Zum Inhalt der Seite

Rübenfürst und Möhrenkönig

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Blaumann - nein danke!

VIII. Blaumann – nein danke!
 

„Sag mal, Partner…“, richtete sich Jason schließlich an ihn, nachdem er ihn gefühlt dreißig Jahre am folgenden Freitagabend mit Möhrenschnapsfantasien vollgelabert hatte. Ein „Geschäftsmeeting“ a la Jason von Buch… armes zu erbendes Firmenimperium… arme Topmanger… aber, okay, die mussten einem vielleicht dann doch nicht leidtun… „Kannst du eigentlich zeichnen?“
 

„Äh… ja“, schreckte Ragnar hoch und stellte fest, dass sein Bier leer war. Tragisch, aber der Kühlschrankinhalt mochte die Trauer rasch lindern. Er stand auf und meinte: „Zeichnen gehörte mit zu meinem ehemaligen Beruf. Eher am Computer… aber ich arbeite aus Spaß auch gern per Hand…“
 

„Super!“ lobte ihn Jason und schenkte ihm die volle Pracht seines Reklame-Lächelns. Nach seinem Duschstrip erschien er Ragnar wieder „normal“ – für seine Verhältnisse, aber so sonderlich gut kannte er den Typen ja auch nicht. Das würde sich vermutlich in den nächsten Monaten ändern, denn Jason schien ziemlich unverdrossen und keinesfalls kurz vor der Flucht. Der war anscheinend durchaus zäher, als seine liebenden Eltern wahrscheinlich auf dem Plan gehabt hatten – aber eventuell hatten sie das doch, wollten es nur endlich aus ihm heraus schütteln. Und Jason drückte sich nicht und haderte auch nicht jammernd herum – ein Punkt für ihn. Dank des Postboten, der in der Tat zweimal geklingelt hatte, fühlte sich Ragnar auch wieder ausgeglichen. Was so ein Nümmerchen bewirken konnte… da sah man gleich wieder klar nach und wurde nicht von einem singenden, strippenden Ken aus dem Konzept gebracht. Aber Ken strippte auch gerade nicht, sondern süppelte sein Bier und schmiedete mit Feuereifer Pläne.
 

„Wir brauchen ein Logo! Etiketten-Design!“ äußerte Jason schwungvoll und nahm freudig die nächste Flasche entgegen. Seine Frisur hatte inzwischen etwas an Form verloren, der hatte jetzt leider keinen In-Stylisten mehr in Reichweite… Vielleicht sollte er ihm schon mal ein Zopfgummi leihen… Sein eigener Haarschnitt war auch der Faulheit geschuldet, obwohl er ihm – nach Aussage seiner gelegentlichen Bettgefährten – stand. Praktisch. Der Piraten-Bauer-Look war gewiss total trendy… zumindest hier. Auch Jasons Maniküre war total im Arsch, aber er wirkte nicht depressiv. Immerhin. Wenn er Ragnar damit auf den Ohren gelegen hätte, hätte er ihn eventuell doch mit der Plattschaufel erlegen müssen.
 

„In welche Richtung soll’s denn gehen?“ fragte Ragnar und ließ sich wieder in seinen selbstgebauten Sessel fallen. Er entwarf ja gerne Dinge abends nach Zapfenstreich… also warum nicht. Ein Werbegrafiker war er jedoch nicht – genauso wenig wie Jason ein professioneller Schnapsbrenner… das passte ja gut…
 

„Es muss witzig sein! Die Klischees vom Urdeutschen verscheißernd! Überzeichnend… so was!“ forderte Jason.
 

„Mmm… das macht Sinn“, musste Ragnar zugeben. „Und wem willst du die Plörre – so sie denn nicht toxisch wird – andrehen?“
 

„Wird sie nicht! Sie wird geil!“ behauptete Jason einfach ohne einen Funken Zweifel. Mann… so eine Nervensäge… war der denn noch nie auf die Fresse gefallen?! Anscheinend nicht… „Ich habe Verbindungen! St. Topez! Sorrent! Berlin! Wo immer du willst… erst der europäische Markt… dann…“
 

„Ja ja, Rübenfürst und Möhrenkönig werden die Weltherrschaft an ich reißen“, spottete Ragnar.
 

Aber Jason war anscheinend nicht leicht zu kränken – oder aus dem Konzept zu bringen. „Wart’s nur ab!“ bestand er. „Wir rocken! Aber total!“
 

„Wann kommt überhaupt die Destille?“ versuchte ihn Ragnar auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Warum tat er das eigentlich…? Weil es irgendwie genauso witzig wie irre war…? Weil hier draußen mal was los war, das ihn eigentlich nicht wirklich nervte… nur die oberste Schicht, aber darunter…? Weil das Karriere-Gen in ihm einfach zuschnappen musste, weil immer die Chance bestand…? Okay… was hatte er schon zu verlieren… ein paar Möhren… mit Jason sah das etwas anders aus… Aber das war dessen Ding, er machte bloß ein bisschen mit.
 

„Übermorgen… die Möhren müssen an den Start! Geht bald los. Äh… kennst du dich mit Traktoren aus?“ wollte Jason wissen und überschlug wohlig seine langen Beine, so dass der Prada-Stempel unter seiner Sohle in den Raum glänzte.
 

„Öh… so ein wenig… wieso…?“ wollte Ragnar wissen. Der sprang echt hin und her wie vom Wahnsinn gebissen mit seinen Ideen…
 

„Ich habe einen Oldtimer-Porsche-Traktor in der Scheune gefunden. Der muss da raus, die Destille braucht Platz und das Scheunendach hält ja noch – anders als das des Haues… Aber den kann man doch garantiert verscheuern an irgendeinen beknackten Liebhaber oder so? Ein bisschen auf Zack gebracht… und vielleicht springt was raus für das Schnapsprojekt – oder ein Klo mit Abzug und eine Dusche oder so…“, grübelte Jason.
 

Okay… damit hatte er wahrscheinlich nicht völlig unrecht…
 

„Mal sehen… Sag mal, Jason“, meinte Ragnar. „Dein Haus ist aktuell echt noch die totale Bruchbude, obwohl du schon ordentlich was bewirkt hast, muss ich ja zugeben, aber... Und du bist – offenbar – ziemlich pleite aktuell. Was machst du eigentlich mit deinen Klamotten, wenn des Tages Arbeit ihre Spuren hinterlassen hat?“ Das wusste er ja sehr wohl… mal sehen, wie Jason das Thema so betrachtete…
 

„Wasche ich per Hand“, erklärte Jason und lächelte ihn an. Ob dieses Lächeln festgewachsen war? Und - ja… so konnte man das wohl auch sehen…
 

„Hör zu. Ich gebe zu, ich bin nicht der geselligste Mensch, aber du kannst gerne hier im Keller die Waschmaschine benutzen, okay? Musst nur Bescheid sagen, dass ich schauen kann, wann es passt“, bot Ragnar an.
 

„Danke!“ freute sich Jason ohne falsche Scham. „Aber… mein Kram… ich glaube, so richtig maschinentauglich ist das Meiste nicht…? Haben die Verkäufer immer drauf hingewiesen… habe ich nur nicht so drauf geachtet, sonst ging ja immer alles in die Reinigung… hätte ich wohl mal besser, oder?“ Ein ziemlich ratloser Blick aus dunkelblauen Augen traf Ragnar. Weise erkannt, mein Lieber…
 

„Wie wär’s“, setzte er an. „Du kaufst dir etwas… Praktisches?“
 

Jason rümpfte die Nase. „Hab ich doch… Landlife-Collection von Prada… extra für hier…“, protestierte er.
 

„Auf Gefahr hin, dein Weltbild zu zertrümmern: Das! Ist! Nicht! Praktisch! Du willst ein Möhrenschnapsimperium errichten und deinen Hof in Ordnung bringen? Das nennt man Arbeit. Und zwar körperliche Arbeit zu nicht geringem Teil. Du siehst nicht nur total bescheuert aus, wenn du hier in deinen Label-Klamotten herum wurstelst, die sind völlig ungeeignet obendrein! Oder bist du so ein eitles Prinzchen…?“ verpasste Ragnar ihm gnadenlos. Aber Jason konnte das ab – und musste das abkönnen, ein Sensibelchen errichtete weder Schnapsimperium noch Bauernhof.
 

Jetzt lächelte Jason nicht mehr, sondern schaute kurz beleidigt aus seiner feinen Wäsche. Dann fing er sich rasch wieder und seufzte: „Was dann? Karohemd und Latzhose? Gnade!“
 

„Das ist völlig piepsegal, wie du dabei aussiehst! Das hier ist nicht die Cote d’Azur! Du willst hier was aufbauen, dann pack’s an. Und zwar richtig, nicht als habe man dich verpflanzt. Ich war auch mal wer anders… immer im Anzug und so… Aber hier nicht. Wir sind hessische Kleinbauern – mit Weltmachtsfantasien vielleicht -, obwohl das wohl bei uns beiden in jeder Hinsicht nicht von Anfang an in der Lebensplanung vorkam. Du bist doch schon gut dabei… aber versuche… dich etwas anzupassen?“ empfahl Ragnar.
 

„Den Umständen – oder der Tatsache, dass man mich „Lord Rotz“ nennt?“ entgegnete Jason geradeaus.
 

„Beidem… ein wenig… zumindest für ein Jahr… ist das hier deine Welt… Ist vielleicht auch eine Chance, das Leben ein wenig anders kennen zu lernen?“ schlug Ragnar vor.
 

Jason sah gen Boden. „Ich will hier nicht sein“, sagte er schließlich. „Das bin so gar nicht… ich. Und ich… ich will auch niemand anderes sein als bisher, ich will zurück…“
 

„Aber jetzt bist du hier…“, wies Ragnar ihn hin. „Probiere es doch ein wenig…?“
 

Jason straffte sich. „Mich anzupassen? Okay, das mit dem praktischen Aspekt kapiere ich ja etwas… Aber ich… ich… ich bin eben kein „praktischer“ Mensch… wahrscheinlich… und ich will…“
 

„Warum trägst du den teuren Krempel?“ ließ Ragnar nicht locker und legte ungeniert die Füße auf den Tisch. Er war Bauer… er durfte das…
 

„Es… alle…“, brabbelte Jason.
 

„Genau. Und hier tragen alle Klamotten, die ihrer Tätigkeit und ihrem Budget auch gemäß sind. Deinen Prada-Scheiß sehen sie bestenfalls als Spleenigkeit, ansonsten als Hohn oder Herablassung. Zieh ihn an… wenn du den Schnaps an entsprechender Stelle vermarkten willst – und schone ihn dafür. Für das Werkeln am Haus etwas anderes?“
 

„Ich bin zu pleite für etwas anderes. Das Haus… ich war sogar schon bei Aldi… und Ebay… und… ich hab nichts anderes“, stöhnte Jason und grub die langen Finger in sein Haar.
 

Ragnar überlegte kurz. „Wie wäre es… du verkaufst was? Wie den Traktor… was du eben nicht brauchst… auch über Ebay… und davon besorgst du dir Alltagskram?“ spann er weiter.
 

Jason blickte ihn an. Er grinste nicht, sondern schien nachzudenken. Sah er vielleicht so… in Wirklichkeit aus? Nicht dieses Gestellte… ob ihm das überhaupt klar war…? So sah er normal aus… zwar ein wenig angeduselt vom Bier wie er auch, sonst hätte seine Zunge wahrscheinlich auch nicht so locker gesessen… aber so war er nicht Ken, das war ein Gewinn.
 

„Ach, weißt du“, meinte Jason schließlich. „Ich tue ja mein Bestes… aber das hier ist ein ganz schöner Kulturschock.“
 

„Kann ich mir vorstellen… aber du hältst dich!“ baute Ragnar ihn auf und konnte ein Lächeln auch nicht ganz unterdrücken. Jason war schon ganz schön schräg… aber irgendwie auch ziemlich tapfer und direkt, das mochte er an anderen Menschen nach all der Heuchelei, die ihn einst am Job so gestresst hatte – abgesehen von der Überdosis, die er sich verpasst hatte. Uns seine Möhren… die waren auch geradeaus, selbst die schiefste unter ihnen… Irgendwie hatte das schon etwas Sympathisches. Ein totales Weichei war Jason immerhin nicht.
 

Okay… er hatte ein wenig einen sitzen, aber diese Gesellschaft war schon durchaus nicht völlig grauenhaft. Immerhin war sein Nachbar kein lahmer Spießbürger, der ihn zum Grillen mit der Familie nötigte, das war doch durchaus was…
 

………………………………………………………………………………………………………………..
 

Ragnar war schon… so eine Type. Der redete echt Tacheles. Ungewohnt… in der Szene hatte man immer das eine gesagt und das andere gemeint, zumindest die, die dort etwas hatten an Land ziehen wollen. Da er zu denen gehört hatte, die da „an Land“ gezogen werden sollten – was er jedoch keinesfalls vorgehabt hatte – hatte er sich da nicht so verstellen müssen, dennoch… Aber Ragnar hatte schon Recht… Schnaps herzustellen oder Fenster zu streichen in einer Lederjacke, die fast dreitausend Euro gekostet hatte – und ihm perfekt stand – war wahrscheinlich irgendwie ziemlich dämlich und in den Augen der hiesigen Bevölkerung total pervers, falls die das ahnen sollten… War ein spontaner Kauf gewesen, der ihn damals nicht gejuckt hatte, aber hier hatte er monatlich nicht ansatzweise so viel. Ein Brötchen bei Aldi kostete… seine Jacke waren viele Brötchen… Das waren wohl die Basisregeln des Wirtschaftslebens in der Praxis, die Theorie war ihm ja durchaus geläufig. Das Familienunternehmen lief ja auch so, aber da hatte er bisher nur am Ende der Kette stehen müssen, um einzustreichen. Jetzt stand er am Anfang…
 

Ökonomisch denken, genau!
 

Okay, die Meinung von Ragnars Arbeitern ging ihm etwas am Arsch vorbei – aber es war gewiss nicht blöde, sich hier nicht unnötig Feinde zu machen, indem man auftrat wie ein degenerierter Despot. War er schließlich nicht. Wen kommandierte er schon rum – außer sich selbst? Er war der Boss und der unter Tarif bezahlte Arbeiter in einer Person… multiple Persönlichkeit mal anders. Und wer war Ragnar dann? Der Investor? Der Firmenaufsichtsrat? Der Wirtschaftsberater? Eigentlich konnte er sich Ragnar nicht in so einer Position vorstellen, zumindest nicht rein optisch. Der in einem Anzug? Wie… schräg. Hatte er aber behauptet, so etwas einst getragen zu haben. Gewiss nicht in Kombination mit dieser Frisur. Der sah ein bisschen aus wie Störtebeker aus einem seiner Kinderbücher, fand Jason.
 

Aber nix war mit Blaumann für ihn! Eine Jeans… T-Shirt… gab ja auch verträglichere Marken in günstiger, oder? Oder zumindest irgendwie neutral und ohne krebserregende Containerpestizide!
 

Gab’s da nicht auch so Ketten? So wie Ikea?
 

Hirn, streng dich an – wo bekam der Rest der Menschheit noch mal Klamotten her? Hatten diese Läden überhaupt Namen? Bestimmt. Reklame… genau… da kannte er doch was… gab’s das auch in Kassel?
 

Mmm… Ragnar fragen…



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  AzurSmoke
2011-09-24T15:23:35+00:00 24.09.2011 17:23
ich trage was praktisches : Landlife-Collection von Prada

Ich hab mich ja weggeschmissen vor lachen :-)

LG
AzurSmoke
Von:  Khaosprinzessin
2011-09-19T21:03:33+00:00 19.09.2011 23:03
haha, jason denkt ja echt er is in einer anderen welt XD irgendwie ja niedlich...
ragnar gibt sich ja echt mühe, alles so zu umschreiben und gewählt auszudrücken, damit jason es als ratschlag ansieht^^
sone ketten wie ikea....-.- der macht mich fertig! einfach genial!

bis zum nächsten kappi^^


Zurück