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Herzlos

Sitar
von

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Sein Traum

Dies ist die Geschichte eines jungen Mannes, der sein Herz verloren hat. Zweimal.
 

Sie beginnt mit einem Traum. Der Mann träumt schon so lange davon, ein Instrument in den Händen zu halten. Doch für so etwas fehlt ihm das Geld. Woher sollte er auch genug davon haben, um sich ein Instrument leisten zu können? Keiner seiner Verwandten hat welches. Keiner arbeitet. Sie sind alle faul. Tun nichts.

Und trotzdem kommen sie weiter. Auf Kosten anderer.

Er bemüht sich. Er spart, er arbeitet ... und doch bekommt er nie genug für seinen Traum zusammen. Denn ... es ist einfach zu teuer. Und sobald sich sein Traum erfüllen könnte, erhöhen sich die Preise. Vielleicht ist es einfach nicht seine Bestimmung, sich diesen Traum zu erfüllen.

Vielleicht ... sollte er sich einen anderen Traum suchen.
 

Manchmal spielt ein Straßenorchester in der Nähe seiner Heimat. Er lauscht ihrer Musik gerne. Doch er möchte sie nicht fragen, ob er ebenfalls mitspielen darf. Denn er besitzt kein eigenes Instrument. Er hat noch nie eines gespielt. Er würde schlecht darin sein. Sehr schlecht sogar.

Das Einzige, was er tun kann, ist sich im Rhythmus zu üben, indem er sich tanzend fortbewegt und im Takt auf Teller schlägt. Für diesen Lärm wird er oft ermahnt. Doch er kann nicht damit aufhören, mitzumachen. Er möchte seinen Traum leben. Seinen Traum, der nicht erfüllt werden wird.
 

Er lebt sein Leben weiter. Arbeitet hart, verdient Geld, legt es an und gibt es für die lebensnotwendigen Dinge im Leben aus. Für das Essen, für das Haus ... für seine Familie.

Auch wenn sie ihn nicht bezahlen und nicht wirklich versorgen, kann er nicht umhin, an sie zu denken. Er muss ihnen doch etwas geben. Sie sind schließlich seine Familie.

Aber noch nie haben sie ein Danke dafür springen lassen. Und auch seinen Traum verlachen sie grausam. „Spar dir die Arbeit und vergeude dein Leben nicht daran!“, rufen sie immer wieder.

Doch er gibt nicht auf. Er will sich diesen Traum erfüllen. Egal, wie lange er dafür noch arbeiten muss.
 

Der Mann nimmt jede Arbeit an, die er bekommen kann. Langsam wird es für seinen Körper anstrengend. Aber er hat es fast geschafft. Er kann es schaffen. Er wird das Instrument erhalten, wenn er durchhält. Dann hat sich das lange Arbeiten endlich gelohnt. Dann ... wird er endlich das Instrument halten können, das er sich schon so lange wünscht.
 

„Du solltest dir wirklich einmal frei nehmen!“, scheltet sie ihn oft, während sie an der Kassa steht und das Geld zählt, „Du arbeitest viel zu hart. Und viel zu lange. Schau zu, dass es dir besser geht. Du schaust überhaupt nicht gesund aus.“

Er winkt ab und hält ihre Worte für Blödsinn. Er arbeitet schon lange durch. Er wird es auch diesmal aushalten. Doch egal wie oft er ihr sagt, dass er weitermachen wird – sie redet weiterhin auf ihn ein.

Und lädt ihn auch hin und wieder zum Essen ein. Sie reden.

Sie lachen.

Es macht Spaß, mit ihr zusammen zu sein.

Und plötzlich weicht sein Traum, für den er solange gekämpft hat, in den Hintergrund. Sie wird wichtig. Sie wird ihm sehr wichtig.

Er erzählt ihr von dem Instrument. Ohne Hintergedanken. Einfach, weil sie auf das Thema gekommen sind.

„Dein Rhythmusgefühl ist wirklich beeindruckend!“, lobt sie ihn.

Woher sie sein Taktgefühl kennt? Wenn keine Kunden anwesend sind, bewegt er sich mit der Musik, klopft passend zu ihr auf die Tische, trommelt ... unterstützt die Musik ...

Sie ist die erste Person, die es je gelobt hat. Die ihn je für Musik lobt.

„Es ist wirklich eine Verschwendung, dich hinter einer Theke stehen zu sehen! Du gehörst auf die Bühne! Die Welt soll deine Musik kennen lernen!“, feuert sie ihn an.

Doch sein Traum verblasst immer weiter. Sie wird sein neuer Traum.
 

Und an einem schicksalshaften Weihnachtstag steht sie vor seiner Haustüre. Seine Familie hat ihn wieder angebrüllt, weil er die Tür nicht rechtzeitig geöffnet hat. Er ist sehr überrascht, sie zu sehen.

Sie drückt ihm ein großes Paket in die Hand. „Frohe Weihnachten!“, wünscht sie ihm.

Er bittet sie hinein und packt das Geschenk aus.

Eine Sitar.

„Es tut mir leid, dass es nicht das ist, was du wolltest ... Aber jemand hat es mir vor der Nase weggekauft! Und ich wollte dir unbedingt etwas schenken. Der Verkäufer hat mir zu der hier geraten. Ich hoffe, er hat ein gutes Auge ...“

Er bedankt sich bei ihr. Die erste Person, bei der er sich für eine solche Tat bedanken kann. „Danke, du hast ... du hast mir meinen Wunsch erfüllt ... Und ich habe nicht einmal ein Geschenk für dich ...!“ Er ist betrübt. Er hat vergessen, dass man sich zu Weihnachten Dinge schenkt.

Seine Familie hat kein Geld, um sich gegenseitig zu beschenken. Sie hat es noch nie gehabt. Und keiner von ihnen hat vorgehabt, etwas dagegen zu tun.

Und er selbst hat kein Geld für Geschenke übrig.

Aber ihr würde er gerne etwas schenken.

Er fühlt sich schlecht. Schlecht, weil er nicht daran gedacht hat.

Doch sie lächelt weiter.

Sie hört nicht auf zu lächeln. Nie. Sie lächelt immer.

Obwohl sie auch ums Überleben kämpfen muss, lächelt sie.

Er lächelt zurück.

„Und wenn du genug damit geübt hast, darfst du bei meinem Onkel vorspielen! Aber ... ich denke, du würdest es auch ohne Übung schaffen. Ich hoffe wirklich, dass das Instrument nichts versaut ...!“

„Ich gebe mein Bestes!“
 

Nach zwei Wochen kann er bereits vorspielen. Er hat geübt. Sehr fest geübt. Immer weiter geübt, bis seine Finger nicht mehr konnten. Den Klang, die Melodien, den Rhythmus, den Takt, die Lieder ... alles hat er sich einverleibt. Stundenlang hat er geübt. Immer wieder hat er Ärger bekommen, weil er so laut war.

Sogar bei dem Straßenorchester hat er bereits zweimal mitgespielt.

Er ist nervös.

Und zwar aus zweierlei Gründen.

Der eine entscheidet über seine Zukunft. Würde ihrem Onkel seine Musik gefallen? Würde er ihn aufnehmen ... ihn auftreten lassen?

Der zweite ist wesentlich wichtiger.

Er hat sein Erspartes genommen, das er jetzt nicht mehr für sein Instrument auszugeben braucht, und ihr etwas damit gekauft. Es ist nicht viel. Aber sie hat einmal erwähnt, dass sie sich so etwas wünscht.

Es ist billig gewesen, doch er hofft, dass es ihr gefällt.

Ein nachträgliches Weihnachten, wenn man es so nennen will.
 

Lächelnd nimmt sie das Geschenk entgegen.

Er freut sich, sie lächeln zu sehen. Sie strahlt richtig.

Sofort nimmt sie das Geschenk und hängt es um ihren Arm. Eine Freundschaftskette aus rotem Stoff, handgewebt, wie der Verkäufer gesagt hat.

Er bindet es ihr um den Arm. Sie bittet ihn darum, einen festen Knoten zu machen, sodass es nie wieder abgeht. Sie sieht dieses Band nämlich als besonderes Zeichen. Und darum will sie es nicht verlieren.

„Danke, danke, danke! Ich habe mir schon immer Freunde gewünscht!“

Er kann nicht glauben, dass jemand wie sie keine Freunde hat. Sie ist so lieb und nett, sie ist fürsorglich und ... sie ist einfach perfekt.

Da erzählt sie ihm, dass in ihrer Familie nichts glatt läuft und sich deshalb jeder von ihr fernhält. Schließlich kann man nicht riskieren, dass man mit ihr gesehen wird.

Es tut ihr leid, dass sie ihm nichts gesagt hat. Es tut ihr leid, dass sie seinem Ruf schadet. Aber sie hat ihn sehr sympathisch gefunden und wollte ihn nicht auch verlieren ... Sie versteht es, wenn er sie jetzt nicht mehr sehen möchte.

Doch es ist nicht so.

Er nimmt sie in seine Arme.

Und er sagt ihr, dass er sie liebt.
 

Bereits in allen Clubs, Bars und öffentlichen Orten der Stadt ist er aufgetreten. Er und seine zusammengewürfelte Band. Er ist der Sitarist. Er spielt dieses Instrument als besäße er es schon ewig. Aber dieses Instrument ist ihm auch sehr wichtig. Es verbindet ihn mit ihr.

Sie trägt auch das Armband noch immer.

Bei jedem seiner Auftritte ist sie dabei und feuert ihn an. Er ist sehr froh, sie zu haben. Sie gibt ihm Kraft. Durch sie steht er dort, wo er jetzt ist.

Er dankt ihr so sehr, dass er es nicht in Worte fassen kann.
 

Die Band lässt sich neue Frisuren machen. Frisuren, die Rocker haben sollen.

Ihr hat seine alte Frisur auch gefallen, doch die neue findet sie cool. Er sieht süß damit aus, sagt sie.

Er freut sich darüber.

Er mag seine neue Frisur auch. Aber Großteils mag er sie wegen ihr. Weil sie ihr gefällt. Und er mag Dinge, die ihr gefallen. Denn dadurch ist sie glücklich.

Er hat einen neuen Traum. Und dieser Traum trägt ihren Namen. Für ihn arbeitet er weiter. Für ihn steht er auf den Bühnen. Für ihn spielt er. Sie ist es, bei der er für immer bleiben möchte.

Sie ist es, die er liebt.

Sie ist es, für die er lebt.
 

Sie arbeiten noch immer zusammen. Sie sehen sich jeden Tag. Er ist stolz darauf, bei ihr sein zu können.

Doch eines Tages streitet sich die Band. Sie gehen auseinander. Jeder seinen getrennten Weg. Er ist traurig.

Aber sie muntert ihn auf.

Sie arrangiert ein Treffen der Band. Sie haben zusammen bereits so viele Fans bekommen, dass es Verschwendung wäre, sich aufzulösen.

Sie schafft es, dass die Band erneut zueinander findet.
 

Die Band wird immer beliebter. Ihr Onkel wittert ein großes Geschäft mit ihnen. Er beschenkt sie mit neuen Instrumenten. Aber sollte er wirklich seine Sitar weglegen? Sie hat ihm diese doch geschenkt ...

„Ersetze sie ruhig! Sie ist jetzt schon alt und hat ihre besten Tage hinter sich ... und diese Gitarre ist doch einfach super! Und du kannst mit ihr spielen. Es spricht nichts dagegen, dass du sie eintauschst.“

„Bist du dir sicher?“

„Natürlich!“, antwortet sie ihm lächelnd.

Er legt die Sitar zur Seite und übt mit seiner neuen E-Gitarre. Es klingt besser. Es passt mehr zu Band.

Und so steigt ihre Beliebtheit.
 

Und sie haben einen Auftritt. Einen riesigen Auftritt. Allein für ihre Band.

Vor mehr Leuten als jemals zuvor.

Die Band ist in einer neuen Liga. Die neuen Instrumente verbessern ihre Chancen.

Sie sprechen mehr Leute an.

Und sie sind immer besser.
 

Er spielt.

Er klimpert mit seiner E-Gitarre. Und er schaut ins Publikum.

Dabei kann er sie gar nicht sehen. Während des Spielens sucht er das Publikum ab, kann sie aber nirgends entdecken. Sonst steht sie immer in der ersten Reihe und applaudiert lautstark. Sie ruft ihm zu, dass er es schafft. Er fühlt sich gestärkt.

Aber heute ist sie nicht da.

Er spielt trotzdem.

Und nach dem zweiten Song geht er und ruft sie an. Es ist eines der wenigen Lieder, bei denen er nicht mitspielt, weil die Gitarre dort nichts zu suchen hat.

Aber sie geht nicht dran.

Er macht sich Sorgen.
 

Stunden nach dem erfolgreichsten Konzert, das sie je gehabt haben, erfährt er, dass sie einen Unfall hatte.

Sie ist nach der Arbeit zu seinem Konzert gelaufen. Während des Laufens hat sie sich mit etwas, das sie wohl am Arm getragen hat, an einem Busch verhängt. Und das während des Überquerens eines Eisenbahngleises.

Sie hat sich davon nicht befreien können.

Ein Passant ist ihr zu Hilfe geeilt.

Aber der Zug ist schneller gewesen.

Er riss sie mit sich.
 

Am Unfallort haben sie nur ein zerrissenes Armband gefunden.
 

Seine Familie hat sich aus dem Haus bewegt, weil sie beerdigt wird. Er hat sie darum gebeten, zu kommen, auch wenn sie nicht wollen. Sie sind darauf eingegangen.

„Weißt du, Arbeit ist so eine Sache, mein Junge“, sagt sein Vater während sie begraben wird, „Man strengt sich an und am Ende erntet man Verdruss, Enttäuschung und ein unfaires Ende. Nichts Wünschenswertes.“
 

Er hat aufgehört zu spielen. Er hat aufgehört zu arbeiten. Er hat aufgehört, einen Traum zu haben. Beide seiner Träume sind geplatzt. Er wollte keinen neuen Traum. Ohne Traum ist alles besser. Keine Enttäuschung. Kein Verdruss. Kein unfaires Ende. Wünschenswert, oder?
 

Bis zu einem gewissen Zeitpunkt, als die Polizei sich meldet, geht es ihm hervorragend. Er sitzt bis dorthin nur in seinem Haus, wartet bis der Staat ihn bezahlt und tut nichts. Gar nichts. Keine Arbeit. Keine Träume.

Nichts.
 

Doch die Polizei erweckt ihn wieder. Sie ist nicht über die Gleise gelaufen, weil sie zu seinem Konzert wollen hat, wie Nachforschungen ergeben. Das ist etwas, das ihn gewundert hat. Sie läuft nämlich über keine Gleise, weil ihre Schwester dabei getötet worden ist.

Das hat sie ihm erzählt.

Dieser Unfall ist ebenfalls einer der Gründe gewesen, weshalb es ihrer Familie so schlecht geht.

Es muss etwas wirklich Fatales gewesen sein, dass sie ihre Angst vor Zügen und Gleisen überwunden hat.

Die Polizei behauptet, der Passant, der ihr helfen wollen hat, war ein Krimineller, der schändliche Dinge mit ihr vorgehabt hat. Sie ist auf der Flucht gewesen.

Der Mann ist aber noch frei.

Ob er Hinweise für sie habe ...
 

Seit langer Zeit kommt ein Gefühl in ihm hoch, das nicht Gleichgültigkeit heißt. Es ist pure Wut. Wut auf ihn, dass er das nicht gesehen hat, Wut auf diesen Mann.

Und so zieht er aus, um ihn zu finden.

Diesen Mann.

Er verabscheut sich dafür, dass er nicht schon früher etwas getan hat. Rache.
 

Und er steht vor ihm.

Er sieht ihm in die Augen. Die Waffe auf ihn gerichtet.

Hass, Rachedurst, Wut, Zorn, Trauer ... die Gefühle vermischen sich zu purer Dunkelheit und Grausamkeit. Er soll sterben.

Einfach nur sterben für das, was er getan hat.

Und so will er abdrücken.

Doch er schafft es nicht.

Enttäuschung.

Er bricht zusammen.
 

Und irgendwo erwacht er wieder.

Irgendwo ... in einer Welt, die niemals war.
 


 

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Ich denke, es ist klar erleslich, um wen es sich handelt, oder? xD



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Herzblutrose
2011-11-05T16:34:27+00:00 05.11.2011 17:34
Wie bereits gesagt, finde ich die Geschichte sehr traurig.
Das ist eine sehr gute Idee zu der Frage wie aus Demyx ein Niemand werden konnte. Ich mag sie.
Auch die distanzierte Erzählebene ist dir sehr gut gelungen.
Dennoch schaffst du es noch Gefühl rüber zu bringen, das finde ich sehr eindrucksvoll!
Also.. ein großes Lob von mir! ^^

LG


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