weil er die Stille nicht mehr ertragen will.

 

"Lies doch selbst."

 

"Nah, ich komm nie über den Sportteil hinaus."

 

Und damit breitet sich wieder zähes Schweigen zwischen den beiden aus, aber wahrscheinlich empfindet das nur Naruto so, denn Sasuke ist ja beschäftigt. Wenn sie eine Uhr hätten, würden wenigstens die tickenden Zeiger eine passende Geräuschkulisse bieten, aber hier raschelt nur gelegentlich die Zeitung, wenn Sasuke eine Seite umschlägt, und ab und zu kann man auch ein Auto draußen vorbeifahren hören.

 

Am Ende ist es jedoch Sasuke, der mit der Stille bricht, obwohl er zunächst gar nichts sagt; es ist nur dieser Blick, mit dem er Naruto festnagelt und warten lässt, auf einen Satz oder auch nur ein Wort, auf irgendwas, bevor er sich mit undefinierbarem Ausdruck abwendet.

 

"Vielleicht sollten wir das mit der Band einfach sein lassen", nuschelt er schließlich mit dem Blick aus dem Fenster, leise genug um übertönt zu werden, würde Naruto nicht hilflos wie ein Fisch an der Angel an seinen Lippen hängen, als wäre es nur ein flüchtiger Gedanke. Aber das ist es nicht, es ist wichtig und Naruto kann ihn gut genug lesen, um zu wissen, dass es ihm schon seit einer ganzen Weile durch den Kopf geht.

 

"Wieso? Wie kommst du darauf?!", fragt er nach, ein Stückchen aufrechter im Bett, und Sasuke sieht müde aus, als er Naruto belehrt wie ein bitterer alter Mann und nicht sein Rettungsring auf stürmischer See, der er eigentlich sein sollte.

 

"Naja, sei realistisch, das führt doch zu nichts. Wir werden nie wirklich Geld damit verdienen können. Am besten suchen wir uns irgendeinen festen Job und versuchen, uns damit zu arrangieren."

 

"Was redest du da?"

 

Und natürlich weiß Naruto, was er redet, auch wenn er ungläubig den Kopf schüttelt, mehr zu sich selbst als zu Sasuke. Es ist das Offensichtliche, das Vernünftige, aber Naruto will davon nichts hören. Nach den anfänglichen Startschwierigkeiten dachte er eigentlich, Sasuke hätte den Platz an seiner Seite inzwischen gefunden, denn ja, es läuft gerade nicht besonders gut, eigentlich läuft es gar nicht, aber das ist für Naruto noch kein Grund, die Hoffnung aufzugeben oder auch nur an seinem Traum zu zweifeln. Er hat auch an Sasuke nie gezweifelt, immer noch nicht, aber er fühlt sich gerade so schrecklich verraten.

 

"Wir haben nicht mal einen Drummer oder Bassisten."

 

"Dann suchen wir uns halt welche."

 

Aber Sasuke schüttelt nur müde den Kopf.

 

"Selbst wenn—bist du wirklich so realitätsfern und denkst, wir würden je einen Vertrag bekommen?"

 

"Ja, das denke ich. Ich glaube an uns."

 

Sasuke verzieht bei seinen Worten das Gesicht, als hätte er einen lernunwilligen Schüler vor sich sitzen, der immer wieder die falsche Antwort gibt, egal wie oft man ihm eine Sache erklärt. Seine Teilnahmslosigkeit weicht langsam der Ungeduld und dem Ärger, und es schlägt sich in jeder Faser seines Körpers nieder; wie er sich nach vorne lehnt und seine Beine genau richtig positioniert, um so schnell wie möglich aufspringen zu können (um den Raum zu verlassen oder um Naruto anzugreifen?), seine Hände, die sich unbemerkt im Schatten zu Fäusten geballt haben.

 

"Du bist so naiv, Naruto", zischt er fast verächtlich, als wäre es die schlimmste Beleidigung, die er ihm an den Kopf werfen könnte, und ein bisschen ist es das auch, in dem Moment.

 

"Halt die Klappe!"

 

Es braucht nicht viel, damit das kalte Gefühl in Narutos Bauch in Wut umschlägt. Sasuke kann sowas gut, er könnte wahrscheinlich selbst einen buddhistischen Mönch zu einem Mord treiben, aber vielleicht ist es auch nur Naruto, auf den er diese Wirkung hat.

 

Sein Handy vibriert sanft neben ihm, es muss wohl Hinata sein, die ihm endlich geantwortet hat, aber das ist gerade das letzte, woran er denkt. Sein Blick weicht nicht von Sasuke, der von Minute zu Minute verärgerter aussieht.

 

"Hast du eigentlich eine Vorstellung, wie wenige Musiker einen Vertrag bekommen? Und genug Geld damit verdienen, um davon leben zu können?"

 

"Seit wann bist du denn jemand, der an seinem Können zweifelt?!"

 

"Das hat nichts mit Können zu tun. Entweder man hat Glück und trifft den Geschmack der Masse oder eben nicht und dann kann man noch so viel Talent haben, man wird es trotzdem nie zu mehr als einem Album bringen, das in alternativen Plattenläden einstaubt, vielleicht zwanzig Jahre später Kultstatus erlangt, aber dann nützt es auch niemandem mehr."

 

Die Realisation trifft Naruto wie ein Schlag auf den Kopf. Das ist nichts, was Sasuke im Eifer des Gefechts zusammenspinnt; er hat sich Gedanken darüber gemacht, es ist kein kurzer Moment der Schwäche, vorübergehende Selbstzweifel, sondern vielmehr—

 

"Du denkst das wirklich."

 

"Ich bin nur realistisch, Naruto. Das solltest du auch sein. Mach dir keine Hoffnungen."

 

Einen Moment lang ist der Ärger wie weggewaschen. Naruto sitzt mit hängenden Schultern auf der Bettkante, eben noch kurz davor, aufzustehen und Sasuke Vernunft einzuprügeln, aber gerade spürt er dazu überhaupt keinen Drang mehr.

 

Es ist still in Narutos Kopf für ein paar kurze friedliche Sekunden und damit könnte es beendet sein, aber er reißt sich gewaltsam aus der Starre heraus und Angriffslust kocht wieder in ihm hoch.

 

"Hörst du dich eigentlich reden?!", ruft er ihm entgegen, frustriert von Sasuke und sich selbst und der ganzen Situation, am meisten aber von der Tatsache, dass es schon jetzt eine aussichtslose Schlacht ist und ihm langsam die Munition ausgeht. Nichts, was er sagt, zeigt irgendeine Wirkung und bald ist er alle Instanzen durch, an die er appellieren kann. "Was ist los mit dir?! Das ist nicht der Sasuke, den ich kenne!"

 

"Rede nicht so, als wüsstest du irgendetwas über mich!"

 

Bevor er es bemerkt, hat Naruto die Distanz zwischen ihm und Sasuke hinter sich gelassen (nur die physische, denn die emotionale erscheint ihm gerade unüberbrückbar) und Finger in seine Schultern gegraben, die so viel schmaler sind als sie es durch die ganzen Kleidungsschichten vorgeben. Wenn Sasuke nicht austeilt, wirkt er beinahe fragil, aber er ist es nicht, denn selbst wenn Naruto ihm wirkliche Schmerzen zufügen wollte—er wüsste nicht, wie.

 

"Du—", setzt er an und bricht nach einem Wort ab, weil er nicht weiß, wofür er ihn überhaupt beschuldigen soll, ohne dass es lächerlich klingt. '—machst meinen Traum kaputt, du hast mich enttäuscht, du bist nicht der, der du sein sollst' bleibt ihm im Hals stecken, stattdessen drückt er Sasuke gegen die Wand und schüttelt ihn. "Was ist dein Problem?! Oder brauchst du 'ne Nase voll Koks, um selbstbewusst zu sein?!"

 

"Was…?"

 

Wenn Sasuke vorher schon wütend war, weiß Naruto nicht, was er jetzt ist.

War das unter der Gürtellinie? Hat es überhaupt etwas damit zutun? Naruto hat keine Ahnung, wieso er das Thema überhaupt aufgeworfen hat, aber Sasuke reagiert, er versucht sich loszureißen und kämpft und Naruto ist froh, dass er einen festen Griff um seine Arme hat, sonst wäre wahrscheinlich längst Blut geflossen. Als Sasuke merkt, dass sich Naruto nicht wegstoßen lässt, weicht er auf Guerilla-Taktiken aus und krallt seine Finger in alles, was er erreichen kann, aber Sasukes Nägel sind kurz und stumpf und die Kratzspuren, die er hinterlässt, nur oberflächlich.

 

Für einen Moment löst sich Narutos Blick von den tiefschwarzen Augen vor ihm, die ihn kalt und herausfordernd anstarren, wandert von Sasukes dunkler Silhouette zu den Eisblumen auf dem Fenster hinter ihm, das sich nicht richtig abdichten lässt. Die Farbe auf dem Rahmen blättert ab, das Glas ist trüb und fleckig und auch dahinter reihen sich nur die trostlosen Backsteinfassaden der Häuser gegenüber aneinander. Naruto war immer in der Lage, selbst die ernüchterndsten Dinge zu romantisieren—kalte Nächte, schäbige Räume, schmutzige Gassen, aber gerade…—er kann es sehen, was Sasukes Augen so stumpf werden lässt. Und es ist eine völlig neue Art von bitterer Realität, mit der er auf einmal konfrontiert wird.

Sasukes Hände haben ihren Kampfgeist inzwischen verloren und fallen wieder neben ihn zu Boden. Naruto schluckt schwer.

 

"Ich bin mir sicher—", beginnt er und neigt dabei den Kopf vorsichtig nach vorn, bis seine Stirn gegen Sasukes lehnt. Blut pulsiert laut in seinen Ohren und lässt seine eigene Stimme seltsam richtungslos klingen. "Es wird nicht immer so sein. Vertrau mir."

 

Und Sasukes Augen sind weit geöffnet, alarmiert, aber er lässt die Nähe zu, auch als Narutos Finger ihren sicheren Griff um seine Schultern lockern und zu seinem Nacken hinaufwandern.

Naruto hat schon lange keine Ahnung mehr, was er tut, aber sein Herz klopft unerträglich laut und eigentlich müsste es Sasuke hören können. Es ist das einzige, was er noch hören kann, als sich ihre Nasenspitzen berühren und Naruto die letzten rationalen Gedanken über Bord wirft.

 

Der erste Kuss ist mehr Austausch von Wärme als physischer Kontakt. Sie sind Millimeter voneinander getrennt, teilen Sauerstoff und Kohlendioxid, bevor sich ihre Lippen einen Wimpernschlag lang berühren. Sasuke ruckt seinen Kopf zurück als hätte er sich verbrannt und schlägt ihn dabei fast an den Fensterrahmen hinter ihm.

 

Alles ist seltsam still und ein bisschen zeitlos für wenige Sekunden, bis Sasuke nuschelnd seine Müdigkeit deklariert, aber das ist eigentlich auch schon egal, den Moment hat er sowieso längst verscheucht. Narutos Puls rationalisiert sich und das, was mit viel Potential und verdrehter Romantik begonnen hat, verklingt in Bettwäschegeraschel und einem mondlichtumrissenen Sasuke, der still, fast heimlich auf die Matratze klettert und sich unter der Decke zusammenrollt.

 

Vielleicht schläft er sofort ein, vielleicht liegt er aber auch wach bis in die frühen Morgenstunden, so wie Naruto, der seinem Atem zuhört wie einer Gute-Nacht-Geschichte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Uuund die Beziehung ist ein Level up!
(Nicht, dass es besonders viel ändern würde, haha…)

Das nächste Kapitel ist übrigens mal wieder aus der 1. Pers geschrieben. Stay tuned! 8D Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  sayuri-chan92
2014-06-14T21:26:18+00:00 14.06.2014 23:26
Hey du :D

Heute habe ich zufälligerweise deine FF entdeckt und ich bin so froh darüber. Ich bin selbst erstaunt, denn ich hab die ganzen Kapitel verschlungen. Ich liebe deine FF und vor allem deinen Schreibstil. Er ist eigen, individuell und so detalliert. Man kann einfach nicht genug kriegen.

Außerdem finde ich es wirklich super gut, dass du es mit den beiden Schnuckies ganz langsam angehst. Sasuke ist am Anfang so unnahbar, aber je mehr er Zeit mit Naruto verbringt desto mehr taut er auf. Trotzdem ist da noch eine gewisse Distanz zwischen ihnen.
Der Prolog hat mich erstmal verwirrt, aber er ist gut geschrieben und weckt das Interesse. Mitlerweile verstehe ich alles :D Zum Glück! Oh jee, jetzt will ich erst recht wissen, was zwischen den Jungs vorgefallen ist, dass sie so derart wütend aufeinander sind und sich mehr mit Fäusten unterhalten, als mit Worten :O
Das letzte Kapitel finde ich besonders schön, denn langsam nähern sie sich an auch wenn es mit Gewalt anfängt;)

Ich bin sprachlos, denn alles ist super. Gut, dass deine FF keine 08/15 FF ist und dass du alles langsam angehst, es ist einfach realitätsnaher als andere FFs.
Alsooooo, ich hoffe so sehr, dass das nächste Kapitel sobald wie möglich kommt, denn ich sterbe vor Neugier und bin zu verrückt danach, aber da du Studentin bist und ich weiß, wie hart das Studentendasein sein kann, werde ich sehnsüchtig aufs nächste Kapitel warten.
GOOO; GOOO ;D
Ich freue mich schon auf neuen Lesestoff ;)Nur weiter so!!!!!!

P.s. das Cover ist wirklich schön gemacht *_*
Ganz liebe Grüße, man liest sich :D
Antwort von:  Porzellan_Puppe
15.06.2014 22:12
Omg Dankeschön!!
So viele liebe Worte, aww, ich freue mich so, dass dich die FF gepackt hat und sie dir so gut gefällt.

Ja, das war mir auch wichtig, der Beziehungsentwicklung genügend Zeit zu geben, weil sich sowas eben nicht von heute auf morgen ändert und erst recht nicht bei Sasuke. Und das ist ja auch eines der zentralen Punkte der FF- wie sich ihr Verhältnis erst von nicht vorhanden zu gut entwickelt und es dann zum Bruch kommt. Das versuche ich so nachvollziehbar wie möglich zu gestalten. :D

Dass der Prolog erst einmal verwirrend ist, haben schon einige gemeint. Und nachdem ich letztens irgendwann nochmal drüber gelesen hatte, kann ich es auch gut verstehen. xD Weil ich ja auch erst am Ende schreibe, wie es einzuordnen ist. Aber ich wollte nicht ganz am Anfang schon so viel erklären, sondern erstmal wirken lassen.

Ich werde mich auf jeden Fall bemühen, das nächste Kapitel möglichst schnell fertig zu bekommen!
Und freut mich, dass dir das Cover gefällt. :D

Lg!
Von: abgemeldet
2014-06-04T10:54:33+00:00 04.06.2014 12:54
Hei :D
Bin grade auf deine FF gestoßen und finde sie supertoll!!
Ich mag vor allem dieses ganz langsame und irgendwie verkorkste Annähern der beiden :3
Wär doch langweilig wenn alles von Anfang an klappen würde. ^^
Bin auf jeden Fall schon mega gespannt wies weitergeht und freu mich aufs nächste Kapitel!
Ganz liebe Grüße
Antwort von:  Porzellan_Puppe
04.06.2014 16:58
Dankeschön fürs Kommentieren! :D
Jaa, für diese FF musste man ein bisschen Geduld mitbringen, aber das hat nun langsam ein Ende. Es werden insgesamt viele viele Kapitel werden, also ist da auch genügend Platz gewesen für stückchenweises Annähern. Und "verkorkst" ist tatsächlich ein wunderbar treffender Begriff. xD
Yay, freut mich auf jeden Fall, dich als Leserschaft dazugewonnen zu haben. :D

Lg


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