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Rübenfürst und Möhrenkönig

von

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Lord Rotz auf Schonkost

V. Lord Rotz auf Schonkost
 

Okay… so viel zum Thema Nachbarschaft. Aber wer austeilen konnte, musste auch einstecken können. Er wusste selbst, dass er hier so gut hinpasste wie ein Weihnachtsbaum nach Mekka, aber das durfte leider kein Hinderungsgrund sein. Im Kunst- und Werkunterricht in der Schule war er früher immer gut gewesen, leider lag das auch schon zehn Jahre zurück, und er hatte absolut keine Übung. Das würde er wohl ändern müssen, wenn er dieser Bruchbude nicht wehrlos zum Opfer fallen wollte, denn Handwerker im großen Stile waren im Budget vorerst nicht drin. Und bevor er sich darauf konzentrieren konnte, hier irgendetwas zu erwirtschaften, brauchte er erst mal grundlegende Dinge wie funktionierende Sanitäranlagen, eine Küche – er konnte nicht kochen, aber das wäre wohl auch so ein Punkt auf der Liste – und ein dichtes Dach…
 

Tannenberger hatte natürlich Recht gehabt, es goss wie aus Kübeln, und überall tropfte es enervierend. Da wäre ihm das Geheul eines Wolfsrudels vor der Tür fast lieber gewesen. Er fühlte sich wie eine Figur aus einem Charles Dickens-Roman – leider war er ob seiner Herkunft die totale Fehlbesetzung. Als Schüler hatte er ganz gerne gelesen, es nach dem Abi aber lieber bleiben gelassen. In reiche-Erben-Kreisen galt sowas als viel zu nerdig. Wirtschaftsmagazine, Stilfibeln, okay, aber doch keine anspruchsvolle Literatur, das war für die Eierköppe, zu denen man ja nun nicht gehörte. Aber da ihn hier eh einer sah und er wahrscheinlich viel Zeit totzuschlagen haben würde, zunächst ohne Fernseher, wäre das eventuell eine Option. Er könnte natürlich auch nach Kassel fahren, um einen draufmachen – aber mit seinem klammen Geldbeutel? Und Kassel? Nur, wenn er kurz vorm Durchdrehen stand, er hatte auch seinen Stolz.
 

Still und heimlich war er in die Scheune des Möhrenbauern geschlichen, um den Muff von sich abzuspülen. Angebot war Angebot, ein Hoch auf den lieben Nachbarn! Wenn er da an das Bad in seinem Loft dachte… das sollte er vorerst besser lassen. So wenig daran denken wie irgend möglich hieß zunächst die Devise, sonst würde er sich solche Wunschträume noch dauerhaft abschminken müssen statt nur für zwölf Monate, weil er am eigenen Koller scheitern würde. Sein aktuelles „Zuhause“ hatte nur einen antiken Donnerbalken und eine verrostete Pumpe hinter dem Wohngebäude zu bieten, hatte er entsetzt feststellen müssen. Er hatte eine Mission… wie James Bond in etwa… also Augen zu und durch, wie auch immer... Aber es war schon ein seltsames Gefühl, stoppelig und stinkig unter einem kleckerigen Wasserstrahl in einer muffigen Scheune zu stehen. Von dem ganzen Gewürge heute taten ihm Muskeln fürchterlich weh, von deren Existenz er zuvor gar nichts geahnt hatte. Er hatte ja gedacht, dank Fitnessstudio und gelegentlichem Personal Trainer gut in Form zu sein – aber das betraf offensichtlich wirklich nur die Form. Er ging echt am Stock, hoffentlich gewöhnte man sich daran. Am schlimmsten taten ihm die Hände weh, das Halten von Champagnergläsern war wirklich eine Scheiß-Vorbereitung für sowas. Er bekam garantiert obermännliche Schwielen – juhu…
 

Während er völlig groggi zum Beat des tropfenden Wassers auf der billigen Matratze im Dunklen lag, erschuf sein Hirn Listen. Bohrmaschine… Hammer… er brauchte echt Werkzeug! Wie krank… aber… naja, etwas zu hämmern… gab Schlimmeres. Hoffentlich. Und wie zum Geier sollte er diese Äcker wieder klar bekommen! Die waren total zu gewachsen! Da standen Bäume drauf! Große Bäume, die Jahrzehnte Zeit gehabt hatten, obendrein noch jede Menge Wurzeln zu bilden! Die konnte er wohl kaum alle eigenhändig umhauen und ausbuddeln. Ach ja… eine Axt und ein Spaten wären wohl auch nicht schlecht… Wie fällte man einen Baum?! Und was sollte er überhaupt anbauen?! Okay… so Einheitszeug brachte nichts, das war schon klar, vor allem nicht auf so kleinen Anbauflächen, da hatte der liebe Nachbar schon Recht. Bio-Möhren liefen gut… Bio sowieso… und wenn er höchstpersönlich hier rum schuftete, was bitte war mehr „bio“. Was war das gewesen… Rüben…? Rüben… Rüben…Rüben… Zuckerüben waren Scheiße, total unlukrativ, das hatte er schon raus – es sei denn, man brannte sie zu etwas Hochprozentigem… Er hatte Chemieleistungskurs gehabt… obwohl sich das mit der “Leistung“ bei ihm arg im Rahmen gehalten hatte… wie war das noch gewesen…?
 

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Eins musste Ragnar dem Beknackten von nebenan lassen: Er hatte echt Dampf. Wie ein Irrer zimmerte er an seinem krummen Haus herum – ziemlich planlos zwar, aber unverdrossen, und er wurde besser. Der totale Depp war er wohl nicht, obwohl er mit seinen Fitness-Studio-Workout-Handschuhen beim Werkeln ziemlich danach aussah.
 

Zwei Wochen waren seit dessen Ankunft verronnen, und der hämmerte und hämmerte. Wenn Ragnar in sein Blickfeld geriet, was sich nicht wirklich vermeiden ließ und warum auch, er lebte und arbeitete schließlich auch hier, grüßte ihn von Buch mit fast unterwürfiger Freundlichkeit, die etwas Linkes an sich hatte. Nein, ein reines blödes Modepüppchen war der nicht – wahrscheinlich eher Modell hedonistische Schlange. Allerdings sah er bestechend bescheuert aus, wenn er in seinen Laufsteg-Klamotten den Heimwerker hinlegte. Immerhin hatte er mittlerweile Strom, wie das Dröhnen seines neuen Werkzeugs verhieß. Ragnars Angestellte hatten auch nicht schlecht gestaunt und ihm spontan den Spitznamen „Lord Rotz“ verliehen, was wahrscheinlich recht gut traf. Sie waren einfache Leute, und jemand, der zum Fensterputzen Schuhe trug, die sie ihr ganzes Monatsgehalt gekostet hätten, stand nicht besonders hoch in ihrem Kurs, da konnte von Buch grinsen, wie er wollte. Der aufdringliche „Prada“-Print unter seiner Fußsohle hatte ihn verraten… was kroch der auch so dämlich auf dem Hof herum bei der Sanierung der ausgehakten Fensterläden.
 

Aber es wurde… zumindest von außen begann das Haus wieder halbwegs bewohnt auszusehen, auch wenn es zu von Buch passte wie ein rosa Ballerina-Schuh zu Rambo.
 

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Na bitte, ging doch, dem Buch „Heimwerken für Dummies“ sei Dank, das er sich in weiser Voraussicht besorgt hatte. Das erste Stockwerk war noch immer nicht recht bewohnbar dank des undichten Daches, aber immerhin hatte er jetzt Licht und nicht mehr klemmende, Zugluft einlassende Fenster, und es war halbwegs sauber. Ansonsten hatte er sich mit einer Aushilfs-Klobrille aus dem Baumarkt am Plumpsklo versucht, aber das war keine besonders erquickliche Erfahrung gewesen. Vorerst musste das wohl reichen, besser als jedes Mal hinter einen Baum flitzen zu müssen, davon wurde der Hof ja auch nicht gerade anheimelnder. Er war schließlich kein Köter, der sein Revier markierte. Er wollte gar nicht wissen, was da unten in der Klogrube seit Jahrzehnten lauerte und ihn bei Gelegenheit sonst wohin zu beißen gedachte. Und spätestens nach dem zweiten Gang hatte er viele Fans in Form von sommerlichen Schmeißfliegen gewonnen. Toll, endlich wurde er wieder umschwärmt, war ja fast wie in Cannes bei einer After Show-Party… Duschen musste er nach wie vor beim Möhrenkönig, sein Haus hatte nie einen Wasseranschluss gehabt, und einen neuen verlegen zu lassen würde kosten... Dank Ebay würde er bald stolzer Besitzer einer Second-Hand Mikrowelle sein, musste er nicht mehr bloß Äpfel und schnödes Brot vom Dorfkrämer nagen, der auch fünf Kilometer weit weg war. Hoffentlich hielt sein Stromanschluss das aus. Jason seufzte. Er kaufte bei Ebay… unter dem Nick „Lord Rotz“ – so nannten die von Nebenan ihn doch, er war schließlich nicht taub – und auch dafür musste er in den nächsten Ort, hier gab es keinen Internetanschluss. Nun gut, aus deren Perspektive war er auch Lord Rotz. Lord Rotz auf Schonkost sozusagen. Er kaufte bei Ebay… er schenkte sich das erneute Seufzen. Rumheulen brachte nichts, immer fröhlich weiter gemacht. So ähnlich mussten sich die frühen europäischen Siedler in Nordamerika gefühlt haben – die Existenz der Wildnis abgetrotzt! Nur noch elfeinhalb Monate, volle Kraft voraus! Das sah hier doch schon ansatzweise besser aus , wobei seine Ansprüche in den letzten Wochen auf Radikaldiät gewesen waren wie sonst er vorm Strandurlaub.
 

Und abends waren die Schmerzen inzwischen Routine, man gewöhnte sich also wirklich… oder er begann abzuhärten. Wenn er noch zwei Wochen so weiter werkelte, würde der Laden ansatzweise okay sein – für 1955... Die Frage war nur: was dann? Der Sommer war schon fortgeschritten, auch wenn die Felder nicht total verwildert gewesen wären, wäre ziemlich Ebbe mit Anbau… Kohle musste her. Er überschlug die Finanzlage. Wie viel hatte er auf dem Konto, mit dem er investieren durfte? Nicht die Welt… reichte nicht für ein Gebiss aus Platin, aber für ziemlich viele… Rüben…
 

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Es war Samstagnachmittag, die Dinge gingen ihren Gang. Die Arbeiter waren ins Wochenende abgedampft, nur die Notfallcrew würde morgen kurz vorbei kommen, es gab immer etwas zu tun – die Mohrrüben hatten kein Wochenende, wollten gegossen und gehegt werden. Ein Klingeln der Türglocke störte seinen wohlverdienten Feierabend. Barfuß schlurfte Ragnar gen Tür, spähte durch den Spion der Eingangstür und staunte nicht schlecht. Da stand sein heißgeliebter Herr Nachbar, herausgeputzt, als wolle er zum Wiener Opernball, zumindest nach seinem Empfinden.
 

„Huhu!“ flötete sein ungebetener Besucher durch die Tür.
 

Nach der Alien-Geschichte hatten sie nicht mehr geplaudert, sondern sich irgendwie auf eine friedvolle Koexistenz geeinigt, indem sie sich einfach in Ruhe ließen. Jetzt grinste ihn von Buch mit seinen gestylten Zähnen an, als sei Ragnar ein Eskimo und solle ihm einen Kühlschrank abkaufen. Seufzend öffnete er die Tür. Samstagabend war für ihn eine Zeit der Ruhe, Entspannung, er schaute seine Lieblingsfilme auf DVD oder vergnügte sich mit technischen Zeichnungen, die er nach wie vor liebte anzufertigen, obwohl er nichts mehr professionell konstruierte, höchstens zum Spaß. Anders als von Buch trug er nur eine gammelige Jogginghose, aber das war ja wohl sein Bier. Apropos Bier… das wollte er eigentlich auch in Ruhe genießen. Stattdessen stand diese Designer-Biene vor seiner Tür und brummte falsch verführerisch.
 

„Guten Abend, Herr von Buch“, grüßte er ihn. „Was kann ich für Sie tun?“
 

„Ich habe einen Vorschlag… nein, ein Angebot an Sie, werter Herr Nachbar!“ strahlte von Buch und grinste dabei so breit, dass er sich wahrscheinlich fast selber verschluckte.
 

„Ich habe Feierabend…“, wehrte sich Ragnar.
 

„Super, ich feiere gerne!“ informierte ihn von Buch und flutschte rotzfrech an ihm vorbei nach drinnen, eh er sich recht besinnen konnte.
 

Der Anzug, den er trug, war dunkelblau und ließ seine Augen nur so leuchten. Er sah echt aus wie so ein verfluchter Dressman, allerdings war er das offensichtlich keinesfalls. Mit Genugtuung sah Ragnar, wie von Buch sein Interieur völlig verdaddert musterte.
 

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Scheiße… wo war er denn hier gelandet? Wo waren die Spitzendeckchen und die Geweihe? Das sollte ein Bauerhaus sein? Von außen: ja – von innen: war hier auch sein Innenarchitekt zu Gange gewesen? Das Haus war komplett entkernt, mehrere Ebene hingen, von dezenten Pfeilern getragen und mit Metalltreppen verbunden, in unterschiedlichen Höhen und ersetzten die Zimmer. Die Möbel waren ein Mischmasch aus reduziert und extravagant, ohne grell oder verspielt zu sein. Das war definitiv das abgefahrenste Zuhause, das er je zu sehen bekommen hatte, und er war ganz schon herumgekommen. Und der Hauseigentümer stand nun ihn wenig begeistert musternd vor ihm. Er war barfuß und trug lediglich eine schlabberige graue Sporthose. Man sah ihm die körperliche Arbeit auf sehr vorteilhafte Weise an. Sein sonst zu seinem Pferdeschwanz gebundenes Haar war offen und bildete eine etwas über kinnlange Mähne um sein misstrauisch guckendes Gesicht. Die graublauen Augen starrten ihn auch nicht gerade herzlich an. Dennoch konnte er es sich nicht verkneifen. „Wow!“ sagte er beeindruckt. „Das ist echt eine abgefahrene Hütte! Wer hat das denn alles entworfen?“
 

„Ich“, sagte Tannenberger nur etwas unterkühlt.
 

„Was… Sie? Ich dachte, Sie seien Möhrenbauer?“ plapperte Jason perplex.
 

„Ich war mal Ingenieur… das hier… ist ein Hobby von mir. Möhren sind nicht immer abendfüllend“, murmelte der andere.
 

„Ich bin platt“, gestand er. „Ingenieur? Was machen Sie dann hier?“
 

„Burn out. Brauchte was anderes“, informierte ihn Tannenberger knapp.
 

„Okay….“, überbrückte Jason mit etwas spitzen Lippen. Burn out war etwas, das ihm nie gedroht hatte… Aber das hier brachte ihn in der Tat leicht aus dem Konzept. Der da war also keinesfalls das geborene Landei, der hatte auch so seine Geschichte… und war weder geschmacksverirrt noch total blöde… Aber trug das definitiv nicht nach außen.
 

„Wo Sie schon mal da sind“, seufzte Tannenberger. „Bier?“
 

„Ja, gerne“, nickte Jason. Mochte er eigentlich eh lieber als Schampus, aber nur P. Diddy durfte so etwas offen zugeben…
 

Tannenberger schlurfte in seine offene Küche, dann reichte er ihm eine Flasche und nickte Richtung Couch. „Couch“ war gut, das Ding war aus geschwungenem Holz mit ein paar Kissen darauf – topschick. Selbstgemacht?! Er war so ein Anfänger… Aber hierbei nicht!
 

Tannenberger fläzte sich in den passenden Sessel ihm gegenüber und sagte: „Nun, was ist? Wollen Sie mir ihr schwingendes Grundstück andrehen oder was?“
 

Jason straffte sich und lächelte geübt weiter. „Weit gefehlt!“ erwiderte er. „Hier bin ich, und hier bleibe ich – zumindest das eine Jahr. Nein… ich möchte unsere nachbarschaftlichen Beziehungen auf wirtschaftlicher Ebene intensivieren!“
 

„Ach ja“, sagte Tannenberger reserviert. „Und was wollen Sie von mir?“
 

„Ihre Mohrrüben!“ strahlte Jason.



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