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Alles Trans* normal

von

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Ich hatte den Schock der Nachricht noch nicht wirklich verdaut. Den ganzen Tag über hatte ich dieses Kribbeln in der Magengegend. Und mich quälten Fragen. Diese verfluchten Fragen, die mich schon mein ganzes Leben verfolgten.

Wirke ich zu weiblich? Was ist, wenn ich ihm doch nicht Mann genug bin? Was ist, wenn er meine schiefen Zähne sieht? Meine komischen Füße? Meine Stimme hört (wir hatten sehr oft telefoniert, aber in echt hört sich nunmal alles anders an)?

Diese und mehr Fragen trieben mich in den Wahnsinn. Ich lief den ganzen Tag über von einem Raum zum nächsten, duschte zweimal um sicher zu gehen, dass ich nicht irgendwie stank. Wechselte vier Mal die Klamotten um sicher zu gehen, dass man auch nichts sah. Mein Brustbinder, den mir Yoon geschickt hatte, war nämlich etwas ausgeleiert und ich hatte keine Ahnung, wie man sowas waschen sollte.

Ich war zwar inzwischen bei meiner Mutter geoutet als Transsexuell, aber ich traute mich trotzdem nicht, sie danach zu fragen. Hätte ich es bloß getan!

Ich wechselte viele SMS mit Yoon. Er war auf dem Weg. Er wohnte in Brandenburg, ich in Niedersachsen. Deswegen fuhr er eine Weile.

Irgendwie machte es das noch schlimmer. Ich wollte den ersten Moment so schnell wie möglich hinter mich bringen – denn das würde der sein, in dem mein Herz wieder einen Aussetzer machen würde. Ich wusste beim besten Willen nicht, was ich tun würde. Ob ich erstarren würde, wie eine Statue und ihn einfach nur anglotze (was sehr peinlich wäre), oder lache, was ich immer tue, wenn ich extrem nervös bin (noch peinlicher) oder ob ich alle meine Fragen, Ängste und Zweifel beiseite schieben konnte und ihn einfach in den Arm nehmen und küssen würde (perfekt!).

Irgendwann zwischen dem ersten Mal duschen und dem zweiten Mal umziehen setzte ich mich ins Wohnzimmer zu meiner Mutter. Sie fand es nicht gut, dass ich so spontan wegfuhr. Aber das war mir natürlich egal. Ich wollte Yoon sehen. Mehr als alles andere. Und hier weg wollte ich auch.

Mal ehrlich, was für Perspektiven hatte ich hier schon? Mein Leben bestand darin bis mittags zu schlafen, den PC anzumachen, vielleicht (vielleicht aber auch nicht) etwas zu Essen, abends meine Weinflasche zu leeren und dann schlafen zu gehen.

Das war kein Leben, das war nur existieren. Ich hoffte einfach, dass das mit Yoon enden würde, dass ich durch ihn endlich zu leben anfangen konnte. Nicht nur, weil ich ihn schon dort abgöttisch liebte, sondern auch, weil er wusste, was ich tun musste, um meine Sehnsucht nach einem männlichen Dasein zu stillen.

Er war nämlich schon länger in dem Prozess. Er bekam Testosteron und würde in einem halben Jahr bereits die Brust-OP haben (Mastektomie). Er hatte seinen Stimmbruch schon, das hörte ich bei unseren vielen Telefonaten. Er war deshalb nicht nur in einer Hinsicht der Strohhalm, an den ich mich klammerte.

Die Stunden vergingen grausam langsam. Yoon hielt mich auf dem Laufenden, wo sie gerade waren und wie lange es noch dauern würde. Aus unerfindlichen Gründen sank meine Nervosität ab einem gewissen Punkt wieder. Ich dachte, das sei alles nur ein Traum. Es kam mir unreal und befremdlich vor, als sei ich nur der Zuschauer und es beträfe mich selbst gar nicht. Ich redete mit meiner Mutter darüber, dass ich höchstens zwei Wochen wegbleiben würde, dass sie sich um meine heißgeliebten Haustiere (zwei Meerschweinchendamen) kümmern sollte und ob ich vorher vielleicht noch was essen sollte.

Meine Tante rief sie an. Hätte sie dieses Gespräch doch nur einen Tag später geführt. Es war Tante Janine, die sehr korpulente (wenn ich das mal so sagen darf) Schwester meiner Mutter. Warum sie auf Lautsprecher gemacht hat, weiß ich nicht, aber ich hätte mir gewünscht, sie hätte es einfach nicht getan.

Denn Janine meckerte ziemlich offenherzig über mich. Dass ich meiner Mutter auf der Nase herumtanzen würde – denn ich ging weder arbeiten, noch machte ich Schule, noch half ich im Haushalt. Ich hörte nur zu und mir wurde irgendwie kalt. Denn ich hatte Tante Janine schon seit fast 3 oder 4 Jahren nicht mehr gesehen. Ich hatte seitdem auch kein Wort mehr mit ihr gesprochen. Und nun durfte ich mir anhören, was sie zu meiner Situation meinte. Dabei hatte sie doch keinen blassen Schimmer.

Ich hielt den Mund – wie immer. Eine ziemlich schlechte Angewohnheit, wie ich inzwischen finde.

Irgendwie verdunkelte das den Tag. Meine Mutter nahm mich zwar wenigstens halbherzig in Schutz, aber das spielte keine Rolle. Ich hasste es einfach, wenn Leute über mich sprachen, ohne eine Ahnung zu haben, was überhaupt los war.

Ich verbrachte die restliche Stunde, bevor Yoon bei uns ankam, damit darüber nachzudenken, ob ich wirklich so ein Stück assoziales Dreck wäre, wie so viele behaupteten. Bis die SMS kam, dass sie in 5 Minuten da wären. Fast augenblicklich verschwanden diese dunklen Gedanken, als hätte jemand sie einfach zerplatzen lassen. Ich sprang auf und holte meinen Koffer, den meine Mutter gepackt hatte (sie hat sich nicht aufhalten lassen) aus dem Zimmer. Stellte ihn in den Flur und zog mich das vierte Mal um.

Gerade noch rechtzeitig. Denn sie waren auch schon da. Es klingelte und ich drückte den Summer. Das Kribbeln in meinem Bauch war aufs unermessliche angestiegen. Jetzt würde ich ihn sehen, nach 11 Monaten chatten und telefonieren. Ich hatte irgendwie Angst, dass mir schlecht werden würde. Und in bruchteilen von Sekunden flogen Bilder vor meinem geistigen Auge vorbei. Bilder von allen Möglichkeiten, wie ich reagiere, wenn ich ihn sehe.

Ich stand im Treppenhaus, hörte ziemlich viele Schuhpaare die Treppe heraufkommen. Erst sah ich seine beste Freundin – Daniela. Sie hatte in etwa die gleiche Statur wie oben genannte Tante. Ich sah sie mir aber nur eine Sekunde lang an. Denn dann sah ich Yoons Haarschopf. Mein Herz blieb stehen, wie ich es vorausgesehen hatte. Er drehte den Kopf zu mir und lächelte oder lachte, oder beides. Ich machte einen Schritt rückwärts, erstens aus Überraschung – denn das war nun eindeutig kein Traum. Er war wirklich da, er lächelte mich an, lachte und kam zu mir die Treppe hinauf. Und zweitens vor Schreck. Nicht etwa, weil ich es schrecklich fand, dass er nun da war und es echt war. Nein, ich hatte wieder all die Fragen im Kopf. Und ich hatte Angst vor den Antworten.

Doch als er bei mir ankam, nahmen wir uns in die Arme. Ich hatte Angst, ich müsste weinen, aber ich bin ziemlich gut darin, es zu unterdrücken. Das Kribbeln in meinem Bauch war nun ein Schmetterlingsschwarm geworden. Ich drückte ihn an mich. Und für diesen Augenblick, in dem wir uns zum ersten Mal berührten, schwiegen die Fragen und Zweifel.

Später erst dachte ich darüber nach, ob er vielleicht durch meinen ausgeleierten Brustbinder etwas gespürt hat. Aber in dem Moment war mir das schlichtweg egal.

Wir küssten uns dort nicht. Ich hatte nicht den Mut dazu. Und er wahrscheinlich auch nicht. Außer seiner besten Freundin war noch seine Stiefmutter dabei. Sein Vater war unten im Wagen geblieben.

Alle drei gingen aufs Klo, bevor ich mit ihnen runter ging.

Nun ja, zumindest der Teil mit dem Umarmen war ja perfekt gelaufen – nur alles andere nicht! Ich bekam einfach keinen Ton raus. Gott, habe ich mich dafür gehasst. Ich lernte seinen Vater kennen, er begrüßte mich fast überschwenglich. Dann saß ich hinter dem Fahrersitz eng gequetscht an Yoon. Seine Freundin saß auf der anderen Seite.

Ich schwieg und er schwieg. Ab und an versuchte seine Freundin ein Gespräch anzufangen. Aber ich war völlig überfordert. Das Kribbeln hatte keinen deut nachgelassen, wurde eher schlimmer. Und jetzt wurde mir wirklich schlecht. Aber das konnte auch am Autofahren liegen. Mir wurde dabei immer schlecht.

Wir saßen so dicht beieinander. Es war unglaublich. Eben noch hunderte von Kilometern getrennt und nun saßen wie eingequetscht hinten im Auto. Ich war glücklich und gleichzeitig hatte ich Angst. Angst vor den Antworten auf die Fragen.

Wir hielten nach gefühlten 3 Stunden an einem McDonalds um uns zu stärken. Ich musste erst mal eine rauchen. Mir wurde irgendwie schwindelig davon, als wär das meine erste Kippe gewesen. Vielleicht war ich aber auch im Liebestaumel.

Essen konnte ich irgendwie auch nicht. Ich hatte zwar Angst, irgendwer von ihnen würde denken ich sei Magersüchtig (außer Yoon, der wusste ja, wie es um mich gestanden hatte), aber ich bekam einfach nichts runter. Außer den Kaffee, den mir seine Stiefmutter Svenja ausgegeben hatte. Irgendwer wies mich darauf hin, dass ich ziemlich finster drein schaute. Das fiel mir gar nicht auf, irgendwie war das mein normaler Gesichtsausdruck gewesen. Selbst als ich ein kleines Kind war, sagte meine Uroma immer: "Johanna, nun guck doch nicht so ernst!"

Ob ich diesen Namen jemals in dem Personenkreis hier hören würde?

Zumindest hatte Yoons Vater mich sofort Mike genannt. Aber vielleicht wusste er schlichtweg meinen... richtigen? Falschen? Weiblichen? Namen nicht.

Ich weiß nicht mehr, was wir am Tisch auf der Außenterasse des McDonalds Restaurants geredet haben – oder eher was die anderen geredet hatten – denn ich war viel zu sehr damit beschäftigt Yoon anzustarren. Er war unglaublich schön! Er hatte Rehbraune Augen, eine sehr schöne Hautfarbe, alle im Gesicht war da, wo es sein sollte. Er war klein (leider genauso groß wie ich – das störte mich, denn ich wollte größer sein als er) und zierlich. Genau das, was ich wollte.

Wir fuhren weiter. Irgendwann wurde ich sehr müde, ich hatte die Nacht immerhin nicht geschlafen. Ich senkte meinen Kopf etwas in Yoons Richtung und er darauf gleich seinen in meine. Sein Kopf ruhte dann auf meiner Schulter. Das Gefühl war einfach unbeschreiblich. Ich legte meinen Kopf auf seinen und schloss die Augen.

Ich konnte so nicht schlafen, denn ich wollte diese Nähe genießen. Ich konzentrierte mich so sehr darauf, wie er atmete und sich bewegte, dass die restliche Fahrt wie im Flug verging.

Als wir bei seinem Vater ankamen war ich etwas platt. Yoon hatte mir von dem Grundstück seines Vaters erzählt. Und ich in meiner dämlichen Art hatte daraus eine Luxusvilla in Gedanken gebaut. Ich dachte, sie hätten ein riesiges Haus mit Garten, einem großen Wohnzimmer und schicker Küche. Und ich dachte, der Wohnwagen, in dem wir demnächst wohnen würden, wäre um einiges größer.

Aber das war natürlich meine eigene Schuld, ich hatte zu viel Phantasie.

In Wirklichkeit war es ein relaitv kleines Grundstück und die 'Villa' nur ein Bungalow. Ein Flur der ins Bad und in die Küche führte. Das Bad hatte nur einen Vorhang als Tür, es war eine Badewanne darin, die man anscheinend nicht benutzen konnte. Und ein Klo. Die Küche war schon groß, aber auch nicht die hochmoderne, die ich mir vorgestellt hatte. Durch die Küche kam man in das Schlaf- und Wohnzimmer.

Ansonsten war das Grundstück Sand mit Rasen. Es stand viel Müll an den Seiten, die seine Eltern verkauften. Ein Tisch mit Stühlen drum herum. Und am Zaun etwas neben der Einfahrt stand der kleine Wohnwagen.

Wir waren gerade angekommen, da musste Yoon mit seiner Freundin und seinem Vater wieder weiter. Denn er wollte genau heute mit seinem Ehemann Dennis Schluss machen. Ich hatte Angst, wie fast die ganze Zeit. Vielleicht überlegte es sich Yoon doch noch anders. Vielleicht war ich nicht das, was er erwartet hatte?

Ich sah sie wegfahren und war mit Svenja alleine. Seine Stiefmutter redete etwas mit mir über Dennis. Dass sie es gut fand, dass Yoon sich nun von ihm trennte. Sie fand es ungeheuerlich, dass Dennis in Yoons Privatsachen herumschnüffelte und wie er mit ihm umsprang. Ich pflichtete ihr bei und wartete ungeduldig.

Yoon war ziemlich lange weg, oder zumindest kam es mir so vor. Ich stand Ängste aus, das glaubt mir keiner. Ich hatte Angst, ich müsse sofort wieder nach Hause. Oder dass er sich nicht traut, Dennis die Wahrheit zu sagen. Oder (und das wäre das Schlimmste gewesen) Dennis würde ihm etwas antun aus verletztem Stolz.

Spät am Abend kam dann eine SMS von Yoon.

"Wir sind auf dem Rückweg. Ich habe mich für dich entschieden. Und ich muss dir noch was sagen."

Der letzte Teil jagte mir einen echten Schrecken ein, auch wenn die ersten beiden Sätze nur gutes erahnen ließen. Ich fragte ihn, was er mir denn sagen müsse. Doch er antwortete, dass er mir das gleich sagt, wenn sie wieder da waren.

Er brachte einige Kartons mit. Wir trugen sie in den kleinen Bungalow und redeten anschließend draußen an dem Tisch miteinander. Er wollte, dass ich länger bliebe. Bis zum Ende einer Anime Convetion. Er war ein richtiger, kleiner Mangafreak, was ich irgendwie ziemlich niedlich fand. Und mir kam es nur Recht, wenn ich länger bleiben konnte.

Ich freute mich unglaublich. Ich konnte es dort noch nicht so wirklich zeigen, weil meine Ängste und Zweifel mich immer noch umtrieben. Aber ich glaube, Yoon wusste, wieviel mir das bedeutete.

Jeder Tag, den ich mehr bei ihm blieb, verstärkten meine Gefühle zu ihm. Und gleichzeitig schwanden nach und nach alle Fragen. Jede einzelne.

Heute habe ich keine einzige mehr, nicht bei ihm. Er liebt mich, ich liebe ihn. So einfach ist das. Er sieht mich als das, was ich bin. Als Mike! Und etwas schöneres kann es für mich nicht geben.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  jaceupinspace
2014-08-12T18:30:44+00:00 12.08.2014 20:30
oh Gott ich heul gleich *-* bedingungslose liebe und es ist so schön geschrieben dass es mir fast unangenehm ist hier zu kommentieren weil es so...nicht privat(also doch schon, aber sonst hättet man es ja nicht ins Netz gestellt, wenn man nicht will dass es gelesen wird)...so ergreifend ist. :) Entschuldigung
Von: abgemeldet
2011-12-12T13:25:29+00:00 12.12.2011 14:25
*smile*
Du kannst so gut schreiben,
bin froh das es heute weiter geht~
*kicha*
Will weiter lesen auch wenn ich weiß was alles passiert ^^


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