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Fall Colours

Verfärbende Dunkelheit
von

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Gefühle gegen Gedanken

Terra
 

Kontrolle ist subjektiv. Besonders wenn man ein Herz im Körper einer starren Figur ist. Xemnas hatte viel Macht über ihn, daran bestand kein Zweifel. Aber ihm fehlte etwas, das Terra hatte: Gefühle.

Und Gefühle können stärker sein als Gedanken. Unvorhersehbarer. Unbändig. Überwältigend.

Niemals gelang es ihm die Fäden zu durchtrennen, aber oftmals ließen seine puren Empfindungen das Fadenkreuz erzittern. Nicht aus der Hand reißen, aber verwackeln.

Er brachte den Niemand zu Taten, ohne sie bewusst zu verlangen. Terras aufkommende Sehnsucht zwang Xemnas dazu, den Raum des Schlafes aufzusuchen, immer und immer wieder. Seine rastlose Sorge um Aqua und Ven trieben ihn dazu, sich von den anderen Mitgliedern dieser rätselhaften Organisation zurückzuziehen. Seine Wut trug seine Beine des Nachts ruhelos im Weltenwandel umher.

Und manchmal, in Momenten besonders starker Traurigkeit, begann der Superior sogar leise zu singen.

I will remember you

When the storms black the forests

Empfindungen lassen sich unterdrücken, aber nicht lenken. Und darum ist Kontrolle subjektiv. Trotzdem bleibt die Frage: Gedanken oder Gefühle – was ist auf Dauer stärker?
 

„Ven! Ventus! Hörst du mich?“

Der Junge reagierte nicht. Auch nach Tagen, Wochen, gab es keine Veränderung. Terra war längst klar geworden, dass er seine Stimme nicht hören konnte und doch versuchte er es jedes Mal aufs Neue.

„Ven! Antworte!“

„Narr“, hatte Xemnas ihm zugeflüstert. Irgendwo in den Erinnerungsscherben, die während Terras „Schlaf“ in sein Bewusstsein gelangt waren, musste er Ventus’ Gesicht entdeckt haben. Immerhin schien er genau gewusst zu haben, welche Reaktion der blonde Junge mit den leeren Augen bei Terra hervorrufen würde.

„Was ist mit ihm geschehen?! Sag schon!“ Xemnas hatte sich wie üblich viel Zeit für eine Erwiderung gelassen.

„Zwischen dem, was du siehst und dem, was wirklich ist, gibt es einen tiefen Krater, Junge. Und diese Kreatur, die du Ventus nennst, ist dort hineingestürzt.“

„Hör auf in Rätseln zu sprechen!“ Er hatte gelacht, jeden gekünstelten Atemzug herausgezögert und Terras Geduld damit erneut einer harten Probe unterzogen. Das war ein unverkennbarer Zug von Meister Xehanort; den Triumph voll auszukosten. Eine Antwort hatte er jedoch nicht erhalten.

Inzwischen wusste Terra, was um ihn herum geschah. Er begriff die Funktion der Organisation und verstand sie doch nicht.

Er sprach nur selten mit Xemnas. Die meiste Zeit ignorierten sie einander. Aber langsam keimte Verzweiflung in ihm auf. Die Tage und Nächte verstrichen unaufhaltsam und anstatt endlich einen Ausweg aus dieser Stagnation zu finden, war alles, was er wahrnahm, dass er schwächer wurde. Und noch immer vergaß. Die Lücken wurden tiefer, löschten in kurzen Abständen ganze Vergangenheiten aus, ließen sich immer schwerer füllen. Jede Erinnerung kostete ihn höchste Konzentration, die Xemnas ihm nicht selten nicht gestattete. Zwischen abstrakter Hoffnung und schierer Ausweglosigkeit zerrissen, krallte Terra sich an den Bildern fest, versuchte alles, um sein Ich zu bewahren. Wenn ihm das nicht gelang, hatte der Niemand gewonnen…

Es konnte so nicht weitergehen. Er musste etwas unternehmen.

Und sprichwörtlich wie aus dem Nichts erschien dieser lautlos wabernde Glanz von einem Halt. Er zögerte nicht, ihn zu ergreifen.

Und tat alles, damit er ihm nicht wieder entglitt.
 

Nur noch ein Jahr trennte sie von der Meisterprüfung. Und Terra trainierte nahezu ununterbrochen; zum einen, damit er ausreichend vorbereitet war und zum anderen, um die Zweifel, die Gedanken an ein Versagen, zum schweigen zu bringen.

Aber an diesem Tag schien einfach gar nichts gelingen zu wollen.

„Das ist doch zwecklos!“, rief er und verpasste dem Trainingsgerät einen nicht besonders schonenden Tritt. Er spürte Aquas und Ventus’ Blicke auf sich, erwiderte aber keinen, sondern drehte mürrisch den Kopf zur Seite.

Das ging nun schon seit einer Woche so. Nicht zum aushalten! Wieso musste sein Fokus auf das Wesentliche sich gerade jetzt verabschieden?

„Ich muss kurz allein sein“, sagte er leise, wandte sich um und ging, ohne sich davon zu überzeugen, ob sie ihn gehört hatten.

Es gab nur einen Ort, den er aufsuchen konnte und die Armseligkeit, die diese Tat begleitete, brachte ihn dazu, über sich selbst zu lachen; hart und trist. Seufzend schloss er die Augen und legte eine Hand an die kühle Rinde des Baumes, der damals seine schützenden Äste über ihn gehalten hatte.

Kaum noch ein Jahr und dann war es soweit. Der Schnittpunkt alledem, auf das er sich solange vorbereitet hatte. Ihm war selbst klar, wie verwundbar ihn der Gedanke an eine mögliche Niederlage machte, aber manche Dinge lassen sich nur schwer einstellen. Und ein Jahr… das konnte in nur einem Blinzeln vorüber sein.

Was wäre, wenn er genau am Tag der Prüfung wieder brechbar werden würde? Dann würde er nicht in den Wald fliehen können, bis der Druck in seiner Brust verflog.

Während er, ohne etwas zu sehen, den Blick auf den Fleck richtete, auf dem Eraqus ihn damals gefunden hatte, schien eine Stimme in seinem Inneren beschwörend zu flüstern…

Du willst stärker sein…

Er zog die Brauen soweit zusammen, dass es schmerzte und nickte abwesend vor sich hin.

Du willst dich von alldem lösen…

Genau. Er wollte diesen Ort nicht länger brauchen. Er wollte sich von den Gefühlen befreien, die ihn an den Wald ketteten. Jedes davon machte ihn schwach. Und wer schwach war, den setzte man aus…

Was hatte Terra sich bei all den Malen erhofft, in denen er die Lichtung aufgesucht hatte?

Antworten? Eine hätte ihm schon genügt. Nur eine Bestätigung, mehr nicht.

„Warum hast du mich zurückgelassen?“

Aber außer dem Rauschen des Windes im Blattwerk der Bäume war nichts zu hören. Nicht einmal die Vögel sangen ihre Lieder.

Unvermittelt hielt er inne und blickte mit starren Augen in die Ferne zwischen den Bäumen. Dann drang ein kaltes, raues Lachen aus seiner Kehle hervor, wurde lauter und zerbrach die Stille des Waldes. Terra hob eine Hand und legte sie auf Stirn und Augen, als könnte er die Gedanken dadurch zurückdrängen. Aber das blieb eine ewig unerreichbare Lösung.

Er wollte nicht mehr abhängig sein, nicht mehr von der Erinnerung und nicht mehr von dem Licht, das die Frau an jenem Tag mitgenommen hatte. Die Dunkelheit, in der er zurückgeblieben war; damit hatte er nun zu leben. Hätte er eine Antwort erhalten, einen Grund, dann wäre ihm das womöglich sogar gelungen.

Und da kam der springende Punkt.

Er war stark genug, um in der Finsternis auszuharren, aber nach wie vor zu schwach, um einen Ausgang zu suchen. Aus Angst, einen zu finden, der ihn in nur noch tiefere Schwärze führte.

Er wollte keine Antwort auf die Frage: Warum. Wenn sie ihm jemand gegeben hätte, hätte er sich die Ohren zugehalten. Terra fürchtete sich vor nichts sonst, aber diese simple Antwort kostete ihn den Verstand. So sehr erschreckte ihn die Vorstellung, zu erfahren, dass er hier ausgesetzt worden war, weil niemand ihn gewollt hatte.

Abhängig von einer Antwort, die er nicht hören wollte…

„Jämmerlich.“

Träge richtete er sich wieder gerade auf und trat mit einem unterdrückten Seufzen den Rückweg an. Ven und Aqua machten sich bestimmt schon Sorgen. Er log nicht, wenn er sagte, dass ihn das rührte, aber er hätte es vorgezogen, wenn sie ihre Gedanken nicht an ihn verschwenden würden. Mitleid kann tröstlich sein. Aber auch bedrückend.

Besonders dann, wenn es sich nur in Blicken spiegelt, statt in Worten. Daran kann erkannt werden, wann es ehrlich gemeint ist. Und gerade weil die Augen von Schlüsselschwertträgern meistens ehrlich sind, konnte Terra es nicht ertragen.

Selbstvergessen wie ein Traumwandler ließ er das bewaldete Schweigen hinter sich und folgte dem Bergpfad Richtung Trainingsplatz, als ein, fast mit dem Wind verschmelzendes, Geräusch seine Ohren streifte.

Taste the last colouring sunbeams

Until the light is gone asleep

Er konnte nicht verhindern, dass sein Herz mehrmals krampfte, während er mit dem Blick in alle Richtungen herumfuhr, ohne die Herkunft des Gesangs ausmachen zu können. Es kam offenbar nicht aus dem Wald – was ihm ein diffuses Gefühl in der Magengegend aufwarf. Er lauschte und lokalisierte die Melodie schließlich am Trainingsplatz.

Unter all dem Aufruhr in seinem Kopf, fiel ihm gar nicht auf, dass er die Stimme kannte, jedenfalls nicht, bis er angespannt auf der weißen Brücke zum stehen kam. Am Rand der Klippe saß Aqua, die Beine überschlagen, die Augen geschlossen und sang. Sang sein Lied und verwandelte allein dadurch Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft.

In the smell of dying leaves, they fall,

Sink in the cold embrace of mists.

Zunächst blieb er wie angewurzelt stehen, beobachtete ihre Lippen, die eine Zeile nach der anderen formten, nahm den Widerhall ihrer unbewölkten Stimme in sich auf und hätte diesen Moment am liebsten in die Ewigkeit hinausgezögert. Aber es erschien ihm schamlos, sie noch weiter, ohne ihr Wissen, anzustarren.

Als nur noch wenige Schritte zwischen ihnen lagen, bemerkte sie ihn und beendete den Gesang abrupt.

„Terra!“, stieß sie hervor, als hätte er sie bei etwas Verbotenem ertappt. Schnell ballte er die Hand zur Faust, die drauf und dran gewesen war, ihr gespielt tadelnd übers Haar zu streichen. Wenn es etwas gab, was Aqua gänzlich zu fehlen schien, dann war das Egoismus. Sie versuchte immer, es allen und jedem Recht zu machen.

„Woher kennst du dieses Lied?“, fragte er verwirrt. Seine Augen wollten und wollten sich nicht von ihren Lippen lösen, weshalb er deutlich das kleine verlegende Lächeln sah, das sie verzog.

„Ich bitte dich. Du singst es so oft vor dich hin, dass Ven und ich schon längst alles auswendig können.“

„So?“ Das überraschte ihn. Natürlich wusste er, dass er sich von Zeit zu Zeit nicht unterstehen konnte und die Melodie laut ins Leben rief. Aber er war davon ausgegangen, zu jeder Zeit allein gewesen zu sein. Zumindest so allein, dass ihn niemand hören konnte.

Er trat noch ein wenig näher, bis er genau neben ihr stand und ließ sich dann nieder, nicht ohne noch schnell einen verwunderten Blick über die Schulter zu werfen.

„Ven ist zum Schloss zurückgegangen“, erklärte Aqua, die mit seiner Körpersprache bereits besser vertraut war, als mit der wörtlichen. „Er hat nichts gesagt, aber ich glaube, er trainiert lieber mit seinem ‚großen Bruder’, als nur mit mir.“ Sie lachte bei den letzten Worten und schon wieder hatte er das Bedürfnis ihr – zumindest – Worte der Aufmunterung zu schenken. Warum er es nicht einfach tat? Wenn er es doch bei Ven ohne groß nachzudenken getan hätte? Genau das war die Frage, die er sich stellte, als sie ihre unerschütterlichen Augen abwandte und sein Blick an der feinen Linie ihres Kinns hängen blieb.

„Erinnerst du dich noch an unsere erste Begegnung?“ Etwas verblüfft von dem sprunghaften Themawechsel, sah sie ihn wieder an und nickte. „Ich habe dich… halb angelogen, was meine Eltern angeht. Ich weiß zwar wirklich nicht, ob sie noch leben, aber es gibt doch eine Erinnerung…“

Und plötzlich, als würde das Blau der Augen, in dem er sich sehen konnte, einen Schalter umlegen, fing er an zu erzählen. Er konnte sich nicht erklären, wieso jetzt, wieso es ihm so leicht fiel oder warum er sich nicht einmal verpflichtet fühlte, Details umzuformulieren, um dem Zuhörenden den Zwang, etwas dazu zu sagen, zu ersparen.

Eigenartig. Nicht einmal dem Meister hatte er je alles erzählt. Und bis zu diesem Tag hatte er es nicht für möglich gehalten, jemals einer Person die ganze Geschichte, unverziert, anzuvertrauen.

Als er geendet hatte, wich er ein wenig erschrocken Aquas Blick aus. So viel zum Thema kein Mitleid. War das nicht der Grund dafür gewesen, dass er sich so gedeckt gehalten hatte? Aber schon in der nächsten Sekunde wurde ihm klar, dass er es eigentlich besser hätte wissen können. Es war immerhin Aqua…

I will protect you, my dear

And be there on your side.

I’ll conquer all your fear

You find me everytime inside.

Er hielt den Atem an, während sie die Zeilen leise und beruhigend in den Wind sang. Und traf ihre Saphiraugen, als sie sich lächelnd zu ihm drehte.

„Hast du es jetzt verstanden?“, flüsterte sie. „Die Bedeutung dieser Verse? Jemand, der dich nicht wollte, hätte dich nicht mit einem solchen Lied in den Schlaf gesungen.“ Terra gelang es nicht, etwas zu erwidern und seine Gesichtsmuskeln hatte er sowieso nicht mehr unter Kontrolle. Offenbar veranlasste seine Miene sie dazu, entschuldigend die Schultern zu heben.

„Ich… kann es natürlich verstehen, wenn du nicht möchtest, dass ich…“ Erst als sie abbrach und Anstalten machte, sich zu erheben, begriff er, wie falsch sie seinen Blick gedeutet haben musste. Wie im Reflex griff er nach ihrem Arm und hielt sie zurück.

„Würdest du… würde es dir etwas ausmachen, hier zu bleiben und noch eine Weile zu singen?“ Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht und ließ ihre Augen funkeln.

„Gern.“

Und so saßen sie dort noch, bis Ven auftauchte, um sie zum Abendessen zu holen. Aber dieser Tag sollte für Terra von da an ein wichtiges Bestandteil seiner Vergangenheit werden. Ein wertvolles, unberührtes Relikt. Dieses arme Mädchen, das so eine Stärke besaß, dass es ihn nur noch mehr berührte, wie zerbrechlich ihre Hand in seiner war, die er nicht losgelassen, nachdem er sie aufgehalten hatte. Und ihre Stimme, die sich genauso wie die seiner Mutter in der Erinnerung, in sein Herz brannte.

Mit zwei entscheidenden Unterschieden: So wie sie die Worte sang, konnte er endlich den Trost darin finden, von dem sie handelten. Und was er für sie zu empfinden erkannte, war eine andere Art von Zuneigung, als Freundschaft oder Mutterliebe…
 

Als Terra Aqua am nächsten Morgen in der großen Halle entgegenkam, benahm sie sich jedoch auffällig schroff. Ohne eine Erwiderung auf sein „Morgen“, sondern nur mit einem flüchtigen Blick in seine Richtung, drehte sie sich um und verließ rasch den Saal. Er sah ihr wie vor den Kopf gestoßen nach, auch nachdem sie lange hinter der Biegung verschwunden war.

Was war los? Er versuchte sich zu erinnern, wann Aqua das letzte Mal „schlechte Laune“ gehabt hatte und scheiterte kläglich. Augenblick fuhren Stiche des Schuldgefühls auf ihn nieder. Hatte er ihre stetige Unbedarftheit etwa als so selbstverständlich angesehen? In all den Jahren, die er sie schon kannte, war sie nur selten kratzbürstig gewesen und wenn hatte sie sich immer zurückgezogen, um niemanden damit zu belasten.

„Du bist so ein Idiot…“, zischte er und rannte noch mit dem letzten Wort los. Er erreichte das Eingangstor, riss es auf und lief um ein Haar Ven um, der wohl gerade vorgehabt hatte, ins Schloss zurückzugehen.

„Terra!“, stieß er verdutzt hervor. „Was ist denn mit dir los?“

„Wo ist Aqua?“, fragte er, als seine Augen den Platz abgesucht hatten, ohne ein Anzeichen auf ihren Verbleib zu entdecken.

„Hast du das vergessen? Sie und der Meister sind heute irgendwohin unterwegs. Aber Aqua wollte mir nicht sagen, wohin genau… Hat sie dir was verraten?“ Terra erstarrte förmlich, während er Ven ungläubig ansah.

„…Nein“, erwiderte er schließlich, kaum die Lippen bewegend und musste den Impuls sich selbst zu ohrfeigen, runterschlucken. Wie hatte er nur so ignorant sein können? Er hatte natürlich gewusst, dass Aqua heute gemeinsam mit dem Meister eine andere Welt aufsuchte, aber den Grund hatte er nicht erfragt. Zwar hätte sie vermutlich nicht darüber reden wollen, aber darum ging es auch nicht.

„Wolltest du ihr noch was Wichtiges sagen?“, fragte Ven, den Kopf schräg legend. Terra seufzte und schloss kurz die Augen, um seine Gedanken zu ordnen. „Sie bleiben ja nicht allzu lange weg.“ Vens aufmunterndes Lächeln nahm ihm tatsächlich ein wenig von der Schwere in seiner Brust, aber völlig vertreiben konnte es die Gewissensbisse leider nicht.

Ablenkung. Ja, das war es, was er jetzt brauchte.

„Gehen wir trainieren?“ Der kleine Schlüsselschwertträger nickte.

Aber das Kämpfen brachte nicht den gewünschten Erfolg, wie Terra nach einigen Stunden erkennen musste. Es lenkte ihn nicht von den Gedanken an Aqua ab. Und offenbar erging es Ven nicht anders. So als würde es von beiden erwartet werden und ohne, dass sie dem wirklich zugestimmt hatten, beschlossen sie den Ausgang des nächsten Duells – unentschieden. Terra strich sich das Haar zurück und traf dann auf den verdrossenen Blick seines Mitschülers.

„Ohne Aqua ist es einfach nicht das gleiche“, meinte er leise, während das Schlüsselschwert mit einem Klingen aus seiner Hand verschwand. „Es macht nicht mal Spaß zu schummeln, wenn sie nicht den Schiedsrichter gibt.“ Bei seinen letzten Worten lachten beide kurz auf, aber unmittelbar danach ballte Terra wie im Reflex die Faust, da er an sein gestriges Gespräch mit Aqua denken musste. Wie sie wohl reagieren würde, wenn sie erfuhr, dass Ven keineswegs nur mit ihm trainieren wollte?

„Terra“, setzte er unvermittelt an, während er sich auf einer der Steinsessel niederließ, die neben dem Baum standen. „Hat Aqua dir eigentlich je irgendwas von ihrer Heimat erzählt?“

Terra betrachtete die Struktur seines Schlüsselschwertes und schüttelte den Kopf, zu ruhelos um sich neben Ven zu setzen und gleichzeitig zu steif, um auf dem Trainingsplatz herumzutigern. Mit jedem Detail wuchs der Drang in ihm heran, sich für seine eigene Rücksichtslosigkeit zu schelten.

„Sie ist so stark und fokussiert“, fuhr er nachdenklich fort, „aber manchmal kommt es mir so vor, sie würde sich beobachtet fühlen und…“ Hilfe suchend sah er zu Terra auf. „Es ist als wäre sie dann plötzlich nicht mehr Aqua, sondern jemand, der zwar wie Aqua aussieht, aber eigentlich eine Art Kopie ist, die…“

„Immer alles perfekt macht“, beendete er den Satz und Ven nickte zustimmend.

„Das macht sie doch nie und nimmer absichtlich…“

„Nein“, stimmte Terra zu und ließ sein Schlüsselschwert verschwinden. „Ven, weißt du, warum Aqua so stark ist? Nicht nur, was den Kampf angeht, denk an alles…“

Der Junge schüttelte ratlos den Kopf, aber ihm war anzusehen, dass ihm die ein oder andere Situation im Gedächtnis aufkam.

„Weil sie immer stark sein musste, bevor sie hierher kam.“

Und das dümmste an alledem war wohl, dass Terra sich dessen durchaus bewusst gewesen war, aber zu ichbezogen, um darauf näher einzugehen. Geschundene Seele… er hatte es doch in ihren Augen lesen können! Er hatte die Angst gesehen und den Willen, der sie zu überdecken versuchte. Er hatte gesehen, wie sehr sie litt und nie etwas unternommen.

„Hey!“, rief Ven plötzlich und sprang auf die Beine. „Sind sie das nicht?“ Als Terra herumwirbelte, konnte er gerade noch die winzigen Umrisse des Meisters und Aqua sehen, die das Schloss betraten. Er vergewisserte sich kurz, dass Ven ihm folgte, bevor er den Bergpfad entlang hetzte, die Landschaft wie im Traum vorbeirauschend und im nächsten Moment schon durch die Tür und in der Eingangshalle war.

Der Meister stand wie eine Statue mitten im Raum und entspannte sich erst ein wenig, als er Terra sah.

„Wo ist Aqua?“, fragte er sofort, nach mehreren Blicken umher. Ven kam völlig außer Atem hinter ihm zum stehen.

„Spazieren“, erwiderte Eraqus knapp, aber mit vielsagender Miene. „Sie wollte allein sein.“ Terra brauchte seinem Meister nicht in die Augen zu sehen, um die wirkliche Aussage in seinen Worten zu erfassen. Gesagt hatte Aqua das tatsächlich, aber das hieß noch lange nicht, dass es der Wahrheit entsprach.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte er sich um und lief zurück zum Eingangstor.

„Warte, Terra, ich komme mit!“, rief Ven, wurde aber von Eraqus an der Schulter zurückgehalten. Er hörte nur noch ein enttäuschtes Seufzen, dann trennte die, hinter ihm zufallende, Tür alle Geräusche ab.

Es gab nur einen Ort, an dem Aqua sein konnte und den visierte er an. Vielleicht konnte manch ein Fehlverhalten nie wieder bereinigt werden, aber allein der Versuch war entscheidend. Unversucht würde sich niemals etwas ändern. Und das Regen geborene Mädchen hatte eine Veränderung mehr als verdient…
 

Xemnas
 

Das Gefühl kam so plötzlich, dass er zur Seite und gegen die kahle Wand stolperte, eine Hand im klammen Leder seines Mantels vergraben, dort, wo sich früher sein Herz befunden hatte, nun jedoch ein fremdes flirrte und ihn mit seinen Empfindungen zu überwältigen drohte.

Als sich seine Beine wie von selbst wieder in Bewegung setzten, glaubte er, sie würden ihn erneut zum Raum des Schlafes tragen, aber das war ein Irrtum.

Nach ein paar Schritten blieb Xemnas wieder stehen, streckte die Hand aus und beschwor den schwarzen Rauch eines Dunklen Korridors. Etwas in ihm sträubte sich dagegen, hindurchzugehen, aber die Nacht war lang gewesen. Er war zu müde, zu erschöpft, um sich gegen die stetig heißer glühenden Gefühle zu wehren, die das Herz des Jungen überkamen. Was war das? Sehnsucht? Es musste eine sehr mächtige Emotion sein, da es dem Superior darunter kaum gelang, einen eigenen klaren Gedanken zu fassen…

Mit puppenhafter Willenlosigkeit betrat er den Korridor und passierte die wohl düstersten Winkel der Gasse zum Dazwischen, sodass er recht bald erfasste, wohin es seinen Körper zog. Auch wenn ihm unerklärlich blieb, wieso.

Der Boden unter seinen Füßen gab unmerklich nach und auch wenn sich in Sachen Helligkeit kaum eine Differenz zur Welt, die niemals war, ausmachen ließ, konnte Xemnas die konzentrierte Präsenz der Dunkelheit deutlich wahrnehmen. Und selbst einem Niemand wie ihm, schnürte sich dabei die Kehle zu. Wie lange mochte es her sein, dass er diesen Ort zum letzten Mal betreten hatte?

Er lauschte einen Moment in die windlose Stummheit. Noch vor wenigen Augenblicken musste hier ein Kampf stattgefunden haben. Es lag der Geruch eines starken, jedoch dahin geschiedenen, Herzlosen in der Luft und… Blut. Menschliches Blut.

Schon schlugen die Gefühle, wie vom Wind gepeitschte Wellen, in seinem Inneren wieder zusammen und führten ihn über die kalte Asche, hin zu einer größeren freien Fläche, die eindeutig den Schauplatz des Kampfes dargestellt hatte. Inmitten des aufgewirbelten Staubes hatte sich eine Gruppe von Schattenlurchen zusammengerottet und um eine, am Boden liegende, Gestalt versammelt.

Xemnas’ Entscheidungsgewalt schien sich von hier auf jetzt in Nichts aufzulösen, so unbeherrschbar war der Sturm von Gefühlen, der über ihm hereinbrach. Er beschwor die ätherischen Klingen, war mit einem Satz am Ort des Geschehens und verwandelte alle Herzlosen mit einigen gezielten Hieben in schwarzen Dunst. Er ließ beide Klingen wieder verschwinden, ehe er sich zu dem bewusstlosen Geschöpf umdrehte. Doch allein bei ihrem Anblick, überrannten ihn noch einmal so viele heftige Eindrücke, dass er neben ihr auf die Knie fiel und ihren schlaffen Körper vorsichtig anhob.

Er kannte diese Frau… hatte sie mehr als einmal in den Träumen gesehen, vor denen er zu fliehen versuchte. Das sanftblaue Haar, der weiche Schwung ihrer Lippen und die Augen. Die Augen, die niemals auswichen und die jetzt, aus Erschöpfung, geschlossen waren. Sein Blick blieb an den Verletzungen hängen, die sie gezeichnet hatten und tief in seinem Inneren konnte er den Schmerz fühlen, den das Herz Terras bei diesem Bild überkam, so als trüge er die gleichen Wunden.

Der Superior wollte sich abwenden, zurück zum Schloss gehen und die Frau ihrem Schicksal überlassen, aber Terras Gefühle waren zu stark, ununterdrückbar, federführend.

Kontrolle ist subjektiv…

Ihm blieb nichts anderes übrig als sich zu fügen, seine Vorherrschaft über das Herz in seiner Brust schien wie ausgelöscht. Widerwillig sah er dabei zu, wie sein Körper eigenständig agierte, einen Arm um die Schultern, den anderen unter die Knie der Frau schob und den beunruhigend leichten Leib möglichst sacht aufhob.

Ihre Lippen bewegten sich zitternd, ließen in ungleichmäßigen Abständen ein gehauchtes Wort heraus, das er erst mit der Zeit verstand.

„Terra…“

Xemnas biss die Zähne zusammen. Wieso gelang es diesem schwachen Herzen, seinen Willen zu untergraben? Es war zuvor so mühelos verlaufen, seine Gegenwehr im Keim zu ersticken und jetzt… Er konnte erahnen, was für ein Ziel der Junge verfolgte; er hatte vor, die Frau in eine andere Welt, raus aus dem Reich der Dunkelheit, zu bringen.

Ha! Damit die Organisation einen Feind mehr hatte? Das würde er zu verhindern wissen.

Nach außen hin, hätte ein Zuschauer nicht bemerkt, was im Inneren des Superiors vor sich ging. Ihm wäre vielleicht das fast unsichtbare Schwanken seines sonst überdies erhabenen Gangs aufgefallen, seine hart angespannte Kiefermuskulatur oder der scharfe Blick seiner Augen, die nicht zögern würden, zu töten, wenn sie es könnten.

Aber ansonsten war nichts zu entdecken. Er hielt den schmalen Körper in seinen Armen noch mit der gleichen Behutsamkeit fest, ging ohne zu zögern weiter seines Weges.

Schließlich beendete eine Art Kompromiss das Kräftemessen der beiden. Er schlängelte sich zwischen einem dichten Gestrüpp aus Schattengewächsen hindurch und betrat ein offeneres Plateau, an dessen Ende eine kleine Treppe hinauf zu einem See führte. Das Bild kam ihm so irritierend bekannt vor, dass er erneut das Fadenkreuz verlor und zu einem der größeren Gewächse hinüberging, in dem sich eine winzige Höhle befand.

Er ließ die Frau sacht auf den Boden gleiten und strich, wie Traum entrückt, ihr Haar aus dem Gesicht, ließ seine Fingerspitzen noch einen Moment an ihrer Wange verweilen. Erst da trafen die Zähne der Gedanken wieder auf die Haut der Gefühle und brachten ihn schlagartig zurück auf die Beine.

„Genug ist genug“, knurrte der Superior, streckte die Hand aus und stürmte in den Korridor, ehe die Emotionen ihn erneut überfallen konnten.
 

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Das Kapitel ist doch sehr viel länger geworden, als geplant… (Aber cutten wäre hier nicht infrage gekommen; es sollen sieben Kapitel, wie in Rainbow, werden, darauf bestehe ich).

Und so richtig zufrieden bin ich damit auch nicht. °-° Da wird sich beim Mittelteil vielleicht noch das eine oder andere verändern. Ich finde, es klingt viel zu schmalzig. XD

Dass Ven ein bisschen außen vor erscheint, ist ganze Absicht. Ich meine, die drei sind keine Überwesen. Auch bei ihnen wird es hin und wieder Situationen gegeben haben, wo einer sich ausgeschlossen vorkam. Obwohl es mir um ihn wirklich Leid tut – ich mag Ven nämlich sehr gerne. ^-^ Aber er bekommt seine Rolle noch, lasst euch überraschen!
 

Many thanks for reading!

Rainblue



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Xaris
2011-10-17T18:17:04+00:00 17.10.2011 20:17
Hallu! <3 *brav hinhock und Kapitel genieß* X3

XD Jetzt stell ich mir einen singen Xemnas vor!
Hihi, Terra und Ventus sind wirklich wie Geschwister zueinander. <3
Q.Q Arme Aqua q,q fängst du schon wieder damit an! XD' Hihi, muss ja sein. x3
Xemnas Emotionen hast du wie immer super beschrieben! xD
*Xemnasfahne schwenk* Terra wirst du wohl in dein Loch zurückgehen?! x: xD
Bis zum nächsten Mal <3


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