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Wikingerblut

MIU-Trilogie 1
von

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Falsche Wörter

Im Seminarraum waren die Tische und Stühle noch immer entlang der Zimmerwände aufgereiht. Die leere Mitte wurde nun eingenommen von einer Sportmatte mit den Ausmaßen viermal vier Meter, an welcher Simon Schmitt gerade eine Reihe von Ventilen aufgedreht hatte und nun forschend beobachtete, ob die noch leeren Hohlräume sich auch wirklich mit Luft füllten.

Falk, Lasterbalk und Asp waren mit Amboss trotz der späten Stunde noch aufgebrochen, damit der Bluthund die Wege der Vampire, die sich bei den Leichen aufgehalten hatten, zurückverfolgen konnte. Geduldig hatten sie Fritz erklärt, dass es nicht zulässig sei, als Vampir in Deutschland nicht registriert zu sein, und dass es sinnvoll wäre, nähere Informationen über die Herkunft dieser unliebsamen Gäste einzuholen. Hinweise auf Fiacail Fhola, oder wie diese Bande hieß – Fritz wusste immer noch nichts darüber –, seien nicht von der Hand zu weisen.

In der Zwischenzeit, darauf hatte Buschfeldt bestanden, sollte Fritz lernen, einen Vampir sauber zu töten. Schlimmer noch: Er hatte es Micha auferlegt, sich als Übungsobjekt zur Verfügung zu stellen – und der Lehrer war niemand anders als Ingo Hampf, den Fritz schon während des Kampfes gegen die fremden Vampire um seine Fähigkeiten beneidet hatte.

Ingo und Micha stellten sich einander auf der Matte gegenüber, ersterer euphorisch, letzterer sichtbar abgeneigt.

»Ich bringe dir jetzt bei, einen Vampir zu töten«, sagte Hampf ernsthaft. »Das ist kein Spaß, kapiert? Jede Bewegung muss schnell und gezielt sein. Ich mach’s dir vor, denn ich bin der beste Pfähler des Teams.«

»Ja, er pfählt so viel, wir nennen ihn schon Vlad Ţepeş«, fügte Micha zynisch an.

»Also, Fritz.« Ingo hielt den glatten, angespitzten Pflock aus Eichenholz hoch. Fritz sah ihn erstmals aus der Nähe: Der Pfahl war lang und schlank, seine Spitze bildete ein scharfer, einen Zentimeter langer Eisendorn. Am oberen Ende des Pflocks waren im Holz Kuhlen für die Finger eingelassen, dünn mit Schaumgummi ausgekleidet, welches das feste Zupacken erleichterte und zugleich das Abrutschen verhinderte, da es Schweiß aufsaugen konnte. Ingo erklärte: »Das ist deine Waffe. Prinzipiell kann man den Pflock mit der Hand einrammen, wenn man genug Power hat, aber das ist was für Fortgeschrittene. Wir fangen mit dem Hammer an.« Er hielt besagten hoch; der Hammer war ebenfalls aus Holz, ansonsten aber unscheinbar. »Er ist leicht, aber wenn man einigermaßen fest damit zuschlägt, kriegt man den Pflock easy going durch ’ne Vampirbrust getrieben. Ich zeig’s dir mal. Schön hingucken.«

Nach kurzem Anpeilen ging er Micha frontal an, warf ihn mit seinem Gewicht auf den Rücken, sodass er auf ihm saß, und zog mit einer fließenden Seitwärtsbewegung gleichzeitig Pflock und Hammer aus dem Gürtel, wie Fritz es schon zuvor bei ihm gesehen hatte. Nur Millimeter über Michas linker Brustseite stoppte die Spitze mitten in der Bewegung. »Hast du gesehen? Du darfst nie aus den Augen verlieren, wo das Herz ist. Wenn du zustichst, muss der Pfahl seinen Weg zwischen zwei Rippen finden. Aber nicht zu weit links. Das Herz sitzt fast mittig. Wenn du es verfehlst, durchbohrst du nur die Lunge, und der Vampir hustet dir Blut ins Gesicht, ohne zu sterben.«

Leise stöhnend zog Fritz sich einen Stuhl heran und sank darauf.

Micha wand sich unter Hampf hervor und sprang auf die Füße. »So, und jetzt zeigen wir dir, wie das aussieht, wenn der Vampir sich wehrt.« Er ließ die Zähne hervorschnappen und griff Ingo an.

Dieser verteidigte sich vehement, mit allen Mitteln vermeidend, dass Micha ihn wirklich zu packen bekam – denn dann, das wusste Fritz, war es vorbei; ein Vampir war einem Menschen immer körperlich überlegen. Eine Weile rangen sie heftig miteinander. Fritz blieb die Anspannung nicht verborgen; noch machten die beiden nicht ernst, doch es war zu sehen, wie mühsam sie sich zurückhielten.

Überraschend stießen Van Lange und Flex hinzu und staunten nicht schlecht.

»Oh! Guck dir das an!«

»Na endlich wieder ’ne Rauferei! Diesmal sogar zwischen Subway und InEx! Hee, wartet, ick muss mir erst überlegen, uff welcher Seite ick bin!« Grinsend schnappte Basti sich einen Stuhl und setzte sich neben Fritz. »Macht hinne, ick will Blut sehen!«

»Ich nicht«, murrte Fritz.

Angesichts der Zuschauer nahmen die beiden Gleichstarken sich merklich zurück. Wieder schaffte Ingo es, indem er zuerst nach rückwärts auswich und dann sein Gewicht einsetzte, Micha auf die Matte zu werfen, doch letzterer stieß ihn mit beiden Händen hart gegen die Brust, ihn einen ganzen Meter hoch in die Luft befördernd.

»Ooooh, dit jibt Tote!«

»Hey, seid nicht so grob!«, rief Flex, über dessen jugendliche Züge jäh Besorgnis huschte.

Noch einmal rang Ingo Micha zu Boden und platzierte die Pflockspitze. Er holte sogar mit dem Hammer aus, nur um ihn in letzter Sekunde doch noch abzulenken. Verächtlich musterte er seinen unterlegenen Kontrahenten, der ihn mit gebleckten Zähnen und heftig atmend anstierte.

»Da, Fritz. Kannst du gleich übernehmen für nachher, wenn du einen Vampir spielen musst. Tu immer so, als seiest du der Netteste überhaupt, um dann später so auszusehen – Zähne gefletscht, wilder Blick, sabbernd.« Schnaubend stieg er von Michas Brust.

Letzterer holte tief Atem und zog die Fangzähne ein. »Fritz, der böse Onkel will nur, dass du Angst vor mir hast … Das siehst du hoffentlich.«

»Dafür muss ich mich nicht mal anstrengen, weil du dich schon von alleine wie ’ne Bestie benimmst, Rhein.«

»Ich? Du willst einen noch größeren Schisser aus ihm machen.«

»Ich will nur, dass er auf die Realität vorbereitet ist«, behauptete Ingo. »So, und jetzt trab an, Fritz. Mal sehen, was du dir abgeguckt hast.«

Etwas wackelig erhob sich Fritz von seinem Stuhl und streckte die Hände nach Pflock und Hammer aus, die Hampf ihm hinhielt. »Aber ich bin ein Schwächling …«

»Ach wo, es kommt auf Schnelligkeit an.«

Micha trat vor ihm zurück und schob demonstrativ die Hände in die Taschen. »Da, guck, ich wehre mich auch nicht. Aber denk bloß nicht dran, mich wirklich zu pfählen, klar, denn sonst …«

»… reiß ich dir die Kehle raus!«, äffte Hampf. Mit verschränkten Armen verließ er den provisorischen Kampfring und nahm, etwas entfernt von Flex und Lange, auf einem weiteren der vielen Stühle Platz.

Fritz fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und nahm den Pflock fest in die linke Hand, den Hammer in die rechte. Es war gar nicht so einfach, auf die linke Brust eines Menschen zu zielen, wenn man die Waffe selber in der linken Hand hielt – man musste irgendwie überkreuz greifen –; aber nur mit der rechten Hand, das wusste Fritz, würde er ordentlich den Hammer schlagen können und nicht sich selbst treffen, tollpatschig wie er war.

»Komm, Fritz, pfähl mich«, ermunterte ihn Micha. »Gib’s zu, das hast du schon seit ’ner Weile vor.« Er lächelte knapp.

Fritz erwiderte die Geste nicht; er hatte noch nicht vergessen, wie Micha vor seinen Augen einen Menschen hatte beißen wollen und dies auch noch argumentativ begründet hatte. Alle Kräfte zusammen raffend, ging er leicht in die Hocke, zielte kurz – und sprang vor.

Micha war wie eine Wand, an der er einfach abprallte. Kurz konfus, fand er das Gleichgewicht gleich darauf wieder und hängte sich dann so energisch an Michas Seite, bis dieser schließlich – ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen – doch noch umfiel.

Flex und Sebastian bogen sich vor Lachen. »Ach du Scheiße, lass unseren Sänger ganz! Den alten Sack brauchen wir noch für die Sterneneisen-Tour!«

»Fritz, so wird das nix«, murmelte Micha, als Fritz, über ihm kniend, es endlich geschafft hatte, seinem Gürtel den Hammer zu entreißen. »Bis du das Ding draußen hattest, hätte ich dich zehnmal verspeist und deine Knochen als Zahnstocher benutzt.«

»Ich hab doch gesagt, ich kann es nicht!«, gab Fritz wütend zurück und rappelte sich hoch, wobei er fast ein weiteres Mal umgefallen wäre. »Ich bin kein Vampirkämpfer!«

»Dein Gejammer geht mir langsam gründlich auf die Eier, weißt du.«

»Na, dann sieh doch zu, dass du jemand anderem zugeteilt wirst! Jemandem, der –« Angriffslustig wiederholte Fritz die so frequente Metapher. »– Eier hat

Micha verdrehte die Augen. »Mann, jetzt lass nicht die Zicke raushängen.«

»Ich meine es aber ernst!« Umgeben von guten Armbrustschützen und Pfählern war es leicht, einem Vampir gegenüber Mut zu zeigen. »Wir können uns nicht leiden, du und ich, ich bin ein Schwächling und du hast keine Geduld mit mir. Warum hältst du dich eigentlich so zurück? Wenn ich dir so auf die Eier gehe, Michael Rhein, dann mach doch, was du die ganze Zeit machen willst! Bitteschön, beiß mich

Was dann passierte, sobald er diese Worte ausgesprochen hatte, würde Fritz nicht so schnell wieder vergessen. Es ging alles zu schnell, als dass seine Sinne es hätten verfolgen können. Er sah nur, dass alle im Raum gleichzeitig reagierten. Sie sprangen auf wie bei einem Bombenalarm. Basti packte Fritz und zerrte ihn grob beiseite, während Ingo und Marco sich gleichzeitig auf Micha stürzten und ihn wieder auf die Matte warfen, sich diesmal nicht darum kümmernd, ob sie ihn verletzten oder nicht. Mit einem rauen Schrei, der Fritz das Blut in den Adern gefrieren ließ, versuchte Micha, sich unter dem Gewicht der beiden Männer hoch zu kämpfen, schaffte es aber nicht, weil sie ihn mit aller Macht und allem Körpereinsatz am Boden hielten und nicht zuließen, dass er auch nur eine Hand nach Fritz ausstrecken konnte. Fritz stolperte; Lange zog immer noch an ihm, darum bemüht, ihn so weit wie möglich von Micha wegzuschleppen.

»Scheiße!«, rief Basti. »Wieso habt ihr es ihm nicht gesagt, wieso habt ihr es ihm nicht gesagt?!«

Keiner konnte ihm jetzt antworten. Ingo und Flex hockten hartnäckig auf Micha, dessen Gegenwehr allmählich erstarb, doch immer noch zuckte er und sein ganzer Körper wurde von Krämpfen durchlaufen.

»Alles cool, Micha«, sagte Marco betont ruhig, als wäre wirklich nichts, und tätschelte ihm die Schulter. »Entspann dich. Ist schon vorbei.«

Das laute, stoßweise Atmen des Sängers wurde nur minimal ruhiger. Zitternd befreite er seine rechte Hand aus Ingos Griff und rammte sich die ausgefahrenen Fangzähne in den Handrücken; ein dünnes Rinnsal Blut perlte hervor. Erst danach begann er sich zu beruhigen.

Flex tätschelte ihn fortwährend weiter. »Alles gut, alles prima«, wiederholte er. »Lass dich von zwei kleinen Worten nicht irre machen.«

Ruhe kehrte wieder ein.

Vorsichtig löste Lange seinen harten Griff um Fritz’ Brust. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und erklärte schwach: »Hör mal, du … du darfst nie ’nen Vampir dazu auffordern, dich zu beißen, wenn du dit nicht willst. Haste kapiert? Nie – nie – niiiiemals.«

Fritz glaubte, sich übergeben zu müssen. Haltlos klappte er einfach zusammen und blieb auf dem Linoleumboden liegen, während sich alles über ihm drehte. Entfernt bekam er mit, dass Hampf und Marco von Micha abließen, der ebenfalls leise keuchend liegen blieb.

»Was du gerade gesehen hast«, erklärte Ingo, »oder besser, was du gerade ausgelöst hast, war der sogenannte Beißzwang. Bitte einen Vampir, dich zu beißen, und er muss es tun – ob er will oder nicht.«

Fritz stöhnte nur leise. Er konnte nicht fassen, dass man ihn erst jetzt auf diesen Umstand hinwies.

»Janz schön fahrlässig«, schnaubte auch Basti Lange. »Soweit ick jehört hab, war Fritz schon hundertmal mit Vampiren alleene. Ihr hättet ihm ja mal stecken können, dass man Vampire nicht zum Beißen einlädt.«

»Ich dachte, er wüsste das«, murmelte Ingo. »Hatte bisher nicht so viel mit ihm zu tun. Michael hätte ihm das sagen müssen!«

»Ich dachte auch, er weiß es«, verteidigte Micha sich schwach. »Als ich dazukam, war der Vampirunterricht ja längst durch.« Mühsam stand er von der Matte auf, machte zwei taumelnde Schritte und fing sich dann. Fritz konnte ihn sehen; er sah völlig fertig aus. »Das tut mir Leid, Fritz. Ehrlich. Ich würde dich nie beißen, scheißegal wie sehr du mich provozierst. Das musst du mir glauben.«

»Stell dir vor«, wimmerte Fritz, denn mehr brachte er nicht zustande, »ich hätte das zu dir gesagt, als wir alleine waren …«

»Naja, naja«, räumte Ingo an Michas Statt sofort ein, »Fritz, gestorben wärst du nicht. Prinzipiell ist das alles ja nicht tragisch. Wir sind alle schon gebissen worden. Ich glaube, wir müssen dir mal ’n bisschen den Horror davor nehmen. Wenn du ’nen Vampir zum Beißen aufforderst, naja, haste halt die Zähne drin. Na und? Wenn er keinen Hunger hat, wird er nicht saufen, also passiert weiter nischt. Das Blöde ist halt das Gift, denn das wird unwillkürlich ausgestoßen, dann bist du erst mal ’ne Weile zu nix zu gebrauchen. Aber alles nicht lebensgefährlich. Wenn wir jetzt nicht da gewesen wären, hätte Micha dich halt gebissen. Wär’s halt passiert. Dumm gelaufen, aber naja.«

»Dumm gelaufen für mich«, brummte Micha, »denn ich hätte dafür den Pflock gekriegt. Ist wie bei wilden Tieren, die dämliche Leute angreifen und dafür erschossen werden.«

»Sei nicht albern, hier wird keiner gepfählt.« Ingo hielt Fritz die Hand hin. »Na komm.«

Vorsichtig ließ Fritz sich hochziehen. Seine Muskeln gehorchten ihm schon wieder. Er schaffte es sogar, Michas Blick zu begegnen, der ihn mit großen, besorgten Augen anschaute. Er war total geschwitzt, seine blonden Haare zerzaust und nass. Nein, das wusste Fritz, ihm konnte er beim besten Willen keinen Vorwurf machen. Nicht für das, was er war.

»Komisch nur«, murmelte er, »dass nichts passiert ist, als Falk Elsi gefragt hat, ob er ihn beißen darf … Elsi hat gesagt ›Mach doch‹

»›Mach doch‹ ist nicht das gleiche wie ›B-B-B–‹ …« Micha verschluckte sich fast an den Worten. »… Du weißt schon.«

»Du meinst ›Beiß mmmmmm –‹« Schnell hielt Basti Fritz den Mund zu.

»Untersteh dich, du Vollidiot«, murmelte Micha zerschlagen, wandte sich ab und trottete zur Tür. »Ich geh mir … was zu trinken holen. Und dann geh ich ins Bett. Reicht mir für heute.«

»Naja, es ist nach elf«, pflichtete ihm Flex nach einem Blick auf die Uhr bei. »Ihr solltet morgen mit dem Unterricht weitermachen.«

Auch Fritz hielt das für eine gute Idee. Er hatte sich lange nicht so erledigt gefühlt.

Während er jedoch aus dem Raum trottete, hörte er noch einmal Ingo leise zu Marco raunen: »Weißte was? Ich glaube, so ’n kleiner Zwischenfall musste echt mal sein. Kann den beiden nur gut tun, wenn sie einfach mal damit klarkommen müssen, dass sie verschieden sind. Die müssen lernen, sich zu trotzdem respektieren und am gleichen Strang zu ziehen. So ’ne Klatsche war echt nötig, wenn du mich fragst. Vielleicht kapieren sie’s jetzt mal.«

Flex’ Antwort erreichte Fritz’ Ohren nicht mehr, aber er wollte sie auch nicht hören.
 

Am folgenden Morgen war auch der Suchtrupp zurückgekehrt. Fritz verschlief; die Übrigen ignorierten sein Fehlen in Anbetracht des vorausgegangenen Abends.

»Wir glauben, dass der Eingang am Bahnhof ist«, erklärte Asp, als sie gemeinsam frühstückten. »Also ganz woanders, als wir dachten. Amboss hat die Spur zielstrebig verfolgt, und er hat sich noch nie geirrt.«

»Dann stürmen wir die Bude, sobald Alea hier ist«, entschied Falk. »Oder, Chefchen?« Es missfiel ihm sichtlich, für alles Buschfeldts Erlaubnis einholen zu müssen.

»Sehe ich auch so«, antwortete dieser jedoch unerwartet kooperativ und nippte an seiner Kaffeetasse. »Seid ihr draußen anderen Vampiren begegnet?«

»Nein. Scheint sich rumgesprochen zu haben, dass wir hier sind.«

»Na, besser so. Hauptsache, sie haben nicht bemerkt, dass ihr rumgeschnüffelt habt.«

»Ich denke nicht, wir waren wirklich vorsichtig.«

In der Ecke piepte der Laptop, und Pfeiffer stand auf, um nach dem Gerät zu sehen. »Ah ja«, meldete er, »Alea ist ganz euphorisch aufgebrochen und wird heute Abend hier sein.«

»Euphorisch, jaja«, feixte Falk. »Wir wissen ja alle, wie sehr er seinen Job als Todesengel liebt.«

»Fritz wird sich besonders freuen, dass er kommt«, ergänzte Lasterbalk vergnügt. »Der kann’s gar net erwarten.«

Falk sah ihn schief grinsend an. »Balki, du weißt schon, was für ein Bild Fritz von Alea hat, oder? Er hält ihn für Blade in Weiß. Er denkt, Alea geht kalt lächelnd in das Versteck, schnippt mit den Fingern, und alle Vampire fallen tot von der Decke.«

»Naja, ist doch nur knapp an der Realität vorbei, oder?«

Der ganze Tisch lachte.

Es folgte eine Runde Hyperborea, das tägliche Ritual, dann wurde die Arbeit aufgenommen: Alles im Unterschlupf, das auf Vampire hinwies, musste vor Alea versteckt werden. Keine leichte Aufgabe. Besonders Fritz, da kam man stillschweigend überein, brauchte unbedingt ein ganz besonderes Briefing.
 

»Micha, willst du nicht mal Fritz wecken gehen?«

»Wieso ich?«

»Weil du für ihn zuständig bist«, antwortete Boris.

»Tse! Der wird einen super Start haben, wenn ich das erste bin, was er sieht … nach gestern.«

»Du kannst ihn ja auch nett wecken. Indem du ihm was ins Ohr röhrst.«

Schievenhöfel kam hinzu. »Zankt nicht«, bat der mollige Assistent gemütlich, »ich wecke ihn schon.«
 

Fritz hatte, nicht gerade zu seinem Erstaunen, einen Alptraum gehabt, in welchem ihn ein bissiger Vampir niederstreckte und die Hauer in seinen Hals grub. Allerdings war dieser Vampir nicht Micha gewesen; diesem war stattdessen die Rolle zugefallen, Fritz geduldig zu erklären, wie ungefährlich das war, was ihm gerade passierte. »Hab dich nicht so, du Pfeife, so weh tut das nicht«, hatte er gesagt, während die Bestie Fritz’ Blut trank und er hilflos mit ihr rang. »Wir haben doch alle nur Hunger.«»Hilf mir!«, hatte Fritz geschrien, wild und erfolglos um sich tretend, doch Micha hatte nur dagestanden, die Hände in den Taschen, und kopfschüttelnd gesagt: »Mann, du hast echt keine Eier.«

Völlig verwirrt und trübsinnig stellte Fritz sich unter die Dusche und ließ sie mindestens zehn Minuten laufen. Dann kroch er zum Seminarraum, um seinen Unterricht anzutreten.

»Oha«, begrüßte ihn Pfeiffer. »Schön, dass du auch mal kommst.«

»Mmmmmh«, machte Fritz und rieb sich die Stirn. »Ich hab ganz vergessen, dass du der Trainer für die falschen Vampire bist.«

Pfeiffer zog die Brauen hoch. »Trainer? Ich bin eigentlich nur ein besserer Sandsack. Unser bester Fakefang ist Basti, der wird dir zeigen, wie du dich verhalten musst. Mich darfst du dann auf die Matte werfen.«

»So isses!«, rief Sebastian, der soeben ins Zimmer kam und sich genüsslich streckte. »Wiiiir … machen dich zu ’ner verblüffenden Vampirkopie, damit du erstens von unseren richtijen ablenken kannst … und zweitens unseren Feinden vermittelst, dass du ’n schwierijer Gegner bist. Das wirkt dann nämlich janz anders, als wenn so’n Vollpfosten wie du da aufschlägt. Also, red’s dir ein: Du bist ein Vampir und hammerstark!«

»Ich bin ein Vampir … und hammerstark«, murmelte Fritz.

»Prima. Was wir dir jetzt beibringen – dit macht dir bestimmt keenen Spaß – ist dit Beißen. Du überzeugst nur, wenn du ’nen möglichst echten Biss bringst. Klar? Und hier kommt Boris ins Spiel. Boris?«

»Ja, ja.« Ergeben stieg Pfeiffer zu Lange auf die Matte. »Beiß mich.«

Na toll, dachte Fritz erschlagen.

Sebastian fiel seinen Kollegen an, und zwar exakt so, wie es sich bei Micha schon angedeutet hatte, als er den Gewalttäter hatte beißen wollen: Er griff mit einer Hand in Pfeiffers Haarschopf und trat ihm zugleich lässig die Beine weg, sodass der andere seitlich auf die Matte fiel, nur aufgefangen vom Griff des anderen und einigermaßen vorsichtig abgelegt; dann warf sich Basti mit dem Ellenbogen fest über Boris’ Brust und bog seinen Kopf zurück, um sich über die nun gut zugängliche, ungeschützte Halsseite zu beugen.

»So! Zack! Haste jesehen? Jetzt könnte ick prima speisen, wenn ick ’n Vampir wär.«

»Mahlzeit«, sagte Pfeiffer, der es offensichtlich gewohnt war, zu Übungszwecken derart unsanft behandelt zu werden.

Fritz besah sich das Ganze nachdenklich. »So in etwa greift ein Vampir also an.«

»Nicht in etwa, sondern jenau so. Dit ist Instinkt, ’ne automatisierte Handlung, die läuft nie anders ab. Bissgriff heißt dit.«

»Und wieso schmeißt ein Vampir sein Opfer auf den Boden?«

»Aus mehreren Gründen«, antwortete Boris, der sich nun wieder aufrappelte. »Erstens würde das Opfer durch das Gift sowieso umkippen … und sich dabei vielleicht verletzen. Der Bissgriff sieht brutal aus, macht aber garantiert nichts kaputt. Zweitens ist die Vene, in die der Vampir reinbeißt, im Sitzen oder Stehen fast leer. Da könnte man kaum was raussaugen, das Trinken wäre sehr kraftaufwändig. Wenn der Mensch aber liegt, am besten noch mit dem Kopf leicht nach unten, ist die Vene gut gefüllt, und man kann ohne Anstrengung daraus trinken. Das Blut fließt einem sozusagen von alleine in den Mund.«

Fritz wurde von einem Gänsehautschauer geschüttelt. Basti sah es und lenkte ihn sofort ab, indem er ihn fragte: »Willste jetzt selber ma probieren?«

Fritz wollte ganz und gar nicht, tat es aber dennoch. Pfeiffer ließ sich von ihm hinschmeißen wie ein Dummy, immer und immer wieder, ohne sich zu beschweren. Basti Lange beobachtete Fritz’ Bemühungen kritisch, während er sich das Kinn kratzte, und schüttelte jedes Mal nur den Kopf, wenn Fritz nach seiner stümperhaften Ausführung des Bissgriffs zu ihm aufsah.

»Dit überzeugt mich nicht, Fritz. Dit würde ooch ’nen Vampirkenner nicht überzeugen.«

Sie übten den ganzen Vormittag, aber noch waren Fritz’ Erfolge mehr als bescheiden. Lange sah dies allerdings nicht dramatisch: »Dit wird schon«, sagte er zuversichtlich.

Hin und wieder kam einer der anderen vorbei, um die Fortschritte zu beobachten. So etwa ließ sich irgendwann Micha blicken, doch auch er hatte zunächst kein Wort des Lobes übrig: »Nicht so schlaff, Fritz! Mit viel mehr élégance!« Es klang wie olle Gans.

Auch Dr. Saltz kam aus seinem kleinen Reich geschlichen und sah eine Weile zu. »Fritz«, sagte er schließlich behutsam, »du musst dich ein bisschen mehr einfühlen. Guck mal: Da, neben der Kehle, läuft eine superleckere Vene entlang, die innere Drosselvene, die Vena jugularis interna. Die äußere interessiert dich nicht, die ist recht dünn und mickrig, aber die weiter innen ist superb. Du hast Hunger, deine Zähne wollen da ran. Also mehr Elan! Sonst kriegst du nichts zu essen! Du kannst das Blut schon riechen, es strömt da vorbei, heiß und spritzig, nur eine Zahnlänge entfernt …«

»Hör auf, Bock«, sagte Micha und schlürfte hörbar. »Ich sau mich ein.«

»Und mir wird schlecht«, jammerte Fritz.

Basti lachte laut und rollte sich auf der Matte vor Vergnügen. »Ey, so ’nen Unterricht hatte ick lange nicht! Ihr seid so geil!«

»So wird das nie was«, seufzte Pfeiffer. »Aber Fritz, mal was anderes … Alea wird heute Abend hier sein.«

»Oh! Ja, ja, das ist gut«, freute sich Fritz.

»Dir ist klar, dass du dichthalten musst wie Fugenschaum? Auch wenn dir das nicht gefällt?«

»Jaah, jaah.«

»Wenn du dich verplapperst, sind wir alle gearscht«, unterstrich Micha die Dringlichkeit dieser Forderung. »Wenn Sonnenscheinchen dich was fragt, musst du ’ne Antwort geben können. Zum Glück ist er echt gutgläubig und schnell zufrieden, wenn man ihm irgendwas auftischt.«

»Ich werde mir Mühe geben«, versicherte Fritz.

»Das hoffen wir.«

»Können wir jetzt weitermachen?« Van Lange wies auf die Matte. »Fritz kann immer noch nüscht und meine Lust auf Comedy ist noch nicht jestillt. Also?«

»Ich geh dann mal wieder.« Grinsend und kopfschüttelnd zog Bock sich aus dem Trainingslager zurück. »Viel Spaß noch.« Micha begleitete ihn, und die beiden Männer verschwanden durch die Tür.

Grüblerisch sah Fritz ihnen nach. Dann wandte er sich, einer spontanen Eingebung folgend, an die beiden übrigen Musiker. »Boris, Basti, sagt mal … Hat – Hat Micha euch schon mal … gebissen?«

Die zwei wirkten verwundert über die Frage. »Äh … nein«, übernahm Pfeiffer die Antwort. »Wieso fragst du das?«

»Ich dachte, es wäre irgendwie … naheliegend.«

»Findest du? Ich sehe keinen Grund, das zu erwarten, und wir haben auch ehrlich gesagt nie daran gedacht, es ihm anzubieten. Wozu auch? Ich denke mal, Freunde beißt man nicht, deshalb gibt es ja die Beißhemmung. Und … man kann schon leicht vergessen, dass Micha ein Vampir ist. Er benimmt sich ganz normal, also denkt man irgendwann gar nicht mehr darüber nach. Wir sind ständig mit ihm zusammen, wenn wir auf Tour oder im Studio sind, aber … über Beißen und Bluttrinken reden wir echt nie.«

»Nie?«, hakte Fritz nach.

»Nein, nie.« Pfeiffer zuckte die Schultern. »Ist einfach kein Thema bei uns.«

Diese Antwort machte Fritz noch nachdenklicher, obwohl er nicht genau wusste, warum.
 

Als sie am Nachmittag die Übungen einstellten, hatte Fritz zumindest die Empfindung, sich ein wenig vampirischer zu fühlen. Er versuchte weiterhin, sich wie einer zu bewegen, das Gefühl von unmenschlicher Stärke nachzuempfinden. Was ihm nicht gelingen wollte, war das Verständnis für Blut. Er hasste Blut, und darüber konnte er so viel nachdenken wie er wollte; nichts würde das jemals ändern.

Inzwischen hatte El Silbador aktuelle Meldungen aus der Polizeizentrale empfangen. Es gab eine weitere Studentenleiche, die Musik hörend und ansonsten anhaltspunktslos verstorben war, aber immerhin keine neuen zerfetzten Körper.

»Eine gute Nachricht, oder nicht?«, kommentierte Falk. »Vielleicht reißen sie sich endlich zusammen.«

»Ich glaub nicht, dass es damit erledigt ist«, seufzte Pfeiffer. »Wenn wirklich Fiacail Fhola in der Stadt sind, dann kommt das dicke Ende noch.«

»Unsinn. Wenn wir erst mal unseren Vexecutor hier haben, ist Ruhe.« Ingo faltete die Tageszeitung, in der er geblättert hatte, ziemlich lieblos zusammen und warf sie beiseite. »Ich werd uns mal was zu essen machen. Alea hat bestimmt auch Hunger, wenn er ankommt.« Mit diesen Worten verzog er sich in die Küche.

Fritz hielt es kaum noch aus; er wollte den Schrecken aller bösen Vampire endlich kennen lernen. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass der Strudel von Ereignissen, in den er hineingezogen wurde, im Begriff war, unaufhaltsam an Windstärke zuzulegen.



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