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Knochenschmetterling

Grau in Grau
von

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Auf den Rostigen Hügeln

Auch wenn sie es nach außen hin ziemlich beschönigten, gehörten alle Mitglieder von Claires Familie zum Clan der Schwarzen, dem der „Dämonen“. Als solche beherrschten sie auch Magie. Während die Weißen ihrem Namen getreu sich das Licht Untertan machen konnten, waren die Schwarzen die Meister der Schatten.

Claire war sich zwar nicht sicher, wie die Weißen und die Grauen die Ausbildung der magischen Fähigkeiten ihres Nachwuchses handhabten, aber die Schwarzen sorgten dafür, dass all ihre Kinder eine Grundlage hatten, sodass die Kräfte ebendieser Kinder nicht ungewollt Amok liefen. Talentierte Kinder wurden dann weiter ausgebildet, sodass sie den Schwarzen von Nutzen sein konnten. Claire hätte auf eins der schwarzmagischen Internate gehen können, das Potential hatte sie laut ihrem Onkel, der sie unterwiesen hatte, doch ihr Vater war dagegen gewesen und so musste Claire auf ihre jetzige, natürlich prestigereiche Schule gehen. Was aber Louise nicht davon abgehalten hatte, Claire verbotener Weise das eine oder andere Nützliche beizubringen, das sie teilweise während ihrer eigenen Zeit im Internat und teilweise danach erlernt hatte, als sie der Familie den Rücken gekehrt hatte und auf sich alleine gestellt gewesen war.

So kam es, dass Claire nur dafür sorgte, dass ihr Bett so aussah, als würde sie darin schlafen, ehe sie mithilfe der Schatten aus ihrem Turmfenster nach unten in den Garten geklettert war; sie war nicht sicher genug, um alleine hinunterzufliegen und ihr Rücken schmerzte zudem immer noch höllisch, wenn sie ihre Flügel benutzte. Die manifestierte Dunkelheit ließ sie sacht auf den Rasen hinunter und im Schatten der Bäume verließ sie das Grundstück. Sicherheitshalber kletterte sie über einen der Zäune hinter dem Haus und auch erst nachdem sie mehre Straßenblöcke zwischen sich und ihrem Elternhaus gebracht hatte, ließ die Anspannung in ihren Schulterblättern etwas nach. Missmutig rieb sich Claire den Nacken. In letzter Zeit war sie ein bisschen paranoid und glaubte, überall beobachtet zu werden. Wahrscheinlich nahm sie nur Jonathans permanente Abwesenheit doch mehr mit, als sie erwartet hatte.

Mittlerweile hatte es sich Claire zur Angewohnheit gemacht, nicht direkt zu dem alten Lagerhaus zu gehen, das ihnen als Unterschlupf und Hauptquartier diente, sondern sich erst in ihrem Revier, das mittlerweile ganz Siburicka umfasste, umzusehen. Heute schien jedoch alles relativ ruhig zu sein und Billie, eins der langjährigen Mitglieder von „Nachtgestein“, der rauchend in einer Seitengasse lehnte, grüßte sie still.

„Und?“, fragte sie.

„Nix Ungewöhnliches heute, Boss“, antwortete er. Während er sich von der Wand abstieß, warf er gleichzeitig seine leere Kippe auf den Boden und trat sie schließlich aus. „Fox Man wollte sich zwar trotzdem bei den leeren Shops umsehen, aber das war auch schon alles.“ Er zog sich sein dunkelgrünes Bandana herunter und fuhr sich mit der freien Hand durch die dunkelblonden Haare.

Claire nickte zufrieden.

„Okay. Komm nachher zum Lagerhaus. Ich hab was zu essen dabei“, meinte sie und wandte sich mit einer zum Gruß gehobenen Hand ab.

„Boss, du hast meine unsterbliche Liebe und Loyalität.“

„Ich weiß, ich weiß“, sagte sie abwinkend und schenkte ihm über ihre Schulter hinweg ein Grinsen.

Die Südstadt bestand primär aus dem alten Industriegebiet Thilons, das schon in den 1970er Jahren verlassen worden war, da die wachsenden Firmenkonzerne ihre Fabriken außerhalb der Stadt angelegt hatten, weil die Stadt zu schnell gewachsen war. Und auch nun, etwa 50 Jahre später, war die stetig weiter wachsende Stadt schon wieder dabei, sich das neue Industriegebiet einzuverleiben. Mit der alten Einkaufsstraße nördlich der vielen leerstehenden Backsteinhäuser, war nicht nur der Bezirk, den Claires Gang jetzt kontrollierte, Siburicka, sondern die gesamte Südstadt nur noch spärlich besiedelt. Die alte Einkaufsmeile Eulorzen, die beiden Wohngebiete Siburicka und Olvona, die von Lagerhäusern durchzogen waren, und das alte Industriegebiet Rhydevias wurden inoffiziell in Thilon nur noch die „Rostigen Hügel“ genannt und wirkten fast wie ausgestorben.

Allerdings nur am Tag.

Nachts sah die Sache ganz anders aus…

Einige der Lagerhäuser waren zu Bars und Clubs umgebaut worden und wurden mehr oder weniger häufig frequentiert. Tagsüber war die alte Einkaufsstraße wie leergefegt, da auch viele herkömmliche Läden ins Zentrum umgezogen waren, doch schließlich gab es auch Läden, die erst nach Einbruch der Dunkelheit öffneten. Wie beispielsweise Shops für Wahrsagerei, was Claire selbst meist als Humbug abstempelte, magische Tränke oder auch Hexerei, wobei Claire sich sowohl von schwarzer als auch weißer Hexerei distanziert hielt. Egal was die Hexer auf den Straßen sagten, auch weiße Hexerei konnte als Einstieg zu schwarzer dienen und Claire hatte nicht das geringste Bedürfnis zum Ghoul zu werden. Sie mochte ihre Seele dort, wo sie war - in ihrem Körper.

Sie schlenderte noch ein bisschen durch die Straßen und beobachtete die vorbeischreitenden Leute. Heute war Donnerstag und so waren nur wenige Menschen auf den Straßen und kaum einer von ihnen schenkte Claire mehr als einen flüchtigen Blick, was die fremden Menschen für Claire zu einfachen Passanten machte und keine rivalisierenden Gangmitglieder auf Auskundschaftstour. Abgesehen von der Tatsache, dass sie Billie glaubte, wenn er ihr berichtete, dass nichts Nennenswertes vor sich ging, hatte Claire genug Zeit auf den nächtlichen Straßen Thilons verbracht, um auch die anderen Zeichen zu erkennen. Allein schon wie sich jemand kleidete oder sich bewegte, seine Gesten, seine Mimik oder sein Auftreten konnten Claire sagen, ob sie das Mitglied einer anderen Gang oder einfach nur einen abgerissenen Teenager vor sich hatte. Natürlich war das Ganze ein zweischneidiges Schwert: Fremde Gangmitglieder erkannten sie ebenfalls als solches, wenn sie auch nicht wussten, welchen Rang sie innerhalb ihrer eigenen Gang bekleidete.

Aber zugegeben; seitdem sie die Rubinechsen aus diesem Bezirk vertrieben hatten, war es sehr ruhig geworden und Claire erwartete insgeheim jeden Moment, dass ein paar von ihnen hinter der nächsten Mülltonne hervorgesprungen kamen.

Als sie die hintere Tür zum Lagerhaus öffnete, hörte sie schon das leise Murmeln von Stimmen, auf das das helle Lachen eines Mädchens folgte und Claires Mundwinkel umspielte ein Lächeln. Als sie den langen, gekachelten Gang entlang schritt, wurden die Stimmen immer lauter und als sie um die Ecke in eine der größeren Hallen bog, sah sie schon Anna und James auf den ausgefransten Möbelstücken sitzen, die sie schon vor Jahren aus dem Sperrmüll gezogen und in das verlassene Lagerhaus gebracht hatten.

„Claire!“, rief Anna freudig aus und stand auf, als sie Claire erblickte.

Auch James wandte sich zu ihr um und nickte ihr respektvoll zu. „Boss.“

Als sie die beiden mit einem „Hey“ begrüßte und sich von Anna umarmen ließ, sprang ihr unweigerlich die Frage in den Kopf, wie es dazu gekommen war. Anfangs hatte sich Claire nur nachts von zu Hause weggeschlichen, um dem Druck ihrer Familie zu entkommen, und nun war sie Anführerin einer zwanzigköpfigen Gang, die den klangvollen Namen „Nachtgestein“ besaß.

Wie üblich hingen in Annas blonden Haaren Blätter und Blüten, die Claires Gesicht streiften, und obwohl sie regelrecht in dem verlassenen Lagerhaus lebte, roch sie immer nach frischen Blumen. Anna war eine Dryade und gehörte somit eigentlich zu den Grauen, aber schon als Claire und Killian vor etwa vier Jahren auf sie getroffen waren, war sie bereits von zu Hause weggelaufen. Claire kannte bis heute nicht die genauen Umstände, doch aus Achtung vor Annas Privatsphäre fragte sie auch nicht nach. Wenn Anna darüber reden wollte, würde sie es Claire schon wissen lassen. Nach einer heftigeren Auseinandersetzung, die Killian eine gebrochene Nase und Claire tiefblaues Auge eingebracht hatte, hatte Anna daraufhin keuchend angeboten, sich ihnen anzuschließen, aber nur wenn ein Mädchen der Anführer wäre. Bis zu dem Zeitpunkt waren Killian und Claire alleine gewesen und hatten eigentlich nicht geplant eine eigene Gang zu gründen, aber da Anna sich mit Heilkünsten auskannte und Killian gedroht hatte aus seiner Nase zu verbluten, hatten sie eingewilligt. Bis heute hatten sie diese Entscheidung nicht bereut und Anna hatte jeden von ihnen schon mehr als einmal zusammengeflickt.

James hingegen wirkte wie der klischeehafte, Trübsal blasende Vampir, war aber tatsächlich ein Mensch, der nur die massenhafte Verwendung von Kajal und weißem Puder bevorzugte. Genau wie Billie hatte er sich ihnen angeschlossen, nachdem ihr anfänglicher Dreiertrupp die Gruppierungen, denen sie bis dato angehört hatten, mehr oder minder geplant zerschlagen hatte.

Zu fünft bildeten sie den Kern von Nachtgestein, dessen Name nur entstanden war, weil Billie James heimlich Alkohol untergeschoben hatte. Sie hatten zwar nichts mit härteren Drogen am Hut, doch etwas Alkohol dann und wann war in Ordnung; und es war zu amüsant gewesen wie der sonst so misslaunige James alles und jeden mit blumigen Neologismen betitelt hatte. „Nachtgestein“ war irgendwie hängen geblieben.

Über die Jahre waren zwar immer mal wieder neue Mitglieder hinzugekommen und andere hatten Nachtgestein auch wieder verlassen, aber den Kern bildeten diese fünf.

Aus der Ferne hörte Claire, als sie sich auf dem alten Sofa niederließ, wie die vordere Eingangstür zufiel. Nach einem unverständlichen Gespräch im Eingangsbereich hörte sie Schritte von näherkommenden Füßen und nur einige Momente später trat Killian in die Halle.

„Killian!“, reif Anna erneut freudig aus und trat auch auf ihn zu, um ihn zu umarmen.

An für sich mochten Dryaden Leute nicht sonderlich, aber die Personen, die sie mochten, mochten sie wirklich sehr und freuten sich, wenn diese zugegen waren. Jedes Mal, wenn Anna auf Killian oder Claire traf, umarmte sie die beiden überschwänglich und die beiden hatten es längst aufgegeben, sich dagegen wehren zu wollen.

„Hey, Anna“, meinte er mit einem schiefen Grinsen und erwiderte Annas Umarmung kurz.

„Du blutest ja!“, beschwerte sich Anna, als sie von ihm abließ.

„Es ist nur ein Kratzer…“, versuchte er sich halbherzig und mit einem Schulterzucken zu verteidigen.

„Pah! Lass mal sehen.“ Ohne irgendwelche Umschweife griff die mehr als einen Kopf kleinere Anna nach seinem Kopf und inspizierte auf Zehenspitzen stehend sein Gesicht.

Ein Grinsen breitete sich auf Claires Gesicht aus, doch als sie ihre Schadenfreude mit James teilen wollte, glaubte sie, dass er in diesem Augenblick noch ein bisschen trübsinniger als sonst aussah, ehe sich auch seine Mundwinkel zu einem schwachen Grinsen hoben.

„Was ist los?“, wollte Claire mit leicht zusammengekniffenen Augen wissen.

„Nichts“, erwiderte er mit einem Kopfschütteln. „Ich glaube, ich hab nur Hunger.“

„Dein Glück“, sagte sie mit einem erneuten Grinsen. „Ich konnte was zu essen mitbringen.“ Sie öffnete ihre Umhängetasche und fing an eine regelrechte Armada aus Frischhaltedosen auf dem schiefen Tischchen zwischen sich und James auszubreiten.

„Ich wusste schon immer, warum du mein Lieblingsboss bist“, meinte er daraufhin.

Nebenbei hörte sie wie Anna Killian streng anwies, sich zu setzen, und er daraufhin geschlagen seufzte. Anna hatte viel zu viel Ähnlichkeit mit Amalie, Killians Schwester, als dass er ihr wirklich einen Wunsch oder in diesem Fall eine Anordnung abschlagen konnte.

Claire sah Killian fast jeden Tag, doch sie fand es immer wieder erstaunlich, wie sehr er sich äußerlich verändern konnte, ohne viel mehr zu tun, als seine ohnehin nutzlose und lediglich zur Tarnung dienende Brille abzulegen und sich mit der Hand durch die rotbraunen Haare zu fahren. Er war ähnlich gekleidet wie Claire, mit einer festen, dunklen Jeans und einer schwarzen Lederjacke, doch das war nicht das eigentlich Erwähnenswerte an seiner… Verwandlung war nicht seine Kleidung. Wenn er nicht versuchte den scheuen, gehänselten Schüler zu mimen, sondern sich zu seiner vollen Größe aufrichtete und seine hellbraunen Augen - wie vielleicht nicht gerade in diesem Moment - spitzbübisch funkelten, war er eine ganz andere Person.

„James“, grüßte er. Als James ihm jedoch wie immer zunickte, war sich Claire fast sicher, dass zuvor einfach nur ihre Fantasie mit ihr durchgegangen war.

„Du bist heute aber früh“, meinte Killian zu Claire, als er sich neben ihr niederließ. Das alte Sofa ächzte mürrisch unter ihrem kombinierten Gewicht, aber es bleib standhaft. „Seit wann bist du hier?“

„Auch erst seit gerade eben“, antwortete sie. „Bin früher weggekommen.“

Er nickte verstehend. Er hatte wirklich einen leicht blutenden Kratzer auf der Wange, wenn auch nichts weiter Tragisches.

„Wem bist du denn begegnet, dass du so freundlich begrüßt wurdest?“, wollte sie mit hochgezogenen Brauen wissen. „Billie meinte, du wärst bei den alten Shops gewesen.“

„Ach, zwei von diesen Elfen-Typen“, meinte er abwinkend. „Du weißt schon, die mit dem bescheuerten Namen.“

„Elfenbeinkobras?“, schlug Anna vor, als sie mit ihrer hölzernen Arzneibox in den Händen zurückkam.

„Sag ich doch; die mit dem bescheuerten Namen.“

„Weil ‚Nachtgestein‘ ja nicht bescheuert klingt…“, murmelte James und verdrehte die Augen, als er eine der Frischhaltedosen öffnete.

„So stehst du also hinter deinen eigenen Kreationen; ich bin empört“, erwiderte Killian gespielt theatralisch.

James zog aber nur die Augenbrauen hoch und seine Mundwinkel zuckten, als Anna fest nach Killians Kiefer griff und ihn so zwang, sie anzusehen. Sie hatte bereits Alkohol auf eins der Wattepads, die Claire einmal mitgebracht hatte, gegeben und begann nun Killians Wange abzutupfen. Er sog zwar scharf Luft ein, als der Alkohol zum ersten Mal mit der kleinen Wunde in Berührung kam, aber beschwerte sich nicht. Killian war schließlich keine Mimose.

„Hm, ein Pflaster wär vielleicht nicht schlecht“, sinnierte Anna, als sie fertig war. „Aber die sind aus…“

„Oh, ich hab welche dabei“, warf Claire ein und kramte die kleine weiße Packung, die Loretta ihr gegeben hatte, aus ihrer Tasche.

Bei dem Anblick der Packung lächelte Anna glücklich.

„Wir hätten Entchen und Delphine“, meinte sie strahlend, nachdem sie die Packung aufgemacht hatte.

„Es geht doch sicher auch so, oder? Frische Luft und so?“

Anna zog eine Schnute. „Dabei sind die Entchen so niedlich…“

Killians Augenwinkel zuckte verdächtig und Anna schob die Pflaster wieder zurück.

„Ehe ich es vergesse“, meinte Claire und stand auf.

James, Anna und Killian sahen sie alle fragend an. Ohne Umschweife und das Gesicht zu verziehen wuschelte sie einfach durch Killians Haare, sodass diese noch wilder aussahen.

„Was soll das denn?!“

„Schöne Grüße von Lorenz.“

„Bin ich ein Hund oder was?!“, beschwerte sich Killian.

„Nein, aber eine Katze“, antwortete Claire stocktrocken und James und Anna lachten laut auf.

„Und hier dachte ich, du wärst ‘n Fuchs, Fox Man“, kam es von Billie, der ebenfalls gerade die Halle betreten hatte. „Oh, Essen!“

Killian grummelte nur etwas Unverständliches und ließ es dabei bewenden.

„Wer ist am Eingang?“, wollte Claire wissen.

„Laura und George“, antwortete ihr Billie.

Sie nickte und war bereits dabei die Halle zu durchschreiten, als ihr wieder etwas einfiel.

„Anna?“

Fragend sahen sie Annas grüne Augen an. „Hm?“

„Sagt dir ‚Plasma‘ etwas?“

Sie runzelte die Stirn, während die drei Jungs verwirrte Blicke wechselten. „Nur, dass es eine neue Droge ist.“

„Weißt du, was sie bewirkt?“

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Warum?“

„Nur so. Ich hab zufällig davon gehört.“

„Ich kann aber meine Kontakte fragen, wenn du willst, Boss“, bot Anna schulterzuckend an.

Claire überlegte einen Moment, ehe sie antwortete. „Ja, gut. Es kann nicht schaden, drüber Bescheid zu wissen, selbst wenn wir nicht dealen.“

Als sie sich abwandte hörte sie hinter sich, wie sich wahrscheinlich Billie und James über die mitgebrachten Nahrungsmittel hermachten, denn Anna trank manchmal tagelang nur Wasser, ohne feste Nahrung zu sich zu nehmen. Es dauerte auch nicht lange und Killian hatte zu ihr aufgeholt. Allerdings ergriff er erst das Wort, als sie die Halle hinter sich gelassen hatten.

„Ich nehme an, es war nicht so ganz zufällig, dass du von dieser Droge gehört hast, oder?“, wollte er leise wissen.

„Nein“, antwortete sie genauso leise. „Auf dem Schreibtisch meines Vaters lag eine Akte.“

Seine Augenbrauen wanderten wieder nach oben. „Ich wäre enttäuscht, wenn du mir jetzt sagst, dass er sie dich hat einfach so lesen lassen.“

Sie musste grinsen. „Nein, er war zum Telefonieren auf dem Gang.“

„Dann entschuldige, dass ich jemals an dir gezweifelt habe.“

Sie rollte mit den Augen aufgrund dieser ganzen Theatralik. „Aber es wäre nicht nur für mich schlecht, wenn die Polizei auf die Idee kommt, nach uns zu suchen, weil sie glauben, wir vertreiben das Zeug. Mein Vater kümmert sich schon lange nicht mehr um so kleine Fische, wie uns, die sich auf den Straßen ein bisschen prügeln und gelegentlich Nahrung klauen, aber wenn ich geschnappt werde, bekommt er es mit. Vor allem, wenn ihn diese Drogensache so beschäftigt, dass er sich zu Hause eine fette Akte drüber durchliest.“

Killian stimmte ihr stumm nickend zu.

Sie dealten nicht nur nicht mit Drogen, weil sie gesehen hatten, wie die Süchtigen in den dunklen Seitenstraßen endeten, sondern auch, weil es das Risiko geschnappt zu werden, um ein vielfaches erhöhte. Auch wenn sie bei Nachtgestein so gut wie keine Regeln hatten, war diese eine Regel wie in Stein gemeißelt. Sie weigerten sich nicht nur, Dealer aufzunehmen, sondern warfen auch Mitglieder raus, die anfingen zu dealen. Und nicht nur Claire war konsequent in dieser Ansicht, sondern auch Nachgesteins Kernmitglieder; allen voran Billie, dessen Schwester an einer Überdosis gestorben war. (James war allerdings primär der Meinung, dass Drogen die Reinheit seiner dunklen Seele trübten.)

„Aber mal was anderes“, begann Killian und seine Augen blitzten schalkhaft im Halbdunkel auf, als sie sich der Eingangstür näherten. „Was hast du eigentlich mit Fairburn gemacht? Der hat während des ganzen Matheblocks nur halbherzige Kommentare abgelassen.“

Claire runzelte die Stirn.

Was hat das denn mit mir zu tun?

„Ich hab ihm nur gesagt, dass seine Krawatte schief sitzt, das wird ihm wohl kaum das Herz gebrochen haben.“

„Ahhh. Und ich hatte Hoffnungen, dass was Spannendes passiert wäre“, meinte er das Interesse verlierend.

„Was wäre denn ‚spannend‘ für dich gewesen?“, wollte sie trocken wissen.

Doch er kam nicht mehr dazu zu antworten, denn just in diesem Moment wurde die schwere Eisentür aufgestoßen und George steckte den Kopf durch die Öffnung.

„Äh, Boss? Hier draußen ist so ein komischer Typ…“

„Was für ein komischer Typ?“

„Welche Gang?“, wollte Killian wissen. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass sie eine Herausforderung auf diese Weise bekommen würden.

„Das ist es ja“, erwiderte George, „ich glaube, der gehört zu gar keiner Gang. Ist auch ganz normal gekleidet, nix besonderes.“

Killian und Claire tauschten leicht verwirrte Blicke aus.

„Was will er denn? Hat er das gesagt?“, fragte Claire.

„Auch nicht. Der hat noch gar nicht mit uns geredet. Vielleicht wartet der ja auch nur auf jemanden, aber wir dachten, es wäre besser, du wüsstest Bescheid. Der steht nur da rum, guckt gelegentlich mal in unsere Richtung und starrt dann wieder den Mond an.“

Claires Laune verdüsterte sich augenblicklich. Die Sache mit dem Mond ließ den metaphorischen Groschen fallen.

„Oh, ich weiß, wer das ist und auf wen er wartet“, grollte sie.

Es bestand keine Kunst darin ihren Gemütszustand zu erahnen und Killian schaltete sich ein.

„George, geh mit Laura rein. Wir machen das schon.“

„Äh.“ George war ein bisschen sprachlos. „Ist der so gefährlich? Der sieht gar nicht so aus…“ Er warf Claire einen unsicheren Blick zu.

„Viel eher gefährdet, als gefährlich“, meinte sie leise grummelnd, als sie an ihm vorbeiging.

Nur im Augenwinkel bekam sie mit, wie George die überraschte Laura mit sich zog, während Killian ihnen die Tür aufhielt. Doch Claire war bereits zum Eingang der Gasse unterwegs, die zu ihrem Lagerhaus führte, als die Tür lautstark zufiel.

Er saß auf einer niedrigen Mauer unter der kaputten Laterne auf der gegenüber liegenden Straßenseite und starrte natürlich den gottverdammten Mond an. Wie üblich. Als er jedoch Claires Schritte hörte, blickte er in ihre Richtung. Während Killian ihnen etwas Privatsphäre schenkte und bei der Tür stehen blieb, richtete sich der unverbesserliche Mondliebhaber auf und blickte sie schuldbewusst an.

Gut für ihn. Der verlorene Sohn ist also zurückgekehrt, dachte Claire sich, als sie die Augen zu Schlitzen verengte und Jonathan betrachtete.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Alle, die ‚Knochenschmetterling‘ zum ersten Mal lesen, können das Folgende einfach getrost ignorieren; für diejenigen, die gerne die Änderungen zur ersten Version erfahren möchten, aber dich alles noch einmal lesen wollen, sind die wichtigsten Änderungen unten aufgelistet.

Änderungen:
- Neben der Tatsache, dass Lousie, nachdem sie weggelaufen war, auf sich alleine gestellt war, merkt Claire an, dass ihr Rücken noch immer schmerzt, wenn sie ihre Flügel benutzt.
- Anna und Amalie sind sich sehr ähnlich, weswegen es Killian schwer fällt, ihr einen Wunsch abzuschlagen. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Flordelis
2012-07-29T17:34:36+00:00 29.07.2012 19:34
Nachdem ich doch ein wenig länger brauche, das Kapitel zu schreiben, lese ich lieber hier mal weiter, weil ich unbedingt lesen will... und so. *_*

> sah sie schon Anna und James auf den ausgefransten Möbelstücken sitzen, die sie schon vor Jahren aus dem Sperrmüll gezogen und in das verlassene Lagerhaus gebracht hatten.
Ich würde eines der "schon"s durch ein "bereits" ersetzen, einfach damit du dieses Wort nicht zweimal im selben Satz und so kurz aufeinander hast. klingt dann ein wenig schöner, denke ich. :3

> Anfangs hatte sich Claire nur nachts von zu Hause weggeschlichen, um dem Druck ihrer Familie zu entkommen, und nun war sie Anführerin einer zwanzigköpfigen Gang
Emancipation and Career - you're doing it right!

> Killian gedroht hatte aus seiner Nase zu verbluten
Noooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooin! Q_Q

> An für sich mochten Dryaden Leute nicht sonderlich, aber die Personen, die sie mochten, mochten sie wirklich sehr
If you know what I mean.
Nee, Scherz, muss ja nicht alles so sein. XD

> Ein Grinsen breitete sich auf Claires Gesicht aus, doch als sie ihre Schadenfreude mit James teilen wollte, glaubte sie, dass er in diesem Augenblick noch ein bisschen trübsinniger als sonst aussah, ehe sich auch seine Mundwinkel zu einem schwachen Grinsen hoben.
James und Anna sitzen auf 'nem Baum~ ♫
Ja, tut mir Leid, ich seh grad überall Pairings und Fluff und Andeutungen. x_x

> als seine ohnehin nutzlose und lediglich zur Tarnung dienende Brille abzulegen
Mein Fangirlie-Counter für Killian ist soeben um 50% gesunken. ._.
(Kein Witz, als Harry in Shattered Memories keine Brille mehr trug, fand ich ihn nicht mehr so toll wie vorher XD)

> aber es bleib standhaft
Buchstabendreher --> blieb. =D

> „Dabei sind die Entchen so niedlich…“
*muss an Sheldons Klebeenten in der Badewanne denken*

> James war allerdings primär der Meinung, dass Drogen die Reinheit seiner dunklen Seele trübten.
XDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDD
Oh Gott, ich glaube, ich liebe ihn. :,D

> und starrt dann wieder den Mond an
Awroooooooooooooooo~

Ich fand das Kapitel herrlich, hat mir wirklich sehr gut gefallen. Yare yare yare, hab dir ja inzwischen oft genug mitgeteilt, wie toll ich deinen Stil finde und habe es eben noch einmal wiederholt, einfach weil ich ihn toll finde. X3
Und bin wahnsinnig gespannt, wie es weitergeht. =D
Von: Futuhiro
2012-07-29T16:18:58+00:00 29.07.2012 18:18
Wouw, so viele Namen, mir schwirrt der Kopf ...
Ich weis gar nicht so recht, was ich zu dem Kapitel sagen soll. Es war sehr interessant, mal die ganzen Zustände so vor Augen gehalten zu bekommen, aber irgendwie könnte nun doch die Story mal weitergehen. ^^ Gerade wo endlich was passierte, war das Kapitel zu Ende. Schreib weiter! *g*


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