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Weihnachtsflucht

21. Kalendertürchen 2011
von

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Weihnachtsflucht

Weihnachtsflucht
 

Traurig beobachtete der alte Mann das Treiben auf der Straße. Es war schmutzig und kalt, halb geschmolzener, grauer Schnee bedeckte den Weg. Eine Trostlosigkeit über die auch der festliche Schmuck nicht hinwegtäuschen konnte. Die Lichter in den Auslagen verzauberten vielleicht die Touristen, doch wer nicht das nötige Kleingeld in der Tasche hatte, der ließ sich weniger leicht verführen.
 

Starker Husten quälte ihn, als er alleine durch die Menge zog. Niemand beachtete ihn. Zu schlecht gekleidet um attraktiv zu erscheinen, noch zu gut gekleidet um sofort Mitleid zu erregen. Doch es würde nicht mehr lange dauern, dann würde jeder sehen was er war: Ein alter Mann ohne Job.
 

Er war in den letzten Jahren stark gealtert. Seine Arbeit, die ihn über Jahrzehnte hinweg vital gehalten hatte, hatte nun ein anderer übernommen. Die Übernahme war schleichend und er zu selbstverliebt gewesen um es rechtzeitig zu bemerken. Jetzt hatte er nichts mehr. Sein Haus hatte er verkaufen müssen, seine Frau hatte ihn verlassen, die paar Tiere, die er sein Eigen hatte nennen dürfen gehörten nun einem anderen. Neben dem, was er am Leib trug, besaß er nur noch den zerknitterten Zetteln, den ihm ein verlottert aussehender Mann zugesteckt hatte. „Wenn du gar nicht mehr weiter weißt“, hatte er gesagt. Das war vor ein paar Wochen geschehen. Wochen, die ihm wie eine Ewigkeit erschienen. Zuversichtlich war er damals gewesen, wollte sich nicht unterkriegen lassen. Doch alles was versucht hatte, war erfolglos geblieben. Nun stand Weihnachten vor der Tür und dieser Umstand machte alles nur noch schlimmer.
 

Wie gerne hätte er das Fest genossen so wie früher! Als Schnee noch ein wunderschönes Naturereignis gewesen war und nicht ein zusätzliches Hindernis. Als der Geruch von frischen Keksen noch eine Mahlzeit versprochen hatte und nicht nur aus anderen Häusern kam.
 

Es war der 23. Dezember und sein Wille war gebrochen. Er würde das Asyl aufsuchen, dessen Adresse auf dem kleinen Stück Papier stand. Ihm blieb nur die Hoffnung, dass dort nicht auch noch ein Christbaum stehen würde, oder etwas anderes, dass doch mehr Hohn als alles andere war für einen wie ihn.
 

Er sagte nichts, als die Leute ihn auf seinem Weg anrempelten, vollbepackt mit Einkaufstaschen, er blieb stumm, als sich eine Dame beim U-Bahnpersonal über seinen Geruch beschwerte, er protestierte auch nicht, als man ihn daraufhin aus dem Zug warf.

Es war schon spät als er das Haus am Rand der Stadt erreichte. Schmucklos und grau stach es zwischen den anderen Gebäuden in dieser Straße nicht hervor. Nur das kleine Schild, das auch schon bessere Tage erlebt zu haben schien, wies darauf hin, dass dieses Haus anders war. Er kämpfte noch kurz mit sich selbst, doch dann seufzte er und betätigte die Klingel.

Die Türe wurde von einer älteren Nonne geöffnet. Sie hatte Ringe unter den Augen, doch ein Lächeln zierte ihre Lippen. Der alte Mann wusste nicht, ob es echt war und es interessierte ihn auch nicht.

„Kommen Sie herein. Zu Weihnachten versuchen wir für alle Platz zu haben, es ist also etwas eng – aber warm und sauber.“
 

Eng war es in der Tat, warm auch, doch das mit der Sauberkeit schien mehr Wunschdenken als Tatsache zu sein. Doch es sollte ihm Recht sein.

Nur wenige Augen richteten sich auf ihn als er das Asyl betrat. Die meisten schliefen schon, eingerollt in Decken, oder wer mehr Glück hatte, in Schlafsäcke. Nur an einem Tisch am Rand brannte eine elektrische Kerze. Die drei Personen, die dort saßen hoben synchron die Köpfe, als er den Raum betrat.
 

„Jetzt hat’s dich auch noch hier her verschlagen“, meinte einer, den er als den Mann erkannte, der ihm die Adresse gegeben hatte.
 

„Hat auch lange genug gedauert“, meinte die alte verhunzelte Frau, die neben ihm saß. „Geschieht im Recht!“.
 

Er widersprach ihr nicht. Dieser Gedanke war ihm schon selbst gekommen, doch es von anderen ausgesprochen zu hören machte es in keinster Weise besser.
 

„Ach sei doch still, Befana, du alte Hexe! Als ob du so viel besser wärst als er!“

Erst jetzt bemerkte er, dass die dritte Person ein Kind war. Schmutzige, blonde Locken vielen ihm ins Gesicht und das gedämpfte Licht erlaubte nicht, festzustellen ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen handelte. Sein Verdacht, wer die drei Gestalten waren, erhärtete sich, doch noch weigerte er sich, es zu glauben.
 

Die Alte murmelte etwas vor sich her und auch der Mann schien von den Worten des Kindes unangenehm berührt zu sein.
 

„Komm und setz dich zu uns!“ lud ihn das Kind ein.
 

Die Alte machte keine Anstalten etwas beiseite zu rücken um ihm Platz zu machen, doch der Mann rutschte ein Stückchen beiseite und sammelte seinen langen, verfilzten Bart ein.
 

„Wieso…“, setzte er an.
 

„Wieso wir hier sind? Aus demselben Grund wie du“, antwortete das Kind. „Haben einfach unseren Job gemacht. Dass wir ausgebootet werden, haben wir erst viel zu spät bemerkt…“
 

„Wieso du hier bist, Santa, das ist die spannendere Frage!“, zischte Belfana. „Hast dich doch immer so gut mit ihm verstanden, hast doch immer mitgespielt! Hat es dir nicht zu denken gegeben, dass wir anderen nach und nach verschwunden sind? Dass Väterchen Frost von Jahr zu Jahr weniger zu tun hatte? Dass unser Christkind hier immer mehr verwahrlost ist? Nichts anderes ist uns übrig geblieben als hierher zu fliehen, als er immer stärker wurde.“
 

Santa wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Sie hatten ja Recht! Er war so verblendet gewesen, niemals daran gedacht, dass man ihn benutzen würde.
 

„Wir haben alle nichts unternommen“, warf das Christkind ein.
 

„Aber keiner von uns hat sich so sehr einspannen lassen! Keiner von uns wurde geboren um diesen Zweck zu erfüllen! Er war von Anfang an schlecht!“

Die Alte wollte sich gar nicht mehr beruhigen. Fast wollte er ihr raten, sich nicht zu verausgaben, doch er wusste, dass es besser war, wenn er schwieg.
 

„Siehst du Belfana, er hatte keine Wahl“, meinte Väterchen Frost „Überleg dir lieber etwas, was ihn aufhält!“
 

„Niemand wird ihn aufhalten“, zischte sie. „Unsere Zeit ist vorbei. Findet euch damit ab.“
 

„Vergiss die alte Hexe! Du, ich und Santa – wir schaffen das auch alleine!“, rief das Kind. „Du bist doch dabei, oder?“
 

„Das hat doch keinen Sinn, Kind!“, protestierte er.
 

„Ach, was seid ihr alle für alte Trotzköpfe. Vergrabt euch lieber im Selbstmitleid, als etwas zu tun!“
 

„Aber niemand glaubt mehr an uns. Der Geist von Weihnachten ist längst verloren. Er hat gewonnen – der Konsum hat gesiegt!“, erwiderte Santa.
 

„Seht doch einmal genau hin ihr alten Spinner! Seht euch hier um!“, rief das Christkind und machte eine ausholende Bewegung in Richtung des Raumes. Santas Blick fiel auf die Nonne. Sie war wieder hereingekommen, aus irgendeinem Grund schien sie aber das Gespräch nicht mitbekommen zu haben, einen weiteren Bedürftigen hereinbringend. Er sah aus wie er selbst, nur schlimmer. Doch kein Ekel war auf dem Gesicht der Nonne zu sehen als sie den taumelnden und stinkenden Mann stütze. Und jetzt sah er es auch, das Funkeln in ihren Augen, den Geist der Nächstenliebe und den Zauber von Weihnachten.
 

„Solange es noch Menschen wie sie gibt, hat der Konsum nicht gewonnen!“
 

Es wurde ihm leichter ums Herz. Die Kälte, die schon vor Monaten von ihm Besitz ergriffen hatte, war verschwunden.
 

„Du hast Recht! Noch ist es nicht zu spät“, stimmte er dem Christkind zu. „Lasst uns unsere Kräfte vereinen und etwas gegen ihn unternehmen!“
 

„Wer ist überhaupt sein neuester Speichellecker?“, fragte Väterchen Frost. „Wer wird nun von ihm benutzt?“
 

„Eine Kreatur von noch unrühmlicherer Herkunft als ich“, sagte Santa „Ein unnatürliches Mischwesen – der Weihnachtshase!“
 

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Ich weiß nicht, ob der Weihnachtshase auch in Deutschland bekannt ist - wenn nicht dann findet ihr diese perverse Kreation hier:

http://www.youtube.com/watch?v=lJkaMJXoW3U
 

Also nicht, dass jemand auf die Idee kommt ich hätte was gegen Saturn - schließich muss ich ihnen für diese Perversion Inspiration danken!
 

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Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch!

Sydney



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Ganondorf
2017-11-22T18:06:11+00:00 22.11.2017 19:06
Guten Abend

Dein Beitrag hat mir gefallen. Eine nette Geschichte für zwischendurch die man jederzeit (immer wieder) lesen kann.

Trotz fehlender Kurzbeschreibung und Textauszug, wollte ich mir einmal die Eigene Serien Beiträge ansehen, die in den letzten Jahren zu den Fanfiction-Adventskalendern verfasst worden sind.
Dein Anfang hatte mich. Weil es nicht Mittendrin – wie es so typisch ist – begann. Es war mehr eine Beobachter-Beschreibung wie man sie selbst hat, wenn man in der Stadt unterwegs ist und die dortigen Leute in ihrem Tun beobachtet.

Die Hintergründe/Einblicke in das Leben des Mannes wieso er in der Situation ist in der er nun einmal ist, haben mir ebenso gefallen und mich generell zum weiterlesen bewegt. Seine Umwelt reagierte realistisch – so wie der ein und andere wohl selbst reagieren würde.
Dass es sich bei dem alten Mann in Wirklichkeit um den Weihnachtsmann handelte, hätte ich nicht gedacht. Die Schlagworte habe ich zwar wahrgenommen und gesehen, interessiere mich für diese aber nicht und schenke ihnen grundsätzlich keine weitere Beachtung. Es hätte auch gut sein können, dass sich irgendwer als Weihnachtsmann verkleidete und daher das Schlagwort verwendet wurde.

Ich stellte mir beim lesen ab dem Zusammentreff und der Diskussion der Charaktere schon die Frage, ob du deine eigene Meinung mit in die Geschichte eingearbeitet hast und du Weihnachten tatsächlich als reinen Konsum siehst (vielleicht andere Feiertage ebenso?) und es deswegen ein „Weihnachten ist das Fest der Liebe/Besinnlichkeit/nett beisammen sein/Nächstenliebe mit Familie/und/oder Freunden“-Aufruf/Appell sein soll. Oder vielleicht ist es einfach nur das, was es ist: Eine zündende Idee die niedergeschrieben wurde.
Wie auch immer die Antwort ist, gefallen hat mir der OS so oder so. Auch wenn ich selbst generell kein Feiertagstyp bin und auch nicht extra einen Feiertag brauche um an andere zu denken oder ihnen etwas gutes zu tun. Das kann wer mag jeden Tag tun.

Was mich stutzig gemacht hat, war der Türchenname. Seitdem versuche ich ehrlich gesagt Titel und Inhalt irgendwie zu verbinden.
Aber mir möchte einfach nichts einfallen, wieso der Inhalt etwas mit Weihnachtsflucht zu tun haben sollte. (Ich gestehe die Angewohnheit zu haben, vom Titel auf den Inhalt zu schließen, beziehungsweise den Inhalt im Titel wiederzufinden)
Vermutlich ist da gar keine Verbindung. Außer der Konsum hat nicht dafür gesorgt, dass die Protagonisten vergessen wurden da keiner mehr an sie glaubt, sondern sie haben sich – wie auch immer – selbst in ihr Schlamassel gebracht und flüchteten somit vor Weihnachten. Macht zwar keinen Sinn, doch waren dies meine Gedanken dazu.

Zwei Fehler sind mir dann doch aufgefallen:
„Geschieht im Recht!“.
---> Müsste: „Geschieht ihm Recht!“. heißen.

Schmutzige, blonde Locken vielen ihm ins Gesicht[...]
Müsste: Schmutzige, blonde Locken fielen ihm ins Gesicht[...] heißen.

Der Schluss gefiel mir allein des Weihnachtshasen wegen und brachte mich zum lachen. Ich war schon immer der Meinung, dass Ostern und Weihnachten irgendwann zeitgleich sind, da – kaum ist Weihnachten vorbei – schon steht der Ostermist in den Läden, lange bevor es soweit ist.

Oh und bevor ich es vergesse zu erwähnen:
Das genutzte Cover finde ich sehr passend gewählt. Es verdeutlicht sehr die gekreuzten Wege am gleichen Ort.

Ganondorf Dragmiere


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