Zum Inhalt der Seite

Nix Rubra

- Roter Schnee -
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Verlust

A/N: Einen frohen dritten Advent, die Herrschaften, wenn auch leider etwas verspätet. Ich hoffe, ihr hattet trotzdem alle einen erfreulichen Adventssonntag. Achtung, letzte Warnung an alle sensiblen Leser: Es wird hässlich. Please consider yourself warned.

Sincerely, genek.
 

--------------------
 

Shirō seufzte und trat den glühenden Zigarettenstummel mit dem Stiefelabsatz im Schnee aus. In der Ferne konnte er die Kirchenglocken der Kapelle die Viertelstunde schlagen hören, es war nun bereits Viertel nach zwei, und Langley war noch nicht zur Wirtschaft zurück gekehrt. Nachdem Beljajew ihnen von den verschwundenen Ziegen erzählt hatte, hatten sie zunächst eine Weile versucht, aus den diversen Fakten eine schlüssige Theorie zu formen, bis sie schließlich eingesehen hatten, dass es bei ihrem momentanen Wissenstands schlichtweg nicht möglich war, Genaueres fest zu stellen. Es gab eine Menge dämonischer Wesen, die Tiere oder Menschen angriffen oder sogar fraßen, normalerweise wurden solch gefährliche Kreaturen jedoch sehr schnell vom Orden ausfindig gemacht und eliminiert. Zudem sprach der Umstand, dass keinerlei Spuren gefunden worden waren gegen eine gefräßige dämonische Bestie, die sich nicht unter Kontrolle hatte, und das Fehlen anderer niedriger Dämonen stellte ein genauso großes Rätsel dar. Die ganze Angelegenheit war frustrierend widersprüchlich.

Shirō legte den Kopf in den Nacken und starrte nachdenklich in den Himmel. Der strahlende Sonnenschein des Morgens war einer sich nach und nach verdichtenden grau-schwarzen Wolkendecke gewichen, unter dieser Beleuchtung wirkte die Stadt düster und trostlos.

Shirō hörte die Eingangstür aufgehen und wandte sich um. Mihailov, der Wirt, trat zu ihm und warf ebenfalls einen Blick gen Himmel.

„Sieht nach schwereren Schneefällen aus“, meinte er nachdenklich.

„Man sollte meinen, hier liegt schon genug von dem Zeug“, antworte Shirō trocken. Was auch immer sie da suchten, in einem Schneesturm würde es sicherlich schwieriger werden, es zu finden, dementsprechend wenig begeistert war er von dieser Vorhersage.

„Meister Beljajew macht sich Sorgen um Meister Langley“, sprach dann Mihailov sein eigentliches Anliegen aus.

„Jaah, wahrscheinlich ist er mittlerweile schon von einem Dämon gefressen worden.“

„Bitte?!“ Mihailov starrte ihn fassungslos an. Shirō grinste nur und schlug dem Mann jovial auf die Schulter.

„War ein Scherz, war ein Scherz. Langley ist schon länger beim Orden als ich, um den würde ich mir mal keine Sorgen machen. Wahrscheinlich hat er eine Spur gefunden und ist ihr gleich allein nachgegangen, er scheint nicht so der Teammensch zu sein.“

„Meinen Sie wirklich?“

„Ich bin mir sicher“, antwortete Shirō im Brustton der Überzeugung. Mihailov musste ja nicht unbedingt wissen, dass er sich ebenfalls allmählich etwas Sorgen machte. Immerhin war Chekov auch ein Second First Class gewesen, also hätte eigentlich nichts in der Lage sein sollen, ihn so mir nichts dir nichts zu erledigen.

Mihailov lächelte erleichtert.

„Das ist schön zu hören. Es wäre furchtbar, wenn noch ein Exorzist in unserer Stadt sterben würde.“
 

Shirō fragte sich unwillkürlich, ob Mihailov sich wirklich Sorgen um ihr Wohlergehen oder nur um den Ruf der Stadt machte, schalt sich aber gleich darauf für seinen Zynismus. Die wenigsten Menschen hatten eine akkurate Vorstellung davon, was ihr Beruf wirklich für Gefahren beinhaltete, wie viele von ihnen jährlich ihr Leben dafür ließen, die nichtsahnende Bevölkerung vor allerlei Bedrohungen aus Gehenna zu schützen und wie wenig Dank ihnen dafür entgegen gebracht wurde. Für die Meisten waren Exorzisten etwas wie psychotische, fanatische Phantasiegestalten, die nicht existente Wesen aus Menschen austreiben sollten, um ihr Seelenheil für die Kirche zu retten. Für die Menschen, die nicht in der Lage waren, Dämonen und Übernatürliches wahrzunehmen, war es oftmals schlicht unmöglich, die Realität anzuzweifeln, die für sie selbstverständlich war. Nur die wenigsten Laien entschlossen sich, den Pfad der Exorzisten einzuschlagen. Manchmal beneidete Shirō diejenigen, die aufwachsen konnten, ohne all dies mitzubekommen. Ihm selber war nie eine Wahl geblieben, er hatte eine Mashō gehabt, seit er sich erinnern konnte, er hatte sein ganzes Leben schon Dinge gesehen, die den Meisten verborgen blieben. Doch meistens war er froh darüber, dass er nicht im Ungewissen leben musste, dass er wusste, was sich dort draußen befand, und vor allem, dass er in der Lage war, es zu bekämpfen – was auch immer es sein sollte.

„Ich werde mit Beljajew reden“, sagte er so nur schlicht, und wollte um Mihailov herum zurück ins Gasthaus gehen, als unter wütendem Krächzen mehrere Krähen vom Hausdach stürzten und erst knapp über ihren Köpfen abdrehten und sich zu einem größeren Schwarm gesellten, der über der Stadt seine Kreise zog.

„Verdammte Biester“, schnaube Shirō und starrte ihnen wütend hinterher.

„Normalerweise haben wir nicht so viele Krähen hier, der Winter muss sie in die Stadt treiben“, meinte Mihailov nachdenklich. „Rabenvögel sind ein schlechtes Omen.“

Shirō grinste bloß.

„Sag bloß, du bist abergläubisch? Kann ich mir bei meinem Job nicht leisten.“
 

Mihailov hatte nicht übertrieben. Beljajew wirkte für seine Verhältnisse wirklich ziemlich angespannt, was sich darin zeigte, dass sein Lächeln etwas dünner ausfiel als üblich als Shirō den Raum betrat. Mephisto hingegen wirkte wie gewöhnlich wie die Ruhe selbst. Er war in der Zwischenzeit offenkundig dazu übergegangen, aus eingewickelten Toffees eine Pyramide zu erbauen. Sie hatte bereits eine stattliche Größe erreicht.

„Was sollen wir jetzt machen, Fujimoto?“ Beljajew war aufgesprungen, offenkundig mehr als nur bereit, sofort auszurücken.

Shirō hob beschwichtigend beide Hände.

„Jetzt planlos in der Stadt rumrennen und Langley zu suchen bringt uns gar nichts. Langley ist ein erwachsener Mann, er wird schon nichts Dämliches anstellen.“

„Ehrlich gesagt ist er einer von genau der Sorte Männer, um die man sich in dieser Hinsicht Sorgen machen sollte“, warf Mephisto mit einem anzüglichen Grinsen ein.

„Ach halt die Klappe“, murrte Shirō nur.

Beljajew sah offenkundig verwirrt zwischen ihnen beiden hin und her, ihm war der Unterton nur zu offensichtlich völlig entgangen.

„Aber in einer Hinsicht hast du Recht, hier rumsitzen wird uns auch nicht weiterbringen. Ich würde also vorschlagen, dass wir uns mal die Orte näher ansehen, an denen die verschwundenen Personen zuletzt gesehen wurden. Wenn wir unterwegs Langley aufgabeln, gut, wenn nicht, dann kann Mihailov ihm ja ausrichten, wo wir hingegangen sind.“

Beljajew schenkte ihm ein erleichtertes Lächeln und machte sich unverzüglich auf den Weg zur Tür. Shirō wollte ihm schon folgen, als Mephisto ihn an der Schulter fasste und so aufhielt.

„Hier.“

Shirō blickte irritiert auf das, was Mephisto ihm da entgegenhielt. Es war Shirōs eigene Beretta 84, die er seines Wissens nach oben im Zimmer zusammen mit seinem restlichen Waffenarsenal eingeschlossen hatte.

„Was…“

„Nur so ein Gefühl. Du solltest in dieser Stadt nicht unbewaffnet rumlaufen, Shirō“, antwortete Mephisto ungewöhnlich ernst. Die Art, wie er ihn dabei ansah, ließ Shirō einen Schauer über den Rücken laufen.

„Es wird also allmählich ernst?“

Mephisto begann fast schon mordlüstern zu grinsen.

„Wollen wir’s doch hoffen. Ich habe das Warten satt.“
 

Die Luft wirkte auf einmal viel schwerer als noch vor einigen Stunden, sie schien jegliches Geräusch komplett zu absorbieren. Die meisten Einwohner waren eilig auf dem Weg zu ihren Häusern, keiner wollte in den drohenden Schneesturm geraten. Shirō, Mephisto und Beljajew hatten einen Feldweg aus der Stadt hinaus eingeschlagen, der in einigen sanften Biegungen hin zum Wald und zum darunter liegenden Flussufer führte.

„Das war also die gängige Spazierstrecke von Sidorov, huh?“ fragte Mephisto und sah sich beiläufig um.

„Offenbar, ja. Irgendwo hier muss ihn etwas erwischt haben“, antwortete Shirō während er verzweifelt versuchte, nicht auf dem glatten, festgetretenem Schnee auszurutschen.

„Bis hier ist der Weg ja eigentlich gut einsehbar und er scheint ja recht oft benutzt zu werden. Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass hier unbemerkt ein Mann verschwinden kann“, warf Beljajew energetisch ein. Seit sie unterwegs waren, hatte sich seine Stimmung sichtlich gebessert, er offenkundig jemand, der keine zwei Sekunden still sitzen konnte.

„Vergiss nicht den Hund“, mahnte Mephisto melodramatisch an.

„Jetzt lass doch mal den Hund gut sein, Himmel nochmal! In China essen sie Hunde, weißt du?“ schnaubte Shirō, woraufhin Mephisto ihm einen verletzten Blick zu warf.

„Aber du hast Recht, wenn etwas Chekov verschleppt hat, dann eher außer Sichtweite der Stadtgrenze. Offenkundig geht es ja sehr vorsichtig vor, wenn es in vier Monaten absolut keine Spuren hinterlassen hat“, erklärte Shirō dann und blieb stehen.

In etwa hundert Metern Entfernung erhoben sich aus dem vollkommenen Weiß der gesamten Umgebung die Stämme mächtige Nadelbäume, die in der momentanen Beleuchtung fast schon schwarz wirkten. Die Äste der Bäume schleiften unter der Schneelast beinahe auf dem Boden. Doch was ihn irritiert hatte, war eine einzelne Spur, die sich von dem Feldweg auf dem sie standen zu einer Stelle im Wald hinzog, weg vom Fluss.

„Hier ist vor kurzem jemand lang gegangen“, stellte Beljajew etwas überflüssigerweise fest und spähte in die Richtung, in die die Spur führte.

Shirō legte nachdenklich die Stirn in Falten. Langley hatte die Polizeiberichte ebenfalls gelesen, vielleicht war er auch auf die Idee gekommen, den Ort Sidorovs Verschwindens zu untersuchen. Doch warum hatte er nicht auf sie gewartet?

„Na worauf warten wir dann?“ meinte Mephisto munter und schritt voran. Shirō bemerkte, dass er weitaus weniger tief im Schnee einsank, als ein normaler Mensch eigentlich sollte, und dass keine einzige Schneeflocke an seinem Mantelsaum hängen blieb; sie schienen zu schmelzen, sobald sie ihn auch nur berührten. Er war froh, dass Beljajew was solche Dinge anging eine absolut nicht vorhandene Beobachtungsgabe zu haben schien.
 

Das getrübte Licht des Tages war zwischen den turmhohen Stämmen noch gedämpfter, die bedrückende Dunkelheit und Stille innerhalb des Waldes ließ Shirō die Nackenhaare zu Berge stehen. Er hatte plötzlich wieder dasselbe Gefühl wie schon am Morgen, eine absolute und doch unerklärliche Gewissheit, dass etwas Bedrohliches ganz in der Nähe war. Er fuhr herum und suchte die gesamte Umgebung mit zusammengekniffenen Augen ab, konnte aber nichts entdecken.

„Ist was?“ fragte Mephisto gespannt und reckte den Hals, als könne er so durch die Baumstämme hindurchblicken.

„Wieder nur so ein Gefühl, aber ich kann so oder so nichts erkennen“, knurrte Shirō angespannt.

Das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und die da saßen am Ort und Schatten des Todes, denen ist ein Licht aufgegangen.“ [1]

Ein warmes Schimmern breitete sich mit einem Male aus, zwar schwach, aber doch hell genug, um die düsteren Schatten um sie herum zurück zu drängen. Shirō wandte sich perplex und ehrlich beeindruckt zu Beljajew um, der verlegen grinste.

„Ah, ich wollte nicht natürlich ungefragt irgendwas machen, Entschuldigung. Ich weiß natürlich, dass Sie ein ranghöherer Aria sind.“

Mephisto gluckste vergnügt und Shirō fühlte sich einen Moment lang völlig überrollt. Verdammt, auf die Idee hätte er ja auch selbst kommen können.

„Eh jaah, sehr guter Einsatz jedenfalls, Beljajew“, meinte er dann etwas konfus, ehe er sich erneut der Spurensuche zuwandte.

Die Schritte ihres Vorgängers waren nur einfach, folglich war er nicht auf selbigem Wege zurückgegangen. Wenn er es überhaupt noch konnte, dachte Shirō düster und begann, den Abdrücken zu folgen, tiefer hinein ins Dickicht.
 

Mephisto hörte es wenig überraschenderweise als Erster.

„Da kommt etwas auf uns zu“, meinte er plötzlich munter, „und das schnell.“

Shirō und Beljajew fuhren beide herum und machten sich bereit, sich dem entgegenzustellen, was auch immer da auf sie zukam. Sie standen auf einer kleinen Lichtung, doch der Himmel über ihnen war mittlerweile fast schwarz, so dass nur Beljajews Beschwörung ihnen die Sicht ermöglichte. Es dauerte nur einige Sekunden mehr, bis auch sie es hören konnten, ein kehliges, raues und verzerrtes vielstimmiges Knurren, das Schaben von Leibern an den dichtstehenden Stämmen, das donnernde Trappeln von einer herannahenden Bedrohung auf dem harschen Schnee. Shirō griff in seine Gürteltasche und zog die Beretta heraus, entsicherte sie und verfluchte sich, dass er nicht sein Sturmgewehr mitgenommen hatte.

Und dann sahen sie sie.

Es war ein grotesker Anblick, der sich ihnen mit einem Mal bot, als sich die Kreaturen in den hellen Lichtschein Beljajews Zaubers wagten, so als wären die Fieberalbträume eines geplagten Menschen plötzlich real geworden. Es war schwer zu sagen, was die einzelnen Kreaturen früher einmal gewesen waren, Shirō vermeinte, ein paar Hunde, ein paar Füchse, ein paar Dachse und etwas, das wohl einmal ein Reh gewesen war, zu erkennen.

„Ghouls“, stellte Mephisto nüchtern fest.

„Ghouls“, bestätigte Shirō schlicht.
 

Und dann brach das Chaos los. Shirō richtete seine Waffe gezielt auf die Köpfe der Wesen, er hatte nur zwei Ersatzmagazine bei sich und wollte keinen einzigen Schuss verschwenden. Die schnell aufeinanderfolgenden Schüsse erschütterten seine Arme bis in die Schultergelenke, er musste ständig ausweichen, um nicht von einem der Wesen erwischt zu werden. Sie bissen um sich wie ihm Wahn, schnappten nach allem, was sich bewegte, er sah sie sich gegenseitig zerfetzen, spürte, wie scharfe Hundezähne seinen Mantel zerrissen.

Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen von welchen mir Hilfe kommt; Meine Hilfe kommt von dem HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat; ER wird deinen Fuß nicht gleiten lassen; und der dich behütet schläft nicht – [2]“ , hörte er Beljajews bemüht ruhig auf Latein rezitieren, er nahm das schmerzhafte Jaulen einiger der Ghouls wahr, als der Vers seine Wirkung zeigte, doch es waren einfach zu viele.

Mit einem grässlichen Fauchen kam Shirō plötzlich etwas von der Seite her entgegen gesprungen, nur noch wenige Zentimeter trennten seine scharfen Zähne von seinem Gesicht, als das Wesen mit einem verschreckten Jaulen in Flammen aufging. Shirō fuhr herum und sah Mephisto mit einer eleganten Handbewegung einen weiteren Schwung der Angreifer zu Asche verbrennen. Für einen Dank blieb ihm jedoch keine Zeit, denn in diesem Moment hörte er Beljajew unterdrückt aufschreien. Etwas Großes und halb Verwestes hatte sich tief in seinen linken Arm verbissen, doch Beljajew rezitierte weiter eisern seine Verse mit zusammengebissenen Zähnen.

- der HERR behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele; der HERR behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit!“ [2]

Shirō richtete in einer fließenden Bewegung seine Waffe auf den Kopf des Tieres und drückte ab. Das Wesen löste sich mit einem grässlichen Geräusch zu Asche auf, und Beljajew schenkte ihm für eine Sekunde ein mattes dankerfülltes Lächeln, ehe sich sein Gesichtsausdruck in blanke Panik verwandelte.

Vorsicht, hinter Ihnen!

Shirō fuhr herum, einen Wimpernschlag zu spät, er fühlte etwas Gewaltiges ihn mit voller Wucht zu Boden werfen, der harte Aufprall lähmte seine Atmung, er sah einen Augenblick lang schwarze Punkte vor seinen Augen tanzen, doch seine Hand schoss reflexartig hoch und drückte ab. Ein schwaches metallisches Klicken verkündete, dass das Magazin leer war.

Uuurgh…

Dieser Gestank, diese stöhnende Laute, der Druck von unnatürlich großen und missgestalteten Fingern gegen seinen Hals – Shirō wusste, was er da vor sich hatte, ohne es sehen zu müssen.

Dies… dies ist der Jünger, der von diesen… diesen Dingen zeugt - [3]“, brachte er keuchend hervor, er spürte wie das Gewicht des Wesens auf ihm sämtliche Luft aus dem Körper presste, meinte, seine Rippen knacksen zu hören. Er versuchte mit den eigenen Händen, den Griff der klobigen Finger um seinen Hals zu lockern, doch es war, als würde er versuchen, Stahl aufzubiegen.

- und dies geschrieben hat; und wir wissen, dass sein Zeugnis wahrhaftig ist!“ hörte er dann Beljajew einstimmen, nur um mit einem schmerzerfüllten Japsen wieder abzubrechen.

In Shirōs Ohren begann es verdächtig zu klingeln, als das Wesen wütend aufjaulte und ihn erneut mit Wucht auf den Boden schlug, sein Kopf fühlte sich mit einem Mal seltsam leer an. Verdammt, verdammt, verdammt, er war zu unvorsichtig gewesen, er hatte sich unvorbereitet erwischen lassen, er war zu unbedacht vorgegangen. Er konnte doch hier nicht sterben!

Es sind auch viele andere Dinge, die Jesus getan hat; so sie aber sollten eins nach dem andern geschrieben werden, achte ich, die Welt würde die Bücher nicht fassen, die zu schreiben wären!

Mephistos klare Stimme schnitt durch die Luft wie ein Schwert, das Wesen gab einen grässlichen, kreischenden Laut von sich, und mit einem Male war das Gewicht von Shirōs Körper verschwunden. Er schnappte panisch nach Luft, die nun kalt und stechend in seine Lungen strömte. Er spürte die Hitze von loderndem Feuer um sich herum, die den Schnee schmolz und Schmelzwasser von den Bäumen rieseln ließ wie Sommerregen. Er richtete sich hustend auf und sah Mephisto vor sich knien, der ihn halb besorgt, halb verärgert musterte.

„Weißt du, du bist wirklich der Erste und Einzige, der mich je dazu gebracht hat, Bibel-Verse zu rezitieren. Das ist wider meiner Natur, nur damit du’s weißt.“

„Danke“, antworte Shirō nur ehrlich und erschöpft.
 

Nachdem Mephisto ihm auf die noch etwas wackligen Beine gezogen hatte, erschloss sich Shirō das völlige Ausmaß des Schlachtfeldes, auf dem sie sich nun befanden. Um sie herum schwelten die Überreste der Ghouls und des Naberius vor sich hin, Mephistos Flammen hatten ganze Arbeit geleistet. Kein einziges der Wesen regte sich mehr, Beljajews Zauber war erloschen und der Wald lag erneut still und friedlich da, als wäre nie etwas geschehen. Beljajew selbst saß an einen Baumstamm gelehnt und hielt sich mit schmerzverzogenem und kalkweißem Gesicht den linken Arm. Shirō trat zu ihm und rollte vorsichtig den zerfetzten Ärmel nach oben. Die freigelegte Bisswunde blutete stark und hatte bereits eine hässliche schwarz-grüne Färbung angenommen, das eingeströmte Miasma entfaltete allmählich seine Wirkung. Aus einer seiner Gürteltaschen förderte Shirō einen in Aloe Vera getränkten Verband zu Tage und begann vorsichtig, die Wunde provisorisch zu verbinden.

„Es tut mir Leid… dass ich Ihnen… so viele Umstände mache“, flüsterte Beljajew schwach und lächelte entschuldigend.

„Schwachsinn, du hast mir mit den Hals gerettet. Und ich bin ja nicht umsonst Doctor, das wird wieder“, versicherte Shirō ihm, ehe er an Mephisto gewandt fortfuhr: „Bring ihn bitte sofort zum Quartier des Russischen Ordens.“

„Was ist mit dir?“ Mephisto musterte ihn besorgt.

„Mach dir um mich keine Sorgen“, Shirō schenkte ihm ein schiefes Lächeln. Ihm tat jeder Knochen im Leibe weh, seine Stimme klang kratzig und rau in seinen Ohren und er sah sicher noch fertiger aus, als er sich fühlte, doch es gab etwas, dass er wissen musste, und Beljajew musste sofort behandelt werden, wenn er seinen Arm behalten wollte. Er richtete sich wieder auf und blickte Mephisto fest an.

Dieser seufzte schließlich nur.

„Ich hoffe doch sehr, du weißt, was du da tust, Shirō. Ich komme zurück, sobald ich ihn ins Quartier gebracht habe. Sieh zu, dass du dich in der Zwischenzeit nicht umbringen lässt.“

Er schnippte locker mit den Fingern.

„Eins, zwei, drei!“

Mit einem lauten Knall erschien mitten auf der Lichtung eine Tür, die in ihrem Aussehen dem normalen Kleidungsstil ihres Beschwörers glich – sie war grellpink und mit überbordenden goldenen Elementen verziert, oben auf dem Türrahmen thronte eine Verzierung in Form einer großen mit Edelsteinen besetzten Krone.

Mephisto trat zu Beljajew hinüber und hob diesen ohne das geringste Anzeichen von Anstrengung mit beiden Armen hoch, ehe er auf das Portal zuschritt, dass sich ihm automatisch öffnete, Shirō einen letzten besorgten Blick zuwarf und dann durch selbiges verschwand.
 

Shirō fluchte leise, als ihm erneut ein Ast ins Gesicht schnalzte. Er hatte sich zwar an Beljajew ein Beispiel genommen und ebenfalls künstliches Licht heraufbeschworen, doch seine Koordination war nach dem Kampf eben alles andere als funktionstüchtig, und so kollidierte er die ganze Zeit schon mit diversen Baumbestandteilen.

Nachdem das Portal nach Mephistos Abgang mit einem weiteren lauten Knall in pinkem Rauch verpufft war, hatte er eine Weile gebraucht, um im Chaos des Schlachtfeldes die ursprüngliche Spur wieder zu finden, doch schließlich hatte er sie entdeckt und war ihr erneut gefolgt. Er hatte mittlerweile komplett die Orientierung verloren, denn die Spur schien sich beinahe schon ins Unendliche zu ziehen.

Schließlich jedoch schien sich der Wald um ihn herum endlich zu lichten, der spärliche Rest Tageslicht nahm zu, und er meinte in nicht allzu großer Entfernung den Fluss rauschen zu hören. Er atmete erleichtert aus, er wollte gar nicht wissen, wie weit sich dieser Wald noch erstreckte.

Als er zwischen den letzten Stämmen hervortrat, brauchte er einen Moment um sich zu orientieren. Er stand auf einer kleinen Anhöhe, und zu seiner großen Überraschung lag die Stadt direkt zu seinen Füßen. Folglich waren die Spuren in einem großen Kreis verlaufen, dem sie brav gefolgt waren. Shirō zog die Stirn kraus. Die Sache gefiel ihm immer weniger, denn irgendetwas stimmte hier einfach nicht. Er machte sich daran, den Spuren nun auch noch bis in die Talsenke zu folgen, nunmehr stets auf der Hut vor weiteren unschönen Überraschungen. Sie schienen bei einem bestimmten Haus zu enden, welches Shirō seltsam bekannt vorkam.

Es dauerte einen kurzen Moment, bis es ihm dämmerte.

Die Spuren führten direkt zu Gavril Sidorovs Haus.
 

---tbc---
 

[1] Matthäus 4,16

[2] Psalm 121 (in Teilen)

[3] Johannes 25,4-5
 

Der letzte Vers wird tatsächlich in der Serie von Ryūji Suguro gegen Naberius eingesetzt, bei den anderen beiden habe ich mir die Freiheit genommen, selbst Bibelstellen auszuwählen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Hyoura
2011-12-20T13:16:27+00:00 20.12.2011 14:16
Das ist doch nicht hässlich. Alles ganz normal, wenn man durch einen Wald geht, MUSS man doch erwarten, dass man von zombieartigen, unnatürlichen, mordlustigen Dämonen angegriffen wird.
Ich muss zugeben, der Kapiteltitel irritiert mich etwas, immerhin stirbt Langley erst im nächsten Kapitel.
Etwas verwundert bin ich auch darüber, dass Shiro erst auf Mephistos Hinweis hin seine Waffe mitnimmt. Immerhin ist ja allgemein bekannt, dass dort draußen ein ziemlich mächtiges, Exorzisten-fressendes Monster herumläuft.
Ich finde es ja einfach nur hilarious (wenn mir endlich mal ein passendes, deutsches Äquivalent zu dem Wort einfallen würde, wäre ich sehr glücklich...), wie Mephisto auf dem (zugegebnermaßen bedauerlichen) Hundetod beharrt. Nicht zu vergessen, die nachfolgende Kabbeleien mit Shiro (übrigens, In China essen [...], statt Ich).
Deine Beschreibung der Ghouls gefällt mir ausgezeichnet (insbesondere der Vergleich als wären die Fieberalbträume eines geplagten Menschen plötzlich real geworden.)
Die folgende Kampfszene ist wahrlich auch nicht von schlechten Eltern.
Allerdings wäre es zwischenzeitlich schön gewesen, wenn du die Zahl der Ghouls etwas genauer definiert hättest.
Ich mochte die Idee der Wir-machen-Monster-mit-Bibelsprüchen-fertig Kampfweise ja schon immer (zumal Latein eine echt interessant klingende Sprache ist) dementsprechend war ich begeistert, als du Bibelsprüche auch im Kampf hast auftauchen lassen.
Mephistos Eingreifen war ja DAS Sahnehäubchen. Ein Dämon die Bibel zitiert...
Ach, ich mag es, wie du Shiros und Mephistos Beziehung darstellst (ich kann das gar nicht oft genug sagen).
Ich verneige mich vor der Großartigkeit deines Schreibstils.
Liebe Grüße
Hyoura
Von:  Vanilla_Coffee
2011-12-12T07:48:51+00:00 12.12.2011 08:48
Man war das wieder ein spannendes Kappi O.O
Mir ist fast das Herz stehen geblieben als sich dieser Ghoul da auf Shiro gestürzt hat >_>
*Shiro-Fan-Fähnchen schwenk*
Und endlich gehts ja auch mal zur Sache hier^^ Bisschen Action kann ja nie schaden nicht ;)
Und respekt, dass du dir echt noch Bibelstellen herausgesucht hast extra für diese FF hier^^ Ich glaub wenn meine Ao no Excorzist gut werden soll, dann sollte ich das wohl auch machen vielleicht T_T
Man ich kanns schon gar nicht mehr abwarten bis zum nächsten Kappi XD

LG
Amalia


Zurück