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Komm in meinen Schlaf

von

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Der neue Älteste (Amos)

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Komm in meinen Schlaf

Komm in meinen Schlaf

Trockne meine Tränen

Komm in meinen Schlaf.

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Tala. Samir. Eleos.

Drei Namen, um die meine Gedanken kreisen. Drei Männer, der eine kaum den Kinderschuhen entwachsen, ein weiterer älter als die Übrigen. Meine Gefährten, seit vielen Sonnenläufen. Wie lange genau? Ich weiß es nicht. Was ich mit Sicherheit sagen kann ist, dass ich sie nun nie wieder sehen werde. Sie sind tot, allesamt. Gestern - ein wohl vertrauter Zeitabstand, der einzige, den ich nennen kann - war ein blutiger, unheilvoller Tag. Getrieben von Hunger sahen wir uns gezwungen, den fragwürdigen Schutz der Berge zu verlassen, in denen wir uns länger als gut für uns, versteckt hielten. Samir, der Älteste, hielt es für eine gute Idee und auch wenn der Wahnsinn bereits deutlich in seinen Augen zu sehen war, traute sich keiner von uns, ihm zu widersprechen. Tala hatte es einmal versucht, danach konnte er sein linkes Knie nie wieder bewegen. Es gehört zur Aufgabe des Ältesten, alle Gefährten zu schützen. Sein Befehl gilt als Gesetz, ohne Anführer kann man in einer derart feindlichen Umgebung nicht überleben. Wer die bekannte Ordnung hinterfragt, wird bestraft. Dieses Ereignis wies ihn in seine Schranken und war somit berechtigt. Das Recht des Stärkeren bestimmt, das Samir unser Anführer sein muss. Musste. Wie gesagt, am Ende hat es ihm doch nichts gebracht.

Unten im Tal fanden wir eine verlassene Hütte und sogar eine spärliche Weide vor, auf der einige magere Rinder grasten. Zu gut um wahr zu sein. Wir hätten es besser wissen müssen. Gerade, als wir uns in der Hütte sammelten, um das weitere Vorgehen zu besprechen, fielen sie über uns her.

Einzig mein Nachteil, jünger und kleiner zu sein als die Anderen, rettete mir das Leben. Samir schickte mich mit den beiden Mädchen Holz sammeln, damit wir eines der Rinder schlachten und braten konnten. Von dem spärlichen bewachsenen, halb vertrockneten Wald aus, sah ich die Feinde schon von Weitem. Sie waren zu schnell und zu viele - die Männer in der Hütte waren zu diesem Zeitpunkt bereits so gut wie tot, ob sie es nun wussten oder nicht. Das Einzige, was zu tun blieb, war die beiden Mädchen an die Hand zu nehmen und zurück in die Berge zu fliehen. Ilia schluchzte laut, ließ sich nicht beruhigen, bis sie endlich in den Armen ihrer Schwester einschlief.

Jetzt sind nur noch drei von uns übrig. Kaum zu glauben, dass unsere Gruppe einmal dreißig Gefährten zählte.

Tala. Samir. Eleos.

Drei weitere Namen, die ich niemals vergessen werde. Ich kenne sie alle noch, sie haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt - ein Andenken, eine Warnung. Jetzt bin ich der Älteste und es liegt an mir, sie in Ehren zu halten, ihre Geschichten, ihr Wissen an die beiden Mädchen weiterzugeben, sowie an alle anderen, die mir vielleicht noch begegnen werden. Denn es gibt noch mehr von uns. Überall. Die Opfer eines Krieges, an dem wir nicht direkt beteiligt sind, über den wir kaum etwas wissen, nur Gerüchte, Spekulationen, Vermutungen und Lügen.

So lange ich denken kann, sind wir auf der Flucht, vor Allem und Jeden, so scheint es manchmal zumindest. An meine Eltern kann ich mich nicht erinnern, nur an diese Gruppe aus dreißig Leuten, mit denen ich aufwuchs. So sieht mein Leben aus, auch wenn es ungerecht und harsch erscheint, bislang hielt ich es für normal. Es blieb nie viel Zeit, darüber nachzudenken, ob es irgendwo auf der Welt noch andere Menschen gab, deren Alltag anders aussah. Bis vor Kurzem wusste ich nicht, was Frieden bedeutet. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich es nie erfahren hätte, denn es lässt die Realität noch düsterer und grausamer erscheinen. Mittlerweile gibt es mehr als Leid und Unglück in meiner Erinnerung - ein völlig anderes Leben offenbart sich mir, wenn ich die Augen schließe.

Schlaf bedeutet normalerweise Verwundbarkeit. Die Wachsamkeit lässt nach und Träume, sofern man sich an sie erinnert, zeigen nichts als blutige Bilder, die man am liebsten vergessen würde. Ich habe mich daran gewöhnt, deswegen traf es mich umso härter, als ich erkennen musste, dass es noch andere Möglichkeiten gibt, zu existieren. Ohne ständigen Hunger, ohne Todesangst.

Wann genau ich anfing, von derart fremden Dingen zu träumen, weiß ich nicht genau. Damals waren wir noch zu zwölft, es muss also schon eine ganze Weile her sein. Zuerst fiel mir lediglich auf, dass ich nach dem Aufwachen entspannter und ruhiger war, als meine Gefährten. Auch unter den schlimmsten Bedingungen fühlte ich mich erfrischt. Dann kamen die Bilder und mit ihnen das Wissen um Gegenstände und Ereignisse, die nicht zu meiner Realität gehörten. Ich sah riesige Gebäude, gewaltige Städte voller Leben, saftige, grüne Wiesen, einen Wechsel der Jahreszeiten, den ich in dieser Form nicht kannte. Schnee und Regen, wo zuvor nur Ödland war, Lachen, einfache Freuden des Lebens. Im Traum sehe ich eine Familie, nicht meine eigene, auch wenn es sich so anfühlt. Ich sehe Freunde, die Ansammlung von Wissen in Büchern, manchmal spüre ich sogar Gefühle, die nicht meine eigenen sind. Ich bin nicht nur ein Zuschauer, nein, ich erlebe diese Dinge. Ein fremdes Leben, das sich manchmal sogar realer anfühlt als der Krieg, mit dem ich aufwuchs.

Dann, eines nachts, kam ein weiterer Traum hinzu. Eine Insel, mitten im Meer. Tropisches Klima. Exotische Pflanzen. Die Beschreibungen stammen wieder einmal nicht von mir, auf solche Gedanken käme ich gar nicht, sondern aus den fremden Erinnerungen. Hübsch anzusehen, viel schöner als das bekannte Ödland. Ich darf ich selbst sein, nicht das Leben einer fremden Person leben.

Und außerdem bin ich dort nicht alleine. Ein seltsam gekleidetes Mädchen kommt mich besuchen. Sie ist sehr freundlich, versucht ständig, mich zum Lachen zu bringen, was vor ihr kaum jemandem gelang. Sie ärgert mich häufig, aber ihre bloße Anwesenheit wirkt beruhigend, lässt mich vergessen. Nur selten treffe ich sie in meinen Träumen, doch jedes Mal fällt es mir schwerer, sie hinterher wieder zu verlassen. Am liebsten würde ich für immer mit ihr auf dieser Insel bleiben, fernab von dem, was mich tagsüber beschäftigt. Leider ist das nicht möglich, derlei unmögliche Wünsche werden nicht erhört. Vielleicht sollte ich mich mit dem zufrieden geben, was ich habe. Immerhin ist das deutlich mehr, als meine Gefährten von sich sagen können.

Vor einiger Zeit habe ich sie nach ihren Träumen gefragt, aber niemand wollte mit mir darüber reden, wodurch ich feststellen musste, dass solche Gedanken nicht normal waren. Vielleicht hält mich der Wahnsinn ja auch bereits fest in seinen Klauen, ohne, dass ich es bemerkt habe. Wenn es so ist, dann macht es mir nichts aus, ihm zu verfallen. Die Treffen mit dem fremden Mädchen machen meine graue Existenz überhaupt erst lebenswert.

In dieser Nacht gelingt es mir jedoch nicht, die Realität hinter mir zu lassen. Ich stehe vor der Holzhütte, wo wir uns immer treffen, warte gespannt darauf, dass sie auftaucht. Trotzdem schweifen meine Gedanken immer wieder ab. Ich sehe die Gesichter der Toten vor mir, deutlich, jedes einzelne von ihnen. Jetzt muss ich mich alleine um zwei Mädchen kümmern, auch wenn ich alleine vermutlich besser überleben könnte, kann ich sie nicht zurück lassen. Es war die richtige Entscheidung, die Drei zurückzulassen. Gegen die Übermacht des Feindes hätten wir auch mit vereinten Kräften keine Chance gehabt. Der Gedanke hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Verräter. Sie hätten dasselbe getan, aber das macht es nicht besser. Sie werden mich verfolgen, das weiß ich. Aber damit muss ich zurechtkommen und irgendwann den beiden Überlebenden davon berichten und hoffen, dass sie mir vergeben können.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Schmunzeln
2012-01-24T18:59:27+00:00 24.01.2012 19:59
huhu,

Mensch du bist aber schnell! Ich hatte nicht damit gerechnet noch heute ein weiteres Kapitel lesen zu dürfen! Und endlich gab es einen einblick in das leben des geheimnisvollen Mannes.
Es war spannend und sehr interesant zu lesen, was er bisher durchgemacht hat und einen eindruck davon zu bekommen, mit wie vielen Gefahren und Ängsten er sich auseinander setzen muss.

Ich fands auch gut etwas über seine Gedankengänge zu erfahren. Sein Schuldbewußtsein, und auch wieviel Verantwortung er zu ragen hat. Du achtest auch sehr auf kleinigkeiten, wie z. b. dass er auch seine Gefährten mal gefragt hat, ob sie auch Träume haben (was grade in kriegszeiten etwas ist, worüber man sich eher wenig gedanken macht)

Ich freu mich schon auf nächste kapitel!

glg
Schmunzeln


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