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Rainbow

Gebrochenes Licht
von

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Ein Geheimnis

Bleib am Leben. Bleib am Leben.

Wie eine Zauberformel wiederholte Aqua diesen Satz im Kopf, bis er sich von selbst aufsagte. Monoton und seiner Bedeutung entstellt, aber er sorgte dafür, dass sie weiterging. Immer weiterging, nur nicht aufhörte, zu laufen… Wenn sie fiel, würde sie vielleicht nicht mehr aufstehen können. Und dann hatten sie die Schattenbestien genau da, wo sie sie haben wollten.

Bleib am Leben.

Der Pfad schien endlos. Wie lange lief sie schon? Stunden? Tage? Wie es ihr gelang, noch immer alle Monster zu besiegen, die aus dem Boden krochen, konnte sie nicht sagen. Ihre Lungen brannten höllisch, ihr ganzer Rachen und der Bauch… ein Knoten aus Schmerz, mehr schien da nicht zu sein. Aber sie schleppte sich weiter, immer weiter, nur nicht aufhören, zu laufen…

Bleibamleben

Worauf hoffte sie eigentlich? Irgendwo anzukommen? Alles hier war „irgendwo“. Wenn es einen Ausgang gab, bei welchem Irgendwo musste sie dann suchen? Sie hielt den Blick zu Boden gerichtet.

Das war doch alles so sinnlos. Der Pfad führte in die Unendlichkeit. Früher oder später würde sie in der weißen Asche zusammenbrechen und nicht mehr aufstehen. Warum machte sie sich dann überhaupt noch die Mühe? Wäre sie doch nicht losgegangen. Wäre sie doch an diesem See liegen geblieben. Das wäre zumindest ein halbwegs schöner Ort zum sterben gewesen…

Bleibamleben

„Richtig…“, murmelte sie tonlos. Es wäre nur leichter, wenn sie einen Platz zum Ausruhen finden könnte. Aber der Weg unter ihren schlaffen Schritten nahm und nahm kein Ende.

Ihre traumhaft entrückte Sicht klärte sich ein wenig, als sie ein zartes Pulsieren in ihrer Tasche wahrnahm. Der Wegfinder. Sie wollte die Hand heben, um ihn herauszuholen, da fiel ihr auf, dass sie nicht länger über Ascheboden ging.

Wie lange war das schon so? Unter ihren Füßen befand sich weiche dunkle Erde, worauf ein paar kümmerliche Grasbüschel wuchsen. Es war unverändert dunkel, darum war ihr wohl entgangen, was für eine Gegend sie seit einigen Minuten durchwanderte.

Müde hob sie den Kopf und war mit einem Schlag wieder hellwach.

„Das ist…?“, stieß sie ungläubig hervor. Es genügte nicht, nur einmal hinzusehen, ehe Aqua das Schloss erkannte, das sich inmitten eines düster vernebelten Tals erhob. Der Grund dafür war einleuchtend. Jener Palast war in ihrer Erinnerung strahlend, von einer leuchtenden Stadt umgeben und wie ein Gebilde der Hoffnung. Es war der gleiche, daran zweifelte sie nicht. Aber seine Mauern waren von Dunkelheit umsponnen, der einst sternklare Himmel von finsteren Wolken bedeckt und alles wirkte tot und kalt.

Obschon Aqua ahnte, dass sie dort niemanden auffinden würde, zwang sie ihre tauben Beine voran, durchquerte die verlassenen Ruinen der Stadt, den in Trümmern liegenden Schlosspark und betrat schließlich die Halle, in der sie damals Terra getroffen hatte.

Sie seufzte, als sie an der Treppe stehen blieb, ihre Schritte so endgültig von den hohen Wänden widerhallend, und mit der Hand über das eingestaubte Geländer strich.

„Was ist hier geschehen?“ Sie flüsterte, weil sie das hohle Echo ihrer Stimme nicht hätte ertragen können. Wo waren die Bewohner? Und wieso überhaupt hatte es diese Welt ins Reich der Dunkelheit verschlagen?

Sie kniff die Augen kurze Zeit zusammen, um Fassung zu bewahren. Diese Stille, der Verfall und die Düsternis… Es war wie damals im Land des Aufbruchs. Sie hatte sich nicht erlaubt, zu weinen, weil sie dafür keine Zeit gehabt hatte.

Und jetzt? Ein Laut, halb Schluchzen, halb Lachen drang aus ihrer Kehle hervor. Nein, jetzt, wo sie es sich erlauben konnte, ging es nicht mehr. Als wäre es so viel, dass selbst Tränen dem nicht Luft machen konnten.

Sie erklomm mühselig Stufe für Stufe der Treppe, um dann durch die, von Spinnweben gesäumten, Gänge zu wandeln. Der „Palast der Träume“… nun war er nichts weiter als ein Geisterschloss.

In den oberen Stockwerken fand sie die Gemächer, schob die erstbeste Tür auf und ließ ein tiefes Seufzen frei. Das Bett, das nahe einem Balkon stand, war von Staub und noch mehr Spinnweben vereinnahmt, aber wie lange hatte Aqua schon nicht mehr auf einer Matratze gelegen? Hatte ein Kissen oder eine Decke am Leib gespürt? Sich sicher gefühlt, wenn sie die Augen geschlossen hatte?

Dankbar schlüpfte sie aus den Schuhen, fegte die gröbsten Staubschichten fort, kroch unter die schweren Daunendecken und schlief ein, noch ehe ihr Kopf das Kissen berührt hatte.

Bleibamleben… Bleibamleben…
 

Geheimnisse. Wer konnte schon von sich behaupten, keine zu haben? Sie waren zu süß, zu köstlich, um sie nicht zu haben. Und natürlich war Aqua nie eine Ausnahme gewesen.

Sie hatte viele Geheimnisse.

Aber nur eines davon teilte sie mit jemandem…

Einmal war es geschehen. Im Nachhinein haftete diesem einen Mal viel Unwirkliches an. Aber wenn Aqua sich einer Sache gewiss blieb, dann dass es kein Traum gewesen war.

Es war wirklich. Sie hätten sich noch ihr Leben lang darüber anschweigen können, das änderte nichts.

Nachdem es passiert war, waren sie gestelzt und übertrieben höflich miteinander umgegangen. Aber die letzten Vorbereitungen auf die Meisterprüfung hatten angestanden und im Stress des Intensivtrainings und diverser Vorprüfungen, hatte sich das mit der Zeit auch gegeben.

Dennoch bestand dieses Band, diese unsichtbare Verbindung, die sie geschaffen hatten. Sie hatten eine Grenze überschritten und so etwas geriet nicht in Vergessenheit.

Was Aqua sich nur schwer erklären konnte, war, warum sie nie wieder ein Wort darüber verloren hatten. Sie selbst hätte ihm schon gern gesagt, was dieser Moment ihr bedeutete, was ihr durch ihn erst vollkommen bewusst geworden war. Aber sie hatte geschwiegen. Und Terra auch.

Sie glaubte, dass sie gehofft hatte, er würde den Anfang machen, den ersten Schritt tun. Doch womöglich hatte er sich damals das gleiche auch von ihr erhofft. Und so waren sie zu Profis darin geworden, so zu tun, als hätte es jenen Tag nicht gegeben. Aber es hatte ihn gegeben und dieses „Geheimnis“ würden sie auf immer teilen.

Es war nur einmal geschehen, aber es war geschehen.
 

Nicht ganz einen Monat vor der Meisterprüfung gab es einen heftigen Sturm. Er wütete den gesamten Tag hindurch, sodass das Training nach drinnen verlegt werden musste. Aber nach jedem Gewitter ist der Himmel ungleich schöner, die Luft frischer, der Wind schmeckt nach Freiheit.

Den Morgen danach nutzte Aqua, um spazieren zu gehen und vor allem, um den Kopf frei zu bekommen. Der Gedanke an die bevorstehende Meisterprüfung verursachte ein ziemliches Durcheinander in ihrem Bewusstsein. Sie schlenderte in aller Seelenruhe Richtung See, beobachtete die winzigen Tausplitter, die auf den Blättern glitzerten, lauschte den Winden, die durch die Klüften des Tals pfiffen, streckte das Gesicht der warmen Sonne entgegen und entdeckte ihn dann. So groß, strahlend und rund wie eh und je.

Der Regenbogen. Das gebrochene Licht.

Sie kicherte – etwas, was sie eher selten tat – und schob ein paar Blätter beiseite, um auf den Felsabsatz zu treten, der über dem See lag. Wie es das hier überall gab, wurde auch dieser von einem Wasserfall gespeist, der weit oben im Berg begann.

Sie watete über das feuchte Gras auf den Rand zu, als sie plötzlich jemanden erkannte, der am See saß. Es war Terra. Das war an sich keine Überraschung. Sie hatten sich oft zufällig hier getroffen, geplaudert und die Aussicht genossen. Aber anders als sonst, war etwas an dem Bild recht ungewöhnlich. Für ihn jedenfalls.

Er saß dort, einen guten Meter entfernt vom Wasser, die Knie eng an den Körper gezogen, die Arme darauf verschränkt und das Kinn aufgestützt. Dann wurde ihr auch bewusst, wieso sich der Anblick so mit ihrer Erinnerung von Terra negierte. Weil die Haltung verletzlich wirkte. Sonst war er immer gerade aufgerichtet, fern jeder Angst oder Trauer. So hatte Aqua ihn zuvor nie gesehen und sie überkam die Vermutung, dass er wohl lieber allein sein wollte, weshalb sie sich wieder umdrehte.

„Du willst gehen?“, ließ seine raue Stimme sie innehalten. Abermals wandte sie sich um.

„Ich dachte, du möchtest vielleicht allein sein.“ Er lachte kurz auf.

„Oft. Aber heute hätte ich nichts dagegen, die Einsamkeit zu teilen.“ Es klang um ein Haar wie eine Beleidigung, aber sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass das nur Terras Art war, sich auszudrücken. Aber wie kratzig sich seine Stimme anhörte… Wie lange er hier wohl schon saß?

Sie schwang sich über den Vorsprung und nahm ein Stück abseits im Gras Platz, von dem der Geruch des Regens aufstieg. Terra streifte kurzzeitig ihren Blick, dann betrachtete er wieder die Blüten der Lotosblätter, als sehe er etwas, das sonst niemand sah. Und damit lag sie möglicherweise nicht mal falsch. Minuten des Schweigens verstrichen, aber es war nicht unangenehm, nur etwas ungewohnt an diesem Ort. Hier hatten sie sich so oft unterhalten, ohne Punkt und Komma über den Kampf diskutiert, gemeinsam davon geträumt, was sie tun würden, wenn sie in andere Welten reisen durften… Es hatte stets ein Thema gegeben.

Aber Aqua fühlte sich nicht verpflichtet, etwas zu sagen. Sie zog, ebenso wie er, die Knie an und beobachtete mit schräg gelegtem Kopf einen Sonnenstrahl, der durch das Blattwerk fiel und auf Terras Arm tanzte.

„Ich fürchte mich ein wenig vor der Prüfung…“, brach er unvermittelt das Schweigen.

„Wieso?“, fragte sie. Denn es hatte sich angehört, als spreche er nicht von der Aufregung, die auch sie heimsuchte, sondern von etwas anderem.

„Ich habe Angst, zu versagen… Du weißt schon… wegen der Dunkelheit in mir.“

„Oh.“ Mehr musste und würde sie dazu nicht sagen. Der Schatten, den Eraqus in Terra entdeckt hatte, war ein Tabuthema. Und sie wusste genau, dass Terra weder Mitleid noch sonst irgendwas haben wollte. Was sie nur zu gut nachvollziehen konnte, gerade sie. Wenn man mit etwas zu kämpfen hatte, das einen derart zerriss, dann konnte man die leeren Worte von jemandem, der sowieso keine Ahnung hatte, wie sich anfühlte, nicht hören.

„Ich will den Meister nicht enttäuschen“, fuhr er leise fort. „Er ist wie ein Vater für mich und ich will, dass er stolz sein kann.“

„Terra…“, sagte sie ebenso leise. „Meister Eraqus ist jetzt schon sehr stolz auf dich. Und er wird es nicht weniger sein, wenn die Prüfung vorbei ist, ganz egal wie es endet.“ Er sah auf. Da waren sie wieder, die kobaltfarbenen Augen, die langen Wimpern, die diesen durchdringenden Blick umgaben. Sicher war ihm nicht klar, wie tief dieser sie berührte.

„Mehr als dein Bestes geben… das kannst selbst du nicht, Terra.“ Er stieß ein Lachen aus und durch die minimale Bewegung, rutschte der Sonnenfleck auf seine Brust.

„Diese Worte kommen mir irgendwie bekannt vor.“ Jetzt grinste sie.

„Sie stammen ja auch von deiner härtesten Konkurrentin.“

„Ärgste Rivalen und beste Freunde“, kommentierte er trocken und beide brachen in Gelächter aus.

„Genau“, meinte sie erleichtert seufzend, als ihr Lachen langsam verklang. In der wieder entstandenen Stille war nur das beständige Plätschern des Sees zu hören und die Vögel in den Bäumen. Aquas Augen huschten zum Wasser und sie befand, dass eigentlich nichts dagegen sprach, die Füße ein wenig hineinzuhalten. Gedacht, getan. Sie streifte Stiefel und Kniestrümpfe ab, setzte sich ans Ufer und tauchte bis zu den Knien ins kühle Nass ein. Eine Wohltat war das!

Es dauerte seine Zeit, aber schließlich vernahm sie, wie sich auch Terra der Schuhe entledigte und zu ihr kam. Näher, als sie erwartet hatte, ließ er sich neben sie sinken und setzte die Füße ins Wasser. Schwach wehte sein Duft zu ihr hinüber und sie konnte nicht anders, als ihn tief einzuatmen.

Seine Hand, die er wie sie neben dem Körper abgestützt hatte, lag nur Zentimeter von ihrer entfernt. Aber gerade dieser winzige Abstand sorgte dafür, dass sie ein Kribbeln im Bauch spürte, das zu ihren Muskeln vordrang und für reichlich Anspannung sorgte. Hätte er sie berührt, hätte es sie wahrscheinlich auch nicht so aufgewühlt. Nur dadurch, dass sie seine Präsenz wahrnahm, ohne ihn anzufassen, fühlte sich ihr Geist ermutigt, sich – ohne ihr Einverständnis – vorzustellen, wie es wäre seine Hand zu nehmen… die geringe Distanz zwischen ihren Fingern zu überbrücken…

Sein Atem ging gleichmäßig und tief. Aus dem Augenwinkel sah sie das stete Spiel seiner Bauchmuskeln, wie sie sich hoben und senkten, hoben und senkten… Seine Nähe war ihr mehr als nur bewusst, bewusster als je zuvor. Das konnte nicht mit dem Kampf verglichen werden, der beizeiten auch viel Körperkontakt verlangte. In solchen Zeitpunkten hatte sie das Gefühl nur am Rande wahrgenommen, viel zu konzentriert auf das Gefecht. Aber nun, wo es keinen Kampf gab, wo er ihr so nahe kam, ohne es zu „müssen“…

Ihre Ohren brannten. Ob er das sah? Oder ob er ihren frenetischen Herzschlag hörte? Hoffentlich nicht.

Wenn sie doch nur den Finger heben könnte… nur den kleinen, wie im Reflex, als wäre es lediglich das Zucken eines Muskels gewesen. Nur um seine Hand zu berühren.

Was er dann wohl tun würde? Seine Hand zurückziehen? Oder so tun, als wäre nichts? Spürte er diese Spannung denn auch? Oder war es nur Aquas eigene Imagination, die ihr die Sinne vernebelte…?

Auf einmal spürte sie, dass er sie ansah. Nicht direkt, nur aus dem Augenwinkel. Aber manchmal konnte ein solcher Blick intensiver sein, als ein frontaler. Hätte er sie ganz angeschaut, wäre es ihr möglich gewesen, darin zu lesen. Auf diese Art behielt er nahezu jede Botschaft für sich und ließ zu viel Raum für ihre, ohnehin schon überreizte, Vorstellungskraft.

Sie traute sich nicht, ihn zu erwidern und sei es nur ebenso aus dem Augenwinkel. Stattdessen stierte sie hartnäckig auf das Wasser, wo sie unter der transparenten Oberfläche ihrer beiden Füße sehen konnte, die genauso wie ihre Hände nur durch eine Zenitmeter-Barrikade Zwischenraum getrennt waren. Und keiner war bereit, sie einzureißen. Noch nicht?

Sie hielt weiterhin die Augen gesenkt, tat alles, um ihre Atmung ruhig zu halten, ihm nicht zu zeigen, wie sehr ihr die Situation zusetzte. Sie waren Freunde. Nur Freunde… Terra sah – mit Aquas blinder Überzeugung – nicht das in ihr, was sie in ihm sah.

Nur Freunde…

Doch dann, urplötzlich, zerbrach der Bann in unzählige Scherben.

Sie hatte nur einen Blick riskiert. Einen Blinzelmoment die Augen gehoben, sie zur Seite geführt und seine getroffen. Einer ihrer rasanten Herzschläge hätte nicht kürzer sein können.

In selber Sekunde noch griffen sie gleichzeitig nach der Hand des anderen, ihre Fußspitzen stießen sacht aneinander und nur Bruchteile später – so kam es ihr vor – saß sie nicht mehr, sondern lag im nassen Gras, Terra über ihr, seine sonnenwarmen Lippen auf ihren.

Sie hatte keine Erinnerung mehr daran, wie lang die Verblüffung über die schlagartige Wendung anhielt, aber es konnte nicht viel Zeit gewesen sein, ehe ihr Mund bereitwillig in seinen floss, zuließ, dass der Kuss leidenschaftlicher wurde. Sie öffnete sich all den Gefühlen, die sich schon viel zu lange in ihr gestaut hatten und ließ sich entwaffnen.

Undeutlich nahm sie seine Hände wahr, eine in ihrem Haar versunken, die andere hielt ihr rechtes Handgelenk umschlossen. Es war nicht das erste Mal, dass Aqua geküsst wurde, aber es war das erste Mal, dass sie so geküsst wurde.

Irgendwo in Terras Rüstung war ein Riss entstanden, den sie so nie gesehen hatte. Darunter kam etwas Wildes, Zügelloses, hervor. Es war in seinem Körper, den sie sonst nur im Kampf mit vergleichbarer Hingabe erlebt hatte und der sich fordernd an sie drückte. Es war in seinen Händen, die das Schlüsselschwert fest und mit Ehre erfüllt hielten und die nun anfingen, ihren Körper zu erkunden. Die Linke verblieb in ihrem Haar, aber mit der anderen strich er über die Pulsadern, am Arm hinab, über die Schulter, das Schlüsselbein, dann zwischen ihren Brüsten hindurch und verharrte an der Taille. Sie erschauerte und nutzte die kurze Kusspause, die entstand, um zu Atem zu kommen, um ein Stöhnen auszustoßen.

Sie schlug die Lider auf und begegnete seinen funkelnden blauen Augen über ihr, die aus einem Schleier von Verlangen hervorblitzten. Da war kein Gedanke, der ihrer Handbewegung vorweg ging, als sie sein Gesicht berührte. Über die Züge strich, die sie so oft im Traum gesehen hatte. Sie zeichnete jedes Detail mit den Fingern nach; die markanten Wangenknochen, das leicht spitze Kinn, die vollen Lippen…

Sie spürte mehr, als dass sie sah, wie das Begehren in ihm loderte, wie er sie allein mit seiner Gegenwart zu verschlingen schien. Endlich wusste sie es. Wusste, dass es ihm nie anders ergangen war, all die Zeit… Die gleiche Sehnsucht seit ihrem ersten Kampf, seit dem ersten Berühren.

Sie überließ sich vollkommen der Kontrolle ihrer Instinkte, schob ihren Verstand in weite Ferne, als sie eine Hand in seinen Nacken, die andere in sein Haar legte und ihn wieder heranzog. Wie oft hatte sie sich ausgemalt, ihre Finger in diesen weichen Strähnen zu vergraben, zu fühlen, wie sie an ihrer Haut kitzelten.

Er war es doch, der sie und Ven immer wieder darauf hinwies; Du darfst nicht zu bemüht sein, deinen Körper zu bewegen. Du musst lernen, deinen Körper dich bewegen zu lassen. Das galt nicht nur im Kampf…

Als Terras Hand über ihren Oberschenkel glitt, reagierte nicht ihr Denken, sondern ihre Sinne, und sie schlang die Beine, die gespreizt vor seinen gelegen hatten, um seine Hüfte. Mit einem Aufbäumen presste sie sich und all ihre Reize an ihn, nahm wahr wie seine Brust unter ihrem Druck erbebte und hörte, wie er ihren Namen knurrte, als sich ihre Lippen erneut trennten. Seine linke Hand war nicht länger in ihrem Haar, sondern zupfte den Verschluss ihres Oberteils im Nacken auf. Sie sank zurück ins Gras, damit er mehr Platz für sein Vorhaben hatte. Kaum fiel der Stoff herab und entblößte ihre Brust, legte er die Lippen an ihre Kehle. Aqua schloss die Augen, warf den Kopf zur Seite und genoss das Gefühl, wie seine Kussspur vom Hals abwärts über die Schlüsselbeine und schließlich zu ihren Brüsten führte. Aus irgendeinem Grund schien er genau zu wissen, wo er sie berühren oder küssen musste, damit kein Platz für auch nur eine überflüssige Regung in ihrem Kopf blieb.

Als sie den Druck ihrer Beine verstärkte, keuchten sie gleichzeitig auf. Ihr Brustkorb bog sich noch einmal weit nach oben, da seine Hand jenen Punkt fand, das Zentrum ihrer Lust…

Von den Empfindungen gelenkt, ließ sie die Hände von seinem Nacken und dem Haar tiefer wandern, über all die harten Rückenmuskeln, bis sie den Saum seines Shirts fand, ihre Finger unter den Stoff grub und daran zog. Terra bemerkte ihre Absicht und richtete sich auf, damit sie es ihm über den Kopf ziehen und seinen Oberkörper enthüllen konnte. Auch jetzt war es ihr nicht möglich, der Versuchung zu widerstehen, ihre Hände darüber streichen zu lassen. Er wartete, während sie all die scharf geschnittenen Muskelwölbungen nachfuhr und sich fragte, wie es wohl wäre, jede einzelne davon zu küssen…

Er hatte die Hände neben ihr ins Gras gestützt und betrachtete ihr verträumtes Gesicht. Ihre ganze Erscheinung spiegelte die Aufgelöstheit im Inneren wieder. So war sie am schönsten. Pur und unkontrolliert. Unwillkürlich beugte er sich herab und gab ihr einen zarten Kuss auf die Stirn. Als er sich zurückzog, um sie wieder ansehen zu können, erschien ein Lächeln auf ihren rot glühenden Lippen.

„Wie gut, dass du die Rüstung am Arm heute nicht trägst…“, flüsterte sie und war selbst überrascht, wie hemmungslos verführerisch ihre Stimme klang, als hätte sie etwas ganz anderes sagen wollen…

„Hm, irgendwie hatte ich heute Morgen das Gefühl, ich bräuchte sie nicht“, raunte er in ganz ähnlichem Tonfall und schon drehte ihr Magen wieder Schleifen.

Beinahe synchron griffen sie in das Haar des jeweils anderen und zogen sich erneut zu einem Kuss heran. Haut traf auf Haut, seine groben, festen Muskeln auf ihre zarte, samtene Brust. Diesmal war ihm das Warten unmöglich, weshalb seine Hand die Konturen ihres gesamten Körpers nachzeichnete, bei der Hüfte verweilte und dann mit den Fingerspitzen unter den Stoff ihrer Hose fuhr. Im gleichen Moment packte auch Aqua – von derselben Ungeduld befangen – den Saum seiner und zerrte daran…

Als wie aus dem Nichts das Leuten der Glocken vom Schloss in der Ferne widerhallte.

Abrupt lösten sie die Lippen. Lauschten erst, sahen einander dabei in die Augen, die eigenen Gefühle und Gedanken im Gesicht des anderen lesen könnend. Sie beide wussten genau, was diese Töne bedeuteten. Etwas war geschehen und dieses Signal forderte sie auf, unverzüglich zum Schloss zurückzukehren.

Noch immer waren sie ineinander verkeilt, sich mit aller Macht an die Intimität ihres gemeinsamen Moments klammernd. Aber sie wussten ebenso beide, dass sie ihn beenden mussten.

Jetzt.

Innerhalb von Sekunden brach der Zauber. Im selben Augenblick, in dem Terra nach seinem Shirt im Gras griff, zog Aqua ihr Oberteil wieder hoch und verhakte den Verschluss im Nacken als er in den grauen Stoff schlüpfte. Sie lockerte ihre Beine ganz und stützte sich mit den Ellbogen ab, während Terra aufstand und ihr die Hand reichte, die sie fast schüchtern ergriff und sich aufhelfen ließ.

Die Minuten, in denen sie ihre Kniestrümpfe und Stiefel überstreifte, gingen schweigend und mit einer Verwirrung vonstatten, die nicht nur ihr alle Ruhe nahm. Wie hatte sie sonst immer reagiert, wenn die Glocken ertönten? Besorgt, ja und auch etwas ängstlich darüber, was passiert sein könnte, aber nie so wie jetzt. Nicht so wirr, schwindelig und seltsam taub, wie als wäre sie aus einem Traum erwacht. Was war mit Terra? Er sah aus, als würde es ihm ähnlich gehen, doch er war ein Meister darin, dass Innere nicht nach außen dringen zu lassen. Spätestens beim Schloss würde man ihm nichts mehr anmerken können. Sie würde sich ebenfalls zusammenreißen müssen.

Schweigend verlief auch der Rückweg und mit mehr als der sonstigen Halber-Meter-Lücke beim Gehen. Aqua erinnerte sich, dass Terra ihr in diesen Situationen immer Mut gemacht, ihr versichert hatte, dass schon nichts Schlimmes geschehen war, dass sie sich nicht zu sorgen brauchte. Nur diesmal tat er es nicht.

Als sie das Schloss schon fast erreicht hatten, wurde Aqua gerade noch rechtzeitig der Zustand ihrer Haare bewusst. Zwar hatte sie auch Terras Frisur gehörig in Unordnung gebracht, aber bei ihm fiel es nicht so auf, außerdem schien er es bereits einigermaßen glatt gestrichen zu haben. Schnell fischte sie Grashalme und Blätter heraus und kämmte es sporadisch mit den Fingern zurrecht.

Keine Sekunde zu spät, denn da sah sie schon Ven, der mit seinem kindlichen Strahlen, über den Platz auf sie zugestürmt kam.

„Terra! Aqua! Da seid ihr ja endlich!“ Keuchend kam er vor ihnen zum Stehen; anscheinend war er mal wieder zu schnell für seine Ausdauer gelaufen. Kleiner, liebenswerter Junge.

„Der Meister hat Besuch!“, sprudelte es, kaum dass er halbwegs wieder bei Atem war, aus ihm heraus. „Von anderen Schlüsselschwertschülern! Die sehen alle wahnsinnig stark aus. Und sie haben gesagt, dass sie mit uns trainieren würden! Vor allem wegen eurer Prüfungen. Ich wollte eigentlich auf euch warten, aber ich konnte euch nicht finden und darum…“

„Ven“, sagte Terra lächelnd und verwuschelte seinem jungen Freund liebevoll die Haare. „Nicht so schnell. Lass uns erstmal reingehen und mit dem Meister sprechen.“

„Na gut“, erwiderte er leicht enttäuscht, als sein Blick plötzlich auf Aqua fiel. „Hä? Aqua, warum bist du denn so rot im Gesicht? Hast du Fieber? Und diese Flecken da an deinen Schultern…“

„Nichts!“, schnitt sie ihm, etwas zu schnell, das Wort ab. Mit halbem Auge konnte sie erkennen, dass auch Terra erst jetzt auffiel, welche Spuren seine Lippen hinterlassen hatten. „Ich bin vorhin im Wald beim Trainieren ausgerutscht und äh… und hab mich im Geäst eines kleinen Baumes verfangen. Aber das sind nur blaue Flecken, nichts Ernstes!“ Blaue Flecken… Ha.

Terra räusperte sich unauffällig.

„Echt?“, fragte Ven mit großen Augen. „Das muss aber wehgetan haben, oder? Die Flecken sind richtig rot! Willst du nicht doch lieber Eis drauflegen?“

„Nein, nein“, meinte sie und hob abwehrend die Hände. „Ist schon okay. Das sieht schlimmer aus als es ist.“ Bei der Zweideutigkeit ihrer Worte, die nur ihr und Terra bewusst sein konnte, errötete sie ungewollt wieder.

„Bist du sicher?“ Ven schien ernsthaft besorgt. „Der Meister würde es sicher verstehen, wenn…“

„Lass gut sein, Ven“, mischte sich da Terra ein. „Wenn Aqua sagt, es wäre okay, dann ist es das. Sie würde uns nicht anlügen, das weißt du doch.“ Seine Worte mochten Ven gelten, aber es war Aqua, die er dabei ansah. Und sie hörte deutlich, was er nicht aussprach.

In diesem Blick lag alles. Die Gewissheit, dass die Sache eben für ihn nicht „einfach so“ passiert war, sondern dass es ihm etwas bedeutete, dass es ihm vielleicht sogar mehr bedeutete, als er sagen konnte… oder zeigen. Und sie spiegelte diesen Ausdruck, ohne dass sie ihrem Gesicht den Befehl dazu geben musste.

Es war, als würden sie sich noch einmal küssen; im Geiste. Und das war das Einverständnis, die stumme Absprache, dieses Geheimnis zu bewahren.

Ven sah irritiert zwischen beiden hin und her.

„Wir sollten reingehen“, sagte Terra schließlich und löste die Verankerung ihrer Augen ineinander. Der noch immer verwirrt zu scheinende Ven folgte seinem Freund, als dieser sich abwandte und zum Eingang des Schlosses ging.

Aqua nahm sich nicht mehr als fünf Sekunden, in denen sie an Ort und Stelle verweilte, die Fingerspitzen auf ihre – fast schon wunden – Lippen legte und die Augen schloss.

Das ist ein Geheimnis. Unser Geheimnis. Das mir niemand je wegnehmen wird.

Sie schlug sie wieder auf und lief den beiden hinterher; dem Jungen, der ihr bester Freund war und dem Mann, der mehr als das war, schon immer.

Der Mann, den sie liebte…
 

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So, jetzt ist es also passiert.

Ich weiß nicht, wem diese Situation bekannt ist; man teilt mit jemandem einen Moment dieser Art, welcher aber plötzlich unterbrochen wird und hinterher wird nie wieder ein Wort darüber gesprochen. Hoffend, dass der andere den Anfang macht, weil man selbst nicht den Mut aufbringt – besonders dann, wenn es ein einmaliges Ereignis war – aber auch mit Angst erfüllt, der andere würde nicht das gleiche darin sehen. Ich dachte, bei Terra und Aqua wäre so was durchaus möglich. Sie sind beide solche Kämpfertypen, dass Liebe – und vor allem Sex – sie ganz schön durcheinander bringen könnte.

Ich glaube, hätte es die Möglichkeit gegeben, dass sie sich noch mal allein am See getroffen und dann wirklich miteinander geschlafen hätten, wäre es einfacher gewesen, danach offen darüber zu reden. So ist es quasi zu „unvollendet“ für sie, womit die Sehnsucht nach Vollendung einhergeht.

Ich wollte in diesem Kapitel noch etwas „Bitteres“ für die Zukunft einbauen. Darum Aquas Gedanke, Terra auf seine Dunkelheit anzusprechen, wäre falsch. Ich glaube, sie könnte echt so gedacht haben, bis die Reise begann. In Bbs verurteilt sie Terra ja dann oft genug, dass er sich zu sehr der Dunkelheit aussetzen würde…

Übrigens hab ich hier, genau wie im Kapitel davor, einen winzig kleinen Perspektivensprung zu Terra gemacht. Jemandem aufgefallen, wo der ist?

Ich hoffe, ihr fandet das Kapitel „aufschlussreich“.
 

Tausend Dank fürs Lesen!

Rainblue



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Escria
2011-11-18T01:33:04+00:00 18.11.2011 02:33
omgomgomgomgomgomgomgomgomgomgomgomgomgOMG!!!!!
°////////////°
das is zu geil für die welt :'D
etoooooooooooooo
das mit der szene am see, war einfach nur lust X3 ich hab mir jedes klitzekleine detail vorstellen können und es hat mir gefallen 8D

aber ich hatte echt hoffnungen dass sies miteinander tun und dann hat diese bekloppte glocke geläutet und ich bin halb ausgerastet QAQ DUMME DÄMLICHE GLOCKE *Glocke kick*

*räusper* öhöm UoU nun ja.... uhm und bei kleinen details musste ich lachen, da dachte ich nur "einfach putzig!" z.b als ven so arg um aqua wegen den flecken besorgt war und terra sich räuspern musst XD ich hatte das bild richtig im schädel XDDDD

ha ha /D und jetzt werd ich noch weiterlesen

chu~
Von:  alunabun
2011-09-16T22:56:53+00:00 17.09.2011 00:56
Wow, damit hatte ich irgendwie nicht gerechnet, das war überraschend, aber es hat mich nicht im geringsten gestört, irgendwie. Hui.
Also ich kenne das nur zu gut, wenn man sich etwas immer und immer wieder sagt und der Satz dann seine Bedeutung verliert, genau wie hier Bleib am Leben. Hast du sehr gut geschrieben. Aber immerhin hat der Satz ihr ja wirklich die Kraft zum Weitermachen gegeben.
Was mit dem Schloss passiert ist, ist wirklich traurig. Aber immerhin hat sie nun ein Bett, wo sie sich vielleicht mal etwas besser auskurieren kann. Zumindest hoffe ich das für sie. Aqua muss so oder so schon so viel durchstehen, das tut mir dann doch etwas Leid für sie!
Also zu deiner Erotik-Szene. Ich fand es genau richtig. Nicht too much, sodass man sich so vorkommt, als würde man einen Porno lesen. Fand ich gut, damit kann ich leben. Irgendwie fand ich es auch süß, dass sie endlich zueinander gefunden haben. Ich dachte, jetzt tun sie's, als dann diese scheiß Glocke geläutet hat. Boah, ich wollte, dass sie einfach einander genießen, aber klar, dass die beiden solche Arbeitstiere sind und gleich losrennen. Hätte ich auch nicht anders von ihnen erwartet. Ventus' fand ich dann echt knuffig, er ist doch wirklich noch ein Kind <3
Was ich aber schade finde ... sie werden wohl nie wieder darüber sprechen oder es fortsetzen, denke ich. Das hast du ganz richtig geschrieben. Dabei haben sie doch Gefühle füreinander, aber manchmal geht das einfach nicht. Ich kenne eine solche Situation nur zu gut. Es ging zwar nicht um Sex oder Liebe, aber dennoch kann ich es gut nachvollziehen. Voll traurig.
Nya, bin gespannt, was mich so im nächsten Kapitel erwartet. Bin grad echt planlos.

LG
Mrs_Simple.

Dass es mal kurz zu Terra gesprungen ist, hab ich nicht wirklich mitbekommen. Liegt aber auch daran, dass ich das Kapitel heute Mittag gelesen habe und mich jetzt nicht mehr an jedes Detail erinnern kann. Sorry!
Von:  Xaris
2011-09-06T15:39:01+00:00 06.09.2011 17:39
Hi <3

War grad auf Animexx, Dojis durchgucken und da musste ich doch auch gleich weiterlesen. >o<
Wie du das mit dem Schloss beschreibst...einfach nur traurig, was damit passiert ist, arme Aqua. Q.Q Hast du wieder sehr gut geschrieben. <3
*___* Die Szene wurde sehr gut geschrieben <3 weiß gar nicht, was du da hast :D
XDDDDD Ven mit seinen Bemerkungen bezüglich Aqua, lol. XD
Öh, ich glaub, ich hab da mal was mitgekriegt, dass es mal zu Terra sprang, aber ka mehr wo das war. xD


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