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Stray

von

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Der Engel süße Schuld

Vorwort: Ich danke allen, die es bis hierher geschafft haben <3

Dies hier ist nun also das letzte Kapitel aus der guten alten Zeit, als ich noch zur Schule ging. Ich bin aber gar nicht mal sicher, ob man einen Unterschied bemerken wird :)

Aber Antti kommt endlich richtig vor, wenn auch nur kurz – oh, ich liebe Antti!
 

Ab und zu kommt es vor, dass ich beim Korrigieren doch noch Namen oder falsche Haarfarben übersehe (da die ja bei einigen Charakteren von mir jetzt erst angepasst wurden). Wenn so etwas auffällt, bitte ich um Verzeihung!
 

Stray

vol. 7: Der Engel süße Schuld
 

Jamie: Frozen Lips of a Stranger
 

Kreuz der straße...

Wir sind am end.

Abend sank schon...

Dies ist das end.

Kurzes wallen

Wen macht es müd?

Mir zu lang schon...

Der schmerz macht müd.

Hände lockten:

Was nahmst du nicht?

Seufzer stockten:

Vernahmst du nicht?

Meine Straße

Du ziehst sie nicht.

Tränen fallen

Du siehst sie nicht.
 

- Stefan George
 

Ich hatte noch nie im Leben solches Herzklopfen gehabt; ich dachte, man müsse es noch bis zum 7th Eden hinab hören können, als Junya und ich langsam vom Hügel hinunterstiegen.

Meine Hand lag in seiner, und er hielt sie sanft, während ich mich im Gehen an seine Seite schmiegte.

Es fühlte sich so gut an, bei ihm zu sein. Ich hätte mir gewünscht, er würde meine Hand nie mehr loslassen.

Ich konnte ganz leise seinen Atem hören, und sein Finger streichelte zärtlich meinen Handrücken, so dass ich seine Hand unwillkürlich fester griff.

Er blieb stumm, aber seine Augen funkelten so sehr, und er warf immer wieder einen kurzen Blick zu mir, als wolle er sich vergewissern, dass ich nicht plötzlich gegen einen Fremden ausgetauscht worden war.

Das war für mich das erste Mal, dass ich so etwas fühlte, und es fühlte sich gut an, trotz der Gewissheit, dass meine Beine gleich unter mir nachgeben und ich in seine Arme sinken würde. Der Gedanke, dass - ja... dass wir jetzt zusammen waren...war sonderbar aufregend, und so ganz war ich mir noch nicht sicher, ob ich das jetzt glauben konnte. Ich hoffte es sehr. Mit einem Mal hatte ich Angst, dass gleich alles wieder vorbei sein und der Bann gebrochen sein könnte, aber das war doch absurd, denn wer war es schließlich gewesen, der die Augen nicht hatte öffnen wollen?

Nein, ehe Junya meine Hand freiwillig losgelassen hätte, hätte er erst von einem Zug erfasst werden müssen.

Meine erste und einzige große Liebe.

Ich wollte einfach nur noch bei ihm sein.

“Ist dir kalt?”, flüsterte er, als ich mich etwas enger an ihn schmiegte.

Ich nickte. “Ein bisschen...”

“Komm her...”

Ich zögerte überrascht, als er stehen blieb und mich in seine Arme zog. Für eine Weile war ich unsicher, aber dann schloss ich die Arme um ihn und legte den Kopf auf seine Schulter; ich konnte an mir spüren, wie schnell sein Herz schlug.

Ich zitterte, als er mir sanft über den Rücken streichelte; alle meine Nackenhaare stellten sich auf, und ich vergrub das Gesicht an seinem Hals, gegen ihn sinkend, als er mit einem Finger meine trotz der Kühle warme Wange streichelte.

Mein Herz schlug rasend schnell; ich gab es auf, es beruhigen zu wollen. Ich schloss die Augen. Es war so schön in seinen Armen. Seine Hand, die über meinen Rücken streichelte, ließ mich zittern. Jetzt hatte ich es endlich gesagt. Junya war jetzt bei mir. Und ich gehörte zu ihm.

Als ich blinzelte, sah ich sein zittriges Lächeln um seine Mundwinkel; ein Anblick, der so selten war, dass ich ihn stumm genoss.

“Ist dir nicht auch kalt?”, murmelte ich leise beim Anblick seiner bloßen Oberarme.

Er schüttelte den Kopf. “Nein”, wisperte er. “Nicht mehr.”

Ich öffnete überrascht die Augen, als er mein Kinn mit dem Finger anhob; um sie dann seufzend wieder zu schließen, als ich seine Lippen warm auf meinen spürte, und ließ mich für einen Moment nur gegen ihn fallen, er hielt mich ja fest.

Ich war plötzlich so glücklich, und ich wusste nicht, woher es kam; es war mir egal, dass Junya mit Rose weggegangen war, es war mir egal, dass ich nur durcheinander und völlig unerfahren war, es war mir egal, dass meine große Liebe ein Junge war; es war mir völlig egal, wie jemand über uns urteilen könnte, wenn er uns hier so eng umschlungen stehen sah, nichts hätte mich sogar weniger kümmern können, denn was ich im Moment fühlte, war doch das Natürlichste auf der Welt. In diesem Moment war sogar die kühle Luft perfekt.

“Bist du glücklich?”, flüsterte er an meinem Ohr, und ich konnte nur stumm nicken, die Arme eng um ihn geschlungen und seinen Arm um meine Hüfte, der mich an ihn gezogen hielt, der andere kraulte mir am Hinterkopf durch das Haar. Ich hatte Gänsehaut.

“Junya...”

“Hm?”

“Ich war noch nie verliebt...”

“Das macht nichts...”

Ich hatte das Gefühl, ihm das sagen zu müssen. “Ich hatte auch noch nie einen Freund.”

“Ich schon”, wisperte er. “Ist das schlimm?”

“Nein...einen?”

“Mehrere.”

“Oh...”

“Tut mir leid...”

“Muss es doch gar nicht...”

“Ich dachte nur, du hast vielleicht Angst, dass...”

Er verstummte völlig, als ich mich vorbeugte und ihm einen zarten Kuss auf die Lippen hauchte. Angst hatte ich nun wirklich genug gehabt.

Junya fing an zu beben. “Du bist so süß”, wisperte er und zog mich wieder in seine Arme, wo ich mich ankuscheln konnte.

Es stellte sich heraus, dass nicht alle hier draußen in der Nacht so glücklich waren wie wir zwei.
 

In memories, we’re all we used to be

A frozen broken heart, ready to lose it all

(…)
 

Your loneliness, it could be here to stay

In your paradise you stayed

So lost and lonely you are
 

(…)
 

This all reminds us of how in love and lost we are...
 

Frozen to lose it all
 

- aus: Negative: Sweet & Deceitful: Frozen to lose it all
 

Ich hob den Kopf, als ich ein Schluchzen hörte, das vom Wind zu uns hinübergetragen wurde, und Junya legte den Arm um mich, als ich den Kopf wandte und den Blick in die dunkle Nacht richtete.

Ich sah eine Gestalt auf der Brücke stehen, die über die Bahngleise führte, wir hatten diese vor einigen Tagen benutzt, als wir hergekommen waren; die Gestalt hatte die Unterarme auf das Geländer gelegt, das Gesicht gesenkt, so dass seine Haare ihm davor fielen, ein Bein leicht angewinkelt und die Jacke eng um den Körper geschlungen, als friere er. Er hatte uns nicht bemerkt, aber ich hörte ihn leise weinen, da der Wind in unsere Richtung stand, und er hob die Hand zum Gesicht, um sich mit dem Ärmel über die Augen zu wischen, die graue Jacke enger noch um den zerbrechlichen Körper ziehend.

Ja, sicher erkannte ich ihn. Manche Menschen hatten ein Licht, dass sie unverwechselbar machte, und es schien auch, wenn es dunkel war; manchmal umso heller.

Junya ließ mich los und sah mich still an, ich griff seine Hand und zog ihn mit mir über die Straße, spürte, wie er meine Finger sanft drückte.

Ich konnte nicht anders. Ich konnte niemanden weinen sehen.

Und Junya wusste das sehr gut, deswegen ließ er sich widerstandslos von mir führen.

Der Fremde bemerkte mich erst, als wir neben ihm waren, und hob mit einem Schniefen den Kopf, um mich aus nassen blaugrünen Augen verwirrt anzusehen, während er sich noch mit einer zarten Geste die blonden Strähnen aus dem weichen Gesicht strich. Ich konnte ihn riechen; er roch gut, sauber, nach weißen Rosen. Weiße Rosen riechen anders als rote Rosen.

Ich konnte verstehen, dass Sakuya ihn wahnsinnig geliebt hatte. Er war niedlich, ja, aber was ich jetzt spürte, als ich direkt neben ihm stand, war etwas wie ein sanftes Licht, das von innen aus ihm heraus schien, aus seinen nassen Augen brach, an seinen zitternden rosigen Lippen hing, ehe es mit seinen Tränen auf die Gleise tropfte. Er war hübsch, und von einer so ruhigen und liebevollen Aura umgeben, dass man nicht glauben könnte, von diesen Lippen könnte je ein böses Wort kommen, nur ein süßes Lächeln.

Ich hätte ihn gerne singen gehört.

Ich war mir sicher, dass Sakuya diese ehrliche Schönheit gerührt hatte.

Ich habe keine Ahnung, was Antti von mir dachte, als er mich zum ersten Mal sah, aber ich weiß noch heute, dass er einen Moment stockte, ehe er sich in Verwirrung die letzten Tränen aus den Augenwinkeln wischte, sein Kajal war verwischt und zum großen Teil verschwunden.

“Hi”, sagte ich leise und streckte ihm meine Hand entgegen. “Du bist Antti, nicht wahr?”

Antti nickte schniefend, nahm meine Hand zögerlich. Sein Händedruck war fest, seine Finger und Nägel gepflegt. “Ja...hi...”

“Das ist Junya, und ich bin Jamie”, erklärte ich leise. “Sakuyas Bruder.”

Antti zögerte verwirrt, strich sich das Haar hinter ein Ohr. Er sah mir für eine Weile verwirrt in die Augen, dann atmete er heiser aus. Ich hatte erwartet, dass er mir nicht glaubte, aber das sagte er nicht. “Saku hat nie erwähnt, dass er einen Bruder hat...”

Seine Stimme war leise, bedrückt. Eine schöne Stimme, etwas heiser und rauchig, aber sanft.

“Er wusste es nicht. Wir haben uns erst vor drei Monaten kennengelernt.”

Antti stützte sich wieder auf das Geländer, sah auf die Gleise hinab. “Ah, dann seid ihr zusammen zurück...zurückgekommen...”

Ich hörte seinen leichten Akzent; er sprach die Vokale etwas offen aus, als ließe er eine Taube fliegen, betonte einzelne Silben so, dass der Satz singend klang.

Immerhin war er Finne und offensichtlich nicht hier geboren.

“Darf ich fragen, woher du kommst?”

Antti sah mich überrascht an, lächelte aber schüchtern. “Aus...Helsinki.” Das ‘h’ etwas flacher, das ‘e’ tiefer in der Kehle. Ich fand es schön, wie das klang.

“Warum weinst du denn?”

Antti ließ das Gesicht in die Hände fallen, winkelte ein Bein an, drückte sich enger an das Geländer.

“Das ist eine lange Geschichte, und nicht leicht zu erzählen...”

“Brauchst du ein Taschentuch?”

“Nein, vielen Dank”, sagte er in dem Moment, in dem mir auffiel, dass ich gar keins dabei hatte. Junya drückte meine Schulter und stellte sich neben mich an das Geländer, ich schob mich etwas an ihn, behielt aber Antti im Auge, dessen Iriden jetzt trockener waren.

“Du siehst ihm sehr ähnlich”, sagte er dann plötzlich, strich seine Haare zurecht.

“Ja, das sagen alle, ich dachte eigentlich wir sehen uns gar nicht ähnlich, aber angeblich ist es etwas im Blick.”

“Ja.” Antti lächelte, warf einen Blick zur Seite. “Ihr zwei seid verliebt, habe ich recht?”

Ich spürte, wie Junya sich etwas enger an mich schob und bebte, und ich griff nach seiner Hand, er verschränkte seine Finger mit meinen. Mein Herz raste noch immer bei der Berührung. Ich konnte mein Lächeln nicht unterdrücken, und ich hörte, wie Junya heiser den Atem ausstieß, als ich glücklich “Ja” maunzte.

Anttis Augen leuchteten, er freute sich wirklich. Ich war froh, dass wir ihn damit glücklich machen konnten, auch wenn er selber offensichtlich ein gebrochenes Herz hatte.

“Ihr seid euch wirklich ähnlich, Saku und du...” Der Finne wandte wieder den Blick ab.

“Ist alles okay?”

“Ja, danke...mir geht es gut, Jamie.”

“Sollen wir lieber gehen?”, fragte ich vorsichtig.

“Nein...” Antti wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, sein sensibles Gesicht richtete sich in den Nachthimmel. “Bitte bleibt ruhig...”

“Darf ich dich etwas fragen? Da gibt es eine Sache, die ich nicht verstehe.”

Antti schlang die Arme um sich, scharrte mit dem Fuß. “Bitte.”

“Du hast doch meinen Bruder verlassen, oder?”

“Ja.”

“Warum?” Ich war mir nicht sicher, wieso er das getan haben sollte, wenn er doch jetzt so sehr weinen musste.

Antti lachte heiser auf. “Weil ich ein Idiot bin.”

“Du liebst ihn wieder?”

“Ich habe deinen Bruder immer geliebt, Jamie. Vom ersten Moment an, in dem ich in seine bitteren regengrauen Augen sah. Ich habe nie aufgehört, ihn zu lieben.”

“Warum dann?”

“Ich wollte nicht, dass er unglücklich wird.”

“Aber...er war unglücklich...”

“Ich hatte gehofft, er würde es von selbst verstehen. Das muss er”, flüsterte Antti und hob den Blick. Ein Windstoß kam von hinten und fuhr uns durch die Haare, ließ die weißen Federn an seinem Kragen zittern.

“Ja...er hat es mir erzählt...aber das hat er nicht.”

Antti schüttelte den Kopf, strich sich die Haare aus dem stupsnasigen Gesicht. “Nein...das hat er nicht.”

“Dann musst du es ihm sagen. Du weißt doch, dass er nichts von alleine einsieht.”

Antti lächelte traurig. “Ja, ich weiß. Aber...” Er verstummte.

“Hm?”

“Er muss selber darauf kommen. Und ich kann nicht mit ihm reden.”

“Aber wieso denn nicht?”

“Ich kann es nicht.

Ich bin zu feige, ihm auch nur in die Augen zu sehen. Verstehst du, es würde mich hinwegfegen, wie ein schwerer Gewittersturm.

Mein Herz ist gebrochen, Jamie, ich gehe kaputt. Ich wage es nicht, mit ihm zu reden. Was würde er auch sagen? Er hasst mich.”

“Nein”, sagte ich erschrocken und streichelte sanft seine Schulter, die sich weich anfühlte durch die dünne graue Jacke. “Nein, das tut er nicht. Ich glaube, er liebt dich immer noch sehr, irgendwo in seinem Herzen.”

Der Finne fing an zu weinen, heiße Tränen rannen ihm über die Wangen, und ich legte erschrocken die Arme um ihn, Junya, der bis jetzt noch nichts gesagt hatte, nahm tröstend seine Hand.

“Nicht weinen, Antti!”

“Es ist alles meine Schuld”, wisperte Antti unter Tränen und mit erstickter Stimme. “Alles meine Schuld...dass Saku weggegangen ist...dass er seine Freunde alleine gelassen hat...mein Gott, und die Sache mit Fuchs...!” Er weinte leiser und legte das Gesicht auf die Arme. “Ich hab das kaputt gemacht...es war etwas Besonderes mit den beiden, es hat so lange angehalten, trotz Leid und Tod, unzertrennlich, immer, die beiden waren wie Zwillinge, und ich hab es kaputt gemacht…

Ich hatte nur alles richtig machen wollen, und habe drei Herzen auf einmal gebrochen...

Fuchs ist so traurig...er will ihn bloß zurückhaben...

Ich wollte doch nur...

Ich wollte doch nur, dass alle glücklich werden...”

“Nicht weinen”, flüsterte ich beruhigend, drückte sanft seine zuckende Schulter. “Wenn Sakuya nicht gegangen wäre, hätte er mich nie gefunden. Und du willst nicht wissen, wo ich dann wäre. Und wenn er mich nicht gefunden hätte, wäre Junya jetzt vielleicht tot.” Ich nahm sanft seine Hand in meine beiden Hände. “Du musst doch nicht weinen. Sakuya ist wieder da. Vielleicht wird doch noch alles wieder gut. Das weißt du nicht. Du weißt nie, was sich vielleicht für ein Ausweg ergibt, vielleicht, wenn du gar keinen erwartest. Es geht immer weiter, glaub mir, ich weiß das.”

Antti schluckte und sah in die Nacht.

“Er liebt dich noch”, sagte Junya von der anderen Seite leise.

Antti schluckte. “Mag sein. Aber sein Herz gehört nicht mir.”

“Daran hat niemand schuld. Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Wenn du anfängst, an Wunder zu glauben, kommt vielleicht irgendwann jemand und fängt dich wieder auf.”

Ich schwieg, ich sah auf die Gleise, aber Junyas Worte waren so schön, dass mir die Tränen in die Augen stiegen.

“Wenn du nicht mit ihm redest, wirst du es für immer bereuen - jetzt, wo er zurück ist.”

“Ja, ich weiß. Mein Herz ist seit Tagen in Aufruhr.”

Antti schüttelte gedankenverloren den Kopf, strich sich die Tränen aus dem Gesicht. “Vielleicht sollte ich einfach nach Hause gehen und mich schlafen legen.”

“Wirst du mit ihm reden?”

“Wenn ich den Mut dazu finde, sicher. Ich muss.”

“Bitte. Es zerbricht ihn sonst.”

Antti hob den Blick zu den Sternen. “Ich habe vieles in Ordnung zu bringen. Ich muss es zumindest versuchen. Vielleicht können doch noch einige von uns wieder glücklich werden.”

“Es hat alles einen Sinn gehabt, oder?”

“Jamie, es hat immer alles irgendeinen Sinn.”

Er lächelte uns zu, zog seine Jacke enger um sich. “Danke. Es war schön, euch kennengelernt zu haben. Tut mir leid, dass ich so viele Schwierigkeiten bereite.”

“Das tust du nicht. Im Gegenteil.”

Antti lächelte schüchtern, nickte uns leicht zu. “Gute Nacht.”

Wir sahen ihm nach, bis er um die Ecke verschwunden war.
 

Sakuya: Watch my Sleep
 

Life is short and love is always over in the morning

Black wind come carry me far away

With the sunlight died and the night above me

With a gun for a lover and a shot for the pain inside
 

- aus: The Sisters of Mercy: Temple of Love (1992)
 

Ich kann gar nicht sagen, wie glücklich es mich plötzlich wieder machte, Jamie und Jun Hand in Hand zu sehen, als sie uns entgegenkamen.

Wir, das heißt Valentin und ich, verließen gerade das 7th Eden; Rose war schon zuvor gegangen. Er blieb selten sehr lange.

Yuki hatte ich sowieso nicht mehr gesehen, seit er mit Marius aus der Tür gestürmt war, aber das war nichts Besonderes mehr, wen er ausging, und Mari war ein netter Kerl, also machte ich mir keine Sorgen um den kleinen schwarzhaarigen Japaner.

Ich war normalerweise länger im Eden, aber ich fühlte mich nicht nur müde, sondern regelrecht erschöpft, und das Wiedersehen mit Antti hatte sein Übriges getan, so dass ich keinen rechten Gefallen mehr an dem Abend fand.

Ich wollte einfach nur nach Hause und schlafen, in der irrsinnigen Hoffnung, vielleicht bis zum nächsten Morgen alles vergessen zu haben – den Schmerz, die Sehnsucht und dieses neue Gefühl – Schuld? Und nicht, weil ich mich meiner alten Liebe gegenüber so kühl verhielt…vielmehr…

Ich wusste es noch nicht genau zu benennen, genauer gesagt wollte ich es nicht, denn es erschreckte mich, was ich zu spüren begann.

Das war der Hauptgrund, aus dem ich einfach nur weg wollte.

Ich freute mich für Jamie; seine Augen strahlten so, und ich wusste, wie er sich fühlte, zumindest glaubte ich es zu wissen, allerdings sagte ich mit keinem Wort etwas darüber, denn ich fürchtete, an Jems Schüchternheit zu stoßen, und ich wollte Junya sein endlich gefundenes Glück nicht unnötig erschweren. Er hatte es schwer genug, und ich hoffte so, dass er den Mut fand, mit Jamie darüber zu reden; ich würde das Geheimnis auch nicht ewig bewahren können, so wie Rose es wahrscheinlich tun würde.

Jetzt aber sollten sie den Moment genießen dürfen.

Es war nicht so, dass nicht jeder von uns geahnt hätte, wie es mit den beiden laufen würde, aber dennoch war es eine Erleichterung, zu sehen, dass sie so glücklich schienen.

Ich wünschte nur, dass sie immer so selig sein würden.

Aber aus irgendeinem Grund überkam mich plötzlich eine tiefe Traurigkeit, als Jamie aufsah und mich anlächelte, nachdem die zwei zu uns getreten waren.

Ich lächelte schwach zurück, um ihm nichts davon zu zeigen, denn er würde es sich nur wieder so sehr zu Herzen nehmen, aber ich musste mich abwenden, als Valentin beide überschwänglich und auch nicht mehr ganz nüchtern in den Arm nahm.

„Na, wie ist es, ihr Süßen, gehen wir nach Hause?“

„Geht ruhig schon ohne mich vor, ich komme gleich nach“, sagte ich leise und wandte den Kopf wieder zurück. Mir war kalt trotz des langen Mantels, und ich sah, wie Jamie einen Blick über die Schulter warf und dann zögerte, als wollte er mir etwas sagen, aber dann schwieg er und drückte mich bloß kurz.

„Geht’s dir auch gut?“, wisperte er leise an meinem Ohr, ich zog ihn an mich und vergrub das Gesicht in seinem weichen kupfernen Haar.

„Ich komm schon klar“, flüsterte ich zurück. „Jem?“

„Ja?“ Er sah mich aus großen Augen an und ich drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

„Passt mir ja gut aufeinander auf.“

Er lächelte stumm und ich ließ ihn los, sah den dreien nach, als sie Seite an Seite über die Brücke verschwanden.

Ich musste an jene Nacht eine Woche zuvor denken, in der ich Junya zum ersten Mal getroffen hatte, und wie ich die beiden mit mir gezogen und versteckt hatte, damit ihnen nichts geschah.

Sie hatten beisammen in dieser Nische gekauert wie zwei verschreckte Rehkitze.

Nein, sie würden ganz sicher gut aufeinander aufpassen, davon war ich überzeugt. Junya hatte meinen kleinen Bruder verdient. Es ist immer gut, wenn man jemanden hat, für den man am Leben bleiben kann.

Ich wusste nicht mit Bestimmtheit, warum ich so bekümmert war; es war nicht, weil mein Jamie jetzt zu einem anderen gehörte, das war nicht der Grund. Er würde immer mein Kleiner sein, und er würde immer zu mir kommen.

Vielleicht war es, weil der Anblick, die beiden zusammen, so verliebt, mir meine eigene Einsamkeit so stark vor Augen fühlte, dass ich das Gefühl hatte, mein eigenes verlorenes Spiegelbild strecke die Hände nach mir aus und drücke mir die Luft ab.

Ich war auch einmal genau so glücklich gewesen.

Das kam mir jetzt so endlos lange her vor. Und ich sehnte mich nach Nähe, nach Nähe, die mir Yuki nicht geben konnte, so herzig er sich auch um mich bemühte.

Ich stand mit verschränkten Armen vor dem Eden und starrte in die leere Nacht, in die Dunkelheit zwischen den Büschen, während ich von hinter mir noch die Musik hören konnte.

Ich begann zu zittern und wischte mir über das Gesicht, spürte eine heiße Nässe unter meinen Händen.

Ich hatte Fuchs verloren. Ich hatte Antti verloren.

Ich musste tief Luft holen, um meinen Atem zu beruhigen, und presste die Handballen auf die brennenden Augen.

Ich fühlte mich krank.

Das Schlimme war, ich wusste nicht, wen von beiden ich nun mehr vermisste.
 

Als ich eine halbe Stunde später zuhause ankam, nicht darüber nachdenkend, was ich zu argwöhnen begann, war bereits alles dunkel; alle waren ins Bett gegangen.

Ich glaubte kaum, dass Jamie und Junya in einem Bett schliefen; sie taten mir etwas leid, das war kein unheikles Thema, wenn man so schüchtern war.

Ich schnürte meine Stiefel auf und ließ sie lieblos neben der Tür zu Boden fallen, wo sie liegen blieben wie zwei erschöpfte schwarze Tiere, ähnlich erging es dem Mantel, ehe ich mich langsam auf den Weg ins Bett machte.

Ich war nicht so müde, wie ich zuvor noch gewesen war. Jedoch fürchtete ich mehr als alles andere, mit meinen Gedanken wach zu liegen.

Als ich am Treppenabsatz angekommen war, öffnete sich die Tür zu Iljas Zimmer und das schwache goldene Licht beleuchtete die schimmernden walnussbraunen Haare des athletischen Russen.

„Wolf, hey – geh heute Nacht nicht in Yus Zimmer, okay?“ Er sprach leise, um niemanden zu wecken, und ich trat zu ihm. Er war gleich groß wie ich und so konnte er mir offen in die grauen Augen sehen, trat jetzt ganz in den Türrahmen.

„Was ist los?“, fragte ich ebenso leise zurück.

Ilja grinste kurz. „Sagen wir einfach, er hat schon jemanden, mit dem er die Nacht verbringt.“

Es dauerte eine Sekunde, bis ich mich erinnerte. „Mari?“

„Keine Ahnung, ich hab ihn ja noch nie gesehen. Die Beschreibung trifft jedenfalls zu. Er war nur kurz laut, deswegen ist es okay, schätze ich.“

Ich strich mir einige lose Strähnen aus der Stirn. Yuki nahm selten, eigentlich so gut wie nie jemanden mit zu uns nach Hause. Aber mir war in dieser Nacht eh nicht nach seiner Gesellschaft.

Er bemühte sich ja, aber manchmal machte er mich nur trauriger, weil er so verdammt süß sein konnte, und ich brachte es nicht übers Herz, ihn darauf hinzuweisen.

Ilja hatte seine leise Stimme wieder erhoben. „Ist okay, du kannst heute Nacht bei mir schlafen.“

Ich nickte wortlos.

Vielleicht tat mir eine starke Schulter zum Anlehnen ganz gut.

Iljas Zimmer war sehr spartanisch eingerichtet; der Großteil von Iljas Besitz befand sich in der Garage, hier hatte er nur seine Möbel und eine handvoll Bücher und Cds.

Mein Freund hatte das Fenster offen gehabt, ging jetzt allerdings, es zu schließen, als ich mich umsah.

„Geht’s dir auch gut?“, fragte Ilja leise, als er wieder zu mir getreten war, und als ich den Blick hob, sah er mir auf seine direkte Art ins Gesicht. „Du siehst aus, als ob du geweint hättest.“

Ich wich seinem Blick aus. „Ich komm schon klar.“

„Willst du darüber reden?“

„Lieber nicht.“

„Was ist passiert, hm?“

Der junge Mann sah mir direkt in die Augen aus seinen goldbraunen Iriden und strich mit dem Finger über meine Wange, nahm mich dann bei den Schultern und duckte sich leicht, um mir in das gesenkte Gesicht zu sehen, so dass ich ihm vergebens auszuweichen versuchte.

„Du kannst es mir ruhig sagen, Wolf.“

„Ich weiß“, murmelte ich. Seine Stimme war so sanft, und seine Nähe so kraftvoll und tröstlich, dass ich mich fast schon gegen ihn hätte sinken lassen.

Es tat wirklich gut, ihn bei mir zu haben, auch wenn ich so tat, als wolle ich das nicht, aber das war nicht die Wahrheit.

Ich brauchte ihn.

„Ist es wegen Fuchs?“

„Ich weiß nicht“, wisperte ich, und dann brach ich plötzlich in Tränen aus.

Ich wusste nicht, wieso, und ich konnte es auch nicht aufhalten; auf einmal rannen sie mir über die kalten Wangen, und ich presste die Hand vor den Mund, rang nach Atem, den Blick abwendend, während Ilja mich in seine Arme zog, wo ich mich nach einigen Sekunden zuckend anschmiegte, seine Hände um meinen Rücken.

„Was ist denn passiert, hm?“, murmelte er leise und fast etwas erschrocken an meinem Ohr, während er mir immer wieder sanft über die Schulterblätter strich.

„Ich hab Antti wieder gesehen“, brachte ich nach einer Weile hervor. Ich hasste mich dafür, dass er mich so erlebte, er hatte mich noch nie weinen sehen. Gleichzeitig unternahm ich nichts, um diesem Zustand zu entfliehen. Ich hatte das Gefühl, wenn er mich losließe, bräche ich auf der Stelle zusammen.

Ich krallte mich fast schon in seine Schultern, in sein weißes T-Shirt, während mein Körper noch immer zitterte unter unterdrückten Schluchzern. Kann sein, dass ich ihm wehgetan habe, als ich ihm die lackierten Nägel so ins Fleisch bohrte, aber ich konnte in diesem Moment nicht anders, und er zuckte mit keiner Wimper, sondern hielt mich nur fester und murmelte mir beruhigend Unverständliches ins Haar, woran er seine Lippen hatte; es war zum Teil Russisch, die Sprache meiner Kindheit, und ein wenig beruhigten die Töne mich tatsächlich, auch wenn sie unartikuliert blieben.

Ich zitterte, atmete tief ein, und spürte langsam, wie der plötzliche Tränenschwall versiegte. Ich schloss die Augen, mein Kopf lag an seiner Schulter, er streichelte mich noch immer.

Das hatte lange niemand mehr getan; ich wollte in diesem Moment allerdings weniger als alles andere an die Vergangenheit zurückdenken.

Iljas Haut roch ganz schwach nach Metall, auch wenn er geduscht hatte; ich hatte den Duft seines Shampoos in der Nase und atmete den vertrauten Geruch tief ein, um wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzufinden.

Auch, wenn ich den vielleicht lange schon unter den Füßen verloren hatte.

„Hast du mit ihm geredet?“, fragte er leise. Ich schüttelte den Kopf.

„Nein…“

Ilja sagte nichts, aber ich spürte seine Missbilligung und sah trotzig auf und ihm ins Gesicht.

„Sag du mir nicht, wie ich mich zu verhalten habe, okay?“

Er hob abwehrend die Hände. „Okay, okay, beiß mich nicht!

… Du hättest mit ihm reden sollen, weißt du.“

Ich schluckte trocken. „Vielleicht.“

„Er liebt dich wirklich.“

„Das tut er nicht.“

„Doch, das tut er! Glaub es oder nicht; er liebt dich immer noch.“

Ich starrte Ilja kalt an.

Antti liebte mich nicht mehr. Täte er es, hätte er mich niemals so ohne Erklärung verlassen. Und selbst wenn er mich jetzt wieder lieben sollte – wer garantierte mir, dass er es sich nicht schon am Folgetag anders überlegt hätte?

„Es gibt keine Liebe, Ilja.“

„Und was war das, was du für Antti empfunden hast?“ Iljas braune Augen ruhten unverwandt auf mir.

Ich sank gegen seine Schranktür. „Das war ein Wunschtraum, nichts weiter…“ Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht und hatte die Augen geschlossen, um die Tränen zurückzuhalten.

„Du liebst ihn also auch immer noch.“

Ich spürte, wie mir die Tränen zwischen den zusammengepressten Lidern hindurch quollen, während sich der junge Russe neben mir an den Schrank stützte und sie mir mit einer Hand sanft von den blassen Wangen wischte. „Hey…ist ja schon gut…“

Ich schämte mich, dass ich so schwach war, und dass ich nicht aufhören konnte zu weinen wie ein Mädchen, aber andererseits gab es niemanden hier außer Ilja, bei dem ich es mir leisten könnte, Schwäche zu zeigen.

Alle anderen vertrauten doch darauf, dass ich stark war für sie.

„Ich kann nicht zu Antti zurück, Ilja…egal, was auch immer ich für ihn…“

Ich schluckte den Rest des Satzes hinunter.

Es wurde langsam alles so klar.

Es war, als ob mir der Anblick Anttis vorhin einen Schleier vor den Augen weggezogen hätte, oder vielleicht auch einfach meinen Blick in die richtige Richtung gelenkt.

Ich begann zu sehen, was der Unterschied war – und was keinen Unterschied machte.

Was gar keinen Unterschied mehr machte.

War ich denn so blind gewesen?

Und jetzt war es zu spät.

Oder besser – jetzt hatte ich alles verloren. Meine Liebe war aus meinen Händen geronnen wie Sand.

„Wieso denn nicht?“, flüsterte mein Freund und streichelte meine bloße Schulter. „Ach Gott, Wolf, sieh dich an – du machst dich kaputt. Warum zum Teufel willst du nicht einmal zu dem Menschen zurückgehen, den du liebst?“

„Das geht nicht so einfach“, wisperte ich erstickt. Ich presste meine Hände auf mein Gesicht.

Oh, Gott. Ich war in einem Albtraum gefangen, und seine Saat fraß mich langsam von innen heraus auf.

„Wieso denn nicht?“

Ich öffnete die Augen, die Tränen flossen jetzt ungehindert. Ich hob den Blick zu Ilja, der mich aus treuen Augen hilflos ansah, so sehr wünschte, mich zu trösten.

Aber er kannte das ganze Ausmaß meines Wahnsinns ja noch nicht, das mich heute Nacht getroffen hatte wie ein Schlag in die Magengrube.

„Zu welchem von beiden, Ilja?“
 

Wolf mit ungelöschter Gier,

selbst das eigne Herz zu fressen,

hungert durch die Wüste hin...
 

Ich war mir nicht sicher, ob ich mich dafür hassen durfte, dass mein Herz fast zerriss unter einem Gefühl, dass es eigentlich gar nicht geben dürfte, und das ich dennoch für zwei Menschen empfand.

Vorher war es so einfach gewesen; es war mit Fuchs immer eine völlig andere Art von Liebe gewesen – doch jetzt – jetzt war es auf einmal gar nicht mehr so anders; alles was die beiden voneinander getrennt hatte war diese papierdünne Scheidewand gewesen, die Fuchs an einem einzigen Abend eingerissen hatte.

Ob Gott mich wohl hasste?

Wie hatte ich so blind sein können und nicht merken, was es gewesen war, das in mir den Wunsch geweckt hatte, zu sterben, nachdem ich Fuchs verlassen hatte?

Und wie hatte ich glauben können, die Liebe zu Antti so einfach aufgeben zu können, obwohl doch allein der Schmerz in seinen wunderschönen Augen vorhin mich fast hatte aufschreien lassen?

Es war falsch, was ich fühlte.

Und ich konnte deswegen noch weniger zu einem von beiden zurückgehen.

Was sollte ich auch tun?

Zwei Männer zu lieben, war schlimmer, als keinen zu lieben.

Selbst wenn ich den Mut hätte, mich für einen von ihnen zu entscheiden, um ihn um Vergebung zu bitten für alles, was ich falsch gemacht hatte, was gewiss nicht wenig war – wie könnte ich das jemals verantworten, wenn ich doch zugleich etwas für einen anderen empfand?

Warum konnte nicht einfach wieder alles so unbeschwert sein wie früher?
 

'Doch plötzlich fällt es mir wieder ein, hier gibt es keine Liebe.

Immer wieder durchbohrt es mich von Neuem und irgendwo gehe ich kaputt.'
 

„Du musst dich entscheiden, Sakuya“, wisperte Ilja eine Weile später. Ich zuckte zusammen, weil er so ernst war; fast nie sprach er mich mit meinem Geburtsnamen an, für ihn war ich immer nur Wolf.

Ich lag unter seiner Decke ausgestreckt, den Kopf auf seiner Schulter, während er auf dem Rücken liegend die Finger der Linken auf meinem Oberarm ruhen hatte, fast, als wolle er verhindern, dass ich aufsprang und in der Nacht verschwand. Und das hätte ich vielleicht getan, wäre ich nicht so müde all der Dinge, die mich so oft in die Irre geführt und nur die Kraft gekostet hatten, welche mir jetzt fehlte.

„Ich will nicht, dass einer von euch sich noch länger so quält, aber es kann nicht aufhören, solange du nicht bereit bist, einen von beiden zu vergessen, glaube ich.“

Ich wollte ihn anfahren, aber ich konnte nicht. Ich konnte nicht mehr.

Ich lag an seiner Seite, kaum fähig, mich auch nur zu rühren oder die Augen zu öffnen.

Es war alles so sinnlos.

Ich war mir nicht sicher, was ich noch tun konnte, ohne wiederum jemanden zu verletzen, wenn ich in Agonie um mich biss.

So lag ich nur reglos und spürte meinen Atem über Iljas Oberkörper streichen, sah aus den Augenwinkeln die schwachen silbernen Mondstrahlen durch das geschlossene Fenster glühen.

Ich war mir nicht sicher, ob Ilja verstand, was ich fühlte, was mich so erschöpfte; so viel Liebe, die ich unfähig war zu geben und an der ich langsam erstickte, so viel Schmerz um geliebte Menschen, die ich allein gelassen hatte.

Was auch immer ich tun würde, es konnte nichts Gutes dabei herauskommen.

Denn so etwas wie die wahre Liebe gab es nicht.

Die Triebhaftigkeit meiner Gefühle brachte mich um. Wo war die Unschuld unserer Kindertage geblieben?

Fuchs hätte niemals etwas sagen dürfen. Es hätte alles so bleiben sollen, wie es gewesen war! Warum hatte er nicht schweigen können? Warum hatte er dem Drang nachgeben müssen, der mich erdrückte?

Vielleicht hatte Ilja sogar recht.

War es nicht so, dass bis jetzt alle meine Freunde im Recht gewesen waren? Ich hätte von Anfang an auf sie hören sollen, dann wäre mein Herz jetzt nicht so untot.

Ich hätte von Anfang an bleiben sollen.

Vielleicht hätte ich wieder zu Antti gefunden.

Vielleicht hätte ich ihn vergessen können und meine Liebe zu Fuchs viel früher entdeckt, nicht erst jetzt, als sie so schmerzte. Geliebt hatte ich ihn mein Leben lang, aber im Gegensatz zu ihm hatte ich nicht den Mut aufgebracht, weiterzugehen.

In meinem Bemühen, es zu erhalten, hatte ich es zerstört.

Und Antti war der einzige Mensch, der mich jemals dazu gebracht hatte, glücklich und traurig zugleich zu sein, mir die Luft zum Atmen und den Verstand zu nehmen mit seinen Küssen und mich brennend zurückzulassen.

Vielleicht war er es, der einen großen Fehler begangen hatte, als er damals in meine Arme gesunken war. Möglicherweise hatte ich ihm mit meiner Art zu sehr wehgetan, als dass er mich noch hätte weiter lieben können.

Warum verstand ich dies erst jetzt, als Antti mich für immer verlassen hatte?

Kann sein, dass ich in dieser Nacht zum ersten Mal meiner Schwäche nachgegeben und sie offenbart hatte.

Und möglicherweise ließ mich das erst klar sehen, ohne den Schleier des Stolzes vor meinen Augen, der mich erst in diese Situation gebracht hatte.

Der mich dazu gebracht hatte, meinen Seelenbruder und Geliebten im Stich zu lassen und meinen Liebsten einsam zu vergessen und damit alles in meinem Herzen zu töten, wofür ich je gelebt hatte.

Gott, was hatte ich nur getan!

Ich atmete leise, Ilja schwieg seit seinem letzten Satz, aber er war wach und würde es auch bleiben, bis ich eingeschlafen war, ich spürte es an der Art, in der sein Arm um mich lag.

Er hatte mir die Haare gelöst, während ich mir die Schminke aus dem Gesicht gewischt hatte; nur im Bett trug ich meine pechschwarzen Haare offen. Er hatte mir mein Oberteil ausgezogen und eins seiner Shirts zum Schlafen gegeben, und während der ganzen Zeit kein Wort gesprochen, mir nur ein paar Mal beruhigend über den Rücken gestrichen.

Jetzt hörte ich bloß seinen Atem und spürte seinen warmen Körper an meinem unter der dünnen Decke, der mir Trost spendete.

Ich glaube nicht, dass ich es ertragen hätte, hätte er etwas zu mir gesagt. Wahrscheinlich hätte ich ihn angefaucht und wäre gegangen, oder Schlimmeres.

Ich war ihm so dankbar für seine Freundschaft, dass es mir sogar noch mehr wehtat, dass ich ihn sechs Monate zuvor ebenfalls im Stich gelassen hatte.

Er hatte wohl gründlich nachgedacht über meine Worte, er hatte sie wirklich ernst genommen und sie nicht als entsetzlich abgetan, und schien letztendlich zu dem Schluss gekommen zu sein, den er mir mitgeteilt hatte.

Ich wusste, er meinte es ernst und war überzeugt, dass dies das Beste für mich wäre, denn wenn ich etwas besonders an Ilja schätzte, dann war es seine bedingungslose Ehrlichkeit und seine aufrichtige Loyalität.

Vielleicht war es an der Zeit, auf einen Freund zu hören, ehe ich mich noch umbrachte.

Musste ich mir denn erst die Hälfte meines Herzens aus der heißen Brust reißen, um endlich wieder glücklich zu werden?

Oder hatte ich Fuchs auch schon lange verloren?

Vor dem Schlaf fiel mir noch etwas Wichtiges ein.

„Ilja…glaubst du, ich komme in die Hölle…irgendwann…?“

„Ach, wir kommen alle in den Himmel, Wolf, die ganze Bande. Soviel steht fest.“

„…und verachtest du mich?“

Er schwieg kurz, und ich merkte erst nach einer Weile, dass er den Kopf auf den Arm gestützt hatte und mich ansah, als er mir mit dem Finger eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich und sich dann wieder hinlegte, den Arm über mich breitend.

„Nein, ich bewundere dich. Aus tiefstem Herzen, Sakuya.“

In dieser Nacht beschloss ich endlich, etwas zu tun.
 

Jamie: He never told me what he does for a living
 

Seltsam-erregend

des Morgens in der Straßenbahn:

die Mitfahrenden

sehn aus, als wären sie

ein jeder ohne Sünde...
 

- Saitô Mokichi
 

Ich saß an diesem Morgen am Frühstückstisch und hatte eine Tasse Kakao in den Händen, obwohl ich keinen Schluck trinken konnte.

Junya saß neben mir und hatte seinen Arm um mich gelegt; ich lehnte an ihm, die Beine an den Körper gezogen und die Füße auf die Kante der Bank gestützt

Alle anderen schienen wahnsinnig glücklich darüber zu sein, dass Junya und ich jetzt ein Paar waren, aber sie ließen uns in Ruhe und sagten nichts, außer Yuen, der mich zwingen wollte, zu frühstücken.

Unmöglich, ich brachte keinen Bissen herunter, dafür war ich viel zu glücklich.

Ich war in der Nacht etwas vor den Kopf gestoßen gewesen, als Junya mir einen langen Kuss gegeben und mir sanft 'Gute Nacht’ ins Ohr geflüstert hatte, ehe er schnell in seinem Zimmer verschwunden war.

Aber sobald ich in meiner kleinen Kammer stand und die Tür hinter mir ins Schloss gefallen war, war ich dem Blauhaarigen ganz dankbar für diese Aktion, auch wenn sie etwas unbeholfen gewesen war.

Ich hatte ihn wahnsinnig gern, ja, aber ich war mir ganz und gar nicht sicher, ob ich schon bereit war, eine Nacht mit ihm zu verbringen, das wusste er.

Zwar hatten wir uns auf unserer Reise bereits eine Decke geteilt, aber das war etwas völlig Anderes gewesen. Ich hätte jetzt gar nicht gewusst, wie ich mich hätte verhalten sollen, geschweige denn was von mir erwartet wurde, und ich war erleichtert, dass mir ein weiteres Kapitel in meiner Geschichte der Naivitäten erspart geblieben war.

Junya war an diesem Tag eigentlich an der Reihe, die Musik auszusuchen, aber wir beide besaßen keine eigenen Cds und es war uns auch nicht so wichtig, welche Band lief, und so überließen wir die Wahl den anderen. Momentan hörten wir 'Under the Gun’ von den Sisters of Mercy.

Ich hatte halb die Augen geschlossen und genoss die Wärme von Junyas Körper am frühen Morgen; es war zwar eigentlich bereits halb elf, aber wir waren alle lange wach gewesen in der Vornacht und daher war kaum einer von uns bereits ausgeruht, abgesehen von Rose, der nicht viel Schlaf zu brauchen schien, und Diego und den Zwillingen, die nicht aus gewesen waren, sondern den Abend mit Ilja verbracht hatten, welcher noch in seinem Zimmer war und wohl schlief.

Nun gut, um genau zu sein, waren nur Junya, Valentin und ich noch müde, Yuki und Sakuya hatten wir auch noch nicht gesehen und Fuchs schlief laut Augenzeugenberichten noch.

Wir fünf - Valentin, Rose, Diego und wir beide - saßen um den Küchentisch, auch wenn keiner von uns aß, Yuen trocknete Geschirr, Minh stand am Fenster und sprach mit Diego, hob aber irritiert den Kopf, als Valentin „Hey!“ rief und aufstand, die Tür ganz öffnete. „Hey! Wo willst du denn so schnell hin? Magst du einen Kaffee?“

„Äh“, hörte man von draußen, und ein hastig gebändigter neonpinker und schwarzer Schopf schob sich hindurch, Mari wandte den Kopf und nickte in die Runde. Sein Makeup von gestern war großteils verschwunden und er sah viel älter aus, wie zwanzig statt wie sechzehn. „Morgen…“

„Komm rein.“

Marius trat ganz in die Küche und grinste verlegen in die Runde. „Eigentlich dachte ich, ich komm ungesehen hier raus…“

„Das hast du dir so gedacht“, erwiderte Valentin trocken. „Wenigstens heute kannst du dich von mir verabschieden, ehe du wieder grußlos zur Tür rausstürmst. Ich hoffe für dich, dass es das wert war.“

Marius kicherte leise und nahm dankend die Tasse Kaffee von Val entgegen. Er hatte sich die Stiefel nur halb geschnürt. Seinen schweren Lidern nach zu urteilen hatte er so gut wie kein Auge zugetan in der vergangenen Nacht.

Val grinste. „Wo ist Yuki?“

„Schläft noch…“

Mari nahm einen Schluck aus der Tasse und lehnte hastig ab, als Valentin ihm einen Stuhl hervorzog. „Um Gottes Willen, lass nur, ich stehe ganz gut hier.“

Er ignorierte Roses leises Lachen gekonnt und warf nur einem feixenden Valentin einen trockenen Blick zu. „Unheimlich komisch, ja. Rate mal, wer zuletzt lacht.“

Dann fiel sein Blick auf Junya und mich und wurde triumphierend. „Ha! Ich wusste es!“

„Jeder wusste es“, kommentierte Valentin kurz, und ich spürte, wie ich errötete; Junya räusperte sich leise.

„Schon gut, ich sag ja nichts mehr.“ Valentin grinste uns an, und Rose sah für einen Moment so aus, als ob er etwas zu jenem sagen wollte, da hörte man wieder Schritte und ein ziemlich übernächtigt aussehender Yukio schlurfte in die Küche und warf einen glänzenden Blick auf Mari, der ihm müde zuwinkte.

„Du bist ja noch da?“

„Die haben mich nicht weggelassen.“

„Ja, das sieht ihnen ähnlich. Rate, warum wir inzwischen so viele sind die hier wohnen. - Deine Aktion mit der Decke hat mich geweckt.“

„Sorry.“

„Macht nichts.“

„Hey, heißt das, du hast mir beim Anziehen zugesehen?“

Yuki grinste bloß. „Gibt’s Kaffee?“

„Klar.“ Val reichte ihm eine Tasse. „Steht auf dem Tisch. Komm, setz dich, der Stuhl ist frei.“

Der Schwarzhaarige wirkte für den Bruchteil einer Sekunde regelrecht entsetzt. „Nein danke, ich bleibe lieber stehen.“

Rose brach auf der Stelle in blökendes Gelächter aus und sackte auf seinem Stuhl zusammen, während Diego nur entsetzt mit der Hand durch sein dichtes schwarzes Haar fuhr. „Nein, bitte nicht...!“

„Man muss die Feste feiern, wie sie fallen“, sagte Yuki ungerührt.

„Richtig. Siehst du, Rose, ich hab dir vor Jahren prophezeit, irgendwann schlaf ich mich bei euch ein“, fügte Mari an.

„Und wie du weißt, weswegen du gar nicht so angewidert gucken musst“, ergänzte Yuki und zeigte mit der Tasse in Diegos Richtung, „bin ich in der Hinsicht nunmal das schwächste Glied in der Kette.“

„Oh. Schwaches Glied würde ich jetzt aber nicht unbedingt formulieren“, meinte Mari fröhlich und griff die Kanne.

„Gut, schlechte Wortwahl“, kicherte Yuki fröhlich und und hielt seine Tasse Marius entgegen.

Der zwei Jahre Ältere schenkte ihm gelassen Kaffee ein. „Sag Stopp.“

„Stopp, Hase.“

Das war der Punkt an dem Diego die Flucht aus der Küche antrat.

Kaum, dass Yus One Night Stand nach seinem Kaffee ziemlich wortlos gegangen war, Yukio hatte ihm müde nachgewunken, mehr auf sein Müsli konzentriert, bemerkte ich, dass Yuki uns aus seinen goldbraunen Augen anstarrte, und in ein kleines irres Grinsen ausbrach, als mein Blick seinem begegnete.

„Ist nicht wahr, oder?“

Ich konnte nichts sagen, da mein Mund so trocken war, aber Junya neben mir hob den Kopf, seine feinen königsblauen Strähnen strichen über seine weiße Haut (mein Mund wurde noch trockener).

Seine Stimme war sehr, sehr leise, aber sanft, als er sagte „Wir lieben uns.“

Ich spürte ein fast unmerkliches Zittern durch seinen Körper gehen bei den Worten und drückte beruhigend seine Hand. Ja, es ist wahr. Ich liebe dich auch.

Yukio quietschte auf und drückte die fast überschwappende Tasse einem hastig reagieren müssenden Valentin in die Hand, ehe er mit einem Satz auf uns zusprang und uns erst einzeln, dann beide zusammen an sich presste. Er war ganz warm und weich wie sein Stoffhase, und er roch noch immer nach Rauch, da er noch nicht geduscht hatte.

„Oh mein Gott! Das ist ja so toll!“, juchzte der kleine Japaner. „Oh Jungs, ich freu mich ja so!“

Ehe ich noch etwas erwidern konnte, öffnete sich die Küchentür abermals.
 

Hinter meinen Augen stehen Wasser,

Die muss ich alle weinen.
 

Immer möcht ich auffliegen,

Mit den Zugvögeln fort;
 

Buntatmen mit den Winden

In der großen Luft.
 

O ich bin so traurig ----

Das Gesicht im Mond weiß es.
 

Drum ist viel samtne Andacht

Und nahender Frühmorgen um mich.
 

Als an deinem steinernen Herzen

Meine Flügel brachen,
 

Fielen die Amseln wie Trauerrosen

Hoch vom blauen Gebüsch.
 

Alles verhaltene Gezwitscher

Will wieder jubeln,
 

Und ich möchte auffliegen

Mit den Zugvögeln fort.
 

- Else Lasker-Schüler: Ein Lied
 

„Morgen.“

„Nicht gut geschlafen?“, war Yuens Kommentar, als sich Fuchs auf den zuvor von sowohl Marius als auch Yukio verschmähten Stuhl sinken ließ und sich mit gespreizten gelenkigen Fingern die glatten rotblonden Strähnen aus der Stirn strich.

„Nein.“

Der junge Mann sah übernächtigt aus und war bleich, seine Augen waren rot und er stürzte den ihm angebotenen Rest von Yukis Kaffee hinunter, als gäbe es kein Morgen.

„Leg dich lieber wieder hin. Du siehst wirklich nicht gut aus, Schatz“, sagte Rose besorgt und rutschte auf seinem Stuhl an Fuchs heran, drückte ihm die Schulter. „Hm?“

„Ich konnte nicht einschlafen“, murmelte Fuchs. „Geht schon. Ich geh gleich duschen und… Ich muss weg, ich hab einen Job heute.“

„Meinst du nicht, dass es zu gefährlich ist, wenn du völlig übermüdet bist?“

Fuchs schüttelte den Kopf, die Strähnen fielen ihm wieder ins Gesicht. „Nichts Großartiges heute, muss nur ein Stück fahren, deswegen gibt es auch mehr Geld.“

„Nimmst du Sakuyas -"

„ – Bird fährt mich.“

„Oh.“

Eine Weile herrschte Schweigen in der kleinen Küche. Fuchs schien Junyas und meine Vertrautheit gar nicht wahrgenommen zu haben, aber ich nahm ihm das überhaupt nicht krumm. Vielleicht war es sogar besser so. Ich glaube, er bekam nicht einmal mit, dass Diego wieder hereingekommen und ihm einen guten Morgen gewünscht hatte; sich schulterzuckend abwendend als Fuchs nicht reagierte.

Der arme Mann schleppte schon genug selber mit sich herum, da musste er nicht alles registrieren, was in seinem Umfeld an zwischenmenschlichen Beziehungen vor sich ging.

„Du hättest dann ja auch mit einem von uns ins Eden gehen können gestern“, sagte Rose jetzt und hob mit dem Zeigefinger Fuchs’ Kinn an, was diesem ein schwaches Lächeln abrang, ehe er Rose einen Kuss auf die Wange gab und aufstand, um seine Tasse abzuwaschen, eine Übersprungshandlung, wie klar war, es war ihm unangenehm, so seine Unlust auf die Gesellschaft der anderen zu bekunden.

„Ich weiß nicht…“ Fuchs zuckte bloß mit dem Rücken zu uns die Schultern. Er war, trotz seiner Muskeln, wie Sakuya ziemlich mager, wie man sah, wenn er sich leicht vornüberbeugte; seine Schulterblätter zeichneten sich unter dem dünnen schwarzen Baumwollhemd ab.

„Wir sind keine so miese Gesellschaft, weißt du.“

„Ich weiß, aber…“ Fuchs zuckte abermals ohne eine Erklärung die Schultern. „Nimm’s mir nicht übel.“

„Wann warst du das letzte Mal mit uns im Eden, vor einem halben Jahr oder so?“

Der Rothaarige wandte sich um und stützte sich mit den Ellbogen auf der Anrichte ab, sah Rose kühl an. „Vielleicht. Wieso, ist das wichtig?“

„Schattentage magst du ohne Saku nicht, aber arbeiten geht, ja?“

„Was geht dich das an?“, fauchte der Ältere.

„Eine Menge, ich mache mir Sorgen!“

Fuchs schmiss das Handtuch, das er in der Hand gehabt hatte, wütend auf die Anrichte und funkelte Rose an. „Verdammt noch mal, ich kann auf mich selbst aufpassen!“

„Und in dem Zustand willst du jetzt los? Das ist nicht dein Ernst. Schlaf dich erstmal aus.“ Rose klang regelrecht bissig, auch wenn er sich nur sorgte.

„Du weißt verflucht genau, dass er und ich das beschissene Geld für unser Leben hier fast alleine erarbeiten, und wenn er es nicht mehr für nötig hält, dann erledige ich es halt alleine, auch wenn wir zwei eigentlich immer…“ Fuchs biss sich auf die Lippen, seine Augen glänzten stark, blieben aber trocken.

Jetzt sprang Rose wütend auf, Yukio an seiner Seite drückte ihn zurück auf den Stuhl, aber der Brite wischte dessen Hand von seiner Schulter. „Willst du mir vorwerfen, dass ich nichts tue?! Ich könnte deinen Scheißlohn locker verdoppeln, und das wäre weit weniger riskant, wenn ihr mich endlich tun lassen würdet, was ich am besten kann!“

Fuchs baute sich vor Rose auf und hielt ihn an den Schultern auf seinem Stuhl, beide zitterten vor Wut und starrten sich teils zornig, teils verzweifelt in die Augen. „Ich werde dich eher persönlich nachts einsperren, als dass ich zulasse, dass die halbe Stadt dich durchvögelt!“

Fuchs stürmte aus dem Raum und knallte die Tür hinter sich zu, nur Zehntelsekunden später knallte eine von Rose mit einem schrillen Aufjaulen geworfene leere Müslischale dagegen. „Sieh doch zu, wer dich gesund pflegt, wenn sie dich abschießen!“ Er stand auf und warf sich seinen Mantel über die Schultern.

„Hey… Schatz, komm…“ Yuki stand auf und versuchte, Rose am Arm zu halten, aber der Pinkhaarige schüttelte seine Hand ab.

„Lass mich“, fauchte er mit blitzenden eisblauen Augen. „Das wird mir grad alles irgendwie zu blöd hier!“

Er rauschte erhobenen Hauptes zur Tür.

„Wo willst du hin?!“

„Mich von der halben Stadt durchvögeln lassen natürlich, was denkst du, wo ich sonst hinwollen könnte?!“

Rose wandte sich ungnädig um, drehte dann aber noch einmal um und fügte in versöhnlicherem Ton hinzu: „Ich brauch jetzt nur ein bisschen Luft, ich bin in spätestens einer Stunde wieder da.“

„Soll ich mit -"

„Nein.“ Damit verschwand er.

Yuki stützte das Gesicht in die Hände. „Seid mir nicht böse, aber manchmal könnte ich kotzen…“ Er sah aus, als würde er gleich zu heulen anfangen, das tat mir leid, weil er vorher noch so fröhlich gewesen war, und ich empfand Wut sowohl auf Fuchs als auch auf Rose.

Selbst, wenn einer von ihnen übernächtigt war und der andere sich auf den Schlips getreten fühlte, war das keine Entschuldigung, sich so zu benehmen. Nicht noch einmal.

Erst recht nicht vor Yukio, wo doch jeder hier wusste, wie sehr ihn Streit zwischen seinen Freunden mitnahm, auch wenn er nur aus Besorgnis umeinander entstand.

Yuen schien jetzt der Kragen zu platzen, was beängstigend war, da er sonst so fröhlich war, und Minh trat zu ihm und legte ihm die Hand auf den Arm.

„Ihr seid doch alle völlig bescheuert geworden!“, fauchte der Chinese und knallte eine offene Schranktür mit Wucht zu. „Seit dieser Sache geht hier alles in den Arsch; wisst ihr was, ihr benehmt euch alle zusammen wie kleine Kinder, bis auf Junya und Jamie, und ich habe echt keinen Bock mehr, die Mutter für lauter erwachsene Männer zu spielen und mit Minh der einzige zu sein, der sich in diesem Tuntenzirkus einigermaßen rational verhält, hallo, ich bin hier geisteskrank! Mir reicht’s, macht euren Scheiß doch alleine!“

Damit verschwand auch er aus der Küche, von seinem Zwilling gefolgt, und man hörte nach einer Weile von oben die Tür zu ihrem Zimmer zuschlagen.

Junya hatte den Arm beschützend um meine Schultern gelegt, und ich wagte einen hilflosen Blick zu Yukio, der jetzt aus feuchten goldenen Augen auf die Stelle starrte, an der Yuen bis gerade eben gestanden hatte, und dessen rosige Unterlippe bebte. „A… Aber… Aber…“

Als wäre das Maß noch nicht voll, erschien Sakuya im Türrahmen, und wie auf Kommando sprang Diego auf, der sich bis jetzt vornehm zurückgehalten hatte, und tippte Yukio an, den er eben noch so eklig gefunden hatte. „Na komm, willst du mit raus?“

Yuki wischte sich über die Augen, sah zu ihm auf. „Wohin?“

„Ich gehe Farbe für das Auto kaufen, magst du?“

Yukio nickte mit einem Seitenblick auf Sakuya, der stumm im Türrahmen lehnte und auf seiner Unterlippe kaute. „Okay…“

„Was war denn jetzt los?“, fragte Sakuya leise, nachdem die zwei gegangen waren. „Irgendetwas, das ich nicht wissen sollte?“

Wir zwei schwiegen eine Weile, Junya zog mich zu sich. Es war nicht gerade ein guter Start für unseren ersten Tag, aber vielleicht war es gut, dass wir hier waren. Vielleicht konnten wir doch irgendetwas für irgendjemanden hier tun, und wenn wir nur da waren.

Wir waren doch alle verloren.

„Rose hat sich mit Fuchs gestritten, weil er nicht wollte, dass der in seinem Zustand arbeiten geht“, half schließlich Junya mit einer Kurzfassung. Ich drückte mich an ihn und atmete seinen beruhigenden Geruch ein. Mir tat Sakuya plötzlich so leid, weil er niemanden hatte, der ihn in seine Arme zog.

Mein Bruder zuckte ganz leicht, als wolle er wissen, in was für einem Zustand Fuchs denn sei – zumindest glaube ich, dass er genau das wissen wollte -, unterließ es aber, zu fragen oder sich sonst irgendwie zu äußern.

Manchmal hätte ich ihn anschreien können.

„Habt ihr schon gefrühstückt?“

Wir bejahten, und Sakuya glitt neben mir auf die Bank, als ich auffordernd zur Seite rutschte, was mich wieder näher in Junyas Arme trieb, den ich aufatmen hörte.

Sakuya goss sich Kaffee ein, ich sah ihn aus großen Augen an.

„Warum arbeitest du nicht? Ich frage nur; Fuchs sagte, ihr bräuchtet das Geld.“

Sakuya griff nach der Zuckerdose, ohne mich anzusehen. „Wir haben immer zusammen gearbeitet“, murmelte er fast unhörbar. Ich wusste nicht, was es war, dass diese Tatsache für ihn die ganze Zeit über schon so bedeutend machte – dass sie zusammengearbeitet hatten. Es war doch nur irgendeine Arbeit, nicht?

„Fuchs geht seitdem alleine los.“ Ich muss wohl nicht erklären, was ich mit ‚seitdem’ meinte.

Sakuyas Hand zuckte, und er verstreute etwas Zucker neben der Tasse. „Verdammt…“

Ich rutschte an ihn, während er die Körner mit dem feuchten Finger aufstippte und mit spitzer Zunge ableckte. Er sah mich nicht an, aber seine Augen flackerten, ob nervös oder schmerzerfüllt, das konnte ich nicht genau sagen. Vielleicht beides.

„Warum ist es gefährlich?“

„Hm?“ Er sah zerstreut aus dem Fenster.

„Alle machen sich Sorgen um Fuchs, weil es gefährlich ist. Warum?“

„Fuchs kann sehr gut auf sich aufpassen, er ist derjenige, der gefährlich ist da draußen.“

„Das weiß ich, aber Saku – Saku…“ Ich hockte mich jetzt neben ihn und stieß ihn an, damit er mich ansehen musste. Es regte mich auf, dass ich wieder neben Junya der Einzige war, der nicht wusste, was vor sich ging. „Was genau arbeitet ihr eigentlich?“

„Ist das wichtig?“

„Eigentlich nicht, aber ich will es jetzt wissen. Warum sagst du es mir nicht einfach? Womit verdienst du eigentlich all das Geld?“

Sakuya senkte den Kopf und strich mir mit einem Finger über die weiche Wange. „Ich hab es dir nicht gesagt, weil ich wollte, dass du stolz auf mich bist…“

„Ich will nicht wissen, warum du es mir nicht gesagt hast, ich will, dass du es mir jetzt sagst. Sofort!“ Ich verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und sah ihm ärgerlich ins Gesicht. „Saku!“

„Soll ich gehen?“, fragte Junya leise, aber die Frage war nicht an mich gerichtet gewesen.

Sakuya senkte wie entschuldigend die Augenlider. „Wenn es dir nichts ausmacht, kann ich kurz mit meinem Bruder alleine sprechen…?“

Junya nickte und stand auf, ich sah ihm verletzt nach, wandte dann den Blick wieder zu Sakuya. „Jetzt musst du es sagen. Bitte, ich bin trotzdem stolz auf dich, ich verspreche es!“

„Das musst du nicht“, murmelte der Schwarzhaarige, schob die Tasse endgültig von sich.

„Aber ich kann doch nicht anders“, flüsterte ich und gab ihm sanft einen Kuss auf die Wange. „Ich kenne dich doch, und ich hab dich lieb. Versprochen.“

„Ach, Jem…“

Saku lächelte leicht und strich mir über die Haare, ich sah, dass er sich freute; dann senkte er die Hand und sah mir ernst ins Gesicht.

„Weißt du, ich töte Menschen für Geld.“

Ich sah ihn einige Sekunden ausdruckslos an, weil es etwas dauerte, bis seine Worte in mein Gehirn gedrungen waren.

„Was?“

„Ich war Söldner, jetzt töte ich Kriminelle nach Auftrag.“

Ich sah ihn weiterhin aus großen Augen an, um ihn das erste zu fragen, das mir in den Sinn kam, und vielleicht auch das gemeinste. „Warum?“

Sakuya biss sich heftig auf die Unterlippe und wandte rasch das Gesicht ab.

„Weil es das Einzige ist, das ich wirklich gut kann, Jem“, wisperte er leise. „Wir machen unsere Sache gut, wir verdienen, was wir zum Überleben brauchen. Fuchs und ich - "

Er kam kurz ins Stocken und presste schnell die Augenlider zusammen, bis ich die Arme um ihn schlang und mich an ihn drückte, dann konnte er den Satz beenden.

„… Wir waren ein Team, jeder kannte uns…wir…wir waren die Besten…so furchtbar das ist, aber…wir…wir waren perfekt zusammen…deswegen…ist es gefährlicher für Fuchs allein…und…“ Er wurde jetzt ganz leise, fast unhörbar. „Deswegen arbeite ich nicht mehr…ich kann nicht…aber er hat recht…wir brauchen das Geld…es ist viel, viel als die anderen verdienen können…in Zeiten wie diesen…die Regierungen zahlen gut...“

Seine Stimme war ganz atemlos, und ich spürte, wie schwer es ihm fiel, wie schnell sein Herz schlug, als er mir das erzählte, auch wenn es unbeholfen war. Vielleicht hatte er Angst, es zu flüssig zu formulieren. Ich rutschte auf seinen Schoß und streichelte seinen Arm; er drückte dankbar das Gesicht in mein Haar.

„Ich bin nicht stolz darauf, wirklich nicht, und du sollst es auch nicht sein, aber es ist das, was ich am besten kann, und es hält uns am Leben…ich habe…nie etwas anderes gelernt…nichts, womit man genug Geld für uns alle verdienen könnte...“ Er zögerte kurz.

„…wir waren zehn, als wir zum ersten Mal getötet haben, und als sie merkten, dass wir gut waren, fingen die Leute an, uns zu bezahlen, damit wir für sie töten… wir waren zwölf, als wir damit bereits all unser Geld verdienten. Wir haben seitdem nie etwas anderes gemacht.

Was denn auch? Wir könnten mit einfacher Arbeit nie genug verdienen, um uns allen ein normales Leben zu ermöglichen, keiner von uns konnte das, nicht einmal Rose. Es würde vielleicht gerade reichen, uns zu ernähren, und wenn einer krank wird…

Und dann ist da Yuens Medizin, die ist entsetzlich teuer.

Aber jetzt…

Ich kann alleine nicht weitermachen. Es ist schon so lange keine Gewissensfrage mehr, was ich töte, ist alles der gleiche Abschaum, aber ohne Fuchs bin ich unvollständig. Als würde mir der rechte Arm fehlen, verstehst du? Wie soll ich so eine Waffe halten?“ Er presste die Hand auf die Augen. „Dabei ist Töten das Einzige, was ich kann…“

Fuchs hatte das gesagt, Tage zuvor, und jetzt endlich verstand ich, was er gemeint hatte.
 

“Du bist der Heuchler, Saku! Verdammt; du weißt doch nicht mal, was Liebe überhaupt ist! Es gibt nur eine Sache, die du kannst; und das ist zerstören; und du wirst nie echte Gefühle haben!”
 

„Wenn du willst, kannst du mich jetzt verachten; Jamie, es ist Grund genug, dass ich selbst es nicht tue…ich sollte einfach aufhören und etwas anderes machen....aber ich kann nicht...wir brauchen das Geld....es wäre so viel schwerer ohne es...“

Ich sagte nichts. Ich konnte nicht.

Ja, auch Junyas Medizin war teuer, und jetzt verstand ich, warum einige so zornig darauf waren, dass Sakuya sie ‚im Stich gelassen’ hatte. Mir hätte klar sein müssen, dass das einen konkreten Grund hatte.

Ich verstand, warum er es tat, und warum die anderen ihn brauchten. Dennoch konnte ich nichts sagen, nicht in diesem Moment.

Ich hielt ihn nur fest, als befürchtete ich, wenn ich ihn losließe, könnte ich ihn nie mehr in den Arm nehmen.

Was sollte ich auch sagen? Er war doch mein Bruder. Ich hatte ihn lieb, egal was er getan hatte.

Trotzdem wurde mir eiskalt bei dem Gedanken.
 

Zwischenspiel: Fuchs: Icy Cold City
 

My parents passed away, and then I came to fight…
 

- Funker Vogt: child soldier (Intro)
 

„Nimm meine Hand!“

Ich griff nach Sakuyas Handgelenk, das er mir über die Kante des Daches hinhielt, stemmte die Füße gegen die Hauswand und spürte, wie er mich empor riss, bis ich mit den Ellbogen sicher auf dem Dach lag; dann ließ er mich los und stand wieder auf, stand breitbeinig und leicht geduckt mit entsichertem MG vor mir und suchte mit den scharfen grauen Augen die Straßen unter uns ab, während ich mich mit zitternden Armen ganz auf das vereiste Dach hievte. Mir klebten die roten Haare in der Stirn; ich wusste nicht, ob vor Schweiß oder Blut, aber wenn es Blut war, dann war es nicht unseres.

Ich lag eine Weile keuchend auf dem Dach, bis sich meine Atmung wieder beruhigt hatte, ich beobachtete Sakuya dabei, wie er über mir kauerte, das Gewehr im Anschlag. Er pustete sich mit schwerem Atem eine der schwarzen Haarsträhnen aus der Stirn, die durch das alte Tuch nur unzureichend aus dem blassen Gesicht gehalten wurden. Seine geröteten Augen brannten über seinen schmutzigen Wangen, vor Konzentration und vor Müdigkeit.

Ich sah, wie seine schmalen Schultern zuckten unter der Anspannung, und er kniete nieder, stützte das Metall auf dem Knie ab, wischte sich etwas Staub aus den Augen, ohne zu blinzeln. Vor seinem Mund bildeten sich weiße Wölkchen, und seine Fingerspitzen und Lippen waren blau, wie meine auch. Wir hatten eine Weile nichts mehr gegessen, und uns war verdammt kalt.

Ich schrak auf, als Saku die Waffe herumriss, die fast seinen schmalen tauben Fingern entgleiten wollte, und meine Hand fuhr zu meinem Gürtel an das beruhigend schwere Metall, aber Sakuya winkte ab.

„Nur ein Hund…“

Seine Stimme zitterte. Ich wollte ihm sagen, dass er sich etwas hinlegen sollte, aber das hätte er ja längst getan, wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten.

„Geht’s langsam wieder?“

Ich nickte, wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß aus dem Gesicht. Meine Handflächen waren schmutzig, dunkelrote Krümel lösten sich, als ich sie aneinander rieb.

„Lass uns nach da hinten gehen…“

Ich nahm Saku wortlos die Waffe ab, spähte über die Dachkante, während er in den Schutz eines weiteren Giebels kroch, folgte ihm dann rückwärts, ehe ich meine tauben Finger löste und die Waffe endlich ablegte.

Sakuya sah sich nach allen Seiten um; unser Lagerplatz war von fast allen Seiten uneinsehbar, alle Dächer, die zu uns führten, waren zu schräg, um bequem darauf laufen zu können.

Ich kauerte mich zusammen, schloss die brennenden Augen. Aus der Ferne hörte man Maschinengewehrfeuer, aber das war mehrere Blocks weit weg. Hier war alles ruhig.

Niemand hatte uns in dieser Tiefgarage gesehen.

Ich presste die Handballen auf die Augenlider. Ich hatte immer noch alles vor Augen, wie immer. Aber das einzige, was ich in meiner Erinnerung klar sah, war Sakuya.

Ich glaube auch nicht, dass ich ohne ihn unter diesem Auto durchgehalten hätte. Nicht, wenn er nicht mir gegenübergelegen hätte.

Wir hatten uns bestimmt zwanzig Minuten lang wortlos angesehen, bis wir endlich Gesellschaft bekamen. Zwanzig Minuten lang, und meine Beine in den abgerissenen Uniformhosen waren fast abgestorben, so hatte es sich angefühlt. Wenn ich geradeaus sah und Sakuya, dem es nicht besser ging, unter dem anderen Auto, die Waffe an die Brust gedrückt wie ich, der mir stumm etwas zuflüsterte, beobachtete, hatte ich genug Kraft, still liegen zu bleiben.

Sakuya weinte oft, aber nie in solchen Momenten. Ich beneidete ihn manchmal darum, aber ich glaube, dass er gerade deshalb äußerlich so ruhig bleiben konnte, weil er versuchte, für mich da zu sein, deswegen war es okay, wenn ich vor Kälte und Anspannung zitterte.

Ich sah ihn vor mir, ohne die Augen zu öffnen; die dünnen Finger um den Lauf gekrampft, die Augen halb geschlossen, aber immer auf mich gerichtet, die Haare grob zurückgebunden, die Uniformjacke viel zu groß für einen Zwölfjährigen, und ich spürte seinen Hunger und seine Müdigkeit, und wir warteten.

Ich kann mich nicht erinnern, wen wir an diesem Abend erschossen hatten, ich erinnerte mich nur an Sakuyas konzentriertes Gesicht mit den großen Mandelaugen, als er abdrückte und draufhielt, die Lippen zusammengepresst wegen des Rückstoßes, als wir unter den Autos hervorgerutscht waren wie zwei kleine schmutzige Ratten, nebeneinander auf dem eiskalten Beton.

Und ich erinnerte mich daran, dass ich mich in die Blutlache gestützt hatte, als ich aufgestanden war.

Ich rieb die Hände aneinander, die Krümel fielen in die harschige Eisdecke unter uns.

Ich hätte fast geweint vor Hunger in dieser Nacht, das weiß ich noch. Wir hatten die Männer durchsucht, aber sie hatten weder Essen noch Bargeld bei sich gehabt. In einer Kirche in der Nähe gab es manchmal etwas zu essen, aber als die Männer tot waren, hatte die Kirche bereits geschlossen gehabt.

Ich spürte Sakuyas dünne muskulöse Arme, die sich um mich schlangen, und ich legte die Beine auf seinen Schoß, er öffnete seine zerschlissene Jacke und schlang sie um uns beide, aufzitternd wegen der plötzlichen Kälte meines Körpers.

Wir schmiegten uns aneinander, und es wurde etwas wärmer, zumindest warm genug, um die Nacht zu überleben. Ich spürte seine Wange an meiner, streichelte ihm Gesicht und Schulter, während er mir über den Rücken rieb.

Ich wischte ihm den Schmutz aus dem Gesicht und barg seinen Kopf an meiner Schulter, als er sich an mir zusammenkugelte und schwach zitterte, unsere Finger fest miteinander verschränkt.

Wir hatten einen Pakt miteinander geschlossen. Wenn wir jemals werden würden wie die Söldner unten in der Stadt und Spaß an dem finden würden, was wir taten, so dass wir mehr töteten, als wir zum Überleben mussten, dann würden wir uns vom jeweils anderen erschießen lassen, mit oder ohne Gegenwehr.

Ich vertraute fest darauf, dass Sakuya das niemals passieren würde, denn er war viel zu zärtlich für so etwas, aber ich wusste auch, dass ich meinem Leben dann ebenfalls ein Ende setzen musste, denn was sollte ich tun ohne ihn? Was sollte ich tun, wenn er nicht mehr da war, um mich zu trösten und zu beschützen, wie ich es auch für ihn tat?

Wir mussten einfach durchhalten, sonst würden wir uns gegenseitig umbringen, und das wollten wir nicht.

Dieser Pakt hielt uns seit etwa einem Jahr am Leben.

Wir wollten so gerne noch zusammen erwachsen werden.
 

„…Sakuya?“ Mein Atem hing in der kalten Luft, ich spürte, wie Sakuyas schmale Brust sich an mir hob und senkte. Er war warm, ich hatte die Arme fest um ihn geschlungen, auf seinem Schoß sitzend, sein Gesicht ruhte an meinem, deswegen konnten wir sehr leise sprechen.

„Was ist denn?“

Seine Stimme kam sanft, so sanft; ich kann mich nicht erinnern, jemals einen anderen Jungen seines Alters so verständnisvoll sprechen gehört zu haben.

„Ich will dich nur um etwas bitten.“ Ich zog die Knie enger an uns; sie schmerzten, und ich hätte sie liebend gerne ausgestreckt, aber das ging nicht, weil die Kälte einfach zu beißend war außerhalb unserer Jacken.

„Okay.“

„Mein Name. Ich meine, mein richtiger Name. Niemand kennt ihn mehr außer dir.

… Ich will nicht, dass irgendjemand sonst meinen richtigen Namen kennt, okay?“

Er sagte nichts. Er musste es nicht. Er hätte mir eine Bitte nie abgeschlagen.

Bis zum heutigen Tag hat er nicht ein einziges Mal gefragt, warum.

Er hat es einfach verstanden.
 

Jamie: Heartache
 

In das lachende

lenzliche Licht des Himmels

heben sich Lerchen.

Wie ist mir im Herzen so weh,

mit meiner Sehnsucht allein.

Ootomo Yakamochi
 

Etwa eine Stunde, nachdem Sakuya mir seinen Job in knappen Sätzen umrissen hatte und danach irgendwo auf dem Dach verschwunden war, standen Junya und ich in der Küche und machten sauber.

Ehrlich gesagt, hätte ich lieber in Ruhe mit ihm geredet, weil ich mich ihm dringend anvertrauen wollte – Sakuya war das sicher bewusst – und es gab so viel, was ich ihm sagen wollte, auch wenn mir spontan gar nichts davon einfiel.

Wir müssten ja auch nicht unbedingt reden.

Jetzt jedoch waren wir fast stillschweigend überein gekommen, dass es das Beste wäre, wir sorgten erst einmal dafür, dass sich nicht alle aus dem Weg gehen mussten weil jeder irgendjemand anderen beleidigt hatte oder sich einfach allgemein angegriffen fühlte in seiner Position, wie Yuen; in seiner Ehre, wie Rose; vollkommen ohne Grund, nur mit Anlass, wie Fuchs; oder in seiner Sexualität, wie Diego, der Marius’ Auftritt am Morgen noch immer nicht ganz verkraftet hatte, auch wenn er sich wirklich Mühe gab, sich Yuki gegenüber nichts anmerken zu lassen, als sie zurückgekommen waren, welcher dann und wann feuchte Augen bekam und offensichtlich einfach völlig aufgewühlt war, aus welchem speziellen Grund auch immer.

Ich verstand Sakuya weniger denn je.

Auf der einen Seite wusste ich, was er gemeint hatte, wenn er versucht hatte, mit mir über Fuchs zu reden; und ich konnte in etwa nachvollziehen, wie seine Gefühle waren – und eben deshalb machte er mich krank.

Ich schämte mich vor mir selber, zugeben zu müssen, dass mich das an ihm mehr entsetzte als…das andere.

Wie konnte man jemanden so innig lieben und sich dann so verhalten? Wie konnte man nur so stolz sein?

Wie konnte man nur so feige sein?

Wie konnte man etwas Wundervolles zurückweisen, aus Angst, es könnte nicht von Dauer sein?

Natürlich, wenn Sakuya sich überwinden würde, einen kleinen Schritt auf Fuchs zu zu machen, sich vielleicht wenigstens aufrichtig zu entschuldigen, um Verzeihung zu bitten – meinetwegen alle Schuld auf sich zu laden, egal ob es stimmte oder nicht, das war es doch wert – stand da noch die Frage im Raum, ob Fuchs nicht vielleicht zu verletzt war, einen solchen Versuch zu akzeptieren.

Oder zu stolz, Sakuyas Mut zu respektieren.

Warum musste es gleich immer etwas Besonderes sein? Konnten sie nicht ganz von vorne anfangen, wie ganz normale Menschen?

Im Moment jedenfalls schienen sie ziemlich frustriert mit ihrer Verbissenheit.

Aber es half doch nichts, darauf zu warten, dass der andere angelaufen kommt und um Wiederaufnahme bettelt.

Fuchs kam auf einmal wieder ins Haus gestürmt, anscheinend wütend, aber in seinen Augen stand eher so etwas wie verzweifelte Hilflosigkeit. Er legte das Handy, das er dabei gehabt hatte, auf den Wohnzimmertisch, und starrte eine Weile mit verschränkten Armen und sich auf die Unterlippe beißend darauf, als überlege er oder warte, dass es klingelte.

Ich nahm Junya bei der Hand, dessen Finger sich bestätigend um meine schlossen, und führte ihn mit mir aus der sauberen Küche zu dem Rotblonden. „Hey…“

Fuchs sah kurz auf aus seinen grünen Katzenaugen, senkte dann den Blick wieder, brachte nicht einmal ein kurzes Lächeln zustande, sich in den Sessel fallen lassend. „Hi, ihr zwei…“

Sein Blick schweifte kurz zu uns zurück, dann wieder fort, aber er wollte offensichtlich nichts sagen, ich sah ihn nur wie erschöpft die Augenlider senken.

Ich sah es gar nicht ein, Junyas Hand loszulassen, bloß weil Fuchs einsam war.

Stattdessen ließen wir uns auf dem Sofa daneben nieder, Junya legte die Arme um mich und ich umfasste seine Hände.

Fuchs hatte kurz die Augen geschlossen, öffnete sie aber wieder, kaute an seiner Lippe, seine Iriden wirkten müde und grau wie besorgt.

„Du bist schon zurück? Ich dachte, du wolltest…“ Ich brach ab. Offensichtlich hatte ich noch nicht genug Überwindung, es laut zu sagen. „…arbeiten…“

Ich ertappte mich dabei, wie ich Fuchs’ schlanke und leicht abgemagerte Gestalt musterte, als könnte man ihm irgendetwas ansehen.

Als stünde in seinen hellgrünen Augen zu lesen, wie viele Menschenleben diese gepflegten weißen Hände schon auf dem Gewissen hatten.

Und wie dachte er wohl darüber?

… Spiegelte sich in seinen Augen das Feuer des Blutes, wenn er tötete, oder war sein Gesicht eine leere Maske, brachen seine Augen nur und wurden dunkel, wenn er mit Sakuya vom Ort des Geschehens in die Schatten floh?

„Hat sich erledigt.“ Fuchs’ Stimme war leise, aber klar.

Jetzt sah er zum ersten Mal auf, sah aber nicht mich an, sondern Junya, sah elendig schuldbewusst aus, und ich verstand nicht, wieso.

„Tut mir wirklich leid…ich kann einfach nicht mehr…so viel…“ Er verstummte.

Ich verstand noch immer nicht, aber ich spürte, wie Juns Griff um mich etwas verkrampfter wurde und drückte intuitiv seine Hände.

Fuchs merkte es ebenfalls, hob leicht die Hand. „Nein, mach dir keine Sorgen, wir haben Reserven, genug.

… Trotzdem tut es mir furchtbar leid. Wir müssen bald schauen, ob wir ein bisschen an Strom sparen, die Zacharias' verlangen so unglaublich viel, um das Netz zu finanzieren....

Keine Sorge, alles lässt sich kürzen.

Dennoch, ihr Jungs habt was Besseres verdient; wenn wir nur mehr Geld…“ Er biss sich traurig auf die Fingerknöchel. „Sorry…“

„Mach dir nichts draus“, sagte Junya leise. „Es sind schlechte Zeiten.

Und ich will wirklich keine Umstände machen.“

„Die Zeiten waren schon mal schlimmer.“ Fuchs lächelte schwach. „Denk nicht weiter drüber nach.“

Ich hatte mittlerweile auch verstanden, dass es um die Medizin ging, aber ich wollte nichts dazu sagen.

Es machte mir viel zu viel Angst.

Fuchs schüttelte gedankenvoll den Kopf, seine schrägen Katzenaugen waren dunkel, und er wischte sich kurz mit den Fingerspitzen über das Gesicht. „Es ist alles so…

Manchmal wünschte ich mir, ich könnte das Richtige tun…“

„Tust du doch“, sagte ich halbherzig. „Du kümmerst dich um deine Familie. Was könnte richtiger sein?“

„Nein“, sagte Fuchs schwach. „Früher war es mal richtig, aber jetzt ist es nicht weiter als eine Farce…so zu tun, als hätte ich die Kraft, für irgendjemanden zu sorgen…“

„Sag so was nicht.“ Mir wurde mulmig. „Keiner hier hat die Kraft, für jemand anderen zu sorgen. Deswegen sind wir ja alle hier. Zusammen.“

Junya setzte einen flüchtigen Kuss auf meine Schläfe, und ich ließ mich nach hinten gegen ihn sinken, spürte seine beruhigende lebendige Wärme an meinem Rücken, und wie schnell mein kleines verlorenes Herz schlug.

„Ich wünschte, wir wären es, Jamie…“ Fuchs’ Stimme war leise, bedrückt. „So wie früher…“

Ich wollte etwas sagen, wandte aber den Kopf, als ich Schritte von oben die Holztreppe hinab kommen hörte, und dann verharrte eine schlanke, schwarz gekleidete Gestalt auf dem oberem Treppenabsatz und sah zu uns; für den Bruchteil einer Sekunde nur, glaube ich, wie unbeabsichtigt in Fuchs’ strahlend grüne Augen. Sakuyas Finger zuckten nervös, ehe er sich ausatmend umdrehte und ziellos wieder nach oben verschwand.

Ich sah ihm eine Weile unschlüssig hinterher, drehte den Kopf, als ich Fuchs heiser einatmen hörte, und sah erschrocken, dass der junge Mann das Gesicht in den Armen vergraben hatte und nun langsam klare Tränen durch seine Finger rannen, so sehr er auch die Knöchel auf die Augen presste.

„Fuchs…!“ Ich rutschte sofort zu ihm und legte ihm den Arm um die Schulter. „Hey…ist ja gut…“ „Mir geht’s gut, ich komm schon klar“, presste er hervor und atmete tief ein und aus, seine Schulter unter meiner streichelnden Hand zuckte unkontrolliert, und ich sah, als er aufsah, wie blass er war und was für dunkle Ringe er unter den Augen hatte. Rose hatte recht, sich solche Sorgen zu machen. Es sah nicht so aus, als ob Fuchs viel geschlafen hätte, seit wir da waren.

Andererseits sah Sakuya selbst auch nicht viel besser aus.

Langsam begann ich zu zweifeln, ob es eine einschränkungslos gute Idee von meinem Bruder gewesen war, zurückzukehren.

„Ich bin gleich wieder da“, murmelte Junya und stand auf, mir für eine Sekunde lang fest in die Augen sehend; ich nickte und sah ihm nach, wie er auf leisen Sohlen die Treppe hinauf huschte.

Jetzt, wo er gegangen war, sehnte ich mich nach einem Kuss.

Aber ich wandte mich wieder Fuchs zu, der jetzt das Gesicht mit geschlossenen Augen aufwärts gewandt hatte und tief atmete, die Tränen waren bereits versiegt.

„Wenn ich ihn nicht so sehr lieben würde, würde ich ihn wirklich hassen“, flüsterte er.

Ich zuckte leicht. „Ich würde es vielleicht sogar tun, an deiner Stelle…“

„Das Problem ist, dass ich ihn viel zu gut kenne. Ich kann ihn nicht hassen für seine Schwächen.

Ich liebe ihn, mehr als mein Leben, wie schon immer, vielleicht mehr, und es macht mich wahnsinnig…

Wenn er mich hasst, dann soll er es mir einfach sagen und…ich weiß auch nicht…“

Ich konnte mir schon denken, warum Sakuya so etwas nicht einfach sagte.

Er hasste es, Sachen zurücknehmen zu müssen.

„Er liebt dich auch, Fuchs, ich schwöre es dir. Er weiß nur nicht, wie er sich verhalten soll…“

„Er soll es mir einfach zeigen, verdammt“, wisperte der Rothaarige mit feuchten Augen. „Wenn ich ihm das nicht wert bin…dann hat es auch keinen Sinn für mich.“

„Ich glaube, er hat einfach Angst.“

„Wir haben alle Angst, Jamie.“
 

Zwischenspiel: Fuchs: Facies Dei
 

Ich rutschte unruhig auf der harten Holzbank herum, wärmte meine dünnen Hände in den abgeschnittenen Handschuhen an der leeren Suppenschale auf meinem Schoß, die Beine an den Körper gezogen. Mein Atem gefror nicht mehr vor meinem Gesicht, und ich hätte mich am liebsten an Sakus Schulter zusammengerollt und mir von ihm etwas vorsingen lassen, auch wenn ich die Sprache noch nicht ganz verstand. Ich lernte Japanisch nur langsam.

Eine ältere Dame blieb für einen Moment neben unserer Bank stehen und ließ ihren Blick auf uns ruhen, aber ihre hellen stumpfen Augen wandten sich von uns ab, als ich ihren Blick erwiderte, und sie schlurfte durch den Gang davon, als hätte sie etwas gesucht und nicht gefunden.

„Fuchsi“, sagte Sakuya neben mir plötzlich leise, dennoch vorsichtig, da Leute in der Nähe waren und er mir ein Versprechen gegeben hatte.

Ich wandte den Kopf und sah ihm ins Gesicht, dicht neben meinem.

Die Morgensonne schien durch die hohen Glasfenster und warf bunte Schatten auf sein Gesicht, wie die Scherben eines toten Regenbogens. Er war blass, aber das war normal, nur seine Augen waren dunkler und besorgter als sonst, und er sah mich nicht an, sondern sah nach vorne, Richtung Altar, wo noch immer Bedürftige standen, aber durch diese sah er hindurch.

„Was ist denn?“

„Ich glaube, ich habe Angst vor Gott.“

Ich folgte seinem Blick, konnte aber nichts Sorgenerregendes finden; weder an dem steinernen Raum um uns, noch an dem abgewetzten Christus, der uns durch seine geschlossenen Lider nicht sehen konnte.

„Wieso?“

Sakuya starrte immer noch ins Leere, er schien wirklich beunruhigt bei seinem neuen Gedanken.

„Vielleicht hasst er uns, weil wir so viele Menschen getötet haben.“

Ich streichelte ihm über die Schulter.

Ich hatte mir über so etwas nie Gedanken gemacht, aber Sakuya tat es immer.

Er schien nicht wirklich ängstlich, sondern eher traurig, und in diesem Moment war ich fast etwas zornig auf einen Gott, an den ich nicht glaubte, weil er zuließ, dass mein Sakuya so etwas dachte.

Ich folgte Sakuyas Blick stumm, und meine Augen streiften fort von den bunten Schatten auf dem staubigen Boden, an dem splittrigen Holzkreuz empor, vor dem sich die Hungrigen drängten, und verharrten auf dem Christus, der fast alle Farbe verloren hatte, obwohl ihn sicher einmal jemand mit viel Liebe gefertigt haben musste.

Seine geschlossenen Augen waren fein geschnitzt, man konnte fast die letzten Gedanken auf seinem sterbenden Gesicht lesen, ich sah seine blutigen Hände, die verdrehten Schultern, und als Sakuya den Kopf auf meine Schulter legte, konnte ich nicht anders, als auszusprechen, was ich dachte.

„Warum holt er uns dann nicht einfach von hier fort?“
 

Sakuya: The Cure
 

„This dream never ends“ you said „This feeling never goes

The time will never come to slip away”

“This wave never breaks” you said “This sun never sets again

These flowers will never fade”

“This world never stops” you said “This wonder never leaves

The time will never come to say goodbye”

“This tide never turns” you said “This night never falls again

These flowers will never die”

Never die never die

These flowers will never die

“This dream always ends” I said “This feeling always goes

The time always comes to slip away”

“This wave always breaks” I said “This sun always sets again

And these flowers will always fade”

“This world always stops” I said “This wonder always leaves

The time always comes to say goodbye”

“This tide always turns” I said “This night always falls again

And these flowers will always die”

Always die always die

These flowers will always die

Between you and me

It’s hard to ever really know who to trust

How to think

What to believe

Between me and you

It’s hard to ever really know who to choose

How to feel

What to do

Never fade never die

You give me flowers of love

Always fade always die

I let fall flowers of blood

Ah~
 

- The Cure: Bloodflowers
 

Ich lag auf Yukios Bett, die Beine von mir gestreckt, die Arme neben meinem Kopf auf dem Kissen ausgebreitet. Mir ging so viel im Kopf herum, dass ich nicht genau wusste, was es war.

Ich wusste nur, dass mir die Tränen in den Augen brannten, seit ich hier herauf gekommen war, und ich wusste nicht genau, wieso.

Gab es vielleicht doch noch eine Möglichkeit, für meinen Fehler geradezustehen – meinetwegen für meine Dummheit den Kopf hinzuhalten?

Ich machte damit wahrscheinlich nichts besser, das lag nicht in meiner Natur, aber wenn ich noch einen weiteren Tag in diesem halbtoten Zustand hinter mich bringen musste, würde ich vollends wahnsinnig werden.

Oder war ich das etwa schon?

Und was sollte ich zu Antti sagen?

Er würde mir nie glauben, würde ich sagen, ich liebte ihn noch, und ich glaubte mir nicht einmal selbst, obwohl ich es doch wusste.

Eine Sache nicht zu glauben, die man weiß, und eine Sache nicht zu wissen, an die man glaubt, sind zwei verschiedene Dinge, aber keines von beiden ist automatisch das Schlechtere.

Was war nur mit mir los!

Irgendjemand da oben musste mich ganz gewaltig hassen, dass er mich mit einem solchen Fluch belegt hatte.

Liebte ich nun zuviel oder zu wenig?

Oder gar nicht und redete es mir nur ein, um mich ein wenig menschlicher zu fühlen, nach allem, was ich getan hatte?

Wusste ich überhaupt, wovon ich redete?

Nein, soviel wusste ich zumindest.

Ich hatte nicht die geringste Ahnung.

Warum wusste Fuchs es? Wusste er es überhaupt?

Wieso war er sich so sicher, und ich hatte solche Angst?

Ich hob einen kraftlosen Arm und legte mir den Handrücken auf die Stirn; sie war heiß, und ich schloss die Augen.

War ich vielleicht einfach unfähig zu lieben?
 

You give me flowers of love

I let fall flowers of blood
 

Ich sah es vor mir, wie meine Finger sie fallen ließen, zu starr, um etwas zu halten, so dass sie auf den Boden fielen und verdorrten.

Ich sollte wieder gehen. Es war ein Fehler gewesen, hierher zurückzukehren.

Wenn ich fort war, konnte ich niemanden mehr mit meiner Angst verletzen.

„Liebe…“ wisperte ich wie einen Ruf in den Raum, als könnte mir das laut ausgesprochene Wort helfen, etwas zu verstehen, das mir nicht klar wurde.

„Kann dir sehr weh tun, aber wenn du sie wegsperrst, wird sie eingehen“, sagte eine Stimme leise von der Tür her und ich schrak auf.

„Ich…“ Ich senkte den Blick. „Ich habe dich gar nicht kommen hören…“

„Kann ich reinkommen?“

Einsamkeit brachte mich auch nicht weiter, also nickte ich Junya zu, sich neben mich zu setzen.

„Fuchs sitzt unten und weint“, begann er ohne Umschweife.

Ich begann, ärgerlich zu werden nach den ersten Sekunden der Überraschung. „Ich habe nicht danach gefragt, wie es Fuchs geht“, knurrte ich leise.

„Das ist mir egal. Es geht ihm genauso schlecht wie dir.“

Ich hob den Kopf, wollte ihn anfauchen. Was bildete er sich ein, zu wissen, wie es mir ging? Wie wagte er es, so mit mir zu reden?

Aber aus irgendeinem Grund hielt ich die Klappe.

Seine dunklen Augen brannten mit einer Energie, die ich noch nicht in ihnen gesehen hatte, auch wenn sie mir bekannt vorkam.

Junyas Hände krallten sich nervös ins Laken, und er holte kurz Luft, aber er hielt meinem Blick stand; zum ersten Mal sah er mir direkt in die Augen.

Ich war es, der mit einem abfälligen Lachen den Blick abwandte.

„Du bist ja ganz schön dreist geworden, seit du zur Familie gehörst…“

Junya errötete, aber starrte mich weiterhin an. „Hör auf. Mach mir nichts vor.“

„Ich muss mir von dir nichts befehlen lassen“, flüsterte ich und hielt mir die Stirn. Ich war unsicher, ob ich einfach gehen sollte. Aber das wäre ein Eingeständnis der Schwäche gewesen.

„Du liebst ihn. Er liebt dich. Wo ist das Problem?“

Ich war so vor den Kopf gestoßen, dass ich kein Wort erwidern konnte, sondern ihn nur zwischen Wut und völliger Perplexion schwankend ansah.

Junya senkte nun doch ein wenig den Kopf. „Irgendjemand muss es ja mal sagen“, murmelte er etwas leiser.

Ich gab auf. Ob es Müdigkeit war oder einfach die Art dieses Gesprächs, wusste ich nicht. Ich gab einfach auf. Vielleicht waren es auch Iljas tröstende Worte der Vornacht gewesen, die diesen Zusammenbruch meiner Defensive vorbereitet hatten. Vielleicht hatte ich insgeheim nur auf diesen Moment gewartet, in dem ich mich nicht mehr verstecken konnte.

Vielleicht lag es daran, dass ich wusste, wie viel erwachsener der Junge im Angesicht des Todes war, viel erwachsener als ich in diesem Moment, vielleicht.

Ich barg das Gesicht in den Händen und fing an zu flüstern. „Das Problem ist Antti; ich kann ihn nicht vergessen…“

„Glaubst du denn, du wärst glücklich, wenn du wieder mit Antti zusammen wärst?“

Seltsamerweise dachte ich nur einige Sekunden nach. „Nein…“

Ich schluckte trocken; es tat mir leid, so etwas sagen zu müssen.

„Ich meine…ich liebe ihn, aber…

…ich hab ihn nicht verdient…“

Junya ignorierte mein folgendes unverständliches Gemurmel gewissenhaft. „Und Fuchs?“

„Ich weiß nicht“, wisperte ich. „Vielleicht.“

„Warum gehst du dann denn nicht einfach zu ihm?“ Junya strich mir über den Rücken. „Hm?“

Ich strich mir erschöpft über die Lider. „Hör mal…

Ich kann…nicht mehr länger so weitermachen ohne ihn, aber…ich habe Angst…ihn wieder zu verletzen. Da ist immer noch Antti…wenn Fuchs wüsste, dass…

Ich weiß nicht, ob ich das an seiner Stelle einfach so hinnehmen könnte.“

Seltsam; so schwer war es gar nicht.

„Dann sag es ihm. Sag ihm einfach genau das, was du mir eben gesagt hast. Er hört dir bestimmt zu, wenn du ihn darum bittest. Er wartet doch nur darauf. Auch, wenn er dir vielleicht nicht gleich verzeihen wird…er will doch bloß, dass du wieder bei ihm bist. Auf welche Weise auch immer du willst. Nichts weiter.“ Junya nahm den anderen Arm dazu und legte mir die Hände auf die Schultern, schmiegte die Wange an meinen rechten Oberarm, ganz langsam, als wolle er nicht riskieren, dass ich seinen Worten entfloh.

„Niemand drängt dich zu etwas, wenn du nur einen ersten Schritt machst“, wisperte er so leise, dass ich so hätte tun können, als hätte ich ihn nicht gehört. Ich nickte aber ganz leicht.

Ich wusste, dass er dieses Gespräch für sich behalten würde, so wie ich unsere Gespräche davor, und irgendwie fühlte ich mich behütet.

War es nicht das, worauf ich gewartet hatte – jemanden, der kam und alles einfacher machte?

„Was ist, wenn er mir nicht glaubt?“, wisperte ich.

Junya ließ mich los und sah mir ins Gesicht. „Glaub nicht, dass ich dich bevormunden will…“, er lächelte schwach, „…dafür bist du mir nicht geheuer genug…aber du hast mir neulich nachts gesagt…

‚Wenn du es ihm nicht sagst, dann wirst du es für den Rest deines Lebens bereuen, und er wird ewig warten.’“

Wir schwiegen eine Weile. Ich sah die Mittagssonne sinken.

„Und sieh mal, wozu es geführt hat“, murmelte ich dann leise.

„Ja“, flüsterte Jun. „Sieh einer an, wozu so etwas führen kann.“

Ich schüttelte belustigt den Kopf, er grinste schwach.

„Junya…“

„Ja?“

„Lässt du mich bitte für eine Weile allein?“

„Du wirst doch nicht etwa nachdenken?“

„Nein…“ Ich starrte in die Sonne und blinzelte. „Ich werde versuchen, irgendwo in mir einen Rest Mut zu finden…“

Letztendlich…bin ich einfach immer noch so verflucht jung gewesen.
 

Ende 07/?



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Last_Tear
2011-11-10T14:54:36+00:00 10.11.2011 15:54
Müp ^--^
*hüpf*
Schule nur ein Kapi wegen Schuli XP
*streck*
Wuhu, sieht aus, als hätte Yu Spaß gehabt, heute nacht, hm ;P
*chuckle*
Oh ja
*grins*
Wieso hab ich mir schon sowas gedacht, als irgendwo in einem der letzten Kapitel der Satz auftauche: He never told me what he does for earning money oder so ähnlich @.@
Oh Gott, Jamie kann echt froh sein, dass er so ne gute Kindheit hatte o.o
Und so nen tollen Bruder der auf ihn aufgepasst hat >-<
Und wtf in dem Zustand geht Fuchsi arbeiten? Ist der denn irre? >_>
*knurr*
Müp X___X
Wieso nur hab ich das Gefühl, dass Rose auf dumme Gedanken kommt, doch seinen Körper zu verkaufen, weil er sich einfach schuldig fühlt, wenn das so weitergeht? ;___;
*fiep*
Ich will ihn nicht wieder auf dem Strich sehen X_X
Mein armes Baby ;___;
Man merkt, er hats mir angetan XD
*hust*
Und Antti Antti Antti X__X


http://www.magistrix.de/lyrics/BlutEngel/Ice-Angel-113075.html

Das ist alles was mir zu der Situation zwischen ihm und Saku noch einfällt @.@
*sfz*
Und ja, Saku, stell dich endlich deinem Schicksal aka Fuchs und REDE mit ihm X__X
Von:  JamieLinder
2011-10-26T16:55:20+00:00 26.10.2011 18:55
So, dann fangen wir mal an, aber erstmal den Ersten von drei Zetteln suchen.xDDD

AHHHH....*___* Zuckerflash. ♥___♥
Junya & Jamie sind ja sowas von süüüüüß. ♥___♥
Und Antti ist so knuffig und liebenswürdig. *___* ♥
UND er hat verstanden, dass Saku Fuchs auch irgendwie liebt und ahhhh...*___* *einfach mal glaub* xD
Antti tut mir so verdammt leid, ich muss schonwieder heulen...T__T
Ich bin ein zu sentimentaler Mensch...T__T

Wo ich grade wieder den Namen sehe... Ilja -> Ich hab den Namen auf einem Plakat gesehen und musste sofort an deine FF denken. Ich bekam sofort ein großes Grinsen im Gesicht, weil ich es so toll fand. XD
Russisch?! Die sprache Sakus Kindheit?! Als er in Russland lebte lernte er Russisch ?! o___o
Verdammt, Saku du Sprachtalent. >.< Gib mir mal was ab, ich könnte das voll gut gebrauchen. T___T
WESHALB spricht niemand mit Saku über die Vermutung, dass Antti schluss gemacht hat wegen Fuchs ?! >___< Ich dreh gleich verdammt nochmal am Rad. >___<
AHHH....*w*
Ich fress grade vor Freude meine Kopfhörer und meine Stiefmutter ist grade reingeplatzt, weil ich vor freude nen freudenSCHREI losgelassen habe. XDD ♥___♥
ABER Saku hat verstanden, dass er Fuchs auch liebt. *__*
ICH BIN JA SOOOOO GLÜCKLICH. ♥♥♥
ICh freu mich so verdammt für ihn. <33
HöööHöööööö....<3333
Es ist zwar wirklich traurig, dass es Saku jetzt eigentlich noch schlimmer geht, aber er hat es zumindestens Erstmal verstanden und das lässt mich schon extrem glücklich sein. <3
*Im KReis rumhüpf* ♥♥♥
Am liebsten würde ich Saku in die Arme nehmen und nie wieder loslassen, er tut mir schon irgendwie leid, aber irgendwie würde ich ihm die Faust ins Gesicht schlagen und sagen er soll zu Fuchs oder Antti gehen und mit ihnen reden. >__< ♥♥♥
Ach verdammt, jetzt ist mir erst aufgefallen, warum Val gelacht hat, als Yuki und Mari sich nicht setzen wollten, VERDAMMT, ich bin so dumm. *Hand gegen den Kopfschlag* Aber wo Yuki recht hat, hat er recht neh ?! ;D XD
Was, Was, was hat denn mein kleiner Fuchs ?! Warum geht es ihm denn so schlecht ?! T__T
Mein Mund steht grade offen & ich weiß ehrlich nicht, was ich dazu schreiben soll...
DAS überrascht mich so extrem. Saku & Fuchs töten Menschen... unglaublich...
Ich hatte grade lust auf Toy Solidiers von eminem und dann kam der Teil mit Fuchs und Saku.
Darf ich weinen ?!
Weißt du, dass ich grade totale ansgt habe weiter zu lesen?!
Mein Herz schlägt unglaublich schnell und ich zittere. Bitte, bitte sag mir, dass NICHTS schlimmes passiert....
ICH DANKE DIR.!!!
*zusammenfall* Ich hatte total angst, dass jetzt etwas schlimmes passiert...

Ich hoffe JETZT nach dem Gespräch mit Jun versteh Saku einiges besser, es ist sooo verdammt nochmal süß von Jun. ♥

ICH FRESSE DICH.!!! WARUM JETZT ?!
Es soll noch nicht enden.... T___T

Ich WILL weiter lesen. Ich WILL deine verdammt spannende Geschichte weiter lesen...T__T
Ich BEKOMME einfach nicht genung von ihr...*heul*
Die ganze Zeit mache ich mir gedanken, was wie wo passieren könnte.... T__T
Ich LIEBE deine Geschichte einfach so sehr. ♥
Am liebsten würd ich mir, wenn sie fertig ist, nen Buch drucken lassen... Aber ich glaube das geht nicht so einfach. xD

P.S. Du hast gesagt, ich dürfte mir vielleicht etwas wünschen.♥
*ICH LIEBE DICH DAFÜR* ♥
Ich hätte da vielleicht auch schon eine kleine Idee.
Zum einen würde mich Juns vergangenheit sehr interessiern.
(Aber ich weiß nicht, ob das in der Geschichte noch geklärt wird. ;D)
Zum anderem, hast du mich mit deinem Weihnachten auf eine Idee gebracht. ♥
Mich würde mal total interessieren, wie das Rudel Weihnachten gefeiert hat, als Saku noch mit Antti zusammen war und bevor (logischer weise xD) Saku noch nicht weg war. Es kann natürlich auch sein, dass ich nicht rechnen kann und das Saku und Antti über Weihnachten garnicht zusammen waren...*HöööHööö* xD

ICH LIEBE DICH FÜR DEINE GESCHICHTE,
VIELEN LIEBEN DANK, DASS DU SIE MIT MIR/UNS TEILS. ♥♥♥



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