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Run fast, breathe slow

von

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So if the answer is no can I change your mind

So viel zum Thema jeden Mittwoch ein Update. Sorry, meine Lieben. Ich hoffe, ihr seid mir nicht allzu böse. Viel Spaß mit dem Kapitel und danke für euer Feedback.
 

abgemeldet

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So if the answer is no can I change your mind
 

»Soll ich dir vielleicht ein Beil besorgen, Joris?«, fragte Elisa mich und legte dabei ihr Kinn auf meine Schulter. »Und ein paar Holzscheite dazu, damit du unser Schneidebrett nicht zerhackst?«
 

»Ich brauch keine Scheite, ich brauch einen Kopf«, erwiderte ich schnaubend. Ich konnte Duniels amüsiertes Lachen hinter mir hören. Er saß am Tisch und schnitt Brot in kleine Würfel. Natürlich wusste er, dass ich ihn meinte. Natürlich fand er das wahnsinnig lustig, während ich mich bevorzugt aus dem Fenster geworfen hätte. Ich war so ein Trottel. Duniel war so ein Trottel. Überhaupt, warum musste ich mich eigentlich immer so leicht provozieren lassen? Warum konnte ich Sachen nicht einfach auf sich beruhen lassen, cool bleiben, über den Dingen stehen, die Gelassenheit eines Gänseblümchens auf einem weiten Feld haben? Nein, ich musste blindlings und mit offenen Armen ins Chaos stürzen.
 

Aber, wie heißt es doch so schön? Genies vermochten das Chaos zu überblicken. Ich war also eindeutig genial.
 

»Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«, wollte Elisa dann wissen und trat von mir zurück, um die Salatblätter zu waschen. Ich schnaubte, unschlüssig, ob ich sie wirklich aufklären sollte oder nicht. Schließlich entschied ich mich dagegen. Es wäre eine Schmach gewesen, ihr zu verraten, dass ich mich zu so einer schwachsinnigen Wette hatte verleiten lassen. Das sollte ruhig zwischen diesem Bastard und mir bleiben.
 

»Ich«, sagte Duniel dann aber und machte damit meine Pläne ungefragt und unautorisiert zunichte. In Gedanken sah ich mir dabei zu, wie ich mich umdrehte und das große Kochmesser, das ich in der Hand hatte, nach ihm warf.
 

Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie Elisas Blick zwischen Duniel und mir pendelte. Offensichtlich wartete sie auf eine genauere Erklärung. Ich wagte stark zu bezweifeln, dass Duniel jetzt die Klappe halten würde, aber ich hatte auch nicht vor, Elisa detaillierter in Kenntnis zu setzen. Wie schrecklich gut, dass er mir diese Aufgabe, selbstlos wie er war, abnahm.
 

»Wir wetten«, fügte er mit einem vor Amüsement triefenden Ton in der Stimme. Ich hackte konzentriert auf die Lauchzwiebeln ein, um mich weiterhin zu beschäftigen. Wer wusste schon, auf was für dumme Ideen ich sonst gekommen wäre.
 

»Ah ja«, meinte Elisa skeptisch. »Und worum wettet ihr?«
 

Für einen kurzen Moment bildete ich mir ein, dass die Lauchzwiebeln wie eine Zunge aussahen.
 

Duniel sagte zunächst nichts. Ich war froh, dass ich ihn gerade nicht direkt vor Augen hatte. Wahrscheinlich bereitete ihm die ganze Sache so große Freude, dass er sowieso geplatzt wäre, wenn er es nicht erzählen konnte.
 

»Wir wetten, dass Joris sich innerhalb von sechs Monaten in mich verliebt«, sagte Duniel schließlich.
 

Das war zu viel. Ich wirbelte herum.
 

»Du wettest, dass ich dir verfalle! Von verlieben war nie die Rede!«, zischte ich und deutete mit der Messerspitze auf diese heuchlerische Kröte. Duniel hielt das Brotmesser umklammert und sah beinahe so aus, als wäre er jede Sekunde bereit, sich zu verteidigen, wenn es sein musste. Trotzdem sah er reichlich erheitert aus. Er zuckte nur mit den Schultern.
 

»Also, soweit ich mich erinnern kann, ging es um ›eine Chance haben‹«, erwiderte Duniel schlicht. »Für mich bedeutet das — zumindest mehr oder minder — verlieben.«
 

»Pffffft!«, brachte ich lediglich zustande und drehte mich wieder meinem Gemüse zu. Heldenhaft, wirklich, heldenhaft. Immer, wenn es darauf ankam, fiel mir natürlich kein schöner Konter ein. Stattdessen musste ich mich mit Lauchzwiebeln herumschlagen. Und einem Narzissten.
 

Eine Chance haben, äffte ich ihn gedanklich nach und verzog dabei das Gesicht. Das konnte alles und nichts heißen.
 

»Moment«, mischte sich nun wieder Elisa ein. Sie legte die gewaschenen Salatblätter neben mir ab. »Duniel wettet, dass du dich in ihn verliebst… und du wettest dagegen?«
 

»Verfallen«, korrigierte ich sie stoisch. »Er ist so von sich selbst überzeugt, dass er meint, ich würde mich ihm zu Füßen werfen.«
 

»Ich hab ihn nur gefragt, ob ich eine Chance bei ihm hätte«, verteidigte Duniel sich gelassen. »Darum geht’s.«
 

Tse.
 

»Findet ihr das nicht ein bisschen… albern?«, fragte Elisa mit gerunzelter Stirn. »Seid ihr euch nicht selbst peinlich?«
 

»Ich hab nicht damit angefangen«, giftete ich nur, während ich dazu überging, die Salatblätter zu zerrupfen.
 

»Wenn man es genau nimmt, hast du zuerst gewettet. Ich bin nur eingestiegen«, meinte Duniel und ich hörte wieder diesen abscheulich amüsierten Unterton in seiner Stimme. Was war es nur in meinem Leben, das mich nicht zur Ruhe kommen lassen wollte? Duniel schien es sich jedenfalls zur Lebensaufgabe gemacht zu haben, mich in den Wahnsinn zu treiben und mich nicht nur vor mir selbst sondern gleich vor der gesamten Welt bloßzustellen.
 

»Irgendwas ist bei euch echt schief gelaufen…«, murmelte Elisa kopfschüttelnd. Ich zwang mich mit aller Gewalt damit, einfach nichts mehr dazu zu sagen, denn alles, was ich sagte, benutzte Duniel gnadenlos gegen mich. Also war es besser, wenn ich schlicht die Klappe hielt. Ich hatte keine Lust, mich weiter mit dieser dämlichen Wette auseinanderzusetzen. Es war wohl das Beste, wenn ich so tat, als gäbe es sie nicht. Das ersparte mir eine Menge Stress.
 

Keine halbe Stunde später hingen wir zu viert im Wohnzimmer und aßen den Salat. Julian stellte seine Schüssel ab. Er lachte so sehr, dass der Salat drohte herauszufallen. Natürlich hatte Elisa ihm brühwarm aufgetischt, was sie eben in der Küche erfahren hatte. Duniel grinste vergnügt, während er sich großzügig meine selbstgemachten Croutons über den Salat streute. Elisa hingegen wirkte noch immer nicht sonderlich angetan — und irgendwie war mir ihre gerunzelte Stirn lieber als Julians Lachen.
 

»Was gibt’s denn da zu wetten?«, fragte Julian röchelnd, nachdem er sich halbwegs wieder beruhigt hatte und die Salatschüssel ohne zu schütteln in der Hand halten konnte. Er zog die Augenbrauen hoch und schaufelte eine überproportional große Menge Salat auf seinen Löffel, bevor er ihn sich in den Mund schob. »Junge D mag Junge J. Junge J mag Junge D. Boom.«
 

Er zog einen Knutschmund und machte ein kleines Schmatzgeräusch. Ich schnappte mir eine Handvoll Croutons und schmiss sie ihm ins Gesicht. Allerdings hinderte es Julian natürlich nicht daran, in einen neuerlichen Lachflash auszubrechen, was aber nur dazu führte, dass er sich ordentlich verschluckte. Geschieht ihm recht, dachte ich schadenfroh. Jetzt grinste auch Elisa. Kiki sah die verstreuten Croutons als Einladung sie aufzufressen und machte sich mit der Nase auf dem Boden auf die Suche nach den kleinen Stücken.
 

»Junge J ist völlig indifferent gegenüber Junge D!«, knurrte ich angesichts der anmaßenden Tatsache, dass Julian ernsthaft dachte, ich würde auf Duniel stehen.
 

»Du bist meilenweit entfernt von ›indifferent‹, mein Lieber«, sagte Elisa kopfschüttelnd und äffte mich dabei nach.
 

»Blackout!«, rief ich schließlich und sah zuerst Elisa und dann Julian an. Sie sahen mich beide abschätzend an, während Duniel irritiert wirkte.
 

»Schisser«, meinte Julian nur und widme sich wieder seinem Salat. Elisa sagte nichts. Stille trat ein.
 

Oliver, Julian, Elisa und ich hatten uns beim Einzug auf Anhieb sehr gut verstanden und waren auch ziemlich schnell ein enger Kreis geworden. Wir sprachen nicht über alles miteinander, was uns beschäftigte — jeder hatte Dinge, über die er nicht reden wollte —, aber im Allgemeinen waren wir doch sehr offen miteinander. Aber unsere Meinungen und Ansichten stimmten selbstverständlich nicht immer über ein. Und wenn der Problembelastete, der das Thema auf den Tisch gebracht hatte, meinte, die Einmischung durch die anderen wurde zu viel, dann rief er »Blackout«. Das bedeutete, dass das Thema erledigt war und wir nicht mehr mit den anderen darüber sprechen wollten. Völlig unabhängig davon, ob das Problem nun gelöst und beseitigt wurde oder nicht. Ich weiß nicht mehr, wie wir überhaupt darauf gekommen sind, aber es hatte sich etabliert und wir berücksichtigten es.
 

»Was bedeutet ›Blackout‹?«, fragte Duniel schließlich in die Stille.
 

»Dass wir nicht mehr über eure bekloppte Wette reden werden«, antwortete Elisa ruhig. Dann erklärte sie ihm in kurzen Worten, was insgesamt dahinter steckte. Duniel gab ein verstehendes »Ach so« von sich, danach verfielen wir wieder in Schweigen.
 

Es war eine sehr unangenehme Ruhe. Zumindest empfand ich es so.
 

Ich gab es nur ungern zu, aber Elisa hatte Recht. Ich war meilenweit von indifferent entfernt. Ich war alles andere als indifferent. Aber ich hatte mir diese Situation selbst zuzuschreiben, das war mir auch klar. Und ich wünschte, ich hätte die Zeit zurückdrehen können, um diese dumme Wette ungeschehen zu machen. Aber sie jetzt abzubrechen — keinen Tag, nachdem sie begonnen hatte — stand außer Frage und ging gegen meinen Stolz. Es war albern und kindisch und hirnamputiert, natürlich, aber ich wollte nicht derjenige sein, der kniff.
 

Nach dem Essen verabschiedete Julian sich zu seiner Freundin Katharina, Elisa verschwand in ihrem Zimmer und ich ging mit Kiki raus. Die Abendluft war kühl und frisch, es dämmerte bereits. Auch ohne die Knospen an den Bäumen und Büschen zu sehen, war klar, dass der Frühling sich allmählich breit machte. Kiki lief mir voraus, schnupperte hier und dort und blieb gelegentlich stehen, um sich nach mir umzuschauen.
 

Ich nutzte die Zeit, um den Kopf ein bisschen frei zu kriegen. Als ich mich noch heute Morgen mit Julian über Duniel unterhalten hatte, war ich überzeugt gewesen, dass ich mich bestens mit unserem vorübergehenden Mitbewohner verstehen würde. Doch wir hatten uns nicht einmal eine halbe Stunde gekannt und ich war mir schon sicher, dass die kommenden sechs Monate die reinste Hölle würden. Jetzt, an der frischen Aprilluft, sah die Situation wieder anders aus. Ich war immer noch wütend. Wütend, dass ich mich auf dieses dumme Kinderspiel eingelassen hatte. Wütend, dass ich mich so blind von meinem Ärger hatte leiten lassen. Duniel war nicht einmal angriffslustig oder beleidigend gewesen. Er hatte einen bescheuerten Spruch vom Stapel gelassen, ja, aber von denen hatte ich sicher auch genug auf Lager. Was mich störte, war seine Überheblichkeit und die Selbstsicherheit, mit der er davon ausging, er würde bekommen, was er wollte.
 

Seufzend fuhr ich mir mit einer Hand durch die Haare. Ich nahm mir vor, nicht zu versuchen das halbe Jahr schlimmer für mich zu machen, als es sein musste. Vielleicht konnte ich es schaffen, eine halbwegs umgängliche Beziehung zu Duniel aufzubauen ohne bei jeder Unterhaltung auszuticken. Vielleicht würde es mir sogar gelingen über diese dämliche Wette hinwegzusehen und so zu tun, als gebe es sie gar nicht — immerhin war das Thema fürs erste begraben. Außerdem, mal ehrlich, wie schwer konnte es schon sein, diese Wette zu gewinnen? Ich nahm mir also vor, mich wie ein erwachsener Mann zu benehmen und mich nicht von Duniel auf die Palme treiben zu lassen.
 

Nachdem ich mit Kiki Gassi gegangen war, setzte ich mich mit einem Text für meine erste Vorlesung ins Wohnzimmer. Kiki hüpfte neben mich auf die Couch und legte sich auf ihre Decke. Sie legte ihren Kopf auf meinen Oberschenkel. Während ich die ersten paar Zeilen der Lektüre überflog, streichelte ich behutsam über ihren Rücken.
 

Ich fuhr fast zusammen, als Duniel wie ein Irrer um die Ecke ins Wohnzimmer geschlittert kam. Zwischen seinen Lippen klemmte ein Schokoriegel, dessen untere Hälfte noch mit Papier umwickelt war. Er schaute mich ein wenig überrascht an, als er mich auf der Couch sah.
 

»Was machst du?«, wollte er wissen, als er zu mir herüberkam. Er biss vom Riegel ab. Ich hob die Blätter des Textes und wedelte damit herum.
 

»Lesen.«
 

»Oh«, machte er dann. Unschlüssig, wie es schien, stand er vor mir. »Ich wollte jetzt eigentlich die Tagesschau sehen.«
 

Ich hob die Augenbrauen in purer Überraschung. »Du schaust Nachrichten?« Zugegeben, das hätte ich ihm nicht zugetraut.
 

Duniel zuckte nur die Schultern. Ich griff nach der Fernbedienung für den Fernseher, die auf der Sofalehne neben mir lag, und reichte sie an ihn weiter.
 

»Mach ruhig, es stört mich nicht«, sagte ich dann. Duniel setzte sich neben mich. Dichter als normal. Dichter als nötig. Dichter, als es mir lieb war. Aber ich rief mir ins Gedächtnis, dass ich nicht sofort wieder hochgehen wollte, und atmete tief durch. Ich ließ ihn machen und tat so, als würde es mich nicht interessieren. Auch, als er seinen rechten Fußknöchel über sein Knie legte, schwieg ich und ignorierte dabei auch die Tatsache, dass er meine damit mehr oder minder ebenfalls als Ablage benutzte. Ich fragte mich, ob er so etwas wie Intimsphäre überhaupt kannte. Offensichtlich nicht.
 

Ich blendete Duniel und die Tagesschau aus und las einfach meinen Text. Bis er mir einen Schokoriegel direkt vor die Augen hielt.
 

»Duplo?«, fragte er mich, als ich ihn ansah, und musterte mich mit großen, aufmerksamen Augen.
 

»Wo hast du den denn jetzt her?«, war das erste, das mir dazu einfiel. Ein breites, schmutziges Grinsen legte sich auf seine Lippen. Ich wollte die Flucht ergreifen, mich in meinem Zimmer verbarrikadieren und ihm nicht noch einmal über den Weg laufen. Er war immer noch so nah.
 

»Den hab ich gerade aus meiner Hosentasche gezaubert«, antwortete er mit wippenden Augenbrauen. Ich verdrehte die Augen, dann lehnte ich den Riegel ab. Der Fernseher lief immer noch, aber die Tagesschau war offensichtlich vorbei. Duniel hatte umgeschaltet, aber es lief Werbung.
 

Duniel sagte nichts, er ließ mich zwar in Ruhe, rückte aber auch nicht von mir ab. Gelegentlich landete entweder sein Kopf auf meiner Schulter oder sein Arm. Ich schüttelte ihn immer wieder ab, aber er ließ sich nicht beirren. Irgendwann hatte ich genug davon, von ihm betatscht zu werden, und kniff ihm so fest ich konnte in die Seite, als er wieder versuchte seinen Arm um meine Schulter zu legen. Er japste. Sofort war sein Arm verschwunden und hielt stattdessen die Stelle, die ich getroffen hatte.
 

»Hackt’s?«, fragte er mich empört. Ich hob den Blick und legte meinen Text, den ich gerade durchgelesen hatte, weg. Es war das erste Mal, dass er mich sauer ansah. Ein ehrlicher Ausbruch und nicht diese überhebliche Maske. Ich grinste.
 

»Behalt deine Griffel halt bei dir«, verteidigte ich mich und zuckte mit den Schultern. Duniel schnaubte vorwurfsvoll, dann schob er sein Oberteil hoch, um die Stelle, an der ich ihn gekniffen hatte, zu begutachten. Ein ordentlicher blauer Fleck begann sich dort zu bilden.
 

»Du bist ja gemeingefährlich. Attackierst du jeden, der deine Nähe sucht?«, wollte er wissen und ließ den Saum seines Shirts sinken. Er war ein kleines Stückchen von mir abgerutscht, aber in Anbetracht der Menge an Platz, die er noch bis zur anderen Armlehne hatte, war der Abstand zwischen uns nur minimal größer geworden.
 

»Jeden, dessen Nähe nicht autorisiert ist«, erwiderte ich mit einem hämischen Grinsen. Duniel rieb sich die Seite.
 

»Ich bin zumindest nicht körperlich aggressiv«, schnaube er dann. Ich lachte los.
 

»Ach nein?«, sagte ich dann und machte eine verbindende Handbewegung zwischen uns. »Und wie nennst du das? Du missachtest die private Distanz total und fällst in meine Intimsphäre ein. Erzähl du mir mal nichts von körperlich aggressiv!«
 

»Intimsphäre?«, echote Duniel und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn ich in deine Intimsphäre einfallen würde, würdest du jetzt nicht mit klarem Verstand auf der Couch sitzen, sondern—!«
 

»Halt die Klappe!«, schnauzte ich laut, bevor er seinen Satz beenden konnte, und stürzte mich dabei auf ihn und presste ihm beide Hände auf den Mund. Er krachte mit dem Kopf gegen die Armlehne, es gab ein dumpfes Geräusch, aber wenn es ihm wehgetan hatte, dann zeigte er es nicht. Stattdessen sah Duniel mich mit großen Augen ziemlich perplex an, während ich über ihm hockte, die Hände immer noch über seinem Mund.
 

Er fing sich schneller als ich. Das wurde mir in dem Moment klar, als ich seine Zunge an meiner Handinnenfläche spürte. Mit einem Ruck zog ich meine Hände zurück und setzte mich zurück auf die Couch. Langsam richtete auch Duniel sich wieder auf. Sein Gesicht war verzerrt von einer Mischung aus Schmerz und Amüsement. Er fuhr sich über den Hinterkopf.
 

»Du gehst aber ran«, kommentierte er belustigt. »Ich sollte vielleicht anfangen, darüber Tagebuch zu führen, wie viele Verletzungen du verursachst. Zwei gleich an unserem ersten Tag. Ich hab bestimmt eine Gehirnerschütterung.«
 

»Du bist doch selbst Schuld«, gab ich zurück, aber wem spielte ich denn etwas vor? Dass er sich den Kopf anschlug, war nicht geplant gewesen und keine Absicht. Ich starrte auf meinen Text, der vor mir auf dem Couchtisch lag. Kiki war vom Sofa gesprungen und suchte sich irgendwo eine ruhigere Ecke.
 

Duniel blieb in seiner Ecke der Couch sitzen. Er strich sich immer wieder über den Hinterkopf, sagte aber nichts weiter. Im Fernsehen lief irgendeine Serie, die mich nicht interessierte. Ich blieb dennoch sitzen und sah den Protagonisten teilnahmslos bei ihren Unternehmungen zu. Ich wusste nicht, ob die Serie Duniel interessierte oder ob er sie nur anließ, weil er sich nicht durch die Kanäle auf der Suche nach etwas Besserem zappen wollte.
 

»In welcher Stadt hast du eigentlich vorher studiert?«, fragte ich Duniel in der nächsten Werbepause. Er sah mich fragend an.
 

»Ich hab vor Jura nicht studiert«, antwortete er etwas irritiert. »Oder was meinst du?«
 

»Ich dachte, du wärst von einer anderen Uni hierher gewechselt. Weil du ja jetzt schon im vierten Semester bist und auf Zwischenmiete hier bist…«, begann ich nachdenklich. Ich wusste nicht so recht, wie ich ausdrücken sollte, was ich meinte, aber offenbar verstand Duniel, was ich eigentlich wissen wollte.
 

»Ach so. Ich war bis jetzt immer irgendwo auf Zwischenmiete drin. Ich studiere schon von Anfang an hier«, meinte er dann schulterzuckend. Ich nickte stumm.
 

»Warum suchst du dir keine feste Bleibe?«, fragte ich weiter. »Ist doch scheiße, alle paar Monate die Wohnung zu wechseln und mit anderen Leuten zusammenzuleben.«
 

Duniel zuckte wieder mit den Schultern. »Es gefällt mir ganz gut so.«
 

Ich wartete darauf, dass er noch mehr dazu sagte, aber als nichts mehr kam, fragte ich: »Wieso?«
 

Duniel schaute mich aufmerksam an. Er ließ sich mit seiner Antwort ein wenig Zeit und ich dachte schon, er würde gar nicht mehr mit mir reden wollen. Nachdenklich fuhr er sich mit einer Hand durchs Haar.
 

»Zum einen, weil ich mich so nicht um Möbel und so einen Schmarrn kümmern muss«, antwortete er schließlich und stützte sein Kinn auf sein Knie. »Als ich Daheim ausgezogen bin, musste ich meine Möbel für meine Geschwister dort lassen und ich hatte kein Geld, um mir neue zu kaufen. Der Ansturm auf die WG-Zimmer hier ist außerdem wie ein Spießrutenlauf, selbst wenn es nur zur Zwischenmiete ist.«
 

»Und die Leute?«, fragte ich wieder.
 

»Es ist ganz spannend, wenn man so auf neue Leute trifft«, erwiderte er nur und setzte sich in den Schneidersitz. Duniel hob die Arme über den Kopf und streckte sich kurz. Ich betrachtete ihn nachdenklich und fragte mich unwillkürlich, wie er eigentlich wirklich drauf war, wenn er nicht seine Überheblichkeit nach außen kehrte.
 

»Mir wäre das zu anstrengend«, sagte ich kopfschüttelnd. »Zu viel Unordnung und Unruhe. Ich könnte das nicht.«
 

»Wieso Unordnung? Wenn du mich fragst, ist das die einfachste Variante, die du wählen kannst. Das einzige, das ich mit mir herumtrage, sind meine Klamotten und mein Unikram. Ich bleibe nie lange genug, um mich über Mitbewohner aufzuregen, mit denen ich nicht ganz so gut auskomme und umgekehrt.«
 

Ich schüttelte wieder den Kopf und versuchte mir mich in seiner Situation vorzustellen. Aber ich wusste, dass ich nicht so leben könnte. Immer zu wissen, dass meine Zeit in einer Wohnung befristet war und ich auch keine Möglichkeit hätte, im Notfall zu bleiben. Das war unvorstellbar. Ich brauchte diese Gewissheit, dass ich jederzeit nach Hause kommen konnte. Dass es mein Zuhause war, dass dort meine Sachen standen.
 

»Aber so ein Vagabundenleben… ich weiß nicht. Was ist denn mit kleineren Sachen? Persönliche Dinge, Fotos, Bilder oder Erinnerungsstücke oder so was? Und günstig an Möbel zu kommen, ist auch nicht sonderlich schwer. Die Leute wollen ständig ihren Kram loswerden«, sagte ich und sah Duniel an.
 

Er grinste wieder, aber diesmal war er nur amüsiert. »Ich gehöre nicht zu den Leuten, die haufenweise Kleinkram horten. Das, was mir an persönlichen Dingen wichtig ist, habe ich bei mir, aber es nicht so, dass es ich in meinem Zimmer ausstellen muss. Ich weiß nicht. Ich glaube, wenn ich mich irgendwo dauerhaft niederlassen würde, dann würde ich eine Wohnung für mich allein bevorzugen.«
 

»Aber du wohnst doch praktisch seit zwei Jahren in WGs«, warf ich verwirrt ein.
 

»Ja, klar. Und eben weil ich immer nur für kurze Zeit in immer wieder neue WGs komme, fällt mir auf, wie es abläuft, wie die Leute ticken, wie sie sich gegenseitig nerven. Mich stören gelegentlich auch einige Sachen, aber ich arrangiere mich damit, weil ich eigentlich nur ein Gast bin und nicht zu meckern habe. Und außerdem bleibe ich ja auch nie wirklich lange«, erwiderte Duniel. Er hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Keine Ahnung. Es ist ein innerer Trieb, immer wieder die Umgebung zu wechseln. Bisher hatte ich noch nicht das Bedürfnis, irgendwo einziehen zu wollen und dort auch zu bleiben.«
 

»Hm«, machte ich nur. Duniel lächelte leicht. Wir saßen schweigend auf der Couch. Ich wusste nicht, was ich noch sagen sollte. Zwar konnte ich Duniels Antrieb nicht verstehen und nachvollziehen, aber andererseits fragte ich mich, wie es wohl war, wenn man so lebte wie er. Alle paar Monate mit neuen Leuten unter einem Dach zu wohnen und auch das jedes Mal nur für begrenzte Zeit… Nein, das war nichts für mich.
 

Schließlich stapelte ich mein Unizeug und stand auf, um in mein Zimmer zu gehen.
 

»Sorry, das mit deinem Kopf«, sagte ich, bevor ich das Wohnzimmer verließ. »Das war wirklich nicht beabsichtigt.«
 

Duniel lächelte mich breit an. Seine Augen strahlten. »Schon okay. Dickschädel«, meinte er und klopfte sich gegen den Kopf. Ich konnte nicht anders, als zurückzulächeln.
 

»Gute Nacht«, sagte ich dann.
 

»Gute Nacht, Joris. Schlaf gut«, erwiderte er und winkte kurz.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  BODYROCKER
2012-04-23T12:47:34+00:00 23.04.2012 14:47
Klasse geschrieben und sehr gute Idee. i like! :D
diese antipartie die Joris gegen über Dunel empfindet ...mag ich auch |D haaach es ist so herrlich wenn man jemanden so schön aufziehen kann und vorallem wie er dabei immer gleich aus der Haut fährt. Duniel brauch ja nicht wirklich viel machen (um genau zu sagen eigentlich nichts) und Joris könnte durchdrehen. Geiiil hihi |D
freu mich schon supermegadoll auf das nächste Kapitel! lass uns bitte nicht zu lang warten
xoxo!
Von: abgemeldet
2012-04-18T20:16:41+00:00 18.04.2012 22:16
da ich es das letzte mal nicht geschafft habe dir ein Kommentar zu hinterlassen kommt endlich jetzt eins D/

Du weißt ich liebe deine geschichten total, ich mag es wie du die Blickwinkel von Joris beschreibst. Wunderbar wirklich D/.

Vielen Dank für diese Geschichte :3.
Von:  Deedochan
2012-04-18T18:57:45+00:00 18.04.2012 20:57
danke für deine ENS ^^
Endlich kommt die Story ein bisschen ins Rollen und die Anfangsphase ist bald überwunden ^.~ Ich bin schon richtig neugierig, wie schnell aus der kindischen Wette "Realität" wird :D

freu mich schon auf's nächste Kapitel!

lg
Deedo
Von:  Salamandra
2012-04-18T17:25:22+00:00 18.04.2012 19:25
Ich mag Jorist Art total. Da sitz ich grinsend vorm PC und lach laut |D
Die Neckerein zwischen ihm und Duniel sind echt gut, aber mir gefällt auch das sie anscheinden auch normal miteiander reden können :3
Von:  Minouett
2012-04-18T17:08:16+00:00 18.04.2012 19:08
Juhu! :)
Also natürlich sieht man gerne jeden Mittwoch was neues, aber was nicht geht, das geht nicht ;)
Nur kein Stress.
Mir hat das Kapitel gefallen. Vor allem, dass klar wird, was für einen Umgang sie miteinander haben und dass man n bisschen was über Duniel erfährt.
Ich finds auch gut, dass Joris jetzt nicht die ganze Zeit über grundlos rumstänkert, sondern sich damit etwas arrangiert.
Joah...alles in allem ein schönes Kapitel, ich bin gespannt, was noch folgt. Wie immer.
Danke für die ENS.
:)
lg
Minou


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