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Ni-Na-Nachtigall

von

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Der 12.11.

12.11.2009
 

Matt schlug die Augen auf, geblendet vom Sonnenlicht und noch schrecklich müde vom Alkohol. Der Kopf war schwer und er fragte sich für einen Moment, wo genau er war. Die blauen Augen suchten nach einem vertrauten Punkt, doch das Bett stand in einem vollkommen fremden Zimmer. Kein Ravenclawschlafsaal. Das Herz begann langsam, dann immer schneller zu klopfen – irgendetwas war passiert. Der erste Reflex war, irgendwie Chuck zu erreichen. Scheiße, was war passiert?! Die Augen suchten nach Anhaltspunkten – das Zimmer war klein, das Bett passte gerade so rein und erschien ihm eher suboptimal. Moment. Waren das da Besen?! Jetzt klopfte das Herz wie nach einem Spiel gegen die Löwen und er stieß heftig die Luft aus, ehe er die Decke wegschlug.

. . .

Er war nackt.

Splitterfasernackt.

Scheiße. „Bei Merlins Bart ...“ Vollkommen hilflos schaute er sich um. Neben dem Bett lagen Klamotten. Seine. Ein Shirt, die Jeans und auch die Boxer. Kurzzeitig kam Erleichterung in ihm auf, ehe er noch ein Kleidungsstück neben seinen liegen sah. Eine Socke. Gelblich. Lang. Zu lang um von ihm zu sein. Sein Mund wurde trocken und geistestgegenwärtig griff er nach seinem Zauberstab. Er erwartete nahezu, dass aus einer Nische, die er bisher noch nicht gesehen hatte, ein Mädchen hervorsprang, mit nur einer Socke bekleidet und ihn auslachte. Wie viel hatte er gestern getrunken? Er schluckte. „H-Hallo?“ Aber keine Antwort. Okay. Nicht ganz zum Idioten machen, Matt, das wird schon alles. Mit heftig klopfendem Herzen zog er sich an, schlüpfte in die Schuhe und warf noch einen Blick auf die seltsame Inneneinrichtung. War er überhaupt noch auf Hogwarts? Und wenn ja … wirklich in einer Besenkammer mit Bett?!

„Schon gut. Es kann nicht so schlimm sein“, sagte er zu sich selbst, glaubte sich nicht so recht, aber trat trotzdem aus der Tür. Tatsächlich. Hogwarts. Geschäftig und laut wie immer. Die Erleichterung hielt nicht lange an, als er Chuck auf sich zukommen sah. „Hei! Wo warst du so lange? Du verpasst doch sonst keine Sekunde von Professor McGarvin.“ Panik wallte in Matthew auf – verdammt, hatte er Verwandlung verpennt? „Wie spät ist es?“

„Mensch, Matt, alles klar?“

„Ja, sag mir nur, wie spät es ist.“ Der skeptische Blick seines Freundes machte ihn nervös und nur schwerlich konnte er die böse Miene aufrecht erhalten, sodass Chuck seufzend die Schultern hob. „Es ist kurz vor neun. Du hast noch nichts verpasst, mach dir nicht ins Hemd.“ Matt bemerkte, wie der Blick über seinen Aufzug schweifte und er schaute rasch zu Boden. „Matt?“, hakte Chuck mit einfühlsamer, unaufdringlicher Stimme nach, aber Matt hob nur die Schultern. Er wusste ja selber nicht so genau. Irgendetwas war passiert und ihm wollte beim besten Willen nicht einfallen, was. Chuck nahm es seufzend hin und nickte auf die Treppen. „Los, lass uns hoch zum Turm, dann kannst du dich umziehen. Wenn du zu spät kommst, komme ich auch zu spät.“
 

Einige Minuten später
 

Matt schlurfte langsam und mit eingezogenem Kopf neben seinem Besten her und hörte nur mit einem halben Ohr zu. „... Jedenfalls war die Party gestern doch gar nicht schlecht, oder?“, fragte Chuck da gerade und Matt schreckte auf. „Party?“

„Alter!“ Lachend boxte Chuck ihm gegen den Arm und weil er schon jetzt mindestens einen Kopf größer war – man, Neid – prallte das nicht gerade wirkungslos an ihm ab. Auch, wenn er der Sportler der beiden war und Chuck eher der Musiker. „Noch Restalkohol im Hirn? Ilias hatte gestern Geburtstag – hast du das schon vergessen? Mensch, und sowas ist in Ravenclaw.“

„Ja, ja, immer drauf“, grinste Matt schwach, ehe er auf die Steilvorlage einging, die sein Bester ihm lieferte. „Ich glaube einfach, du hast Recht. In ein paar Stunden sollte es wieder gehen.“ Chucks Blick brannte unter der Haut und Matt hoffte inständig, dass er keine Gedanken lesen konnte – nicht so, wie sonst. Trotzdem merkte Chuck leise und – irrte Matt sich? - mit bebender Stimme an: „Du bist … gestern mit Gabrielle weg.“

„Gabrielle?!“

„Jah. Erm. Matt, nicht, dass ich dir da zu nahe treten will...“

„Nein, Chuck, es ist Gabrielle! Außerdem … bin ich ein Jahr jünger und ...“

„Du hast keine Ahnung, was du in der verdammten Besenkammer gemacht hast.“

„Chuck, nein, ich hab auf keinen Fall … ich meine, ich weiß nicht, ob ich nicht hab, aber ich weiß, dass ich nicht würde, selbst wenn ich die Chance bekommen würde. Immerhin … Ich meine, du magst sie auch, ich würde doch nie …“

„Ich weiß, Matt, ich weiß. Schon gut.“ Blaue Augen trafen auf blaue Augen und der Zweifel stand in beiden. Matt biss sich auf die Unterlippe und stellte sich vermutlich genau die gleiche Frage, wie sein Freund: was war da gestern Nacht passiert? Das Herz klopfte wieder aufgeregt, aber noch ehe sie ihr Gespräch hätten fortsetzen können, trat Leana Hastings in ihr Blickfeld und legte Chuck eine Hand auf den Arm. „Charles?“ Matt konnte nahezu spüren, wie sich die Nackenhaare seines Freundes bei seinem vollen Namen aufstellten. „Entschuldigst du mich bitte bei Professor McGarvin? Wir haben Quidditchtraining und eigentlich ist alles abgesprochen – oh, hallo Matthew.“ Leana winkte ihm munter zu und er hob die Hand mit einem schrägen Lächeln, ehe die Rothaarige sich wieder Chuck zuwandte. „Aber es ist wohl nur höflich, wenn mich zumindest jemand entschuldigt. Würdest du das bitte machen?“

„Ähm, klar?“ Leana strahlte und umarmte Chuck spontan, ein fröhliches „danke“ rufend und rauschte dann so schnell wieder fort, wie sie gekommen war. Zu dem Zweifel mischte sich Verwirrung, aber zumindest Matthew empfand so etwas wie dem Drang, zu lachen. Fragend schaute er zu seinem Freund, der jedoch nur die Schultern hob. „Frag mich nicht...“
 

Am späten Nachmittag
 

Matthew schaute auf, als Rhydian den Schlafsaal betrat. Der Nebel in seinem Kopf hatte sich etwas gelichtet und zumindest wusste er nun, dass gestern eine Party gestiegen war, unten bei den Dachsen, und dass er die wohl mit Gabrielle zusammen verlassen hatte. Das Herz puckerte aufgeregt, als er Rhydian heranwinkte. „Ey Rhys“, begrüßte er ihn und schlug ein, als ihm die Hand angeboten wurde. Rhys erwiderte die Begrüßung leise und setzte sich neben ihm aufs Bett, ehe er ihn schief von der Seite musterte. „Was ist los? Du willst doch irgendwas.“ Matthew grinste schief. „Stimmt auffallend. Erm, hier. Du warst doch gestern auch auf Ilias Party, oder?“

„Na logo.“

„Das ist gut, weil … ich nicht mehr so richtig weiter weiß.“ Rhydian brach in lautes Gelächter aus und klopfte ihm auf die Schulter. „Du meinst die Besenkammer-Sache? Die Aktion war geil, das musst du uns lassen!“

„Uns?“ Rhydian stockte und zog die Hand mit skeptischen Blick zurück, ehe er den Kopf schief legte. „Erm … du weißt doch von der Aktion, oder?“, fragte er vorsichtig nach und Matt wurde zunehmend verwirrter, ehe er mit säuerlicher Miene zurückfragte: „Habt ihr mich etwa verarscht?“ Anscheinend wollte sein Schlafsaalgenosse sich aus der Affäre ziehen und kämpfte sich von seinem Bett. „Aaaaalso, ich muss dann mal wieder.“

„Rhys...“

„Du weißt ja, schwer beschäftigt. Emilie will schon wieder was, haha, ich höre sie bis hier her rufen. Bis dann!“ Matt war schneller auf den Beinen, als ein Hippogreif auf Angriff, aber dennoch bekam er nur noch den Shirtstoff des flüchtenden Adlers zu fassen und selbst das entglitt ihm. „Pass auf, Hyde, ich rette dir den Arsch nicht mehr vor Scott!!!“ Man! Was lief hier?!
 

Am Abend

Matt kämpfte sich durch die Menge zum Tisch der Löwen und nickte Chuck mit ernster Miene zu. Sein Freund merkte das sofort, legte Gabel und Messer weg und stand auf, um mit ihm zusammen in die Eingangshalle zu gehen. „Wir müssen reden“, fing Matt leise und ungewohnt ernsthaft an. Chuck nickte nur wortlos. „Ich habe vorhin mit Hyde geredet“, ja, er war immer noch sauer, „und er erwähnte etwas von einer Aktion. Weißt du etwas davon, Chuck?“ Falls sein Bester etwas wusste, war ein grandioser Schauspieler an ihn verloren gegangen. Matt kniff die Augen zusammen, als Chuck ungerührt und mit interessierter Miene den Kopf schüttelte und erwiderte: „Nein. Was war los?“

„Ich hatte gehofft, du könntest mir das sagen“, brummte Matt mit verschränkten Armen und der Löwe runzelte die Stirn. „Matt, ich weiß nichts.“ Einen kurzen Moment der Stille.

Dann seufzte der Adler ergeben und nickte. „Jah, sorry. Ich bin heute morgen in einer beschissenen Besenkammer aufgewacht, du erzählst mir was von Gabrielle Miller, ich habe einen Schädel wie ein besoffener Troll und habe keine Ahnung, was Rhydian da von sich gegeben hat!“ Chuck grinste schräg: „Naja, spätestens heute Abend muss er ja wiederkommen, ne?“

„So lange kann ich nicht warten.“ Chuck verstand und schnappte nach dem Ärmel seines Besten, um ihn hinter sich die Treppen nach unten zu ziehen. „Okay, wenn wer etwas weiß, dann muss es Gabrielle sein.“ Das Gesicht seines Freundes schien ernst und Matt schluckte. „Meinst … meinst du das ernst? Ich meine …“

„Matt?“

„Es ist Gabrielle.“ Chuck schnaubte amüsiert. „Man könnte beinahe meinen, du hättest Angst vor ihr.“ Matt reagierte entrüstet. „Vielleicht habe ich das ja auch?!“ Chuck sagte nichts und zog ihn die Treppe runter, an den Küchen vorbei bis vor die geheime Tür in den Gemeinschaftsraum. Matt wandte leise ein: „Und was, wenn sie beim Essen ist?“ Der Löwe schaute zu ihm und warf ihm einen vielsagenden Blick zu, den sogar jeder Esel verstanden hätte. Wenn Gabrielle beim Essen gewesen wäre, dann hätte Chuck sie gesehen. Hach. Verliebt sein war blöd. Gut, dass sie irgendwie damit umgehen konnten, auf das selbe Mädchen zu stehen und das machte sie ja auch irgendwie zu Leidensgenossen, nicht wahr?

Um die Ecke bog ein gewisser Russe, den Matt nur vom Quidditch kannte – er machte seinen Job als Jäger gut und als er die beiden Fremden in ihrem Keller sah, hielt der Hufflepuff kurz inne. „Was macht ihr hier?“ Die Stimme war schneidend und er war geneigt, zusammenzuzucken, aber er erinnerte sich gerade noch rechtzeitig, dass Georgij – verfluchter Name – Vertrauensschüler war und erwiderte ruhig: „Wir müssten zu Gabrielle Miller. Kannst du uns vielleicht mitnehmen?“ Der Russe schien nicht besonders begeistert – im Grunde erschien er gar nichts zu sein. Das Gesicht verzog sich kein bisschen, aber scheinbar überzeugten ihn die ernsten Gesichter der beiden Fünftklässler und er wisperte leise das Passwort, ehe er die beiden in den gemütlichen, runden Dachsbau mitnahm.
 

In der Höhle des … Dachses

Am liebsten wäre er rückwärts wieder rausgestolpert.

Matt hatte ein riesiges Knäuel im Magen und Chuck schien es nicht anders zu gehen, auch wenn es außer ihm vermutlich niemand sehen würde. „Dann mal los, eh?“, brachte er mit Galgenhumor-Grinsen heraus und Georgij winkte sie zu einer Sitzgruppe heran, aus der lautes Gelächter kam. Moah, konnte man sich noch schlechter fühlen?

„Gabrielle?“

„Georgij! Wie schön!“

„Hier sind ...“, ein fragender Blick des Russen, aber scheinbar konnte er sich nicht mehr an ihre Namen erinnern, „...zwei Jungs, die dich sprechen wollen. Wir sehen uns später?“

„Aber ja – wer ist es denn?“ Georgij hob nur die Schultern und schlenderte in Richtung der Schlafsäle weg und Matt und Chuck standen wie bestellt und nicht abgeholt neben dem weichen gelben Sofa. Gabrielles Kopf drehte sich und Matt musste ein Seufzen unterdrücken, als sie verwirrt, aber sanftmütig lächelte. „Oh?“ Sie schaute die beiden fragend an und erhob sich – hach, war es eine Zumutung, sie wie ein Blatt im Wind zu beschreiben? Matt starrte sie ungeniert an, während Chuck krampfhaft versuchte, sie weiterhin anzuschauen und nicht seine Füße zu mustern. „Matt und Chuck, richtig?“, fragte Gabrielle, um die Stille zu überbrücken. Sie lächelte so süßlich, dass es beinahe weh tat und Matt nickte viel zu schnell. „Wollt ihr euch nicht setzen?“

„Ja.“ - „Nein.“

Matt schaute zu Chuck, Chuck zu Matt. Sie tauschten einen stummen Blick. Das Gespräch dürfte wohl in etwa so abgelaufen sein:
 

M: Warum nein?

C: Na, wir wollen doch nur eine Antwort.

M: Aber das ist unsere Chance!

C: Ach, komm schon, sei nicht so naiv.

M: Hei, ich bin nur optimistisch.

C: Nein, naiv.

M: Chuuuuuuuck!

C: Nein!
 

Und damit war es entschieden. Chuck räusperte sich und Matt beneidete ihn um den aufmerksamen Blick der hübschen Blondine, die jetzt ihre Hände vor dem schmeichelhaften Kleid faltete. „Erm, Gabrielle?“

„Ja, Chuck?“ Es sollte verboten werden, so gut auszusehen und dabei noch so furchtbar nett zu sein. Matt sah aus den Augenwinkeln, wie der Adamsapfel seines Freundes auf und ab wippte. „Wir wollten eigentlich nur … ähm … Matt ist heute ...“

Gabrielles glockenhelles Lachen erklang und sie wandte sich Matt zu, der automatisch einen Schritt zurück wich. Idiot! Aber Gabrielle schien es nicht zu bemerken, legte ihm eine Hand auf den Unterarm – nie mehr waschen, nie mehr waschen, nie mehr waschen – und trug mit einem herzlichen Lächeln vor: „Ach, Matt. Wir haben uns da einen kleinen Scherz mit dir erlaubt. Nimm es uns nicht übel, ja?“

„Neeee, türlich nicht“, krächzte Angesprochener. Wie sollte er ihr denn etwas übelnehmen? Und überhaupt, jetzt war doch alles gut. Er hatte weder einen kompletten Hirntod erlitten, noch mit Gabrielle geschlafen – letzteres würde wohl für ewig ein Traum bleiben. Hach!
 

Später Abend

Chuck lachte, als Matthew seinen Gesichtsausdruck nachmachte. „Du sahst aus, als wolle sie dich schlachten!“, kommentierte der Adler amüsiert und sein Freund klopfte ihm auf dem Rücken. „Dafür habe ich einen Ton rausgebracht! Du hast ja nur gekrächzt wie ein kleines Hippogreifbaby!“

„Ja, ja, wer den Schaden hat …“ Chuck schüttelte lachend den Kopf und Matt stimmte ein. Dann hatte er eine komische, nahezu blöde Idee. „Hier, Chuck. Lass uns mal ein Foto machen.“

„Häh?“

„Ja, hört sich jetzt vielleicht komisch an, aber ich will nicht noch mal in einer Besenkammer total verwirrt aufwachen.“ Sein Bester kratzte sich an der Stirn und musterte ihn, als hätte er einen Sockenschuss und naja, vielleicht hatte er ja einen? Vielleicht hatte er gerade auch nur die Idee bekommen, was man einem Chuck zum Geburtstag schenken konnte? Das Grinsen wurde schief und Chuck erwiderte es schließlich. „Okay, Moment, ich hol eben die Kamera.“
 

Heute, 12.11.2010
 

Matt lächelte, als ihm das Foto in die Hand fiel. „Chuck? Schau mal...“ Er hielt seinem Besten das schwarz-weiß-Foto unter die Nase, unter dem in krakeliger, kaum zu entziffernder Schrift stand: Nie wieder Besenkammer! Alles Gute zum 16. Chuck entnahm ihm das Foto und schüttelte mit einem müden Lächeln den Kopf. „Ganz dran halten konntest du dich ja nicht, eh?“ Matt wiegte den Kopf hin und her und schmunzelte in sich hinein. Chuck setzte sich neben ihm auf das Bett und lehnte sich mit verdrießlicher Miene gegen die Wand. „Und dieses Mal war es wirklich Gabrielle“, murmelte er leise und Matt warf ihm einen kurzen Blick zu. Gewissensbisse durchzuckten ihn, weil er ihm etwas versprochen hatte – und er hatte das Versprochen gebrochen. Es gab eine Zeit, in denen diese Nacht zwischen ihnen gestanden hatte, ohne, dass Chuck überhaupt etwas geahnt hatte. Dann hatte Logan zwischen ihm gestanden und klar, sein Bester hatte grandios darauf reagiert … aber was dachte er wirklich über seine Sexualität? Matt nahm ihm das Foto wieder aus der Hand und murmelte mit leisem Lächeln: „Falls es dich beruhigt: es kommt nicht noch mal vor.“ Chuck erwiderte das Lächeln schief und hob die Schultern. „Matt, mach was du willst. Du bist mir keine Erklärung schuldig.“

„Doch, irgendwie schon.“

„Ja, stimmt schon, irgendwie schon.“

„Wie geht’s dir?“ Chuck stöhnte genervt. „Man, wann hörst du endlich auf, mich zu bemuttern? Meine erste Beziehung habe ich erfolgreich in den Sand gesetzt, herzlichen Dank für dein Mitleid, aber das hängt mir jetzt echt zu den Ohren raus.“ Matt zog lachend den Kopf ein und klopfte ihm auf die Schulter. „Chuck Bloodworth?“ Ein zustimmendes Grummeln. „Du bist echt erwachsen geworden, Spinner.“

„Sagt der Richtige, Idiot.“

Der 14.11.

„Du würdest wirklich...?“

„Jah, klar. Lass es uns versuchen. Wir müssen beide für den Ball gewappnet sein.“ Leana lachte und nickte zustimmend, sodass ihr das rote Haar ins Gesicht fiel, was nicht unbedingt schlecht war. So würde Luke nicht sehen müssen, wie ihr Gesicht nahezu die gleiche Farbe annahm, wie ihr Haar … „Da hast du Recht. Der Name Hastings birgt Verpflichtungen. Ich bin dir sehr dankbar.“ Luke schüttelte mit einem sachten Lächeln den Kopf und Leana konnte nicht anders, als das Gefühl zu entwickeln, dass etwas nicht stimmte. Irgendetwas war nicht richtig, doch das Herz klopfte so laut und so schnell, dass sie gar nicht auf ihre Gedanken reagieren konnte und auch der lauteste Zweifel war nicht laut genug, um gegen den Herzschlag anzukommen. Zögerlich ergriff sie die dargebotene Hand und die Musik im Hintergrund lief zähflüssig. Dass Selina ihnen zuguckte machte das alles auch nicht viel besser, weil die Slytherin sicherlich anderes im Kopf gehabt hatte, als Leana ihr sagte, sie würde mit Luke tanzen üben. Oder unterstellte sie ihr da etwas? Sie warf ihr einen hilfesuchenden Blick zu, doch Selina nickte nur mit einem aufmunternden Lächeln. Lächeln, wie? Aber warum fühlte sie sich dann wie auf dem Weg zur Schlachtbank, wenn diese Situation doch zum Lächeln war? Vielleicht war sie das ja für andere?

„Leana?“, fragte Luke leise und sofort war da wieder das Herzklopfen, „alles in Ordnung?“ Hektisch machte sie einen Schritt auf ihn zu und legte eigenständig seine Hand auf ihre Taille, ignorierte das irre Kribbeln im Magen und nickte. „Ja. Alles bestens. Lass uns einfach nur probieren, okay?“

„Okay.“
 

Es wurde nicht so richtig.

Sie war sogar ein Stückchen größer als Luke und da half auch keine Tolle. Die Illusion, dass er mit ihr zum Ball gehen würde hatte sie schon seit Wochen nicht mehr. Ungefähr in dem Moment, als er Lilian Swan in der Öffentlichkeit geküsst hatte, war ihre große Seifenblase mit dem Traum Luke Johnson zerplatzt. Das war nicht unbedingt schlecht – sie gönnte Luke alles Glück der Welt – aber gerade, weil die Beziehung nicht lange gehalten hatte und Luke seitdem irgendwie immer traurig erschien, tat es ihr leid. Vielleicht hatte sie deshalb ja auch nur versucht, ihn aufzumuntern?

Der Gemeinschaftsraum der Löwen war um diese Uhrzeit vollkommen leer – es war mitten in der Nacht, so gegen ein Uhr vielleicht? Sie hatten es aufgegeben. Tanzen konnten sie anscheinend nicht zusammen. Wenigstens nebeneinander sitzen, das konnten sie. Leana schlug den Blick nieder, während Luke aus dem Fenster in die schwarze Nacht starrte.

Sie schwiegen.

Selina war vor einer Weile gegangen und außer dem Feuer im Kamin war nichts mehr zu hören. Unruhig knetete die Löwin ihre Hände und wusste nichts richtig mit sich anzufangen und jede Sekunde neben Luke tat irgendwie weh. Weil es beinahe schon zu normal war. Leicht berührte sie ihn am Arm und zuckte erschrocken zurück, als er zusammen zuckte. Mit blinzelnden Lidern schaute er zu ihr und das erste, was ihr einfiel war: „Alles in Ordnung? Du bist ziemlich blass.“ Luke schien nicht ganz bei sich, aber er erwiderte mit ruhiger Stimme: „Es ist nur schon spät. Ich sollte bald gehen.“ Leana lächelte schwach und dachte daran, dass sie sich den Abend anders vorgestellt hatte. Mit dem letzten bisschen Rest-Mut griff sie nach seiner Hand und zog ihn auf die Beine. „Komm. Einen letzten Tanz.“

„Morgen ist Montag, ich muss morgen früh raus ...“

„Bitte?“

Das schwache Lächeln auf den Lippen entschädigte sie für alles und mit einem Nicken stimmte er zu. Auch, wenn es nicht funktionierte hieß das nicht, dass man es nicht trotzdem versuchen konnte, oder? Leana fühlte sich mies, weil sie teilweise sich selbst, aber auch teilweise Luke die Schuld daran gab, dass es eben nicht klappte. Warum wohl?
 

Schritte kamen die Treppe hinunter und Leana schaute über Lukes Schulter hinüber zur Steintreppe. Chuck stand im Gemeinschaftsraum, ganz plötzlich und ein wenig überrascht war Leana schon, ihn noch auf zu sehen, aber sie dachte sich nicht viel dabei. Viel mehr ließ sie von Luke unter leisem „sie nur, Chuck“ ab und lächelte selig zu dem Gryffindor herüber. Der schien nichts mit sich anzufangen zu wissen und stand noch immer da, wo er Sekunden zuvor gestanden hatte. Luke hinter ihr seufzte und verkündete leise: „Ist ist bald zwei – ich gehe jetzt, Leana. Bis bald, ja?“ Am liebsten hätte sie ihn am Handgelenk zum Stehen gebracht, aber ohne ein Wort und ohne eine Geste ließ sie ihn gehen, brachte nicht einmal ein Lächeln zustande und musste sich wohl eingestehen, dass Luke Johnson nie richtig hier war. Also, körperlich schon, aber geistig? Und mit dem Herzen? Die Hastings seufzte ebenfalls und griff nach dem Zauberstab auf dem kleinen Tisch, um die Musik auszumachen. Langsam kam Chuck zu ihr und schaute nachdenklich auf eine der Wanduhren. „Es ist ziemlich spät für private Tanzstunden“, stellte er trocken fest. Leana konnte nicht anders und musste lachen. „Ja, das stimmt wohl. Es hat nicht so richtig geklappt und in den unbenutzten Klassenzimmern ist meistens viel zu wenig Platz...“ Faule Ausreden dafür, dass sie Angst gehabt hatte, mit Luke alleine zu sein. Nun war sie mit Chuck alleine – aber das war etwas ganz anderes.

Die beiden Löwen setzten sich nebeneinander auf die Couch vor dem Kamin und starrten in das Feuer. Die Flammen tanzten nur schwach, aber sehr viel besser als Luke und Leana es gekonnt hätten. Das Farbenspiel war hübsch und ein wenig taten die stechenden Flammen in ihrer Intensität in den Augen weh. Leana war plötzlich unglaublich müde und am liebsten hätte sie sich bei Chuck angelehnt, doch alleine der Anstand hielt sie aufrecht. Sie zog die Beine auf das Sofa und bettete den Kopf auf den Knien, genau so, damit sie Chuck neben sich noch anschauen konnte. „Ist mit dir alles okay?“, wisperte sie so leise, dass es ein Wunder war, wenn Chuck es gehört hätte. Aber entweder besaß er Ohren wie ein Luchs, oder es kam ihr nur so leise vor, denn er schaute zu ihr und grinste schief. „Klar. Ich bin nur müde und hätte nicht erwartet, noch jemanden zu treffen.“ Was Leana wieder zu ihrer ersten Frage brachte: „Was machst du eigentlich hier?“ Chuck erwiderte amüsiert: „Ich kann auch wieder gehen.“ Eilig legte sie ihm eine Hand auf den Unterarm und schüttelte den Kopf. „Nein. Nein, das ist nicht nötig. Wenn du es mir nicht sagen willst, ist das nicht schlimm.“ Chuck schwieg und starrte wieder in die Flammen, was Leana ihm nach kurzem Zögern gleich tat. Sie erinnerten sie ein wenig an das Farbenmeer, das man vom Besen aus immer sah, wenn man auf die Tribünen zu Spielen schaute. Gelb – Rot – Orange. Und die Gewissheit, dass einer dieser Gelb – Rot – Orangefarbenen Farbpunkte Chuck war, gab ihr ein unglaublich gutes Gefühl.

Plötzlich flüsterte Chuck in die Stille hinein: „Ich konnte nicht schlafen.“ Sie schaute zu ihm und ermunterte ihn mit einem warmen Lächeln, das er vermutlich nicht einmal sah. Die Flammen schienen ihn vollends gefesselt zu haben. „Es sind bald zwei Wochen ...“ Die Augen weiteten sich und natürlich wusste sie sofort, worauf er anspielte. Ehe sie genau wusste, was zu tun war, sagte Chuck noch: „Aber immerhin hatte das alles auch was Gutes: keine Slytherins mehr.“ Der Galgenhumor stand ihm nicht, aber Leana tat ihm trotzdem den Gefallen und lachte leise, ehe sie ihm die Hand auf die Schulter legte. Ein Ruck ging durch das Körperteil und sie hatte die Befürchtung, er würde sich winden, aber er tat nichts dergleichen, sondern blieb still sitzen. „Wenn du irgendwann darüber reden willst...“

„Nein, schon gut.“

„Okay. Ich glaube ja, dass ein Teil von ihr dich wirklich mochte“, lächelte Leana überzeugt und Chuck starrte sie an, als sei sie ein Troll mit pinker Schleife. Sie war verunsichert. „Man kennt das aus so vielen Romanen, Charles.“ Die Schulter zuckte abermals und dieses Mal nahm Leana die Hand weg. „Du – ihr romantischer Junge, der aber leider aus einer vollkommen anderen Welt kommt. Und sie – das reiche Mädchen, das eben Verpflichtungen hat. Es ist eine der klassischen Liebesdramen. Darüber hinaus … sie war immerhin hier, nicht wahr?“

Der 13.11.

Es verlief alles wie in Zeitlupe.

Bisher hatte sie sich immer bemüht, solchen Situationen aus dem Weg zu gehen – und jetzt stand sie mittendrin. Oh, Rampenlicht stand ihr für gewöhnlich hervorragend, aber gerade dieses eine gefiel ihr nicht. Es war beklemmend. Und erinnerte sie schwammig an die Ansage, die ihr dämlicher Tanzpartner Hyde in ihrer ersten gemeinsamen Tanzstunde von sich gegeben hatte: in der linken Ecke: Charlotte Jade Ashdown mit dem Kampfgewicht einer Fee und der Ausstrahlung einer Banshee. Und in der rechten Ecke: Rhydian Hyde mit den Muskeln eines Bergtrolls und dem Stolz eines Zentauren. Nur, dass dieses Mal keinesfalls sie und ihr Tanzpartner – würg – im Vordergrund standen, sondern Charles Bloodworth und Oliver Coven. Erstaunlicherweise beides ihre Ex-Freunde. Der eine mehr, der andere weniger frisch und sie konnte nicht sagen, bei wem sie ihren Abgang mehr bereute.

Aber von vorne.

Es war ein relativ schöner Samstagmorgen im November gewesen. Ausnahmsweise hatte ihre Freundin Lilian mal nicht mit einem gewissen Löwen zu tun und sie gönnten sich ein ausgiebiges Frühstück – allerdings hielt die Freude darüber nicht lange an. Hausaufgaben, Pflichten – und schlussendlich ließ Lilian sie stehen. Wie immer in letzter Zeit. Sie versuchte, sich nicht allzu viel daraus zu machen und versuchte ebenfalls, ihren Bruder zu finden – vergebens. Jacob ließ sich auch nicht blicken. Also war sie hinaus auf den Hof gegangen, einfach, um mal ein bisschen Luft zu schnappen, so albern sich das im Bezug auf ihre herrliche Person auch anhörte.

Und das war der fatale Fehler gewesen.

Charles Bloodworth hatte genau die gleiche Idee gehabt und saß auf einer Bank, weit weg von ihrer eigenen. Mit einigem Aufruhr in Magen und Herz versuchte sie vergeblich, sich auf die Zeitschrift vor sich zu konzentrieren. Der Blick wanderte immer wieder über den Rand hinweg zu dem Löwen, der sie aus seinem Winkel dank eines Baumes nicht sehen konnte. Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr – Oliver.

Die graugrünen Augen weiteten sich erschrocken. Er schaute zu ihr. Sah sie. Und erkannte sie. Das Herz blieb stehen. Seine Mimik wurde kalt, nahezu eisig, aber sie wusste, dass es der Versuch der Selbstbeherrschung war. Er zögerte. Ging nicht sofort wieder und Charlotte fühlte die Beklemmung ganz deutlich, als Olivers Blick zu Chuck wanderte. Es war eine seltsame Situation, so voller Missverständnissen, Lügen und Verrat. Und das deprimierende war: all das ging von ihr aus. Sie konnte den Blickkontakt nicht länger halten und nestelte an ihrer Jacke herum, während die schnellen, harschen Schritte Olivers hinter ihr und hörte ihn derbe Worte zischen. Sie verstand nicht eines, er war zu weit weg, doch der Ton war widerlich und sie presste die Lippen aufeinander. Nicht daran denken. Was zugegeben noch schwieriger wurde, als Chuck sie bemerkte. Sie reckte das Kinn und nahm sich vor, dieses Mal den Blickkontakt nicht zu brechen. Es kam Bewegung in den Löwen, aber im Gegensatz zu Oliver musste er weder sprechen, noch viel tun, damit Charlotte sich schlecht fühlte. Allein die klaren, aber kalten blauen Augen waren Anklage genug. Sie bohrten sich ohne zu Fragen in ihr Gewissen und ließen die ungestellte Frage auf Charles Gesicht wach werden: warum. Und Charlotte hätte ihm keine vernünftige Antwort geben können – und die Erklärung der Wette zählte nicht als vernünftig. Nicht einmal vor ihrem persönlichen Ashdown-Gericht.

Seine Schultern strafften sich und sie wusste, dass er eigentlich aufstehen wollte. Genau wie sie selbst. Alles in ihr schrie, dass sie endlich gehen musste – doch sie konnte nicht. Sie hörte noch immer Olivers Schritte im Nacken, der vermutlich wieder in den Keller ging. Dorthin konnte sie jetzt nicht. Aber hier bleiben? Bei Charles? Der selbe Charles, der jetzt aufstand und ihr einen letzten, viel mehr vernichtenden, als verletzten Blick schenkte.

Scheinbar waren sie jetzt soweit. Über die Phase des Verletzt-seins hinweg und bereit, sich eine Schlammschlacht zu liefern – aber Charlotte hatte weder die Lust, noch die Kraft dazu.
 

Einige Stunden später
 

Lieber Chuck,
 

ich weiß nicht wie und ob ich dir all das erklären kann und ob ich es je wieder gutmachen kann. Ich weiß auch gar nicht, ob ich das überhaupt will. Aber als ich dich gestern im Hof gesehen habe, alleine und mit diesem unglaublich kühlen Blick, da wusste ich, dass es so nicht weitergehen kann. Ob du eine Entschuldigung wohl willst? Ob du mir erlauben würdest, mich zu erklären? Ich weiß nicht einmal, ob ich dir eine vernünftige Erklärung liefern kann. Es war ein Spiel und ich habe gelernt, dass ich andere Menschen nicht in meine Spiele mit hineinziehen sollte. Besonders nicht so tolle Menschen wie dich. Das hilft dir jetzt sehr wenig und ich verstehe, falls du mich nie wieder sehen oder sprechen willst. Es ist nur verständlich.

Aber genau deshalb, weil du mir nicht egal bist und ich mich dafür schäme, was ich mit dir gemacht habe, muss ich darum bitten, das wir uns noch einmal treffen um alles zu bereden. Es ist nicht fair, wie ich dich behandelt habe und ich möchte zumindest glauben, dass du mir eine letzte Chance gibst, um zu beweisen, dass ich kein schlechter Mensch bin. Zumindest nicht in erster Linie.
 

Zur gewohnten Zeit im Musikraum? Das vermisse ich nämlich am meisten.
 

Liebste Grüße,

Charlotte
 

Wenige Minuten später
 

Der Brief wellte sich unter den grünen Flammen und schlussendlich war nichts mehr von ihren ehrlichen, doch absolut lächerlichen Worten übrig. Charles Bloodworth würde niemals erfahren, wie leid ihr es tatsächlich tat und wie sehr sie sich selbst für eine Entschuldigung demütigen würde. Und genau so war es gut.

Immerhin war sie eine Ashdown. Und jemand wie er sollte froh sein, eine wie sie abbekommen zu haben. Wenn auch nur für ein Spiel.

Der 14.11.

„Ich will nicht mehr über … Ich will nicht darüber reden.“ Leana fühlte sich vor den Kopf gestoßen. „Ah, oh. Okay.“ Der Löwe schielte zu ihr und setzte eine Miene auf, die ihr das Mitleid sofort wieder brachte und die eigenen Gefühle in den Hintergrund stellte. Sie nahm Charlotte in Schutz, ja, natürlich tat sie das. Aber dabei hatte sie vollkommen außer Acht gelassen wie sehr sie Chuck verletzt hatte. Sie wollte ihm schon abermals die Hand auf die Schulter legen, aber zögerte, weil das eben schon nicht ganz so angekommen war, wie es sollte. „Lass uns lieber … Wie geht es Adam?“ Ob das ein besseres Thema war? Leana verbarg die Bitterkeit dieser Feststellung und rügte sich innerlich, ehe sie antwortete: „Oh, gut, denke ich.“ Chuck schaute sie lange an, ehe er doch fragte: „Denkst du?“

„Charles, ich will nicht … Adam ist meine Charlotte, okay? Lass uns über etwas Schöneres reden.“ Chuck lachte tatsächlich über diese Formulierung und Leana lachte mit, auch wenn sie nicht genau wusste, weshalb sie eigentlich lachten. „Irgendwie kommen wir heute auf keinen grünen Zweig, huh?“, sagte Chuck mit einem Lächeln in der Stimme und Leana antwortete ebenso lächelnd: „Nein, scheinbar nicht. Obwohl … Professor … Erm, Hagrid lässt dich grüßen. Ich war vorhin bei ihm, weil er mir eine ganz besondere Kohlzüchtung zeigen wollte. Er meinte wohl, sie würde genau die Kalorien treffen, die ein Hippogreif brauchen würde.“ Chuck nickte verständnisvoll und bedankte sich leise. „Und er meinte, wir beide sollten einmal zusammen auf einen Tee hochkommen“, fügte Leana noch mit fragendem Ton hinzu. Er schien zu zögern, schaute sie eine Weile schweigend und nachdenklich an, ehe er die Schultern zuckte. „Gut“, sagte er, „solange ich nicht diese steinharten Kesselkekse essen muss.“ Wieder lachte Leana. „Das ist wahr. Aber er meint es ja nur gut. Ich glaube, die Zähne von Riesen sind einfach anders beschaffen. Härter. Ich finde es seltsam, dass sich noch keiner die Mühe gemacht hat, und das alles aufgeschrieben hat.“ Chuck schüttelte den Kopf, während er mit der Hand eine kreisende Bewegung neben dem schwarzen Schopf machte. „Das wäre eine Aufgabe zum Verrückt werden. Denk doch nur mal dran: die meisten Riesen standen auf Voldemorts Seite.“ Die Rothaarige verstummte für einen Moment und flüsterte dann: „Das heißt doch aber nicht, dass sie alle böse sind.“

„Nein, natürlich nicht. Nur … gefährlich eben.“ Leana seufzte zustimmend. Das Feuer prasselte seine letzten Züge im Kamin und es wurde immer dunkler im Gemeinschaftsraum der Löwen. Das schummerige Licht tanzte an den Wänden und die Stille, die sich über die beiden Gryffindor legte, war keine von denen, die unangenehm war. Ganz im Gegenteil, sie hüllte Chuck und Leana ganz wohlig ein und beinahe war ihr so, als könne sie sich an den Schwarzhaarigen einfach anlehnen und ein wenig schlafen. Beinahe hätte sie dem Gedanken nachgegeben, wäre da nicht das entfernte Ticken der Standuhr gewesen, die in ihrem Rücken ihre Zeige auf ihre Runden schickte. Schläfrig, aber nicht müde warf sie einen beiläufigen Blick auf die Uhr. Sie blinzelte. Und plötzlich war sie wieder hellwach. „Oh, Charles“, rief sie erschrocken aus, während sie aufsprang und zu seiner Hand griff. „Wir müssen schlafen gehen – ach, tut mir leid. Jetzt habe ich dich so lange wachgehalten.“ Chuck schien soeben genauso schläfrig gewesen zu sein, wie Leana selber – er wirkte recht erschrocken und blinzelte ein paar Mal. Dann wich er ihrem Blick aus und wandte sich aus ihrem Griff, ehe er mit ihr zu den Treppen ging. „Naja. So schlimm war es ja nicht“, meinte er mit einem schiefen Grinsen und Leana lachte leise. „Na, das will ich auch hoffen!“ Stille senkte sich abermals herab und die Löwin berührte noch einmal kurz seine Hand, ehe sie den Drang, ihn zu umarmen, zurückdrängte. „Gute Nacht, Charles.“

„Gute Nacht, Leana.“

„Träume was Schönes.“

„Hmh, bestimmt. Du … erm … auch.“

„Werde ich sicherlich, danke! Bis morgen.“

„Bis morgen!“ Chuck stand noch eine Weile am Treppenabsatz, der zu den Mädchenschlafsälen hoch führte und schien zu zögern, ehe er selbst die andere Treppe nahm. In seinen Gedanken spukte der ungesagte Satz herum: der Abend war schön. Und er fragte sich, warum er es einfach nicht über sich gebracht hatte, genau das auch zu sagen.

Der 15.11.

Ein Hauch Kälte durchzog die tiefen Gänge Hogwarts. An sich nichts Ungewöhnliches, immerhin war es bereits November und Hogwarts keinesfalls Kälteundurchlässig. Die meisten Bauwerke dieser Größe waren schwer zu beheizen und erst recht dann, wenn es etliche Geheimgänge gab, die noch nicht entdeckt waren und selbst wenn, nicht zugemauert oder aber wieder freigelegt. Darüber hinaus fand der Vater Wind immer einen Weg, sich durch die Nischen und Ritzen zu pressen.

Obwohl erst Mitte November, war die Weihnachtsstimmung im Schloss schon im vollen Gange. Das Ballkomitee redete von einer Wichtelaktion, von dem Yule-Ball und der Planung der Dekoration. Die Schulleiterin musste sich mit Filch über die maximale Größe der Weihnachtsbäume streiten und ob es in Ordnung sei – was es natürlich war, Filch aber übellaunig werden ließ – in den Gemeinschaftsräumen ebenfalls Bäume aufzustellen. „Feuergefahr“, knurrte der alte Hausmeister, was die Schulleiterin mit einer gebieterischen Miene als Unfug abtat und somit war es beschlossen. Weihnachtsbäume für das ganze Schloss. Es war amüsant, den alten Griesgram noch griesgrämiger als sonst zu sehen, wie er die armen Erstklässler durch die Gänge scheuchte und wilde Verwünschungen hinter ihnen her schleuderte.

Es gingen aber nicht nur normale Dinge von statten. Einige Gemälde tuschelten, es habe sich eine Gruppe von Schülern gefunden. An sich nichts Schlechtes – aber man munkelte und flüsterte, dass sie etwas richtig Großes planten. Jeder im Schloss, der von diesem Gerücht gehört hatte, dachte etwas anderes. Die Schwarzmaler dachten an Tom Riddle zurück, die Rosarotdenker an George und Fred Weasley. Aber keiner wusste etwas Genaues und so schwieg man allgemein zum Thema.

Der siebte Jahrgang schien in den Endspurt vor der Weihnachtspause zu gehen. Alle waren unheimlich geschäftig, brachten neben ihren üblichen und schon reichlich aufwändigen Aufgaben noch massig andere über die Runden und jedes Gemälde, jeder Geist und jeder Hauself bewunderte die wirklich fleißigen Siebtklässler für ihr Engagement und ihren Fleiß.
 

Und besonders er, der fette Mönch, war unheimlich stolz auf seine Dachse, dass sie sich so ins Zeug legten. Insgesamt war sein Haus verschrien. Er wusste nicht, warum, aber der Fast Kopflose Nick redete oft genug mit ihm über Eigenschaften wie Tatkraft, Mut und Intelligenz. Seltsamerweise war das Haus der Dachse mit dem wunderschönen Namen Hufflepuff als Haus der Dummen, Nachsichtigen und Naiven. Aber der fette Mönch, dessen wahrer Name nie genannt wurde und den er auch nicht preisgab, weil einfach niemand fragte, wusste es besser. Jedes Mal, wenn er seine Schützlinge besuchte, wurde er von deren guten Manieren, deren Freundlichkeit und Höflichkeit, von deren Fleiß, Ehrgeiz und Pflichtbewusstsein begrüßt. Dachse waren nachsichtig, das stimmte, aber Nachsicht war nichts Schlechtes. Und insgesamt waren sie doch alle unglaublich nette und liebenswürdige Menschen. Er hatte keinen einzigen Schützling, für den er nicht die Hand ins Feuer legen würde – nun, sofern das bei einem Geist einen Unterschied gemacht hätte.

Wie jeden Montagnachmittag gönnte er sich einen kleinen Rundgang durch die Schlafsäle der höchsten Klassen. Die Jüngeren hatten meist Angst vor ihm, fanden ihn albern, hatten übermäßigen Respekt oder machten sich über ihn lustig – das war bei beinahe allen Geistern und jüngeren Stufen so. Es sei denn, man besaß auch als Geist blutrote Flecken auf der ansonsten weißen Weste. Die älteren jedoch – sein ältester Schüler war mittlerweile 19 Jahre und damit im Berufsfähigen Alter – waren unglaublich gute Gesprächspartner. Vor allen Dingen, weil sie vor ihm zwar Respekt hatten und den auch zeigten, jedoch keine Angst. Sie redeten mit ihm, als gehöre er zu ihnen und das machte den fetten Mönch unglaublich glücklich.

Sein erster Weg führte ihn in den Jungenschlafsaal der sechsten Stufe. Daniel lag auf dem Bett und las ein Buch – wie es sich für einen fleißigen Dachs gehörte, war es ein Schulbuch und wenn der Mönch noch ein wenig genauer hinschaute, handelte es sich um ein neumodisches über Muggel und deren Verhaltensweisen – während die Betten von Ilias und Kieran leer waren. Ein wenig Enttäuschung machte sich in dem Hausgeist breit. Er hatte auf ein Gespräch mit den Jungs gehofft, doch Daniel war sehr vertieft in sein Werk und weil er ihn nicht stören wollte, schwebte der Geist durch die Wand herab in den Gemeinschaftsraum. Zu dieser Zeit war dort immer etwas los und in diesen neuartigen Zeiten gab es Dinge, die ihnen ins Staunen versetzen. Kleine, seltsame Geräte, die wohl aus der Muggelwelt kamen und aus der seltsame Weisen erklangen – die Jugendlichen nannten es Musik, aber für den Mönch unterschied es sich nicht sehr von Krach. Er war Tag aus Tag ein nur Kirchengesänge und Glockenläuten gewohnt gewesen – die Geschäftigkeit und Lautstärke des Internats hatte ihn anfangs sehr verstört. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt.
 

Der Gemeinschaftsraum war am späten Nachmittag – es war ungefähr fünf – nur mäßig gefüllt und die Lautstärke hielt sich auch in Grenzen. Was er manchmal von Nick hörte, Himmel und Gott bewahre, er war froh, Hufflepuff sein Haus zu nennen. Denn bei ihm war es immer angenehm. Warm. Kuschelig. Und das helle Lachen war niemals wirklich unangenehm. Besonders nicht, wenn es Gabrielle Miller war, die lachte. Aber besagte Gabrielle Miller befand sich heute nicht im fröhlichen Beisammen ihrer Lieben. Schade. Aber der fette Mönch machte keine Unterschiede zwischen seinen Schülern, er freute sich bei allen gleich viel. Oh und dann freute er sich auch immer, wenn Besuch aus anderen Häusern kam. Heute zum Beispiel war einer der Adler bei ihnen im Haus. Der amtierende Schulsprecher höchstpersönlich! In einer intensiven Schachpartie mit dem Quidditchkapitän seiner Mannschaft vertieft, hach, das erfreute das Herz! Nunja, soweit man davon bei einem Geist sprechen konnte …

Mit munterem Gesicht eilte er zu Georgij und Michael herüber und schwebte einen Moment unbemerkt neben dem Zauberschachbrett. „Jungs! Ich habe euch Kaffee geholt – oh, hätte ich gewusst, dass Sie heute auch vorbei kommen, hätte ich einen Kaffee mehr mitgebracht.“ Der fette Mönch fühlte sich zutiefst geschmeichelt, als er das freundliche Gesicht von Lauren Miller ausmachte und neigte den beleibten Körper ein wenig. „Vielen Dank, aber das ist zu viel der Ehre. Es macht sich nicht besonders gut in meinem Zustand Kaffee zu trinken.“ Die beiden Schachspieler schienen aus ihrer eigenen Welt langsam zurück zu kehren und während Georgij dem Mönch mit einem schmalen Lächeln zunickte, kümmerte sich Michael eher um Lauren. „Na endlich! Du hast dir ganz schön Zeit gelassen. Hast du wenigstens daran gedacht, dass ich den Kaffee absolut schwarz trinke?“ Die Rothaarige lächelte gezwungen und der fette Mönch konnte ihr an der Nasenspitze ansehen, dass sie rein gar nicht lächeln wollte. Mit besorgter Miene nahm er zur Kenntnis, dass es dicke Luft im schönen gelben Raum gab, aber ehe er etwas hätte sagen können, verzog sich Michaels Gesicht schmerzverzerrt. „Georgij!“

„Mike?“

„Warum hast du … Autsch! Jetzt reicht es aber.“ Der Russe blinzelte in absoluter Gelassenheit und bedankte sich leise bei Lauren, die ihm eine Hand auf die Schulter legte, ehe sie sich auf das Sofa neben den fetten Mönch setzte und tief durchatmete. Dann schaute sie zu dem Geist, überschlug die Beine und fragte höflich: „Was führt Sie zu uns, fetter Mönch?“ Der Mönch freute sich sichtlich darüber, dass sie sich ganz um ihn kümmerte und tat so, als setze er sich ebenfalls auf das Sofa. Natürlich konnte er das als Geist nicht, aber das gab den Menschen immer ein gutes Gefühl, wenn man sich noch so menschlich, wie es mit einem durchlässigen Körper wie diesem hier ging, benahm. Auf dem breiten Gesicht bildete sich ein warmherziges Lächeln. „Oh, Sie wissen doch was man so über mich sagt, Fräulein Miller. Nie um einen Plausch verlegen. Immerhin muss ich vieles nach beinahe fünf Jahrzehnten Schweigegelübde nachholen.“ Er freute sich, dass sie begann zu lachen und ihm zustimmte. „Mir ginge es da wohl ähnlich. Haben Sie uns denn irgendwas Schönes zu berichten?“

„Ja, eine Anekdote aus Ihrem äußerst interessanten Leben als Mönch?“, frotzelte Michael mit einem so charmanten Lächeln, dass der Hausgeist ihm gar nicht böse sein konnte. Wenn Blicke jedoch töten konnten … Georgij und Lauren verteidigten ihr Haus und ihren Geist mit den bitterbösen Blicken und der Adler zog mit erhabener gehobener Braue einen Bauer vor. „Dein Zug, Georgij.“ Angesprochener nickte und machte den nächsten Zug – er befreite seinen Springer aus einer äußerst misslichen Lage und über die Spannung des Spiels, hätte der fette Mönch beinahe die Frage der hübschen Lauren vergessen, doch augenblicklich fiel sie ihm wieder ein. „Oh. Oh ja, gnädiges Fräulein“, fing er strahlend an und Lauren lachte leise, wahrscheinlich aufgrund der Anrede, „ich feiere demnächst eine kleine – wie nennt man das heutzutage – Partei?“

„Party“, korrigierte der Adler in wissender Manier und der Geist bedankte sich aufrichtig. „Sie wissen ja gar nicht, wie schwierig die aktuelle Sprache ist, mein Herr“, fügte er noch hinzu und Michael schien für einen Moment nicht zu wissen, wie er auf diese Freundlichkeit angemessen reagieren sollte. Also wurde er von Georgij abgelenkt, der leise „dein Zug“ brummte. Der Mönch ließ sich abermals vom Schach ablenken und beobachtete, wie der Russe zwei Bauern, der Adler einen Turm verlor. Lauren neben ihm räusperte sich und er schreckte auf. „Oh, verzeihen Sie, Fräulein Miller, ich lasse mich so furchtbar leicht ablenken, seitdem ich nicht mehr streng darauf achten muss, was ich esse und wie ich etwas tue.“ Lauren winkte ab und fragte: „Was für eine Art von Party? Haben Sie Geburtstag?“

„Oh nein, ich nicht. Aber eine sehr gute Freundin von mir. Sie hat ihren ersten Todestag und der ist immer etwas ganz besonderes. Man wird in die Gesellschaft der Geister integriert.“ Lauren nickte verständnisvoll und auch der Russe schien nun kein Interesse mehr am Schachspiel zu haben, sondern beäugte den Hausgeist interessiert. In so viel Aufmerksamkeit gebadet, fühlte sich der fette Mönch ein wenig unwohl und hätte er noch Blut im Körper, wäre er vermutlich rot angelaufen. So aber gluckste er nur leise, als Georgij fragte: „Wie darf man sich das vorstellen?“

„Brillante Frage, Georgij, aber hier spielt die Musik.“ Mike wedelte mit der weißen Königin Georgijs vor dessen Nase herum und der runzelte die Stirn. „Wie hast du das gemacht?“ Mike lachte: „Tja, wenn man nicht aufpasst, mein Guter, bekommt man die Retourkutsche. Und jetzt streng dich ein bisschen an. Ich will meinen Rekord von sieben Zügen Schachmatt nicht heute brechen.“ Ehe ein Streit vom Zaun brechen konnte, wandte der Geist eilig und mit zitternder, erhobener Stimme: „Alle Geister von Rang und Namen kommen nach Hogwarts.“ Lauren runzelte die Stirn und nippte an dem Kaffee, der in einem Plastikbecher – Plastik! Welch lustige Erfindung – in ihren Händen ruhte. „In Hogwarts? Warum hier?“

„Nun ja – der Platz ist hier einfach gewährleistet und wir Hausgeister bekamen einst von Dumbeldore – möge er in Frieden ruhen - das reizende Versprechen, für unseren Dienst an Hogwarts dürften wir ab und an unsere Freunde einladen. Und gerade zu so großen Festen ist uns das eine Ehre!“

„Dumbeldore, huh? Der hat aber auch alles geschafft. Zentauren, Meermänner, Geister.“ Die Stimme des Adlers war dieses Mal mit aufrichtiger Bewunderung gefüllt und selbst Georgij schien das zu überraschen, doch er sagte nichts und beraubte ihn des letzten Turmes. „Oh ja, er war ein wundervoller Mann. Voller Güte, aber auch Strenge. Er hätte Merlin Konkurrenz gemacht – schade, dass er so früh und dermaßen unglücklich verstorben ist“, seufzte der fette Mönch und Lauren wollte ihm eine Hand auf die Schulter legen, erschauerte aber, als sie durch den Körper durchfasste. Der voluminöse Bauch vibrierte, als der Mönch lachte. „Ach, Liebes, vielen Dank. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Viel eher … wie wäre es, wenn Sie“, dann schaute er zu Georgij und Michail, „und auch Sie, Herr Sokolow und Herr Sebturo zu unserer Feier kommen?“

„Nein danke“, schnaufte der Schulsprecher, „ich für meinen Teil habe Unterricht.“

„Aber die Feier ist erst am Wochenende. Samstag, um genau zu sein“, argumentierte der Geist und Lauren und Georgij tauschten einen Blick. Ein kurzes Schweigen entstand, dann nickte der Russe. „Ich würde gerne kommen.“

„Ich auch“, bestätigte Lauren mit dem so schiefen Lächeln und der Hausgeist quietschte leise. „Das wird herrlich! Und je mehr Freunde Sie mitbringen, desto schöner wird es. Ach, übrigens, haben Sie schon gehört …“ Gerade wollte der Hausgeist ihnen brühwarm erzählen, dass er Hausmeister wieder einmal auf taube Ohren bei der guten Schulleiterin gestoßen war, da kam Emilie Warren mit Rhydian Hyde im Schlepptau in den Gemeinschaftsraum. „Oh, Georgij! Was machst du denn noch hier? Ich dachte, du trainierst heute Luke?“, rief Emilie aufgeregt und der Russe schaute auf die Armbanduhr. „In einer Stunde. Wir haben das Training verschoben.“

„Oh, achso.“ Rhydian kam zu ihnen herüber und wollte sich neben Lauren fallen lassen, da herrschte die: „Rhys! Du kannst dich doch nicht auf den fetten Mönch setzen!“

„Ach, das ist nicht schlimm ...“

„Oh nein, uuuuups! Tut mir leid.“

„Wirklich, gar nicht schlimm, Herr Hyde. Immerhin können sie mir nicht viel weh tun.“ Er zwinkerte dem Adler zu, ehe er den Standort wechselte, damit er sich setzen konnte. „Fräulein Miller, wollen Sie ihren Freund nicht auch zur Feier einladen?“

Emilie und Rhydian schienen gleichzeitig die Köpfe hochzurecken und wie aus einem Mund zu fragen: „Feier?!“ Lauren nickte und erklärte ihnen, worum es ging. Die beiden waren begeistert. „Aber ja, klar“, versichte Rhys sofort und strahlte aus allen Knopflöchern. Der fette Mönch konnte die Regungen der Menschen nicht gut nachvollziehen, zumal die Ravenclaw-Schüler mit ihm nicht viel zu tun hatten. Doch Rhydian schien sich ebenso sehr zu freuen, wie Emilie und das wiederrum erfreute den Hausgeist. „Wunderbar. Dann freue ich mich sehr darauf, Sie alle zu sehen. Aber ich will Sie nicht weiter beim Schachspielen stören-“

„Sehr verbunden“, sagte Mike trocken und der fette Mönch glitt als Dank durch ihn hindurch, ließ in schaudernd zurück und ermögliche Georgij somit den letzten Zug. „Schachmatt. Du kommst mit zur Feier.“

Der 17.11.

Hitzige Diskussionen blieben in einem Internat nicht aus. Manchmal eskalierten sie und es gab handfeste Reibereien, die ab und an sogar Verletzte mit sich brachten. Matthew Gallagher konnte davon ein Liedchen singen. Er war einer der Adler, die nicht besonders klug in das Haus gewählt worden waren – er vertraute eher auf seine Muskelkraft, als auf sein Gehirnschmalz. Aber gerade hier, im Gemeinschaftsraum der Adler, waren selten solche Handgreiflichkeiten zu bewundern. Viel eher … Ja, Adler kämpften mit Worten, nicht mit Fäusten.

Auf der Bühne zu finden waren heute: Rhydian Hyde als absoluter Geist-Fan. Man denke nur an Ghost Busters! Hell yes!

Matthew Gallagher als absoluter Rhydian-Support.

Logan Clark als abenteuerlicher Partygänger.

Mike Sebturo als gelangweilter Anti-Geist-Supporter. Immerhin waren es Geister. Wie spannend konnten die scho sein?

Und Aurelia Reeves, die zwar eine Schlagzeile witterte, ihre Skepsis jedoch nicht ganz abwerfen konnte. Zurecht?

Matt und Rhydian kämpften jedenfalls mit hektischen Worten und Gesten dafür, dass sie alle geschlossen zur Fete des fetten Mönches gingen. „Pfui, wie oft noch, Jungs?“ Mike schien mittlerweile nicht mehr ganz so freundlich, wie am Anfang, als er mit vor Arroganz und Spott triefender Stimme begann. „Es sind nur Geister. Mit denen kannst du weder tanzen, noch kannst du sie anfassen – außerdem sind die meisten seit Jahrhunderten tot und an unserem Hausgeist sieht man ja sehr wohl, wie langweilig die Toten sein können.“

„Aber so eine Chance kriegen wir nicht noch einmal“, beharrte Rhys und Matt fügte mit Enthusiasmus hinzu: „Außerdem meinte der fette Mönch doch, das Geburtstagskind habe ihren ersten Todestag, oder nicht? Dann ist es doch erst ein Jahr tot und müsste demnach nicht langweilig sein. Und der Fast Kopflose Nick ist zum Beispiel auch nicht langweilig.“ Er zögerte. „Etwas seltsam vielleicht, aber nicht langweilig.“ Aurelia räusperte sich. Sie war bisher still geblieben und hatte sich die Argumente angehört, ähnlich wie Logan, aber dessen Begeisterung war in dem Moment als das Wort Party gefallen war, geweckt worden. „Wird es denn Essen und Trinken geben?“, erkundigte sich die Reeves höflich. Matt und Rhys tauschten einen Blick und unsicher hob Hyde die Schultern. „Also, hm. Keine Ahnung. Sie sind ja Geister – nein?“ Matt wandte ein: „Andrerseits wissen sie ja, dass zumindest Georgij und Lauren hingehen...“ Taktischer Schachzug den Freund Aurelias zu erwähnen? Die Miene der Reeves blieb unverändert, demnach also eher nicht. „Das heißt aber nicht gleich, dass es auch Essen und Trinken gibt?`“, bohrte Aurelia weiter und die beiden Sechstklässler mussten sich geschlagen geben und schüttelten synchron die Köpfe. Mike seufzte erleichtert. „Na endlich! Können wir diese unsinnige Diskussion also endlich lassen und uns wichtigerem zuwenden?“ Logan erwiderte trocken: „Deinem Modegeschmack?“ Mike hob eine Braue und grinste widerlich freundlich. „Oh, ich kann dir gerne etwas davon abgeben, Logan, kein Grund um eifersüchtig zu sein.“

„Ruhe“, befahl Aurelia mit gelassener Stimme. „Wenn ihr nicht vernünftig, dann sollte einer von euch gehen.“ Auffordernd schaute sie beide Adler nacheinander an, doch weder Logan noch Mike gingen. Sie nickte zufrieden. „Also, so wie ich das sehe ...“

„Was ist denn hier los?“

Alle Köpfe drehten sich herum und Julia Watson steuerte auf die Gruppe zu. „Eine Versammlung und ich bin nicht eingeladen? Das nehme ich persönlich.“ Matt und Rhydian rückten auf, sodass die Sechstklässler alle zusammen auf eines der marineblauen Sofas passten, auch ohne zu kuscheln. „Es hatte so seine Gründe, dass wir dich nicht eingeladen haben“, witzelte Matt mit schiefen Grinsen und Julia erwiderte mit hoch gezogener Braue: „Charmant wie immer, huh, Gallagher?“ Tatsächlich schaffte es besagter Gallagher irgendwie immer, den Nerv anderer zu treffen und war auf diese Rüge hin lieber ruhig. Rhys befeuchtete sich währenddessen die Lippen und fragte: „Du, Jules? Was hältst du denn von Geistern?“

„Ist das eine ernst gemeinte Frage?“

Rhydian, Logan und Matt nickten synchron. Julia seufzte. „Naja, sie gehören zu Hogwarts dazu. Was soll ich von ihnen halten?“

„Sehr gut!“ Rhydian strahlte und schlug sofort vor, dass sie doch auch mit zur Fete des fetten Mönches kommen sollte. Einfach, damit sie die Adlergemeinschaft ordentlich vertraten! „Moment, der fette Mönch? Fete? Tut mir leid, Leute, aber ich verstehe gar nichts.“ Aurelia erklärte es ihr seelenruhig, auch wenn die Anspannung zwischen den beiden beinahe zu greifen war. Julia blinzelte und schickte den giftigen Blick zu der Reeves, ehe sie langsam nickte. „Und ihr seid euch jetzt nicht ganz einig, ob ihr hingeht?“, hakte sie nach und bekam allgemeines Gebrummel als Bestätigung. „Dann stimmen wir doch einfach ab. Wer ist dafür?“ Verblüffung machte sich breit, dass die Lösung ihrer Diskussion wirklich dermaßen einfach war – aber sofort schossen Matts und Rhys Hand hoch. Logans folgte. Julia zuckte mit den Schultern und hob ebenfalls die Hand. Aurelia schaute kurz zu Mike, dann nickte sie und hob ihre Hand ebenfalls. „Ihr … das sind Geister, was ist so interessant daran?!“ Julia lächelte spitz. „Mike – als Schulsprecher solltest du die Interessen aller vertreten. Diplomatie gewinnt. Also. Am Samstag im Keller? Beim fetten Mönch?“

„Aye!“
 

Zur gleichen Zeit, einen Turm weiter...
 

Michail runzelte die Stirn, obwohl das charmante Lächeln weiterhin auf seinen Zügen festgeklebt zu sein schien. Er amüsierte sich sichtlich über Selinas Reaktion – sie stemmte die Hände in die Hüften und pustete sich energisch eine der brünetten Strähnen aus dem Gesicht. „Wenn du glaubst, du könntest einfach verlangen was du willst … Also wirklich, Michail!“

„Also wirklich, Selina, was dann?“, schmunzelte der Löwe und überschlug die Beine dermaßen lässig, dass es einen wirklich ärgern könnte. Er schien ihre Diskussion nicht einmal annähernd ernst zu nehmen. Die Wahrheit war: das Leben war zu schön, um alles immer ernst zu nehmen. Obwohl es natürlich fatal gewesen wäre, wenn er gerade diese eine Sache nicht würde ernst nehmen. Selina atmete tief durch und schüttelte den Kopf. „Schon gut. Ich habe mich künstlich aufgeregt. Eigentlich weiß ich ja, wie du bist. Mir … entfällt es nur ab und an.“ Michail lachte und wackelte mit den Augenbrauen. „Bin ich etwa nicht der Märchenprinz, von dem Hendrikje immer erzählt hat?“ Selina lachte und setzte sich ihm gegenüber in einen der roten Sessel – rot stand ihr sehr gut. Warum sie überhaupt bei den Schlangen gelandet war … Schade. „Nein, eher weniger. Eigentlich … hm … überhaupt nicht. Aber das ist nicht schlimm.“ Immerhin waren sie sich ja einig, nicht wahr? Michail nickte zustimmend auf die stumme Frage und schaute rüber zu der Gruppe Löwen, die miteinander tuschelten. Der Niederländer spitzte die Ohren, weil gerade Leana und Adam ernste Gesichter machten. Dann musste es doch etwas Interessantes sein, nicht wahr? Dass Selina gerade mit ihm sprach, ignorierte er gekonnt.
 

„Der fette Mönch alszo?“ Adams Stimme.

„Naja, Matt meinte, es wäre eher irgendein … Neugeist, oder so.“ Rebecca Smith.

„Aha. Und deshalb eine Party?“ Wieder Adam.

„Scheinbar.“ Charles …

„Die Geister haben schon ne Macke, oder?“ Abermals Smith.

„Das würde ich so jetzt nicht sagen … Immerhin haben sie ja auch ein Recht auf Spaß. Ich stelle mir ein Leben als Tote … hach, wie sich das anhört … schon ziemlich trist und einsam vor. Wir sollten hingehen, meint ihr nicht auch?“ Wem diese Stimme gehörte, war klar – Rechte für Geister. Michail schmunzelte vor sich hin, ehe er bemerkte, dass Adam ihn anschaute. Der Kapitän der Löwen schien zu zögern, dann winkte er Michail und Selina heran. Leana schaute auf und lächelte die Slytherin breit an, machte auf ihrem Sofa zwischen Chuck und sich etwas Platz und ließ Selina dazu. Michail setzte sich neben Adam und fragte munter: „Ihr redet also über die Fete vom fetten Mönch?“

Rebecca verschränkte abschätzig die Arme vor der Brust. „Hat sich das schon so rumgesprochen?“

„Nein, aber ihr brüllt ganz schön“, erwiderte Michail grinsend, „wie es sich für echte Löwen gehört.“ Adam nickte – ob auf Michails Worte oder auf seine eigenen Gedanken war nicht ganz klar – und fügte hinzu: „Und wie esz szich für echte Löwen gehört, szollten wir unsz das anszehen.“ Leana, Rebecca und Chuck schienen eh von Anfang an dafür gewesen zu sein und nickten eifrig. „Ich sag Ian nachher noch Bescheid – der muss gerade noch nachsitzen oder so, keine Ahnung – und dann sind wir echt schon viele! Bestimmt mehr Löwen als Dachse, hehe.“ Als ob das hier ein Wettbewerb wäre. Michail schaute rüber zu Selina und Leana sprach das aus, was er gerade dachte: „Selina? Kommst du auch mit?“ Alle Augen legten sich auf die Slytherin, die unschlüssig die Hände hob. „Ich muss den Schnitt an Schlangen ja heben, huh?“

Lachend balgten sie sich eine Weile auf dem Sofa, während Michail schon an den Raum der Wünsche dachte und an ihr kleines Vorhaben – ob die Geister etwas wussten?

Der 19.11.

Reeves: Danke, dass ihr beiden die Zeit gefunden habt, um Charlotte und mir Rede und Antwort zu stehen. Ich bin eure Ansprechpartnerin für die Quidditchfragen … nun, zumindest werde ich mein Bestes geben … und Charlotte wird ein paar persönliche Fragen stellen.

Ashdown: Ja, danke an euch beiden. Darf ich gleich anfangen?

Hastings: Szicher, danke für die Einladung.

Ashdown: Wie lange seid ihr beiden denn nun schon zusammen?

Swan: Danke, aber das ist und bleibt unser kleines Geheimnis.

Ashdown: Habt ihr bereits Pläne? Immerhin steht bald der Yule-Ball ins Haus.

Swan: (lacht) Ich warte immer noch darauf, dass er mich endlich fragt.

Hastings: Wasz? Ich meine, ich dachte-

Ashdown: Also hat Adam noch nicht gefragt?

Swan: Nein.

Hastings: Aber-

Ashdown: Wie sieht es mit der Party vom fetten Mönch aus?

Swan: Welche Party?

Hastings: Der fette Mönch gibt am Szamsztag eine Party für irgendeinen Neu-Geiszt.

Swan: Du wusstest davon?

Hastings: Ich wollte dir heute Abend davon erzählen.

Ashdown: Hach, die erste Ehekrise … Habt ihr euren ersten Streit schon hinter euch?

Swan: (lacht) Unsere Beziehung baute auf einem einzigen großen Streit auf.

Hastings: Mehrere … Misszversztändnissze haben esz am Anfang nicht leicht gemacht.

Ashdown: Ich verstehe. Neue Bindungen eingehen ist natürlich nie leicht.

Hastings: Nein, ich meinte dasz andersz und dasz szolltest du eigentlich auch-

Swan: Er meinte nur, dass es wirklich viele Missverständnisse gab, die auch nicht so leicht aus dem Weg zu räumen waren.

Ashdown: Hmh. Habt ihr denn Gemeinsamkeiten außer Quidditch? Eine gemeinsame Lieblingsfarbe? Essen? Ort?

Hastings: Alszo, wir szind ja noch nicht szo lange zuszammen … Wir haben noch viel Zeit, um unsz kennenzulernen.

Swan: Das stimmt.

Ashdown: Einen Tipp, Adam? Probier es mal mit französischem Rotwein, lieblich, nicht zu herb, nicht zu süß.

Hastings: Ähm … danke?

Ashdown: Gern geschehen. Und frag sie gefälligst schnell, ob sie mit dir zum Yule-Ball geht, sonst tue ich es. (lächelt)

Hastings: (verwirrt) Okay.
 

Reeves: So. Dann kommen wir doch zu den Quidditch-Fragen. Adam? Als Kapitän der Löwen geht es als nächstes gegen Hufflepuff. Slytherin hat das letzte Spiel gewonnen, wie hoch ist da der Druck?

Hastings: Der Druck und die Erwartungen szind immer hoch, ob Szlytherin nun gewinnt oder nicht. Esz iszt dasz erszte Szpiel, da wollen die Leute unsz natürlich gewinnen szehen.

Reeves: Siehst du euch auch als Titelfavorit?

Hastings: Ich denke, dafür iszt esz noch zu früh. Alle Mannschaften wurden ziemlich durchgewürfelt. Szelbst die Schlangen hatten anfangsz arg damit zu kämpfen.

Reeves: Ich verstehe – dein Jäger Trio tritt jetzt das zweite Jahr in dieser Formation auf. In wie fern gibt das Sicherheit?

Hastings: Esz iszt immer gut zu wisszen, dassz da Leute szind, die schon aufeinander abgesztimmt szind. Beszondersz, wenn die die Tore machen. Aber Rebecca macht ihren Job auch szehr gut und dasz obwohl szie neu iszt. Manchmal szind Neuerungen dasz Beszte, wasz einem passzieren kann. (drückt unter dem Tisch Lilians Hand)

Reeves: Lilian – nach deinem Unfall dachten wir alle nicht, dass du so schnell wieder auf einen Besen steigst. Was hat dir geholfen?

Swan: Ich hatte unglaublich gute Freunde an meiner Seite und eine Menge Ablenkung. Oliver hat mich erst spät zurück ins Training geholt und anfangs war es nicht einfach, weil bei kleinen Belastungen die Rippen weh getan haben. Aber eine Woche vor dem Spiel gegen Ravenclaw war alles wieder in bester Ordnung. Wie man gesehen hat, denke ich.

Reeves: Das hat man in der Tat. Deine Leistung war hervorragend!

Swan: Danke.

Reeves: Also, ihr zwei werdet demnächst gegeneinander spielen. Wie sieht es aus? Samthandschuhe?

Hastings: Nein, definitiv nicht. Der Szport geht da vor.

Swan: Sehe ich genauso. Wir spielen immer noch so, wie vorher. Und ich werde Adam das Leben sicherlich nicht einfach machen.

Hastings: Ich dir auch nicht, Kleinesz.

Reeves: (lacht) Das glaube ich euch aufs Wort! Dann danke ich euch für eure Zeit – nochmal. Ist es euch Recht, wenn das Interview veröffentlicht wird?

Hastings & Swan: Natürlich.

Ashdown: Dann bedanke ich mich auch. Schönen Tag euch noch.

Der 21.11.

Es war laut und ungewöhnlich stickig dafür, dass der Raum mit Toten gefüllt war. Die noch lebenden Gäste schauten sich ehrfürchtig um – es waren mehr gekommen, als die Geister gedacht und eingeladen hatten und vor allem aus allen Häusern! Selbst Slytherin hatte sich die Ehre gegeben.

Der fette Mönch war äußerst zufrieden mit sich und den übrigen Geistern, die die Werbetrommel gerührt hatten. Natürlich hauptsächlich Sir Nicolas, aber das war nicht weiter wichtig. Die Dekoration war schlicht gehalten. Kühles Blau wechselte sich mit warmen Orange auf den Girlanden, die die Decken schmückten ab und obwohl Geister selber natürlich nichts essen konnten, hatten sie ein kleines Buffet für die weltlichen Gäste aufgebaut. Und dem fehlte es an nichts. Eine riesige, mit rosafarbenem Zuckerguss überzogene Torte stand in der Mitte und der Spruch Happy Birthday ließ darauf schließen, dass einer der Gäste sich wohl einen Scherz erlaubt hatte. Oder aber es völlig ernst und viel zu gut gemeint hatte.

Es gab zwar keine Stühle und die Musik war schaurig und jagte einem zarten Gemüt wie dem Hausgeist der Dachse einen Schauer über den Rücken, aber trotzdem glaubte er, niemals eine schönere Geisterparty gesehen zu haben. Er schwebte herüber zu Lauren, Georgij, Emilie, Gabrielle und Kieran, die in einem Pulk am Eingang standen und scheinbar nicht so recht wussten, ob sie überhaupt reinkommen durften.

„Kommen Sie rein, kommen Sie rein. Bedienen Sie sich am Buffet und lauschen sie den wohltuenden Klängen meiner Nachfahren. Nun kommen Sie schon, nicht so schüchtern. Ich muss Ihnen unbedingt jemaden vorstellen, Georgij, kommen Sie.“ Der Russe sah ein wenig zweifelnd aus, nickte jedoch und warf Lauren einen fragenden Blick zu. Auch diese zögerte. Aber unter Freunden verstand man sich ohne viele Worte – Georgij war es unangenehm, alleine mit dem Geist mitzugehen und Lauren biss in den sauren Apfel und anstatt mit ihrer Schwester ein bisschen Spaß zu haben, ließ sie sich mit Georgij zusammen alle möglichen russischen Geister vorstellen, die den armen Kapitän sofort mit Fragen über die aktuelle politische Lage bombardierten. Der fette Mönch war zufrieden und schwebte zurück. „Fräulein Miller, Fräulein Warren? Darf ich Sie entführen? Herr Wiggem, Sie dürfen auch gerne mitkommen. Ich muss Ihnen die Torte zeigen, die Herr und Fräulein Smith für die gute Nachtigall fabriziert haben – ein Meisterwerk aus Zucker und Erbeeren. Schade, dass es uns Geistern nicht mehr vergönnt ist, sie auch zu kosten. Aber Sie dürfen gerne ein Stück abhaben. Kommen Sie, kommen Sie.“
 

Lilian drängte sich an Adam und warf ihm einen skeptischen Blick hinauf, den er mit einem Schulterzucken erwiderte. „Dasz iszt nicht ganz dasz, wasz wir erwartet haben, oder?“ Lilian schüttelte den Kopf und verschränkte ihre Hände ineinander. „Nein, wirklich nicht. Aber so schlecht ist es doch nun auch nicht, oder?“ Adam grinste, ehe er sie wortlos küsste und mit sich zu einem Geist zog, der in einem Anzug vor ihnen auf und ab schwebte und ihnen pikierte Blicke zuwarf. „Darf ich vorsztellen, Lilian? Einer meiner Vorfahren.“

„Erfreut. Hastings“, näselte der Geist und streckte Lilian die Hand hin, die sie stirnrunzelnd annehmen wollte. Im letzten Moment zog der Vorfahre Adams die Hand zurück und lachte wiehernd. „Hereingefallen Miss Lilian!“, grölte er und schwebte davon. Adam zuckte mit den Schultern. „Szie szind nicht alle szo...“
 

Michail plauschte währenddessen gut gelaunt mit einer reizenden Geisterdame von altem Geblüt, die steif und fest behauptete, er sei ihr verschollener Sohn. Er machte ihr eine Freude und gab Komplimente, um im Gegenzug mehr darüber zu erfahren, wer das Geburtstagskind war. „Oh“, theatralisch legte sie ihre Hand an die Stirn, „das weiß ich leider auch nicht so recht, mein lieber Sohn. Allerdings meinte der werte Mönch, dass sie ganz bezaubernd singen könne!“ Der verächtliche Blick galt dem als Geisterchor aufgestellten Singstimmen am hinteren Ende des gigantischen Kellergewölbes. „Nicht so wie die Amateure. Hast du auch eine Singstimme, mein Sohn?“

„Eine ganz hervorragende, aber ich ziehe es vor, sie nicht vor allen Leuten zu zeigen. Was meinen Sie? Sie erzählen mir ein bisschen was über Hogwarts, den werten Mönch und sich und dafür beehre ich Sie mit meiner Singstimme? In einer ruhigen Ecke, versteht sich.“ Hätten die Augen eines Geistes leuchten können, so hätten sie es jetzt getan. Überschwänglich drehte sich die Dame im Kreis und flog voraus, während Michail pfeifend folgte. Er zwinkerte Oliver zu, der mit mürrischer Miene in einer Ecke lehnte und den Kuchen zu Tode erdolchte.
 

Oliver hatte eigentlich gar nicht hier sein wollen. Samstage boten so viele Möglichkeiten des Trainings – und gerade für den letzten Spruch, den sie im Raum der Wünsche geprobt hatten, hätte er sich einen Moment Zeit nehmen müssen. Aber Lilian und Michail hatten darauf bestanden, dass er mitkam. Und jetzt? Jetzt verschwand Michail mit dieser hässlichen fetten Dame und Lilian turtelte mit ihrem Macker.

Und wo war eigentlich Julia?
 

Julia war bei Rhydian, Chuck und Matthew – was sie bei denen tat, wusste sie aber auch nicht so recht. Sie unterhielten sich gerade vollkommen fasziniert mit einem Geist aus den 70ern, der freie Liebe, Sex überall und Gras predigte. Sie verdrehte die Augen und wollte sich gerade entschuldigen, da legte sich eine eisige Hand auf ihre Schulter. Sie schnappte nach Luft und als sie sich umdrehte, schaute sie in die leeren, toten Augen eines – Überraschung – Geistes. „Oh, ich habe dich wohl glatt verwechselt ...“, mutmaßte der Geist und lupfte die Augenbrauen mit einem seltsamen Lächeln. Julia schnaufte. „Das war die schlechteste Anmache, die ich je gehört habe“, brummte sie, aber fügte versöhnlicher hinzu: „Kann ich Ihnen denn irgendwie helfen?“

„Ja, bestimmt. Ich suche die Nachtigall.“

„Die Nachtigall?“

„Na, das Geburtstagskind.“ Julia seufzte und deutete auf die drei Jungs hinter sich. „Da sind Sie nicht der Einzige.“ Der Geist wirkte geknickt. „Schade. Falls Sie die Nachtigall finden, sagen Sie ihr, ich habe Sie gesucht?“ Doch ehe Julia hätte antworten können, war der Geist schon wieder verschwunden. Wie sollte sie ihn denn jetzt bei der Nachtigall – vorausgesetzt sie fand sie – ankündigen?
 

Chuck seufzte. „Das hilft doch auch nichts. Matt? Vielleicht sollten wir uns aufteilen.“ Matt nickte zustimmend und schwärmte nach links aus, während Rhydian nicht einmal die Anstalten machte, sich von seinem Gesprächspartner zu trennen. Chuck tippte ihm auf die Schulter, doch der Adler schien vollkommen paralysiert, also machte er sich alleine auf die Suche. Wortfetzen von aufgebrachten Geistern drangen immer wieder an sein Ohr.

„Sie war bisher nie dabei, es ist ihr erstes Mal.“

. . .

„Die Arme. Und keiner ihrer Gäste ist gekommen?“

„Oh doch, sie hatte wohl den Wunsch, dass einige der Schüler kommen.“

„Ist nicht wahr!“

„Doch!“

Na, wenn das nicht eine heiße Spur war. „Entschuldigung?“ Chuck musste sich – obwohl er so groß war – ganz schön recken, damit die feinen Herrschaften von Geistern ihn überhaupt bemerkten. Sie schauten zu ihm herab. „Oh, das ist doch einer der Schüler, nicht wahr? Freut mich, mein Junge.“

„Erm, mich auch – ihr habt gerade von dem Geburtstagskind gesprochen?“

„Ob man das Geburtstag nennen kann?“, leierte einer der Geister schwerfällig und die anderen stimmten murmelnd zu. „Nun, Todeskind hört sich nicht sehr hübsch an“, deklarierte eine Stimme hinter Chuck und als er sich umdrehte, war er nahezu schockiert, Lilian zu sehen. Sie achtete nicht sonderlich auf ihn, sondern forderte die Geister noch einmal auf, sie zu der Nachtigall zu führen – schließlich müssten sie ihr ja endlich gratulieren, wenn sie die Einladung ihr zu verdanken hatten.

„Dort hinten“, sagte der Geist mit der leiernden Stimme und deutete auf eine leere Ecke.
 

Chuck und Lilian gingen gemeinsam hinüber. Der Geist war jung, aber ebenso durchsichtig wie alle anderen auch. Das Kleid, dass er trug, zeugte von der Moderne – es war nicht einmal besonders hässlich, wie Lilian fand. Im Gegenteil. Der Geist strahlte eine Ruhe und Schönheit aus, dass die beiden erst einmal nach ihrer Stimme suchen mussten. Chuck war der erste, der sie wiederfand. „Entschuldigung?“ Die Geisterdame drehte sich elegant zu ihnen und blinzelte. „Jah?“ Die Stimme schickte Schauer über den Rücken der beiden Sechstklässler und Lilian fragte leise: „Sind Sie die Nachtigall?“

„Das bin ich wohl.“

„Also, herzlichen Glückwunsch? Der fette Mönch sagt, du hast eigentlich Geburtstag. Die Torte da hinten ist also für dich...“, sagte Chuck verlegen und warf einen Blick zu dem Geist herauf, während Lilian leise schnaubte. „Als ob ein Geist sich über eine Torte freuen würde.“

Die Geisterdame schien sowohl Glückwünsche, als auch Torte zu ignorieren. „Meine Stimme war einst so schön wie die einer Nachtigall … Charles und Lilian, richtig?“ Die beiden verstummten mit großen Augen und nickten synchron. „Grüßt Michail und Julia bitte von mir. Ich habe mich sehr gefreut, sie zu sehen, bin aber leider nur auf dem Sprung. Ich hätte eigentlich schon lange wieder weg sein müssen. Es war so lieb von euch, zu kommen.“ Das Lächeln war so wissend, dass Chuck mit einem komischen Gefühl in der Magengegend herab schaute. „Oh, und sagt Lauren, dass ihr Geschenk wunderschön war. Danke.“

Und zum Abschied erklang die Singstimme der Geisterdame und Lilian musste zugeben, dass sie die schönste war, die sie je gehört hatte.

„Happy Birthday.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (8)

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Von:  NinaNachtigall
2011-11-22T22:12:56+00:00 22.11.2011 23:12
Haha! Ich find das Kapitel super. Vor allem Adams Verwandten, da freut sich Lilian ja schon so richtig auf den Rest der Hastings. Und dann Michail, der natürlich erstmal eine der Geisterdamen abschleppen muss und seinen besten Freund einfach so stehen lässt! Aber wir alle mögen doch den grummelnden Oliver xD

Awww~ und dann am Ende das 'Todeskind' (wobei ich den Ausdruck sehr passend finde) und alle meine Charas. Ich bin wirklich total gerührt und freu mich immer noch wie eine Blöde. Tausend Dank für die ganze Mühe, die du dir gemacht hast das zu schreiben!! <3 Ich freue mich über jedes einzelne Wort und über jeden eurer tollen Charas, der seinen Gastauftritt dort hat. Und auch über die tolle Idee, die Geister zu integrieren.
Wirklich, du bist verrückt, das für mich alles geschrieben zu haben. Fühl dich von mir geknutscht und umarmt und umklammert bis du keine Luft mehr bekommst. Ich bin einfach immer noch total baff. Einfach ein großes: Danke liebste Schnee ♥♥♥
Von:  NinaNachtigall
2011-11-22T21:59:03+00:00 22.11.2011 22:59
Das Überraschungskapitel schlechthin! Vor allem in Interviewform! Ich hoffe mal, dass Charlotte dieses mal keinen Hetzartikel schreibt, sondern einen ganz lieben über das Glück ihrer besten Freundin. Und Adam sollte mal lieber nicht vergessen Lil zu fragen, sonst sucht die sich am Ende wirklich jemand anderen. xD

Wie würde eigentlich der 'Pärchen-Name' von Lilian und Adam lauten... Liladam, Adamilian...? Adilian? xD Bleiben wir doch besser bei unseren (Ex) Traumpaar Lorielle... uû
Von:  NinaNachtigall
2011-11-22T21:49:59+00:00 22.11.2011 22:49
Es ist so schön so viele Charaktere zusammen in Aktion zu sehen und die ganzen verschiedenen Meinungen bei den Adlern zu beobachten. Mike, hat wohl auch noch nie was von Demokratie gehört und die die können alle froh sein, wenn der nicht Zaubereiminister wird. Obwohl xD Mike for president!
Hach und dazu dann noch die Löwen *___* Der herrlichste der Herrlichen und seine störische Verlobte und der Rest der Chaostruppe xD
Und das ist außerdem eine sehr gute Frage, wie viel die Geister wohl von dem Treiben im Raum der Wünsche mitbekommen.
Noch ein tolles Kapitel, was beim Lesen einfach gute Laune machte. Hihi <3
Von:  NinaNachtigall
2011-11-22T21:40:38+00:00 22.11.2011 22:40
Der fette Möch <3
Nach dem ich die Geschichte gelesen hab, habe ich mir fest vorgenommen die Geister öfter auch im Rpg mit einfließen zu lassen. Auch ein tolle Idee ist der Todestag und wie der fette Mönch über sein Haus denkt und sich um alle kümmert und versucht für die menschlich zu wirken. Dann dazu noch Laurens Erzfeind Mike und Goscha, der ihm in Zaubererschach spielt! Huh! :D Kein Mitleid mit dem ollen Angeber.
Ich hab sehr geschmunzelt bei dem Kapitel und kann mit meine Lauren wirklich gut vorstellen, wie sie da sitzt und einen Plausch mit einem der Geister hält. Einfach schön <3
Von:  NinaNachtigall
2011-11-22T21:25:06+00:00 22.11.2011 22:25
Hach, Leana und Chuck! Ich ärger mich über meinen eigenen Charakter, dass er ihr am Ende nicht einfach sagen kann, dass er es mag mit ihr zusammen zu sein! Ich finde die Beiden harmonieren hier sehr gut, auch wenn sie ein wenig aneinander vorbei reden und nicht auf den Punkt kommen, der eigentlich wichtig wäre. Aber irgendwann wird das schon was und wenn Matty seinem Besten mal wieder einen Schubs in die richtige Richtung geben muss :D
Von:  NinaNachtigall
2011-11-22T21:21:58+00:00 22.11.2011 22:21
Das Kapitel hat mich ein bisschen traurig gemacht und ich hab mir fast gewünscht, dass Charlotte ihm wirklich diesen Brief geschrieben hätte, aber andererseits passte es zu ihr, dass sie ihn am Ende ins Feuer wirft. So wird Chuck nie erfahren, dass sie sich eigentlich bei ihm entschuldigen wollte. Aber ich denke, irgendwann wird er von sich aus soweit sein ihr zumindest zum Teil vergeben zu können. Und er weiß ja, dass sie kein vollkommen schlechter Mensch ist. Es ist halt Charlie <3
Ich mag das Kapitel sehr gerne, weil es so bittersüß ist und ich freue mich, dass dadurch die Geschichte zwischen ihnen eine Art Abschluss bekommt, auch wenn es kein Happy End ist.
Von:  NinaNachtigall
2011-11-22T21:16:44+00:00 22.11.2011 22:16
Naww~ hach ich freu mich schon sehr, wenn wir die Beiden schreiben. Leana ist viel zu gut für diese Welt und wäre Chuck nicht so ein Feigling, ne.... aber er wird all seinen Mut zusammennehmen, das versprech ich dir. Und dann ist er auch endlich über Charlotte hinweg und muss nicht mehr so traurig sein :D Und ganz unter uns: Neben stricken, kann der bestimmt auch zumindest ein bisschen tanzen *hust* Auch wenn er vielleicht nicht ganz so gut, wie Leanas Romanhelden.
Auch gut find ich am Anfang die Interaktion mit Selina, der alten Liebesstifterin und dem armen Luke, der mal wieder missbraucht wird für Tanzstunden xD
Von:  NinaNachtigall
2011-11-22T21:03:04+00:00 22.11.2011 22:03
Liebste Schnee!
Vielen, vielen Dank für die ganze Mühe, die du dir gemacht hast mir das zu schreiben!! Fühl dich fest von mir umarmt und gedrückt. Ich freu mich immer noch unheimlich und deswegen muss jetzt alles erst einmal kommentiert werden. Hihi <3 Chuck und Matt sind mir schon zwei Idioten und Matty brauch sich außerdem keine Sorgen zu machen. Die Besenkammersache fällt noch unter Jugendsünde, obwohl er mir schon ganz schön leid tut. xD Ich denke, die Beiden kann nichts auseinander bringen, auch keine tolle und wunderschöne Gabrielle Miller.


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