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I'm just more

... More than I thought
von

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Whenever you need me (I'll be there)

10 Tage später
 

Whenever you need me
 

As long as I´m livin´

I´ll be waitin´

As long as I´m breathin´

I´ll be there

Whenever you call me,

I´ll be waitin´

Whenever you need me

I´ll be there

(I’ll be waiting – Lenny Kravitz)
 

Noch immer keine Spur von Takeya. Mittlerweile sucht die Polizei auf Hochtouren, der Sponsor des neuen Theaterstücks hat bereits angedroht, seine Hilfe zurückzuziehen, wenn die Vorbereitungen nicht bald beginnen – für die Miyavi leider unabkömmlich ist. Doch dem scheint das momentan scheißegal zu sein. Völlig apathisch läuft er durch die Wohnung, in irgendwelchen Joggingklamotten, die Augen blutunterlaufen und ungeschminkt. Jetzt bringt es nichts mehr, feiern zu gehen, wie wir es nach Laras Auftauchen getan haben. Nichts scheint auch nur ansatzweise wichtig zu sein oder ihn berühren zu können. Versucht man, ihn anzufassen, zuckt er zurück. Will man mit ihm reden, reagiert er nicht. Fast überallhin schleppt er das Telefon mit, immer wenn es klingelt, reicht er es allerdings an Uruha weiter.

Maya, Aiji und ich werden täglich fast aus dem Haus gejagt, damit wir nicht ständig auf dem Arsch hocken und uns gegenseitig runterziehen. Jenni und Jun geben ihr Bestes, uns auf andere Gedanken zu bringen. Sie gehen mit uns Schlittschuhlaufen, zeigen uns die schönsten Ecken der Stadt und ziehen mit uns nächtelang durch irgendwelche Clubs, während Uruha versucht, an Miyavi heranzukommen. Doch nichts hilft. Alle Gedanken sind bei Takeya. Wohin auch immer wir gehen, was auch immer wir tun: Sein kleines Gesicht findet uns überall.

Selbst wenn ich in Juns Armen liege, höre ich noch sein helles Lachen und frage mich, ob ich den Kleinen je wiedersehen werde.

Gerade jetzt sitzen wir bei ihm auf dem Sofa und schauen irgendeinen Film, von dem ich kaum etwas mitbekommen habe. Juns Lippen streichen leicht über meine Schläfe, drückt mir dann einen Kuss aufs Haar. Ich drücke meinen Kopf gegen seine Schulter und schließe die Augen.

„Ruki, ist alles in Ordnung bei dir?“, flüstert mein Freund leise, doch anstatt zu antworten, kuschele ich mich energisch in seine Arme und kneife die Augen noch fester zusammen. Ich will nicht antworten müssen. Aber ich hätte mir gleich denken können, dass das nicht funktionieren wird. Jun macht sich viel zu viele Sorgen um uns, als dass er mich mit Augenzusammenkneifen davonkommen lässt. Der Fernseher wird anscheinend ausgestellt, denn es wird still, dann wird mein Kopf angehoben.

„Ru, bitte mach die Augen auf, okay?“

Ich schüttele den Kopf.

„Doch, komm, Augen aufmachen.“ Sanft stupst er mich mit der Nase an, streicht mir über die Wange. „Bitte, Ruki.“

Gaaaaanz langsam öffne ich erst das eine Auge einen Spalt, dann das andere – und hätte sie angesichts des besorgten Blicks meines Freundes am liebsten sofort wieder geschlossen.

„Bei euch ist nicht alles in Ordnung, oder?“, fragt er leise.

Ich schüttele den Kopf. „Nein, gar nichts ist in Ordnung. Seit gestern spricht Miyavi nicht einmal mehr das Nötigste. Er weicht uns sogar aus! Ich meine, du kennst die Wohnung von den dreien: Sie ist zwar nicht gerade winzig aber auch nicht besonders riesig. Und Miya schafft es, uns trotzdem nur ungefähr zweimal am Tag kurz zu treffen. Das macht mir Angst, Jun.“

„Hmhm …“ Gedankenverloren vergräbt er die Nase in meinem Haar und zieht mich auf seinen Schoß. Behutsam verschränken sich seine Hände mit meinen. „Das ist mehr als verständlich, Ruki. Aber du musst aufpassen, dass du dir nicht zu viele Gedanken machst. Es hilft nicht, wenn ihr alle euch verrückt macht! Uruha kann sehr gut mit Menschen umgehen, besser als du und besser als ich. Ich bin mir ganz sicher, er kriegt ihn wieder hin.“

„Meinst du wirklich?“

„Bestimmt. Er kann das, man muss ihm nur vertrauen!“

„… Vielleicht hast du Recht …“ Müde hebe ich den Kopf und lächle Jun schief an. „Trägst du mich hoch?“

Mein Freund grinst und schüttelt den Kopf. „Du kleines verwöhntes Ding. Was würdest du nur ohne mich tun?“

Ja, das weiß ich auch nicht. Wahrscheinlich würde ich völlig verzweifeln … Oder mein Umfeld in die Verzweiflung treiben – oder beides. Während mein Freund mich hochhebt und mir einen zarten Stups mit der Nasenspitze versetzt, habe ich tatsächlich zum ersten Mal das Gefühl, wir könnten Takeya finden.
 

„Achtuuuung, Arschbomböööööö!!“, schreit Henry und landet einen Meter neben meinem Kopf platschend im Wasser. Prustend kneife ich die Augen zusammen. Ja, genau, Arschbomböööööö … Das nächste Mal hoffe ich, er kann mich ein bisschen eher vorwarnen.

„Mein Gott, Henry! Jetzt erschreck doch den armen Ruki nicht so!“ Jenni taucht neben mir auf und spritzt Juns bestem Freund eine Ladung Wasser ins Gesicht. Er lacht, spritzt zurück und ehe ich mich versehe, befinden wir uns in der ersten Wasserschlacht seit Langem. In den letzten Tagen sind Maya, Aiji, Jun und ich häufig schwimmen gegangen. Einerseits, um uns nicht in der Wohnung aufhalten zu müssen, andererseits um den Kopf frei zu bekommen. Bahnen schwimmen ist die beste Möglichkeit, um in seinem Hirn auf Durchzug schalten zu können. Unterwasser ist es still, man muss sich nur auf den nächsten Schwimmzug konzentrieren, auf die Bewegung durchs Wasser, aufs Vorankommen. Niemand stört einen oder redet dazwischen, es gibt nur das Element und dich. Viele Menschen sagen, ihr Kopfleerer wäre das Joggen – habe ich früher schon häufig ausprobiert, aber Tokyo ist nicht unbedingt der genialste Ort und zum Joggen, wie ich feststellen musste. Außerdem muss man sich beim Laufen immer irgendwie beschäftigen, damit es nicht langweilig wird. Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber ich muss dabei Kaugummi kauen, nachdenken oder Musik hören. Und dabei kann ich nicht abschalten. Dann habe ich was zu tun und bin nicht frei von Allem. Schwimmen ist einfach ein stiller Sport, den man für sich allein betreibt. Der einsame Wolf zieht seine Bahnen … So ungefähr.

Doch die gewünschte Erlösung ist bisher nicht gekommen. Ich habe auf sie gewartet, die ganze Zeit, aber es hat nicht funktioniert. Heute allerdings, wo Henry beschlossen hat, uns zu begleiten, scheint alles gut zu sein. Juns bester Freund ist ein unglaubliches Energiebündel und seine nicht allzu aufdringliche gute Laune wirkt sich zumindest teilweise auch auf mich aus. Zu meiner eigenen Überraschung habe ich mit heute noch keine zehn Minuten am Stück Gedanken um Takeya gemacht. Immer, wenn ich drohe, in die düsteren Regionen meines Gehirns vorzudringen, ist irgendjemand da, der mich Unterwasser drückt oder mich spaßeshalber ins Becken schubst. Wärend Jenni, Jun und Henry nicht da, wäre ich wahrscheinlich kurz davor, nach Hause zu fliegen, um diesen ganzen Mist nicht mehr mitmachen zu müssen.

Plötzlich packt mich jemand von hinten, lacht neben meinem Ohr laut auf und zieht mich dann mit sich nach unten. Ich kann gerade noch nach Luft schnappen und die Augen zukneifen, bevor das Wasser über mir zusammenschlägt. Jun. Hätte ich mir denken können. Innerlich mit den Augen rollend, beginne ich zu zappeln, winde mich hin und her, versuche, ihn mir mit meinen etwas unkoordinierten Tritten zu treffen. Es gelingt mir tatsächlich, mich zu befreien und ich tauche auf, spucke Wasser und drehe mich gespielt empört zu meinem Freund um.

„Juun! Wie kannst du nur! Das ist ja mal … Nicht zu glauben!“

Er lacht, drückt mir einen Kuss auf die Stirn, fährt sich dann mit der Hand durch das nasse pinke Haar, das so durchtränkt beinahe lila aussieht.

„Jetzt hab dich nicht so, mein kleines Miesepeterchen. Je mehr Wasser, desto besser! Wasser mach sauber, weißt du?“

„Heißt das, ich bin dir zu unhygienisch?? Na waaarte!“ Glücklicherweise ist das Wasser hier seicht genug, um mich geradeso laufen zu lassen, sodass ich meinen Freund zu Fuß verfolgen kann – es ist recht umständlich, gleichzeitig zu schwimmen und jemandem Wasser hinterher zu spritzen. Kurz bevor ich meinen Unterwasserzieher jedoch erreicht habe, umarmt Maya mich von der Seite.

„Hey!“, rufe ich, „Was soll das! Ich muss Jun malträtieren!“

„Und ich dich!“ Lachend beginnt er, sich im Kreis zu drehen, mich mit einem Arm festhaltend, en anderen ausgestreckt, damit ich auch ja viel Wasser abbekomme.

… Zu meinem Glück habe ich es geschafft, irgendwann aufs Klo zu flüchten, wo ich allein zu sein scheine. Jedenfalls höre ich nichts, was anderes vermuten lässt. Wie schön. Kein Lärm. Endlich mal. Das bedeutet übrigens nicht, dass ich nicht froh bin, ein wenig Trubel um mich zu haben, nein, darüber bin ich wirklich froh. Aber ich war noch nie den Mensch, der das längere Zeit am Stück haben kann.

Stumm starre ich mein Spiegelbild an. Müde Augen starren mich an, sehen aus, als wäre das Feuer hinter ihnen erloschen, das sie einst zum Leuchten gebracht hat. Wie in Trance strecke ich die Hand nach meinem eigenen Gesicht aus. Wie lange habe ich mich selbst nicht mehr angesehen?

„Hey, Ru, was machst du denn? Du guckst schon wieder wie 50 Tage Regenwetter! So wird das mit der guten Laune nichts, Kleiner …“

Erschrocken zucke ich zusammen und bemerke erst jetzt, dass Jun hinter mich getreten ist. Sanft lächelnd schlingt er die Arme von hinten um meinen Bauch und legt den Kopf auf meine Schulter. Die Lippen meines Freundes setzen mir einen wintzigkleinen Kuss hinters rechte Ohr, während die Finger seiner Hand sich immer weiter nach unten bewegen, gaaaaanz unschuldig und beinahe verspielt, bis ich sie festhalte.

„Was wird das?“, frage ich, meine Stimme zittert.

Jun lacht lautlos. „Das wird deine endgültige Ablenkung …“

„Aber, doch nicht hier!“ Meine Worte machen einen fast panischen Überschlag. Das ist doch nicht sein Ernst! Wir sind … in einem öffentlichen Schwimmbad! Und selbst, wenn wir bei ihm zu Hause wären … Wir sind noch nicht wirklich lange zusammen – jedenfalls nicht lange genug, um … ähm … ihr wisst schon.

„Warum nicht? Siehst du hier irgendwen? Keiner da … Wir sind allein.“

„Jun, ich … Könnten wir einfach wieder zu den anderen gehen? … Bitte?“

Mein Freund hinter mir seufzt, schiebt seine Hand allerdings gehorsam wieder höher und haucht mir nur einen Kuss in den Nacken, was mich kichernd die Schultern hochziehen lässt.

„Du solltest dir wirklich abgewöhnen, so kitzelig zu sein, Ru. Das kann böse enden.“ Er zwinkert mir über den Spiegel zu, greift dann nach meiner Hand. „Okay, dann gehen wir mal zu den anderen, hm?“

Ich nicke, folge ihm mit reflexartig hochgezogenen Schultern. Unsicher sehe ich mich um. Das ist hier immer noch alles … öffentlich. Was, wenn ich es nicht gestoppt hätte? Hätte ich das gewollt? Nein, wahrscheinlich nicht. Ich liebe Jun über alles, ja, und ich kann mir kaum noch vorstellen, ohne ihn zu sein, doch das, was er eben vorhatte, dafür brauche ich noch Zeit.

Aiji begrüßt uns mit hochgezogenen Augenbrauen, auf Henrys Lippen liegt ein Grinsen – ich beschließe, nicht wissen zu wollen, was die gerade denken. Die einzige ohne Hintergedanken schein Jenni zu sein, die uns anlacht. „Wollt ihr nicht wieder reinkommen?“

Ich hätte zur Seite springen sollen, als ich meinen Freund hinter mir lachen hören habe, doch anscheinend ist a) meine Reaktionsschnelligkeit nicht die beste und b) meine Gutgläubigkeit zu hoch. Jedenfalls höre ich Jun noch „Und wie gern wir das wollen!“ rufen, bevor seine Hände mich unsanft in den Rücken stoßen, ich nach vorn fliege und aufs Wasser zu segele. Gerade als ich den Mund öffne, um einen etwas verspäteten überraschten Schrei auszustoßen, da komme ich auch schon auf und mein liebstes Element begrüßt mich, indem es mir in Mund und Nase läuft. Super. Es gibt ja auch nichts auf dieser Welt, das besser schmeckt als Chlorwasser! Hmmjamjam, fast so gut wie von Tim Melzer höchstpersönlich zubereitet. Während ich auftauche, höre ich Jenni, Henry, Maya und Aiji lachen. Danke, ich Lieben, ich freue mich wirklich, dass ihr so einen Spaß habt.

Noch immer brennen Juns Berührungen am Bund meiner Badehose.
 

Lächelnd beobachte ich, wie Maya Aiji zu überreden versucht, dass es sich lohnen würde auszuprobieren, wie lange sie sich gleichzeitig gegenseitig füttern können, bis eine ihrer Nudeln auf der schneeweißen Tischdecke landet. Ein Vorhaben, das nach wenigen Sekunden erledigt sein dürfte, wenn ich mir den hibbeligen Flummi so ansehe. Wir sitzen beim Italiener, haben uns dieses Mal für die unterschiedlichsten Varianten von Nudeln entschieden. Man will kaum glauben, dass die Gerichte so abenteuerlich aussehen, wie die unsere halb zahnlose Bedienung (ich hab mich echt gefragt, ob der Typ schon so viele Schlägereien hinter sich hat, oder ob an ihm einfach nur die exklusiv hier erfundenen Rezepte ausprobiert worden sind, von denen er uns so begeistert erzählt hat – mit zahnlückenbedingtem Sprachfehler, versteht sich).

„Och komm schon, was hast du zu verlieren?“, bettelt Maya und zieht einen Fluntsch, der selbst einen Stein zum Erweichen gebracht hätte. Schade nur, dass Aiji härter ist, als ein Stein.

„Maya, da gibt es so einiges: Meine Ehre, die natürliche Würde, die ich ausstrahle und meinen blitzblanken Pullover.“

Ich grinse. Wer, abgesehen von Aiji, würde so mit dem Flummi umgehen können? Wahrscheinlich niemand. Mayas Fluntsch wird noch größer, aber er gibt nach und beschränkt sich darauf, sich selbst mit Nudeln zu versorgen. Schmollend stochert er in seiner Soße herum, sein Haar fällt ihm in die Stirn. Aiji streicht es ihm hinters Ohr. „Nicht schmollen, Flummi, du willst dich bestimmt auch nicht blamieren.“

„Was macht ihr heute eigentlich noch so?“, fragt Jenni, bevor sie einen Schluck ihrer Cola trinkt.

„Also“, beginne ich und schmiege meinen Kopf an Juns Schulter. „Ich komme noch mit zu Jun und Maya und Aiji wollen sich einer Nachtwächtertour anschließen, bei der es einen englischsprachigen Begleiter gibt – das verstehen die zwei nämlich recht gut.“

„Soweit ich weiß, geh ich noch mit Markus und Olli einen trinken“, meint Henry. „Wenn du mitwillst, Jenni, das ließe sich einrichten.“

„Och, warum nicht? Die hab ich schon länger nicht mehr gesehen … Hat Olli immer noch den hässlichen Haarschnitt mit den lila Strähnen, die er sich wegen dieser Tussi hat machen lassen, die er dann leider doch nicht flachlegen konnte?“

„Jap.“

„Boah, wie kann man auch auf so was wetten? Da muss man echt dumm sein. Bei weißblonden Haaren lila Strähnchen? … Sieht aus, als wäre er Testobjekt für irgendein missglücktes Kosmetikprodukt gewesen.“

Henry, der gerade etwas getrunken hat, spuckt fast über den ganzen Tisch und verschluckt sich vor Lachen halb. Aiji klopft ihm auf den Rücken, bis er sich wieder gefangen hat, dann schaut Juns bester Freund auf seine Uhr. „Oh, und wir sollten dann auch los. Markus meinte, wenn ich nicht pünktlich zum Vorglühen auftauche, köpft er mich gleich dreifach – er will mir seine neue Freundin vorstellen. Vollbusiges Blondchen mit meterdicker Schminke, glaub ich … Sofern ich Ollis Ausführungen richtig verstanden hab – es war recht undeutlich, weil Markus ständig dazwischen geschrien hat. Und unser Treffen beginnt laut meiner Uhr in einer Viertelstunde.“

„Na dann wollen wir mal“, antwortet Uruhas Freundin und rutscht von ihrem Stuhl. Sie nimmt ihre Jacke, hakt sich bei Henry ein und wartet, bis er den Ärmel seiner Jacke gerichtet hat. Die beiden sehen aus wie ein eingespieltes Geschwisterpaar, als würden sie viel Zeit miteinander verbringen, obwohl sie sich auch nur über das Schulprojekt kennen, von dem sie auch Jun kennt – allerdings haben sie den Kontakt wohl besser gehalten.

Beim Weggehen zwinkert Henry meinem Freund und mir kurz zu. „Ich wünsch euch beiden viel Spaß!“

Gott, was denken die bloß alle?
 

„Dass wir’s miteinander treiben, was sonst?“ Jun lächelt und ich bin ihm unglaublich dankbar, dass er nicht grinst. Es hat mich ziemlich viel Mut gekostet, ihn zu fragen, warum alle sich so komisch verhalten, ich hätte mich verarscht gefühlt, hätte er gegrinst. „Ruki, du musst das verstehen: Wir sind zusammen und beide nicht mehr unerfahren, was Beziehungen angeht, Da liegt die Vermutung nahe, oder?“

„Ja, schon … aber …“

„Aber?“

„Weißt du, Reita war immer so … so zielgerichtet, so, als wäre ich nicht mehr als ein Spielzeug. Er hat mich geliebt, aber seine Art war anders, wenn es darum ging, das auszudrücken. Die meisten nehmen Rücksicht, er war eher so drauf, als wolle er mich beherrschen … Manchmal hat es sich angefühlt, als würde ich ein kleines, nicht bedeutendes Etwas sein, das ohne ihn verloren ist. Seine Freunde haben mich als eine Art Errungenschaft von ihm angesehen. Sie haben es als beachtenswert empfunden, wenn Reita mich mal wieder rumgekriegt hat. … Deswegen … Na ja, ich mag es nicht, wenn irgendjemand darüber redet, verstehst du? Also über etwas, was sie eigentlich nichts angeht.“

„Ja, verstehe ich … Sehr gut sogar. Ich rede mit Henry, in Ordnung?“

„Hmhm“, bejahe ich und lasse mich bereitwillig in Juns Arme schließen.

„Mein kleines, süßes Mäuschen soll sich wohl fühlen können“, lächelt mein Freund und zieht mich für einen kleinen, süßen Kuss zu sich herauf.

„Hast du“, frage ich an seinen Lippen, während sich unter seiner Hand, die über meinen Rücken streicht, eine wohlig kribbelige Gänsehaut ausbreitet, „mein Handy gesehen?“

„In deiner Arschtasche“, murmelt Jun zurück, kurz darauf spüre ich seine Finger an meinem Hintern, wie sie sich in die Tasche stehlen, um mein Handy heraus zu ziehen. Langsam gleiten sie, das Mobiltelefon mit sich bringend, über meinen Arsch, meinen Rücken, mein Schulterblatt, dann landet es zwischen uns auf der Matratze.

„Musst du dich jetzt darum kümmern?“

„Nein, nicht wirklich. Möchte nur drangehen können, falls Miyavi anruft.“ Das möchte ich wirklich. Es ist schon fast verrückt, wie sehr ich auf seinen Anruf hoffe. Als wollte ich, dass er mich bei sich braucht. Als würde ich nur darauf warten, ihm helfen zu können. Immerhin bin ich seit Jahren der Mensch, dem er mit am Meisten vertraut. Ich will irgendetwas dafür tun können, dass es ihm besser geht – vor allem nach so einem Tag, an dem ich Spaß hatte, während er verstört auf seinem Bett hockt und weder vernünftig spricht noch isst.

„Sollen wir zu euch fahren?“, fragt Jun, der mittlerweile aufgestanden ist, um seine kleine Schwester zu besänftigen, die seit einigen Minuten im Flur herumschreit, sie wolle jetzt unbedingt Plätzchen backen, doch gerade als er die Tür öffnet, taucht seine Mutter im Flur auf und nimmt die Kleine auf den Arm.

„Fabian? Ist Takanori da?“, fragt sie interessiert, steckt aber netterweise nicht Kopf herein. Nein, ich hab nichts gegen Juns Mutter, aber es war mir schon mit Reita peinlich, wenn seine Eltern sich nach mir erkundigt haben – und jetzt ist es genauso.

„Ja, ist er. Sag mal, Mama? Könntest du uns vielleicht ein paar Kekse bringen?“

Ich kann das Grinsen aus der Stimme seiner Mutter fast hören, als sie erwidert: „Gerne doch. … Aber passt mir auf, dass ihr nicht zu viel esst.“

„Natürlich, Mama, wir essen ja auch soooo schrecklich viel. Danke, ne?“

„Kein Problem. Ich komme gleich.“

Lächelnd kommt Jun wieder zu mir zurück und hockt sich auf die Bettkante. „Sollen wir jetzt fahren?“

„Nein, besser nicht. Als ich heute Morgen gefahren bin, hat Uruha gesagt, er würde heute zumindest mal mit irgendeinem Psychologen telefonieren, um zu gucken, ob man Miyavi nicht irgendwie zum Essen bringen kann – obwohl ich bezweifle, dass man sich mit solchen Fragen an Psychologen wendet. Aber ich glaube, so langsam ist auch Uru mit seinem Latein am Ende. Wahrscheinlich würden wir sie nur stören.“

„Sicher?“

„Ganz sicher. Wenn sie mich brauchen, dann rufen sie-“

In diesem Moment klopft es an der Tür und Juns Mutter betritt den Raum, einen großen Teller mit Keksen in den Hand. Fröhlich lächelt sie uns an. „Ach nein, wie süß … Da will ich euch zwei auch gar nicht länger stören. Bin schon wieder weg!“

Kaum steht der Keksteller neben uns, ist die Frau auch schon wieder bei der Tür, blinzelt ihrem Sohn noch einmal verschwörerisch zu – noch so eine, die was Falsches denkt, wie schön – und schließt dann die Tür hinter sich. Mein Freund wendet mir das Gesicht zu, grinst.

„Sorry“, sagt er leise, während er sich einen Keks nimmt, „Sie freut sich nur, dass ich wieder jemanden habe. Du musst wissen, auf die Dauer werde ich sonst unerträglich fürsorglich – immerhin habe ich dann nur meine kleine Schwester und meine Ma, auf die ich aufpassen kann.“

„Aha“, gebe ich leise zurück, nehme mir ebenfalls ein Stück Gebäck.

Lange sitzen wir schweigend da, essend und auf das Bild auf der anderen Seite des Raumes starrend: Der Eifelturm. Paris, die Stadt der Liebe. Ob es Absicht von Jun war, ausgerechnet dieses Bild in Sichtweite des Bettes zu hängen? Obwohl … im Prinzip wäre das ein ziemlich großer Zufall, denn in Sichtweite des Bettes hängen sehr, sehr viele Poster … Also vielleicht doch keine Absicht. Ich könnte genauso gut Basilica San Marco angucken, oder das Burj Al Arab, oder die Freiheitsstatue, oder die Opernhalle von Sydney … Es gibt ewig viele Möglichkeiten.

Trotzdem: Ich sehe mir allein schon aus Prinzip den Eifelturm an.

„Paris … Meinst du, da können wir irgendwann mal zusammen hin?“, fragt Jun neben mir, der anscheinend meinem Blick gefolgt ist, und gibt mir einen federleichten Kuss auf die Wange. „Wäre bestimmt schön. … Warst du schon mal in Paris?“

„Nein, noch nie. Außerdem spreche ich kein Französisch … Ein Bekannter meiner Eltern war mal dort und musste zum Arzt, er hat versucht, Englisch mit dem zu sprechen. Der Arzt hat gesagt, er würde sterben und ist rausgegangen. Einfach so. Keine Untersuchung, kein gar nichts. Franzosen mögen es nicht, wenn man ihre Sprache nicht spricht.“

„Ich weiß, aber das wäre doch echt romantisch“, nuschelt Jun in mein Haar, fährt mit seinem linken Zeigefinger mein Schlüsselbein nach; ich schließe die Augen. „Wir zwei, ganz allein, in der Stadt der Liebe?“

„Vielleicht sollten wir darüber nachdenken …“, flüstere ich tonlos und genieße die sanfte Wärme auf meiner Haut. Es ist ein schönes Gefühl, dass Jun nicht von mir erwartet, zu funktionieren. Meine Zeit mit Reita hatte auch ihre schönen Seiten, sonst wären wir nie so lange zusammen gewesen, und auch er konnte liebevoll und zärtlich sein. Doch wenn er irgendwas wollte, hatte ich es zu tun oder es gab Zoff. Und diesen Zoff wollte ich mir häufig lieber ersparen – nicht nur, weil die Dekoration meiner Mutter meist darunter leiden musste. Ich habe mich damals gefühlt, als wäre ich ein Roboter aus Fleisch und Blut, mit schlagendem Herzen, der programmiert wird von dem Menschen, der eigentlich am behutsamsten mit ihm umgehen sollte. Jun hingegen lässt dem Roboter seinen eigenen Willen. Er lässt mir meinen Willen. Mit Reita hätte ich hier nie liegen können, ohne dass irgendetwas passiert. Nie.

„Nicht nur nachdenken. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, nachdem du zurück nach Japan bist, könnten wir uns dort treffen.“ Lächelnd spielt mein Freund mit einer meiner Haarsträhnen. „Wir nehmen uns ein schönes Hotel, laufen an der Seine entlang, essen Eis, machen Fotos – aber den Louvre lassen wir bitte aus, ich mag Kunst nicht. Ich find‘s gruselig zwischen den Vermächtnissen von toten Pinselfreunden rum zu stiefeln.“

Ich grinse, kann uns schon auf einer kleinen Band am Wasser sitzen sehen, vor uns ein Touristenschiff auf der Seine, ein Mann spielt Akkordeon. Ein schöner Gedanke.

„Meinetwegen könnten wir stattdessen auch ins …“

Mein Handy klingelt. Die Melodie von We are the world schreckt uns aus unseren Tagträumereien. Erschrocken fahre ich auf, suche die ganze Matratze nach dem Handy ab, bis ich es halb unter Juns Oberschenkel finde und hebe es ans Ohr.

„Ja?“, frage ich atemolos.

„Ruki“, kommt es vom anderen Ende. Miyavi. Seine Stimme bebt, ich kann nicht sagen, ob vor Wut oder vor Trauer. Wahrscheinlich trifft beides zu. „Die Polizei hat angerufen. Sie haben Takeya gefunden.“
 

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So, so langsam kommen wir zum Ende. Meinen Berechnungen zu Folge, werde ich heute (30.12.11) noch zwei Kapitel und den Epilog "in Auftrag" geben und hoffen, dass alles morgen freigegeben ist. :D

Dann hab ichs nämlich geschaaaaafft! *freu*

Das Bonuskapitel, an dem ihr anscheinend wirklich interessiert seid *mich noch mehr freu*, ist zum Glück nur ein Bonuskaitel, sodass es nicht zu der Fassung der Geschichte gehört, die -hoshi- gelesen haben sollte - daher kommt es nach Neujahr. Aber es kommt. Versprochen ist schließlich versprochen! :)
 

Astrido: Da magst du Recht haben ... Huch, da hab ich beim Schreiben gar nicht drüber nachgedacht ... Sieht man mal, wie gut Feetback ist *dich lieb anlächel* Danke, dass du mich drauf aufmerksam gemacht hast! Ich weiß nicht, ob ich es jetzt noch ändern werde, aber ich werde es mir für Zukünftiges merken.
 

bouXnyappy: OMG, Maya ... Das hab ich beim Schreiben auch gedacht XD Ich hätte eigentlich damit gerechnet, dass darauf viel mehr Leute eingehen *grins*

Ja, Jun ist echt lieb. Ich glaube, was besseres als er geht für Ruki eigentlich gar nicht, nach der etwas "dominanten" Führung der Beziehung von Reita. (Bei dem es mir übrigens leid tut, dass er hier so ein Arsch ist, weil ich ihn eigentlich mag, aber es muss leider ...).

Tja, was Takeya angeht: Die Auflösung kommt im nächsten Kapitel. ;)
 

Kaito-: So viele Gedanken ... Hm, Ruki ist ein bisschen wie ich, ich mach mir auch immer über alles Gedanken. Vielleicht mag ich ihn ja deswegen so :)

Aber ich glaube, ein so großer Unglückskeks (das wort find ich übrigens voll süß *.*) bin ich nicht ...
 

kampfschi-sama: Ich liebe emotionale Achterbahnen :D

Bei mir gibts immer Gefühlswirrwarr vom Feinsten - zumindest früher oder später. Und Miyavi tut mir auch leid. Ich hasse es, ihn so leiden lassen zu müssen, aber irgendwie war es notwendig für meine Storyline ... *snüf*
 

lg und ein besonderes Danke an meine neuen Kommentarschreiberleute,

lady <3



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  klene-Nachtelfe
2011-12-30T23:06:09+00:00 31.12.2011 00:06
Oha sie haben ihn gefunden...aber wie geht es ihm???
Ich hoffe doch gut!!!
Ich find ruki und Jun echt super süß!!!
Bin gespannt wie es weiter gehen wird!!!
LG -^.^-
Von:  funeral
2011-12-30T21:44:42+00:00 30.12.2011 22:44
Q.Q ich habe eine gute vermutung und eine nich so gute ><. bitte lass es die gute sein ._. wenn´s die schlechte ist ....dann...dann....dann sterbe ich o.O in de rwochw is zuviel schlimmes passiert als das ich nochwas vertrage ...oder ich fress dich einfach :/ hmmmm wie schmeckst du ? xD
auch schon mal en guten rutsch - nein nich auf die fresse xD- sondern in´s neue jahr :´D
lg
Von:  Astrido
2011-12-30T17:55:53+00:00 30.12.2011 18:55
na, da bin ich ja mal gespannt, wo sie takeya gefunden haben und wie es ihm geht.
was mir noch in den sinn gekommen ist, vielleicht hat takeyas mutter ihn einfach mitgenommen?
lg
Mayura
ein schönes neues jahr schon mal!


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