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Wikingerblut

MIU-Trilogie 1
von

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Schlagen und Treffen

»A-Aber … Moment mal –«

»Hör auf zu diskutieren!«, schnappte Micha.

»Aber werde ich dann nicht auch ein Vampir?!« In Fritz’ Kopf putschte eine Herrscherin namens Panik den alten Regenten Vernunft von seinem Thron. Er wandte den Blick ab, um Michas Blut nicht sehen zu müssen.

»Nein, wirst du nicht«, grollte Micha, der jetzt merklich um Beherrschung kämpfte. »Also halt die Klappe und trink! Du wirst schon sehen, was dann passiert!«

Als Fritz immer noch keine Anstalten machte, seine Anweisung zu befolgen, trat Micha vor und packte ihn grob mit etwas, das Fritz zuerst für den Bissgriff hielt. In seiner Angst stieß er einen spitzen Schrei aus – es klang, als trete man ein Huhn in den Hintern – und setzte instinktiv zur Gegenwehr an. Doch Micha war endlos viel stärker. Fritz hatte nicht den Hauch einer Chance freizukommen und gab es auch sofort auf, als er merkte, dass Micha ihn nicht beißen wollte, sondern lediglich versuchte, den Blutstropfen, der über seine Hand rollte, an Fritz’ Lippen abzustreichen.

»Jetzt leck es schon auf!«, knurrte er.

»Aber ichgggggggggg –« Es war ein Fehler gewesen, den Mund zum Protestieren aufzumachen. Sofort hatte Fritz das Vampirblut auf der Zunge. Er begann erneut zu kämpfen, und Micha ließ ihn los.

»Fritz, du wirst nicht kotzen«, sagte Micha betont, als ließe sich das einfach anordnen.

Fritz krümmte sich auf dem Boden zusammen – und stutzte. Es ließ sich anordnen. Wie auf Kommando verschwand der Brechreiz. Fritz schmatzte ein bisschen; es war kein angenehmer Geschmack, aber auch nicht so abstoßend wie befürchtet.

»Und jetzt«, fuhr Micha fort, »wirst du hier stehen bleiben und auf mich warten. Du wirst nichts tun, bis ich wiederkomme.« Damit drehte er sich um und ging.

Was zum Teufel?!, dachte Fritz panisch und wollte ihm folgen – und konnte nicht. Er versuchte es noch einmal. Es ging nicht. Es war, als würde sein Wille dazu, loszugehen, in dem Moment, als das Kommando seine Muskeln erreichen sollte, gebrochen wie eine Welle an einer Klippe. Er wollte gehen, aber sobald er seinem Körper den Befehl dazu gab, wurde dieser Wille so schwach, dass er sich nicht bewegen konnte.

»Micha!«, schrie er seinem Partner hilflos nach. »Alle haben gesagt, ich kann dir vertrauen!!« Nein, korrigierte er sich, strenggenommen hatte das nur Asp gesagt. Ingo hingegen hatte ihn gewarnt. Er hat mich gewarnt!

Micha, schon ein paar Meter weiter, drehte sich ein letztes Mal um. Er nahm Fritz in Augenschein, wie er so angewurzelt dastand, und wandte sich dann wieder ab. »Viva La Vida«, sagte er und tauchte in die Nacht.

Ein letztes Mal nahm Fritz den Kampf auf gegen die unsichtbare Macht, die ihn am Boden festhielt. Wieder brach sein Wille.

Es war aussichtslos.

Ich muss gehorchen, dachte er, und wieder brach eine schweißnasse Angst über ihn herein. Ich hab sein Blut geschluckt … Ich muss alles tun, was er sagt! Ihm wurde schlagartig schlecht – allerdings nicht schlecht genug, um Michas ersten Befehl zu übergehen und das Blut wieder loszuwerden. Was mache ich nur? Ich kann mich nicht bewegen, bis er wiederkommt … Oh Gottogott, was mache ich nur??

»Sieh an, sieh an«, schnurrte eine Frauenstimme ganz in seiner Nähe. »Da steht ein Menschlein … inmitten von Vampirleichen.«

Fritz spürte ein Prickeln im Nacken. Er wusste sofort, dass sie ihn meinte. Sie schlich um ihn herum, ganz leise, und schnupperte von allen Seiten an ihm. Eine Vampirin!

»Wie schrecklich, wie schrecklich … Er hat meine Schwester getötet.« Ihre Trauer klang nicht besonders echt, und das irritierte Fritz, vertrieb aber keinesfalls seine Furcht.

»W-wer hat – ?«

»Dein Besitzer«, antwortete sie ihm. »Wie kann ein Vampir nur seinesgleichen töten? Das ist entsetzlich … Das ist uafásach

»Er – er ist nicht mein Besitzer!«, protestierte Fritz schwach.

»Ach? Aber du bist unter seiner Blutfessel, oder nicht?« Endlich trat die Vampirin mit langsamen, graziösen Bewegungen in sein Sichtfeld. Sie glich der Rothaarigen, die Micha gepfählt hatte, bis aufs Letzte; ihr gegen die Kälte dick gepolstertes Kleid war hellblau und mit Borten geschmückt. Aus leuchtend weißen Augen sah sie Fritz an, und er glaubte zuerst, Mitleid in ihnen zu erkennen; doch diese Augen wirkten irgendwie hohl, sie veränderten sich mit jeder Bewegung. Als die Frau dicht bei ihm war, leuchteten sie grau und hart wie Granit. Fritz sah sein eigenes Spiegelbild darin auf dem Kopf stehen. »Vampire, die sich Menschen unterwerfen oder mit ihnen um Harmonie ringen, benutzen niemals die Blutfessel … Das tun nur die, die sich Menschen zu Untertanen machen.« Sie lächelte süß. »Wie fühlt es sich an, keinen eigenen Willen mehr zu haben? Nur das tun zu können, wozu dein Besitzer dich auffordert?« Ihre Hand – warm und duftend – umfasste Fritz’ Kinn. »Aus dieser Art von Abhängigkeit gibt es kein Entkommen. Bevor dein Körper das Blut ganz verdaut hat, wird er dir befehlen, noch mehr zu trinken. Es ist ganz einfach … und es wird niemals aufhören, wenn er es nicht will.«

Fritz begann am ganzen Körper zu zittern. Er fror an der kalten Luft, doch es waren auch ihre Worte, die ihn so mit Grauen erfüllten, dass er schlotterte wie ein Kind, das man aus einem Eisloch gezogen hatte. Im Grunde glaubte er nicht daran, dass Micha vorhatte, ihn ewig in diesem Zustand zu belassen; nein, er wollte Fritz einfach nur nicht länger im Weg haben. Es war genau das, was Ingo Hampf gesagt hatte: Wenn er es leid ist, auf dich aufzupassen, wird er dich im Stich lassen. Und Asp hatte widersprochen: Unsinn, so was macht er nicht. Sollte Ingo, der Micha nicht leiden konnte, ihn etwa besser kennen als Asp, der sein Freund war? Mit dem er sich ein Bierversteck teilte? Flensburger unter Buschfeldts Nase?

»Warum hat er dich nicht gebissen?«, wunderte sich die rothaarige Vampirin, die noch immer um Fritz herum strich. »Er roch hungrig. Sehr sogar. Ich wollte ihn bitten, mit mir zu teilen.«

Ja, klar, dachte Fritz trotz seiner extremen Verunsicherung. Micha pfählt deine Schwester – und mit dir teilt er dann mich, den er dadurch beschützt hat. Vampirlogik! Es musste an der Blutfessel liegen. Offenbar war die Vampirin überzeugt, dass das, was Micha mit Fritz gemacht hatte, nur jemand tat, der Anspruch erhob. Fritz zu beschützen hätte demnach lediglich bedeutet, Futterneider von einem Stück Beute zu verscheuchen. Genau, das dachte sie!

»Diese Vampire, die ihresgleichen töten, sind eine Schande«, sagte die Rothaarige kummervoll. »Ich werde dich mitnehmen, mein Lieber. Paul wird sich freuen. Vielleicht bist du ja eine weitere Schwachstelle dieser Vampirpeiniger. Oder … vielleicht kannst du uns auch helfen, die Schwachstellen unseres eigenen Plans zu beheben.« Breit lächelnd trat sie an ihn heran und umfasste seine Hüfte.

»Das denkst du!«, fauchte Fritz und wollte hektisch nach dem Pflock greifen – und konnte nicht. Sein Arm unternehme keine einzige Bewegung. Scheiße! Michas Anweisung war gewesen, nichts zu tun, bis er wiederkam. Nichts!

Hilflos musste er ertragen, dass die Vampirin ihn vom Boden hochhob wie eine Schaufensterpuppe. Er konnte sich nicht wehren, nicht rühren, und so schwappte das Verderben über ihn, so unausweichlich, dass ihm vor Herzrasen beinahe schwarz vor Augen wurde.

»Wie heißt du?«, fragte sie glockenhell.

»F-Fritz«, brachte er bibbernd hervor.

»Das ist kein schöner Name, Fritz. Ich werde dich Fial nennen.«

»Oh … Okay … Und wie … wie heißt du …?«

»Ich heiße Ríona. Ríona Rua

Kichernd rannte sie mit ihm los, schnell wie der Wind, immer die Straße hinunter, und schon nach wenigen Biegungen hatte Fritz jegliches Gefühl dafür verloren, wo er war und was überhaupt mit ihm passierte.
 

Michael brauchte nicht lange, um Eric einzuholen. Jetzt, da er Fritz – wie er fand – vorübergehend angemessen entsorgt hatte, konnte er sich endlich frei bewegen, ohne ständig Rücksicht nehmen zu müssen. Natürlich würde es Ärger mit dem BfV geben, denn, das ließ sich nicht leugnen, das Benutzen der Blutfessel war innerhalb der MIU so ziemlich das schwerste Vergehen und kam damit noch vor dem Beißen eines unfreiwilligen Kollegen. Und Fritz würde petzen, so viel stand fest. Micha konnte ihm das nicht übel nehmen. Unter dem Einfluss eines fremden Willens zu stehen war mit Sicherheit eine echt beschissene Sache. Aber es hatte keine andere Möglichkeit gegeben! Fritz hatte nur Schwierigkeiten angezogen, keine Anweisungen befolgt, sich in Gefahr gebracht. Er war viel sicherer, wenn er einfach nur dort an der Straße stand und wartete. Sobald Micha Eric eingeholt hatte, würde er ihn um sein Handy bitten und irgendjemanden – Boris oder so – beauftragen, Fritz einzusammeln. Buschfeldt würde dann zwar sofort sehen, was passiert war … doch was sollte der machen?

Ich bin sein ältester Vampir, dachte Micha finster. Ich kann alles, was die Bösen können. Manchmal sogar noch mehr. Ohne mich ist die MIU am Arsch.

Er fand Eric an einem der zahlreichen Verkehrsknotenpunkte in der Stadtmitte, am Albertplatz. Straßenahnlinien liefen hier zusammen, und zwei gewaltige, stumme Springbrunnen standen sich gegenüber, wo der hellhaarige Mann sich im Schatten hielt und leise über die angrenzende Wiese schlich. Ja, der gute Herr Hecht machte seine Arbeit immer sehr gewissenhaft.

»Buh!«, sagte Micha und trat hinter ihn.

Leider erschreckte Eric sich nicht. »Wo ist Friedrich?«, erkundigte er sich halbherzig, während er die mehrspurige, beleuchtete Straße im Auge behielt.

»Noch hinten. Der hat uns ja nicht viel geholfen. Keine Sorge, ich hab ihn nur kurz geparkt.«

»Du hast was?«, fragte Eric mit hochgezogenen Brauen und drehte sich endlich um. »Das heißt ja wohl nicht …!«

Scheiße, dachte Micha, der nicht gedacht hätte, dass der Sänger von Subway To Sally so schnell eins und eins zusammenzählen würde.

Eric schien seine Gedanken zu erraten. »Du hast ihn unter Blutfessel gesetzt!«, sagte er entgeistert. »Sag mal, bist du völlig übergeschnappt, Michael? Wenn Buschfeldt das erfährt, wird er dich höchstpersönlich pfählen!« Für gewöhnlich war es immer ganz lustig zu beobachten, wie Eric sich über irgendwas aufregte; nun jedoch betraf es Micha selbst, und das war weniger komisch. »Bring das bloß in Ordnung!«, fuhr Eric eindringlich fort. »Hol ihn zurück und erklär ihm das! Du weißt, was sonst passiert! Wenn du erst mal draußen bist, ist es mit In Extremo auch vorbei!«

»Buschfeldt kann nicht meine Band kaputt machen«, gab Micha betont ruhig zurück.

»Oh doch, Michael. Deine Band gehört der MIU. Buschfeldt kann und wird

Micha hasste diesen überheblichen Ton. »Mit dir würde er das nie machen.«

»Nein, weil ich nicht dauernd widerspreche und meine Fangzähne in Tabus schlage!«

»Der Punkt ist, Hecht, du hast keine Fangzähne! Deshalb bist du Buschfeldts Liebling, wegen nichts anderem! Buschfeldt ist ein scheiß Vampirhasser!«

»Das weiß ich!«, keifte Eric zurück. »Aber wenn du zur Abwechslung mal tun würdest, was man dir sagt –«

»Ääh – ihr Herren, störe ich euch?«, fragte jemand hinter ihnen vorsichtig. Die beiden Männer fuhren herum. Im Lichtkegel der Straßenlaterne stand ein junger Mann, glattrasiert und mit sehr kurzen, graublonden Haaren, in einer zu langen Jacke steckend, und lächelte schüchtern. »Ihr seid von der Musikindustrieüberwachung, richtig?«

Alarmiert zog Micha eine Nase voll Luft ein. Und fand nichts darin, das ihn beunruhigte. »Du bist kein Vampir.«

»Nein, stimmt, ich bin ein Mensch. Niklas Löhse der Name. Ich hab im fünften Semester meines Wirtschaftsstudiums ein Auslandsjahr in Irland gemacht … und wurde direkt von Fírinne engagiert.«

»Fírinne!«, sagte Eric schneidend. »Dann ist Irland endlich selber an dem Fall dran? Wir haben es mit Fiacail Fhola zu tun, richtig?«

»Zweimal ja«, nickte Herr Löhse. »Wollt ihr mitkommen? Die Präsidentin ist auch hier. Wir tauschen gerne mit euch Informationen aus. Ich glaube, angesichts der etwas unkontrollierbaren Situation wäre es auch ganz schön blöd von uns, wenn wir nicht alle zusammenarbeiten würden.«

Micha wusste nicht genau, was er davon halten sollte, aber er konnte an diesem Jungspund nichts Verdächtiges feststellen. Fragend sah er zu Eric, der naturgemäß noch eine Spur misstrauischer war als er, doch auch der andere Sänger wirkte zufrieden.

»Gut, gehen wir«, erteilte Eric seine Zustimmung.

»Na dann!« Niklas Löhse nickte mit einem Lächeln und winkte ihnen, ihm zu folgen.
 

Ríona schleppte Fritz wie einen Sack mit gestohlenem Schmuck in Windeseile quer durch die Stadt. Fritz hatte keine Ahnung, wo sie gerade waren; er sah leere Bus- und Straßenbahnhaltestellen, wenig befahrene Straßen, Reihenhäuser, Kaufhäuser … Immerhin glaubte er zu wissen, dass sie weder die Elbe überquert noch die Altstadt durchrannt hatten. Als die Bebauung abnahm, wurde ihm klar, dass sie ihn an den Stadtrand getragen hatte. Diese Feststellung half ihm nicht viel.

In langsamerem Schritt, Fritz mühelos hochhaltend, hielt Ríona nun auf eine großflächige Baustelle am Rand der Straße zu. Leitkegel und blinkende Lampen reihten sich um eine Baugrube von der Größe eines Kinderzimmers; entsprechende Schilder gemahnten zur Vorsicht und zur Einhaltung einer Höchstgeschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde. Sicherungsposten oder gar Arbeiter waren jedoch nicht in Sicht, obwohl es noch nicht allzu spät am Abend war.

Zu Fritz’ Verblüffung schlenderte seine Trägerin mit ihrer Fracht direkt auf diese abgeschirmte Baugrube zu, schwang sich über die Umzäunung – was Fritz’ Magen einen Satz machen ließ – und sprang dann hinab in die erdschwarze Dunkelheit. Dieser Fall dauerte länger, als Fritz erwartet hatte, doch schließlich landete die Vampirin federnd auf den Füßen und marschierte erneut los. Fritz staunte: Die Baugrube führte seitlich in einen rohen Tunnel. Diesem folgte Ríona, die im Dunkeln sehen konnte, leise summend. Nach geschätzten fünfhundert Metern gabelte sich erstmals der Gang, und eine kleine, auf den Erdboden gestellte Grubenlaterne machte dies auch für Nachtblinde kenntlich.

Hier kommen auch Menschen lang!, dachte Fritz und versuchte, sich seine Erregung ob dieser Erkenntnis nicht anmerken zu lassen.

Ríona fing nun, da sie sich außerhalb überirdischer Hörweite befanden, lauter zu singen an, in einer Sprache, die Fritz für Gälisch hielt. Sie klang mal hübsch, mal kehlig mit ihren fließenden Vokalen und rauen rrr- und chhh-Lauten. Minuten später ging der unbefestigte Tunnel mit seinen erdigen Wänden nahtlos in einen sauber gekachelten Flur über. Leuchtstoffröhren spendeten flackernd ein kaltes, nicht allzu helles Licht. Fritz schnüffelte: Es roch nach Stroh – wie in einer Scheune.

»A chairde!«, rief Ríona laut aus. »Ich habe jemanden mitgebracht!«

Ein dünner Halbstarker mit schwarzer Mütze kam ihnen entgegen. Seine Nase war rot und gereizt, als hätte er allzu oft Kokain genommen. Müde sagte er: »Ey, du weißt, dass du keine Beute hier reinholen darfst. Paul sagt, du wärst wie ’ne Katze, die immer lebende Mäuse mit nach Hause bringt und dann im Wohnzimmer freilässt, um damit zu spielen.« Er schniefte.

Fritz hatte den Kerl als Dresdener erkannt, da er hörbar sächselte. Ein Mensch?

»Das ist nicht irgendeine Beute!«, verteidigte Ríona ihr Mitbringsel. »Das ist Fial! Er gehört einem MIU-Vampir!«

»Tue ich nicht«, grummelte Fritz. Er wusste auch nicht warum, doch nach all der Angst schien sein erhöhter Adrenalinspiegel sich als Normalwert eingependelt zu haben und verursachte keine lähmende Panik mehr. Eigentlich seltsam, da er mitten unter Vampiren war.

»Achso, na gut«, lenkte Koksnase ein, »dann steck ihn zu dem anderen. Paul wird ihn befragen und Tests mit ihm machen. Also nicht reinbeißen.«

»Ich weiß, ich weiß! Er ist noch heil!« Mit einem Schnauben ging Ríona großspurig an dem jungen Mann vorbei in einen angrenzenden Raum, der – wie Fritz erkannte – voller einzelner Zellen war, ähnlich einem Gefängnistrakt. Die kleinen, durch massive Gitter abgetrennten Einzelräume waren mit haufenweise Stroh ausgelegt.

Wie ein Viehstall, dachte Fritz konsterniert.

Ríona ließ ihn in der erstbesten Zelle in einen Berg der gelben Halme fallen, kehrte ihm dann den Rücken und zog die Zellentür hinter sich zu, wobei sie den Schlüssel nach mehrfacher Umdrehung abzog und einsteckte. »Bis bald, a stóir«, sagte sie zuckersüß und lächelte Fritz breit an, ehe sie mit wehender roter Mähne und weichen Bewegungen aus dem Raum verschwand. Hinter ihr fiel die marode Tür ins Schloss.

Fritz wagte es, aufzuatmen und sich in der Zelle umzusehen. Offenkundig entsprach sie wirklich einem spartanischen Gefängnisstandard, wenn man einmal von der Bodenpolsterung absah.

»Scheiße«, murmelte Fritz. »So viel Stroh …«

»Ja, es ist wie auf dem MPS«, kam es aus der Zelle neben ihm.

Fritz drehte sich um. »Alea!«

»Und, wie haben sie dich geschnappt?« Der Mann mit dem auffälligen roten Bart trat an die Gitter, um die Hand durchzustrecken. Fritz nahm sie; es tat irgendwie gut, an diesem Angst erregenden Ort jemanden zu berühren, den man kannte.

»Oh, das ist Michas Schuld. Er hat mich …« Gerade noch rechtzeitig unterbrach sich Fritz, ehe ihm die Wahrheit herausrutschen konnte. Du redest mit Alea, du Idiot! »… an einer ungünstigen Stelle warten lassen.«

Alea schnitt eine Grimasse. »Schöner Mist, was?«

Puh, dachte Fritz und fuhr sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn. Dann musterte er sein Gegenüber: Alea sah gesund und lebhaft und auch sauber aus – wenn man von ein paar Strohhalmen absah, die am Stoff seines schwarzen Sweatshirts hafteten –, und er schien auch nicht verletzt zu sein. An seinem Hals waren keine Bisswunden zu sehen. »Haben sie dir noch gar kein Blut abgezapft?« Fritz staunte, dass er das Wort Blut ganz ohne Stottern ausgesprochen hatte.

»Nur ’ne Probe«, antwortete Alea. »Das hat Frais persönlich gemacht, weil er befürchtet hat, jemand würde sie austrinken.« Geistesabwesend kratzte er sich den Bart. »Ich weiß nicht, die halten mich irgendwie … für ’nen Zauberer oder so was.«

»Ich fürchte, mich werden die nicht so sanft anfassen.« Aleas Gegenwart war zwar beruhigend, aber Fritz fühlte sich dennoch reichlich ausgeliefert. »Was haben die bisher mit dir gemacht?«

»Oh.« Aleas Miene verdüsterte sich. »Gut, dass du mich daran erinnerst … Ich bin fast sicher, dass sie das auch mit dir machen werden. Warte …« Er griff in die Gesäßtasche seiner Hose und fischte etwas heraus. »… Hier. Ich hab zwar nicht mehr viel, aber ich geb dir gerne was ab.« Damit hielt er Fritz ein Kaugummi der Marke Wrigley’s Spearmint hin.

Fritz schaute ihn verständnislos an. »Ääh … nein, danke.«

»Nimm schon und kau es!«, forderte Alea ihn auf und kam noch näher ans Gitter, weil aus dem Nebenraum Geräusche ertönten. Im Flüsterton fügte er hinzu: »Oder willst du dir Kaugummi in die Ohren stopfen, das ich durchgekaut habe?«

Jetzt verstand Fritz, dass es um etwas anderes ging. Er nahm das Kaugummi, steckte es in den Mund und begann darauf zu kauen; dann raunte er leise: »Wann muss ich es mir denn in die Ohren stecken?«

»Wenn sie dir sagen, dass sie dich gleich für einen Test holen«, zischte Alea zurück. »Das ist das Gute daran, sie kündigen dir immer vorher an, was sie machen werden. Während sie alles vorbereiten, teilst du das Kaugummi schnell in zwei Teile und steckst es dir in die Ohren.«

»Und das hilft wirklich?«

»Ja. Könnte der Grund sein, wieso ich noch lebe. Unsere Musikleichen, Fritz … Das waren auch Fiacail Fhola. Alle Todesfälle, die wir in letzter Zeit untersuchen, gehen auf ihr Konto!«

Ach du Scheiße. Fritz stellte vor Entsetzen das Kauen ein. Die wollen mich in einem Test mit tödlicher Musik beschallen?!

»Es sieht so aus«, fuhr Alea leise fort, »als wäre der große Plan noch nicht ganz ausgereift. Jeder, der die Musik hört, sollte sterben, aber es stirbt irgendwie nur … jeder Dritte, oder so. Sie brauchen Testobjekte, um rauszufinden, was sie ändern müssen, damit die Wirkung nicht mehr so selektiv ist. Bisher hab ich sie verarscht, und sie beißen sich an mir die Zähne aus. Buchstäblich, hahaha! Das schieben sie aber auf die Tatsache, dass ich ein Vexecutor bin.« Ein Lächeln, das diese Bezeichnung nicht verdiente, begleitete diese Feststellung.

»Lámh Dé«, sagte Fritz.

»Ja. So nennen sie mich.«

»Und sie wollen dein Blut trinken?«

»Oh ja, alle. Die denken, dass dann sonst was passiert. Es ist wie … Also, manche Naturvölker trinken das Blut ihrer natürlichen Feinde, zum Beispiel von wilden Tieren … weil sie glauben, dass deren Stärke dann auf sie übergeht. Wenn man etwas fürchtet, kann man es sich quasi einverleiben, es sich unterwerfen, selbst einen Teil davon beanspruchen … Dann muss man es nicht mehr so sehr fürchten. Ich denke, es gibt viele Gründe, warum alle Vampire von mir trinken wollen. Die wenigsten glauben wirklich, dass sie davon unsterblich werden. Es geht eher um … Macht. Um Überlegenheit. Um den Triumph über was Feindliches, vor dem man Angst hat.« Stimme war noch leiser geworden; jetzt fuhr er sich nervös mit der Zunge über die blassen Lippen, ehe er eindringlich fortfuhr: »Paul Frais … Er hat gesagt, dass er mich persönlich behalten will, für immer … sodass er ständig mein Blut trinken kann, ohne dass es mir schadet … und er wird mich niemals freiwillig gehen lassen.«

Fritz, der diese letzten Worte kaum verstanden hatte, blickte schaudernd zu Boden.

Abrupt trat Alea von den Gittern zurück, was zeigte, dass der geheime Part vorbei war. »Ansonsten wird dir hier niemand was tun. Keiner darf dich beißen, ohne dass Frais es erlaubt – und das wird er nicht, bevor die Tests abgeschlossen sind. Das Stroh ist warm, es ist … fast komfortabel.«

Dieses Tarnungsgespräch hielt Fritz für überflüssig. Die Vampire wussten doch sowieso, worüber er und der Sänger wirklich sprechen würden. Rundheraus sagte er: »Alea, warum tötest du sie nicht einfach alle?«

Etwas bestürzt drehte Alea sich wieder nach ihm um; dann seufzte er »Ach, Fritz« und warf ihm einen gequälten Blick zu. »Die lassen mich nur von Menschen handhaben. Leute, die wohl gar nicht wissen, was sie machen. Und wenn doch mal ein Vampir hier reinkommt, dann bemerke ich es nicht mal … weil hier überall so viele von denen in der Nähe sind, dass mein innerer Sensor völlig verrückt spielt. Wie ein Kompass, dessen Nadel sich ständig im Kreis dreht.« Mit einem weiteren tiefen Seufzen trottete er zurück zu dem Lager, das er sich aus Stroh aufgehäuft hatte, und ließ sich resigniert darauf fallen.

Fritz sah ihm ratlos zu, doch es war klar, dass das Gespräch von Aleas Seite beendet war.
 

»Ich hoffe, du hast Friedrich an einem sicheren Ort verwahrt«, sagte Eric spitz, als er und Micha vor der belgischen Botschaft – eine irische gab es in Dresden leider nicht – auf die Rückkehr des deutschen Fírinne-Mitglieds Löhse warteten.

»Ja«, behauptete Micha. »Oh, aber wo du’s sagst … Leihst du mir dein Handy? Dann kann ihn jemand holen.«

»Hast du ihn etwa festgesetzt? So von wegen: Rühr dich nicht von der Stelle?« Eric wirkte belustigt. »Das wäre ja typisch.«

Allmählich war Micha das sinnlose Streiten doch etwas leid. In versöhnlicherem Ton sagte er: »Lass die Wichserei, Eric, das bringt uns doch nichts.«

»Ich bin nicht derjenige, der hier rumwichst, Michael.«

»Gib mir dein Handy. Bitte

»Ich hab keins dabei. Silvio hat eins, und da wir zuletzt immer zusammen unterwegs waren, hat das ausgereicht.«

»Oh Mann«, stöhnte Micha. »Póg mo tháin, du Amadán

»Das heißt thóin

»Du hast es aber verstanden.«

Eric lachte freudlos. »Jaja, die dreißig Fehler in Liam sind wohl nur Tarnung.«

»Wenn Reas Mutter die Fehler nicht findet, kann ich nichts dafür. Wenigstens habe ich überhaupt ein Lied auf Gälisch.«

»Wenn ich ein Lied auf Gälisch hätte, würde es nicht zu fünfzig Prozent aus Wörtern bestehen, die es gar nicht gibt.«

Wieder schwiegen sie frustriert. Über ihren Köpfen setzte ein Nieselregen ein; das vorspringende Dach des Säuleneingangs schützte sie gerade noch davor.

Nach einer Weile sagte Eric: »Wir haben unser erstes Date.«

»Wer? Du und ich?«

»Nein. Wir und sie

»Oh, Mary McAleese.« Micha war froh, sich an den Namen der amtierenden Präsidentin Irlands noch erinnern zu können. »Ich hoffe, die versteht mich.« Unsicher fügte er an: »Was heißt noch mal … ›Ich freue mich, Sie zu treffen‹? Tá áthas orm …«

»Tá áthas orm bualadh leat«, antwortete Eric. »Denk an die richtige Konstruktion mit le, sonst sagst du nämlich was völlig anderes.«

Micha nahm sich vor, daran zu denken.

Wieder passierte eine ganze Weile lang nichts – außer dass der Regen etwas zunahm. Die Straße sah aus wie ein zäher, schwarzer Fluss, auf dem hin und wieder ein Auto vorüber schwamm.

Dann kehrte endlich Niklas Löhse aus dem Konsulat zurück. Er lächelte breit. »Die Wiedersehensparty kann losgehen! Auf eine erneute, erfolgreiche Zusammenarbeit!« Mit einer übertriebenen Geste trat er beiseite und gab den Blick frei auf eine gut gekleidete, ältere Frau mit rotblondem Haar. Auch sie lächelte, und Micha und Eric konnten nicht anders, als die Geste zu erwidern. Wie in ihrer Heimat hatte McAleese keine Bodyguards bei sich; sie galt als sehr volksnah und setzte sich selbst im Theater mitten unter das gewöhnliche Publikum.

Micha hatte sie schon beim ersten Kampf gegen Fiacail Fhola sehr bewundert und wollte sie jetzt unbedingt in ihrer eigenen Sprache begrüßen. Sich auf die richtige Aussprache konzentrierend, setzte er eifrig an: »Tá áthas orm …« Wie ging das noch mal weiter? Dich? Du? »… tú … a bhualadh

Die Präsidentin lachte und gab ein paar liebenswürdige Worte zurück, die er nicht verstand. Unauffällig raunte ihm Eric ins Ohr: »Du hast gerade gesagt: ›Ich freue mich, Sie zu schlagen.‹ Gute Arbeit, du Idiot.« Dann ließ er sich seinerseits von McAleese begrüßen.

Oh, dachte Micha und überging seinen Fauxpas tapfer. Wenn er Situationen meistern konnte, dann solche. Mit Gälisch fiel er nicht zum ersten Mal auf die Fresse.

»Ich schlage vor«, begann Löhse, als der Austausch von Höflichkeiten beendet war, »dass wir uns jetzt mit unseren Vampirjägern treffen und die Lage besprechen. Hat die MIU noch ihre Basis in Mockritz? Dann können wir mit zu euch kommen.«

»Nein, leider nicht«, gab Eric sofort zu. »Wir sind jetzt stationiert im Universitätsklinikum.«

»Oh, na so was. Das ist kein geeigneter Ort für geheime Konferenzen, fürchte ich. In dem Fall würde ich euch bitten, mit uns nach Coschütz zu fahren. Da haben wir ein kleines Meeting-Center.«

Micha sah Eric an. »Sollten wir Buschfeldt melden, was wir machen?«

»Das könnt ihr von da aus tun«, bot Löhse an. »Den guten Herrn Buschfeldt würde Frau McAleese auch gerne wieder einmal sehen.«

»Jaah, ganz bestimmt, das will jeder.«

»Komm, Michael«, sagte Eric müde, »wir gehen mit und hören uns das an.«

Sodann brachen sie zu viert mit dem Wagen der Präsidentin auf.


Nachwort zu diesem Kapitel:
uafásach = schrecklich, furchtbar
rua = rothaarig
A chairde! = O Freunde! (Vok.)
A stóir! = O Schatz!
Póg mo thóin! = Küss meinen Hintern!
táin = Herde
amadán = Idiot
Tá áthas orm bualadh leat. = Ich freue mich, dich/Sie zu treffen.
Tá áthas orm tú a bhualadh. = Ich freue mich, dich/Sie zu schlagen.
buail = schlagen
buail le = (sich) treffen mit Komplett anzeigen

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