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Harmonie

von

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Zwei Leben

Kapitel 8: Zwei Leben


 

Hermine verzog das Gesicht, verschränkte die Arme und trat einen weiteren Schritt von ihrem Kessel zurück, den sie ohnehin nicht benutzen konnte, da Harry sie gerade unsanft zur Seite gedrängt hatte. Für wie blöd hielt er sie eigentlich? Nun werkelte er schon seit fast zwanzig Minuten ganz alleine an diesem Trank herum, hielt sich dabei kaum an irgendwelche Anweisungen aus dem Buch, auf die Hermine immer wieder beharrt hatte, und trotzdem war der Trank schon drei Mal vom vorbeigehenden Slughorn gelobt worden.
 

„Gib es endlich zu. Du hast schon wieder den Halbblutprinzen dabei.“
 

Harry schüttelte den Kopf und grinste unschuldig. „Bist du irre, würde ich freiwillig Snape zum Zaubertränkebrauen dazuholen?“ Er schaute suchend nach rechts und nach links, ging in die Knie und spähte unter den Tisch. „Und ich sehe ihn hier nicht.“ Sein süffisant grinsendes Gesicht kam wieder hoch. Augenscheinlich erleichtert, wischte er sich mit der Hand über die Stirn. „Glück gehabt. Puh, eben hast du mir echt Angst gemacht.“
 

„Idiot!“
 

Hermine wandte sich beleidigt von Harry ab und sah stattdessen hinüber zu Ron und Neville, die am Tisch hinter ihnen standen und gerade dabei waren, ein feines, grünliches Pulver in ihren Trank zu geben. Wirklich glücklich sahen die beiden nicht aus, doch Hermine machte sich deswegen nicht allzu viele Sorgen. Seit Snape nicht mehr an der Schule war, hatten sich Nevilles Leistungen allgemein sehr verbessert. Ron war auch nicht schlecht, wenn man ihn nicht nervös machte. So hatte sie nicht protestiert, als Slughorn das „Liebespaar“ trennte. Man bräuchte höchste Konzentration, um Veritaserum zu brauen, keine romantischen Ablenkungen. So arbeitete sie mit Harry, Ron stattdessen mit Neville zusammen.
 

Warum er wohl Pansy und Draco, die neben Ron und Neville brauten, nicht getrennt hatte? Interessierte ihn der Malfoysproß so wenig, dass er noch nicht einmal mitbekommen hatte, wer dessen Freundin war? Möglich… eventuell hatte er aber auch von McGonagall die Weisung bekommen, Malfoy so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen.
 

Nach Hermines Geschmack ging er dieser vermuteten Weisung zu eifrig nach. Er ermahnte Malfoy kaum. Draco durfte stänkern und pöbeln wie er wollte, Slughorn verzog schlimmstenfalls das Gesicht und ignorierte ihn. So wie jetzt, als Draco die kichernde Pansy in den Arm nahm und sie in Richtung Ron drehte. Was wollte er ihr denn zeigen?
 

Aha…
 

Rons Kessel brannte und Pansy klatschte euphorisch Beifall. Kein schlimmer Brand, aber der Trank war zweifellos ruiniert. Dracos gehässigem Grinsen zufolge war dies sein Verdienst. Warum sonst hätte er auch den Zauberstab heimlich in seinem Ärmel versteckt, den Hermine eben herausrutschen sah?
 

„Also das geht jetzt wirklich zu weit“, zischte Hermine empört und hob die Hand, um Slughorn darauf aufmerksam zu machen, wer hier wirklich gepfuscht hatte. Doch bevor ihre Hand auch nur auf Schulterhöhe war, packte Harry sie schnell und zog sie wieder herunter. „Lass das! Das ist keine gute Idee.“
 

„Aber warum?“ Hermine zappelte wütend und versuchte sich aus dem Klammergriff zu befreien. Statt die Hand von ihr zu nehmen, verstärkte Harry den Druck, auf ihr Handgelenk und trat noch näher an sie heran, um sie vor Rons, Nevilles und Slughorns Augen mit seinem Körper abzuschirmen. Hermine wurde nervös, ihr Herzschlag beschleunigte sich und Sterne tanzten vor ihren Augen. Ihr Mund wurde trocken, doch dafür wurden ihre Hände immer feuchter. Sie mochte es nicht, dass irgendjemand so nahe bei ihr stand. Sie mochte es nicht, dass Harry ihr etwas befahl und ganz sicher konnte sie es nicht ertragen, festgehalten zu werden.

Sie zappelte immer heftiger, mit einer Spur Verzweiflung. „Lass mich sofort los. Bitte, ich will das nicht“, flehte sie leise.

Harry zog sie nur noch enger an sich und Hermines Körper gefror zu Eis. Er beugte sich zu ihrem Ohr hinunter und murmelte leise, beherrscht doch streng: „Nur wenn du still bist. Es ist keine gute Idee, das zu melden.“
 

Hermine wand sich und befreite mit einer heftigen Drehung ihr Handgelenk. Immer noch verunsichert trat sie ein paar Schritte von Harry weg, auf die andere Seite des Kessels, wo sich ihre braunen Augen kurz mit Rons blauen trafen, der daraufhin kritisch zu Harry blickte, sich dann aber wieder Slughorn zuwandte, um ihm zu erklären, dass er keine Ahnung hatte, warum sein Kessel auf einmal zu brennen begonnen hatte.
 

Hermine biss sich auf die Lippen und drehte sich wieder zu Harry um, doch noch in der Bewegung fingen ihre Augen für einen kurzen Moment den eiskalten Blick grauer Augen auf, die sie vom Tisch der Slytherins her anstarrten. Einen Herzschlag lang hielt Malfoy den Augenkontakt mit unbewegter Miene, dann verzog er den Mund zu einem höhnischen Grinsen und beugte sich zu Pansy hinüber, der er etwas zuflüsterte. Hermine erschauderte und schüttelte sich, als ob sie auf diese Weise das Gefühl loswerden könnte, dass es Malfoy ehrlich interessieren könnte, dass Harry sie festgehalten hatte.
 

Harry hob seine Hand vor ihr Gesicht, schnippte mit den Fingern und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich, während er im immer gleich bleibenden schnell-schnell-langsam Rhythmus den Trank im Kessel umrührte. „Es ist wegen Ron“, murmelte er entschuldigend. „Er sollte nicht noch mehr Grund kriegen auf Malfoy wütend zu werden.“ Harry seufzte, drehte den beiden Freunden über die Schulter blickend den Kopf zu, dann verzog er das Gesicht und sah Hermine wieder direkt an. „Und wegen Neville.“
 

Hermine drehte zaghaft den Kopf in Richtung der beiden Jungen. Eigentlich wirkten beide emsig bei ihrer Arbeit. Neville, der eben einen neuen Kessel besorgt hatte, murmelte lautlos noch einmal das Rezept vor sich hin, während sein Finger über die Seite seines Schulbuches glitt und er versuchte herauszufinden, was eben schief gelaufen war. Ron hingegen hatte eine verbissene Miene aufgesetzt, während er, so penibel wie selten, Zaubertrankzutaten abwog. Trotzdem liefen ihr kalte Schauer über den Rücken, denn einmal, als die beiden Jungen kurz in ihrem Tun stoppten, sich etwas zumurmelten und verstohlen hinüber zu den Slytherins spähten, konnte sie es sehen.
 

Entschlossenheit. Kein Hass. Hass, das war nur irgendeine Emotion, die Menschen dazu verleiten konnte, irgendwelche Dinge so oder so zu verstehen oder andere Menschen so oder so zu behandeln. Aber was sie in Rons, ja, sogar in Nevilles rundem Gesicht sah, war ein Wille. Die Frage stellte sich nicht, ob sie Draco hassten, die Frage stellte sich nicht, ob und womit er diesen Hass verdient hatte. Sie erkannte noch nicht einmal grüblerische Denkfalten auf der Stirn der beiden. Über diese Dinge waren sie längst hinaus.

Da Harry eh eifrig dabei war, seinen Trank zum siebenunddreißigsten Mal in die verkehrte Richtung umzurühren, betrachtete sie sich Nevilles Gesicht etwas eingehender. Es war schwer zu sagen, was sich daran verändert hatte. Neville war nicht blass und dünn, nicht grau wie Malfoy, der schon wieder seinen Zauberstab gefährlich in Richtung Neville hob.

Neville sah noch genau so aus, wie sie ihn vor den Ferien verlassen hatte. Und doch, doch hatte sich etwas geändert. Seine Mimik. Ja, jetzt erkannte sie es ganz deutlich an der Art wie sein Mund schmal und streng aussah. Die Augenbrauen, die nicht mehr unsicher hochgezogen wurden, sondern sich ernst und missmutig verengten. Auch seine Bewegungen. Neville hatte, so konnte man es sagen, eine regelrechte Zaubertränkephobie. Snapes Abschiedsgeschenk… Noch nie hatte er so, - welches Wort wäre passend? - so uneingeschüchtert gewirkt wie jetzt.
 

Ein Tiegel voll Feenstaub kippte um, ohne dass ihn Neville berührt hätte, woraufhin Pansy Parkinson verzückt kicherte. Beinahe, fast, ja, um ein Haar nur, wäre alles heruntergerieselt und tausende von Galleonen hätten sich über den Boden verteilt wie ein goldglänzender Schleier. Doch Neville war erstaunlich schnell. Ein einziger, zielsicherer Griff und der Tiegel war gerettet. Der Feenstaub schwebte, beherrscht von Nevilles Zauberstab, in den Behälter zurück, bevor auch nur das erste Körnchen den Boden berührt hatte.

Neville sagte etwas zu Ron, woraufhin sich beide wieder zu Malfoy umdrehten und ihm mit einem Lächeln zunickten, das Hermine das Blut in den Adern gefrieren ließ.
 

Sie schüttelte irritiert den Kopf und drehte sich wieder zu Harry um, der seinen Feenstaub gerade in einer Phiole gemeinsam mit etwas Alraunenessenz verflüssigte, statt beide Flüssigkeiten nacheinander in den Trank zu geben. Hermine verzog tadelnd das Gesicht und griff nach dem Buch, das sie Harry daraufhin mit ungehaltenem „Da lies nach, du machst es falsch“, ins Gesicht drückte. Harry schüttelte nur genervt den Kopf und schlug das Buch beiseite, als sei es ein lästiges Insekt. Ihre Augen trafen sich und Hermine spürte einen schmerzhaften Stich in der Magengegend, als sie die Besorgnis in Harrys Gesicht sah.
 

„Denkst du, er würde es tun?“, fragte sie leise. Harry schluckte, presste die Lippen zusammen und sah sich kurz zu seinen beiden Freunden am Tisch hinter ihm um. „Ja“, flüsterte er und nickte. „Ron hasst Malfoy. Ron hasst Malfoys ganze Familie. Ich kann es ihm nicht verdenken und nach dem Angriff auf den Fuchsbau…“, er seufzte und schüttelte den Kopf, „er will es. Ich weiß, er wünscht sich, dass sie so bald wie möglich Malfoy Manor lokalisieren.“
 

Hermine wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Natürlich verstand sie Ron, dennoch…

„Ich war dagegen“, murmelte Harry und beugte sich so tief in den smaragdgrünen Dampf hinein, der über dem Kessel aufstieg, dass sie von seinem Gesicht nur noch seine schwarzen Haare erkennen konnte. So konnte sie nicht sehen, welche Emotionen mit dem Gedanken an Ron und Draco verbunden waren, doch seine Stimme klang zweifellos vor allem eines: resigniert. „Malfoy ist ein Arschloch. Er ist ein feiger, wichtigtuerischer Vollidiot. Seine Familie besteht nur aus Leuten, von denen einer schrecklicher ist als der andere, aber… nein ich denke nicht, dass ich ihm den Tod wünsche. Du hättest ihn sehen sollen, als er Dumbledore dort oben auf dem Turm gefunden hat.“
 

Der Nebel verblasste und zurück blieb ein blasser Harry, dem die Schweißperlen auf der Stirn standen.
 

„Perfekt, Mr Potter. Perfekt!“, flötete Slughon, der neben den Slytherins stand und einige ihrer Zutaten neu anordnetet, da es dabei wohl einen Fehler gegeben hatte. Pansy war zu sehr damit beschäftigt, Malfoy anzuhimmeln, doch Draco selbst warf Harry einen Blick zu, als wolle er ihm am liebsten jetzt sofort hier auf der Stelle die Nase brechen.
 

Harry nickte übertrieben höflich und fast eine Brise zu schleimig, um nicht aufgesetzt zu wirken in Richtung Slughorn, danach warf er einen Luftkuss in Richtung Malfoy, der ihm daraufhin die „Hals ab“-Geste zeigte, und wandte sich wieder grinsend zu Hermine um.
 

„Du bist ein Betrüger, nur dass du es weißt. Nun gib doch endlich zu, dass du das Buch geholt hast!“
 

Harry zuckte die Achseln, setzte eine engelsgleiche Unschuldsmiene auf und antwortete gelassen: „Nein, hab ich nicht. Ich habe nur das komplette Buch kopiert und neu binden lassen. Snapes Original liegt immer noch im Raum der Wünsche.“
 

„Harry!“
 

„Ja und?“ Harry machte eine wegwerfende Geste über die Schulter. „Das ist unser letztes Jahr und ich will gute Noten. Snape ist böse, aber seine Tränke waren gut.“
 

Hermine holte tief Luft, um zu einer empörten Antwort anzusetzen, doch Harry kam ihr zuvor. „Wir haben gerade über etwas anderes gesprochen. Ich war dagegen. Du weißt, Malfoy. Aber sie haben mich überstimmt. Ich hoffe nur, dass ich es nicht bin, der… falls…“
 

Hermine ergriff seine Hand, die leicht schwitzend auf der aufgeschlagenen Seite des Buches lag und streichelte sie beiläufig mit ihrem Daumen. „Aber warum machst du dann überhaupt mit?“
 

„Snape!“ sagte Harry und zog seine Hand zurück, um einige zerriebene, nicht zerstampfte, Blätter einer fleischfressenden Pflanze hineinzuwerfen. „Und wegen Pettigrew“, fügte er mit tonloser Stimme hinzu.
 

„So haben wir alle unsere Feinde, nicht wahr Harry?“ Hermine lächelte verständnisvoll, doch bitter. „Ron hat Malfoy und du hast Snape.“
 

„Das ist etwas vollkommen anderes“, gab Harry barsch zurück und erlaubte Hermine, den Rest des Trankes nach Anweisung zu brauen. Offensichtlich hatte der eben Genannte für die letzten Schritte keine besonderen Abwandlungen vorgesehen.

„Snape ist ein Mörder. Malfoy ist ein Arschloch. Ich will niemanden dafür töten, dass er ein unsympathischer Mistkerl ist. Ich will eigentlich gar niemanden töten müssen, doch solange ich sonst so nutzlos bin und…“
 

„Du bist nicht nutzlos“, protestierte sie leise. Harry holte tief Luft und wandte sich von ihr ab. „Dumbledore wollte, dass ich die Zaubererwelt rette. Stattdessen braue ich Tränke, während Nevilles Eltern in die Luft gesprengt werden.“
 

Hermine überlegte, was sie sagen sollte. Auf keinen Fall sollte es einfach nur platt und einlenkend klingen, um ihn ruhig zu stellen. Natürlich wusste sie, dass es ihm nicht nur um verletzten Stolz ging, weil er seine Aufgabe teilen musste. Die Aufgabe, die Dumbledore ihm allein zugeteilt hatte. Ein wenig wohl aber doch… doch sicher belastete es ihn sehr, dass alles so langsam ging. Das Voldemort so schnell Unheil anrichten konnte, das er seinen eigenen Opfern in die Schuhe schob. Harry fühlte sich als Versager, weil er all das nicht verhindert hatte. Weil es ihm nicht gelungen war, Dumbledore vor Snape zu retten. Diesen Fehler wollte er nun um jeden Preis wieder gutmachen.
 

Da Hermine nichts Besseres einfiel, beschloss sie, das Thema zu wechseln. „Wie konntet ihr nur Neville einweihen?“
 

Harry, der schon damit begonnen hatte den Arbeitsplatz aufzuräumen, sah mit herausforderndem Grinsen von seiner Arbeit auf. „Du bist sauer, weil Neville es vor dir wusste, oder?“
 

„Unsinn!“ Das war ein klein wenig zu schnell und zu schnippisch. Hermine ärgerte sich, denn Harry kannte sie, seinem Grinsen zufolge, zu gut. Eine Weile lang sortierte er still neben ihr Pipetten und Phiolen und reinigte sie, dann erklärte er aber doch: „Er kam zu uns. Kurz nach dem Angriff auf die Winkelgasse kam eine Eule, dass er uns sehen wollte. Wir haben ihn im Haus seiner Großmutter besucht.“ Er sah kurz auf und zuckte die Achseln. „Du konntest ja nicht mitgehen weil… na ja. Weil es draußen war.“ Er räusperte sich und sprach schnell weiter, Hermines beschämtes, feuerrotes Gesicht ignorierend. „Er sagte, er wollte etwas tun. Er müsse etwas tun. Bellatrix Lestrange ist sein… naja, Snape, Malfoy… was auch immer. Wir haben lange gezögert, aber, er ist so erwachsen geworden. Ganz anders. Er hatte viele Gründe genannt warum es sein Recht sei, mitzuhelfen. Das hat die anderen überzeugt.“
 

Hermine drehte sich zu Neville um, der es vollkommen gelassen hinnahm, dass sein Trank rosa statt grün dampfte. Im Gegensatz zu Ron, der wütend eine Hand voll Feenstaub nach der anderen in den Kessel warf und ebenso explosionsgefährdet aussah. Ja, es gab Veränderungen, doch nicht nur an Neville, stellte Hermine besorgt fest, sondern auch an Ron.

Rache! Beide waren verändert von der Aussicht auf Rache. Hermines Gefühl nach nicht zum Guten. „Er schafft es nicht, selbst wenn er… gezogen würde und er es täte, Harry, er schafft es nicht. Neville würde damit nicht zurechtkommen.“ Sie brach ab, nahm wieder Harrys Hand, und vollendete den Satz umso eindringlicher. „Und du auch nicht. Es muss einen anderen Weg geben.“
 

„Sicher, es gibt immer einen anderen Weg. Aber bis der dir einfällt, hat Voldemort die Leute so aufgewiegelt, dass sie ihm ein Denkmal bauen, wenn er den nächsten Muggel tötet.“ Hermine biss sich auf die Lippen und dachte an die Zeitung des heutigen Tages. Schon wieder war es zu Unruhen gekommen. „Muggel“ hatten Tom, den zahnlosen Wirt des tropfenden Kessels, an seinem eigenen Kerzenleuchter aufgehängt. Daraufhin waren die Kunden, die Tom gefunden hatten, hinaus auf die Straße gerannt, weil sie die Mörder suchen wollten und…. Und?
 

„Wir sind so nah dran“, Harry hob ihr seine Hand vors Gesicht und brachte Daumen und Zeigefinger ganz nah zusammen, nur vielleicht einen halben Zentimeter Platz dazwischen, „so nah, dass wirklich Muggel überfallen werden, weil man sie für gefährlich hält. Und wenn ich mir die Artikel im Tagespropheten so durchlese, dann sieht es aus, als würden sie demnächst behaupten, dass die Muggel Hilfe von Squibs und Muggelgeborenen hatten, um ihre Anschläge zu verüben.“
 

Hermine nickte. Harry hatte Recht. Natürlich würde das der nächste Schritt sein. Halbblüter würden wohl noch irgendwo durchgehen, Schlammblüter bestenfalls als Diener, Squibs und Muggel jedoch sollten ausgemerzt werden. „Aber trotzdem, wir können das doch nicht einfach so stehen lassen. Ich verstehe, warum ihr das macht. Es ist auch sinnvoll, aber es ist irgendwie trotzdem nicht… moralisch.“
 

Harry lachte bitter und klappte das kopierte Buch vor ihrer Nase zu, um es in seiner Tasche zu verstauen. „Unsere einzige Chance ist es, unmoralisch zu sein. Mir gefällt es nicht. Wenn du eine bessere Idee hast: Gerne! Wenn nicht…“, er hob die Augenbrauen, drehte sich zu Ron um, der seinem Kessel einen wütenden Schlag verpasste und den so erschreckend entspannt wirkenden Neville wütend anfunkelte, während der eine bernsteinfarbene Flüssigkeit in die Probeampulle für Slughorn füllte. „Wenn nicht müssen wir mit dem vorlieb nehmen, was wir haben“, vollendete Harry den Satz und prostete ihr mit der eben von ihm abgefüllten Ampulle zu.
 

Hermine knurrte frustriert. Sie lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Tisch und beobachtete Harry dabei, wie er mit etwas zu viel Vorfreude im Grinsen zu Slughorns Tisch ging, um seine Probe abzugeben.
 

Slughorn stand hinter seinem Pult und begutachtete gerade Malfoys und Pansys Trank. Er lächelte freundlich in die Gesichter der versteinert wirkenden Slytherins. Pansy gab sich ja noch halbwegs Mühe, aber Draco hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass seiner Meinung nach nur Snape dieses Fach wirklich gut unterrichten konnte. Wohl vor allem auch deshalb, weil Harry so unerträglich wenig Strafarbeiten, dafür aber umso bessere Noten unter Slughorn bekam.

Dabei war Slughorn, so schleimerisch wie er war, gar nicht unfreundlich zu Draco. Malfoy war gut in Zaubertränke. Vielleicht kein Genie, aber gut. Wohlwollend war Slughorns Blick, mit dem er Malfoys Werk begutachtete und anerkennend einige Details prüfte.
 

Doch dann sah er Harry und Hermine versteifte sich als sie sah, wie Dracos eben noch versteinerte Miene sich vor Wut verzerrte. Slughorn hatte Dracos Trank einfach beiseite gestellt, als hätte er Malfoy innerhalb von Sekunden vergessen. Mit freudigem Aufjauchzen griff er nach Harrys Ampulle, hob sie über seinen Kopf als sei sie eine heilige Hostie und frohlockte: „Bitte alle mal herkommen, ich möchte, dass sich hier wirklich alle Mr. Potters Trank ansehen. Er ist schlicht und ergreifend perfekt.“
 

Harry errötete - und die Röte vertiefte sich noch - als er Rons enttäuschten Gesichtsausdruck darüber sah, dass er es ohne Widerspruch hinnahm, für etwas gelobt zu werden, das höchstens zur Hälfte sein eigenes Werk war. Hermine verdrehte die Augen. Sie würde nichts sagen, auch wenn es schwerfiel. Zumindest dieses Mal. Harry brauchte das jetzt, er brauchte ein bisschen Lob, wo er sich doch sonst so nutzlos fühlte.
 

Sie stieß sich vom Tisch ab und ging hinüber zum Lehrerpult. Ernie Macmillan ging vor ihr in die Knie, um seine Schnürsenkel zu binden. So hatte sie wieder freie Sicht auf Malfoy, der, ihr Herz blieb beinahe stehen, Slughorn die Ampulle aus der Hand riss, sie zu Boden schmiss und mit seinen Füßen zerstampfte.
 

Als Slughorn ihn daraufhin entsetzt anstarrte, lachte Draco nur, warf sich seine Tasche über die Schultern und feixte: „Wer der Meinung ist, dass Potter perfekte Tränke braut, sollte vielleicht doch mal langsam dran denken in den Ruhestand zurückzukehren. Es gibt bessere Lehrer als Sie für den Job.“
 

Daraufhin verneigte er sich spöttisch, packte Pansy unsanft am Arm und gemeinsam rauschten sie mit wehenden Schulumhängen aus dem Zaubertrankklassenzimmer.
 

„Er hat sie nicht mehr alle“, raunte ihr Ron von hinten ins Ohr. Hermine drehte sich um und sah ihren Freund lange und prüfend an. „Und?“
 

Ron zuckte gleichgültig die Schultern. „Nichts, ich stelle nur fest, dass Malfoy nicht mehr alle hat.“ Er verzog das Gesicht und ruckte mit dem Kopf noch mal in Richtung Tür, hinter dem verschwundenen Malfoy her. „Er hat ständig unseren Trank sabotiert, aber wir konnten es nicht beweisen. Er sollte es besser lassen. Mehr sag ich dazu nicht.“
 

„Beruhige dich“, sagte Neville, der Ron freundschaftlich auf die Schulter klopfte. „Soll er doch stänkern so viel er will, die Dinge werden sich auch für ihn noch ändern.“
 

Hermine packte ihre Tasche und wandte sich ebenfalls zum Gehen. Dieser Diskussion wollte sie keine zwei Sekunden länger zuhören. Heute Abend würde sie noch mal mit Ron reden, vielleicht war ihm ja klarzumachen, dass, wie Harry es ausdrückte, „ein Arschloch zu sein“, kein Verbrechen war, auf das der Tod stand. So schnell würde sie da nicht locker lassen, aber Neville so reden zu hören, das konnte sie nicht. Also ging sie lieber.
 

Sie musste noch Ginny ihre Buchliste abgeben. Irgendeiner musste ja schließlich in die Bibliothek gehen, um Bücher für sie zu besorgen. Sie würde es garantiert nicht tun.
 

Xxx
 

Draco lehnte sich gegen die Wand und schloss die Augen. Seine Knie hatte er angewinkelt und die Hände lagen schlaff neben ihm auf den Boden.
 

Hier drinnen war es angenehm kühl und dunkel. Das stetige Tropfen des undichten Wasserhahnes, das etwa in fünfsekündigem Abstand „drip-drap“ in das Becken hören ließ, hatte etwas Beruhigendes, Verlässliches.
 

Beinahe tat es ihm leid, dass er alleine hier drinnen war. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er sich in diese Toilette gekauert in der Hoffnung Myrte zu sehen. Er konnte nicht unbedingt behaupten, dass er sie besonders mochte. Aber immerhin hätte er eventuell reden können. Worüber auch immer. Selbst ihr nervtötendes Gejammer hätte ihn etwas beruhigt. Doch er saß hier schon seit einer Viertelstunde und das Gespenst hatte ihn noch nicht besucht.
 

Er nahm einen tiefen Zug aus der Flasche, die er in einer seiner zitternden Hände hielt und verzog das Gesicht, als der scharfe Geschmack ihm auf der Zunge und in der Kehle brannte. Einen Moment lang, immer wenn er schluckte, war sein Rachen betäubt und seine Gedanken abgelenkt von dem, worüber er sich schon die ganze Zeit, in der er hier saß, das Hirn zermarterte.
 

Er fühlte sich schwach und ein wenig schwindelig. Er hätte etwas essen sollen, hätte irgendetwas aus der Küche besorgen sollen, als er zurückgekommen war. Mittagessen hatte er keines einnehmen können und das rächte sich jetzt.
 

Noch ein tiefer Zug. Das Taubheitsgefühl war nicht mehr so intensiv wie vor einigen Minuten noch. Wie viel hatte er eigentlich schon getrunken? Er öffnete die Augen und schielte auf die Flasche Feuerwhisky hinab. Schwer zu sagen. Hier drinnen war es dunkel, zudem sorgten Schlafmangel und Stress für etwas verschleierte Sicht. Sein Blickfeld war enger geworden, beinahe als sehe er durch einen Tunnel. Draco nahm noch einen Schluck, erinnerte sich an die heftigen Kopfschmerzen, die er letztes Jahr des öfteren gehabt hatte daran und seufzte, weil der Tunnelblick ein schmerzlich bekanntes Zeichen eines sich anbahnenden Migräneanfalls war.
 

Eine eindringliche, unangenehm vernünftig klingende Stimme flüsterte ihm leise ins Ohr, dass es keine gute Idee war, nicht besser aufzupassen, nachzuprüfen, wie viel Whisky er eigentlich schon getrunken hatte. Die gleiche Stimme, die ihn auch zuvor schon gewarnt hatte, als er die Flasche, die er unter Zabinis Bett gefunden hatte, mitgenommen hatte.
 

Noch ein Schluck.
 

Draco rutschte die Wand ein wenig weiter hinunter. Er war müde, so müde. Schlaf wäre gut gewesen, aber wann konnte er schon richtig schlafen? So gut wie nie… auch in der vergangenen Nacht nicht. Schlimme Träume…
 

Ein weiterer Schluck, tiefer als alle vorherigen. Er zitterte nicht mehr so stark, war ruhiger geworden und Draco nahm sich vor, so gemütlich und entspannt er hier auch saß, nach dem nächsten oder übernächsten Schluck aufzustehen und zu „Verwandlung“ zu gehen. Wie spät war es eigentlich? Er hielt sich die Uhr vor das Gesicht, verengte die Augen, da seine Sicht merkwürdig verschwommen war. Nachdem er die vor ihm hin- und hertanzenden Zeiger endlich richtig unterscheiden konnte stellte er fest, dass die Stunde in wenigen Minuten beginnen würde.
 

Er sollte gehen, aber hier war es so schön still, gemütlich und ruhig. Ruhiger als im Manor heute Mittag. Draco nahm einen weiteren Schluck und dachte über seine Mittagspause nach.

Mitten auf seinem Weg zur großen Halle zum Mittagessen, hatte das Mal zu brennen begonnen. Wenn das Mal brannte, dann musste er gehen. Sofort! So schob er sich durch die Reihen zum Mittagstisch drängelnder Schüler hindurch, eilte die fast leeren Korridore im Eingangsbereich hinaus und rannte so schnell er konnte in den Verbotenen Wald hinein. Er wusste, wie gefährlich es war, dort hineinzugehen. Wusste, dass die Zentauren schon unter normalen Umständen gefährlich, doch jetzt geradezu in Mordlust verfallen waren. Er hatte Blut und Wasser geschwitzt bis er zu dem Punkt kam, von dem er, laut Snape, apparieren konnte. Der Weg durch den Wald war so Furcht einflößend gewesen, dass er erst in dem Moment, als er das Manor erreichte, darüber nachdenken konnte, warum er eigentlich kommen sollte.
 

Hatte er irgendetwas falsch gemacht? Sich eventuell verraten? Hatte irgendjemand etwas über ihn herausgefunden, so dass Voldemort nun der Meinung war, dass Hogwarts, und der Rest der Welt, eigentlich ganz gut ohne Draco auskommen würden?

Es war sicher kein gutes Zeichen, dass er, als er ankam, nicht in den Salon unten, sondern ganz nach oben geschickt wurde. Dort, wo Voldemort seine Gemächer hatte einrichten lassen. In einem kleineren Salon erwarteten ihn Snape, sein Vater, sowie Voldemort selbst. Der ließ sich von Draco alles, was er wusste über Kingsley, McGonagall und Potter, berichten. Snape empfahl ihm, sich große Mengen Vielsafttrank zu brauen, da er das Schloss wohl noch öfter würde verlassen müssen. Sein Vater riet ihm, sich so zurückhaltend wie möglich gegenüber Potter und Shacklebolt zu benehmen. Voldemort befahl ihm, Potter oder Shacklebolt in den nächsten drei Tagen zu befragen
 

Schluck… ein sehr, sehr tiefer Schluck dieses Mal…
 

Und als Draco schon halbwegs glücklich war, weil er meinte, sofort wieder ins Schloss zurückkehren zu dürfen, betrat Wurmschwanz das Zimmer.

Es gab noch etwas zu tun, bevor man ihn entlassen würde. Wie sich herausstellte, hatte man doch tatsächlich einige Gefangene unten im Kerker vergessen. Wurmschwanz war eben unten gewesen, weil er etwas gesucht hatte. Dort hatte er außer dem vermissten Gegenstand auch noch vier halb verweste, männliche Leichen gefunden. Wer diese Menschen waren, warum sie dort unten gefangen gehalten worden waren oder wie man sie überhaupt hatte vergessen können, wie lange ihr Todeskampf wohl gewährt haben mochte, all diese Fragen, die Draco durch den Kopf schossen, wurden nicht gestellt.
 

Voldemort selbst hatte andere Pläne, befahl Lucius mit ihm zu kommen, schickte Snape dorthin, woher er gekommen war und Draco hinunter in den Keller. Er sollte Wurmschwanz beim Aufräumen helfen.
 

Schluck. Draco hustete, wischte sich den Mund ab und wunderte sich noch nicht einmal darüber, dass der Raum hin und her schwankte, als er etwas ungelenk hinter sich griff, um sich gerade hinzusetzen. Er wischte sich die verschwitzte Stirn ab und knöpfte die obersten Knöpfe seines Hemdes auf. Als er vorhin hier hereingekommen war, war es nicht so heiß gewesen, ganz sicher nicht. Vielleicht lag es am Sitzen, vielleicht hatten diese Räume eine Fußbodenheizung? Draco nieste, wischte sich die Nase mit dem Ärmel seiner Schulunform ab und kicherte, als er darüber nachdachte, was er gerade getan hatte. Wie… weaselig…
 

Er schloss erneut die Augen und rutschte wieder etwas tiefer. Er durfte die Augen nicht zu lange geschlossen lassen, er war so müde und hier drinnen war alles gemütlich und behaglich. Er hätte diese Toilette viel öfter aufsuchen sollten. Ab heute, so beschloss er während eines weiteren Schlucks, würde er nur noch dieses Klo benutzen. Versonnen grübelte er darüber nach, ob es wirklich einen Weingeist gab. Er grinste bei der Vorstellung, dass Wein sterben und als Geist zurückkommen könnte. Sollte das möglich sein, dann würde er das Ding suchen und einfangen. Sollte Myrte doch zurückkommen, könnten sie dann das nächste Mal hier gemeinsam sitzen und trinken.
 

Er seufzte, als die Bilder des Kerkers wieder vor ihm auftauchten. Draco wusste selbst nicht so recht, wie viele Räume es unterhalb des Manors gab. Regelrechte Katakomben waren von seinem Großvater errichtet worden. Die Frage, wie man die Gefangenen hatte vergessen können, erübrigte sich, als er dem wortlos vorauswuselnden Wurmschwanz durch eine Reihe langer, unterirdischer Gänge folgte, bis sie zu einem Teil kamen, an den Draco sich beim besten Willen nicht erinnern konnte. Warum hatte man hier Leute hergebracht? Wer ging schon jeden Tag so weit, um Gefangene zu füttern? Niemand, das war ja das Problem.
 

Wurmschwanz deutete auf eine offen stehende Tür, die sich einige Meter weiter vor ihnen befand. Er war im gelben Licht der Fackeln gelbgrün im Gesicht und seine Geste war im Grunde nicht nötig gewesen, denn Draco hatte sie auch so bemerkt, da ein unbeschreiblicher Gestank aus ihr herausdrang. Süßlich, stark, überwältigend… verwesende Leichen. Er wollte dort nicht hineingehen, er wollte diese Männer nicht sehen. Draco wusste, dass er ebenso grün war wie Wurmschwanz. Wusste auch, dass in seinem Gesicht ebenso viel Angst zu lesen war wie in dem Gesicht des kleinen Mannes, der ihn geführt hatte. Doch was sollten Diskussionen? Voldemort hatte gesprochen und deswegen war zu handeln. Kein Befehl wurde in Frage gestellt, nie… wer wäre auch so dumm und leichtsinnig, so etwas zu wagen?
 

Ohne Wurmschwanz zu bitten, wusste der doch, wie er Draco helfen konnte. Er löschte die Fackeln, die er selbst zuvor entzündet hatte, als er in der versteckt liegenden Kammer gesucht hatte. Wenn Draco nicht hinsah, dann…nein, es brachte nichts, sich es etwas anderes einzureden. Es war schlimm. Es stank überwältigend, die Leichen hatten eine Konsistenz, die Draco noch nie zuvor gefühlt hatte. Am ehesten, erinnerten sie ihn an Schwämme, wenn sie auch nicht ganz so weich und natürlich nicht nass waren. Außerdem blätterten sie ab, verloren ihre Haut, wenn man sie aus dem Raum hinaus zog. Der feuchte Raum hatte zudem dafür gesorgt, dass die meisten noch erhaltenen Körperteile mit einer dicken Schicht Schimmel überzogen waren.
 

Einen nach dem anderen zogen sie heraus und legten die Leichen nebeneinander. Sie würden sie verbrennen, nachdem Wurmschwanz einen Reinigungszauber über das Verlies gesprochen hatte, um die nächsten Gefangenen dort etwas länger haltbar zu machen.
 

Schluck. Die Flasche fühlte sich ziemlich leicht an. Draco kippte zur Seite, als er den Kopf nach hinten legte, um noch etwas zu trinken, doch das kümmerte ihn nicht mehr. Vorhin hatte es ihn noch gestört, als er gemerkt hatte, wie müde er geworden war. Doch jetzt störte ihn das nicht mehr. Hier drinnen war es warm, er war müde und saß ausgesprochen bequem. Wenn Myrte jetzt kommen würde, sollte sie doch zur Abwechslung mal ein bisschen erzählen, er würde hier einfach sitzen und zuhören.
 

Draco wartete vor der Tür, während Wurmschwanz den Zauberspruch sprach. Seitlich gegen die Wand gelehnt. Auf diese Weise musste er die Leichen weder ansehen noch ihnen den Rücken zukehren. Nach einigen Minuten öffnete sich die Tür und Wurmschwanz kam heraus. Einen etwa dreijährigen kleinen Jungen, soviel war zumindest noch erkennbar, in den Armen.
 

Draco stockte der Atem, als er den kleinen Mann auf sich zukommen sah, der die Kinderleiche so behutsam trug, als könne er damit all das Leid, das dieses Kind vor seinem Tod hatte erdulden müssen, wieder gut machen. Wurmschwanz sah Draco ohne jede erkennbare Gefühlsregung in die Augen, als er mit tonloser Stimme erklärte: „Ich habe ihn vorhin nicht gesehen. Er lag ganz hinten in einer dunklen Ecke und… er ist ja so klein.“
 

Draco verzog das Gesicht und nickte. Wurmschwanz ging langsam an ihm vorbei, Schritt an den Toten entlang und legte das Kind zu einem Mann, der dem Aussehen nach – so weit es noch erkennbar war - vielleicht sein Vater hätte sein können. Er schleifte das Kind nicht, wie sie es mit den Männern getan hatten, sondern legte den Jungen so behutsam zu dem Mann, als wolle er nicht, dass sich das Kind wehtat. Draco war sicher, dass Wurmschwanz' Augen feucht waren, bevor sie von der hell aus dem Boden schießenden, weiß-gelben Stichflamme verdeckt wurden. Das Feuer fraß die Leichen schnell und rückstandslos auf. Eine besondere Art Feuer, Draco kannte den Spruch nicht, aber erinnerte sich dunkel, dass sein Vater über verschiedene Formen von Flammen in der dunklen Kunst geredet hatte. Weiß-gelbe Flammen, soviel meinte er sich zu erinnern, brannten, bis sie alles verzehrt hatten. Waren unlöschbar und ließen noch nicht einmal das kleinste Häufchen Staub zurück.
 

Es war schnell vorbei, das Kind war als erstes vom Feuer zerstört, danach die Männer. Eine Stunde nachdem Draco die Kerker betreten hatte, durfte er sie wieder verlassen. Während er durch die Tor des Manors ging, beschloss er, seine Familie ein andermal zu besuchen. Nicht allzu bald, nicht wenn er fürchten musste, das Wurmschwanz in seiner Gegenwart noch mehr Nicht-Vermisste fand.
 

Zurück im Verbotenen Wald fand er den richtigen Weg nicht mehr und geriet nicht nur zu tief ins Dickicht, sondern gleichzeitig auch in einen beängstigenden Streit mit drei Zentauren, die Draco ganz sicher mit ihren zum Anschlag gespannten Pfeilen beschossen hätten, wenn in diesem Moment nicht der Trottel Hagrid dazu gekommen wäre. Der Halbriese vertrieb die Zentauren mit der Androhung des Besuches seines Bruders. Draco kannte diesen Bruder nicht, war jedoch etwas erschüttert, dass es noch mehr Hagrids auf der Welt geben sollte. Warum erwiesen sich solche Vollidioten wie Hagrid oder Weasley nur so dermaßen zeugungsfreudig?

Es hatte ihn mehr als nur ein bischen Stolz gekostet, den Halbriesen nicht zu beleidigen, als er ihn hinauslotste. Für Dracos Verhältnisse ein Kompliment. Hagrid sah das anders und jagte ihn mit wüsten Beschimpfungen aus dem Wald hinaus, hinein ins Schloss.
 

Dort angekommen beschloss Draco sofort hinunter in die Slytherinkeller zu gehen, um sich umzuziehen. Der Geruch, er musste diesen Geruch loswerden. Das Mittagessen war längst vorbei und bald würde die nächste Stunde beginnen. Er fühlte sich nicht einmal ansatzweise dazu in der Lage, jetzt in einer Schulstunde auch nur physisch anwesend zu sein. Ihm war schlecht, er hatte Kopfschmerzen, zitterte und immer noch pochte sein Herz voller Angst. Angst, weil er fürchtete, dass Voldemort ihn zu sich gerufen hatte, um ihn zu warnen. Angst, weil er fürchtete, dass Voldemort ihm mit diesen Leichen hatte zeigen wollen was geschah, wenn er Leute nicht mehr brauchte. Angst, weil er sich fragte, wessen Aufgabe es gewesen wäre, diesen Menschen Wasser und Nahrung bringen. Angst, vor Gespenstern, die nun eventuell im Manor lauerten und Leute quälen würden, die ihre Existenz vergessen hatten.

Aber natürlich saß ihm auch noch der Schreck mit den Zentauren in den wackeligen Gliedern. Genau genommen bestand er nur aus Angst, offen gesagt schaffte er es kaum, seine Kleidung zu wechseln. Bei dem Versuch eine neue Hose anzuziehen, kippte er schlicht um.
 

Neben Zabinis Bett.
 

Unter dem die Flasche stand, die er eben mit einem tiefen Zug geleert hatte.
 

Draco schaffte es mittels eines Zauberspruches einen Trinkpokal in ein Kaninchen zu verwandeln, vermochte aber nicht, sich selbst auf dem gleichen Weg in eine vorzeigbare Erscheinung zu verwandeln.
 

Dracos Kopf rutschte an der Wand entlang. An der kühlen, gemütlichen Wand dieses beruhigend dunklen Jungenklos. Vielleicht hatte er ja wirklich etwas zu viel Whisky getrunken? Was kümmerte es ihn? Immerhin waren Kopfschmerzen und Angst weg, er hatte aufgehört zu zittern und nun glaubte er wieder in der Lage zu sein, McGonagalls Unterricht zu folgen.
 

Er musste ja nicht mitmachen. Nur hinsetzen und an seinem Tisch einschlafen. Guter Plan.
 

Es war nicht ganz so einfach aufzustehen, wie er erwartet hatte. Genau genommen war er doch etwas wackelig auf den Beinen, nach acht bis neun Versuchen schaffte er es aber doch. Immerhin, das war schnell genug. Er sah nicht mehr auf die Uhr. Die vielen Zeiger verwirrten ihn nur.
 

Die Tatsache, dass die Wand des Flurs so unerwartet nah an seiner Schulter war und man den ganzen Korridor etwa 30 Grad zur Seite gekippte hatte, so dass er sich nur noch an der Wand entlang schieben konnte, war auch nicht weiter beunruhigend. Hogwarts hatte sich selbst bewegende Treppen, nicht wahr? Nun hatte das Schloss eben auch auf und ab schwankende Gänge. Alles möglich.
 

Die Türklinke traf er relativ sicher, wenn er auch eher ins Zimmer hinein fiel als ging. Da er aber eh in der letzten Bankreihe saß fiel es auch kaum auf, dass er seinen Sitzplatz nicht gleich traf, als er versuchte sich hinzusetzen.
 

Das erste was er sah als er auf seinem Stuhl saß, waren Weasley, das Schlammblut und Potter, die ihn anstarrten, als wäre ER der Freak. Er grinste albern, zeigte ihnen den Stinkefinger und kippte mit dem Kopf auf den Tisch.
 

Vom Unterricht bekam er eigentlich gar nichts mit. Nicht weiter schlimm. Pansy strich über seinen Rücken und fragte ihn irgendetwas, aber er war müde und wollte jetzt nicht hören. Sie sollte nur schön weiterstreicheln, dann könnte er hier gemütlich einschlafen.
 

Wenn nicht Potter und Weasley wären, die sich über den Rücken des Schlammblutes hinweg ständig irgendetwas zutuschelten. Ganz sicher über ihn, er merkte doch, dass sie ihm immer wieder boshafte Blicke zuwarfen. Er konnte es sich schon denken, worüber sie redeten. Sie machten sich über seine Familie lustig. Darüber, wie lustig sie es doch fanden, dass Potter seinen Vater ins Gefängnis bekommen hatte und darüber, wie es den Malfoys jetzt ging. Genau, das würde Potter ähnlich sehen. Sich an seinem Elend zu weiden.
 

Draco richtete sich, soweit aktuell möglich, auf seinem Platz auf und starrte die beiden Jungen, die schräg vor ihm saßen, finster an.

Ganz sicher hatten sie alle anderen in der Klasse auch gegen ihn aufgestachelt, denn nun beäugten ihn von allen Seiten neugierige Schüler und Schülerinnen.
 

Sein Blick fiel auf das an seinem Platz hin und her rutschende Schlammblut. Hatte sie geredet? Hatte sie etwa erzählt, was sie bei ihm erlebt hatte? Bestürzt dachte er schon, dass sie ihren Freunden verraten hatte, dass er während dieses Winkelgassenangriffs zugesehen hatte als Greyback… und als Tonks kam…
 

Potter drehte sich zu ihm um und gaffte ihn an. Konnte er wissen…? Nein, Draco kicherte vor Erleichterung, als ihm einfiel, dass das Schlammblut ja bewusstlos gewesen war und ihn gar nicht gesehen haben konnte. Also gab es einen anderen Grund.
 

Sie tuschelten, alle tuschelten und er wusste auch worüber, über ihn. Langsam aber sicher wurde es Draco nicht nur warm, sondern richtig heiß. Ganz, ganz sicher hatte Potter allen, die hier saßen, erzählt, wie er ihn einmal mit der maulenden Myrte erwischt hatte. Ganz sicher hatte Weasley allen Leuten hier erzählt, was sein dusseliger Vater im Ministerium über Lucius gehört haben könnte. Womöglich lästerte sogar McGonagall selbst über ihn. Würde ihn nicht wundern, die drehte sich da vorne hin und her, und wenn er mal einen Gesichtsausdruck richtig deutlich erkennen konnte, war das eindeutig Verärgerung.
 

Seine Atmung beschleunigte sich. Er ballte die Fäuste und knackte drohend mit den Fingerknöcheln, als Pot-Head sich schon wieder zu ihm umdrehte.
 

Xxx
 

„Mr. Malfoy!“
 

McGonagall war eindeutig verstimmt. Hermine konnte es ihr nicht verdenken. Allein schon wie Malfoy aussah. Strähniges, feuchtes Haar klebte an seinem Kopf. Die Augen auf Halbmast, die Haltung schlaff und kraftlos kam er ins Zimmer getorkelt und hatte dabei einen Duft in den Saal gebracht, der in einer Hafenkneipe voller betrunkener Seemänner nicht hätte schlimmer sein können. Er hatte noch nicht mal den Hosenschlitz hochgezogen. Sie sah es ganz deutlich, als er mit einem lauten Knall neben seinem Stuhl landete.
 

Harry hatte als erster ausgesprochen, was die drei Freunde einstimmig gedacht hatten.
 

Malfoy war total blau!
 

Wie er schon dasaß. Hermine drehte sich zu Draco um, der ihr daraufhin den Stinkefinger zeigte. Sein Kopf und die Brust lagen auf der Tischblatte. Wenn sie richtig sah, dann sabberte er auch und murmelte mit halbgeschlossenen Augen irgendetwas, was vermutlich für Pansy bestimmt war. Pansys Gesichtsausdruck zufolge verstand diese aber auch nichts.
 

Ebenso wenig wie McGonagall, die ihn nun etwa zum hundertsten Mal ermahnte, sich gerade hinzusetzen. Pansy wurde es zu dumm, dass er nicht hörte. Sie packte Malfoys Arm, zerrte ihren Freund in eine gerade Sitzhaltung, worauf dieser sich überraschend schnell an der Tischkante festklammerte, um nicht nach hinten wegzukippen.
 

„Der ist total dicht“, raunte Ron zu Hermine und Harry gewandt. „Wisst ihr, Dad hat gesagt, dass er mit ein paar Kollegen von Lucius geredet hat. Wir wissen alle, dass er im Manor sitzt, aber nur ein oder zwei durften ihn besuchen. Die sagen, dass er ein totales Wrack ist, seit er aus Askaban draußen ist. Säuft den ganzen Tag...“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause und grinste böse in Richtung Malfoy. „Ich wette, Malfoy hat seinem Vater ein paar Flaschen Feuerwhisky geklaut, bevor er hierher kam.“
 

„Mr. Malfoy, würden Sie sich bitte endlich gerade und ruhig hinsetzen und Ihr Buch aufschlagen?“ McGonagall wartete nicht mehr darauf, dass Malfoy ihrem Befehl nachkommen würde. Mit einem Mund, so schmal wie eine Messerklinge, umschritt sie ihr Pult, um sich drohend vor der Klasse aufzubauen.
 

Einige andere Schüler kicherten leise, weil Malfoy einfach so ein lächerlicher Anblick war. Hermine dachte darüber nach, was Ron über Dracos Vater gesagt hatte. Er war eindeutig äußerlich verändert gewesen, als sie ihn an Voldemorts Seite im Salon der Malfoys hatte stehen sehen. Sie hatte auch Draco gesehen, wie er seinem Vater trotz alledem zuerst Hilfe suchend, dann beschämt angesehen hatte.
 

Draco, der seinen eben noch schlaffen Körper in eine halbwegs aufrechte Sitzposition drückte, wirkte mit einem Mal um einiges wacher und ein herausforderndes Grinsen, wuchs über sein Gesicht.
 

McGonagalls Augen verengten sich und sie musterte Draco durch ihre quadratische Brille.
 

Hermine drehte sich auf ihrem Stuhl zur Seite, so dass sie nun beide Enden des Raumes, McGonagall vorne am Lehrerpult und den schon wieder halb betäubt aussehenden Malfoy in der hinteren Reihe gut im Blick hatte.
 

Sie hörte McGonagalls feste Schritte näher kommen und sah die Professorin an sich vorbeigehen. Mit versteinerter Miene ging sie hinüber zu Malfoy und baute sich vor auf und stemmte die Hände in die Hüften. „Mr. Malfoy“, sagte sie schließlich mit lauter Stimme, die mühsam unterdrückten Zorn offenbarte, „haben Sie etwa Alkohol getrunken?“
 

Draco grinste McGonagall so breit an, dass selbst Hermine von ihrem Platz aus all seine Zähne sehen konnte. Dann, Hermine hielt den Atem an, hob Draco seine rechte Hand, reckte den Mittelfinger und hielt ihn McGonagall dicht vors Gesicht. Er drehte ihr sein knallrotes Gesicht zu und lallte mit schwerer Stimme: „Das geht dich einen Scheißdreck an. Fick dich doch, du alte Sabberhexe.“
 

Hermine wunderte sich, warum sie nicht empört war. Sie wunderte sich, dass es in der Klasse so still war, dass man eine auf den Boden schwebende Feder hätte hören können. Sie wunderte sich, dass McGonagall nur die Hände vor sich faltete und Malfoy irritiert ansah. Hermine drehte sich wie in Trance zu Ron neben ihr um, der McGonagall und Draco mit offenem Mund anstarrte. Harry neben ihm war die Brille heruntergerutscht, doch offenbar merkte er das nicht einmal. Hermine drehte sich so langsam wieder zur Klasse zurück, als würde sie sich unter Wasser bewegen. Unter Wasser, ja, das traf es gut. Alles nur noch abgeschwächt und gedämpft wahrnehmen.
 

Malfoy zog seinen Stinkefinger langsam unter McGonagalls Nase weg, legte den Kopf in den Nacken und musterte McGonagall mit einem prüfenden Blick. Dann, er legte die Hände auf den Tisch und stemmte sich hoch, drehte er sich voller Hass in den Augen zu McGonagall um.
 

Immer noch fühlte Hermine gar nichts, dachte gar nichts bis…
 

… Malfoy McGonagall im Genick packte, laut „Hörst du mich nicht? Verpiss dich, Alte!“ schrie und die Direktorin mit mehr Kraft, als Hermine, für möglich gehalten hätte nach vorne riss und mit dem Kopf auf sein Pult knallte.
 

Parvati und Seamus sprangen gleichzeitig auf, um McGonagall aufzuhelfen und von Draco wegzuziehen. Neville sprang auf und wollte sich auf Malfoy stürzen, doch wurde er ganz knapp von Goyle abgefangen, der sich über Malfoy warf, um ihn vor Neville zu schützen. Malfoy selbst kippte mitsamt dem Stuhl nach hinten und schlug mit dem Kopf auf den Boden, wo er reglos liegen blieb. Harry und Ron standen auf und zogen die Zauberstäbe. Harry war schneller um die Sitzreihen herum, weil er am äußeren Rand der Dreierreihe saß, wohingegen Ron erst über Harrys Stuhl klettern musste und Harry zur Hilfe eilte, der von einem Fäuste schwingenden Crabbe bedroht wurde.
 

Hermine biss auf die Lippen, faltete die Hände auf ihrem Schoß und versuchte sich selbst davon zu überzeugen, dass sie nicht geträumt hatte. Das war gar nicht so leicht, denn dem offensichtlichen Aufruhr in der Klasse zum Trotz war es doch eigentlich vollkommen unmöglich, dass Malfoy „Fick Dich“ zur Schulleiterin sagen würde und sie zusammenschlug.
 

Sie schätzte dass ihr Gesichtsausdruck dem von Luna Lovegood ähnelte, als sie mit interessiert aufmerksamen Blick Malfoy folgte, der sich langsam vom Boden hochrappelte.
 

Immer noch eher neugierig als verängstigt oder verwirrt, erhob sich Hermine langsam von ihrem Stuhl und ging auf die Gruppe Schüler zu, die sich um Professor McGonagall kümmerte. Die Professorin stand nach vorne gebeugt vor Lavender Brown und atmete schwer. Seit die ältere Frau unter Umbrigdes Verantwortung von vier Schockzaubern getroffen worden war, litt ihr Herz, wenn sie unter Stress stand, wie es gerade der Fall war.
 

Sie hob die Hand und wollte vorschlagen, dass man vielleicht Kingsley holen sollte, doch niemand beachtete sie. Crabbe hatte sich einen von Malfoys Armen über die Schulter gelegt und zog den torkelnden Draco beiseite. Malfoys Lippe war aufgeplatzt und geschwollen. Pansy tänzelte aufgeregt um Draco herum und bearbeitete Dracos Lippe mit ihrem Zauberstab, nicht ohne dabei pausenlos in schrill-nervtötender Stimme Verwünschungen gegen Ron und Harry auszustoßen.
 

Nicht gut. Ron war wütend. Sehr wütend. Neville und Harry hielten jeweils einen von Rons Armen gepackt und zogen ihn einige Schritte von Malfoy weg, um beide aus ihrer gegenseitigen Reichweite zu bringen.
 

Langsam beschleunigte sich die Welt um Hermine wieder. Schaltete von Zeitlupe um auf reale Geschwindigkeit. Sie hielt sich entsetzt die Hände vor dem Mund und eilte auf Ron zu, der sich unter Harrys und Nevilles Griffen wand und versuchte, sich zu befreien, um sich erneut auf den röchelnden Draco zu stürzten, der von der wütend Ron verfluchenden Pansy betüttelt wurde.
 

Malfoy selbst hatte Pansy beiseite geschoben und sich stattdessen Crabbe und Goyle an seine Seite geholt (um einen der Beiden hatte er einen Arm geschlungen, um sicherer stehen zu können) und beschimpfte abwechselnd Ron und Harry mit albernen, betrunkenen, komplett sinnlosen Anschuldigungen. Dinge, die vielleicht schon Jahre zurück lagen und Malfoy jetzt wieder in seinem umnebelten Gehirn waberten.
 

Hermine riss sich von Dracos Anblick los und eilte zu Ron, dem sie besänftigend die Hände aufs Gesicht legte und sanft zu beschwichtigen versuchte. „Beruhige dich Ron, der ist doch nur besoffen. Riech doch mal. Selbst von hier stinkt er wie eine laufende Whiskydestille.“ Hermine schnupperte unweigerlich selbst und würgte, denn sie hatte nicht übertrieben. Schwer verständlich, warum McGonagall Malfoy überhaupt gefragt hatte, ob er getrunken hatte, denn der scharfe Geruch hochprozentigen Alkohols war selbst hier atemraubend.
 

Ron atmete immer noch heftig, doch verlangsamten sich seine Bewegungen etwas. Doch immer noch war er zornig, rasend und kurz vor einem erneuten Ausbruch verletzter, lange aufgestauter unbändiger Wut. „Du hast Recht. Er stinkt“, brüllte Ron einiges lauter, als Hermine lieb war. Ron grinste böse und brüllte so laut, dass selbst Malfoy still wurde um Ron zuzuhören. Hey, Malfoy!“
 

„Nicht, Ron, lass es“, flehte Hermine leise und auch Harry flüsterte eindringlich: „Ignorieren, du kriegst am Ende nur Ärger“.
 

Malfoy selbst ließ von Crabbe und Goyle ab und ging leicht schwankend auf Ron zu. Hermine erschrak, als sie feststellte, dass Malfoy aus der Nähe noch viel schlimmer stank und noch kaputter aussah, als es von ihrem Sitzplatz aus schon unbestreitbar zu erkennen war. Er taumelte auf Ron zu, und legte ihm einen Arm um die Schulter als wolle er ihn küssen, doch wahrscheinlich suchte er nur Halt, um nicht nach vorne umzukippen. „Was willst du denn, du Penner?“ Er drehte seinen Kopf zu Harry, lehnte seinen Kopf dabei achtlos gegen Rons Stirn und lallte voll bösem Vergnügen in der Stimme. „Hey, Potter, weißt du, was ich bin?“
 

Ron stieß entwand sich endgültig Harrys und Nevilles Griffen und packte Malfoy am Kragen und grinste ihn in einer Art an, die einfach nur Unglück bringen konnte. „Hey, Malfoy, lass gut sein. Wir wissen schon, was du und dein Versager-Vater seid.“
 

Malfoys ohnehin schon rotes Gesicht wurde um einige Nuancen dunkler, die herabhängenden Augenlider wurden weit aufgerissen und mit einem Mal schien er wieder vollkommen wach, als er Ron am Kragen packte und ihn zu sich heranzog. „Was hast du gesagt?“
 

„Ron!“, jammerte Hermine erneut, doch Ron winkte ihr genervt mit der Hand ab und packte Malfoy seinerseits am Kragen und zischte mit tiefster Befriedigung in der Stimme. „Du hast mich schon gehört. Mein Vater weiß Geschichten von deinem… ist nicht mehr viel mit ihm los, oder? Sitzt den ganzen Tag nur zuhause und säuft und…“
 

„Ron!“
 

Bevor Hermines entsetzter Schrei verhallte, hörte sie ein ekelerregendes Knacken, als Malfoys Faust auf Rons Nase traf. Schneller als Neville Ron auffangen konnte, schneller als Goyle und Crabbe zu Malfoy eilen konnten (um ihn festzuhalten oder ihn zu unterstützen?) und noch schneller als Harry sich seinerseits auf Malfoy werfen konnte, sprang Malfoy über den gestürzten Ron, trat ihm mit aller Wucht in die Rippen und brüllte laut und irre wie ein Geisteskranker: „Du Drecksau! Ich mach dich kalt! Ich bring dich um!“
 

Hermine weinte und überlegte gar nicht erst, bevor sie Malfoys Arme packte und versuchte, ihn wegzureißen. Malfoy schüttelte sie mit der Kraft eines Wahnsinnigen mit einem einzigen Schlag ab und schon wieder trat er Ron auf die Rippen, in den Magen und ins Gesicht. Und immer, immer, immer schrie er dabei so laut, was Hermine in diesem Moment für seine wahre Absicht hielt: „Ich mach dich kalt! Ich hab Leute für viel weniger umgebracht!“
 

Selbst die Slytherins gerieten ihn Panik, als das Geräusch brechender Knochen erneut erklang. Harry zögerte einen Moment, musste erst überlegen, wie er Malfoy stoppen sollte.
 

Doch schneller als Hermine fähig war „Hilfe!“ zu schreien, sprang Harry über die Bank hinter Malfoy, packte seine Handgelenke und drehte ihm beide Arme auf den Rücken. Malfoy schrie auf vor Schmerz und Wut, zappelte, wand sich und versuchte, Harry abzuschütteln, doch der war stärker als gedacht und schaffte es, Draco von Ron wegzuziehen. Hermine folgte Neville, der neben Ron in die Knie ging.
 

Sie sah Harry und Draco nicht mehr, doch eiskalte Schauer liefen ihr über den Rücken, während sie den beiden Jungen zuhörte. Hermine schrie vor Schmerz auf, als sie einer von Malfoys Füßen am Hinterkopf traf. Sie hielt sich mit beiden Händen den Kopf und drehte sich um.

Harry hatte Malfoy im Schwitzkasten und war mit ihm in die Knie gegangen. Malfoy wehrte sich mit aller Macht und versuchte, sich wie ein Ringer aus Harrys Griff herauszuwinden.

Harry war vor Anstrengung mittlerweile ebenso rot wie Malfoy, er schwitzte und schrie mit verzweifelter Stimme: „Kann ihn nicht irgendjemand endlich schocken? Ich kann ihn nicht mehr lange halten.“
 

Hermine wusste, dass das stimmte, sie sah, wie Harrys Hände immer weiter abzurutschen. Harry bewegte sich gemeinsam mit dem nach allen Seiten um sich tretenden Draco um die eigene Achse. Malfoy würde bald gewinnen. Er war nicht nur größer als Harry, sondern zumindest in diesem Moment eindeutig der Stärkere.
 

Aber niemand unternahm etwas, sie standen alle nur da und starrten, fassungslos und konnten einfach nicht glauben, was sie sahen. Malfoys Augen waren blutunterlaufen, weit aufgerissen und wahnsinnig. Wut, Alkohol und der Hass auf Harry verliehen ihm mehr Kraft als Malfoy, der sonst immer andere für sich zu Prügeleien geschickt hatte, je an den Tag gelegt hatte. Er warf sich herum und Harry fiel über seine Schulter. Mit einem Triumphschrei setzte sich Malfoy auf Harry und packte mit beiden Händen seine Kehle und zog dessen Kopf hoch. „Jetzt bist du fällig, Potter! Du bist der Nächste! Ich werde dich…“
 

Doch niemand erfuhr, was Draco mit Harry vorhatte, denn wie aus dem Nichts erschien Kingsley hinter ihm, riss Draco an den Haaren in die Höhe und legte ihm mit der Geschmeidigkeit und Stärke eines geübten Auroren innerhalb von Sekunden magische Fesseln an, die seine Arme hinter dem Rücken verschränkten.
 

Kingsley, hünenhaft und stark, packte den schmächtigen, tobenden Jungen am Kragen und zog Draco mit sich zur Tür. Hermine sah, wie Pansy ihnen einige Schritte folgte, dann aber stehen blieb und eine Miene aufsetzte, die sowohl Scham als auch Sorge ausdrückte.
 

Kurz vor der Tür blieb er stehen, achtete nicht darauf, dass der um sich tretende Malfoy das Holz der Tür zum zersplittern brachte, sondern drehte sich zur Klasse um und befahl: „Nun holen Sie doch endlich Madame Pomfrey. Mr. Weasley muss sofort in den Krankenflügel!“
 

Dann waren sie weg und die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss, doch immer noch hörte Hermine Malfoy brüllen. Keine Drohungen mehr, überhaupt keine Worte, nur noch die lang gezogenen, tierischen Schreie eines Wahnsinnigen.
 

Harry neben ihr stand hustend auf und ging leicht taumelnd zu Professor McGonagall, die sich soweit beruhigt hatte, dass sie sich um Neville kümmern konnte. Gemeinsam gingen sie vor Ron in die Knie und beugten sich mit besorgten Mienen über die reglose Gestalt am Boden.
 

Crabbe und Goyle tuschelten leise und packten Malfoys Feder und Tinte in dessen Tasche zurück. Pansy, leichenblass und still, schlich zu den anderen Slytherins hinüber und setzte sich mit ausdrucksloser Miene neben Blaise, der ihr daraufhin mitfühlend die Hand auf die Schulter legte.
 

Einige andere Schüler, die langsam aus ihrem Schock erwachten, taten es Crabbe und Goyle gleich und begannen das Chaos, das Malfoy verursacht hatte, aufzuräumen.
 

„Miss Granger!“ Hermine zuckte aus ihren Gedanken gerissen zusammen und drehte sich zu McGonagall um. „Ja?“
 

„Gehen Sie und holen Sie Madame Pompfrey! Bitte!“
 

Hermine nickte und ging zur Tür. Schwer atmend, komplett verwirrt und voll Sorge.
 

„Beeilung!“
 

McGonagalls Befehl schmerzte wie eine Ohrfeige. Sie drehte sich noch einmal und sah McGonagall, die Ron das Hemd geöffnet hatte und einige Heilzauber über ihn sprach. Selbst von hier aus sah sie die tiefdunklen Blutergüsse, die sich auf Rons Brust gebildet hatten. An einer Stelle, Hermine klammerte sich an einem Tisch fest um nicht umzukippen, konnte sie eine kleine Erhebung unter der Haut sehen wo sich etwas Spitzes von der Größe einer Daumenkuppe durch Rons Haut hindurch nach oben bohrte. Eine Rippe.
 

Schnell, sie musste schnell sein. Geschockt und betäubt, im nächsten Moment voll Unruhe und Panik stürzte sie zur Tür, riss diese auf und rannte, so schnell sie konnte, den Gang hinunter. Machte nicht einmal langsamer, als sie sah, das Kingsley neben Malfoy kniete, der nur wenige Meter neben der Tür zusammengebrochen war und schwallartig große Mengen einer nach Alkohol und Magensäure stinkenden Flüssigkeit erbrach.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Omama63
2012-06-20T15:45:42+00:00 20.06.2012 17:45
Ein klasse Kapitel.
Das wird dem dunklen Lord nicht gefallen, dass Draco sich so aufführt. Der hat ihm doch gesagt er soll sich unauffällig benehmen.
Es wäre wohl besser gewesen, wenn er nicht bei der Leichenbeseitigung dabei gewesen wäre. Langsam aber sicher wird Draco wahnsinnig.
Bin schon gespannt, welche Folgen das für ihn hat.


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